View
0
Download
0
Category
Preview:
Citation preview
48 POLITISCHE STUDIEN // 463
Im Fokus
Entwicklung der Weltbevölkerung – Vergangenheit und Zukunft
Bis etwa zum Jahr 1800 hat es gedauert, bis die Menschheit die erste Milliarden-marke überschritten hatte. Die Zeit seit dem 20. Jahrhundert ist von einem ra-santen Bevölkerungswachstum geprägt. In das Jahr 1900 startete die Mensch-heit noch mit 1,6 Milliarden Menschen, 1987 war schon die fünfte Milliarde er-reicht. Nur zwölf Jahre später, im Jahr 1999, lebten sechs Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Damit hat sich die Weltbevölkerung in einem einzigen Jahrhundert nahezu vervierfacht. Und die Menschheit wächst weiter. Im Jahr 2011 wurde bereits der siebenmilliards-te Mensch geboren. Derzeit nimmt die Weltbevölkerung jährlich um etwa 83 Millionen Menschen zu – das entspricht etwa der in Deutschland lebenden Be-völkerung (siehe Abb. 1).
/// Wohin geht es mit derWeltbevölkerung?
Zu dem rasanten Bevölkerungswachs-tum nach dem Zweiten Weltkrieg haben vor allem die Verbesserung der medizini-schen Versorgung und der Anstieg der Nahrungsproduktion, die so genannte „Grüne Revolution“, beigetragen. Denn in der Folge stieg die Lebenserwartung und die Säuglingssterblichkeit ging zu-rück. Im gleichen Zeitraum blieb in vielen Gesellschaften der Wunsch nach großen Familien bestehen. Zugleich führte der mangelnde Zugang zu modernen Metho-den der Familienplanung zu zahlreichen ungewollten Schwangerschaften. In der Folge beschleunigte sich das Bevölke-rungswachstum, wobei der Anteil der Menschen, die in Entwicklungsländern lebten, beständig anstieg.
Auch in Zukunft wird die Weltbevöl-kerung wachsen, wenngleich sich die Be-völkerungszunahme verlangsamt. Bis zum Jahr 2050 werden nach den Projekti-
uRsACHEN, FoLGEN uND PoTENZIALE IN DEN ENTWICkLuNGsLÄNDERN
RENATE BÄHR /// Nie zuvor gab es so viele Menschen auf der Erde wie heute – mehr als 7 Milliarden. Nach wie vor wächst die Weltbevölkerung. Bis zum Jahr 2050 wer-den es voraussichtlich 9,7 Milliarden Menschen sein. Das Weltbevölkerungswachstum erfolgt fast ausschließlich in den Entwicklungsländern, wo jedes Jahr 74 Millionen Frauen ungewollt schwanger werden. Die Bevölkerungsentwicklung ist beeinflussbar, durch Aufklärung und freiwillige Familienplanung.
463 // POLITISCHE STUDIEN 49
onen der Vereinten Nationen (UN) vor-aussichtlich 9,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben, bis zum Jahr 2100 ver-mutlich sogar 11,2 Milliarden Menschen. Bei den Projektionen bilden Annahmen über die zukünftige Fertilität eine wichti-ge Grundlage. Die UN gehen davon aus, dass die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau von heute 2,5 weltweit bis zum Jahr 2100 auf zwei Kinder sinken wird. Weicht die Kinderzahl pro Frau auch nur geringfügig von dieser Annahme ab, hat dies einen erheblichen Einfluss auf das Bevölkerungswachstum. Wenn die Kin-derzahl pro Frau bis 2100 in jedem einzel-nen Land der Erde konstant auf dem heu-tigen Niveau bliebe, würde die Weltbe-völkerung zur Jahrhundertwende auf rund 26 Milliarden Menschen anwach-sen (siehe Abb. 2, S. 50).
Bei ihren vergangen Projektionen waren die UN mehrfach zu optimistisch
bezüglich der zukünftigen Fertilitäts-entwicklung. Waren sie im Jahr 2009 noch davon ausgegangen, dass im Jahr 2050 9,1 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden, korrigierten sie die-se Annahme zwei Jahre später auf 9,3 Milliarden Menschen nach oben, um die Zahl in den Jahren 2013 und 2015 erneut nach oben anzupassen, nämlich auf zunächst 9,6 Milliarden und dann auf 9,7 Milliarden Menschen. Einer der Hauptgründe für diese Korrektur ist, dass die Fertilitätsraten nicht so stark
Besonders im 20. Jahrhundert nahm die Weltbevölkerung RASANT zu.
