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0 HINZ-WIRKT.DE HRO-FÜHRUNG Wie führt man in extremen Situationen? Lernen vom Management hochzuverlässiger Organisationen

Fuehrung in Extremsituationen

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“Nichts ist gefährlicher als eine Idee, wenn sie unsere einzige ist“ Über Technik und deren Sicherheit wird viel geredet - zuletzt angesichts der tragischen Ereignisse in Japan. Anlagen, Geräte und technische Prozesse sollen sicher sein. Dazu gibt es Zertifizierungen, Stresstests, Technikfolgenabschätzungen, Überwachungsvereine und vieles mehr. Was dabei oft nicht beachtet wird: auch die Menschen in Organisationen müssen sicher handeln, ganz besonders die in den Führungspositionen. Die reflexartigen Reaktionen auf katastrophale Ereignisse aber verdeutlichen: es herrscht eine Logik des Misslingens. Die Triebfedern dieser Logik sind uns gut bekannt. Magische Hypothesen (das geht nur so!) vermitteln vermeintliche Sicherheit und verengen das Blickfeld. Einzelne Erfahrungen werden zu schnell generalisiert (das hat im Projekt X auch funktioniert). In seinem Impulsvortrag zeigt Olaf Hinz - am Beispiel der Katastrophen in Tschernobyl und Überlingen, wie mächtig die Logik des Misslingens ist, - wie Führungskräfte das Unerwartete managen können, - warum in Krisen Heldentum tapfer aber nicht klug ist und - welche Haltung ManagerInnen zukünftig brauchen, um auch unter Unsicherheit und Druck entscheidungsfähig zu bleiben

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0 HINZ-WIRKT.DEHRO-FÜHRUNG

Wie führt man in extremen Situationen?

Lernen vom Management hochzuverlässiger Organisationen

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Hochzuverlässigkeit

Hochzuverlässig nennt man Organisationen wie z.B. Atomkraftwerke, Flugzeugträger, Chemieunternehmen oder Krankenhäuser also Bereiche in denen „nichts passieren darf“

Deren Haltung im Umgang mit dem Unerwarteten/ Extremsituationen :1. Sie sehen sich als komplex-unberechenbares System, und nicht

als kompliziert-beherrschbar.

2. „Mensch“ ist nicht primär eine Quelle für Fehler, sondern seine Wahrnehmungen sind die wertvollste Information

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2 HINZ-WIRKT.DEHRO-FÜHRUNG

Menschliches Versagen ?

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Verfahrenstechnik

• Verfahrenstechnik (Wikipedia) ist die Ingenieurwissenschaft, die sich mit der technischen und wirtschaftlichen Durchführung aller Prozesse, in denen Stoffe nach Art, Eigenschaft und Zusammensetzung verändert werden, beschäftigt. Ein derart gestalteter Prozess ist berechenbar und automatisierbar.

• Personen haben die Aufgabe der Überwachung und des Eingriffes, wenn Abweichungen auftreten.

Wie führt man Mitarbeiter, z.B. in einem Kraftwerk oder Raffinerie, angesichts dieser Rahmenbedingung?

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4 HINZ-WIRKT.DEHRO-FÜHRUNG

Führen und Hochzuverlässigkeit

Führen = Entscheidung unter Risiko/ UnsicherheitEin verändertes Führungsverständnis im Umgang mit dem Unerwarteten:

• Für Führung besteht die Herausforderung in „augenblicklicher Sinnstiftung“ und nicht darin, „richtige“ Entscheidungen zu treffen.[P.S.: situative Führung ist etwas ganz anderes]

• Typische Führungsthemen wie Dezentral vs. Zentral, Standardisierung vs. Innovation, Effizienz vs. Nachhaltigkeit,

werden balanciert und nicht einseitig entscheiden.

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6 HINZ-WIRKT.DEHRO-FÜHRUNG

Das Unerwartete managen

• Menschen können im allgemeinen nicht gut mit Unerwartetem umgehen. Dies gilt wohl in besonderem Maße für Führungskräfte deren fachliche Sozialisierung in verfahrenstechnisch (= berechenbare und beschreibbare Prozesse) geprägten Organisationen stattfindet.

• typische Reaktionen in unerwarteten Situationen sind (vor)schnelles Agieren, autoritärer hierarchischer Durchgriff, hektisches Multitasking oder „Totstellen“.

…aber in einem Kraftwerk oder einer chemischen Produktionsanlage würden solche typischen Reaktionen in die „Katastrophe“ führen…

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Video

Ausschnitt aus der Dokumentation:

Minuten der Entscheidung

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Die letzten Minuten vor Tschernobyl

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zeigen typische Reaktionen:• autoritärer Durchgriff und

Imponiergehabe vom diensthabendem Chefingenieur gegenüber Schichtleiter und Reaktorfahrer

• persönliche Zuschreibungen (alle inkompetent) statt Prozesskontrolle (Entwicklung der Reaktorleistung)

• magische Hypothesen (ein Reaktor macht keine Fehler, nur Menschen machen welche)

• hektisches Multitasking (helfen sie dem Vollidioten gefälligst) statt Ursachenanalyse im Team

• …..

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…denn es herrscht die Logik des Misslingens(D. Dörner)

• vorgeprägte Einstellungen: es werden die Themen bearbeitet, die man sowieso schon kennt

• Momentanextrapolation: Es wird von jetzt auf morgen geschlossen. „Die beste Prognose ist der Trend“

• Die Zentralidee: alles hängt von einer zentralen Variable ab!• Kurzfristigkeit: Aus der Beobachtung: es tut sich ja nichts wird die

Feststellung: es wird nichts!• Mächtiger Friktionismus: Das haben wir schon oft versucht – das geht hier

nicht!• magische Hypothesen: Das muss einfach funktionieren, das kann gar nicht

anders sein!• Generalisierung lokaler Erfahrung: Wir haben das doch schon mit Erfolg

gemacht!• ad hoc Aktivität: Es ist genug Arbeit da – lass uns anfangen, statt zu überlegen

... bloß keine Uneindeutigkeit aushalten müssen

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Achtsames Management durchbricht Typisches

Unternehmen, die „hochzuverlässig“ sind, d.h. eine geringe Rate an Missgeschicken und Unfällen verzeichnen wollen, sind „achtsam“!

Kennzeichen solcher Organisationen und ihrer Führung ist (siehe Handout):

– Die Konzentration auf (kleine) Fehler– Die Abneigung gegen vereinfachende

Interpretationen– Die Sensibilität für betriebliche Abläufe– Das Streben nach Flexibilität– Der Respekt vor fachlichem Wissen und

Können

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..statt Managementhelden großzuziehen

• Sie opfern sich zum Wohle der Aufgabe an der Schnittstelle auf, in dem sie persönlich die Brücke bilden.

Der Graben bleibt

• Sie versuchen sich durch persönliche Kommunikation überall direkt abzusichern bzw. machen fast alles gleich selbst.

Statt das Fehlen von Steuerungs-einfluss, Unterschriftenbefugnis, oder Entscheidungsmacht zu thematisieren

• Sie erfinden das Rad neuStatt nicht funktionale Prozesse und

Tools offenzulegen

Helden „machen“, organisieren, schaffen weg, bringen zu Ende

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Achtsame Führungskräfte brauchen kein Heldentum

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• Sie arbeiten ständig mit einer wachen Selbstbeobachtung, welche Informationen Sie als unwesentlich abtun und welche Ereignisse sie immer in eine bestimmte „Schublade“ einordnen

eigene Muster erkennen

• Sie achten genau darauf, wie sich die eigenen Erwartungen auf die Wahrnehmung auswirken

selbsterfüllende Prophezeiungen

• Sie überprüfen regelmäßig, ob Ihre Bewertungskriterien und Maßstäbe noch aktuell sind, um stets sinnvolle Handlungsalternativenableiten zu können

wenn man nur einen Hammer hat, besteht die ganze Welt aus Nägeln

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14 HINZ-WIRKT.DEHRO-FÜHRUNG

..denn Heldentum denkt in alten Kategorien

• Führung & Management ist keine Ingenieurskunst, sondern ein sozialer Prozess. Gegenläufige Interessen sind zu erwarten!

