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© Gerd Bohner 2001 IV. Ausgewählte Anwendungsgebiete der Sozialpsychologie 1. Was ist "angewandte Sozialpsychologie"? 2. Einige Forschungsgebiete angewandter SP 3. Gesundheitsverhalten 4. Bezug zu Grundprinzipien der SP

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IV. Ausgewählte Anwendungsgebiete der Sozialpsychologie

1. Was ist "angewandte Sozialpsychologie"?

2. Einige Forschungsgebiete angewandter SP

3. Gesundheitsverhalten

4. Bezug zu Grundprinzipien der SP

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1. Was ist "angewandte Sozialpsychologie"?• Definition: Angewandte Sozialpsychologie besteht in der

Anwendung sozialpsychologischer Methoden, Theorien oder Prinzipien auf Probleme in der Gesellschaft.

• Ziele: Erklärung, Vorhersage, Problemlösung

• Im Vergleich zur SP als Grundlagendisziplin:– Problemorientierung– Eklektizismus– Feldstudien statt Laborexperimente

• Lehrbuch: Schulz, P. W., & Oskamp, S. (2000). Social psychology: An applied perspective. Upper Saddle River, NJ: Prentice-Hall.

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2. Einige Forschungsgebiete angewandter SP• Gesundheit

– Beispiele: Soziale Faktoren im Umgang mit Stress; Änderung gesundheitsbezogenen Verhaltens (Rauchen; Ernährung usw.)

– relevante Konzepte der SP: wahrgenommene Kontrolle, Einstellungs-änderung, soziale Unterstützung

– Literatur: Stroebe, W. (2000). Social psychology and health. Buckingham, UK: Open University Press.

• Erziehung und Bildung– Beispiele: Vorurteile und schulisches Lernen; Lehrererwartungen und

Schülerleistung– relevante Konzepte der SP: Eigengruppe und Fremdgruppe;

Erwartung, Attribution und soziale Interaktion; Gruppenstruktur– Literatur: Aronson, E., & Patnoe, S. (1997). Cooperation in the

classroom: The jigsaw method. New York: Longman.

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• Marketing und Werbung – In Deutschland erst beginnende Institutionalisierung der Markt- und

Werbepsychologie. Lehrangebote z.B. in Münster [http://www.werbepsychologie-online.de] und Mannheim.

– Beispiele: Kaufentscheidungen; Markentreue; kann Werbung "unterschwellig" wirken?

– relevante Konzepte der SP: soziale Urteilsbildung, Persuasion, soziale Identität, Einstellungsfunktionen

– Literatur: Felser, G. (1997). Werbe- und Konsumentenpsychologie: Eine Einführung. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

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• Justiz– Beispiele: Entscheidungen von Geschworenen (v.a. in USA); Glaub-

würdigkeit von Zeugenaussagen; Fälle von Diskriminierung– relevante Konzepte der SP: Gruppenprozesse, Konformität, sozialer

Einfluss, Vorurteile– Literatur: Roesch, R., Hart, S. D., & Ogloff, J. R. P. (1999). Psychology

and law: The state of the discipline. New York: Kluwer Academic / Plenum.

• Umfrageforschung– Beispiel: Anwendung von Erkenntnissen aus dem "social cognition"-Ansatz

auf den Frage-Antwort-Prozess– relevante Prinzipien der SP: Priming, Verarbeitungstiefe– Literatur: Sudman, S., Bradburn, M. N., & Schwarz, N. (1996). Thinking

about answers: The application of cognitive processes to survey methodology. San Francisco: Jossey-Bass.

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• Umwelt– Beispiele: Einfluss von Umweltbedingungen (Lärm, Crowding usw.)

auf soziales Verhalten (Aggression, Hilfe etc.); Änderung umwelt-bezogenen Verhaltens (Abfallvermeidung, Energieverbrauch usw.)

– relevante Konzepte der SP: Emotionen, Einstellungen, sozialer Einfluss, Einstellungs-Verhaltens-Konsistenz

– Literatur: Bell, P. A., Greene, T. C., Fisher, J. D., & Baum, A. (2001). Environmental Psychology (5th ed.). Albany, NY: Harcourt College Publishers.

• Organisationen– Beispiele: Führung, Organisationsentwicklung– relevante Konzepte der SP: Gruppenprozesse, Persuasion, sozialer

Einfluss– Literatur: Weinert, A. B. (1998). Organisationspsychologie (4. Aufl.).