Abbildung 1: Historische Entwicklung der Weltbevölkerung
50 POLITISCHE STUDIEN // 463
Im Fokus
gesunken sind wie zuvor jeweils ange-nommen.
Weltweit hat sich zwar die durch-schnittliche Kinderzahl pro Frau von rund 5 Kindern in den 1960er-Jahren auf heute 2,5 Kinder halbiert, was vor allem auf die Entwicklungen in Asien und La-teinamerika zurückzuführen ist. Doch die Fertilitätsraten in Afrika südlich der Sahara sind im gleichen Zeitraum deut-lich langsamer gesunken, nämlich von
Abbildung 2: Weltbevölkerungsprojektionen für das Jahr 2100
6,6 Kindern pro Frau auf heute 4,7 Kin-der. Wie Untersuchungen zeigen, hat sich dieser Rückgang in den vergangenen Jah-ren teilweise noch verlangsamt.
Regionale Unterschiede Das Wachstum der Weltbevölkerung geht fast ausschließlich auf Entwick-lungsländer zurück. Entsprechend ist der Anteil der dort lebenden Menschen an der Weltbevölkerung in den vergan-genen Jahrzehnten stetig gestiegen: von 68 % im Jahr 1950 auf heute 83 %. Im Jahr 2050 werden voraussichtlich 87 % der Weltbevölkerung in den we-niger entwickelten Regionen der Erde leben (siehe Abb. 3).
Asien ist schon heute die bevölke-rungsreichste Region der Erde und wird dies auch in Zukunft sein. Allerdings
Bevölkerung in Milliarden
Grafik: Stiftung WeltbevölkerungQuelle: Vereinte Nationen, World Population Prospects: The 2015 Revision
25
30
20
15
10
5
0
1950 1975 2000 2025 2050 2075 2100
7,3 (niedrige Variante)
16,6 (hohe Variante)
11,2 (mittlere Variante)
26 (konstante Variante)
9,7 (mittlere Variante)
Die FERTiliTÄTSRATE in Afrika südlichder sahara sinkt nur langsam.
463 // POLITISCHE STUDIEN 51
Abbildung 3: Regionale Verteilung der Weltbevölkerung
wird der asiatische Anteil an der Welt-bevölkerung zurückgehen. Lebt heute noch deutlich mehr als die Hälfte der Menschheit in Asien (60 %), werden es im Jahr 2100 voraussichtlich nur noch 44 % sein. Wesentlich mehr Menschen werden dann in Afrika leben. Dort wächst die Bevölkerung am stärksten. Sie wird sich von heute fast 1,2 Milliar-den Menschen auf voraussichtlich rund 2,5 Milliarden Menschen im Jahr 2050 und mehr als verdoppeln. Nach 2050 wird Afrika der einzige Kontinent sein, auf dem die Bevölkerung noch nennens-wert wachsen wird – bis 2100 um weite-re 1,9 Milliarden auf rund 4,4 Milliar-den Menschen. Damit werden zum Ende des Jahrhunderts fast 40 % der Weltbevölkerung in Afrika leben. Heute sind es nur 16 %. Die europäische Be-völkerung hingegen wird voraussicht-
lich von heute 738 Millionen Menschen (10 % der Weltbevölkerung) auf 646 Millionen im Jahr 2100 (rund 6 % der Weltbevölkerung) schrumpfen.
Warum die Bevölkerung in Entwicklungsländern wächst
Das Bevölkerungswachstum in Entwick-lungsländern beruht vor allem auf drei Faktoren: der jungen Altersstruktur, un-gewollten Geburten sowie dem Wunsch nach mehr als zwei Kindern pro Paar. Alle drei Variablen sind beeinflussbar.