• Zu leiten bedeutet, „da kommt immer noch etwas nach“. Komplexität herrscht, d.h. Rückkopplungen und nicht vorhersehbare Ereignisse bestimmen das Feld mit!

• Pläne sind notwendig, um absichtsvolles Handeln zu strukturieren, ABER wer in Unsicherheit wirksam führt, trifft unentscheidbare Entscheidungen

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Management jenseits der Zertifizierung

• Verdacht schöpfen, wenn vermeintlich sichere IT-Lösungen oder fehlerlose Verfahrenstechnik präsentiert werden.

• Wer in risikoreichen Situationen führen will, hat nur Erfolg, wenn er Unsicherheit aushält und dafür sorgt, dass die Aufmerksamkeit der gesamten Organisation durch ständige Konfrontation mit Grenzerfahrungen hoch bleibt.

• Nur wer genau darauf achtet, wie sich die eigenen Erwartungen auf die Wahrnehmung auswirken und so seine typischen Muster (Logik des Misslingens) kontrollieren lernt, kann sich aus der „Beherrschbarkeitsdenke“ der gängigen Mangementschulen befreien.

• Jeder soll sich über gelungene Heldentaten freuen. Führungskräfte, denen an einer Organisationsentwicklung gelegen ist, überprüfen dann aber die Struktur und fragen warum Heldenmut überhaupt nötig war.

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Transformation des Führungsparadigmas

weg vom Pläne exekutieren hin zum Entscheiden desUnentscheidbaren

Kompliziertes richtig managen Komplexes sinnvoll führen

Motivation durch Bedürfnisbefriedigung

Motivation durch Sinn & Zusammenhang

Arbeitszeit Leistungszeit

durchsetzen (delivering) steuern (enabeling)

Teams entwickeln Gruppendynamik nutzen & Selbstorganisation ermöglichen

Stellenbeschreibung erfüllen ausgehandelte Rolle ausfüllen

best practice & benchmark unterschiedliche Szenarien entwickeln

Seminare, Training, Coaching kollegiale Beratung, Supervision

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Achtsamkeit kann gelernt werden

• durch klare, anerkannte und trainierte Methoden der Abweichungs- und Fehleranalyse, die immer im internen Team und nie allein oder allein durch Externe stattfindet

• Wie läuft eigentlich gerade ihr Strategieprozess ?

• durch Belohnung der Führungskräfte & Mitarbeiter, die sich und ihr Verhalten beständig reflektieren (Simulationen, Workshops, kollegiale Beratungen, Training, Coaching,…), satt immer nur etwas „wegzuschaffen“.

• Fragt man sie nach der Fortbildung auch: „Wie war der Urlaub?“

• in einem Klima, dass Annahmen und Bewährtes beständig in Zweifel zieht und das Bekanntwerden von Fehlern lobend hervorhebt.

• Hand auf Herz: bei ihnen auch?

• durch ein Führungs- und Entscheidungsverhalten, dass immer erst unterschiedliche Hypothesen bildet und mehrere konkrete Alternativen formuliert, bevor „endlich angefangen wird“

• ..oder doch wieder das lineare Modell: mach mal eben so wie immer!

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Kontakt

Olaf Hinz

Hinz. Wirkt!

Poststraße 33, 20354 Hamburg

Telefon: 040/ 35085889Internet: www.hinz-wirkt.deEmail: [email protected]

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Wer hochzuverlässige Organisationen steuern will, für den heißt es, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten und das Nichtbeherrschbare zu beherr-schen. Gefährlich ist der Versuch, im Detail vorauszusehen, was passieren wird – denn dieser Versuch unterstellt ein Maß an Verstehen, das man in der komplexen Dynamik von Führung unter Unsicherheit nicht erreichen kann. Im Gegenteil: Es entsteht dann der irrige Glaube, man habe – wenn der Plan nur gut genug sei – alles unter Kontrol-le. Stattdessen benötigt die Führungskraft eine Haltung, in der Flexibilität, gelas-sene Reaktion, Erfahrung und der struk-turierte Umgang mit Unvorhergesehe-nem breiten Raum einnehmen. Nur dann ist sie in der Lage, das Unerwartete zu managen. Diese be-sondere Herausforderung, die sich da-hinter verbirgt, nennen Karl E. Weick und Kathleen M. Sutcliffe „Achtsam-keit“ und sagen: „Wenn Sie den Aus-druck ‚das Unerwartete managen’ etwas genauer betrachten, wird Ihnen auffallen, dass sich das Wort ‚unerwar-tet’ auf etwas bereits Geschehenes bezieht. Wenn Sie das Unerwartete managen, befinden Sie sich bereits im Hintertreffen. Sie sind mit etwas kon-frontiert, das Sie nicht vorhergesehen haben und das sich trotzdem ereignet hat. Und um damit fertig zu werden, braucht man eine andere Grundein-stellung als für die Planung der Ge-schehnisse.“ (Weick, Sutcliffe [2007], S. 82).

wirksame Führung in unerwarteten

Situationen Achtsame Führungskräfte,

sind sehr konzentriert auf Fehler, vor allem die „kleinen“. Denn jede Ab-weichung kann Symptom dafür sein, dass mit dem gesamten System et-was nicht in Ordnung ist. fördern Grenzgänger, die Vielfalt und eine gesunde Skepsis in ihrem Team. Denn Homogenität kann dann fatal werden, wenn sich vereinfachende Interpretationen als „feste Tatsache“ in der Gruppe etablieren und so blin-de Flecke und dysfunktionale Wahr-nehmungsmuster entstehen. handeln eher situativ und beobach-ten sehr sensibel die täglichen be-trieblichen Abläufe. Sie wissen um die Macht latenter Muster, wenn sich Routine einschleicht.

begreifen Fehler als typischen Teil ei-ner ungewissen Welt. Sie sind doppelt flexibel, wenn sie diese Fehler einer-seits frühzeitig entdecken und ande-rerseits das System durch improvisier-te Methoden immer wieder am Lau-fen halten. Sie simulieren laufend, was kommen könnte und üben re-gelmäßig, um ihre Firefighting Kom-petenzen zu erhalten. achten fachliches Wissen und Kön-nen höher als hierarchischen Rang. Entscheidungen werden vor Ort ge-troffen und „wandern“ zu dem Mit-arbeiter mit der größten Kenntnis.

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Die Logik des Misslingens brechen Führungskräfte stehen besonderen An-forderungen gegenüber, die Ihr Ent-scheidungsverhalten wesentlich er-schweren:

Komplexität: Als Entscheider müssen Sie viele Variablen gleichzeitig be-obachten, die zudem noch mitei-nander vernetzt sind. Dadurch ent-steht Ungewissheit über die Auswir-kungen Ihrer Entscheidung. Eigendynamik: Das Thema und sein Umfeld entwickeln sich weiter, auch wenn Sie nicht handeln. Dies zwingt Sie dazu, die Aufgabe nicht nur in ih-rem augenblicklichen Zustand, son-dern auch in ihrer Entwicklungsten-denz zu beobachten – und erzeugt Zeitdruck für die Entscheidung, weil die Situation morgen schon ganz an-ders sein könnte. Intransparenz der Situation: Viele Da-ten, die für die Entscheidung not-wendig wären, sind nicht oder nur in grober Schätzung zugänglich. Unkenntnis: In komplexen Situationen ist es schlicht unmöglich zu wissen, was genau vor sich geht – und wa-rum die Dinge so passieren, wie man meint, sie zu beobachten.

Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, dass Entscheidungen nach einem an-deren Prozess ablaufen sollten als bis-herige Wenn - Dann Muster es prägen. Ein solcher Entscheidungsprozess sollte in fünf Schritten und im Team ablaufen:

1. Zielbildung 2. Hypothesenbildung und Informati-

onssammlung 3. Prognose und Vorausschau 4. Planen und Entscheiden sowie 5. Effektkontrolle und Reflexion Statt den einsamen, ranghohen Helden zu inszenieren, nutzen wirksame Füh-rungskräfte lieber die Kraft der Grup-pendynamik. ______________________________________

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SZ: Herr Appel, sind Sie neidisch aufMartin Blessing? Der Commerzbank-Chef freut sich, den Bund als Großaktio-när los zu werden. Bei Ihnen hält derBund weiter 30 Prozent der Aktien, dieÜbermacht zeigt sich diese Woche wiederbei der Hauptversammlung.

