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Nr. 40 / Mai 2002 ISSN 1430-0427 Integratives Arbeitstraining Geschwister von Kindern mit Down-Syndrom Typisch Down-Syndrom? Sturheit, Rituale, Zeitprobleme Das Karlstad-Modell – Sprachfördermethode aus Skandinavien Das Frostig-Programm Hauterkrankungen Leben mit

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Nr. 40 / Mai 2002ISSN 1430-0427

Integratives Arbeitstraining

Geschwister von Kindern mit Down-Syndrom

Typisch Down-Syndrom?Sturheit, Rituale, Zeitprobleme

Das Karlstad-Modell – Sprachfördermethodeaus Skandinavien

Das Frostig-Programm

Hauterkrankungen

Leben mit

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E D I T O R I A L

Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 1

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

nun liegt schon die vierzigste Ausgabe derZeitschrift „Leben mit Down-Syndrom“ vor Ihnen.Als ich 1989 den ersten Rundbrief für die Mit-glieder der Selbsthilfegruppe zusammenstellte,ahnte ich nicht, in welche Richtung sich daseinmal entwickeln würde! Heute ist das Blatt eineder führenden Down-Syndrom-Fachzeitschriften

in Europa, ja sogar darüber hinaus! Wie uns Professor Juan Perera,Präsident der European Down Syndrome Association, kürzlich ineinem Brief schrieb: “ … to congratulate you and your work, andvery especially on the magazin that you publish, which is withoutany doubt one of the best magazins on Down Syndrome publishedanywhere in the world. …“ (Seite 3).

Anfang dieses Jahres starb Professor Dittmann, darüber sind wirsehr traurig. Er war uns von Anfang an ein Wegbegleiter. EinenNachruf auf Prof. Dittmann finden Sie auf Seite 34.

Ines Boban und Andreas Hinz berichten über das integrativeArbeitstraining – ein noch sehr neuer Bereich in der Integrations-pädagogik –, der aber unbedingt ausgebaut werden muss. Immermehr Jugendliche mit Down-Syndrom stehen nach der integrativenSchulzeit vor der Frage: Wie geht es weiter? Sie brauchen auf demWeg ins Berufsleben die richtige Begleitung. Marco Huber hat denSprung in die normale Arbeitswelt geschafft – der 27-Jährige arbei-tet seit vielen Jahren als städtischer Angestellter.

Frau Wilken berichtet von einer kleinen Studie, die sie unterGeschwistern von Kindern mit Down-Syndrom durchgeführt hat. Siewürde sich freuen, wenn sich mit dem beiliegenden Fragebogennoch weitere Geschwister an der Studie beteiligen. ZumGeschwisterthema fand ich noch eine schöne Geschichte in derGegenwartsliteratur. Lesen Sie „Die Rätsel der Milchstraße“ vonJan Kjærstad (Seite 10).

Diese Ausgabe bringt Ihnen das Marianne-Frostig-Programm nahesowie das schwedische Karlstad-Modell, eine Methode zur Sprach-förderung, die in den skandinavischen Ländern sehr beliebt ist.

Sturheit, Rituale und mangelndes Zeitgefühl gehören dieses Malaußerdem zu den Themen und auf den medizinischen Seiten gehtes unter anderem um Hauterkrankungen.

Herzlich Ihre

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I N H A L T

2 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

AktuellesNachrichten aus dem Deutschen Down-Syndrom InfoCenter................................3Deutsche Down-Syndrom-Wochen 2002 ..............................................................3Neue Publikationen.............................................................................................. 4

FamilieGeschwister von Kindern mit Down-Syndrom .................................................... 6Die Rätsel der Milchstraße..................................................................................10

ArbeitDas integrative Arbeitstraining ..........................................................................12Marco – der Mann mit der Krawatte ..................................................................16

MedizinHauterkrankungen – Syndrom-spezifisch? ........................................................20Medizinische Kurzmeldungen ............................................................................23

PsychologieTypisch Down-Syndrom?....................................................................................24Rituale – Richtschnur und Reizthema ................................................................24Positive Rituale und Lebensqualität ....................................................................27Ich habe meine eigene Zeit ................................................................................29Ein bisschen stur kann nicht schaden ................................................................31Affektive Störungen und Down-Syndrom ..........................................................33

PersonenNachruf auf Prof. Dr. Werner Dittmann..............................................................34Ich bin anders ....................................................................................................35

FörderungDas Frostig-Programm ......................................................................................36Ein unbegrenztes Spielebuch..............................................................................39Evaluationsstudie „Kleine Schritte“ ....................................................................41Karlstad-Modell – Sprachfördermethode aus Skandinavien................................42

Publikationen 45

Erfahrungsbericht / LeserpostHi, ich bin Marvin .............................................................................................. 46Schwerpunktkur Down-Syndrom ......................................................................47Drei Monate mit Marco ......................................................................................50Geburtsanzeigen ................................................................................................52Leserbrief Integration ........................................................................................54Lernspielsammlung ............................................................................................55Ausstellung in Wolfenbüttel ................................................................................56

Veranstaltungen Termine usw. ....................................................................................................58

Bestellungen / Vorschau / Impressum ............................................................59

Titelbild: Marco Huber

Foto: Andreas Reeg

Foto Rückseite:

Plakatmotiv aus der Hexal-Kampagne

2002 „Für eine bessere Zukunft“

Albin Jonathan ist wieder da!

Die Nachfrage nach diesem Kinderbuch ist so groß,

dass wir den Albin neu aufgelegt haben. Ab sofort

ist das Buch wieder beim Deutschen Down-Syndrom

InfoCenter erhältlich.

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A K T U E L L E S

Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 3

Nachrichten aus demDeutschen Down-SyndromInfoCenter

Thema der Deutschen Down-Syndrom-Wochen 2002:

Menschen mit Down-Syndrom –Künstler und Lebenskünstler

Jahr anlässlich der Deutschen Down-Syndrom-Wochen einige unserer Infor-mationsmaterialien verbilligt an.

Vielleicht haben Sie (Lebens)künst-lergeschichten auf Lager? Schicken Sieuns doch welche zu, wir sammeln sie fürdie Septemberausgabe von Leben mitDown-Syndrom! Und Fotos auch!

Kein Aktionsbuch über Down-Syndrom-Wochen

Es war geplant und auch schon hier inder Zeitschrift angekündigt, dass wir einso genanntes „Aktionsbuch“ zusam-menstellen wollten, mit Berichten überAktionen, die in den Down-Syndrom-Wochen zwischen 1996 und 2001 statt-gefunden hatten. Eine Dokumentationund ein Ideenfundus zur Anregung.

Nun müssen wir leider einen Rück-zieher machen. Nicht weil wir nichtgenügend „Stoff“ hätten für ein solchesBuch. Nein, das Ganze ist eine Kosten-frage. Das Heraussuchen, Zusammen-stellen, Einscannen hunderter von Zei-tungsartikeln, Bildern, Briefen und Be-richten ist eine enorm zeit- und deswe-gen auch kostenaufwendige Angelegen-heit. Außerdem kommt die Produktionsehr teuer, da die Auflage eines solchenBuches nicht so groß sein kann. Nunmussten wir leider Abstand nehmen vondiesem Projekt.

Aktionsübersicht kostenlos erhältlich

Aber so ganz untergehen lassen möch-ten wir die Idee dann doch nicht. Wirhaben nun eine kleine Übersicht mitguten Aktionsideen für Sie zusammen-gestellt. Diese kostenlose Übersicht(DIN-A3-Blatt) kann bei uns angefordertwerden. Wir schicken sie Ihnen gernezu.

Herzlichen Dank allen, die uns Ma-terial zuschickten. Auch wenn wir keinBuch gestaltet haben, werden alle Be-richte bei uns im Archiv aufbewahrt.Und vielleicht konnten wir Ihre Anre-gungen in die Aktions-Übersichtslistemit aufnehmen.

Wir möchten dieses Mal den Men-schen mit Down-Syndrom als

Künstler, aber auch als Lebenskünstlerin den Mittelpunkt stellen. Denn auchwenn nicht jeder Mensch mit Down-Syndrom ein Künstler geworden ist, dieFähigkeit, das Leben zu genießen, ha-ben die allermeisten von ihnen – Le-benskünstler sind sie alle!

Wir meinen, dass dieses Themaganz bestimmt ein sehr Ergiebiges istund sicherlich auch einfacher zu ver-mitteln als das Thema „Pränatale Dia-gnostik“, das wir letztes Jahr gewählthatten. Dabei sind durchaus Zusam-menhänge herzustellen. Die einen be-haupten, Menschen mit Down-Syndromwären nicht in der Lage, das Leben zugenießen, sie wären des Lebens nicht„würdig“, und so gesehen haben diePränatale Diagnostik und die Konse-quenzen für das Ungeborene mit einerTrisomie 21 ihre Berechtigung.

Während also die einen dies be-haupten, beweisen uns Menschen mitDown-Syndrom jeden Tag wieder genaudas Gegenteil. Gerade sie können dasLeben in vollen Zügen genießen, trotzihrer oft nicht einfachen Situation. Siesind Künstler – Lebenskünstler eben.

Was bedeutet das für den Aktions-monat? Ihre Aktivitäten können sich umgroße und kleine Menschen mit Down-Syndrom drehen, die als Künstler tätigsind, die malen oder töpfern, die schrei-ben oder zeichnen, die Theater spielenoder Musik machen, die tanzen odersingen.

Aber auch um alle, die das Leben ge-nießen, die kleinen und großen Gour-mets, die Musikliebhaber und Opern-fans, die Kinogänger und die Ausflüglerusw.

Bei Drucklegung dieser Zeitschriftwaren unsere Vorbereitungen für einpassendes Aktionsposter noch nicht ab-geschlossen, das finden Sie auf einemExtra-Blatt, das dieser Ausgabe beiliegt,zusammen mit einem Bestellschein.Hiermit können Sie u.a. das Poster be-stellen. Wir bieten außerdem wie jedes

Lob für „Leben mitDown-Syndrom“

„I am delighted to be able tocongratulate you and yourwork, and especially on themagazin that you publish,which is without any doubtone of the best magazins onDown Syndrome publishedanywhere in the world. Therelevance of the issues it rai-ses, the technical rigour of itsarticles and the presentationand photography set an ex-ample for those of us whowork in this disability sector.“

Juan PereraPräsident der European DownSyndrome Association

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4 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Neue Publikationen aus dem InfoCenter

Tipps für Lehrer

Nun ist sie endlich fertig, unsere kleineBroschüre für Lehrer und Lehrerinnender Regelschule, die in ihren Klassen einKind mit Down-Syndrom unterrichtenoder unterrichten möchten (hoffentlichwird die schulische Integration auch inDeutschland zum Normalfall).

Bedürfnis aus der Praxis entstanden

Das Anliegen, eine solche Broschüre zu-sammenzustellen, hatten wir schon lan-ge. Nachdem es ja schon seit vielen Jah-ren eine Broschüre für Erzieherinnenim Kindergarten gibt, sollte die Reihefortgesetzt werden mit einer ähnlichenPublikation für die Schule. Eine Anfragenach einer kleinen, handlichen Über-sicht über die Lernbesonderheiten derKinder, die wir vom Personal einer inte-grativ arbeitenden Montessorischule be-kamen, war dann der direkte Anlass.Die Schule benötigte eine solche Über-sicht, damit neue Lehrer oder auchFachlehrer, die nur stundenweise an

der Schule unterrichten, sowie Prakti-kanten usw. wenigstens eine erste In-formation über die Arbeit mit den Kin-dern mit Down-Syndrom bekommen.Sie sollten bei ihrer jeweiligen „Premie-re“ in einer integrativen Umgebungnicht ganz unvorbereitet dastehen. Wirgehen davon aus, dass dieses Bedürfnisauch an anderen Schulen besteht. Ausdem Ausland kennen wir ebenfalls Bei-spiele solcher Kurzinformationen fürLehrer, die dort schon seit Jahren üblichsind.

Für die Lernbesonderheiten sensibilisieren

Diese Broschüre informiert über eineReihe Lernbesonderheiten, die bei Kin-dern mit Down-Syndrom festgestelltwurden und im Unterricht beachtetwerden sollen, z.B. das schlechte audi-tive Kurzzeitgedächtnis, die Notwendig-keit der visuellen Unterstützung, die po-sitive Erwartungshaltung oder das Prin-zip des fehlerfreien Lernens. Auch The-men wie Vermeidungsstrategien, die sogenannte Sturheit und das andere Zeit-gefühl werden angesprochen. Die Bro-

schüre zeigt diese Schwierigkeiten nichtnur auf, sie zeigt auch Strategien auf, diezur Problemlösung beitragen können.Allgemeinrezepte gibt es selbstver-ständlich nicht, trotzdem können Lehrerhier wertvolle Tipps für den Umgang mitdieser Schülerschaft finden. Undmanchmal ist es auch schon hilfreich,wenn man für die Lernprobleme derKinder sensibilisiert ist.

Auch für die schon erfahrenen Inte-grationslehrer ist diese Broschüre si-cherlich interessant. Ganz besondersmöchten wir sie auch Pädagogen, derenArbeitsfeld die Sonderschule ist, emp-fehlen, sicherlich können sie ebenfallsdavon profitieren. Eltern haben mit die-ser Lektüre eine kleine Argumentati-onshilfe, die sie bei Besprechungen inder Schule, wenn es um mehr Ver-ständnis für ihre Tochter oder ihrenSohn geht, einbringen können.

Die Broschüre umfasst 36 Seiten. DieFotos wurden in der Montessori-Grund-und -Hauptschule in Lauf aufgenom-men, die zurzeit von sechs Kindern mit Down-Syndrom besucht wird. Die Bro-schüre kostet 5 Euro.