Weinheim: Beltz.

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3. Gesundheitsverhalten• Gesundheitspsychologie in Deutschland: Seit 1992 Fachgruppe

in der DGPs; seit 1993 Zeitschrift für Gesundheitspsychologie

• Häufig untersuchte Gesundheitsrisiken: Verhalten; Stress (s. Lehrbuch Kap. 16)

• Verhalten und Gesundheit– Befund: Gesundheitsbezogene Verhaltensweisen sind gute

Prädiktoren für Langlebigkeit (Längsschnittstudie von Breslow & Enstrom, 1980)

– Theorien: Health-Belief-Modell; Theorie der Schutzmotivation

Beide betonen subjektive Überzeugungen als Ursachen für gesundheitsrelevantes Verhalten Interventionsmöglichkeit durch persuasive Kommunikation

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Health Belief Modell

• Soll erklären, warum Menschen es unterlassen, sich an präventive Maßnahmen zu halten

• Konzentriert sich auf gesundheitsbezogene Kognitionen (Bestimmungsfaktor für Gesundheitsverhalten, demographische Merkmale lassen sich nicht beeinflussen)

• Überzeugungen beziehen sich auf: Anfälligkeit, Schwere, Nutzen von Empfehlungen, Barrieren

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Bewertung

• Keine Regeln bezüglich der Kombination der Prädiktoren (wenn z.B. Anfälligkeit als Null betrachtet wird, bleibt Gesundheitsverhalten aus)

• Gesundheitsförderndes Verhalten kann auch andere Ursachen haben (Kontakte, gut aussehen, sozialer Druck)

• Selbstwirksamkeit und Verhaltenskontrolle fehlen• Nichtberücksichtigung der Verhaltensabsicht, die

zwischen Überzeugungen und Verhalten vermittelt

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• Theorie der Schutzmotivation (z.B. Rogers & Mewborn, 1976)

Quelle: Stroebe, Hewstone & Jonas, 2002

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• Ursprünglich Erklärung für die Wirkung Furcht erregender Kommunikation (Furchtappell und Handlungsempfehlung); später generelles Handlungsmodell

• Bewertung / Kritik:– Verrechnung der Komponenten nicht völlig klar– wichtige Erweiterung gegenüber "health belief model":

Selbstwirksamkeit– 2 Bewertungsaspekte (Bedrohung, Bewältigung) analog zur

Stressforschung– Verhaltensabsicht (nicht Verhalten) als vorherzusagendes

Kriterium (vgl. Ajzens Theorie des geplanten Verhaltens)– Problem: Personen gehen nicht immer so "rational" vor

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• Empirie:– Studien zu vielfältigen Problemstellungen, z.B. Rauchen,

Benutzung von Kondomen, Selbstabtastung der Brust– Insgesamt gute Belege für Vorhersage von Verhaltensabsicht

aus Modellkomponenten– Schwere der Bedrohung empirisch meist weniger bedeutsam

als Verletzlichkeit und Selbstwirksamkeit

• Vergleich zwischen Theorien:– Theorie der Schutzmotivation besser als HBM, aber etwas

weniger erfolgreich als Ajzens Theorie des geplanten Verhaltens (s. Lehrbuch Kapitel 8).

– Generelles Problem: Bildung einer Verhaltensabsicht allein genügt oft nicht zur langfristigen Aufrechterhaltung des neuen Verhaltens

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• Phasenmodelle der Veränderung– verschiedene Ansätze– nach erstmaliger Entscheidung, Verhalten zu ändern,

schließen sich weitere Phasen an: Handlung; Aufrecht-erhaltung des Verhaltens

– These: Inteventionen sollten den Erfordernissen der jeweiligen Phase angepasst sein (z.B. Stärkung von Fähigkeiten und Selbstwirksamkeit zur Förderung der Aufrechterhaltung).

– korrelative Befunde im Einklang mit diesen Überlegungen

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• Interventionsstrategien: 2 Ansätze

1. Veränderung der Anreizstruktur– Erhöhung der Kosten gesundheitsschädlichen Verhaltens (z.B.

Tabaksteuer; Strafe für Nichtanlegen von Sicherheitsgurten)– Erhöhung der Anreize für gesundheitsförderliches Verhalten

(z.B. Beitragsreduktion in Krankenversicherung bei Teilnahme an Präventionsmaßnahmen)

– Probleme: • "Stabilisierung" des Verhaltens (z.B. Automatisierung bei

wiederholter Ausführung unter stabilen Umweltbedingungen);• Wenn keine Einstellungsänderung erfolgt, müssen Sanktionen

dauerhaft aufrecht erhalten werden.