Appel: Eine solche Frage stellt sich fürdie Deutsche Post DHL gar nicht. Wirsind in einer anderen Lage: Wir kommensehr gut mit unserem Großaktionär aus.

SZ: Warten Sie insgeheim auf Signale,dass der Bund und die Staatsbank KfWihre Anteile verkaufen wollen?

Appel: Ich weiß von solchen Plänennichts. Ich spreche mit der Bundesregie-rung auch nicht darüber. Wenn ich ent-sprechende Signale hätte, müsste ich alsVorstandsvorsitzender das ja unseren an-deren Investoren sagen.

SZ: Wünschen Sie sich nicht mehr un-ternehmerischen Freiraum?

Appel: Der Staat hat bei der Deut-schen Post DHL zwei Rollen. Einerseitsals Großaktionär, da gibt es keine Proble-me. Da fühlen wir uns sehr wohl. Zum an-deren setzt der Staat uns einen Rahmen.Die Regulierung des Postwesens hat Aus-wirkungen auf den Konzern, von derMehrwertsteuer auf Postdienstleistun-gen über den Mindestlohn bis zur Libera-lisierung der Märkte.

SZ: Da haben Sie wenig Handlungs-spielraum. Wegen der staatlichen Regu-lierung können Sie zum Beispiel die Prei-se für Briefporto nicht erhöhen.

Appel: Das Porto für einen normalenBrief ist seit 14 Jahren nicht erhöht wor-den. Es gibt auch derzeit kaum Spiel-raum, den Preis zu erhöhen und wenndas Preisfestsetzungsverfahren nicht ge-ändert wird, auch 2012 nicht. Die Bun-desnetzagentur müsste die Regelungenändern. Wir wissen nicht, ob sie das tut.

SZ: Der Bund ist doch Ihr Großaktio-när. Rechnen Sie intern nicht längstdurch, was eine Portoerhöhung bringt?

Appel: Es werden weniger Briefe ver-schickt als früher, und der Wettbewerbist hart. Da ist doch klar, dass wir dar-über nachdenken, ob die Art und Weise,wie die Preise festgelegt werden, nochzeitgemäß ist. Unsere Portopreise sindim europäischen Vergleich niedrig – unddas bei der höchsten Qualität. Wir sinddie Schnellsten und die Zuverlässigsten,

das ist unbestritten. Postminister undPostmanager anderer Länder kommenzu uns nach Bonn, um von uns zu lernen.

SZ: Na ja, man hört in Deutschlandimmer wieder auch Klagen . . .

Appel: Die Kunden in Deutschlandkönnen sich auf die Post verlassen. Dafürhaben wir in den vergangenen Jahren vie-le Maßnahmen ergriffen. Wir haben fürSortierung und Verteilung in modernsteTechnik investiert. Wir führen heutemehr als 13 000 Postfilialen erfolgreichmit privaten Partnern, wir haben mehrals 100 000 Briefkästen.

SZ: Noch immer macht die Post mehrals eine Milliarde Euro Gewinn allein imBriefgeschäft. Reicht das nicht?

Appel: Eine Milliarde Euro Gewinn ha-ben wir uns mittelfristig zum Ziel ge-setzt. Diesen Betrag brauchen wir zum ei-nen für kontinuierliche Investitionen inunser leistungsfähiges Netzwerk. Wir ha-ben in den vergangenen Jahren viel ge-spart. Die Mitarbeiter haben zwei Null-runden hingenommen. Der Gewinn imBriefgeschäft hat sich in nur drei Jahrennahezu halbiert. Wenn wir jetzt die Porto-preise erhöhen würden, dann doch nicht,um den Profit zu maximieren, sondernum den Status-quo und eine gute Infra-struktur zu erhalten.

SZ: Die Deutsche Post hat bei Briefenin Deutschland einen Marktanteil von87 Prozent. Ist das ein natürliches, ein gu-tes Monopol?

Appel: Zunächst einmal: im Bereichder Geschäftsbriefe haben wir sehr wohlernsthaften Wettbewerb und auch bei öf-fentlichen Ausschreibungen hängen dieTrauben für uns heute hoch. Dennoch istes im Prinzip ökologisch und volkswirt-schaftlich unsinnig, drei Zusteller jedenTag durch dieselbe Straße zu schicken.Wenn ein Markt schnell wächst, ist Wett-bewerb gut und sorgt für Innovationen.Der Briefmarkt aber schrumpft, nirgend-wo auf der Welt gibt es hier großen Fort-schritt durch Wettbewerb. Und das ganzsicher nicht etwa weil alle Post-Chefs die-ser Welt ihren Job nicht richtig machen...

SZ: In Österreich wurde das Porto von55 Cent auf 62 Cent erhöht. Ein Vorbild?

Appel: Ich habe in den vergangenenJahren ja auch ein bisschen was gelernt:Solche Dinge unterliegen nach einemfestgelegten Verfahren der Entscheidungder Bundesnetzagentur und werdennicht vorab über die Presse diskutiert.Vom Ergebnis dieser Diskussion hängttatsächlich viel ab. Die Bundesnetzagen-tur entscheidet mit über die Frage, obDeutschland auch in 20 Jahren noch einmodernes und leistungsfähiges Postnetzhat. Das ist ebenso wichtig wie der Schie-nenverkehr, die Telekommunikationoder das Energienetz und lässt sich ange-sichts des sinkenden Sendungsvolumensnicht alleine über den Wettbewerb lösen.

SZ: Seit einigen Monaten setzen Sieauf das neue Produkt E-Postbrief, eineArt versiegelte elektronische Mail. Wiefällt die erste Bilanz aus?

Appel: Wir sind insgesamt zufrieden.Das Geschäft läuft an, da kann mannicht sofort große Umsätze erwarten.Die Anzahl der Privat- und Geschäfts-kunden steigt jedoch stetig an. Genaue

Zahlen geben wir aber – auch aus Wettbe-werbsgründen – nicht bekannt.

SZ: Läuft es so schleppend?Appel: Wir haben hier in einem Pio-

niermarkt einen Brückenkopf gebildet.Jetzt etabliert sich der E-Postbrief stetigals sicheres Kommunikations-Instru-ment für das digitale Zeitalter. Die Reso-nanz der Geschäftskunden auf denE-Postbrief ist gut. 62 Prozent der Deut-schen kennen bereits das neue Produkt.Dieses innovative Produkt tut auch unse-rem Image gut.

SZ: Entschuldigung, das klingt nichtnach Euphorie. Es heißt, es seien nichteinmal 100 000 Kunden.

Appel: Bereits ein halbes Jahr nachdem Marktstart hatten sich mehr als eineMillion Deutsche als Kunden für denE-Postbrief registrieren lassen. Jetztschließen wir nach und nach Unterneh-men an, die den E-Postbrief dann in ih-rer Kundenkommunikation einsetzen.Der Erfolg kommt nicht über Nacht,aber der elektronische Brief wird als Teilunseres digitalen Geschäfts künftig einEckpfeiler des Brief-Bereichs sein. Wirinvestieren bis 2015 eine halbe MilliardeEuro in dieses Produkt. Und das Projekthat auch intern positive Auswirkungen.

SZ: Ein Aufmunterungsprogrammfürs Personal?

Appel: Die Mitarbeiter sind motiviertund sagen: Das Management, das wartetnicht, bis der letzte physische Brief ver-schickt ist, sondern agiert. Und wir erklä-

ren den Mitarbeitern, dass sie stolz aufsich sein können, weil sie auch mit die-sem neuen Produkt das Briefgeheimnisschützen. Das ist eine wichtige Voraus-setzung für die Demokratie. Mangel anVertraulichkeit durch das Verschickenvon E-Mails ist eine Gefahr für uns alle.

