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REGIO-KULTUR Dienstag, 17. November 2015 Martinu in Darien Foto: zVg n Von Jürgen Scharf Basel. „Meine Zeit wird kom- men“, prophezeite einst Gus- tav Mahler, der letzte Groß- Sinfoniker der klassischen Moderne. Jetzt dürfte endlich auch die Zeit von Bohuslav Martinu gekommen sein, dem tschechischen Kompo- nisten, der 1959 in Liestal starb und den der Dirigent Ernest Ansermet für den „größten Sinfoniker des 20. Jahrhunderts“ hielt. Zum 125. Geburtsjahr des Komponisten gelang den Martinu-Festtagen in Basel ein herausragender Coup. Das Eröffnungskonzert absol- vierte das London Symphony Orchestra, eines der weltweit führenden Spitzenorchester, und der Musiksaal im Stadt- casino war ausverkauft – kei- ne Selbstverständlichkeit bei einem fast reinen Martinu- Programm. Ein großes Ereig- nis also. Der künstlerische Leiter Robert Kolinsky war mit Recht dem Orchester für seine Offenheit dankbar. Offenbar zum ersten Mal konnte man in Basel gleich zwei Sinfonien Martinus live erleben. Der Dirigent des Abends, Tamás Hanus, war als Tscheche prädestiniert für die Musik Martinus. Hanus erweist den beiden 1943/46 in Amerika komponierten Sinfonien Nr. 2 und 5 den bestmöglichen Dienst, indem er ihre extrem große Aus- druckssphäre deutlich macht, die lichten pastoralen Mo- mente in der zweiten Sinfo- nie wie die emotionalen Aus- brüche in der fünften. Gleich im Kopfsatz der Zweiten erinnert Hanus da- ran, dass sein Landsmann an die sinfonische Tradition Dvoráks anknüpft (da passte die Zugabe, Dvoráks Slawi- scher Tanz Nr.13, denn auch perfekt!). Der Beginn zeigt einen böhmischen Tonfall, das wilde Scherzo folkloristi- sche Fröhlichkeit. Die Fünfte sodann, da ist Energieballung auf engstem Raum, teils bom- bastische Musik, aber auch – typisch Martinu – klagende Streicher. „Die Anfangstakte der Fünften klingen, als ob es gestern geschrieben wäre“, so der Dirigent, „als Echo für alle Leiden unserer Zeit“. Natürlich war es das Echo auf das Leid seiner Zeit, der von Martinu. Martinu hat zwar hier ein Zuhause gefun- den, im Grunde genommen war er aber ein Flüchtling. Diese „aktuelle“ Musik kommt aus dem Leiden des Menschen und aus „einem heldenhaften Herzen“. Eine schöne Geste, mit der Tomás Hanus an das Publikum ap- pellierte: „Wir brauchen die- se Musik, um uns zu stützen und Kraft zu geben“. Das London Symphony Or- chestra schöpfte das ganze Energiepotenzial dieser Mu- sik, vor allem ihre rhythmi- sche Impulsivität, in allen nur denkbaren orchestralen Va- leurs in einer schlicht gran- diosen Interpretation aus. Mit einer Orchesterbrillanz und einer Perfektion an allen Pulten, einem klanggesättig- ten, fülligen und samtigen Streichersound, glänzend dis- ponierten Holz- und Blech- bläsern, kurz: einem 1A-Or- chesterklang. Plastisch und von ungeheurer Dynamik, der aber auch wunderbare Einzelmomente (Soloflöte im langsamen Satz der zweiten Sinfonie) kennt. Soviel Authentizität für Martinu war fraglos dem temperamentvollen Dirigat von Hanus zu verdanken, der zum einen die stilisierte Fol- klore, den „heimatlichen Zug“ in der Musik Martinus herausgearbeitet hat, neben der tschechischen Atmosphä- re aber auch die Größe dieser Sinfonik mit ihren enormen Steigerungen und Ausbrü- chen herausstellt. Umso mehr noch, als das Weltklasse-Orchester die künstlerische Intention des Dirigenten mit kraftvollem Impetus umsetzte und damit die atemberaubende Wir- kung von Martinus Musik vor Ohren führte. Ein triumpha- ler Erfolg für die Londoner Gäste, den Dirigenten, die Festtage und für Bohuslav Martinu, dessen Zeit nun endlich angebrochen scheint. WEITERE INFORMATIONEN: n www.martinu.ch „Wir brauchen diese Musik“ Martinu Festtage vom London Symphony Orchestra eröffnet

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REGIO-KULTURNummer 266 Dienstag, 17. November 2015

Basel (sda). Die Newcomer-band „Serafyn“ hat den Bas-ler Pop-Preis 2015 gewonnen.Eine Fachjury wählte die vorzweieinhalb Jahren gegrün-dete Folk-Pop-Gruppe ausfünf nominierten Bands undMusikern der Basler Musik-Szene aus. Die Auszeichnungist mit 15 000 Franken do-tiert.