Die Broschüre „Das Kind mit

Down-Syndrom in der Regel-

schule“ kostet Euro 5,– und

kann mit dem beiliegenden

Bestellschein beim Deutschen

Down-Syndrom InfoCenter

angefordert werden

Die neue Übersicht mit allen Publikatio-

nen des Deutschen Down-Syndrom

InfoCenters liegt dieser Ausgabe der

Zeitschrift bei. Hiermit können Sie diese

und eine Reihe anderer Publikationen

bestellen. Die Preise gelten ab sofort bis

zum Erscheinen der nächsten Bestellliste

im Frühling 2003.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 5

Neue Förderhefteaus dem Programm„Kleine Schritte“

Nachdem im Sommer 2001 das Früh-förderprogramm Kleine Schritte auf denMarkt kam, sind nun auch die weiterenFörderhefte Nummer 9, 10 und 11 fer-tig gestellt. Diese Bücher ersetzen dieMacquarie-Hefte, die uns zehn Jahre be-gleitet haben. Sie wurden damals vonFrau Dr. Barbara Oberwalleney heraus-gegeben und waren vielen tausend Fa-milien eine Hilfe bei der Förderung ih-rer Kinder. Nun sind die Hefte teilweiseneu übersetzt, ergänzt, völlig überarbei-tet und in das gleiche Layout wie dieübrigen Hefte des Förderprogrammsgebracht.

Kleine Schritte Buch 9 Frühes Lesenlernen

Frühes Lesen enthält die Methode desLesenlernens, wie sie vom Macquarie-Institut entwickelt wurde (diese ent-spricht auch der Methode, die wir vonSue Buckley aus Portsmouth kennen).Außer der Beschreibung dieses Lese-programms, das nach einem Lottover-fahren vorgeht, enthält das Heft vieleAnregungen und nützliche Tipps, umdas Lesen mit dem Kind zu üben.

Frühes Lesenlernen50 Seiten, mit 15 Fotos, Preis: Euro 12.–

Kleine Schritte, Buch 11Zahlen und Zählen

In Buch 11 finden Sie Aufgaben, um dasmechanische Zählen von eins bis zehnzu üben sowie das Abzählen von einembis zu zehn Gegenständen. Die Zahlenund das Zuordnen, Auswählen und Be-nennen von Zahlen werden geübt. Dabeiwird nach der gleichen Methode vorge-gangen wie beim frühen Lesenlernen.

Zahlen und Zählen36 Seiten, Preis: Euro 7,–

Kleine Schritte, Buch 10Zeichnen und die Vorbereitung aufdas SchreibenMit den Übungen in diesem Buch kön-nen Sie Ihr Kind auf den Schreibunter-richt in der Schule vorbereiten. Anfan-gen kann man mit diesem Programm,

Diagnose Down-Syndrom.Was nun?Die Sonderausgabe Diagnose Down-Syndrom. Was nun? gehörte von Anfangan (die erste Auflage erschien 1996) zuunseren gefragtesten Publikationen. Sieliegt außerdem jeder Erstinformations-mappe bei.

Wir haben dieses Heft aktualisiertund neu aufgelegt. Eine Reihe neuer Ar-tikel wurde mit aufgenommen, einige äl-tere ersetzt. Die vierte Auflage zählt 16Seiten mehr und das Besondere daran,sie ist durchgehend vierfarbig!

Das Heft behandelt Themen, die inden ersten Jahren nach der Geburt ei-nes Kindes mit Down-Syndrom wichtigsind, wie Stillen, Krankengymnastik,Frühförderung oder Sauberkeitserzie-hung. Selbstverständlich gibt es Infor-mationen über das neue Frühförderpro-gramm Kleine Schritte und über GuK,die Gebärden-unterstützte Kommunika-tion. Es werden verschiedene Therapi-en vorgestellt, wichtige medizinischeThemen, aber auch z.B. Geschwisterbe-ziehungen angesprochen. Erfahrungs-berichte über Kinder und Jugendlichemit Down-Syndrom fehlen nicht.

Diagnose Down-Syndrom. Was nun?96 Seiten, vierfarbig mit 70 FotosPreis: Euro 12,–

Extra-GuK-Karten-material erhältlichSerie AHaben Sie zu Hause schon einen Kastenmit GuK-Karten? Möchten Sie damitgern auch Zuordnungsübungen machenoder ein richtiges Memory spielen?Dann brauchen Sie zusätzlich Doppelt-karten. Wir haben aus dem Kartenma-terial Bild- und Wortserien zusammen-gestellt, die man dazu benutzen kann,und bieten diese Kartenserien an, so-lange unser Vorrat reicht.95 Wortkarten und 55 BildkartenPreis: Euro 18,50 (incl. Versand)

Serie BFür diejenigen, die noch keinen GuK-Kasten haben, aber das Zusatz-Materi-al verwenden wollen als Memoryspieloder als Material zum frühen Lesenler-nen (Zuordnungsübungen etc.), bietetsich Serie B an, wobei alle Karten alsWort und Bild einmal vorhanden sind.52 Wortkarten und 52 BildkartenPreis: Euro 15,– (incl. Versand)

Serie CUnd dann bieten wir noch Bildkarten anmit Leerkarten zum Selber-Beschriften. 58 Bildkarten plus 58 LeerkartenPreis: Euro 12,50 (incl. Versand)

Bestellblatt anfordern

Wenn Sie wissen möchten, welcheWort- und Bildkarten jeweils in Serie A,B oder C enthalten sind, rufen Sie unsan. Wir faxen oder schicken Ihnen gerneine Übersicht und ein Bestellblatt zu.

sobald das Kind in der Lage ist, mit ei-nem Stift umzugehen, kurze Anweisun-gen versteht, über eine kurze Zeitspan-ne sich auf eine Aufgabe konzentrierenkann. Die Übungen umfassen das Nach-zeichnen von senkrechten Strichen bishin zum Nachmalen einfacher Buchsta-ben.

Zeichnen und die Vorbereitung auf dasSchreiben24 Seiten. Preis: Euro 7,–

Die drei Bücher zusammen kosten Euro25,– (statt Euro 28,– bei Einzelkauf). Be-stellschein liegt dieser Zeitschrift bei.

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6 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Geschwister von Kindernmit Down-Syndrom

Etta Wilken

Verschiedene Untersuchungen zurFamiliensituation von Kindern mit

Down-Syndrom – nicht nur in Deutsch-land – zeigen, dass hinsichtlich der An-zahl der Kinder diese Familien größersind. Während es in der Gesamtbevöl-kerung heute relativ viele Einzelkindergibt, wachsen Kinder mit Down-Syn-drom selten ohne Geschwister auf. Soergab eine Schweizer Untersuchung zurFamiliensituation von Kindern mit Down-Syndrom im Vergleich mit durch-schnittlichen Familien: „Es gibt wenigerEinzelkinder mit Down-Syndrom, etwasweniger Zwei-Kind-Familien, dafür deut-lich häufiger Familien mit drei undmehr Kindern“ (JELTSCH-SCHUDEL,1999, 57). Auch eine japanische Unter-suchung kommt zu einem entsprechen-den Ergebnis. Danach war das Kind mitDown-Syndrom in 40 % der Familiendas erste Kind, in 48 % das zweite; 40 %der Familien hatten nach der Geburt ei-nes Kindes mit Down-Syndrom nochweitere Kinder. Die durchschnittlicheKinderzahl betrug 2,3 (TATSUMI-MIYA-JIMA, 1997). Auch in einer ReutlingerBefragung lag der Anteil der Drei-Kind-Familien bei 21 % im Gegensatz zu dendurchschnittlichen 9 % in anderen deut-schen Familien (KLATTE-REIBER,1997, 198).

Auch eigene Erhebungen (vgl. WIL-KEN, 1999 und 2001) bestätigten dieseErgebnisse. Danach hatten 42 % der Fa-milien zwei Kinder und 23 % drei Kin-der. Insgesamt betrug die Anzahl derKinder in den Familien 1 bis 9 Kinder.Kinder mit Down-Syndrom waren bei42 % der Familien die ersten und bei 37 % die zweiten Kinder.

Die meisten Kinder mit Down-Syn-drom wachsen mit Geschwistern auf

Daraus ergibt sich für die Familiensi-tuation von Kindern mit Down-Syn-drom, dass die meisten Kinder mit Ge-schwistern aufwachsen und dass auch

die Stellung in der Geburtenfolge derKinder keine wesentlichen Abweichun-gen aufweist. Durch diese normale Ein-bindung der Kinder mit Down-Syndromin ihre Geschwisterreihe – selbst wennsie die Jüngsten sind, besteht meistenskein übergroßer Altersabstand zu denanderen Kindern – sind sie auch in dienormalen Spielaktivitäten und Freund-schaften ihrer Geschwister stärker ein-bezogen. Es ist deshalb wichtig zu re-flektieren, ob sich daraus auch für dieGeschwister neue Aspekte ergeben, diebeeinflussen, wie sie ihre Familiensi-tuation erleben.

In der vorliegenden Literatur überGeschwister behinderter Kinder findensich meistens keine behinderungsspezi-fischen Differenzierungen. Es ist jedochanzunehmen, dass unterschiedlicheAusprägungen von Behinderungen mitentsprechend verschiedenem Hilfebe-darf nicht nur zu anderen physischenund psychischen Belastungen für die El-tern führen, sondern auch für die Ge-schwister unterschiedliche Konsequen-zen haben.

Das andere Aussehen verursachtmanchmal Probleme

Eine besondere Rolle bei Kindern mitDown-Syndrom spielt zudem – andersals bei den meisten Behinderungen –,dass die Kinder bestimmte auffälligeMerkmale haben. Deshalb machen vie-le Geschwister die Erfahrung, dassFremde ihren Bruder oder ihre Schwes-ter oft anstarren – und manchmal wer-den auch Bemerkungen gemacht, mitdenen sie sich auseinander setzen müs-sen. „Wir wurden immer angegafft,manche Leute drehten sich um oderblieben stehen mit offenem Mund. Man-che verglichen uns miteinander. Glotz-ten uns nacheinander ins Gesicht, so alsüberlegten sie, ob wir wohl beide geistigbehindert seien oder nur eine von uns“(Neumann, 2001, 88).

Fragebogen für Geschwister

Es ist deshalb sinnvoll, sich mit der be-sonderen Situation von Brüdern undSchwestern von Kindern mit Down-Syn-drom zu befassen und zu fragen, welcheErfahrungen sie in ihrer Familie und inder Gesellschaft gemacht haben.Des-halb wurden im Januar 2002 Familienangeschrieben (N = 42), die an ver-schiedenen Seminaren für Jugendlichemit Down-Syndrom1 teilgenommen hat-ten, mit der Bitte, einen beiliegendenFragebogen an jugendliche und er-wachsene Geschwister weiterzuleiten.Insgesamt kamen 31 Fragebögenzurück – davon einige aus denselben Fa-milien. Bis auf wenige Ausnahmen er-folgten alle Antworten anonym, einigeGeschwister haben sehr ausführlich er-gänzend ihre Erfahrungen und ihreMeinung dargestellt. Das Alter der Ge-schwister lag zwischen 14 und 42 Jah-ren, das Alter der Brüder oder Schwes-tern mit Down-Syndrom lag zwischen 6und 29 Jahren.

Es wurde im Fragebogen darauf hinge-wiesen, dass behinderte Kinder oft be-sondere Therapien und Hilfen benöti-gen, und gefragt, ob die Geschwistersich dadurch benachteiligt fühlten.Überwiegend wurde diese Frage ver-neint. Interessant waren besonders ein-zelne ergänzende Anmerkungen dazu.Ein Bruder (36 J.) stellt fest: „Erst heuteverstehe ich richtig, welche Leistungmeine Eltern geschafft haben. Unserebehinderte Schwester so gut zu fördernund uns nicht zu vernachlässigen!“ Undeine Schwester (20 J.) schrieb: „Ich ha-be zwei Brüder, einer hat einen Fuß-ballfimmel und der andere das Down-Syndrom. Ich fand Fußball meistensnerviger als Down-Syndrom!“ Nur we-nige Geschwister fühlten sich manch-mal benachteiligt. Als Grund dafür wur-

„Ich habe zwei Brüder, einer hat einen Fußball-fimmel und der anderedas Down-Syndrom. Ichfand Fußball meistensnerviger als Down-Syn-drom!“

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 7

de von einem Bruder angegeben, dassLeistungen seiner behinderten Schwes-ter häufig betont und gelobt wurden,während es ihm oft so vorkam, als sei-en seine Leistungen eher selbstver-ständlich und weniger wichtig.