Junge AltersstrukturGrund für eine junge Bevölkerung ist die hohe Fertilitätsrate in vielen Ent-wicklungsländern, die zum Teil auf un-gewollte Schwangerschaften zurückzu-führen ist. Mehr als ein Drittel der Be-völkerung in den Entwicklungsländern
Weltbevölkerung7,35 Milliarden
Asien4.393 Mio. (59,78 %)Afrika 1.186 Mio. (16,14 %)Europa738 Mio. (10,04 %)Lateinamerika/Karibik634 Mio. (8,63 %)Nordamerika358 Mio. (4,87 %)Ozeanien39 Mio. (0,53 %)
Weltbevölkerung11,21 Milliarden
Asien4.889 Mio. (43,60 %)Afrika4.387 Mio. (39,12 %)Europa646 Mio. (5,76 %)Lateinamerika/Karibik721 Mio. (6,43 %)Nordamerika500 Mio. (4,46 %)Ozeanien71 Mio. (0,63 %)
Regionale Verteilung der Weltbevölkerung
Grafik: Stiftung WeltbevölkerungQuelle: Vereinte Nationen, World Population Prospects: The 2015 Revision.
Mitte 2015 Mitte 2100
52 POLITISCHE STUDIEN // 463
Im Fokus
sind Kinder und Jugendliche. In Afrika sind sogar 41 % der Bevölkerung jünger als 15 Jahre. Diese Bevölkerungsgruppe steht an der Schwelle zum fortpflan-zungsfähigen Alter. Die zukünftige Grö-ße der Weltbevölkerung wird zu einem
erheblichen Teil davon abhängen, für wie viele Kinder sie sich entscheiden und ob sie Zugang zu Verhütungsmit-teln haben (siehe Abb. 4).
Selbst wenn jedes Paar sich mit zwei Kindern nur selbst „ersetzen“ würde, käme es zu keinem Stopp des Bevölke-rungswachstums. Aufgrund der hohen Zahl junger Menschen im fortpflan-zungsfähigen Alter würde die Weltbe-
völkerung noch einmal um mindestens die Hälfte zunehmen. Dieses Phänomen bezeichnet man als „Trägheit“ des Be-völkerungswachstums.
Dieser Altersstruktureffekt ließe sich abschwächen, wenn Jugendliche Sexualaufklärung und Zugang zu Ver-hütungsmitteln erhielten und wenn durch mehr Bildungschancen für Mäd-chen und eine Erhöhung des Heiratsal-ters die erste Geburt verzögert würde.
Ungewollte GeburtenEin weiterer Grund für das starke Bevöl-kerungswachstum in Entwicklungslän-dern sind die anhaltend hohen Kinder-zahlen pro Frau. Dabei hat Afrika süd-lich der Sahara die höchste Fertilitätsra-te weltweit. Dort bekommt eine Frau durchschnittlich etwa fünf Kinder, in Uganda beispielsweise sind es sechs und in Niger sogar acht.
Abbildung 4: Afrika am jüngsten
Die europäische Bevölkerung SCHRUMPFT, während die Entwicklungsländer zulegen.
463 // POLITISCHE STUDIEN 53
Viele Frauen in Entwicklungslän-dern bekommen mehr Kinder, als sie es sich wünschen, unter anderem, da es ihnen an Verhütungsmitteln mangelt oder ihnen das Wissen darüber fehlt. Jede vierte Frau kann dort nicht verhü-ten, obwohl sie das gerne möchte. Wenn sie alle die Möglichkeit dazu hätten, gäbe es jährlich 21 Millionen ungewollte Geburten und 24 Millionen Abtreibun-gen weniger. Zudem würden 70.000 Mütter und 500.000 Neugeborene we-niger sterben (siehe Abb. 5, S. 54).
Wunsch nach mehr als zwei KindernIn Entwicklungsländern wünschen sich Menschen oft deshalb mehr als zwei Kinder, weil es keine ausreichenden Al-terssicherungssysteme in ihren Ländern gibt. Daher sind Menschen im Alter auf ihre Kinder angewiesen. Viele Kinder
sterben aber immer noch bald nach der Geburt, so dass Eltern mehrere Kinder bekommen, in der Hoffnung, dass we-nigstens ein Teil überlebt. Die ge-wünschte Kinderzahl lässt sich durch Maßnahmen zur Senkung der Kinder- und Säuglingssterblichkeit sowie durch bessere Bildungs und Beschäftigungs-möglichkeiten für Frauen beeinflussen. Auch Familienplanungsprogramme, die über die gesundheitlichen und sozio-ökonomischen Vorteile kleinerer Famili-en informieren, wirken sich auf die Ein-stellung von Eltern aus.