SZ: Sie meinen, mit dem E-Postbriefwären die Wikileaks-Enthüllungen zuden US-Depeschen nicht passiert?

Appel: Der Staat, Privatpersonen undFirmen müssen Geheimnisse bewahrendürfen, solange sie nach den rechtlichenRegeln spielen. In Washington höre ichimmer wieder, dass Mitarbeiter der Re-gierung ihren Job verloren haben, weilvertrauliche E-Mails bekannt wurden.

SZ: Wäre es eigentlich eine gute Idee,das Briefgeschäft abzuspalten, so wie esder Konkurrent TNT praktiziert?

Appel: Sie meinen, nachdem wir unse-re Baustellen abgearbeitet und die Kriseerfolgreich bewältigt haben, sollten wirden Konzern aufspalten und die Teile ver-kaufen? Nein, das machen wir nicht. Wirwollen das Briefgeschäft behalten, umnicht Unternehmenswert zu zerstören.Würden wir den Konzern so umbauen,wären wir auf Jahre mit uns selbst be-schäftigt, würden die Kunden aus demBlick verlieren. Das hat uns in der Ver-gangenheit genug aufgehalten.

SZ: Sie meinen die Aufräumarbeitennach der Amtszeit Ihres VorgängersKlaus Zumwinkel.

Appel: Seit Sommer 2009 können wir

uns wieder voll auf das Geschäft konzen-trieren, Kunde und Service stehen wie-der im Mittelpunkt. Im ersten Quartal2011 sind die Volumina im internationa-len Expressgeschäft bei uns zum erstenMal seit langem wieder stärker gewach-sen als bei den Wettbewerbern. Das moti-viert uns alle sehr.

SZ: Die Post profitiert als Logistikkon-zern mit dem Geschäft von DHL von derguten Weltkonjunktur.

Appel: Klar. Ich gehöre nicht zu denManagern, die sich selbst loben, wenn esgut läuft, und alles auf andere und dieKonjunktur schieben, wenn es schlechtläuft. In früheren Aufschwungzeiten ha-ben wir aber oft unterdurchschnittlichprofitiert. Das ist jetzt endlich anders,denn wir haben alle unsere Hausaufga-ben gemacht. Wir sind stolz, dass wir imAusland so gut dastehen Wir wachsenweltweit schnell, gewinnen Marktantei-le und sind überall dort präsent, wo dasWachstum stark ist: in Asien, Lateiname-rika, Afrika, im Mittlerer Osten.

SZ: Warum sind Sie dann so zurückhal-tend und erhöhen nicht die Prognose?

Appel: Das DHL-Geschäft wird nachunserer Planung in den kommenden Jah-ren den Gewinn jedes Jahr um durch-schnittlich 13 bis 15 Prozent erhöhen.Das ist schon sehr ehrgeizig.

SZ: Wollen Sie mit DHL in großemStil Unternehmen kaufen?

Appel: Nein. Erstens brauchen wir dasstrategisch nicht. Zweitens: Selbst wennwir wollten, gibt es derzeit nichts aufdem Markt. Wir haben es im Expressge-schäft nur noch mit UPS, Fedex undTNT zu tun, da wäre eine Akquisitionnicht nur zu teuer, sondern kartellrecht-lich unmöglich. Im Frachtgeschäft siehtes kaum anders aus. Wir haben in den ver-gangenen Jahren auch nicht immer diebesten Erfahrungen mit Großakquisitio-nen gemacht. Kleinere Zukäufe sind wei-terhin denkbar, um unsere Fähigkeitenin Spezialgebieten auszubauen.

SZ: Öffentlich redeten Sie mal davon,DHL sei der „Toyota der Logistik“, dann

wieder sollte die Firma das „iPhone derLogistik“ sein. Was denn nun?

Appel: Der Toyota-Vergleich zieltedarauf, dass wir so schlank wie der japa-nische Autobauer werden wollen. DieVoraussetzungen haben wir geschafft.Nun wollen wir die vielfältigen Bedürf-nisse unserer Kunden aus einer Hand er-füllen, so wie Apples Smart-Phone es tut.

SZ: Das klingt allgemein.Appel: Ein Beispiel: Wenn die Produk-

te für einen großen Einzelhändler inDeutschland aus China angeliefert wer-den, dann sollte DHL für die gesamte Ab-wicklung zuständig sein. Heute läuft dasnoch sehr kompliziert über viele Zwi-schenstufen. Auf dem Flughafen London-Heathrow haben wir etwa die gesamteBelieferung der Shopping-Malls über-nommen. Die Lkw verschiedener Zuliefe-rer fahren nicht mehr ungeordnet die Lä-den an, sondern bringen die Ware zu-nächst an unsere Sammelstelle beim Air-port. Wir stellen dann die weiteren Liefe-rungen so zusammen, dass möglichst we-nige Fahrten entstehen. Es geht um mehrEffizienz, übrigens auch in Mega-Cities.

SZ: Was meinen Sie damit?Appel: Schon heute ersticken große

Metropolen im Verkehr. Warum sollenda weiter halbleere Lkw Waren anlie-fern? Wir reden intensiv mit Stadtverwal-tungen und Regierungen, um den Trans-port zu bündeln, etwa in Kuala Lumpur,Istanbul und Singapur. Da könnten wirmit unseren Konkurrenten unter wech-selnder Verantwortung kooperieren.

Interview: Caspar Busse undHans-Jürgen Jakobs

Aus dem 40. Stock geht der Blick weitüber die Stadt, den Rhein und das Sieben-gebirge. Direkt in einem Erker, die Fenstergehen bis zum Boden, steht eine roteLederliege, die Aussicht beeindruckt. Ap-pel, 49, sagt, er benutze das Möbel fastnie, Dekoration. Das Zimmer ganz oben imfuturistischen Post-Tower in Bonn hat ervor drei Jahren von Klaus Zumwinkelübernommen und deutlich verkleinert. Ap-pel hat weitere Büros für Mitarbeiter undeinen Konferenzraum einrichten lassen.Am Teppichboden kann man noch sehen,wie groß einst das Reich des Vorgängerswar. Appel gibt sich betont bescheiden.

Die Katastrophe in Japan hat eineDebatte um die Sicherheit vonAtomkraftwerken ausgelöst. Die

Rede ist vor allem von der Technik; wieso oft bei Unfällen und Schwierigkeitenwerden Sicherheitsrisiken auf techni-scher Ebene gesucht und diskutiert. Da-bei ist aus der Forschung längst bekannt,dass die Sicherheitsverantwortung über-wiegend beim Menschen liegt, und zwarinsbesondere bei den Führungskräften.

Dies wird in der Diskussion um Stress-tests, Genehmigungsverfahren und Erd-bebenwahrscheinlichkeiten nahezu aus-geblendet. Die Führung einer hoch zuver-lässigen Organisation – sei es ein Kraft-werk, eine Notaufnahme oder eine Che-mieproduktion – stellt also ganz spezifi-sche Anforderungen an das Führungsver-halten. Schon kleinste Fehler könnenhier Katastrophen auslösen.

So zum Beispiel der Chefarzt, der sichauf einen komplexen chirurgischen Ein-griff vorbereitet: Er ist auf diese Aufgabedurch lange Ausbildung und Operations-erfahrung vorbereitet. Dadurch hat erein Niveau an Professionalität und Sou-veränität erreicht, mit dem er auchschwierige Situationen bewältigt. Ge-fahr besteht dennoch, nämlich gerade inder unbewussten Routine, in der er viel-leicht ein Detail übersieht, was für denPatienten auch tödlich enden kann. Wiekann der Chefarzt dieser Gefahr begeg-nen und seine Kompetenz erhalten?