In der Häufigkeit von Streit mit Ge-schwistern wurde übereinstimmendkein Unterschied zu anderen Familienfestgestellt. „Aber“ – so schrieb eineSchwester (3 Mädchen im Alter von 18,17 und 15 Jahren, die Älteste hat dasDown-Syndrom) – „man streitet anders.Wenn ich mich über meine jüngereSchwester ärgere, sage ich ganz locker‚dumme Kuh‘, bei meiner älterenSchwester habe ich dann gleich einschlechtes Gewissen.“ Eine andereSchwester schreibt, dass es zwar nichthäufiger Streit gab, dass aber die Grün-de andere waren. Sie findet, ihre Elternwären zu tolerant gegenüber derSchwester mit Down-Syndrom gewesenund hätten ihr zu viel durchgehen las-sen: „Auch von uns wurde viel Rück-sicht gefordert, wenn sie z.B. Sachen ka-putt gemacht hat oder wenn Freunde dawaren und sie immer mitspielen wollte... Man wollte mal einfach in Ruhe ge-lassen werden.“ Ein Bruder stellt fest,dass es keine wirklichen Konkurrenzsi-tuationen gab und deshalb wohl weni-ger Streit. „Natürlich konnte ich schnel-ler laufen, besser rechnen als mein Bru-der – obwohl er älter war ... Deshalbspielten bei uns irgendwie andere Din-ge eine Rolle ... Aber die Eltern waren

gerecht – meistens, wohl wie bei ande-ren auch.“

Übereinstimmend antworteten alleGeschwister, dass sie bei Freunden kei-ne negativen Reaktionen bei Einladun-gen erlebt haben und dass auch keineabfälligen Bemerkungen über die be-hinderte Schwester bzw. den Brudergeäußert wurden. Ein Grund kann hierallerdings sein, dass bereits bei der Aus-wahl der Freunde deren Einstellung ei-ne Rolle spielte („Bestimmte Typen woll-te ich gar nicht als Freund haben!“).Auch sonst hat von den Geschwisternniemand oft negative Reaktionen erlebt,aber fast alle haben selten entsprechen-de Erfahrungen gemacht – zumeist aufder Straße, beim Einkaufen oder ganzallgemein von Fremden. Ein Bruder be-richtet über ungünstige Reaktionen inseiner Schule, die auch die Schwestermit Down-Syndrom in einer Integrati-onsklasse besuchte. Ein anderer Bruderhörte in der Schule öfter abfällige Be-merkungen über Behinderte – auch vonLehrern –, die zwar nicht persönlich ge-meint waren, die er aber als beleidigenderlebte. Auch die Art, wie manche Leu-te gucken, wird von etlichen Geschwis-tern als unangenehm empfunden – auchwenn einige schreiben, sie hätten sichdaran gewöhnt, sich eine „Elefanten-haut zugelegt“.

Die Frage, ob das Aufwachsen miteinem behinderten Geschwister beson-dere Probleme bereitet, beantwortetenfast alle mit ja. Dabei werden vor allem

die vermehrte Rücksichtnahme auf denbehinderten Bruder bzw. die Schwesterund die besondere Aufmerksamkeit, dieihnen zukommt, genannt. Ein Bruderhatte „diffuse Schuldgefühle, weil derBruder weniger konnte“, aber auch we-gen „unklarer Vorstellungen über dieGenetik“. Ein Bruder fand, dass „dasDauerthema Down-Syndrom“ manch-mal „nervig“ war. Eine Schwesterschreibt: „Einige Probleme, die sich un-ter anderen Geschwistern ergeben kön-nen, treten bedingt durch seine Behin-derung bei uns gar nicht auf, dafür abermöglicherweise andere Schwierigkei-ten. Insgesamt sehe ich unser Verhältnisjedoch als unproblematisch an.“ EineSchwester, die 16 Jahre älter ist als dieSchwester mit Down-Syndrom, schreibt,sie hätte „schmerzlich“ gelitten und „vielgeweint“, als sie beim Vergleich mit an-deren nicht behinderten Kindern lang-sam verstanden hätte, wie behindert ih-re Schwester ist. Ein Bruder meint:„Vieles in unserer Familie war durch diebehinderte Schwester schon anders –aber das war nicht nur problematisch.“Eine Schwester hat den Eindruck, ihreEltern würden ihren behinderten Bru-der verwöhnen und ihm zu viel durch-gehen lassen: „Er trickst sie oft aus undsie raffen das nicht. Bei uns macht erdas nicht und kann dann viel mehr al-lein.“

Trotzdem können alle (!) Geschwis-ter in ihrer besonderen Familiensituati-on auch positive Aspekte sehen.Während einige die entsprechende Fra-ge lediglich bejahten, haben etliche er-gänzende Anmerkungen gemacht:„Mein Bruder und ich haben uns ei-gentlich immer gut verstanden. Ich hab

„Auch von uns wurdeviel Rücksicht gefordert,wenn sie z.B. Sachen ka-putt gemacht hat oderwenn Freunde da warenund sie immer mitspie-len wollte ... Man wolltemal einfach in Ruhe ge-lassen werden.“

Simon Juranek aus Kematen, Österreich,

mit seinen beiden Brüdern Clemens und Sebastian

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8 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

durch ihn gelernt, früher über manchesnachzudenken.“ „Ich würde meine Ge-schwister gegen nichts in der Welt ein-tauschen.“ „Ich habe früher gelernt,Verantwortung zu übernehmen. Das se-he ich heute zwar nicht nur positiv, aberinsgesamt schon.“ „Man gewinnt ande-re Perspektiven.“ Durch die behinderteSchwester wurde, wie ein Bruder fest-stellt, der „Blick für das Wesentliche imLeben“ gelernt.

Einige Geschwister haben sehr aus-führliche ergänzende Briefe geschrie-ben, die beeindruckende Erfahrungenund Einstellungen vermitteln. „MeinBruder benötigte viel Aufmerksamkeit,aber ich wurde dadurch nicht benach-teiligt ... Außerdem wurden mir andereAufmerksamkeiten zuteil, an denen ernicht beteiligt war. Dass das so gewesenist, liegt jedoch an meinen Eltern undder Art und Weise, wie sie mit meinemBruder und mir umgegangen sind. Ins-gesamt denke ich, sind wir mit allemnormal umgegangen. Seine Behinde-rung und die notwendigen Therapienwaren, so habe ich es zumindest emp-funden, weder ständiges Thema bei unsnoch war mir seine Behinderung immerbewusst. Er ist eben so wie er ist.“

Eine kritische Anmerkung betraf dieEinstellung zur Behinderung. „Wedermeine Eltern noch ich fühlten uns dazu

berufen, das Down-Syndrom meinesBruders übermäßig zu problematisie-ren, geschweige denn, seine Behinde-rung zum Anlass zu nehmen, um unsselbst zu verwirklichen.“ Eine Anmer-kung erscheint mir auch wichtig. „Mirerschien und erscheint es auch heutevielfach so, dass Mitmenschen von mirerwarten, bedingt durch die Behinde-rung Probleme zu haben. So wurde ichhäufig von anderen gefragt, ob ich michbenachteiligt fühle. Verneinte ich dieseFrage, wurde mir gesagt, ich könne esdoch ruhig zugeben, nur hatte ich nichtszuzugeben. Diese Erwartungshaltunganderer kann mitunter störender seinals die Behinderung eines Geschwisters– die für einen selbst zum Alltag gehört.“Auch wenn die meisten Geschwisterfeststellten, dass durch den Bruder bzw.die Schwester mit Down-Syndrom inder Familie spezielle Probleme gegebensein können, ist doch erkennbar, dassdie meisten ihre besondere Familiensi-tuation gut verarbeitet haben. Ver-gleicht man die Aussagen mit anderen

vorliegenden Berichten über die Situati-on von Geschwistern, lassen sich Grün-de dafür finden. Die in den neueren Un-tersuchungen sich abzeichnende besse-re Akzeptanz des behinderten Kindes inder erweiterten Familie, im Freundes-kreis und in der Gesellschaft erleichtertnicht nur den Eltern, ihre besondereAufgabe anzunehmen, sondern ermög-licht auch den Geschwistern, trotz man-cher Schwierigkeiten gut damit umge-hen zu können.

Dagegen zeigen ältere Berichte ganzdeutlich, wie sehr eine ablehnende Hal-tung der Umgebung die Fähigkeit derFamilie beeinflusst, mit dem behinder-ten Kind umzugehen. Wie es gerade fürKinder schwer ist, in einer feindseligenoder verachtungsvollen Umwelt selbst-bewusst zum „merkwürdigen“ Bruderoder zur Schwester zu stehen. Das be-deutet umgekehrt aber auch, dass wiralle es den Kindern leichter machenkönnen, indem wir uns gegenüber ih-nen und ihren Geschwistern anders,‚normaler‘ eben, verhalten“ (Fischer,2001, 10).

Die beantworteten Fragebögen las-sen aber auch Konsequenzen für die Fa-milien erkennen. Es zeigt sich deutlich,je besser es den Eltern gelingt, ihre be-sondere Familiensituation zu bewälti-gen, umso mehr können sie auch den

„Ich sehe das Leben mitmeinem Bruder als eineHerausforderung undBereicherung an.“

Sarah Lupus mit ihren Schwestern Jana und Florine

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 9

Geschwistern vermitteln, ihre Familieals „normal“ zu erleben und mit auftre-tenden Schwierigkeiten umzugehen.Wichtig sind offensichtlich auch alters-angemessene Informationen über dasDown-Syndrom und die damit verbun-denen Beeinträchtigungen. Ohne beste-hende Probleme zu verdrängen, scheintdie besondere Situation mit dem Bruderoder der Schwester mit Down-Syndromfür die meisten Geschwister keine zugroße Belastung zu sein, wenn es denEltern gelingt, die verschiedenen Be-dürfnisse und Ansprüche in der Familieangemessen zu berücksichtigen. Auchdie Übernahme von Verantwortung undnötige Mehrbelastungen werden fastimmer akzeptiert. Allerdings sollten dennicht behinderten Geschwistern dochnicht zu große Verpflichtungen oder zuhäufige Rücksichtnahme zugemutet undzu wenig „eigenes Leben“ zugestandenwerden. Wenn Geschwister dagegen er-leben, geliebt und gleichberechtigt zusein, ist eine Feststellung möglich, wiesie ein 15-jähriges Mädchen über ihrenälteren Bruder mit Down-Syndromschreibt: „Ich sehe das Leben mit mei-nem Bruder als eine Herausforderungund Bereicherung an.“

Nachwort und Dankeschön an Geschwister

Bei allen Geschwistern möchte ich michfür die Antwortbriefe bedanken. EinigeÄußerungen haben mich nachhaltig be-eindruckt. Gerade wenn man selbst Kin-der erzogen hat, die jetzt erwachsensind, kann man das Besondere an derLiebe und Verbundenheit mit den El-tern, die in einigen Briefen zum Aus-druck kommt, wirklich wertschätzen.

Die differenzierten Aussagen überdie Schwester oder den Bruder mit Down-Syndrom zeigen oft hohe sozialeKompetenzen, und die Zuneigung, dietrotz mancher Schwierigkeiten betontwird, ist ermutigend und verdeutlicht,dass eine besondere Familiensituationkonstruktiv bewältigt werden kann.

Deutlich werden aber auch die sozi-alpolitischen Aufgaben und die weitereVerbesserung integrativer Maßnahmenzur Verminderung von Vorurteilen.

Um noch mehr Informationen vonGeschwistern zu erhalten, liegt dieserZeitschrift der Fragebogen bei. ÜberRückantworten würde ich mich sehrfreuen.

Literatur:JELTSCH-SCHUDEL, B. (1999): Zur Situation

von Menschen mit Down-Syndrom in derdeutschsprachigen Schweiz. In: VHN, S. 48-65,

1999.

KLATTE-REIBER, M.: Elterliche Vorstellungen zum eigenen Wertewandel

und zur schulischen Förderung ihres Kindesmit Down-Syndrom. In: Klöpfer, S. (Hrsg.):

Sonderpädagogik praktisch, Reutlingen 1997,187-189.

NEUMANN, H. (2001): Verkürzte Kindheit.Königsförde.

TATSUMI-MIYAJIMA , J. (1997): An Opinionon Maternal Serumtests for prenatal

Diagnosis of Down-Syndrom. Hand-out, Down-Syndrom-Weltkongress Madrid.

WILKEN, E. (1999): Familiensituation,Entwicklungsverläufe und Kompetenzen vonKindern mit Down-Syndrom heute. In: Down-Syndrom Netzwerk (Hrsg.): Perspektiven für

Menschen mit Down-Syndrom, Bochum.

WILKEN, E. (2001): Down-Syndrom – Wirgehören dazu. Ergebnisse der

Fragebogenauswertung. In: Leben mit Down-Syndrom, Nr. 38, 7-11

1 Die Seminare fanden statt imInternationalen Haus Sonnenberg im Harz und

in Marburg bei der BundesvereinigungLebenshilfe

Lisa Margot Brutschin mit

Laura, ihrer Schwester

Jan Strake mit seinem

Bruder Ralph

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verursachen kann. Meistens sind es dieEltern, die nach einer solchen Nieder-kunft schockiert, in dem Augenblickgelähmt sind, wenn der Arzt ihnen er-zählt, dass das Neugeborene nicht wieandere ist, aber in der Familie Hansennahm niemand diese Botschaft schwe-rer als Jonas. Er ging vor Kummer zuBett. Er und nicht die Mutter kämpftemit der Nachgeburt.

Jonas litt, lag da und wand sich meh-rere Wochen. Warum? Weil er sich fürdas Kind verantwortlich fühlte. In sei-nen eigenen Augen war Jonas der Vaterdes Jungen.

Trotzdem – das Gefühl der Ver-pflichtung wurde bald überschattet vonHass. Reinem, blanken Hass. Einen sol-chen Hass, wie er ihn einmal in LilleØrns Augen gesehen hatte. Jonas saßviele Tage lang allein für sich da undbrütete voller Ernst darüber nach, wieer dem Bruder ans Leben könnte. Manhört oft von Eifersucht, wenn ein weite-

res Kind zur Welt kommt und die Auf-merksamkeit von den älteren Kindernablenkt. Aber das hier war anders: Jo-nas war vierzehn.

Wiederholt stand er an BuddhasWiege und sah auf das nichtsahnendeGesicht hinunter, während er sichgleichzeitig selbst verachtete, dass er esnicht schaffte, die Hände an die Kehledes Säuglings zu legen und zuzudrückenoder ein Kissen auf die grausame Visa-ge zu pressen, die so häßlich war in ih-rer Unschuld. Alternativ erwog er, dieBrosche der Mutter aus dem schwarzenLackkästchen zu holen und sich mit derNadel die Augen auszustechen, damit erzumindest die Erscheinung nicht sehenmusste, den Kopf, an dem die kleinenOhren schon diese abstehende Form an-zunehmen begannen, die einen an an-dere Planeten denken ließ, aber erbrachte auch das nicht fertig. Er konntenur eins – das Wurm einem schwarzen,abgrundtiefen Hass aussetzen.

