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Von Mäusen und Schelmen: der Faktor Mensch in der Spionageabwehr

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Übersicht über psychologische Modelle der Agentenrekrutierung und Konsequenzen für Wirtschafts- und Informationsschutz.

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Page 1: Von Mäusen und Schelmen: der Faktor Mensch in der Spionageabwehr

Von Mäusen und Schelmen: der Faktor Mensch in der Industriespionage

Wo bleibt der Mensch in der Spionage? 10.12.2013 pf – Nach einer schier endlosen Kette von Enthüllungen, die die NSA betreffen, scheint für jeden einigermaßen Medienkundigen ausgemacht, dass moderne Spionage im Wesentlichen eine Sache des Cyberspace geworden ist, oder, um in der Diktion der Branche zu bleiben: es gehe eben um SIGINT, also Signals Intelligence. (Nicht nur) für die Wirtschaftsspionage darf diese gefällige Aussage bezweifelt werden.

Zum einen, weil das Interesse an vertraulichen Informationen und Firmengeheimnissen auch Nachrich-tendienste anspornt, die eine ganz andere Hochachtung vor der Arbeit mit menschlichen Quellen ha-ben. Wer sich davon überzeugen möchte, sollte das Urteil des Stuttgarter Oberlandesgerichtes vom 2. Juli 2013 gegen ein russisches Spionage-Ehepaar sehr genau lesen, um zu begreifen, welchen Aufwand Dienste treiben, um Personen zur Wissensabschöpfung zu platzieren – und vor allem, mit welcher Weitsicht sie dabei vorgehen!

Ob die nebenstehende Geschichte bloß gut erfunden ist oder nicht (immerhin habe der Schreibmaschi-nenhersteller Olympia, so heißt es im SPIEGEL-Artikel weiter, auf Anfrage eine derartige russische Be-stellung bestätigt), sie zeigt, dass Geheimdienst-Profis jedenfalls die menschlichen Schwächen im Umgang mit Geheimnissen durchaus realistisch einzuschätzen wissen.

Dies gilt natürlich auch für die US-Dienste. Denn in der Hauszeitschrift der CIA, den „Studies in Intelli-gence“, ist im März diesen Jahres ein spannender Beitrag über Informantenrekrutierung im Wandel der Zeit erschienen (Randy BURKETT: Rethinking an old Approach. An alternative Framework for Agent Recruitment. From MICE to RASCLS. Studies in Intelligence, 57, 2013: 7-17).

Der Verfasser stellt dabei zwei Modelle der Agenten- oder Informanten-Führung gegenüber, die er jeweils in Akronymen skizziert: MICE vs. RASCLS – auf Deutsch also eine Geschichte von Mäusen und Schelmen!

MICE

Das englische Akronym MICE steht für die vier klassischen Buchstaben der Informantenrekrutierung:

Money: Geld ist nicht ganz unerwartet ein zentraler Motivator, um die Seiten zu wechseln. Jeden-falls haben das 104 Amerikaner, die während des Kalten Krieges als Spione für den Osten aufgeflo-gen sind1, so gesehen und in Geld und dem, was sie mit Geld erlangen konnten, die wesentliche Triebfeder für Ihre Agententätigkeit beschrieben.

Ideology: Überzeugung kann ein immens starker Motivator sein, wie die Geschichten unterschiedli-cher Whistleblower zeigen, die fast immer „Überzeugungstäter“ sind (so jedenfalls die Erfahrung des Verfassers aus der eigenen Beratungspraxis) und in der Verfolgung ihrer Ziele auch nicht davor zurückschrecken, sich selbst zu schaden, um dem als ungerecht oder unmenschlich empfundenen Widerpart die Maske vom Antlitz zu reißen.

Coercion or Compromise: über die Kompetenz derjenigen, die Wirtschaftsspionage betreiben, andere in Situationen zu bringen, die diese erpressbar machen, müsste eigentlich nicht mehr viel gesagt werden: zu offensichtlich scheint das Potential zu sein, das hier begraben liegt. Und den-noch: wissen Sie, was Ihre Vertriebler tatsächlich in Thailand oder auf den Philippinen machen? Nein, es ist nicht Ihre Aufgabe, als Moralapostel aufzutreten, aber, falls einer Ihrer Mitarbeiter mit Fotos vom Sex mit Minderjährigen erpresst wird, steht auch die Reputation Ihres guten Firmenna-mens in Frage!