Herausforderungen für arme LänderDie Bevölkerung wächst besonders in den ärmsten Ländern der Welt. Nach Angaben der Vereinten Nationen be-kommen Frauen in den 48 am wenigsten entwickelten Ländern durchschnittlich
Jugendklubmitglieder der Stiftung Weltbevölkerung sprechen in Kenia über Verhütungsmöglichkeiten.
© Jo
nath
an T
orgo
vnik
54 POLITISCHE STUDIEN // 463
Im Fokus
mehr als vier Kinder. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerung in diesen 48 Ländern von heute rund 954 Millionen Menschen auf voraussichtlich 1,9 Milli-arden verdoppeln. Die Versorgung der Menschen, zum Beispiel mit natürlichen Ressourcen sowie mit Bildungs und Ge-sundheitsangeboten, wird erschwert.
Beispiel LandknappheitFür die Lebensmittelproduktion ist die Verfügbarkeit von fruchtbarem Boden von zentraler Bedeutung. Während die Weltbevölkerung jährlich um etwa 83 Millionen Menschen zunimmt, ist ein Ausbau der landwirtschaftlichen Nutzflä-chen in den meisten Teilen der Welt nicht mehr möglich. Daher schrumpft das fruchtbare Ackerland pro Kopf der Welt-bevölkerung. 1960 betrug es noch 0,44 Hektar. Im Jahr 2050 werden nach Schät-
Abbildung 5: Verhütung und Kinderzahlen in Entwicklungsländern
zungen der FAO (Food and Agriculture Organisation of the United Nations) vor-aussichtlich nur noch 0,15 Hektar frucht-barer Boden pro Person verfügbar sein.
Die Landknappheit trägt dazu bei, dass nicht genug Nahrungsmittel für die wachsende Bevölkerung in den Ent-wicklungsländern produziert werden. Besonders betroffen ist Afrika südlich der Sahara. Dort leidet heute etwa jeder Vierte an Unterernährung.
Beispiel WasserknappheitWasserknappheit ist eines der größten globalen Probleme unserer Zeit. Unge-fähr zwei Milliarden Menschen leben
Durchschnittliche Kinderzahl pro Fraugewollt/ungewollt **
Verhütung und Kinderzahlen in Entwicklungsländern
Grafik: Stiftung WeltbevölkerungQuelle: *Datenreport der Stiftung Weltbevölkerung 2014 **Demographic and Health Surveys, 2008–2014
gewollttatsächlicheKinderzahl
Äthiopien
Kenia
Uganda
Simbabwe
Ägypten
Jordanien
Bangladesch
Kambodscha
Nepal
Philippinen
Bolivien
Kolumbien
0 1 2 3 4 5 6 7
Verheiratete Frauen(15–49 J.), die moderneVerhütungsmethoden
anwenden, in %*
1,6 2,1
2,0 3,5
1,8 2,6
2,6 3,0
1,6 2,3
2,4 3,0
3,2 4,6
3,0 4,840
39
26
57
58
41
52
35
43
37
34
73
4,5 6,2
3,4 4,1
2,7 3,8
2,4 3,0
Bildungs- und Gesundheitsmaßnahmen SENKEN die Fertilitätsrate.
463 // POLITISCHE STUDIEN 55
schon heute in Regionen mit Wasser-knappheit oder -mangel. Der Anstieg der Weltbevölkerung von derzeit 7,3 Milliarden auf voraussichtlich 9,7 Milli-arden Menschen im Jahr 2050 führt laut einem Bericht der Vereinten Nationen dazu, dass der weltweite Bedarf an Was-ser um rund 55 % ansteigen wird.
In erster Linie wird das Wasser für die Nahrungsmittelproduktion benö-tigt. Mit der Bevölkerung wächst zu-gleich der Bedarf an landwirtschaftli-chen Produkten. Schon heute entfallen 70 % des globalen Wasserverbrauchs auf die Landwirtschaft. In Zukunft könnte dieser Anteil deutlich steigen. Dabei wer-den in vielen Ländern die Wasservorräte bereits voll ausgeschöpft. In zahlreichen Entwicklungsländern haben internatio-nale Investoren große landwirtschaftli-che Nutzflächen aufgekauft und benöti-gen zur Bewässerung viel kostbares Wasser. So wird der Druck auf die wert-volle Ressource noch erhöht.
