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Prof. Dr. Benjamin Jörissenhttp://joerissen.name
benjamin.joerissen@fau.de
Transformation von Identität im Kontext des „Social Web“
35. Pädagogiklehrertag 2015 Universtät Duisburg-‐Essen, 30.9.2015
„Identität“ im Kontext
Erster Teil: Grundlagen
1) Historizität
2) Phänomenologie
3) Praxeologie
Zweiter Teil: Transformationen
4) Klassische Figurationen: Rolle, Identitätsbalance, Biographie
5) Neue Figurationen: Visualität, Netzwerk, Digitalität
6) Drei Deutungsansätze
1. Kleine kulturhistorische
Morphologie der Identität:
1. Kleine kulturhistorische
Morphologie der Identität: a) Inklusion
b) Exemplarismus c) Innerlichkeit
1a) Inklusionsmodelle (Antike)
Altägypten: hegemoniale ethno-‐politische Kollektividentität
1a) Inklusionsmodelle (Antike)
Psyche, Polis, Kosmos: mytho-‐politische Einheit (Platon, Politeia)
vernünftig (unsterblich)
mutartig (sterblich)
begehrlich (sterblich)
1a) Inklusionsmodelle (18./19. Jh.)
voluntativ-‐rational (Rousseau: volonté générale)
moralisch-‐rational (Kant: transz. Subjekt; kateg. Imperativ)
ästhetisch (Schiller: Stoff+Form; ästh. Erziehung)
romantisch (Schelling: Geist als Naturprozess; Poiesis)
dialektisch: Vermittlung des Einzelnen mit dem Allgemeinen
… durch Kultur (W. v. Humboldt: Bildung) … durch Vernunft (Hegel: Absoluter Geist / Rechtsphil.) … durch nicht-‐entfremdete Arbeit (Marx: Kommunismus)
1a) Inklusionsmodelle (20. Jh.)
kulturtheoretisch (Dilthey, Cassirer; geisteswiss. Pädagogik)
pragmatistisch (Dewey: „act“; Mead: I -‐> me => self)
rassistische/nationalistisch („Volkskörper“)
psychosozial-‐normativ (A. Freud: Ich; Erik H. Erikson: Ich-‐Id.)
kommunikativ (Krappmann, Habermas: „ausbalancierte Id.“)
1b) Exemplarismus und öff. Individuum (Antike)
Der Heros als exemplarisches Indidivuum
Vernant, Jean-‐Pierre (1998): Individuum, Tod, Liebe. Das Selbst und der andere im alten Griechenland. In: Gebauer, Gunter (Hrsg.): Anthropologie. Leipzig 1998, S. 22-‐48
1b) Exemplarismus und öff. Individuum (gr. Antike)
Die Bildung des öffentlichen Individuums (Rhetor; Philosoph)
Platons Akademie, gegr. 387 v.u.Z.
1b) Exemplarismus und öff. Individuum (Rom)
Die Trennung von Außen und Innen: persona vs. anima
Römische Theatermasken (Museo Capitolino, Mosaik, um 100 v. Chr.)
1b) Exemplarismus und öff. Individuum (Rom)
Die Trennung von Außen und Innen: persona vs. anima
Römische Theatermasken (Museo Capitolino, Mosaik, um 100 v. Chr.)
1b) Exemplarismus und öff. Individuum (Moderne)
Das moralisch und ökonomische Subjekt in radikalisierter Sichtbarkeit
Foucault, Michel (1977): Überwachen und Strafen.
Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/M.: Suhrkamp (Abb. 17)
Jeremy Bentham (1748-‐1832) Jurist, Philosoph, Sozialreformer
Das Panoplcon ist eine architektonische Maschine, die einen
einsei7gen Kontrollblick installiert.
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Das Panoplcon ist eine architektonische Maschine, die einen
einsei7gen Kontrollblick installiert.
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„Eine wirkliche Unterwerfung geht mechanisch aus einer fik7ven Beziehung hervor [.…].“ (Foucault 1977, 260)
„Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist [.…] wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung.“ (Foucault 1977, 260; Herv. B.J.)
Internalisierung des Disziplinarblicks: Selbstbeobachtung → Selbstreflexivität → Selbstkontrolle → Selbstnormierung →
Selbstbeobachtung → ...
Benthams „Autoikone“
https://www.ucl.ac.uk/Bentham
-‐Project/who/autoicon
1b) Exemplarismus und öff. Individuum (Moderne)
Geniekult und modernes Starsystem: Die „massenmediale Konstruktion expressiver Individualität“
1c) Innerlichkeit
Die Erfindung der Innerlichkeit (Augustinus)
Fragment der Confessiones aus dem 9.Jhd., Herzog-‐August-‐Bibliothek Wolfenbüttel (Cod. Guelf. Weissenburg.)