In den folgenden Jahren spürte Jo-nas, wie sich, wenn er den Bruder nursah, sein ganzer Körper zusammen-schnürte – das runde Gesicht, die wi-derlichen Ohren, die schrägen, leichtschielenden Augen, die Zunge, die zün-gelte wie die irgendeiner längst ausge-storbenen Echse. Die anderen akzep-tierten vom ersten Augenblick an dassabbernde Schicksal, ja, sie fühlten sichgut mit Buddha. „Eine barocke Perle“,sagte Rakel. Das neue Familienmitgliedhatte sogar die Eltern aus den Fernseh-sesseln bekommen. „Er hat uns vor demZauberberg gerettet“, sagte die Muttereines Abends, als sie und der Vater da-saßen und miteinander redeten wiefrüher, die Lehnstühle einander zuge-wandt. Übrigens war es Daniel, der an-fing, den kleinen Bruder Buddha zunennen, wegen dessen Appetits aufReis. Und auch wenn sich Daniel zeit-weise Buddhas schämen konnte, mitseiner mörderischen Antipathie war Jo-nas allein.

Buddha lag im oberen Bereich, wasdie Ausstattung betrifft, entwickelte sichaber natürlicherweise später als andereKinder. Selbst als er drei war, schaffte eres mal gerade, o-beinig herumzustap-fen, und er sagte nichts, abgesehen vonLauten, die als „Mama“ oder kryptischeOnomatopoetiks gedeutet werden konn-te. Allerdings passierte etwas mit seinerKonzentration, wenn er dasaß und mitder Zuckerzange oder den Schachfigu-

Die Rätsel der Milchstraße

Auch Jonas hatte einmal Alpträume.Aber er träumte nicht. Jemand kam miteinem Drachen, einem unmöglichenWesen, und sagte, das sei sein Bruder.Es handelte sich nicht um ein falschesGeräusch, sondern generell um einenFehler, einen kleinen Zusatz auf der fun-damentalsten Ebene des Lebens, sozu-sagen um ein x zu viel.

Wo sind die schwarzen Löcher inJonas Wergelands Leben? Einige Leutehaben ja behauptet, Jonas Wergeland seiaußerstande, jemanden zu lieben. Ichweiß nicht, was ich sagen soll, Professor– es gab zweifellos eine Menge Perso-nen, die er tief und herzlich verachtete.Dennoch gab es keinen Menschen, dener verbissener gehasst hatte als Buddha.

Jonas war niedergeschmettert, alsBuddha geboren wurde. Buddha ent-sprach einem Meteoriten, der, selbst,wenn er klein ist beim Einschlag rätsel-hafte große Wunden in einer Landschaft

Eine besondere Geschwistergeschichte

Beispiel aus der Gegenwartsliteratur „Die Rätsel der Milchstraße“ aus „Der Eroberer“ von Jan Kjærstad

Jan Kjærstad ist einer der bedeutendsten norwegischenGegenwartsautoren. Für sein Werk bekam er verschie-dene Preise, darunter 2001 den Nordischen Literatur-preis. In seinem Buch „Der Eroberer“, das gerade indeutscher Sprache erschienen ist und den zweiten Teilder preisgekrönten Trilogie über Jonas Wergeland dar-stellt, stieß ich auf das Kapitel „Die Rätsel der Milch-straße“. In einer kraftvollen Sprache beschreibt Jan Kjærstadhier, wie Jonas, die Hauptfigur des Romans, seinen Bruder mit Down-Syndrom erlebt. Genauso heftig wiezunächst die negativen Gefühle sind, entwickelt Jonasspäter eine enorme Liebe zu diesem Bruder.Auf die Anfrage beim Autor um die Genehmigung, dieseGeschichte in Leben mit Down-Syndrom abzudrucken,bekam ich umgehend eine positive Antwort. Auch derVerlag Kiepenheuer & Witsch gestattete den Abdruck.Wir möchten uns hier bei Jan Kjærstad sowie beim Ver-lag für diese Genehmigung herzlich bedanken.

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ren, vor allem dem Springer, spielte.Auch kleine Spiegel und Schellen riefeneinen unerklärlichen Eifer hervor, be-gleitet von lauten, freudigen Aus-brüchen.

Vor allem um den kleinen Bruder zuerniedrigen, nahm Jonas sich vor,Buddha ein einziges Wort beizubringen,um zu beweisen, dass dies nicht ging,dass dieses Wurm – aus reiner Barm-herzigkeit – so schnell wie möglich ver-nichtet oder in einer fernen Isolierstati-on untergebracht werden musste. In ei-nem boshaften Augenblick kam Jonasdarauf, dass er den Jungen dazu be-kommen wollte, „Milch“ zu sagen, dasAllerelementarste im Dasein eines Kin-des. „Milch, Milch, Milch, Milch. Kannstdu das sagen? Milch. M-i-l-c-h.“

Buddha setzte nur sein üblicheshochzufriedenes Lächeln auf. Wie einHund, wenn er zu fressen bekommt.Auch dies hasste Jonas. Dass Buddhaseinen, Jonas’, Hass nicht erkannte.

„Milch. Das da ist Milch. Sag es, Idi-ot.“ Buddha lächelte nur.

So ging es ein halbes Jahr. Jonasmusste das Wort zehntausendmal zuBuddha gesagt haben, und Buddha rea-gierte konsequent damit, dass er ver-ständnislos lächelte, obwohl selbst einHund, wenn auch nur aus Erschöpfung,das Wort „Milch“ von sich gegeben hät-te. Jonas hätte eigentlich zufrieden seinsollen – er hatte vollauf bewiesen, dassder Bruder für Lehren unempfänglichwar –, war es aber trotzdem nicht. Vonjetzt an war es eine Besessenheit, denBruder auf jeden Fall dazu zu bringen,ein Wort zu schaffen. Dann könne erauch noch danach eliminiert werden.

An einem Samstagvormittag war Jo-nas mit Buddha allein zu Hause.Draußen regnete, schüttete es, dieScheiben wirkten wie bedeckt von nas-sem, durchsichtigem Plastik. Wie ge-wöhnlich, wenn sie aßen, stellte Jonasdie Tasse vor Buddhas dralle Finger undsagte, beinahe unabsichtlich, als hätteer schon längst aufgegeben: „Milch. Siehhier. Milch. Das da ist Milch. Sag Milch,zum Henker. Milch. Milch. Milch. Das istnicht schwer. Sieh auf meinen Mund.Milch. Mmmmm-iiiii-lch. MILCH. Milch,du verdammter kleiner Dreckbalg voneinem sabbernden Scheißmondge-sicht!“ Er hatte Lust, die Tasse mitten indie Flappe des Geschöpfes vor sich zuschleudern.

Der Regen floß über die Fenster-

scheibe, lautlos. Buddha sah ihn an. Ersah Jonas auf neue Weise an. Buddhasah den Bruder lange an, sah in sein Ge-sicht, durch ihn hindurch.

Dann sagte er es. Das Wort. Banal unddoch wie selbstverständlich. „Jonas“,sagte er. Nicht ganz deutlich. Die Zungewar gewissermaßen im Weg, aber esklang nichtsdestoweniger klar: „Jonas.“

Jonas versuchte später zu beschrei-ben, was dann passierte. Es war, alsstürzte eine Lawine durch ihn, sagte er,rückwärts, bergauf, langsam. Es war,als durchflössen ihn zehn unterschiedli-che Gefühle in wechselnden Richtungenoder würden ausgebreitet, um einengroßen Hohlraum in der Mitte zu hin-terlassen, bevor alles wieder zurück-strömte, aber jetzt als ein gleiches Ge-fühl: Wärme. Ein Überfluß an Wärme.

All dieser Hass, all diese Verwün-schungen, und Buddhas erstes Wortwar ein Name. Eine Liebeserklärung.

Buddha war aufgestanden, stand da,die Arme um den Hals des großen Bru-ders. Sagte ihn wieder, den Namen. DerRegen strömte über die Scheiben. DieLandschaft draußen ließ sich nur ah-nen, wie durch einen Plastikbeutel vollWasser. Jonas legte die Hände umBuddhas Kopf. Hatte die ganze Welt inseiner Hand. Er merkte, dass er dasaßund weinte. Er hatte vielleicht lange ge-weint, er wusste es nicht, weinte bitter-lich, ohne einen Laut. Erfüllt von einem

Jan Kjærstads Roman „Der Eroberer“,der im Frühjahr 2001 herauskam, istder zweite Teil einer Trilogie über Jo-nas Wergeland, einen fiktiven Medi-en-Helden.

Der erste Teil „Der Verführer“ er-schien schon 1999 in deutscher Spra-che. Teil drei „Der Entdecker“ wirdzurzeit noch übersetzt..

Auch wenn im Kapitel „Die Rätselder Milchstraße“ der Bruder mit Down-Syndrom im Mittelpunkt steht,wird er in beiden Romanen nichtoder kaum erwähnt.

Jan KjærstadDer ErobererKiepenheuer & Witsch, Köln, 2002ISBN 3-462-03077-9Preis: Euro 24,90

ihn plötzlich durchsickernden Gefühl,von dem er nicht geahnt hatte, dass eres besaß, eine ganz unbegreifliche Lie-be, die alles ertragen, alles glauben, al-les hoffen, ja, Berge und noch Größeresversetzen können musste. Und Gegen-stand dieser unverständlichen Liebewar der Körper vor ihm. Das wehrloseBündel, das er so sehr gehasst hatte.

Buddha strich mit den Fingern überJonas nasse Wange. „Milch“, sagte er.„Milch.“

Es ist keine Übertreibung zu sagen,wenn man von den Eltern und Kristinabsieht, dass Jonas Wergeland in sei-nem Leben nur einen Menschen liebte,und damit meine ich aufrichtig, ohneHintergedanken: Buddha. Vielleicht kamdas daher, dass er auch keinen Men-schen so intensiv gehasst hatte.

Buddha war ein Genie. Ein Genieder Liebe.

Ich glaube, ich weiß auch, warum:Buddha war aus Liebeskummer ge-zeugt.

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Mit dem Sozialgesetzbuch IX wur-den im Jahr 2000 bundesweit In-

tegrationsfachdienste eingeführt, die dieberufliche Integration von Menschenmit Behinderung unterstützen sollen. Inder Praxis hat sich die Zielgruppe leidervöllig verschoben – statt Menschen mitLernschwierigkeiten werden z.B. chro-nisch Kranke oder Diabetiker unter-stützt, und statt einer vorgesehenen Ar-beitsbegleitung ist mit der vorhandenenAusstattung in der Regel lediglich eineVermittlung realisierbar. Damit wirddas Konzept „Place and pray!“ umge-setzt, nicht aber wirkliche Arbeitsassis-tenz im Sinne von „Supported Employ-ment“.

Was eigentlich mit dem Konzept un-terstützter Beschäftigung möglich ist,haben wir anhand von zwei Rehabilita-tionsmaßnahmen der Hamburger Ar-beitsassistenz untersucht: Durch dasAmbulante Arbeitstraining und das In-tegrationspraktikum wird Jugendlichenmit Behinderung ein integrierter Über-gang von der Schule in die Arbeitsweltermöglicht. Auf diesen Hintergrund –publiziert in zwei ausführlichen Berich-ten (HAMBURGER ARBEITSASSISTENZ2001, HINZ & BOBAN 2001) – beziehtsich dieser Text.

Der Lebensweg von Herrn A., heute 36Jahre alt, führt über den Sonderkinder-garten der Lebenshilfe und die Schulefür geistig Behinderte und deren Werk-stufe in die Werkstatt für Behinderte(heute „Werkstatt für behinderte Men-schen“, WfbM). Dort kommt er damalsin den Eingangs- und Trainingsbereichzum zweijährigen, vom Arbeitsamt fi-nanzierten Arbeitstraining. Danachwechselt er in eine Gruppe der Abtei-lung für Montage und Verpackung undzieht wenig später ins benachbarteWohnheim eines anderen großen Trä-gers. In seiner Freizeit ist die „Jugend-gruppe“ des Spastikervereins ein mo-natliches Highlight.

Ein Weg in das Erwachsenenleben,wie ihn wohl viele Menschen mit Down-

Syndrom und anderen Behinderungen,die das Lernen beeinträchtigen, gegan-gen sind, gehen – und gehen werden?

Der Lebensweg von Frau B., heute24 Jahre alt, führte ebenfalls zunächstin den Kindergarten, der einer Schulefür geistig Behinderte angegliedert ist.Ihre Eltern sind eigens wegen der Nähezu diesen Institutionen in das Viertel ge-zogen. Dann aber erleben sie, dass ihreTochter im Sprechen regrediert undauch andere bereits vorhandene Kom-petenzen nicht mehr zeigt – dafür aberskurrile Verhaltensweisen anderer Kin-der aus dem Sonderkindergarten zuimitieren beginnt. Damit beginnt die Su-

che nach einem Platz in einem Kinder-garten, in dem das Kind durch andere„Vorbilder“ zur eigenen Weiterentwick-lung angeregt wird, der schließlich in ei-nem kirchlichen Kindergarten gefundenwird. Und damit beginnt zugleich einganz anderer Lebensweg als der vonHerrn A.