Ego or Excitement: last but not least geht es um Thrill, das Abenteuer, mithin den guten alten Nar-zissmus! Ja, der Verfasser hat selbst solche Fälle erlebt, es gibt – auch in Deutschland, Menschen, die aktiv versuchen, Nachrichtendienste anzusprechen, einfach, weil sie sich davon einen „Kick“ ver-sprechen. Der CIA-Autor warnt wohl nicht ohne Grund davor, dass solche Informanten für die Diens-te erhebliche Führungsrisiken mit sich bringen, weil ihr Verhalten häufig volatil und risikobehaftet erscheint. Doch für den Unternehmensverantwortlichen gilt gleichermaßen die Frage: prüfen Sie in Ihren Rekrutierungsprozessen überhaupt systematisch, ob ein Bewerber ein „Persönlichkeitsrisiko“ aufweist?

1 Katherine L. Herbig, Changes in Espionage by Americans: 1947–2007, Department of Defense Technical Report 08-05, March 2008. During the initial 32 years of the study, 47 percent of the spies then active claimed to be in it for the money. That percentage grew among those revealed between 1980 and 1989 to 74 percent.

In der Ausgabe vom 11. Juli 2013 meldete DER SPIEGEL:

„Der Föderale Schutzdienst (FSO), der unter anderem für die Sicher-heit des Präsidenten und der Regierung zuständig ist, bestellte nach einem Bericht der Zeitung ‚Iswestija‘ 20 Schreibmaschinen. Besonders heikle Dokumente sollen demnach nur auf Papier und nicht auf elektronischen Datenträgern archiviert werden, um sie zu schützen. Üblich sei diese Praxis in Russland nicht nur in den Geheimdiensten, sondern auch im Verteidigungs- und im Zivilschutzministerium, sagte der frühere Chef des Inlandsgeheim-dienstes FSB, Nikolai Kowaljow, der Zeitung. Dem Bericht zufolge ist besonders das deutsche Modell Triumph-Adler Twen 180 bei den russischen Geheimdiensten be-liebt. Wichtig sei für die Sicher-heitsdienste, dass jeder Schreib-maschinen-Typ eine eigene ‚Sig-natur‘ habe - anders als etwa in Serienproduktion hergestellte Drucker.“

Bevor Sie ebenfalls ob der techni-schen Rückständigkeit zu lachen beginnen: Haben Sie für die wirklich wichtigen Informa-tionen in Ihrem Unternehmen eine ähnlich radikale Lösung zur Hand?

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RASCLS

Informantenwerber gehen mit der Zeit und so ist MICE mittlerweile dem erheblich differenzierteren RASCLS gewichen, ein Akronym, das sich der sozialpsychologischen Forschung über Einflussnahme und Überzeugung verdankt2. Um welche Bedeutung geht es bei diesen Buchstaben?

Reciprocitation: Reziprozität oder: damit Du von einem anderen einen Gefallen einfordern kannst, gibt ihm zuerst etwas. Damit man später den ganzen Arm bekommt, sollte man zuerst also bereitwillig den kleinen Finger reichen: „One of the easiest ways for a case officer to initiate and develop a relationship with a potential agent is to fill some small need the agent has revealed. Whether this is help with a visa, information on academic opportunities in the United States, or just advice on a minor problem, by the small gesture a case officer creates a sense of obligation.“ (Bur-kett, 2013: 14)

Authority: indirekte Machtsignale wirken am stärksten, wenn wir uns von Autorität, die andere für uns inszenieren, leiten lassen. Dieser Punkt ist eine ganz wesentliche Umkehrung der MICE-Prinzipien. In der alten Informanten-Welt konnten Sie sich fragen, ob der andere Kontrolle über sie hat, weil er etwas weiß, das Sie gerne vertraulich behandelt wissen wollen. In der Schelmen-Welt fragen Sie sich selbst: wo mache ich mich selbst abhängig, welche Signale lassen mich (ohne Grund!) einer anderen Person vertrauen?

Scarcity: Knappheit oder die Erzeugung der Illusion von Knappheit gehört zu den ganz starken Hebeln der psychologischen Einflussnahme: wenn Sie jetzt nicht entscheiden, ist die ganz große Gelegenheit vorüber, rufen Sie also JETZT an! Jenseits der fast schon ironischen Übertreibung, die das Knappheits-Argument im Verkaufsfernsehen erfährt, haben Sie wahrscheinlich alle schon Ver-handlungen erlebt, bei denen die andere Partei auf Knappheit gesetzt hat. Wie haben Sie reagiert?