1c) Innerlichkeit
Die Ambivalenz der Innerlichkeit: vom göttlichen Gewissen zur unauslotbaren inneren Natur
2. Phänomenologien der Identität
(Steinbruch moderner Selbstverhältnisse)
Medialität
KulturalitätSozialität
Körper
3. Praxeologie der Identität
Medialität
KulturalitätSozialität
Körper
Medialität
KulturalitätSozialität
KörperSichtbarkeiten
Dispositive
Praktiken symbolische Formen
Medialität
KulturalitätSozialität
KörperSichtbarkeiten
Dispositive
Praktiken symbolische Formen
Identität als das:
a) stets vorläufiges Ergebnis
b) fortgesetzter symbolischer– ergo medial basierter –
Praktiken, die
c) der Stabilisierung bedeutsamer Positionenim sozialen Raum
d) auf Basis kulturell-‐symbolischer Formen
dienen.
4. Klassisch-moderne Figurationen:
Rolle, Identitätsbalancierung, Biographie
Körper als Medium repräsentativer Gesten
Kulturalität
KörperSichtbarkeiten
Dispositive
Praktiken symbolische Formen
traditionale Ordnung Gemeinschaft Milieu
repräsentative Identität („Rolle“)
Kulturalität
KörperSprache als Medium deliberativer Kommunikation
Demokratie, herrschaftsfreier öffentlicher Diskursraum
Sichtbarkeiten
Dispositive
Praktiken symbolische Formen
deliberative Identität
(„Balance“)
Kulturalität
KörperErinnerung und Reflexivität als Medien der Verortung und Orientierung
posttraditionale Krisen-‐ und Risikogesellschaft
Sichtbarkeiten
Dispositive
Praktiken symbolische Formen
reflexive Identität
(„Biographie“)
5. Transformationen:
Visualität, Netzwerk, Digitalität
Selbstinszenierung im Medium des Bildes/ der Sichtbarkeit
Kulturalität
Körper
visuell dominierte, panoptische Erlebnis-‐/Inszenierungs-‐ /Mediengesellschaft
Sichtbarkeiten
Dispositive
Praktiken symbolische Formen
inszenatorische Identität
Gibt es besondere (potenzielle) Eigenschaften digital vernetzter
Sichtbarkeiten?
Gibt es besondere (potenzielle) Eigenschaften digital vernetzter
Sichtbarkeiten?
Anonymität
Pseudonymität
Klarname
Anonymität
Pseudonymität
Klarname
totalisierte Sichtbarkeit
(vermeintliche) Unsichtbarkeit
fragmentierte Sichtbarkeit
Anonymität
Pseudonymität
Klarname
totalisierte Sichtbarkeit
(vermeintliche) Unsichtbarkeit
→ IdentitätsmanagementPersistenz
Auffindbarkeit
Datenaggregation
Kontrollverlust
fragmentierte Sichtbarkeit
Jeremy Bentham (1748-‐1832) Jurist, Philosoph, Sozialreformer
Inver7ertes Panop7kon: Sich im medialen Raum einer nicht sichtbaren, also nicht kontrollierbaren Öffentlichkeit „zu sehen geben“.
Kommunikation als Medium der Vernetzung
Kulturalität
Körper
Netzwerkgesellschaft, Gesellschaft als Netzwerk
Sichtbarkeiten
Dispositive
Praktiken symbolische Formen
relationale Identität
White, H. C. (2008). Identity and Control: How Social
Formations Emerge. Princeton University Press.
Harrison C. White (*1930) Giddings Lehrstuhl für Soziologie, Columbia University, New York
Identität
Ressourcen- konflikte
Chaos,
KontingenzIdentitätUnsicherheit
Identität
Fundierung „footing“
Orientierung
Kontrolle
Bedeutung
Einbettung
Entkopplung
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Switching
Ressourcen- konflikte
Chaos,
Narrationen („stories“)
Narrationen („stories“)
KontingenzIdentitätUnsicherheit
Identität
Fundierung „footing“
Orientierung
Kontrolle
Bedeutung
Einbettung
Entkopplung
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Switching
Ereignis
Kontrollaktionen sind Ereignisse Steigerung der Kontingenz für andere
Ressourcen- konflikte
Chaos,
Narrationen („stories“)
Narrationen („stories“)
Kontingenz
+ Kontingenz – Kontrolle
IdentitätUnsicherheit
Identität
Einbettung
Entkopplung
SwitchingIdentität
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Gibt es besondere (potenzielle) Eigenschaften digital vernetzter
Sinndomänen?