In einem hoch riskanten Umfeld wiediesem ist es wichtig zu erkennen, wel-che Ursachen ein Misslingen habenkann. Grundlage dafür kann zum Bei-spiel die „Logik des Misslingens“ sein,wie sie Dietrich Dörner beschreibt: So istimmer wieder zu beobachten, wie einzel-ne Erfahrungen zu schnell generalisiertwerden. Die Aussage des Operateurs,„diese Operation haben wir schon hun-derte Male mit Erfolg durchgeführt“,mag dem Patienten Vertrauen geben.Doch schon rein statistisch betrachtetmüsste sie eher Besorgnis auslösen, denndas Risiko, dass der nächste Eingriff pro-blematisch verläuft, steigt rein rechne-risch mit jeder gelungenen Operation.Und jede Routine verbirgt leicht denBlick auf Abweichungen, die womöglichgerade bei diesem Patienten eine speziel-le Behandlung erfordern.

Daneben vermitteln magische Hypo-thesen vermeintliche Sicherheit und ver-engen das Blickfeld. Etwa die Aussagedes Nobelpreisträgers Linus Pauling, täg-liche Vitamin C-Einnahme besiege Erkäl-tungen, beuge Krebs vor und verlängeresogar das Leben. „So muss es sein, sofunktioniert es“, andere Wege werdengar nicht mehr untersucht, möglicheNachteile nicht hinterfragt. Ganz ähn-lich verhält es sich mit vorgeprägten Ein-stellungen, die dazu verleiten, nur dieThemen zu bearbeiten, die man ohnehinkennt. Wer als einziges Werkzeug einenHammer besitzt, für den besteht die gan-ze Welt aus Nägeln: dieses bekannte Bei-spiel verdeutlicht, wie Erfahrung schnellzum Abschottungsmechanismus wird.

Wer in risikoreichen Situationen nunwirksam führen will, der darf sich nicht

von der verführerischen Einfachheit ver-leiten lassen, sondern muss diese Misslin-genslogik durchbrechen. So wird derChef-Operateur darauf achten, durchroutinierte Prozesse (Schere, Tupfer, …)die Zusammenarbeit im Operationssaalzu bestimmen, damit der Kopf frei unddas Team wach sind, um kleinste Andeu-tungen von Ungewöhnlichem wahrzu-nehmen und darauf zu reagieren.

Führungskräfte, die auch in extremenSituationen gut handeln, achten daherauf ein paar Prinzipien: Sie sind sehr kon-zentriert auf Abweichungen, auch mini-male. Denn jede noch so kleine Abwei-chung kann Symptom dafür sein, dassmit dem gesamten System etwas nicht inOrdnung ist. Zudem fördern sie Minder-heiten, Vielfalt, Widerspruch und eine ge-sunde Skepsis im Team. Denn Homogeni-tät wird dann fatal, wenn sich vereinfa-chende Interpretationen als Kaderden-ken in der Gruppe etablieren.

Bedachte Führungskräfte simulieren,was kommen könnte und üben undenkba-re Situationen, um ihre Krisenreaktions-Kompetenz zu erhalten. In diesen Übun-gen begrüßen sie Überforderung undScheitern, weil sie so achtsam und neu-gierig bleiben. Und sie wertschätzenfachliches Wissen und Können und be-werten es höher als Rang und Status.Störfall-Entscheidungen in Kraftwer-ken werden vor Ort auf der Warte getrof-fen und nicht die Hierarchie hinauf ge-

meldet. Sie wandern zum Mitarbeitermit der besten aktuellen Kenntnis undnicht entlang der Statusmacht.

Der Wunsch, der komplexen Welt miteiner unfehlbaren Technik zu begegnen,ist zum Scheitern verurteilt – genau wieder Versuch, bis ins Detail zu planen,was geschehen wird. Denn dieses mecha-nistische Verständnis wird der Wirklich-keit nicht gerecht. Und trotzdem ist„planwirtschaftliches“ Denken weit ver-breitet, Überraschungen werden ehereinem schlechten Plan zugeordnet dennals übliches Lebensphänomen begriffen:Jedes Quartal ist zu beobachten, wie Un-ternehmen, die ihre Pläne korrigieren,mit Kursabschlägen bestraft werden,weil sie die Erwartungen nicht erfüllen.

Ungewissheit nicht zu akzeptierenund mit aller Kraft gegen sie vorzugehen,

das ist wie die Weigerung, schlechtesWetter hinzunehmen und statt dessen ge-gen den Sturm zu kämpfen. Der Versuch,eine eigene Realität durchzusetzen –„was geplant ist, muss auch eintreten“ –kann nur enden wie Don Quijotes Kampfgegen Windmühlen. Eine solche „Plan-wirtschaft“ kann im Management nichtaufgehen. Es gilt also, unbedingt Ver-dacht zu schöpfen, wenn vermeintlich si-chere IT-Lösungen oder fehlerlose Ver-fahrenstechnik präsentiert werden.

Wer in risikoreichen Situationen füh-ren will, hat nur Erfolg, wenn er Unsi-cherheit aushält und dafür sorgt, dassdie Aufmerksamkeit der Organisationdurch ständige Konfrontation mit Grenz-erfahrungen hoch bleibt. Der Weg dort-hin führt nur über ständiges Hinterfra-gen: Welche Verhaltensmuster rufe ichimmer wieder ab, wenn ich es mit Uner-wartetem zu tun habe? Welche typischenSchritte unternehme ich, wenn ich eineSituation nicht gut einschätzen kann?Wie führe ich Mitarbeiter, wenn ichselbst den Weg nicht kenne?

Nur wer genau darauf achtet, wie sichdie eigenen Erwartungen auf die Wahr-nehmung auswirken und so die Logik desMisslingens kontrollieren lernt, kannsich aus der Planwirtschaft der „Ma-cher“ befreien. Statt also einfach schnelletwas wegzuschaffen, ist es an der Zeit,Haltung zu entwickeln, um auch bei Unsi-cherheit entscheidungsfähig zu bleiben.

„Es ist unsinnig, dreiZusteller durch eineStraße zu schicken“Post-Chef Frank Appel über seine Lust am„guten Monopol“, seinen Wunsch nach höheremBriefporto und die Vorbildwirkung japanischerAutokonzerne für sein Unternehmen

Frank Appel, 49, studierte Chemieund promovierte in Neurobiologie.Von 1993 bis 2000 war er bei der Be-ratungsfirma McKinsey. Dann wech-selte er zur Deutschen Post, betreutedort unter anderem dem Kauf vonDHL und die Integration in den Kon-zern. Auch an den Vorbereitungenzum Börsengang war Appel beteiligt.Ende 2002 stieg er zum Vorstands-mitglied auf, unter anderem zustän-dig für Logistik. Als Klaus Zumwinkelim Februar 2008 nach Ermittlungenwegen Steuerhinterziehung zurück-trat, wurde Appel Vorstandschef. Erist verheiratet, hat zwei Kinder undfährt gerne mit dem Mountainbike imSiebengebirge. SZ

Olaf Hinz berätFührungskräfte.Davor war erBüroleiter desfrüheren Wirt-schaftsministersvon Schleswig-Holstein, PeerSteinbrück, undPersonal-Mana-ger bei der Lan-desbank Kiel.Foto: privat

Seite 18 / Süddeutsche Zeitung Nr. 118 Montag, 23. Mai 2011 WIRTSCHAFT

Forum

Führen inextremen SituationenWarum in Hochrisiko-Organisationen nichtnur die Technik sicher sein muss

Von Olaf Hinz

„Ich gehöre nicht zu den Mana-gern, die sich selbst loben, wennes gut läuft, und alles auf andereschieben, wenn es schlecht geht“:Frank Appel, links im Bild mitseinem Vorgänger Klaus Zumwin-kel, der nach einer Steueraffärezurücktrat und seither die Öffent-lichkeit meidet. Fotos: ecopix, dpa

Das Montagsinterview

Steckbrief

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Seite 18 - Süddeutsche Zeitung Nr. 118
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Montag 23.Mai 2011
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managerSeminare | Heft 160 | Juli 2011

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Märkte brechen weg, Kunden wandern ab, Mitarbeiter gehen – im Managementalltag ist nichts mehr sicher. Management bedeutet heute: Führung in der Unsicherheit. Führungskräfte müssen ständig mit Unkalkuliertem umgehen, alte Strategien über Bord werfen, neue Pläne machen und dabei noch Sicherheit ausstrahlen. Geht das überhaupt mit System? Olaf Hinz behauptet: Ja! managerSeminare über die Frage, wie sich das Ungewisse planvoll managen lässt.*

Fahrplan für flexible FührungMANAGEMENT DES UNGEWISSEN

* In der nächsten Ausgabe von managerSeminare lernen Sie im Artikel „Sicher ist sicher“ einen Ansatz kennen, mit dem Unternehmen das Unplanbare planen: das HRO-Konzept.