Bestärkt durch die positive Entwick-lung ihrer Tochter, machen sich die El-tern von Frau B. stark für deren Auf-nahme in einer Integrationsklasse einerGrundschule. Von dort wechselt sie –wiederum in eine Integrationsklasse –an eine Gesamtschule. Nach dem zehn-ten Schuljahr besucht sie ein so ge-nanntes integratives Berufsvorberei-tungsjahr (BVJ-i) einer großen Berufs-schule, wo nach einem speziellen Kon-zept (vgl. KROHN 1997) für Menschenmit Lernschwierigkeiten auch ein mehr-jähriger Verbleib möglich ist. Eigentli-cher Schwerpunkt dort ist der Garten-und Landschaftsbau, aber für das großePraktikum im dritten Berufsschuljahr

Das integrative Arbeitstraining als Teileines neuen Typs von BiographienInes Boban & Andreas Hinz

Umsatzsteigerung im Kioskbereich durch den

persönlichen Kundenbetreuungsstil von Anna

Miehlich.

Bei Frau B. handelt es sich um Anna Miehlich,

die in der Zeitschrift Impulse einen Bericht über

ihre Praktikumserfahrungen publiziert hat (vgl.

Literaturverzeichnis).

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 13

entscheidet sich Frau B. für die Tätigkeitin einer Kantine eines sehr großen Be-triebes. Zu dieser Zeit fädeln sich Mitar-beiter/-innen der Arbeitsassistenz inden Prozess ein. Ein Kompetenz- undInteressenprofil wird in mehreren Sit-zungen gemeinsam erarbeitet und mün-det in die Bewerbung Frau B.s für dieTeilnahme am „Ambulanten Arbeits-training“ der Arbeitsassistenz sowie indessen Rahmen in weitere betrieblicheErfahrungen (vgl. MIEHLICH 1999).

Frau B. erhält gemeinsam mit elf an-deren Bewerbern die Möglichkeit, daszweijährige, vom Arbeitsamt finanzier-te Arbeitstraining nicht in einer WfbMmachen zu müssen, sondern in Betrie-ben des regulären Arbeitsmarkts – undihres Interesses – zu absolvieren. Mittelfür Arbeitstrainingsplätze für ebenzwölf Menschen gehen also nicht wiesonst üblich in die Architektur derWerkstätten, sondern über deren Ver-waltung an die Arbeitsassistenz und mitihr in die Architektur regionaler Firmendes allgemeinen Arbeitsmarktes. Wäh-rend dieser Zeit besucht Frau B. einmalin der Woche eine Klasse in einer Be-rufsschule für Hauswirtschaft und Er-nährung (vgl. HAMBURGER ARBEITS-ASSISTENZ 2001, Kapitel 4, HINZ & BO-BAN 2001, Kapitel 8).

Konsequent kann Frau B. damitihren Weg außerhalb „besonderer“ In-stitutionen gehen und sich in regulärenUmfeldern erproben. Begleitet durchJob-Coaches erhält sie einerseits „Trai-ning on the Job“, andererseits vermit-teln ihre Arbeitsassistenten/innen auchzwischen den betrieblichen Bedingun-gen und den jeweiligen Möglichkeiten,d.h., der Tätigkeitsbereich wird auf dieBewerberin zugeschnitten.

Nach dem betrieblichen Arbeitstrai-ning in unterschiedlichen Branchen ent-scheidet sich Frau B. für die Tätigkeit ineiner wiederum sehr großen Kantine ei-ner Bank, die von einem der führendenCateringunternehmen betrieben wird.Hier kümmert sie sich laut Aussage ih-res Chefs um kostenrelevante Posten, dasie gemeinsam mit einer Kollegin denKioskbereich verantwortet und z.B.auch – nach detaillierter Einarbeitungdurch ihre Arbeitsbegleiter/innen – denRücklauf nicht verkaufter Zeitschriftenverwaltet. Der Chef erklärt die entstan-dene Umsatzsteigerung im Kioskbereichmit dem sehr persönlichen Kundenbe-treuungsstil von Frau B., der den Ban-

kangestellten und der Kundschaft ausder benachbarten Börse offenbar sehrzusagt. Sie sei mit vielen per Du, ja „siehat da schnell Freunde gefunden“ (HINZ& BOBAN 2001, 262). Allerdings stellt ereines ebenso klar: Ohne die kontinuier-liche begleitende Unterstützung durchdie Arbeitsassistenz wäre es „mit Si-cherheit nicht zum Arbeitsverhältnis ge-kommen. Ganz bestimmt sogar nicht“(HINZ & BOBAN 2001, 263).

Hätten die zwei Jahre im Ambulan-ten Arbeitstraining nicht zum Abschlusseines tariflich geregelten Arbeitsver-trags geführt, wäre es Frau B. zusätzlichmöglich gewesen, ein so genanntes In-tegrationspraktikum mit der Dauer biszu einem Jahr anzuschließen. Eine Zu-kunftskonferenz und persönliche Zu-kunftsplanung hat Frau B. also bezüg-lich ihrer beruflichen Perspektiven nichtgebraucht, wohl aber hinsichtlich neu-er, zu entwickelnder Wohnmöglichkei-ten (vgl. BOBAN & HINZ 1999). Nebendem leidenschaftlichen Hobby des Le-sens pflegt Frau B. in ihrer Freizeit Be-ziehungen zu Freunden und bereitetsich parallel zur Arbeitstrainingszeit ge-meinsam mit anderen jungen Leutenauf das Ausziehen aus der elterlichenWohnung und das weitgehend selbst-ständige Wohnen vor. Auch dieserSchritt ins Erwachsenenleben ist bereitsvollzogen.

Frau B. hat große Pläne – im Sinnegroßer Reisen. Afrika bedeutet ihr viel.Seit sie in Namibia gewesen ist, brau-chen einige Banker in ihrer Mittagspau-se noch etwas länger zum Zeitungs- undSchokoriegel- oder Minzpastillenkauf,weil das Schwätzchen um ein Thema er-weitert werden muss: Was die nächstenReiseziele sein sollen, wird von allen of-fenbar gern besprochen.

Wenn Herr A. gefragt wird, ob er zu-frieden sei mit seiner Situation, dannantwortet er – meist – mit „ja“. WennHerr A. nach Wünschen und weiterenLebensperspektiven gefragt wird, be-ginnen seine Antworten signifikant oftmit dem Begriff „draußen“. Aber HerrA. wird nicht so oft gefragt.

Das Ambulante Arbeitstraining und dasIntegrationspraktikum der HamburgerArbeitsassistenz wurden als Modellpro-jekt mit dem Titel „Integrative beruflicheOrientierung und Qualifizierung vonMenschen mit Behinderung im Über-gang von der Schule in den Beruf“ von

der Arbeitsassistenz intern und von unsextern evaluiert. Beide Teile liegen alsPublikationen vor (vgl. HAMBURGERARBEITSASSISTENZ 2001, HINZ & BO-BAN 2001). Im Rahmen unseres exter-nen Teils sind wir davon ausgegangen,dass die Beteiligten als direkte Exper-ten/-innen uns wichtige Aussagen überdie Qualität der Maßnahmen ermögli-chen. Deshalb haben wir zunächst alleaktuellen und ehemaligen Teilnehmer/-innen selbst befragt, 56 haben zu ihrerSituation und ihrer Zufriedenheit damitStellung genommen – sie bilden die „As-sistenz-Gruppe“. Als Vergleichsgruppehaben wir ebenfalls 56 Mitarbeiter/-in-nen in den vier Werkstätten Hamburgsfür behinderte Menschen befragt – siesind die „Werkstatt-Gruppe“. In beidenGruppen besteht eine recht hohe Zufrie-denheit mit der vorhergehenden Situa-tion während der Schulzeit, im Arbeits-training und in der folgenden Beschäfti-gungssituation.

Bei vielen Fragen ergeben sich posi-tivere Bewertungen der Assistenz-Grup-pe gegenüber der Werkstatt-Gruppe:Arbeitstraining und nachfolgende Be-schäftigung auf dem allgemeinen Ar-beitsmarkt machen mehr Spaß, es wer-den mehr Arbeiten gern und wenigerungern gemacht und es wird viel mehrGeld verdient. Bei manchen Fragen gibtes gleiche Bewertungen: Auf dem allge-meinen Arbeitsmarkt gestaltet sich dasAuskommen mit den Kollegen/innenähnlich wie in der Werkstatt, die Breiteder Erfahrungen auf dem allgemeinenArbeitsmarkt ist nicht geringer als inder Werkstatt – beides sind insofern be-merkenswerte Ergebnisse, als im Vor-feld bezüglich der sozialen Integrationund der Qualifizierungsbreite skepti-sche Stimmen zu hören waren. Ande-rerseits kommen auch negativere Be-wertungen der Assistenz-Gruppe vor:Arbeitstraining und Integrationsprakti-kum auf dem allgemeinen Arbeitsmarktmachen mehr Stress und es ergebensich weniger neue Freundschaften als inder Werkstatt für behinderte Menschen.Gleichzeitig wird allerdings von einigenhinterfragt, ob man denn primär bei derArbeit Freunde finden solle und wasdenn überhaupt ein Freund sei.

Auffällig ist bei der Frage nach Än-derungswünschen, dass in der Werk-statt-Gruppe der Wunsch nach einemindividuelleren Eingehen der Gruppen-leiter/-innen dominiert, während bei

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der Assistenz-Gruppe alles Mögliche ge-wünscht wird: mehr Arbeit, weniger Ar-beit, andere Arbeit, ...

Ein höchst überraschendes Ergebniszeigt sich schließlich bei der Auswer-tung von drei offenen Fragen („Waswürden Sie am liebsten an Ihrer Situa-tion verändern?“, „In welchem Tätig-keitsbereich möchten Sie später arbei-ten?“ Und: „Welche Wünsche haben Siesonst für die Zukunft?“), nach dem 41 %aller behinderten Mitarbeiter/innen derWerkstatt „draußen“ arbeiten wollen.Vor dem Hintergrund einer meist aufAn- und Einpassung angelegten Erzie-hung bei Menschen mit Behinderungund angesichts der verbreiteten Ergeb-nisse mit hoher Zufriedenheit – auch beiunserer Untersuchung – ist dieser Anteilein geradezu bestürzendes Ergebnis.

Als weiteren Untersuchungsschritthaben wir nach der Vollbefragung eineIntensivbefragung von je fünf Repräsen-tanten/innen mit unterschiedlichen Ver-läufen aus beiden Gruppen durchge-führt, bei der wir sie selbst und Perso-nen aus ihrem Umfeld wie Gruppenlei-ter/innen der Werkstatt oder Arbeits-assistenten/innen und Vorgesetzte inBetrieben des allgemeinen Arbeits-marktes sowie von den Teilnehmern/-innen ausgewählte Vertrauensperso-nen, meist Eltern oder auch Ehepart-ner, interviewt haben.

Die behinderten Werkstattmitarbei-ter/innen zeigen mit ihren Äußerungenein sehr deutliches Bewusstsein davon,dass für sie der allgemeine Arbeitsmarkt„das Eigentliche“ und die Werkstatt das„Uneigentliche“ ist (vgl. HINZ & BOBAN2001, 160-202). Der Wunsch nach einer

Arbeit „draußen“ und das teilweise überJahre andauernde Hadern mit der Ar-beit „drinnen“ werden überdeutlich;dieses Ergebnis steht in krassem Ge-gensatz zu der etwa vom früheren Vor-sitzenden der Bundesarbeitsgemein-schaft der Werkstätten für Behinderte(BAG WfB) vertretenen These, die Werk-statt würde „als Emanzipationshilfe“ zu„Selbstsicherheit, Selbstwertgefühl undBewusstsein der eigenen Stärke bei denbehinderten Beschäftigten“ beitragen(ANDERS 1996, 560). Zudem werden inder Assistenz-Gruppe z.T. erschrecken-de Erfahrungen in Praktika in der WfbMgeschildert, die Beschäftigten dort „tunihnen Leid“ und zeigten gleichzeitig fürsie unkalkulierbare Verhaltensweisen,die nicht aushaltbar gewesen seien. Vordiesem Hintergrund sehen wir nun diehohe Zufriedenheit der Werkstatt-Grup-pe in einem nicht näher zu bestimmen-den Anteil als „resignative Zufrieden-heit“ an.

Bei den Gruppenleitern/-innen inden Werkstätten zeigen sich teilweisemassive Schwierigkeiten, Stärken ihrerbehinderten Mitarbeiter/-innen zu be-nennen, dagegen fällt es ihnen nichtschwer, über deren Schwächen zu spre-chen. Im Gegensatz dazu neigen einigeAssistenten/-innen dazu, über die Stär-ken ihrer Teilnehmer/-innen insSchwärmen zu geraten – was sie jedochsogleich kritisch reflektieren. Dies dürf-te Auswirkungen auf das Selbstbild derTeilnehmer/-innen haben, jeweils in dereinen oder anderen Richtung.

Bei der Qualifizierung fällt ein cha-rakteristischer Unterschied im metho-dischen Vorgehen auf: Gruppenleiter/

-innen arbeiten im Vorfeld kleinschrittigan einfacheren Tätigkeiten, bevor dievon den behinderten Mitarbeitern/-in-nen gewünschten Tätigkeiten angegan-gen werden können, Arbeitsassisten-ten/-innen arbeiten dagegen – auchkleinschrittig – an den gewünschtenTätigkeiten selbst. Mehrfach besteht sobei Gruppenleitern/-innen die Gefahr ei-nes Teufelskreises in Form einer „Qua-lifizierungs-Motivations-Falle“, die dar-in besteht, dass die Mitarbeiter/-innenkeine nennenswerte Motivation für dieeinfachen Tätigkeiten im Vorfeld auf-bringen, diese also auch nicht erfolg-reich bewältigen, sodass es nie zumSchritt zu den eigentlich gewünschtenTätigkeiten kommt.

