Zahnärzte in der Geisterstadt

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DFZ 1 · 2014

Arbeiten am neuen Flughafen Berlin

Zahnärzte in der GeisterstadtEigentlich hätte alles ganz anders laufen sollen für Constanze und Hans-Joachim Schönberg. Denn eigentlich wollten die beiden Berliner Zahnärzte mit großem Schwung ihre Praxis am nagelneu-en Berliner Flughafen betreiben. Doch bis auf Weiteres liegt der Airport am Rande der Hauptstadt brach. Nichts fliegt dort. Statt Touristenströmen und Reisetrubel herrscht Stille am internationalen Drehkreuz. Die Schönbergs sind trotzdem da. Sie haben allen Widrigkeiten zum Trotz ihre Praxis eröffnet und glauben an das Projekt Flughafen. Bis dahin arbeiten sie in einer Geisterstadt.

So müssen sich Gutsherren früher gefühlt haben, wenn sie ihre lange Auffahrt heraufgeritten kamen: ein langer, schnurgera-der Weg, breit und leer mit einem fantastischen Ausblick. Am Horizont: das Herrenhaus. Im Fall des Berliner Flughafens ist es das riesige Terminal, das in die flache Landschaft ragt. Bei Tempo 70 auf der dreispurigen Straße können Autofahrer diesen Anblick tatsächlich genießen, denn andere Verkehrsteilnehmer, auf die es aufzupassen gilt, gibt es kaum. „Es macht tatsächlich jedes Mal Spaß, hierher zu fahren“, sagt Zahnärztin Constanze Schönberg. Die Leere rund um den Flughafen kann sie noch mit Humor sehen: „Wir sind bestimmt die einzige Praxis Deutsch-lands mit einer eigenen Autobahnabfahrt“, scherzt sie.

Praxis ohne StandortvorteilIm vergangenen Sommer hat sie gemeinsam mit ihrem Mann Hans-Joachim Schönberg die Praxis am Flughafen Berlin-Bran-denburg eröffnet – etwa ein Jahr später als ursprünglich geplant, aber immer noch früher als eigentlich notwendig. Denn auf dem neuen internationalen Airport im Süden Berlins herrscht Stillstand. Auch anderthalb Jahre nach dem ursprünglichen Termin ist eine offizielle Eröffnung nicht in Sicht. Baumängel und Management-Fehler haben den Flughafen Willy Brandt im Süden der Hauptstadt in Verruf gebracht. „Milliardengrab“ ist noch eine fast nette Bezeichnung für das riesige Areal, auf dem irgendwann einmal rund 40.000 Menschen arbeiten sollen.

Das war auch die Zahl, die das Zahnarzt-Ehepaar Schönberg nach Schönefeld gelockt hat. „25.000 bis 45.000 Leute, das ist die

Einwohnerzahl einer mittleren Kleinstadt“, schwärmt Zahnärz-tin Schönberg. „Und wir sind dann die einzige Zahnarztpraxis vor Ort – so hatten wir uns das vorgestellt.“ Dazu würden noch Reisende aus aller Welt kommen, die der Flughafenzahnarzt von Schmerzen und herausgefallenen Füllungen kuriert. „Der ein-zigartige Standort hat uns schon sehr gereizt“, erzählt Constan-ze Schönberg. „Das hatte einen großen Charme, so ein Flugha-fen ist doch ein besonderer Ort.“

Doch aus dem Traum vom internationalen Flair ist für sie nun ein Albtraum geworden. Statt einer Praxis in bester Lage, in der sich die Menschen die Klinke in die Hand geben, tröp-feln derzeit nur vereinzelt Patienten in die hellen, luftigen Räu-me am Willy-Brandt-Platz. Die zentrale Lage auf dem Flugha-fengelände, keinen Steinwurf vom Terminal entfernt, ist noch kein echter Standortvorteil.

Absoluter Pluspunkt: null WartezeitDrei Patienten sind es an diesem Morgen, die freundlich begrüßt werden. Viel Zeit, die sie in der gemütlichen Lounge verbringen können, die es hier statt eines Wartezimmers gibt, brauchen sie nicht mitzubringen. Denn wenn die Patienten kommen, hat die Zahnärztin auch Zeit für sie. „Das ist ein absoluter Pluspunkt“, sagt Schönberg. „Wartezeiten gibt es hier nicht.“ Dem Flughafen-mitarbeiter, der mit heftigen Zahnschmerzen auf dem Stuhl liegt, kommt das gerade recht. Er ist mal eben direkt vom Arbeitsplatz gekommen, um sich behandeln zu lassen. Seine fluoreszierende Weste, die ihn sofort erkennbar machen würde, verschwindet

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bei seiner Ankunft diskret im Schrank. „Es ist halt nicht immer gewünscht, dass Mitarbeiter während ihrer Arbeitszeit zum Arzt gehen“, sagt Praxis-Managerin Manuela Röhr. Solche Wünsche werden bei den Airport-Zahnärzten respektiert. Keine 20 Minu-ten später zieht der Mann seine Warnweste wieder an und ver-schwindet zur Arbeit.

