2
6 Mike Schwede prognostiziert den Durchbruch der Chat Economy. Der Bieler Social-Media- Experte ist bekannt für seine pointierten Kommentare auf Twitter und Co. Sie bezeichnen sich auf Xing als Berater, Dozent und Wirbelwind. Wer sind sie? Mike Schwede: An den Wirbelwind erinnere ich mich nicht mehr, Berater bin ich aber schon lange. 1998 habe ich mit der Orange-8 Interactive die erste Agentur gegründet. Damals wurde ich vom Pro- grammierer und Gestalter zum Marketing-Spezialis- ten. Also ganz interdisziplinär – ich bin sozusagen in der digitalen Betriebswirtschaft hängen geblieben. Was treibt sie an? Das ist intrinsisch – ich mache vor allem Sachen, die mich faszinieren. Andere Projekte versuche ich zu vermeiden. Heute haben Sie getwittert: Go digital or die (Werde digital oder stirb). Wieso? Ich habe mich aufgeregt, weil ich meine Arztrech- nung immer noch per Post erhalte. Das ist mit viel manuellem Aufwand verbunden. Ich habe dann ge- fragt, welche Krankenkasse über eine App verfügt, so dass ich die Rechnung nur noch fotografieren muss – meine bisherige Krankenkasse hat deshalb einen Kunden verloren. Und wie ich auf Twitter gelesen habe, haben sich das einige zu Herzen genommen und die Krankenkasse ebenfalls gewechselt. So wie man heute die Bank auch aufgrund des E-Bankings wählt und nicht mehr aufgrund des Kundenberaters, den man im klassischen Retailbanking gar nicht mehr braucht. Da können Marke und Leute noch so toll sein. Wenn das E-Banking nervt, so ist das nicht mei- ne Bank – und so geht es mittlerweile sehr vielen. Wohin geht die Social-Media-Reise? In einem Jahr wird man nicht mehr über Social Media reden. Denn bei den meisten Firmen ist klar, dass man Kunden mit Facebook-Werbung und Con- tent-Marketing generiert oder im Online-Dialog Kunden sichert. «Social» ist ein integrierter Bestand- teil jedes guten Marketings. Privat geht die Reise ins pure «Social», das Chatten. Seit es Internet gibt, war E-Mail die beliebteste Form. Diese ist abgelöst wor- den vom Chat. Menschen kommunizieren am liebs- ten mit Menschen bzw. menschlich, nicht mit Ma- schinen bzw. strukturiert. Deshalb wird sich alles im Chat abbilden – das sieht man heute schon in China bei WeChat. Ich kann beispielsweise meine Reise bei KLM mit dem Facebook-Messenger buchen und bezahlen. Ich habe Chat-Roboter, die mich an etwas erinnern oder die mir helfen etwas zu finden. «Conversional Commerce» heisst das dann und wird sich bestimmt durchsetzen. Kommt das wirklich? Es ist voll ok, wenn ältere Leute sich auf sehr vielen Websites nicht zurechtfinden. Mir geht es ähnlich. Das Meiste ist immer noch schlecht gemacht oder unglaublich langweilig oder kompliziert. Dass ein 70-Jähriger deshalb nicht online buchen kann, ver- stehe ich. Er kann aber in eine Chat-App sprechen: «Such mir den billigsten Flug von Zürich, Basel oder Bern nach London.» Worauf das Programm antwortet: «Ich habe etwas gefunden, willst du es gleich buchen?» Das ist fast wie ein Callcenter, aber automatisiert. Sie beraten Grossfirmen zu Social Media – was treffen Sie an? Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal ist das Top- Management digital unglaublich affin und auch die Mitarbeiter geben Gas, aber das mittlere Kader tritt auf die Bremse. Es kommt aber auch vor, dass das Management wie in der Pharmaindustrie aus digita- len Banausen besteht. Bei UBS, Swisscom und SBB gibt es inzwischen eine sehr hohe digitale Kompetenz. Was heisst das? Es gibt nichts Langweiligeres als Kunden, die alles gut finden, was ich mache. Das bringt mich nicht Mike Schwede schätzt an Biel, dass es (noch) eine sehr lebendige Stadt ist. «Menschen kommunizieren am liebsten mit Menschen» in Grossfirmen sehe ich sehr viel politik und «Gärtli- denken». GUIDE DE BIENNE Mike Schwede im Gespräch INTERVIEW: Theo MarTin BilD: TORVIOLL JASHARI/ZVG

Interview Guide de Bienne (test)

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Interview Guide de Bienne (test)

6

Mike Schwede prognostiziert den Durchbruch

der Chat Economy. Der Bieler Social-Media-

Experte ist bekannt für seine pointierten

Kommentare auf Twitter und Co.