Insbesondere Menschen mit Down-Syndrom – was wir nicht systematischerhoben, wohl aber während der Befra-gungen implizit wahrgenommen haben– scheinen sich dabei mit dem ihnen je-weils Zugedachten zu arrangieren (oder– z.B. somatische – Akte der Gegenwehrzu entwickeln). Ehemalige Schüler/in-nen der Schule für geistig Behindertegeben zumeist an, in der Regel ein Prak-tikum, höchstens zwei Praktika gemachtzu haben – und diese(s) zum weitausgrößten Teil in einer Werkstatt für be-hinderte Menschen. Uns sind nur weni-ge Menschen mit Down-Syndrom be-kannt, die sich nach dem Sonderschul-besuch aus eigenem Antrieb aus derWfbM heraus an die Arbeitsassistenzgewandt haben, um deren Dienst in An-spruch zu nehmen. Alle anderen – zahl-reichen – Menschen mit Down-Syn-drom, die zur Arbeitsassistenz kom-men, sind einen durchgängig integrati-ven Weg gegangen – so wie Frau B. –und haben im Rahmen von verschiede-nen Betriebspraktika, auch schon zurSchulzeit, viele Tätigkeitsfelder kennenlernen können. Die Prägungen also, wasvorstellbar ist und was nicht, beginnenfrüh im Umfeld; ein unterstütztes inner-betrieblich-integratives Arbeitstrainingist der logische, konsequente nächsteSchritt ins Erwachsenenleben, ein Ele-ment neuer Biographien auf dem Wegzur Gleichberechtigung und zur Wahr-nehmung von Bürgerrechten (vgl. BO-BAN & HINZ 2000).

Allgemein lassen sich nach unserenErgebnissen die folgenden förderlichenund hemmenden Faktoren für die be-rufliche Integration in folgender Weisezusammenfassen:

Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt macht Spaß

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 15

Für berufliche Integration ist es …

… förderlich, wenn … … erschwerend, wenn …

die Person zu Selbstakzeptanz gefunden hat bzw. ihr We-ge der Entstigmatisierung zur Verfügung stehen,

personale Integration gelingt bzw. gelungen ist,

das Umfeld eine sozialisatorisch akzeptierende Qualitäthat,

ein stützend bejahendes familiäres Umfeld sich die Per-son in integrativem Kontext arbeitend vorstellen kann,

die Schule Praktikumsmöglichkeiten auf dem ersten Ar-beitsmarkt ermöglicht,

die Berufsberatung über die Möglichkeiten und Wege derberuflichen Integration informiert,

die Berufsschule reflexiv an konkreten Erfahrungen undindividuellen Bedarfen auf dem ersten Arbeitsmarkt ar-beitet,

der Bewerber eine Vorstellung von der Arbeitswelt undeinen klaren Tätigkeitswunsch hat,

er motiviert ist und weiß, was er/sie will und was er nichtwill, er seine Arbeitsassistenten/innen als seine Agenten/innen

wahrnimmt,

Arbeitsassistenten/innen primär die Stärken der Personund erst sekundär ihre Schwächen sehen,überzeugt sind, dass diese Person und dieser Betrieb sich

integrieren können,ihr betriebliches Umfeld die Arbeitsassistenten/innen als

Modelle nutzt und an und mit ihnen lernt,

Betriebe sich mit (auch skeptischer) Neugier auf den ge-meinsamen Integrationsprozess einlassen,

Betriebe ihre Abläufe an die Fähigkeiten der Person adaptieren und so einen Arbeitsplatz erfinden,

die Person auf ein betriebliches Umfeld trifft, das Gleich-berechtigung bei individuellen Unterschieden anerkennt,

die Person einen Status als Mitarbeiter/in des jeweiligenBetriebes hat und sich in einem ortsüblich tarifentlohnten,sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis befindet.

die Person nach wie vor mit ihrer Situation hadert odersie verleugnet bzw. keine Wege der Entstigmatisierung ge-funden hat,personale Integration noch nicht gelungen oder gar miss-

lungen ist,

das Umfeld eine sozialisatorisch infrage stellende oderablehnende Qualität hat,

ein nicht mittragendes familiäres Umfeld sich die Personnicht in integrativem Kontext arbeitend vorstellen kann,

die Schule Praktikumsmöglichkeiten nur in der Werkstattfür behinderte Menschen ermöglicht,

die Berufsberatung nur die Werkstatt für behinderte Men-schen als geeignete Perspektive vertritt,

die Berufsschule Module über verschiedene inhaltlicheBereiche favorisiert und die konkrete Realität im Betriebvernachlässigt,

der Bewerber keine Vorstellung von der Arbeitswelt undkeinen Tätigkeitswunsch hat,

er nicht motiviert ist und nicht weiß, was er will und waser nicht will,

er seine Arbeitsassistenten/innen als Kontrolle empfin-det,

Arbeitsassistenten/innen primär die Schwächen der Per-son und erst sekundär ihre Stärken sehen,

selbst zweifeln, ob der Integrationsprozess mit der kon-kreten Person und dem Betrieb gelingen kann,

ihr betriebliches Umfeld die Arbeitsassistenten/innen alsAuf- und Anpasser oder Behindertenbetreuer/innen miss-deutet,

in Betrieben lediglich moralische Motive bestehen undkeine Schwierigkeiten gesehen werden, jemanden zu inte-grieren,

Betriebe die Einpassung der Person in bestehende Ab-läufe erwarten und nicht zu Veränderungen bereit sind,

die Person auf ein betriebliches Umfeld trifft, das Anpas-sung fordert oder latent mit Aussonderung droht,

die Person lediglich als externer Gast im Betrieb anwe-send ist und keinen üblichen Vertrag mit üblicher Entloh-nung hat.

Fördernde und hemmende Faktoren bei beruflicher Integration (HINZ & BOBAN 2001, 411)

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16 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Nach der Ära der Sonderbiographienzeigt Frau B. mit ihren Erfahrungen imÜbergang von der integrativen Schulezum integrierten Arbeiten, wie viel„normaler“ neue Biographien von Men-schen mit Lernschwierigkeiten ausse-hen können, wenn sie entsprechend un-terstützt werden.

Jedoch könnte auch Herr A. mit sei-nem Umfeld zu klären beginnen, in wel-chem Maß seine Zufriedenheit eine re-signative ist und welche Bedeutung dasWort „draußen“ für ihn hat, um gegebe-nenfalls seinen Lebensweg dorthin wei-terzuentwickeln – mit Hilfe eines arbeits-begleitenden Integrationsfachdienstes.

Literatur:ANDERS, Dietrich (1996): Die Werkstatt für

Behinderte – der andere Weg ins Arbeitsleben.In: ZWIERLEIN, Eduard (Hrsg.): HandbuchIntegration und Ausgrenzung. Behinderte

Mitmenschen in der Gesellschaft. Neuwied:Luchterhand, 547-562

BOBAN, Ines & HINZ, Andreas (1999):Persönliche Zukunftskonferenzen.

Unterstützung für individuelle Lebenswege.Behinderte 22, H. 4-5, 13-23

(auch im Internet:http://bidok.uibk.ac.at/texte/beh4-99-

konferenz.html)

BOBAN, Ines & HINZ, Andreas (2000):Emanzipation der Menschen mit Down-

Syndrom. Leben mit Down-Syndrom, H. 33, 20-27

HAMBURGER ARBEITSASSISTENZ (Hrsg.)(2001): Übergang von der Schule in den Beruf

für Menschen mit Lernschwierigkeiten.Hamburg: Selbstverlag (Bezug über:

Hamburger Arbeitsassistenz, Schulterblatt 36,20357 Hamburg; Tel. 040/431339-0,

Fax 040/431339-22, E-Mail:[email protected])

HINZ, Andreas & BOBAN, Ines (2001):Integrative Berufsvorbereitung. Unterstütztes

Arbeitstraining für Menschen mitBehinderung. Neuwied/Berlin: Luchterhand

KROHN, Johanna (1997): IntegrativesBerufsvorbereitungsjahr. In: SCHULZE,

Hartmut u.a. (Hrsg.): Schule, Betriebe undIntegration: Menschen mit geistiger

Behinderung auf dem Weg in die Arbeitswelt.Hamburg: Eigenverlag, 190-194

(auch im Internet:http://bidok.uibk.ac.at/texte/integ2000-

Integrat-2.html)

MIEHLICH, Anna (1999): Meine Arbeit in derSpülküche im Krankenhaus Boberg. Impulse

Nr. 11 (auch im Internet:http://bidok.uibk.ac.at/texte/imp11-99

kueche.html)

Marco, der Mann mit der Krawatte!Ingeborg Huber und Andreas Reeg

Seit Marcos Geburt hat seine Mutter, die Autorin desfolgenden Artikels, gekämpft – gekämpft dafür, dass ihrSohn seine Erfahrungen in einer „normalen“ Welt ma-chen konnte und nicht in einer „abweichenden“ Welt.Das ist ihr gelungen.Marco ist heute 27 Jahre und lebt ein ganz normalesLeben, er hat einen Arbeitsplatz in einer ganz normalenStadtverwaltung, spielt Fußball im örtlichen Fußball-verein, wie die meisten anderen Männer in seinemWohnort, er geht zum Stammtisch und hat ein eigenesKonto bei der Sparkasse.

Unsere Integrationsbemühungen be-gannen vor 27 Jahren, als unser

Sohn als drittes von vier Kindern gebo-ren wurde. Mit der Vorstellung, dass be-hinderte Kinder ihre Erfahrungen in ei-ner „normalen“, nicht in einer „abwei-chenden“ Welt machen sollten, suchteich seinerzeit nach Wegen, um meinKind mit Down-Syndrom in den Regel-Kindergarten des Dorfes und später ineine Schule für Lernhilfe zu integrieren.Aus der heutigen Sicht kann ich sagen,dass wir wohl mit allen Beteiligten undBetroffenen innerhalb und außerhalbunserer Familie „Pionierarbeit“ geleistethaben. Von einem „Normalisierungs-prinzip“ hatte ich damals keine Ahnungund von Integrationsmodellen konnteich bestenfalls träumen.

Die heutigen ambulanten und mobi-len Frühförderangebote etablierten sichzur damaligen Zeit erst sehr langsam inunserem Bereich. Marco war bereits imKindergartenalter, als ihm die ganztägi-ge Frühförderung in einer Sonder-Kin-dertagesstätte angeboten wurde.

Ich sah es aber als eine Herausfor-derung an, mit unserem Sohn andereWege der Förderung und Kindergarten-erziehung einzuschlagen, als es für Kin-der mit einer Behinderung dann üblichwurde.

Ich erfuhr, wie schwierig es war, dasnötige Verständnis und die Unterstüt-zung amtlicherseits zu bekommen. Mantat sich u.a. schwer, den Besuch einesRegel-Kindergartens als Eingliede-

rungshilfe nach dem BSHG anzuerken-nen. Wir wurden oft als Außenseiter an-gesehen, auch galt ich als Mutter, die ihrKind mit „realitätsfernen Vorstellungenund Wünschen“ überfordert. Dieses feh-lende Verständnis hat mich damals oftsehr betroffen gemacht! Für mich war esaber wichtig, Marco alle Möglichkeitenzu bieten, damit er mit seiner Behinde-rung ein Leben „so normal wie möglich“führen kann.

Integration bekommt man nicht geschenkt

Auf Marcos Weg zum Erwachsenwer-den habe ich oft erfahren, dass man In-tegration nicht geschenkt bekommt. Vorallem habe ich das Schubladendenkender Schulbehörde noch in bester Erin-nerung: „Ihr Kind ist nicht für den vonihnen gewählten Schultyp geeignet.“ Eskostete mich damals sehr viel emotio-nale Kraft, die begonnenen geglücktenSchritte im Kindergarten für und mitMarco nicht vor der Schultür enden zulassen.

Irgendwie war es immer ein Kampf!Wir sind oft „gegen den Wind gelaufen“,weil es zu unserer Zeit nicht üblich war,andere Wege in der Behindertenpä-dagogik zu gehen. Wir forderten die Ge-sellschaft heraus, sich von den alten Bil-dern zu lösen, die man vom Down-Syn-drom hatte. Manchmal sind wir stehengeblieben, haben uns isoliert gefühlt,sind aber wieder weitergegangen. Un-terwegs haben wir aber immer Begleiter

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 17

gefunden, die Marco weitere Türengeöffnet haben, z.B. zu einer Volkstanz-gruppe und einem Sportverein.

Berufsvorbereitende Maßnahme

Nach einer zehnjährigen Schulzeit stan-den wir erneut vor der wichtigen Frage:Wie sollte es weitergehen, welche Chan-cen hatte Marco auf dem herkömmli-chen Arbeitsmarkt? Der InternationaleBund für Sozialarbeit ermöglichte Mar-co über das Arbeitsamt nach einigenTests die Aufnahme in einer berufsvor-bereitenden Maßnahme. Auch an die-sem Ort teilte man uns mit, dass Men-schen mit Down-Syndrom bisher nochnie in einer solchen Maßnahme aufge-nommen wurden und man über keiner-lei Erfahrungen verfügte.

Marco schaffte es, mit der Bahn nachDarmstadt zu fahren und seinen Wegzur Institution alleine zu bewältigen.Das war eine weitere Leistung für ihn.Kleinere Pannen, wie das Einschlafenauf der Heimfahrt im Zug oder ein un-geplanter Ausflug zur Autobahnpolizei,strapazierten zwar meine Nerven, ver-halfen meinem Sohn jedoch zu einerbesseren Orientierung und zur Erweite-rung seines Aktionsradius.

Erwachsen werden und erwachsensein bedeutet auch für Marco, als einsolcher respektiert zu werden und al-tersgemäße Rollen einzuüben. So nahmer wie alle anderen Absolventen im Zu-ge des Lehrganges an einem mehr-wöchigen Praktikum teil. Dieses absol-

vierte er in der Stadtverwaltung inGroß-Umstadt.