Commitment and Consistency: für Menschen zählt in wichtigen Fragen nicht die Rationalität, son-dern ob sie sich selbst als überzeugend und widerspruchsfrei erleben. Kaum ein Informant wird als Agent geboren, aber im Nachhinein sehen sich viele Spione auf einer schiefen Ebene, die es nicht mehr erlaubt, „aufzuhören“, sondern auf der die ersten, völlig harmlosen Aktivitäten vom Infor-mantenführer später gezielt eingesetzt werden können, um die Person bei der Stange zu halten, wenn sich Skrupel zeigen. Und, glauben Sie mir, Menschen sind sehr gut darin, wenn Ihre Glaub-würdigkeit angezweifelt wird, beweisen zu wollen, dass sie keine „Umfaller“ sind. Und dann hat der Informantenführer die Person wieder an sich gebunden – elegant und durch Selbstbindung, eben nicht durch rohen Zwang!

Liking: überflüssig zu sagen, dass Sympathie wichtig ist und wie Kitt unsere sozialen Beziehungen zusammen hält. Nicht überflüssig ist es dagegen, zu unterstreichen, dass nicht jeder sympathisch daherkommende Geschäftspartner deshalb auch bereits ebenso sympathische Interessen verfolgen wird.

Social Proof: soziale Validierung oder einfacher gesagt, das Beispiel von Menschen in meiner direk-ten Umgebung ist Verhaltensprägend, nicht eine Konzernrichtlinie, die Leute herausgegeben ha-ben, die ich im Zweifelsfall gar nicht kenne. Was heißt das konkret? Nun, wundern Sie sich auch, warum über zehn Jahre nach dem in Deutschland die Bestechung ausländischer Amtsträger eine Straftat geworden ist, immer noch Verfahren unter Beteiligung von Exportverantwortlichen großer Unternehmen geführt werden, bei denen genau dieser Sachverhalt zum Tragen kommt? Man könn-te, wenn man wollte, diese Beobachtung wahrscheinlich recht gut mit diesem Prinzip und einer lange Jahren gepflegten Vertriebspraxis vor dem Jahr 2000 erklären … !

Moderne Prävention gegen Industriespionage

Sie werden in den vorgestellten Akronymen zweifellos eine ganze Reihe von Aspekten wiedererkannt haben, die Sie aus der modernen Vertriebspraxis kennen.

Und das ist auch gut so, denn es führt Ihnen vor Augen, dass Sie, wenn Sie tatsächlich pro-aktiv und wirksam Industriespionage vermeiden wollen, weit vor der Bunker-Mentalität aus Zugangskontrollen und IT-Policies anfangen müssen.

In der globalisierten Wirtschaft können Sie Ihr Unternehmen nur schützen, wenn Sie jeden einzelnen Mitarbeiter – vor allem im Ausland, aber sicher nicht nur dort – dafür qualifizieren, sich selbst zu schüt-zen!

Und das beginnt mit dem Wissen um die eigenen blinden Flecken und neuralgischen Motivations-Druckpunkte. Es geht also tatsächlich darum, den Menschen wieder in den Mittelpunkt der Unterneh-menssicherheit zu stellen.

Beginnen Sie heute damit: es lohnt sich!

2 Robert Cialdini, Influence: The Psychology of Persuasion (Quill/William Morrow, 1984). Das Buch liegt mittlerweile auch in mehreren deutschen Ausgaben vor und ist sehr lesenswert.

SECURITY. INTELLIGENCE. STRATEGY.

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Ihr Ansprechpartner:

Dr. Pantaleon Fassbender

Tel.: +49 89 4114717-00 [email protected]

Dr. Pantaleon Fassbender ist Führungskräfteentwickler/Coach und Experte für investigative Psychologie. Nach Promotion und wissenschaftlicher Tätigkeit ist er seit fast 20 Jahren als Unterneh-mensberater und psychologischer Krisenmanager für nationale und internationale Unternehmen tätig. In der Proteus Secur GmbH ist er verantwortlich für die Felder Investigative Psychologie und die psychologische Beratung von Krisenstäben.