Serafyn hatte vor einemJahr als unbekannte Bandmit dem Song „Take To TheS-kies“ für Überraschung ge-sorgt. Nun setzte die nationalzusammengesetzte fünfköpfi-ge Jury das Quintett mit zweiCellos, einen Kontrabass,einer akustischen Gitarre unddrei weiblichen Stimmen aufden ersten Rang.

Für den Preis vorgeschla-gen waren neben Serafynauch der Singer-SongwriterBaum, die Punkrock-Band„Bitch Queens“, die HipHop-Formation „Brandhärd“, unddie Metal-Band Zatokrev.

Der Publikumspreis gingan Brandhärd. Die BaslerRapper-Matadoren erhielten1042 Stimmen. Insgesamtwurden im Online-Voting2778 Stimmen vergeben.

Verliehen wurde zudemzum zweiten Mal der mit5000 Franken dotierte„L’Unique“-Anerkennungs-preis. Die Auszeichnung gingan „ Pink Pedrazzi“, der seit1979 als Musiker und Singer-Songwriter aktiv ist.

Den „BusinessSupport“ fürregionale Musik-KMU erhieltdas Basler Indepent- Platten-label „Czar of Crickets“. Die-se Auszeichnung ist mit12 000 Franken dotiert.

Der Basler Pop-Preis wurde2009 geschaffen, um Musikerauf ihrem Weg auf den natio-nalen oder internationalenMarkt zu unterstützen. Verlie-hen wird er vom Rockförder-verein Basel (RFV).

Basler Pop-Preis geht an Folk-Pop-Gruppe „Serafyn“

n Von Walter Bronner

Lörrach. MelodiegesättigteRomantik in exquisiter Inter-pretation durften erfreulichviele Zuhörer am Sonntag-abend im Burghof genießen.Zwar schien das Programmmit Werken für Violoncellound Klavier von Schumann,Schubert und Brahms rechtkonventionell auszufallen,aber so perfekt dargebotenwie von Raphaël Merlin undGilles Vonsattel klangen die-se Perlen deutsch-österreichi-scher Hochromantik so tau-frisch, als hörte man sie zumallerersten Mal. Das Spiel desin jeder Phase vorzüglich mit-einander harmonierendenDuos bezauberte durch einenklangsinnlichen Kontrast-reichtum, der prächtigeKlangfülle und leises Flüs-tern ebenso wunderbar aus-kostete, wie Momente stür-mischen Vorwärtsdrängensund empfindsamen Zögerns.

Da waren zunächst die dreipoetischen Fantasiestücke op.73 von Robert Schumann, ur-sprünglich für Klarinette undKlavier geschrieben, in derebenfalls vom Komponisteneingerichteten Cello-Klavier-Fassung aber nicht minderbetörend schön und hier mitallen stimmungsmäßigenSchattierungen der Interpre-tations-Vorschriften „zartund mit Ausdruck“, „lebhaftleicht“ und „rasch mit Feuer“vollendet dargeboten. FranzSchuberts weiträumig ange-legte, im Kopfsatz an die

„Unvollendete“ anklingendeArpeggione-Sonate a-Moll,original für ein längst in derVersenkung verschwundenessechssaitiges Instrument mitGitarrestimmung kompo-niert, fand alsdann in derCello-Klavier-Transkription eine ebenfalls mustergültigeAusdeutung. Klangliche Dis-ziplin und bei aller Eleganzder Bogenführung und desfeinsinnigen pianistischenAnschlags absoluter Verzichtauf äußerlichen Hochglanzbewirkten intensiven Hörge-nuss.

Nach der Pause dann dievielgeliebte F-Dur-Sonatevon Johannes Brahms mitdem leichthändig eingefloch-

tenen „Ich-hab-mich-erge-ben“-Thema im Finalsatz.Auch deren Wiedergabe fas-zinierte durch das tadellosaufeinander abgestimmte Zu-sammenspiel, von leiden-schaftlichem Schwung undintensivem Erleben geprägteIntonation, wobei der Cellistsein Instrument auch in denhäufigen Passagen in tieferLage vollendet zum Klingenbrachte.