Das Praktikum

„Marco Huber ist für vier Wochen Prak-tikant bei der Stadtverwaltung in Groß-Umstadt. Einer von vielen, die in dasBerufsleben hineinschnuppern. ‚Mir ge-fällt es gut‘, sagt der Neunzehnjährige,

schneidet Zeitungsartikel aus, klebt sieauf ein Blatt Papier und beschriftet esfür den Pressespiegel. Nichts Unge-wöhnliches also. Doch der junge Mannleidet an einer Chromosomenstörung:dem Down-Syndrom.“

Mit diesen Worten beginnt der Be-richt über Marcos Praktikum im Mai1994 in der hiesigen Tageszeitung. Ichfreute mich in dieser Zeit über das In-teresse der Öffentlichkeit. Die Über-schrift des Artikels: „Ein Down-Kran-ker“ in der Verwaltung“, empfand ichallerdings als sehr unglücklich gewählt.

Bevor Marco den Praktikumsplatzbekam, musste wieder viel Aufklärungs-arbeit geleistet und mussten gesprächs-bereite Menschen in der Stadtverwal-tung gefunden werden. Trotz engen Per-sonalplans zeigte sich der Bürgermeis-ter aufgeschlossen. Er wollte versu-chen, für Marco eine Stelle zu schaffen.„Wir haben nicht nur verwaltungstech-nische, sondern auch soziale Aufga-ben“, sagte er und sprach mir damit ausder Seele. Eine endgültige Entscheidunghatte dann der Magistrat zu fällen.

Offensiv und optimistisch versuchteich nun, die für Marco erforderlichenRahmenbedingungen an seinem Prakti-kumsplatz zu schaffen (eine Arbeits-assistenz gab es natürlich nicht). Ohne

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18 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

die Bereitschaft und Hilfestellung sei-tens der Mitarbeiter in der Stadtverwal-tung wäre nichts gegangen. Diesen Men-schen bin ich heute noch sehr dankbar.Sie ließen sich auf die Begegnung mitMarco ein, für die meisten waren es dieersten Erfahrungen mit einem Men-schen mit einer Behinderung.

In der ersten Zeit war er viel mit demHausmeister auf Tour, faltete Prospekteoder erstellte Kopien. Der damaligePraktikumsbegleiter beschrieb die Be-treuungsintensität als sehr hoch. EinenAcht-Stunden-Tag konnte Marco nichtdurchhalten. Seine Dienstzeit dauertewährend des Praktikums von 7.15 Uhrbis 12.20 Uhr. Danach fuhr er mit demBus alleine nach Hause.

Mir wurde damals u.a. berichtet,dass Marco während der Dienstzeit sei-ne Bedürfnisse unmittelbar auslebte.Wenn er Hunger hatte, packte er seinFrühstück aus. Das geschah unabhängigvon der üblichen Frühstückszeit. Wenner guter Laune war, sang er lauthals zurRadiomusik. Letzteres hat Marco, wieer es jetzt selbst beschreibt, dann einge-stellt, weil er eine „Abmahnung“ (ermeint: „Ermahnung“) bekommen hat.

Praktikumsplatz wird Arbeitsplatz

Sieben Jahre ist das nun her. Inzwischenist Marco, der sich gerne als „rechteHand“ des Bürgermeisters bezeichnet,schon „ein alter Hase“ in der Stadtver-waltung geworden. Marcos Selbstbe-wusstsein hat sich weiterentwickelt. Ergenießt die Anerkennung und die Wert-

schätzung seiner Kollegen und fühlt sichausgesprochen wohl in der Stadtver-waltung. Sein Aufgabenbereich ist seitder Praktikumszeit natürlich erweitertworden, seine Selbstständigkeit ge-wachsen.

So trifft Marco ab und zu aus demBauch heraus Entscheidungen, über dieseine Kollegen später erzählen und hin-ter vorgehaltener Hand schmunzeln. Soerfuhr ich aus zweiter Hand, dass sichMarco telefonisch zwei Mitarbeiter desBauhofes bestellte, als er sich mit einerArbeit körperlich überfordert gefühlthatte. Es mussten Akten für einen Um-zug in einen anderen Büroraum ge-schleppt werden!

Marco ist für mich ein Lebenskünst-ler. Er geht nach wie vor morgens ausdem Haus und freut sich auf den begin-nenden Arbeitstag und die Begegnun-gen mit den Kollegen/-innen. Nur abund zu beschwert er sich bei mir, dasser sich über einen Kollegen aufgeregthat. Das bringt allerdings das Berufsle-ben mit sich, erkläre ich ihm. Dass nichtalle Menschen gleich nett im Umgangmiteinander sind, versteht Marco jetztganz gut. Es konnte früher auch passie-ren, dass ich im Nachhinein von ihm er-fuhr, dass er einen Beschwerdebrief ge-schrieben hat. Aber auch in diesen Si-tuationen hat sich Marcos Verhaltengeändert. Gelegentliche Drohungen undVergeltungen schreibt er zwar immernoch nieder, diese werden aber nichtmehr abgeschickt, sondern landen beimir oder in seinem Tagebuch.

„Dass Marcos Arbeits-platz immer noch eineBesonderheit darstellt,wird mir erst bewusst,wenn andere darüberstaunen, dass Marcoschon sieben Jahre sei-nen Platz im öffentli-chen Dienst hat, einefeste Anstellung mit ei-nem ordentlichen Ge-halt.Für uns ist das Norma-lität geworden.”

(In letzter Zeit verarbeitet er seinenKummer und seine Frustrationen häu-fig, indem er seinen „Sündenbock“ be-schimpft. Dies ist ein kleiner, dicker Pin-guin aus Keramik, namens „Schröder“,den er für besonders ärgerliche Ereig-nisse verantwortlich macht!)

„Ich liebe es, wenn mein Plan funktioniert!“

Inzwischen hat er ja auch seine Erfah-rungen sammeln und sich mit den Ge-pflogenheiten und Schicklichkeiten ei-nes öffentlichen Arbeitsplatzes ausein-ander setzen können. Was sich aller-dings nicht geändert hat in den letztensieben Jahren, die er schon in der Stadt-verwaltung verbracht hat, ist das „Ti-ming“ seiner Frühstückszeit.

Ab und zu gibt es deshalb Ärger, wieer mir zeitweise berichtet, jedoch mehrvon seiner Seite aus. Wenn Kollegen, dieschon längst ihre Frühstückspause ge-macht haben, um halb zehn mit Aufträ-gen kommen, kann sich Marco ziemlichaufregen. Er will allerdings an der Sachenichts ändern, seine Frühstückszeit hater von Anfang an auf halb zehn Uhr ge-legt und dabei bleibt es. Die Kollegenmüssen dann mit den Kopien o.Ä. war-ten. Da helfen auch keine guten Wortemeinerseits, Marco hält sich an seinePläne. Sein Lieblingsspruch ist wohlnicht umsonst: „Ich liebe es, wenn meinPlan funktioniert!“

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 19

Der Mann mit der Krawatte!

Ansonsten ist es Marco nach wie vor eingroßes Anliegen, sehr gepflegt und ele-gant gekleidet zu seinem Arbeitsplatz zugehen.

Er trägt stets Hemden mit Krawat-ten. Das ist für ihn ein „Muss“, um sichwohl zu fühlen in seiner Haut. In seinerFreizeit kleidet er sich legerer. Die Klei-dung gehört zu seiner Ordnung und istsicherlich auch ein Statussymbol. Alsich ihm erzählte, dass ich wieder, nacheiner langen Pause, von ihm berichtenwolle und nach einer passenden Titel-überschrift suche, meinte er: „Der Mannmit der Krawatte!“

Ruhe und Normalität

Andreas Reeg, ein angehender Foto-De-signer, hat im Rahmen seiner Diplom-arbeit, die sich mit Menschen mit Down-Syndrom befasst, Marco verschiedeneMale an seinen Arbeitsplatz begleitet.Mit sehr viel Einfühlungsvermögen hater Marcos jetzige Lebenssituation fest-gehalten und dokumentiert. Neben sei-ner Arbeit spielen der Sport (vor allemFußball) und sein Zuhause wichtige Rol-len in Marcos Leben.

Da Marco ein Mensch ist, der nichtso viel über seine Erlebnisse berichtet,bekomme ich oft auf Umwegen irgend-welche Informationen und Ereignissemitgeteilt. Das bedaure ich zwarmanchmal, auf der anderen Seite geste-he ich jedoch, darüber froh zu sein, dassnach Jahren der Kämpfe und Ängsteund der Frage: „Wie wird es weiterge-hen?“, so etwas wie Ruhe und Norma-lität in unseren Alltag eingekehrt sind.Ich brauche mich als Mutter nicht dau-ernd zu kümmern, nicht dauernd dafürzu sorgen, dass alles klappt. Es funktio-niert einfach!

Fotos geben Einblick in Marcos Alltag

Anhand der Fotos von Andreas Reegund seiner Schilderungen habe ich jetztauch selbst einen kleinen Einblick in dieArbeit meines Sohnes bei der Stadtver-waltung bekommen und kann manchesbesser nachvollziehen.

Zu Marcos Aufgaben gehören u.a.das Bedienen des Dokumentenhäcks-lers, das Entsorgen des Häckslermülls,viele Botengänge im Haus und zu denAußenbehörden, das Abholen der Kon-toauszüge bei der Bank, das Ausschnei-den von Artikeln aus der Tagespresse

und das Archivieren im Pressespiegel,das Erstellen von Kopien und dasGießen aller Pflanzen. Einmal wöchent-lich steht auch das Hofkehren auf sei-nem Plan. Das ist aus der Sicht von Mar-co eine „Strafarbeit“ und passt so garnicht zu seinem Outfit!

In einem für ihn erstellten Wochen-plan sind alle Aufgaben, die er zu erle-digen hat, zusammengestellt.

Um genau halb zehn fängt seineFrühstückspause an, immer mit Stulle,Cola und Bild-Zeitung (Sport und Witze).Dabei läuft das Radio, Marcos Lieb-lingssender HR 4. Um 12 Uhr fährt Mar-co mit dem Bus heim. Wenn Ferienzei-ten sind und die Buslinie nicht fährt, be-stellt er sich ein Taxi.

Seine Kollegen begrüßt Marco freu-dig mit Handschlag und er verteilt lie-bevolle Handküsse an seine Kollegin-nen. Bis auf wenige Ausnahmen hat erein sehr gutes Verhältnis zu den Ar-beitskollegen. Da es seit kurzem einenneuen Hausmeister bei der Stadt gibt,haben sich Marcos Tätigkeiten etwasgeändert. Er ist nun hauptsächlich imHaus beschäftigt und muss nicht mehrso viel laufen, worüber er sich freut.

Marcos herzliche Art und seineFröhlichkeit bringen viel Wärme in dieRäume der Stadtverwaltung, ist die Mei-nung seiner Kollegen.

impulse

Die Fachzeitschrift „impulse“ wird heraus-

gegeben von der Bundesarbeitsgemeinschaft

Unterstützte Beschäftigung e.V.

In dieser Zeitschrift finden Sie alle Themen

rund um die berufliche Integration behinder-

ter Menschen. Man bekommt „impulse“ als

Mitglied der BAG, aber auch Nichtmitglieder

können das Blatt bestellen.

Die BAG UB finden Sie im Internet unter

den Web-Adressen:

www.bag-ub.de

www.arbeitsassistenz.de

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20 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Hauterkrankungen – Syndrom-spezifisch?Käthe Noz

Trockene rote Backen, Risse an den Mundwinkeln, Hautausschlag … Viele Menschenmit Down-Syndrom leiden an einer oder an mehreren Hauterkrankungen. Welche Erkrankungen sind das hauptsächlich? Sind sie tatsächlich Down-Syndrom-spezi-fisch? Wie kann man sie behandeln? Die Dermatologin Käthe Noz versucht Antworten zu finden. In diesem Bericht gibt sieeine Übersicht über die verschiedenen Hauterkrankungen. Dieser Artikel wurde derZeitschrift Down + Up Nr. 56, Winter 2001 entnommen. Sie wird herausgegeben vonder Stichting Down’s Syndroom in den Niederlanden.

August 1999 wurde unsere TochterIlse geboren. Trotz einer problem-

freien Schwangerschaft und der Tatsa-che, dass sie unser zweites Kind war,wog sie nur knapp 2500 Gramm. IhrHals war schlaff, aber das konnte viel-leicht die Folge der Gesichtslage sein, inder sie zur Welt kam? Etwas später amgleichen Tag stellte der Kinderarzt aberDown-Syndrom fest.

Ja, dann ist man zwar selbst Arzt,aber viel weiter als eine Reihe zu demSyndrom gehörende Besonderheitenreichten meine Kenntnisse auch nicht.Mittlerweile haben wir durch Ilse selbst,durch unseren Kinderarzt und durch dieSDS (Stichting Down’s Syndroom) vieldazugelernt. In dem (niederländischen)Buch „Medische aspecten van Down-syndroom“ wird viel über die am häu-figsten auftretenden gesundheitlichenProbleme erzählt. Es gibt aber kein Ka-pitel über dermatologische Erkrankun-gen. Haben Menschen mit Down-Syn-drom dann keine spezifischen Hautpro-bleme? Eine Frage, die für mich als Der-matologin interessant war.

In unserer Praxis mit jährlich proDermatologe 2000 neuen Patienten ha-be ich selbst in den letzten fünf Jahrennur sechs Patienten mit Down-Syndromgesehen. Durch die SDS hörte ich je-doch, dass z.B. Kinder mit Down-Syn-drom häufig Probleme haben mit rotenBacken. Auch scheinen öfter Anfragenzu kommen über Risse in den Mund-winkeln oder über Haarausfall. Da ichselbst nicht aus einer großen Erfahrungschöpfen kann, habe ich mich in dieFachliteratur vertieft.