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2. Persuasion– Häufig eingesetzt: Furcht erregende Kommunikation (Ziel:

Änderung der subjektiven Anreizstruktur)– Problem: Balance zwischen Stärke der Bedrohung und

Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen– Chaikens HSM: Furchtkommunikation hat 2 Effekte:

• Erhöhung der Verarbeitungsmotivation (ungerichtet)• Anregung eines Verteidigungsmotivs (selektiv auf Beibehaltung

der ursprünglichen Einstellung ausgerichtet); Folgen: "defensive inattention" / "defensive counterarguing"

– Befund: Angehörige einer Risikogruppe lassen sich von denselben Argumenten weniger überzeugen und finden mehr Fehler in der Argumentation als andere Personen; höhere Bedrohlichkeit führt für beide Gruppen zu mehr Einstellungs-änderung (Liberman & Chaiken, 1992).

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– Belege für Persuasionseffekte im Feld:• Kampagnen gegen das Rauchen (v.a. in USA) – aber: Kausalität

unklar; Alternativerklärung Preiserhöhungen• Kontrollierte Interventionsstudien zum Gesundheitsverhalten

("Nordkarelien-Projekt"; "Stanford Three Community Study")• Oft nur geringe Effekte. Problem: Kampagne muss auf die

entscheidenden Faktoren zugeschnitten sein (Beispiel Kondom-verwendung: Bedrohlichkeit von AIDS weniger wichtig als Selbstwirksamkeit)

• Kampagnen bringen keine Ergebnisse, wenn Personen bereits über schädigende Wirkungen (z.B. von Rauchen) Bescheid wissen, dann sollten sie auf Selbstwirksamkeit abzielen

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Stress und Gesundheit

• Stress: wenn die Anforderungen der Umwelt die adaptive Kapazität stark in Anspruch nehmen oder übersteigen, dies führt zu psychologischen und biologischen Veränderungen, die Krankheiten auslösen können

• (ungewichtete) Anzahl negativer Lebensereignisse steht mit schlechtem Gesundheitszustand in Zusammenhang

• Zusammenhang geht nicht nur auf Berichterstattung zurück: auch bei objektivierbaren Ereignissen (Tod des Partners)

• Bewertung über Belastung und Bewältigung• Problem- und emotionszentrierte Bewältigung• Bewältigungsressourcen: Eigenschaft der Person oder der Umwelt

(soziale Unterstützung)

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• Stress beeinflusst Gesundheit über Physiologie oder indirekt durch Verhalten

• Moderatorvariablen Zwischen Stress und Gesundheit: problemzentrierte Strategie, keine vermeidende Bewältigung, Offenheit, Optimismus, soziale Unterstützung (Pufferhypothese); bei funktionalen Maßen Interaktionseffekt, bei strukturellen (Anzahl der Bekannten) nur Haupteffekte

• Prozesse der Wirkung: andere Bewertung des belastenden Ereignisses, Verbesserung der Bewältigung

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4. Bezug zu Grundprinzipien der SP

• Soziale Konstruktion der Realität: Nicht objektive Gefahren, sondern subjektive Bewertung von Bedrohung, Bewältigungs-fertigkeiten etc. bestimmen das Gesundheitsverhalten.

• Universalität sozialer Einflüsse: Eine Vielzahl gesundheitlicher Variablen (einschl. physiolog. /endokrinolog. Werte) sind von sozialen Einflüssen abhängig.

• Motive: Wichtig sind Kontrollmotiv (Selbstwirksamkeit bei Verhaltensänderung), Motiv der Verbindung mit anderen (soziale Unterstützung), Motiv des Selbstwerterhalts (z.B. defensive Verarbeitungsstrategien).

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• Verarbeitungsprinzipien: Anwendung von Persuasions-theorien auf Einstellungen und Verhalten im Gesundheits-bereich verdeutlicht Rolle der Zugänglichkeit relevanter Informationen (Heuristiken) und der Verarbeitungstiefe (systematische Verarbeitung bei Furcht). Konservatismus zeigt sich in der Resistenz von problematischem Verhalten (z.B. Rauchen) gegen Änderung.