Sie bezeichnen sich auf Xing als Berater, Dozent

und Wirbelwind. Wer sind sie?

Mike Schwede: An den Wirbelwind erinnere ich mich nicht mehr, Berater bin ich aber schon lange. 1998 habe ich mit der Orange-8 Interactive die erste Agentur gegründet. Damals wurde ich vom Pro-grammierer und Gestalter zum Marketing-Spezialis-ten. Also ganz interdisziplinär – ich bin sozusagen in der digitalen Betriebswirtschaft hängen geblieben.

Was treibt sie an?

Das ist intrinsisch – ich mache vor allem Sachen, die mich faszinieren. Andere Projekte versuche ich zu vermeiden.

Heute haben Sie getwittert: Go digital or die

(Werde digital oder stirb). Wieso?

Ich habe mich aufgeregt, weil ich meine Arztrech-nung immer noch per Post erhalte. Das ist mit viel manuellem Aufwand verbunden. Ich habe dann ge-fragt, welche Krankenkasse über eine App verfügt, so dass ich die Rechnung nur noch fotografieren muss – meine bisherige Krankenkasse hat deshalb einen Kunden verloren. Und wie ich auf Twitter gelesen habe, haben sich das einige zu Herzen genommen und die Krankenkasse ebenfalls gewechselt. So wie man heute die Bank auch aufgrund des E-Bankings wählt und nicht mehr aufgrund des Kundenberaters, den man im klassischen Retailbanking gar nicht mehr

braucht. Da können Marke und Leute noch so toll sein. Wenn das E-Banking nervt, so ist das nicht mei-ne Bank – und so geht es mittlerweile sehr vielen.

Wohin geht die Social-Media-Reise?

In einem Jahr wird man nicht mehr über Social Media reden. Denn bei den meisten Firmen ist klar, dass man Kunden mit Facebook-Werbung und Con-tent-Marketing generiert oder im Online-Dialog Kunden sichert. «Social» ist ein integrierter Bestand-teil jedes guten Marketings. Privat geht die Reise ins pure «Social», das Chatten. Seit es Internet gibt, war E-Mail die beliebteste Form. Diese ist abgelöst wor-den vom Chat. Menschen kommunizieren am liebs-ten mit Menschen bzw. menschlich, nicht mit Ma-schinen bzw. strukturiert. Deshalb wird sich alles im Chat abbilden – das sieht man heute schon in China bei WeChat. Ich kann beispielsweise meine Reise bei KLM mit dem Facebook-Messenger buchen und bezahlen. Ich habe Chat-Roboter, die mich an etwas erinnern oder die mir helfen etwas zu finden. «Conversional Commerce» heisst das dann und wird sich bestimmt durchsetzen.

Kommt das wirklich?

Es ist voll ok, wenn ältere Leute sich auf sehr vielen Websites nicht zurechtfinden. Mir geht es ähnlich. Das Meiste ist immer noch schlecht gemacht oder unglaublich langweilig oder kompliziert. Dass ein 70-Jähriger deshalb nicht online buchen kann, ver-stehe ich. Er kann aber in eine Chat-App sprechen: «Such mir den billigsten Flug von Zürich, Basel oder Bern nach London.» Worauf das Programm antwortet: «Ich habe etwas gefunden, willst du es gleich buchen?» Das ist fast wie ein Callcenter, aber automatisiert.

Sie beraten Grossfirmen zu Social Media – was

treffen Sie an?

Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal ist das Top-Management digital unglaublich affin und auch die Mitarbeiter geben Gas, aber das mittlere Kader tritt auf die Bremse. Es kommt aber auch vor, dass das Management wie in der Pharmaindustrie aus digita-len Banausen besteht. Bei UBS, Swisscom und SBB gibt es inzwischen eine sehr hohe digitale Kompetenz.

Was heisst das?

Es gibt nichts Langweiligeres als Kunden, die alles gut finden, was ich mache. Das bringt mich nicht

Mike Schwede schätzt an Biel, dass es (noch) eine sehr lebendige Stadt ist.

«Menschen kommunizieren am liebsten

mit Menschen»

in Grossfirmen sehe ich sehr

viel politik und

«Gärtli-denken».

GUIDE DE BIENNE

Mike Schwede im GesprächINTERVIEW: Theo MarTin BilD: TORVIOLL JASHARI/ZVG

Page 2: Interview Guide de Bienne (test)

7

weiter. Ich brauche Kunden, die mich richtig for-dern und sich im Klaren sind, dass es sehr schnell gehen kann, bis ihr Geschäftsmodell zerstört ist. Zum Beispiel sind Twint und PayPal viel einfacher als E-Banking. Wenn ich in England bin, kann ich via Gmail oder Snapchat Geld verschicken. Wenn ein 13-Jähriger heute mit Snapcash Geld überweist, muss man ihm dann später schon erklären, wieso er bei der UBS noch Kunde werden soll.