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Preview: AIPläne aufgeben nach Plan: Wieso die zentrale Devise beim Management des Ungewissen nur scheinbar paradox ist AIFall aus der Praxis: Wie ein Handelsunternehmen nach einem neuen Modell Pläne macht AIUnentscheidbares entscheiden: Warum die Kategorien „richtig“ und „falsch“ für Füh-rungskräfte nicht mehr gelten AIOffenheit sticht Starrheit: Wie erfolgreiche Manager des Ungewissen Ambiguitätstoleranz zeigen AIDas Unwägbare wäg-bar machen: Vier Regeln für Management und Füh-rung in ungewissem Fahrwasser AIEine Frage der Haltung: Wie Führung in uneindeutigen Situationen geübt werden kann

C Im Herbst 2010 hatte der irische Premier-minister seinen Auftritt beim Treffen der EU-Regierungschefs zur Rettung des Euro sicher anders geplant. Er musste über die Liquidität seines Landes Auskunft geben und ging ursprünglich davon aus: Eine Angabe für die nächsten Monate würde rei-chen. Auf Druck der Märkte aber war die Liquiditätsberechnung drastisch zu verkür-zen – von Monaten auf das für Tage ausrei-

Foto: iStockphoto.de

chende Maß … Genauso hatte der Internet-Versandhändler Amazon sein Weihnachts-geschäft 2010 sicher anders vorgesehen und nicht damit gerechnet, durch koordinierte Angriffe von Unterstützern eines ehemali-gen Geschäftspartners lahmgelegt zu wer-den … Und sicher ging der Projektmanager eines deutschen Anlagenbauers von einem anderen Tagesablauf aus, als er eines Mor-gens die Mitarbeiter seines wichtigsten Unterlieferanten nicht mehr auf der Bau-stelle antraf. Erst nach zwei Tage dauernden Telefonaten stellte er fest: Die Firma war übers Wochenende in die Abwicklung gegangen …

Daraus wird ersichtlich: Allein auf die Effizienz und Produktivität geplanter Vor-haben kann sich das Management heutzu-tage nicht mehr konzentrieren. Vielmehr müssen Manager heute mit Unkalkulierba-rem umgehen, sich spontan auf neue Kon-stellationen einstellen und – wenn es sein muss – bisherige Pläne über Bord werfen. Unerwartetes begegnet ihnen überall, sei es durch besondere Vorfälle oder sei es nur

dadurch, dass sich im Tagesgeschäft ein Kun-denwunsch ändert. Was sich viele Manager jedoch nicht ausreichend klarmachen: Die Unwägbarkeiten und plötzlichen Änderun-gen in ihrem Umfeld erfordern ein neues Verständnis von Planung. Von bisherigen Planungsmethoden, die auf Wiederholbar-keit, Skalierung und gesichertem Wissen beruhen, müssen sich Führungskräfte ver-abschieden.

Nur scheinbar paradox: Einen Plan aufgeben per Plan

Das bedeutet keineswegs, dass Manager gleich ganz auf sorgfältige Pläne verzichten können. Im Gegenteil: Erst eine gute Pla-nung versetzt sie in die Lage, Unvorherge-sehenes zu managen. Denn dann:A kennen sie erstens den aktuellen Stand,A und haben zweitens ein Ziel festgelegt,A sodass sie auf der Grundlage von erstens und zweitens beurteilen können, welche Konsequenzen die überraschend eingetre-tene Veränderung hat. A

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Festen Boden gewinnen im Ungewissen

Manager können das Unwägbare handhaben und ständig wechselnde Herausforderungen bewältigen, indem sie im Führungsalltag vier Grundsätze beherzigen:

1. Gemeinsam lernen. Wer im Team mit den Mitarbeitern lernt, gemeinsam Fehler analysiert und Lösun-gen erarbeitet, erhält viele Perspektiven – und kann daraus einen guten Weg für das weitere Vorgehen ableiten. Gut beraten ist, wer sich nicht auf eine einzige, „richtige“ Lösung fokussiert, sondern unter meh-reren Alternativen abwägt und auswählt. Die Devise lautet: Die Zwangsläufigkeit starrer Planung wird ersetzt durch die Offenheit sinnvoller Alternativen.

2. Achtsamkeit fördern. Mitarbeiter sind nicht nur dazu da, Arbeit wegzuschaffen. Sie müssen dabei auch Vorsicht und Umsicht walten lassen, persönliche Annahmen infrage stellen und Bewährtes in Zweifel ziehen. Nur wer ein Organisationsklima der Achtsamkeit herstellt und eine Umgebung gestaltet, in der Mitarbeiter reflektieren und dabei auch einmal langsamer arbeiten dürfen, versetzt seine Mannschaft in die Lage, rechtzeitig und mit Gespür auf Neues zu reagieren.

3. Gelassenheit wahren. Eine kluge Haltung nimmt ein, wer über Planabweichungen und Ungewiss-heiten nicht lamentiert, sondern sich sagt: Risiken sind ein normales Führungsphänomen, Unsicherheit gehört zum Management. Wer Überraschungen von vornherein einbezieht und nicht versucht, sie wegzu-kalkulieren, nimmt ihnen den Schrecken und kann gelassen auf sie reagieren.

4. Sich beobachten. Wer wirksam unter Unsicherheit handeln will, muss sich selber gut kennen und aufpassen, dass er in seinem Verhalten nicht immer die gleiche Schublade zieht. In regelmäßigen Abstän-den sollten sich Führungskräfte also fragen: Was sind meine individuellen Muster? Was ist meine persön-liche Logik des Misslingens? Welchen Annahmen sitze ich immer wieder auf?

Mit anderen Worten: Planung ist notwendig, um eine Verände-rung überhaupt beurteilen zu können und Reaktionen hierauf nicht der Beliebigkeit anheim- fallen zu lassen. Auch im schwers-ten Sturm wird ein Kapitän die Steuerung und den Betrieb sei-nes Schiffes nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen, denn sonst droht Chaos und – wenn die Mannschaft emotional auf-geladen ist – vielleicht sogar Anarchie. Der Kapitän wird sein Unternehmensschiff deshalb immer genau in der Mitte der Fahrrinne zwischen unverrück-baren Plänen und kontextloser Beliebigkeit halten.

Genauso machen Führungs-kräfte, die erfolgreich das Unge-wisse managen, Pläne, um damit eine Orientierung zu geben: Sie stecken den Korridor ab, inner-halb dessen das Unternehmen in der nächsten Phase mit hoher Wahrscheinlichkeit tätig ist. Diese Pläne sind greifbar und beschreiben konkrete Hand-lungsabsichten. Sie sind aber nicht in allen Einzelheiten heilig. Heilig ist nur das: Für den Fall einer Planänderung muss ein verbindlicher Prozess existieren. Gemeint ist eine Richtschnur für ein Vorgehen, wie diese Ände-rung berücksichtigt wird. Weit weniger wichtig sind hingegen die Planzahlen und das Ergebnis selbst. Anders gesagt: In unsiche-ren Zeiten kommt es darauf an, dass es verbindliche Prozesse der Planung gibt – die Pläne selbst werden sich häufig ändern (müssen).