Fünf bis zehn Patienten kommen derzeit täglich in die Pra-xis. „Immerhin, 200 Patienten haben wir schon in der Kartei“, erzählt Zahnärztin Schönberg mit einem Schmunzeln. Meist sind es Mitarbeiter der Firmen, die auf der Großbaustelle zu tun haben. Doch allmählich spricht es sich in den angrenzen-den Ortschaften herum, dass auf dem Flughafen eine topmoder-ne Praxis eröffnet hat. Inzwischen kämen einige Patienten von außerhalb, erzählt Schönberg. Einer sei sogar mit einer Über-weisung zum 3D-Röntgen dabei gewesen. Kein Problem für die Zahnärzte Airport BER, wie sich die Praxis nennt. Zwei voll-ausgestatte Sprechzimmer, ein Operationsraum mit Vollnarko-semöglichkeit und eben das 3D-Röntgengerät gibt es in der Pra-xis. Es wurde an alles gedacht – und das großzügig.

Teilzeiteinsatz in der Airport-PraxisZwei Tage pro Woche arbeitet Constanze Schönberg in ihrer neuen Praxis. Die restliche Arbeitszeit verbringt sie in ihrer Gemeinschaftspraxis in Berlin-Köpenick, in der die 48-Jähri-ge Seniorpartnerin ist. Hans-Joachim Schönberg hat ebenfalls eine Zwei-Tage-Woche am Flughafen, denn auch er betreibt eine Gemeinschaftspraxis in einem anderen Berliner Bezirk. Ohne diese beiden Praxen könnten sie die BER-Praxis nicht stemmen, denn Geld verdienen kann das Ehepaar dort noch nicht. „Wenn wir derzeit eine graue Null schreiben, dann ist das völlig in Ord-nung“, sagt Zahnärztin Schönberg. „Dann halten wir das hier auch durch, bis der Flughafen irgendwann läuft.“

Erst ein halbes Jahr vor der geplatzten Eröffnung hatte das Ehepaar Schönberg das Engagement am neuen Berliner Flugha-fen übernommen. Eine schnelle Entscheidung, schnelle Kalkula-tion, schnelle Investition. „Wir hatten uns schon vorher für den

Standort interessiert, haben aber erst den Zuschlag bekommen, nachdem ein anderer Interessent abgesprungen war“, erläutert die Zahnärztin. „Dann musste alles schnell gehen.“ Das Paar hat 500.000 Euro in die neue 260 Quadratmeter große Praxis investiert. Doch kaum war die Tinte unter den Verträgen tro-cken, kam die Nachricht: Der Flughafen eröffnet nicht am 3. Juni 2012. „Wir haben das wie jeder andere aus der Zeitung erfah-ren“, sagt Schönberg. Anfangs sei sie noch ganz froh über ein wenig Aufschub gewesen. „Ein halbes Jahr fanden wir ganz gut“, erzählt sie. Dass es sich nun ins Ungewisse ziehe, das habe nie-mand vorhersehen können. Derzeit koche die Gerüchteküche. „Zwischen zwei und fünf Jahren ist alles drin“, sagt Schönberg. Eine ungewisse Perspektive.

Durchhaltevermögen ist gefragtAns Aufgeben denkt die Zahnmedizinerin dennoch nicht. Im Gegenteil. Für sie ist die BER-Praxis eine echte Herausforderung. Seit 25 Jahren arbeite sie bereits als Zahnärztin, da sei es Zeit gewesen, etwas Neues zu wagen. „Eine Neugründung ist immer schwierig“, sagt Schönberg. „Da gibt es immer eine Anlaufpha-se.“ Dass diese allerdings so hart werden würde, habe sie sich nicht vorstellen können. Wie auch? Das Flughafen-Desaster in Berlin ist bislang beispiellos. „Das wird schon“, ist Constanze Schönberg dennoch mit unerschütterlichem Optimismus über-zeugt. Arbeit findet sie auch ohne Patienten erst einmal genug. „Endlich habe ich mal Zeit für lästigen Schreibkram, Opera-tionsplanung und Bürokratie“, sagt sie und findet in allen Wid-rigkeiten noch etwas Positives.

Denn im Grunde glaubt sie an die Sache. Irgendwann wer-de der Flughafen schon eröffnet, und irgendwann arbeiten vie-le Menschen am BER, und noch viel mehr werden von dort aus verreisen. Dann wartet viel Arbeit auf die Airport-Zahnärzte. „Wenn es sein muss, decken wir dann 24 Stunden rund um die Uhr ab“, sagt Schönberg. Bis dahin wird die passionierte Lang-streckenläuferin jedoch noch einen sehr langen Atem brauchen.

Sabine Schmitt, freie Journalistin

Constanze Schönberg mag den besonderen Ort. Die Airport-Pra-xis spiegelt sich auch in der Kunst auf alten Anflugkarten wider.

Zwischen zwei und fünf Jahren? Wann genau der BER-Flughafen eröffnet wird, steht derzeit noch in den Sternen.

Totenstille statt Trubel: Eigentlich sollten hier tausende Menschen jeden Tag abfliegen und ankommen, doch noch herrscht Leere.

Humor und Optimisums: „Wir haben BEReits eröffnet“ ist eine Art Schlachtruf an das eigene Durchhaltevermögen.

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