Profitieren KMU davon?

In Grossfirmen sehe ich sehr viel Politik und «Gärt-lidenken». Bei KMU ist das seltener. Deshalb ver-stehe ich nicht, wieso sie das nicht ausnützen und im Digitalen Vollgas geben. Eine grosse Maschine kauft man gerne und bindet damit Millionen. Beim Digitalen ist man vorsichtiger. Wenn man aber On-line-Projekte «es Bitzeli» macht, kommt auch nur «es Bitzeli» heraus. Es muss nicht teuer sein. Ich sehe auch fürs lokale Gewerbe extrem viel Potenzial. Es gibt viele triviale Sachen, die man bei Google und Facebook machen kann, um Kunden besser zu errei-chen. Mit der BFB planen wir hierzu gerade ein Seminar.

Ihre Kommentare in den sozialen Medien drehen

sich häufig um Kundenfreundlichkeit.

Da sieht man, ob sich das Unternehmen wirklich um die Kunden kümmert. Wenn ich Unternehmen berate, merke ich, dass das Marketing in Märkten denkt, der Kundendienst aber an Kunden. Mein Lieblingsbeispiel ist der Online-Schuhladen Zap-pos, der nie in Werbung, sondern in den Kunden-dienst investiert hat und so zum Milliardenunter-nehmen wurde. Kundendienst ist eine Investition und keine Kostenstelle.

Was schätzen Sie an Biel?

Dass es (noch) eine sehr lebendige Stadt ist. Sehr frei, unkompliziert, multikulti im positiven Sinn und dadurch auch sehr inspirierend. Man sieht die

Bemühungen, Biel zu einer sauberen 0815-Stadt zu machen. Das finde ich tragisch. Klassisch reiche Steuerzahler wird man nie nach Biel bringen. Für die gibt es schönere Orte. Berlin z. B. hat die bessere Strategie gewählt.

Wie muss sich Biel verändern?

Als ich vor 20 Jahren nach Biel kam, hatte es viele Fabrikhallen, Start-ups, illegale Partys, urbane Kul-tur mit viel mehr Freiräumen und weniger Regle-mentierungen – so, dass etwas Lebendiges entstehen kann. «Chic» und «Biel» passen nicht zusammen – man muss immer bei seinen Stärken bleiben. Sprich Freiräume schaffen. Die Bieler sind kreativ genug, daraus was Cooles zu machen.

Sie äussern sich pointiert. Keine Lust auf ein

politisches Amt?

Ich wäre nicht ein guter Politiker. Ich verabscheue Diplomatie. Ich habe extrem gerne sehr offene und klare Strategien. Salamitaktik ist nicht meine Art und das schätze ich auch nicht. Wer mit der Verwal-tung zusammenarbeiten will, braucht Fingerspit-zengefühl, was ich nicht habe. n

Vereinigung/Association City Biel-Biennewww.city-biel-bienne.chTourismus Biel Seeland

Tourisme Bienne Seelandwww.biel-seeland.ch

Stadtmarketing BielMarketing de la ville de Biennewww.bielbienne.ch

Partner \ Partenaires

Längfeldweg 135, chemin du Long-Champ2501 Biel/BienneTel. +41 32 344 83 83www.gassmannmedia.ch

Wenn ich Unternehmen berate, merke ich, dass das Marketing in

Märkten denkt, der

Kundendienst aber an

Kunden.»

GUIDE DE BIENNE

Mike Schwede im GesprächINTERVIEW: Theo MarTin BilD: TORVIOLL JASHARI/ZVG

Einkaufen in Biel

Mike Schwede kauft gerne im Bilma Market an der Murtenstrasse (Kräuter, Feigen, Gewürze) sowie im Kleiderladen Cromwell am Neumarktplatz ein. Essen: Restaurant «le basilic» an der Mühlebrücke (bester Thai und auf Vor-bestellung Ceviche, ein peruanisches Fischgericht) und jeden Freitag mauri-tianisches Pulpo im «Le Mauricia».

Zur Person

Der Internet-Unternehmer und Digital-Stratege war mit 21 Jahren Mitgrün-der von Orange8, die 2008 an Goldbach Media verkauft wurde, und ist in verschiedenen Start-ups in der Schweiz und in London involviert. Mike Schwede ist in Murten aufgewachsen, lebt seit 1998 in Biel und fühlt sich als Bieler. Er unterrichtet an diversen Fachhochschulen, hat drei Kinder, ist auf dem Hundemätteli anzutreffen («lebendiger Ort am See») und liebt skaten, surfen, kochen und Musik.