Hierzu ein Beispiel aus einem Handelsunternehmen: Die ein-zelnen Produktbereiche planen ihre Einkaufs- und Verkaufs-vorhaben in drei Szenarien: maximaler Margenertrag, nor-maler Margenertrag und denk-bar schlechtester Ertrag. So spannen die Manager einen Korridor der Erwartungen für das nächste Jahr auf. Das Unter-nehmen hat sich ferner einen verbindlichen und klar beschrie-benen Prozess der unterjähri-gen Planrevision gegeben. Soll-ten also neue Zahlen, Daten und Fakten auftreten, ist jedem Pla-

nungsverantwortlichen klar, wie diese Ver-änderung in den verabschiedeten Plankor-ridor eingearbeitet wird. Das Unternehmen hat so die strukturellen Voraussetzungen für das Management des Unsicheren geschaffen.

Der strukturelle Rahmen allein reicht indes nicht – die geschaffene Architektur muss sich im Verhalten der Führungskräfte und in ihrem Umgang mit den Mitarbeitern widerspiegeln. Das Handelsunternehmen verschreibt daher auch den Prozess des Füh-rens mit Zielen dem Umgang mit dem Unge-plantem. Konkret: Es bezieht individuelle Zielvereinbarungen nicht etwa auf die Plan-zahlen des Korridors, wie es viele andere Unternehmen tun, sondern es fokussiert ein Prozessziel – nämlich das Einhalten der unterjährigen Planrevision. Das Unterneh-men belohnt also nicht die Erreichung einer einmal geplanten Zahl, sondern das ange-messene Reagieren seiner Mitarbeiter auf Unerwartetes, Ungeplantes und Neues.

Tatsächlich paradox: Manager müssen Unentscheidbares entscheiden

Um wiederum als Führungskraft den Mit-arbeitern im unsicheren Fahrwasser Orien-tierung zu bieten, braucht es eine besonde-

re Haltung. Erfolgreiche Manager des Ungewissen sehen der Komplexität ins Auge und machen sich klar, dass sie Änderungen als das annehmen können, was sie sind: eine Chance, besser zu werden. Sie haben sich vom starren „Geplant ist geplant“-Denken verabschiedet und wissen: Die alten Katego-rien „richtig“ und „falsch“ haben ihre Gül-tigkeit verloren. Denn wie schon der Kon-struktivist Heinz von Förster hervorhob: Führungskräfte haben es mit Fragen zu tun, die keine eindeutigen Antworten haben, sie müssen entscheiden, was eigentlich nicht zu entscheiden ist. Somit können sie auch nicht wissen, was wirklich richtig ist und was falsch. Denn alles, was entscheidbar und somit eindeutig richtig ist, wurde ja schon entschieden – und zwar in Form von Stel-lenbeschreibungen, Schnittstellenpapieren, Anweisungen, Spielregeln usw.

Effektive Führungskräfte müssen sich daher den komplexeren, schwierigeren Zusammenhängen zuwenden, sich den Unklarheiten und dem Ungewissen widmen – und hier gelten neue Maßstäbe. Genauer: Es bietet sich an, die Kategorien „richtig“ und „falsch“ zu ersetzen durch „angemes-sen“ und „unnütz“. Das bringt Führungs-kräfte dazu, immer in konkreten Alternati-ven zu denken, anstatt lange und aufwendig

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Zehn Fragen für mehr Flexibilität

Auf ungeplante Ereignisse reagieren, für jede neue Situation eine passende Lösung erarbeiten – das ver-langt geistige Beweglichkeit. Wirksame Manager des Ungewissen hinterfragen daher ständig ihre Hand-lungsmuster. Sie untersuchen zum Beispiel:

1. Welche Verhaltensmuster rufe ich immer wieder in Situationen ab, in denen ich es mit Unerwartetem zu tun habe?2. Welche Schritte unternehme ich, wenn ich eine Situation teilweise oder gar nicht einschätzen kann?3. Welche Kriterien und Maßstäbe nutze ich, wenn Planänderungen anstehen?4. Wann habe ich meine Maßstäbe zuletzt auf Aktualität und strategische Passung überprüft?5. Wie führe ich meine Mitarbeiter, wenn ich selbst den Weg zum Ziel nicht kenne? 6. Welche Informationen tue ich meistens als unwesentlich ab?7. Welche Ereignisse ordne ich immer in eine bestimmte Schublade? 8. Wie wirken sich meine Erwartungen auf meine Wahrnehmung aus?9. Welche Beobachtungen machen auch andere – und welche Dinge finden vielleicht nur in meinem Kopf statt?10. Welche selbsterfüllenden Prophezeiungen sind typisch für mich?

nach eindeutigen Lösungen zu suchen. Ein Manager des Unge-wissen denkt also weniger über richtige und falsche Ergebnisse nach, sondern überlegt: Welche Alternativen tragen in einer bestimmten Situation zur Ziel-erreichung bei?

Selbstverständlich spielen Zahlen, Daten und Fakten auch in uneindeutigen Situationen eine sehr wichtige Rolle. Auch hier stützen sich Entscheidun-gen auf eine solide Informati-onsgrundlage, die Hypothesen, Kausalitäten und Wahrschein-lichkeiten einbezieht. Am Ende aber steht die Führungskraft vor mehreren Alternativen und nicht nur vor einer. Unter den beste-henden Alternativen wählt sie die aus ihrer Sicht Passende aus. Es ist vielleicht nicht die beste Alternative, aber der Manager hält sie für die beste. Das Risiko, das entsteht, weil einerseits ent-schieden werden muss (sonst herrscht Stillstand) und anderer-seits jede Entscheidung eigent-lich unentscheidbar ist, muss die Führungskraft alleine tragen.

Vier Regeln helfen beim Umgang mit dem Ungewissen

Wer diese Haltung einnehmen und das Ungewisse erfolgreich managen will, sollte im Füh-rungsalltag vier zentrale Vorge-hensweisen etablieren. Sie hel-fen, Mitarbeitern in der Unsi-cherheit Orientierung zu geben und insgesamt im Unternehmen die Einstellung zu fördern: Es ist zwar alles offen, aber dennoch beherrschbar, packen wir`s an. Im Einzelnen gilt:

1. Gemeinsam lernen.Erfolgreiche Manager des Unge-wissen verankern die Idee der lernenden Organisation syste-matisch. Dazu gehört, dass sie die Mitarbeiter in die Verant-wortung nehmen. Förderlich ist beispielsweise, im Team eine anerkannte und gelernte Metho-de der Abweichungs- und Feh-leranalyse vorzunehmen. Wer solche Analysen intern unter Kollegen durchführt und nicht

allein durch externe Benchmark-Berater abwickeln lässt, verhindert die Gefahr, im Zweifel wieder nur ein einziges, „richtiges“ Vorgehensmodell präsentiert zu bekom-men. Es gilt, misstrauisch zu sein gegenüber schnellen Lösungen und Dingen, die bisher immer funktioniert haben. Und es gilt, die Mitarbeiter konsequent einzubeziehen, denn nur ein solches Vorgehen sichert Ergebnisse, die auch etwas mit der Realität zu tun haben.

2. Achtsamkeit fördern.Wichtig: ein Organisationsklima der Acht-samkeit. Ein solches Klima schaffen Mana-ger, wenn sie und ihre Mitarbeiter allgemei-ne und persönliche Annahmen infrage stellen, Bewährtes in Zweifel ziehen sowie eigenes Verhalten ständig reflektieren. Es geht nicht nur darum, dass Mitarbeiter „Arbeit wegschaffen“. Es geht auch darum, dass sie Vorsicht und Umsicht walten lassen. Und es muss ihnen erlaubt sein, Fehler zu machen.

Die Berater Karl. E. Weick und Kathleen M. Sutcliff beschreiben in ihrem Buch „Das Unerwartete managen“ (vgl. Servicekasten, S. 24) einen Fall, in dem das umsichtige Zugeben eines Fehlers nicht nur toleriert, sondern sogar belohnt worden ist. Ein Flug-zeugmechaniker vermisste ein Werkzeug und zeigte dies an. Denn das Werkzeug hätte sich noch an oder in einem Flugzeug befin-den und dort unabsehbaren Schaden anrich-ten können. Tags darauf wurde der Mecha-niker nicht für das zugegebenermaßen unachtsame Verschusseln des Werkzeugs

gerügt, sondern für sein anschließendes achtsames Verhalten besonders gelobt. Grund zur Beunruhigung: Wenn alles nach Plan läuft

3. Gelassenheit wahren und ausstrahlen.Der Umgang mit Ungewissheit braucht zudem eine Führungshaltung, die Risiken als normales Führungsphänomen begreift und ihnen mit einer gelassenen Haltung begegnet. Eigentlich sollte es gar nicht so schwer sein, gelassen auf Ungewisses zu rea-gieren: Denn wenn man sich vor Augen führt, dass Unsicherheit ein permanenter Bestandteil von Management ist, dann ist nicht das Auftreten von Ungeplantem, son-dern dessen Abwesenheit ein Grund zur Beunruhigung.