Die Zugabe für den freund-lichen Beifall war Mendels-sohns melancholisch durch-hauchtes „Lied ohne Worte“F-Dur, das Raphaël Merlinzugleich den Opfern derfürchterlichen Terror-An-schläge in Paris widmete.

Klangfülle und ZartheitKonzert | Ideale Schumann-, Schubert- und Brahms-Interpreten

n Von Gottfried Driesch

Lörrach. Das ÖkumenischeFestival der Kirchenmusik„Goldener Herbst“ endeteam Sonntag mit Perlen desBarocks. Die beiden Kirchen-musiker Johannes Lang(Stadtkantor der evangeli-schen Kirchengemeinde Lör-rach) und Andreas Mölder(katholische Seelsorgeeinhei-ten Lörrach und MittleresWiesental) wollten in diesemKonzert die Unterschiedeoder besser, die Gemeinsam-keiten der katholischen undevangelischen Kirchenmusikherausarbeiten. In der Tat ste-hen viele Kirchenlieder des16. bis 18. Jahrhunderts so-wohl im katholischen Gottes-lob wie im evangelischen Ge-sangbuch. Hier gibt es bereitslange eine praktisch vollzoge-ne Ökumene.

Lang und Mölder stelltenaus den 16 Rosenkranz-Sona-ten von Heinrich Ignaz FranzBiber zwei Stücke als Beispielkatholisch geprägter Musikvor. Gespielt wurden dieWerke von Johannes Langauf dem Cembalo und DóraSzilágyi auf der Barockvioli-ne. Klanglich harmoniertedie Violine mit dem Cembalotrefflich. Mit weichem, liebli-chem Klang untermauerteDóra Szilágyi das Klangbild,wie es zur Entstehungszeitder Sonaten gewesen seinmuss. Besonders das zweiteWerk „Sonata Decima“ überdie Kreuzigung war virtuosgeprägt, was beide Musiker

prächtig meisterten.Heinrich Schütz wurde erst

39 Jahre nach dem Tode vonMartin Luther geboren. DieTexte des Reformators hattenes Schütz so angetan, dass erzahlreiche seiner Texte ver-tonte. Das Ensemble VocalisFreiburgensis mit Aya Tsuji-moto, Sopran, Victor Radule-scu, Altus, Korbinian Krol,Tenor und Johannes Lang,Bass, sangen, von AndreasMölder auf der Truhenorgelbegleitet, das „Kyrie, Gott Va-ter in Ewigkeit“ und „Dasdeutsche Gloria in excelsis“.Da die Textzeilen der einzel-nen Stimmen zeitlich versetztgesungen wurden war es gut,dass die Texte im Programm-heft abgedruckt waren.

Vom Meister des Barock Jo-hann Sebastian Bach erklang,vom Cembalo gespielt, dieSonata a-moll, BWV 965, dieBach nach einer Vorlage der

Sonata prima von JohannAdam Reinkens geschaffenhat. Das Werk verfügt trotzvieler Läufe und Verzierun-gen über einen sehr ruhigenCharakter. Lang und Mölderspielten ferner die Triosonatein Es-Dur. BWV 525, auf demCembalo und der Truhenor-gel, bei der besonders derdritte Satz „Allegro“ einenstarken Eindruck hinterließ.

Beendet wurde das Konzertmit Ausschnitten aus derBach-Kantate „Christ lag inTodesbanden“, BWV 4. Inwechselnder Besetzung ge-stalteten die Künstler sechsTeile dieses Werkes.

Die Pfarrerin der Johannes-gemeinde, Susanne Bömers,ging zu Beginn des Konzertsauf die schrecklichen Ereig-nisse in Paris ein und widme-te gerade dieses letzte Werkden Opfern und deren Ange-hörigen des Terrorakts.

Mit starkem EindruckMusikfestival | Perlen der Barockmusik bei „Goldenem Herbst“

Mustergültige Romantiker-Interpreten: Gilles Vonsattel und Ra-phaël Merlin im Burghof Foto: Walter Bronner

Johannes Lang, Korbinian Krol, Victor Radulescu und Aya Tsuji-moto (v. links) war das Solistenquartett. Foto: Gottfried Driesch

Martinu in Darien Foto: zVg

n Von Jürgen Scharf

Basel. „Meine Zeit wird kom-men“, prophezeite einst Gus-tav Mahler, der letzte Groß-Sinfoniker der klassischenModerne. Jetzt dürfte endlichauch die Zeit von BohuslavMartinu gekommen sein,dem tschechischen Kompo-nisten, der 1959 in Liestalstarb und den der DirigentErnest Ansermet für den„größten Sinfoniker des20. Jahrhunderts“ hielt.