Die zunehmende Wasserknappheit erhöht die Gefahr von Ernährungskri-sen. Insbesondere in Afrika tragen peri-odisch auftretende bzw. anhaltende Trockenheit und der Rückgang der Grundwasserreserven schon heute zu immer wiederkehrenden Hungersnöten bei. Fachleute gehen davon aus, dass die Verfügbarkeit von Wasser zukünftig zu einem Hauptthema der internationalen Sicherheit wird.
Wirtschaftliche Entwicklung durch Familienplanung
Freiwillige Familienplanung könnte die Entwicklungschancen armer Länder deutlich verbessern. Wenn Frauen den Abstand zwischen den Geburten kon-trollieren können, können sie besser am Erwerbsleben teilnehmen und ihr Haus-haltseinkommen steigern. Das hat sich
zum Beispiel im sogenannten Matlab-Programm in Bangladesch gezeigt. In dem Programm, das die Regierung in den späten 1970er-Jahren initiiert hatte, besuchten Gesundheitsmitarbeiter die Dörfer im Distrikt Matlab, boten verhei-rateten Frauen eine Auswahl von Verhü-tungsmitteln an und informierten sie über die korrekte Anwendung. Im Ver-lauf von zwei Jahrzehnten ging die Ferti-lität zwischen zehn und 15 % zurück, und die Einkommen der Frauen stiegen um ein Drittel. Auch die Überlebensra-
ten der Kinder, die Schulbesuchsquoten und die Gesundheit von Müttern ver-besserten sich. Das durchschnittliche Haushaltsvermögen in den Dörfern, die an dem Programm teilgenommen hat-ten, lag rund 25 % über dem in ver-gleichbaren Dörfern, die nicht teilge-nommen hatten.
Freiwillige Familienplanung trägt nicht nur dazu bei, die wirtschaftliche Situation Einzelner zu verbessern, auch die Entwicklungschancen armer Länder insgesamt verbessern sich. Al-lerdings lässt sich nicht eindeutig fest-stellen, was zuerst kommt: der Rück-gang der Geburtenraten oder die wirt-schaftliche Entwicklung. Vielmehr greifen beide Entwicklungen ineinan-der. Der Zusammenhang zwischen de-mographischer und wirtschaftlicher Entwicklung wurde etwa in der Studie
Wasser und Nahrungsmittel werden zunehmend KNAPPER.
56 POLITISCHE STUDIEN // 463
Im Fokus
„Afrikas demografische Herausforde-rung“ aus dem Jahr 2011 erforscht. Das Ergebnis war, dass keines der 103 untersuchten Entwicklungsländer sich ohne einen gleichzeitigen Rückgang der Geburtenraten sozioökonomisch entwickelt hat.
Familienplanung darf jedoch nicht als ein Mittel gesehen werden, um Ein-fluss auf die Bevölkerungsentwicklung zu nehmen. Diese Sichtweise stand noch im Mittelpunkt der ersten beiden UN-Bevölkerungskonferenzen von Bukarest (1974) und Mexiko-Stadt (1984). Die Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 markierte einen umfassenden Para-digmenwechsel und setzte auf einen neu-en Ansatz, der auf den Menschenrechten basiert. 179 Länder kamen überein, dass die Stärkung von Frauen und ihrer Rech-te sowie der Zugang zu Bildung und Ge-sundheit einschließlich sexueller und re-produktiver Gesundheit sowohl für die Verbesserung des individuellen Fort-schritts als auch für die Entwicklung ei-nes Landes entscheidend sind.
In Familienplanung investierenBei der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo im Jahr 1994 wurde ein Aktions-programm beschlossen, demzufolge in-ternationale Geber ein Drittel der Kos-ten für sexuelle und reproduktive Ge-sundheit einschließlich Familienpla-nung in den Entwicklungsländern über-nehmen sollten. Die restlichen zwei Drittel sollten von den Empfängerlän-dern selbst aufgebracht werden. Ent-wicklungs- wie Geberländer haben die-se Vorgaben nicht erfüllt. Um allen Frauen, die verhüten möchten, die Mög-lichkeit dazu zu geben, wären 9,4 Milli-arden US-Dollar jährlich erforderlich, vor allem für Verhütungsmittel, Perso-nal und Gesundheitssysteme. Derzeit
wird noch nicht einmal die Hälfte inves-tiert. Doch diese Investitionen zahlen sich aus, nicht nur menschlich, sondern auch rein finanziell. Wenn in moderne Verhütung investiert würde, könnten ungewollte Schwangerschaften und un-sichere Abtreibungen vermieden wer-den. So ließen sich weltweit schätzungs-weise 5,7 Milliarden US-Dollar an Aus-gaben für Mütter und Neugeborene einsparen.