Gelassenheit zu wahren fällt auch dem-jenigen leichter, der erkennt: Die Verursa-cher von Planänderungen sind nicht als Schuldige einer Abweichung abzustempeln. Vielmehr liefern sie neue und wichtige Informationen über das, was sich draußen verändert. Und schließlich verhilft es zur nötigen seemännischen Gelassenheit zu wissen: Natürlich wäre es perfekt für die Zielerreichung, wenn man zu hundert Pro-zent richtig auf das Neue reagierte. Eine solche Reaktion aber braucht meist so viele Informationen, dass diese „richtige“ Reak-tion oft zu spät käme – und somit nicht mehr richtig wäre. Es macht also Sinn, dass Manager in unerwarteten Situationen die wirksame und sinnvolle Lösung der perfek-ten vorziehen. A

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Service

LiteraturtippsA Dietrich Dörner: Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Rowohlt, Hamburg 2008, 9,95 Euro.In vernetzten und dynamischen Handlungssituationen macht unser Gehirn Fehler, so die These des Autors: Wir beschäftigen uns mit dem ärgerlichen Knoten und sehen nicht das Netz. Dörner zeigt, wie wir daran etwas ändern können. Ein aufschlussreiches Buch, das die FAZ als „Glücksfall“ bezeichnet.A Olaf Hinz: Sicher durch den Sturm. So halten Sie als Projektmanager den Kurs. Orell Füssli, Zürich 2009, 24,90 Euro.Mit dem Bild vom Kapitän auf hoher See veranschaulicht der Autor, wie eine ideale Projektleitung aussieht. Seine These: Projektmanager müssen variantenreich führen und souverän auf Überraschungen reagieren. Wie das gelingen kann, wird präzise ausgeführt. Lesenswert nicht nur für Projektmanager, sondern für jede Führungskraft.A Karl E. Weick, Kathleen M. Sutcliffe: Das Unerwartete managen. Wie Unternehmen aus Extremsituationen lernen. 2. Aufl., Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2010, 29,95 Euro.Wie können Unternehmen mit unerwarteten Situationen umgehen? Um diese Frage zu beantworten, unter-suchen die Autoren sogenannte High Reliability Organizations (HROs) – Organisationen, die absolut zuver-lässig arbeiten müssen, wie z.B. die Feuerwehr. Die Autoren zeigen, wie sich die Methoden der HROs auf andere Unternehmen übertragen lassen. Mit vielen Beispielen sehr spannend zu lesen.

Der Autor: Olaf Hinz ist Inhaber des Beratungsunter-nehmens „Hinz.Wirkt!“ in Hamburg. Er berät und coacht erfahrene Führungskräfte und Projektleiter. Vor seiner Selbstständigkeit war Olaf Hinz Büroleiter von Peer Steinbrück, damals Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Zudem arbeitete er als Personal-manager und Projektfinanzierer der Landesbank Kiel. Über zentrale Aspekte seiner Beratungsthemen publi-ziert er regelmäßig. Kontakt: www.hinz-wirkt.de

Wach und kooperationsbereit bilden gelassene und flexible Manager Koalitionen, jonglieren mit unterschiedlichen Interessen und kümmern sich um den Fortgang. Diese Führungskräfte handeln wie der Kapitän eines Schiffes: Sie wissen, dass sie aufkom-mende Probleme aus der Situation selbst heraus lösen und nicht alles vorab regeln können. Ein erfahrener Kapitän redet seiner Mannschaft niemals einen aufziehenden Sturm schön – er beordert aber auch nicht gleich alle Mann an Deck und verteilt vor-sorglich Schwimmwesten. Vielmehr rechnet er mit schlechtem wie gutem Wetter und hat die Lage und Funktionsfähigkeit der Schwimmwesten bereits vorab überprüft.

Entsprechend handelt ein seemännisch gelassener Manager hellwach, konzentriert, gut vorbereitet und unter Einsatz all seines Erfahrungs- und Methodenwissens – aber stets als Mensch und nicht als Funktionär einer Managementschule. Wer Überra-schungen von vornherein einbezieht statt zu versuchen, sie durch Planungsprozesse weg-zukalkulieren, nimmt ihnen den Schrecken und stellt sicher, dass er sinnvoll auf solche Überraschungen reagieren kann. Und genau dafür werden Führungskräfte schließlich gebraucht.

Plan B und Plan C verhelfen zur Ruhe

Kernelement der Führung unter Ungewiss-heit ist das Verhalten der Führungskraft selbst und nicht die Methoden und Techni-ken, die sie anwendet. Die bleiben, was sie

sind: Methoden der Unterstützung. Opera-tive Hektik, Berichte auf den letzten Drücker und sinnloses Multitasking verschwinden, wenn diese Art der Führung Einzug hält. Diese Führungskräfte spielen alternative Szenarien bereits im Vorfeld und nicht erst ad hoc durch. Sie bewahren in der schwie-rigen Situation Ruhe, weil sie wissen, dass sie einen Plan B und C in der Tasche haben, strahlen deshalb Gelassenheit aus und sta-bilisieren so die Lage.

4. Sich selber beobachten.Last but not least: Wirksames Handeln unter Unsicherheit gelingt denjenigen Führungs-kräften besser, die ständig mit einer wachen Selbstbeobachtung arbeiten, um individu-elle Muster bzw. ihre persönliche Logik des Misslingens zu erkennen. In regelmäßigen Abständen legen sich umsichtige Führungs-kräfte Fragen vor wie: Welche Verhaltens-

muster rufe ich immer wieder in Situatio-nen ab, in denen ich es mit Unerwartetem zu tun habe? Welche Schritte unternehme ich, wenn ich eine Situation teilweise oder gar nicht einschätzen kann? Welche Infor-mationen tue ich meistens als unwesentlich ab? Welche Kriterien und Maßstäbe nutze ich, wenn Planänderungen anstehen? (Zu weiteren Fragen vgl. Kasten S. 22).

Das Management des Ungewissen lässt sich üben

All das zeigt: Das Management des Unge-wissen ist keine Frage des Wissens, sondern eine Frage der Haltung und des Könnens. Das bedeutet: Führung in uneindeutigen Situationen kann nicht per theoretischem Input erlernt werden, sie kann aber prak-tisch geübt und trainiert werden. Im Bereich des Führungskräftetrainings können Füh-rungssimulationen einen guten Beitrag lie-fern – vorausgesetzt, die EDV steht nicht im Zentrum der Simulation. Denn spielt sich die Simulation rein am Computer ab, rich-tet sich das Augenmerk der Trainingsgruppe zu häufig auf die Eingabe der „richtigen“ Antworten. Besser sind Ansätze, die die per-sönliche Interaktion in den Mittelpunkt stellen und Situationen schaffen, in denen die Teilnehmer sich in die Augen sehen. Daneben sind regelmäßige Lessons-lear-ned-Workshops und kollegiale Beratungs-gruppen ein wirksames Mittel, die notwen-digen Fähigkeiten laufend hochzuhalten. Und nicht zuletzt ist Coaching ein nützli-ches Mittel, um die notwendige Haltung zu etablieren und das Verhaltensrepertoire in ungewissen Managementsituationen zu ver-breitern.

Welche Methode auch immer gewählt wird: Entscheidend ist der Wille der Füh-rungskraft, sich wirklich zu neuen Ufern aufzumachen. Wie aber diese Ufer im Ein-zelnen aussehen – das ist naturgemäß unge-wiss.

Olaf Hinz C

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