Identität
Einbettung
Entkopplung
SwitchingIdentität
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Informationsreduktion + Imagination = sozialer Katalysator (Einbettung)
Identität
Einbettung
Entkopplung
SwitchingIdentität
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
relative Unverbindlichkeit = flexible(re) Entkopplung
Identität
Einbettung
Entkopplung
SwitchingIdentität
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
„long tail“-‐Effekt -‐> individualisierte Anerkennungsräume
Identität
Einbettung
Entkopplung
SwitchingIdentität
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Social Software: algorithmisch
„unterstützte“ Sozialität
Identität
Einbettung
Entkopplung
SwitchingIdentität
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Netzwerk-Domäne
(„netdom“)
Schwellensenkung Unverbindlichkeit Personalisierung Automatisierung
Schwellensenkung Unverbindlichkeit Personalisierung Automatisierung
https://www.flickr.com/photos/methodshop/4385369861 by methodshop.com; cc-‐by-‐sa 2.0
Daten & Software als Medien der Verortung, Erinnerung, Orientierung
Kulturalität
KörperSichtbarkeiten
Dispositive
Praktiken symbolische Formen
„digitale“ Identität
Daten-‐ und algorithmen-‐basierte, mobile, ubiquitär vernetzte, globalisierte „soziodigitale“ Gesellschaft
Das digitale Netz ist ein Myzel. Was uns gegenständlich – z.B. als pädagogisches Problem oder pädagogischer Gegenstand – begegnet, sind nur seine Manifestationen. Die
Infrastruktur selbst bleibt unsichtbar.
hzps://com
mons.w
ikimedia.org/w
iki/File:Heksenkring.jpg
6. Identität im digitalen Zeitalter
verstehen:
panoptische Disziplinarsubjekte,
Ästhetiken der Existenz,
Selbstoptimierer im Zeichen der „Gouvernementalität“?
Michel Foucault (1926-‐1984) Professor für „Geschichte der Denksysteme“ am Collège de France, Paris
Disziplinierung
Selbstverhältnisals Machteffekt
Selbstsorge
Selbstverhältnis aus Freiheit
These: Die Ordnung der Sichtbarkeit
des medialen Panop7kums wird von einer Struktur der
medialisierten Selbstsorge überlagert.
Mark Poster (1941-‐2012) Professor für Geschichte, Film und Media Studies, Univ. of Califonia in Irvine
Poster, Mark (2008): Die Sorge um sich im Hyperrealen. In: Paragrana 17 (2008) 1, S. 201-‐227.
„Dies ist die entscheidende Wende […]: Indem sie sich selbst in den öffentlichen Blick einbringen […], bringen sie auch den Modus der Sorge um sich direkt in die medienvermizelte Situalon der gegenwärlgen Kultur.“
Poster, Mark (2008): Die Sorge um sich im Hyperrealen. In: Paragrana 17 (2008) 1, S. 224.
Logik der „Sorge um sich“
Michel Foucault: Analylk der Macht. Ff/M.: Suhrkamp 2005
Macht impliziert Freiheit: „... es [kann] Machtbeziehungen nur in dem Maße geben ..., in dem die Subjekte frei sind. ... Das heißt, dass es in Machtbeziehungen notwendigerweise Möglichkeiten des Widerstands gibt … .“
Michel Foucault: Analy7k der Macht. Ff/M.: Suhrkamp 2005, S. 288.
Logik der „Sorge um sich“
Logik der „Sorge um sich“
Es geht um Prak7ken der Freiheit als „Einwirkung des Subjekts auf sich selbst, durch die man versucht, sich selbst zu bearbeiten, sich selbst zu transformieren ….“
Michel Foucault: Analy7k der Macht. Ff/M.: Suhrkamp 2005, S. 275.
Selbstführung
Selbstverhältnis als „gute
Regierung“
„Selbsmührung“ als krea7ve, produk7ve, selbstop7mierende Einpassung in Marktlogiken Selbstführung
Selbstverhältnis als „gute
Regierung“
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favstar.fm
Externer Service, der seit 2009 „Favsterne“ und „Retweets“ eines Users sammelt und u.a. in „Leaderboards“ präsentiert.
Selbstführung
Selbstverhältnis als „gute
Regierung“
„Wie ist es möglich, daß man nicht derar7g, im Namen dieser Prinzipien
da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird – daß man nicht so und nicht dafür und nicht von denen da regiert
wird?“
Selbstführung
Selbstverhältnis als „gute
Regierung“
Prof. Dr. Benjamin Jörissenhttp://joerissen.name
benjamin.joerissen@fau.de
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
35. Pädagogiklehrertag 2015 Universtät Duisburg-‐Essen, 30.9.2015
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