Junge Bevölkerung – Potenzial für Entwicklung
Der hohe Anteil an Jugendlichen vor al-lem in Afrika südlich der Sahara birgt für die Länder eine Chance für wirt-schaftliche Entwicklung und damit für einen Rückgang der Armut. Vorausset-zung dafür ist jedoch, dass die Sterbe- und die Geburtenraten sinken. Wenn dies gelingt, würden die heutigen Ju-gendlichen dann, wenn sie im erwerbs-fähigen Alter (15 bis 64 Jahre) sind, ge-genüber Kindern und älteren Menschen die Bevölkerungsmehrheit bilden. Von dieser Entwicklung können Nationen profitieren, wenn sie diesen „demogra-phischen Bonus“ nutzen. Dazu müssen sie der wachsenden Zahl an Erwerbsfä-higen eine Möglichkeit bieten, eine menschenwürdige Arbeit im formalen Sektor zu finden. Dann könnte der de-mographische Bonus in einen volks-wirtschaftlichen Gewinn verwandelt werden – in eine „demographische Divi-
FAMiliENPlANUNG ermöglicht indivi-duelle und staatliche Entwicklung.
463 // POLITISCHE STUDIEN 57
Die
dem
ogra
fisch
e D
ivid
ende
ist
der
real
isie
rte
Ant
eil d
es w
irts
chaf
tlich
en
Wac
hstu
msp
oten
zial
s, d
as a
us e
inem
er
höht
en A
ntei
l Erw
erbs
fähi
ger
an d
er
Bevö
lker
ung
ents
teht
.
Wen
n si
ch e
in L
and
im Ü
berg
ang
von
hohe
n zu
ni
edri
gen
Ster
be-
und
Fert
ilitä
tsra
ten
befin
det,
ents
teht
ein
e ju
nge,
erw
erbs
fähi
ge B
evöl
keru
ng, d
ie
Vol
ksw
irts
chaf
ten
vora
nbri
ngen
kan
n.
VOR
DEM
ÜBER
GANG
Jun
ge
Men
sch
en u
nd
die
dem
og
rafi
sch
e D
ivid
end
e
Impf
unge
n vo
n K
inde
rn
med
izin
isch
e G
rund
vers
orgu
ng
sani
täre
Ein
rich
tung
en
sich
eres
Tri
nkw
asse
r
DIE D
EMOG
RAFIS
CHE D
IVIDE
NDE I
ST R
EALIS
IERT,…
Schl
üsse
linve
stit
ione
nD
ie K
inde
rste
rblic
hkei
t se
nken
dur
ch
Schl
üsse
linve
stit
ione
nM
ädch
en s
tärk
en u
nd
ihre
Cha
ncen
erw
eite
rn d
urch
Schl
üsse
linve
stit
ione
nD
as W
irtsc
haft
swac
hstu
m
in G
ang
setz
en, i
ndem
meh
r ju
nge
Men
sche
n in
Bes
chäf
tigun
g ko
mm
en d
urch
Hoh
e St
erbl
ichk
eit
H
ohe
Fert
ilitä
t
Seku
ndar
bild
ung
umfa
ssen
de
Sexu
alau
fklä
rung
Zug
ang
zu D
iens
ten,
In
form
atio
nen
und
Mat
eria
lien
der
sexu
elle
n un
d re
prod
uktiv
en
Ges
undh
eit
inkl
usiv
e V
erhü
tung
smitt
eln
FRÜH
E ÜBE
RGAN
GSPH
ASE
…w
enn
jung
e M
ensc
hen
gesu
nd u
nd g
ebild
et s
ind
und
sie
ihre
Mög
lichk
eite
n nu
tzen
kön
nen.
…w
enn
meh
r Re
ssou
rcen
für
prod
uktiv
e In
vest
ition
en z
ur
Ver
fügu
ng s
tehe
n.
…w
enn
das
Pro-
Kop
f-Ei
nkom
men
und
der
Le
bens
stan
dard
ste
igen
.
Wen
n A
rmut
red
uzie
rt is
t.