Zum 125. Geburtsjahr desKomponisten gelang denMartinu-Festtagen in Baselein herausragender Coup.Das Eröffnungskonzert absol-vierte das London SymphonyOrchestra, eines der weltweitführenden Spitzenorchester,und der Musiksaal im Stadt-casino war ausverkauft – kei-ne Selbstverständlichkeit beieinem fast reinen Martinu-

Programm. Ein großes Ereig-nis also. Der künstlerischeLeiter Robert Kolinsky warmit Recht dem Orchester fürseine Offenheit dankbar.

Offenbar zum ersten Malkonnte man in Basel gleichzwei Sinfonien Martinus liveerleben. Der Dirigent desAbends, Tamás Hanus, warals Tscheche prädestiniert fürdie Musik Martinus. Hanuserweist den beiden 1943/46in Amerika komponiertenSinfonien Nr. 2 und 5 denbestmöglichen Dienst, indemer ihre extrem große Aus-druckssphäre deutlich macht,die lichten pastoralen Mo-mente in der zweiten Sinfo-nie wie die emotionalen Aus-brüche in der fünften.

Gleich im Kopfsatz derZweiten erinnert Hanus da-ran, dass sein Landsmann andie sinfonische TraditionDvoráks anknüpft (da passte

die Zugabe, Dvoráks Slawi-scher Tanz Nr.13, denn auchperfekt!). Der Beginn zeigteinen böhmischen Tonfall,das wilde Scherzo folkloristi-sche Fröhlichkeit. Die Fünftesodann, da ist Energieballungauf engstem Raum, teils bom-bastische Musik, aber auch –typisch Martinu – klagendeStreicher. „Die Anfangstakteder Fünften klingen, als ob esgestern geschrieben wäre“,so der Dirigent, „als Echo füralle Leiden unserer Zeit“.

Natürlich war es das Echoauf das Leid seiner Zeit, dervon Martinu. Martinu hatzwar hier ein Zuhause gefun-den, im Grunde genommenwar er aber ein Flüchtling.Diese „aktuelle“ Musikkommt aus dem Leiden desMenschen und aus „einemheldenhaften Herzen“. Eineschöne Geste, mit der TomásHanus an das Publikum ap-

pellierte: „Wir brauchen die-se Musik, um uns zu stützenund Kraft zu geben“.

Das London Symphony Or-chestra schöpfte das ganzeEnergiepotenzial dieser Mu-sik, vor allem ihre rhythmi-sche Impulsivität, in allen nurdenkbaren orchestralen Va-leurs in einer schlicht gran-diosen Interpretation aus.Mit einer Orchesterbrillanzund einer Perfektion an allenPulten, einem klanggesättig-ten, fülligen und samtigenStreichersound, glänzend dis-ponierten Holz- und Blech-bläsern, kurz: einem 1A-Or-chesterklang. Plastisch undvon ungeheurer Dynamik,der aber auch wunderbareEinzelmomente (Soloflöte imlangsamen Satz der zweitenSinfonie) kennt.

Soviel Authentizität fürMartinu war fraglos demtemperamentvollen Dirigat

von Hanus zu verdanken, derzum einen die stilisierte Fol-klore, den „heimatlichenZug“ in der Musik Martinusherausgearbeitet hat, nebender tschechischen Atmosphä-re aber auch die Größe dieserSinfonik mit ihren enormenSteigerungen und Ausbrü-chen herausstellt.

Umso mehr noch, als dasWeltklasse-Orchester diekünstlerische Intention desDirigenten mit kraftvollemImpetus umsetzte und damitdie atemberaubende Wir-kung von Martinus Musik vorOhren führte. Ein triumpha-ler Erfolg für die LondonerGäste, den Dirigenten, dieFesttage und für BohuslavMartinu, dessen Zeit nunendlich angebrochen scheint.

WEITERE INFORMATIONEN:n www.martinu.ch

„Wir brauchen diese Musik“

Martinu Festtage vom London Symphony Orchestra eröffnet