WAC
HSTU
MSR
ATE
DER
BEVÖ
LKER
UNG
GEBU
RTEN
RATE
STER
BERA
TE
Bei h
oher
Kin
ders
terb
lichk
eit
ist
mei
st a
uch
die
Fert
ilitä
t ho
ch. D
ies
führ
t zu
ein
er s
ehr
jung
en A
lter
sstr
uktu
r.W
enn
meh
r K
inde
r üb
erle
ben,
ent
sche
iden
sic
h El
tern
fü
r w
enig
er K
inde
r. D
ie A
lter
sstr
uktu
r ve
ränd
ert
sich
.D
er A
ntei
l der
erw
erbs
fähi
gen
Bevö
lker
ung
wäc
hst,
wäh
rend
der
Ant
eil d
er ju
ngen
, abh
ängi
gen
Bevö
lker
ung
abni
mm
t.
Alt
er 0102030
50
5
4050607080
90
100
110
Alt
er 0102030
50
5
4050607080
90
100
110
Alt
er 0102030
50
5
4050607080
90
100
110
12
3SPÄT
E ÜBE
RGAN
GSPH
ASE
mak
roök
onom
isch
es
Man
agem
ent
offe
ne H
ande
lssy
stem
e
gute
Reg
ieru
ngsf
ühru
ng
gut
funk
tioni
eren
de
Arb
eits
- un
d Fi
nanz
mär
kte
Redu
zier
te S
terb
lichk
eit
H
ohe
Fert
ilitä
tRe
duzi
erte
Ste
rblic
hkei
t
Ger
inge
Fer
tilitä
t
Abbildung 6
Que
lle: B
evöl
keru
ngsf
onds
der
Ver
eint
en N
atio
nen
2014
58 POLITISCHE STUDIEN // 463
Im Fokus
dende“. Der volkswirtschaftliche Ge-winn ließe sich wiederum in die Ge-sundheitsversorgung und in bessere Bildungschancen für Kinder und Ju-gendliche investieren, so dass eine Auf-wärtsspirale entsteht. Dass dies funktio-nieren kann, hat die Entwicklung der asiatischen Tigerstaaten gezeigt.
Hohe Geburtenraten erschweren je-doch die Entwicklung. Da es vor allem in Afrika südlich der Sahara viele Milli-onen ungewollter Schwangerschaften gibt, die gerade bei Mädchen und jünge-ren Frauen erhebliche Gesundheitsrisi-ken bergen, verbessern Investitionen in Sexualaufklärung und die freiwillige Familienplanung nicht nur ihre indivi-duelle Lage, sondern ermöglichen auch die wirtschaftliche Entwicklung ganzer Länder.
Der demographische Bonus und die demographische Dividende entstehen nicht automatisch. Regierungen müssen mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft eine Reihe von Maßnah-men ergreifen, um den Effekt zu errei-chen. Investitionen sind vor allem in drei Bereichen nötig:
• Gesundheit, Sexualaufklärung und freiwillige Familienplanung,
• Bildung und• Beschäftigung.
Gesundheit ist ein Menschenrecht und elementare Voraussetzung für Ent-wicklung. Da Mädchen und junge Frau-en oft einen schlechteren Zugang zu Ge-sundheitsdienstleistungen haben, muss ihre Versorgung besonders gefördert werden. Sie können sich dann zum Bei-spiel besser vor einer HIV- Infektion schützen, sich bei Schwangerschaft me-
dizinisch betreuen lassen und ein ge-sünderes Leben führen. Der Zugang zu freiwilliger Familienplanung ermöglicht es Mädchen und Frauen, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden und frei darüber zu entscheiden, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommen möchten. Damit verbessert sich zum Beispiel auch ihre Chance, die Schule abzuschließen.
Auswirkungen auf die Entwick-lungschancen junger Menschen hat auch der Zugang zu Bildung. Noch im-mer schließen in Afrika südlich der Sa-hara mehr als 70 % der Kinder nicht die Grundschule ab. Neben dem Zugang zum Grundschulunterricht muss Kin-dern und Jugendlichen ein kontinuierli-cher Schulbesuch und eine Sekundarbil-dung ermöglicht werden. Die Bildungs-infrastruktur muss ausgebaut werden, damit das universelle Recht auf Bildung umgesetzt werden kann.
Investitionen im Bildungsbereich sind daher genauso wichtig wie solche im Bereich Beschäftigung. Die Erwerbs-fähigen brauchen Arbeitsplätze im for-malen Sektor und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Die Regierungen müssen dafür die Rahmenbedingungen
Bildung, Arbeit, Gesundheit und Familienplanung sind SCHlÜSSEl-FAKTOREN.
Die stiftung Weltbevölkerung arbeitet mit dem YOUTH-TO-YOUTH-konzept.
463 // POLITISCHE STUDIEN 59
schaffen. Die entstehenden Arbeitsplät-ze müssen die Produktivität des Landes erhöhen, damit eine demographische Dividende eintreten kann.
Das Engagement der Stiftung Weltbevölkerung
Die Stiftung Weltbevölkerung engagiert sich seit mehr als 20 Jahren mit Aufklä-rungs- und Familienplanungsprojekten in Ostafrika. In rund 400 Jugendklubs in Äthiopien, Kenia, Tansania und Uganda informieren von uns ausgebil-dete junge Menschen ihre Altersgenos-sen, wie sie sich vor ungewollten Schwangerschaften und einer Anste-ckung mit HIV schützen können.
Die Erfahrung zeigt, dass Aufklä-rung besonders erfolgreich ist, wenn junge Menschen gleichzeitig neue Pers-pektiven auf ein besseres, wirtschaftlich unabhängiges Leben erhalten. Daher verbinden wir unsere Aufklärungsarbeit mit Aus- und Weiterbildungsangeboten. Und wir beziehen Eltern, Lehrer, Ge-meindemitglieder sowie lokale und reli-giöse Meinungsführer mit ein. Damit sich die Situation Jugendlicher langfris-tig verbessert, setzt sich die Stiftung Weltbevölkerung zudem dafür ein, dass politische Entscheidungsträger in Deutschland, auf EU-Ebene und in den Ländern des Südens der Familienpla-nung und dem Gesundheitsbereich mehr Gewicht beimessen und dafür mehr finanzielle Mittel bereitstellen.
Unabhängige Gutachter loben den Projektansatz unserer Jugendaufklärung als ganzheitlich, innovativ und gewinn-bringend. Sie bestätigen, dass Youth-to-Youth die Lebensperspektiven von Ju-gendlichen erheblich verbessert. ///
/// RENATE BÄHR ist Geschäftsführerin der Stiftung Weltbevölkerung, Hannover.
literatur
Deutsche Stiftung Weltbevölkerung: Datenreport 2015. Soziale und demografische Daten weltweit, Han-nover 2015, httpp://www.weltbevoelkerung.de/ uploads/tx_aedswpublication/Datenreport_2015_Stiftung_Weltbevoelkerung.pdf Deutsche Stiftung Weltbevölkerung: Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte, Hannover 2014, http://www.weltbevoelkerung.de/uploads/tx_aedswpublication/SRGR_Factsheet.pdfDeutsche Stiftung Weltbevölkerung (Hrsg.): UNF-PA-Weltbevölkerungsbericht. Das Recht auf Ent-scheidung: Familienplanung, Menschenrechte und Entwicklung. Kurzfassung, Hannover 2012. Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (Hrsg.): UNFPA-Weltbevölkerungsbericht. 1,8 Milliarden Menschen. Potenzial für die Gestaltung der Zukunft. Kurzfas-sung, Hannover 2014, http://www.weltbevoelke rung.de/uploads/tx_aedswpublication/Weltbevoel kerungsbericht_2014.pdfFood and Agriculture Organization of the United Nations, www.fao.orgGuttmacher Institute: Adding It Up: The Costs and Benefits of Investing in Sexual and Reproductive Health, New York 2014, https://www.guttmacher.org/pubs/AddingItUp2014.pdfMeasure DHS: Demographic and Health Surveys, www.measuredhs.com Sippel, Lilli / Kiziak, Tanja / Klingholz, Reiner: Af-rikas demografische Herausforderung. Wie eine jun-ge Bevölkerung Entwicklung ermöglichen kann. Berlin 2012, www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Afrika/Afrikas_demografische_Herausforde rung.pdfUNESCO: The United Nations World Water Deve-lopment Report 2015, Paris 2015, http://unesdoc.unesco.org/images/0023/002318/231823E.pdfVereinte Nationen: World Population Prospects, The 2015 Revision, esa.un.org/unpd/wpp/index.htmWorld Health Organization, www.who.int
Recommended