Treten Hautprobleme häufiger auf?

Es stellte sich heraus, dass doch einigesgeschrieben wurde über häufig auftre-tende Hauterkrankungen bei Menschenmit Down-Syndrom. Die Frage ist, obtatsächlich Menschen mit Down-Syn-drom davon häufiger betroffen sind alsder Durchschnitt der Bevölkerung und/oder ob diese Krankheiten einen ande-ren Verlauf nehmen, also dann doch alsSyndrom-spezifisch angesehen werdenmüssen. Beim Studieren der Literaturzu dieser Thematik wurde mir klar, dasswir vorsichtig sein müssen bei der In-terpretation des vorhandenen Daten-materials.

Drei Aspekte sind dabei wesentlich.Erstens braucht man, um eine fundier-

te Aussage treffen zu können, verlässli-che Zahlen über die Prevalentie (dasAuftreten einer bestimmten Diagnose ineiner bestimmten Bevölkerungsgruppe)bei Down-Syndrom und in der Gesamt-bevölkerung. Dies kann nur über einegute Registration funktionieren. Vonvielen Hauterkrankungen liegen jedochgar keine Prevalentiezahlen der Ge-samtbevölkerung vor. Die Medizinerkönnten zwar eine solche Registrationvornehmen, die Schwierigkeit ist je-doch, dass die Ärzte den Patienten erstsehen, wenn er sich schon selbst selek-tiert hat. Denn wann geht man mit sei-nem Hautproblem zu einem Dermatolo-gen? Wenn es kratzt oder schmerzt,wenn es kosmetisch stört oder weil man

Risse (Rhagaden) in

den Mundwinkeln

treten bei Kindern

mit Down-Syndrom

häufig auf

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M E D I Z I N

Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 21

beunruhigt ist und wissen möchte, wasdas genau ist.

Die erste Selektion nimmt also derPatient selbst oder die Eltern des Pati-enten vor. Wenn der oder die es nichtfür nötig halten, einen Arzt aufzusuchenwird erst gar keine Diagnose gestellt.Außerdem wird in den Niederlandenerst seit einigen Jahren eine Registrati-on der verschiedenen dermatologischenDiagnosen vorgenommen, aber dabeiwird nicht festgehalten, welche anderenDiagnosen, z.B. Down-Syndrom, der Pa-tient noch hat.

Außer den Problemen der Registrie-rung und Selektion gibt es noch einendritten Faktor, der Einfluss auf die Ver-lässlichkeit der Prevalentiezahlen hat.Dies betrifft die Verlässlichkeit der der-matologischen Diagnose. Als Beispielerwähne ich die Diagnose „atopischesEkzem“, das in der Gesamtbevölkerungimmer öfter auftritt, von dem es in vie-len Publikationen heißt, es käme extremhäufig bei Personen mit Down-Syndromvor. In einer neueren Studie, wobei dieDiagnose atopisches Ekzem bei Kindernmit Down-Syndrom nach sehr genauenund strengen Kriterien untersucht wur-de, zeigte sich, dass die Prevalentie sehrviel niedriger ausfiel, als bis dahin an-genommen.

Folglich ist es nicht so einfach, fest-zustellen, ob bestimmte Hauterkran-kungen bei Menschen mit Down-Syn-drom öfter vorkommen als bei anderenMenschen. Es gibt zwar einige wissen-schaftliche Publikationen, die dies alsTatsache beschreiben, allerdings stam-men die Angaben bei diesen Zahlen ausDatenmaterial, das in den Jahren 1960oder 70 in Institutionen gesammelt wur-de. Aus den neunziger Jahren gibt es ei-nige Untersuchungsergebnisse über dasAuftreten von Hautproblemen bei Men-schen mit Down-Syndrom, die zu Hau-se wohnen. Die Zahlen unterscheidensich übrigens nicht sehr voneinander.Zunächst folgen eine Auflistung und ei-ne kurze Erklärung aller Hauterkran-kungen, die bei Down-Syndrom diagnos-tiziert werden.

Hauterkrankungen, die bei mehr als50 % der Menschen mit Down-Syn-drom auftreten

1. Atopische Dermatitis

Dieses Ekzem kann sich schon kurznach der Geburt oder während den ers-

ten Kinderjahre entwickeln. Im Gesichtbekommen die Kinder rötliche, jucken-de Flecken, Papeln. Diese können auchauf den Streckseiten der Arme und Bei-ne vorkommen. Etwas ältere Kinderentwickeln dann häufig ein Ekzem ander Innenseite der Ellenbogen und inden Kniekehlen. Die Behandlung be-steht aus Fettsalben, die häufig auchCorticoid enthalten und manchmal An-tihistaminica (Tabletten gegen allergi-sche Reaktionen).

2. Cheilosis

Eine Entzündung der Haut der Lippen,wobei sich dann in den MundwinkelnRisse (Rhagaden) bilden können. Oftkommt bei dieser angegriffenen Hautauch noch eine bakterielle Infektion hin-zu. Fettsalben, milde corticoidhaltigeCremes werden als Behandlung vorge-schlagen, zusätzlich eventuell eine me-dikamentöse Behandlung der Infektion.

3. Lingua plicata (-scrotalis)

Hier zeigt die Zunge tiefe Furchen, wo-bei dies nur selten zu Beschwerdenführt. Diese Diagnose wird bei 80 % derMenschen mit Down-Syndrom be-schrieben, aber nur bei 3 bis 5 % der Ge-samtbevölkerung.

4. Hautinfektionen

4a Onychomykosis

Pilzerkrankung der Nägel

4b Tinea pedis

Eine Fußpilzinfektion, die auch in derGesamtbevölkerung häufig auftritt. Sowurde das Vorkommen von Tinea pedisin den Niederlanden beim europäischen„Achilles-Projekt“ (1997–1998) mit 40% angegeben.

5. Bakterielle Hautinfektionen

5a Pityrosporum follikulitis

Haarwurzelbeutelentzündung, die ver-ursacht wird durch einen Hefepilz. DieBeschwerden beinhalten häufig Kopf-schuppen und/oder eine seborrhoischeDermatitis (siehe nachher).

5b Xerosis

Viele Menschen mit Down-Syndrom ha-ben eine trockene, raue, schuppendeHaut. Wenn die Haut sehr trocken ist,kann leicht eine Dermatitis entstehen.Die häufig geröteten Backen der Kinder

sind wahrscheinlich die Folge einerXerosis, aber oft wird hier eine falscheDiagnose, nämlich atopisches Ekzem,festgestellt. Die Behandlung (auch prä-ventiv) besteht aus dem regelmäßigenAuftragen einer Feuchtigkeitscreme.

5c Palmoplantaire Hyperkeratose

Verstärkte Hornhautbildung an denHänden und Füßen. Bei Beschwerdenkann eine symptomatische Behandlungmit Keratolytica (Stoffen, die die Horn-haut weich machen) oder auch das Ent-fernen der verdickten Hautareale hel-fen.

Hauterkrankungen, die bei wenigerals 50 % der Menschen mit Down-Syndrom auftreten

1. Acrocyanosis

Bläuliche Verfärbung von Körperteilen,die – was der Blutzirkulation betrifft –am weitesten vom Herzen entfernt sindwie die Finger, Zehen, Nase oder Ohren.

2. Alopecia areata

Bei dieser Autoimmun-Erkrankung ent-stehen kreisrunde kahle Stellen amKopf. Der Haarausfall kann aber alleHaare des Körpers betreffen, wie Au-genbrauen oder Bart. Manchmal tretenzusätzlich Nägelabweichungen auf, dieoft schon vor dem Haarausfall feststell-bar sind. Das Vorkommen bei Men-schen mit Down-Syndrom wird mit 6 bis9 % angegeben, in der Gesamtbevölke-rung mit 0,1 bis 1 %.

Bei den meisten Patienten kommtdas Haar auch ohne Behandlung inner-halb eines Jahres wieder vollständigzurück. Abhängig vom Patienten undvom Ausmaß des Haarverlustes sindverschiedene Therapien möglich.

3. Cutis marmorata

Das Auftreten einer „marmorierten“Haut ist wahrscheinlich zurückzuführenauf eine Instabilität der Blutgefäße. Vorallem beim Übergang von einer kalten ineine warme Umgebung kann dies auf-treten.

4. Elastosis perforans serpiginosa

Bei dieser Hauterkrankung sind kleine,rote, verhornte Papeln ringförmig ange-ordnet (im Nacken, am Hals, an denWangen, Ellenbogen oder Knie). Es sindmehr und auch größere elastische Fa-sern vorhanden als normal. Dieses

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22 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Hautproblem entwickelt sich häufig zwi-schen dem 20. und dem 30. Lebensjahr.Bei Menschen mit Down-Syndrom istdie Erkrankung oft sehr hartnäckig undes dauert länger, bis die Knötchen wie-der verschwinden.

5. Ichthyosis

Hierbei handelt es sich um ein Verhor-nungsproblem der oberen Hautschicht,wobei die Haut extrem austrocknet.Man spricht dann von „Fischschuppen-haut“. Die Behandlung besteht aus derAnwendung von Salben, um demJuckreiz, dem „ziehenden“ Gefühl unddem Trocken-Ekzem vorzubeugen.

6. Keratosis pilarisDiese Hautveränderung kann an denStreckseiten der Oberarme und Ober-schenkel sowie am Gesäß auftreten.Hier liegt eine verstärkte Verhornungder oberen Hautschicht an den Haar-wurzelfollikeln vor. Es entstehen steck-nadelgroße Knötchen. Die Haut fühltsich an wie ein Reibeisen.

7. Scabies norvegica

Dies ist eine breitflächige und an-steckende Form von Skabies (Krätze).Bei der gewöhnlichen Skabies dringendie Milben in die obersten Hautschich-ten ein. Diese sehr stark juckende Haut-erkrankung kann überall am Körperauftreten, typisch ist sie aber zu findenan den Händen, am Handgelenk, zwi-schen den Fingern und im Genitalbe-reich. Die gewöhnliche Skabies wird inder Regel nur übertragen durch längereHautkontakte („Schmusekontakte“)

Die Scabies norvegica zeigt eine aus-geprägte Schuppenbildung, besondersan Kopf und Nacken. In den losen Haut-partikeln der stark verhornten Haut be-finden sich sehr viele Milben, die einAusweiten der Krankheit beschleunigen.

8. Eczema seborrhoicum

Dieses Ekzem kann auf dem behaartenKopf, in den Gehörgängen, an den Au-genbrauen oder in der Nasenlippen-spalte und auf der Brust vorkommen. Esbilden sich orange-rote Flecken, mitgelblichen schuppenden Hautpusteln.Manchmal hat der Patient auch hart-näckigen Schuppenbefall am Kopf.

Milde Kortisoncremes, eventuell inKombination mit Anti-Pilzmitteln fürden Kopf, können bei der Behandlungeingesetzt werden.

9. Syringome

Syringome sind gutartige kleine Tumo-ren der Ausführungsgänge der Schweiß-drüsen. Es bilden sich kleine hautfarbe-ner Knötchen, die vor allem rund um dieAugen festzustellen sind. Bei 20 bis 40 %der untersuchten Menschen mit Down-Syndrom hat man diese Syringome be-obachtet. Wie in der Allgemeinbevölke-rung kommen sie häufiger bei Frauenals bei Männern vor.

10. Vitiligo

Hierbei handelt es sich um eine Auto-immun-Erkrankung. Als Folge des Feh-lens von Pigmentzellen bilden sich andiesen Stellen weiße Flecken auf derHaut.

Vitiligo manifestiert sich oft in einemsymmetrischen Muster, ausgehend vonder Körperachse, besonders an den Fin-gern und Händen, Zehen und Füßen.Der Verlauf dieser Erkrankung ist wech-selnd und nicht vorhersagbar. Bei frü-hen Stadien können starke kortisonhal-tige Cremes ab und zu erfolgreich sein.Auch eine UVB-Lichttherapie kann ei-nen Effekt haben. Daneben besteht die

Möglichkeit, gerade im Gesicht dieFlecken mit einer Kosmetiktechnik zucamouflieren. Weil Pigment fehlt, sinddiese hellen Hautpartien extrem anfälligfür Sonnenbrand. Es ist deshalb ratsam,einen Sunblocker zu benutzen.

11. Milia-like idiopathic calcinosiscutis

Dies sind kleine gerstenkornähnlicheHautabweichungen an Armen und Bei-nen, die durch Kalkablagerungen ent-stehen. Über diese Diagnose wurde seit1968 einige Male berichtet. Sie ent-wickelten sich bei Kindern mit Down-Syndrom, die auch Syringome aufwei-sen.

12. Leukemia Cutis

Hautabweichung, die vorkommt bei ei-ner vorübergehenden Form von konge-nitaler Leukämie.

Das am häufigsten vorkommende Hautproblem

bei kleineren Kindern mit Down-Syndrom sind

wohl die extrem roten Backen

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 23

Weniger schmerzlindernde Mittelfür Menschen mit Down-Syndrom?

Weil Menschen mit Down-Syndromihre Schmerzen weniger und

nicht so schnell äußern, kann dies zurFolge haben, dass sie im Falle eines Fal-les nicht genug schmerzlindernde Mittelerhalten, fand eine neue Studie heraus,und deswegen unnötig mehr Schmer-zen ausgesetzt sind.

Die Studie untersuchte das sensori-sche Empfinden bei Kindern und Er-wachsenen mit Down-Syndrom undstellte fest, dass sie Schmerzgefühlezwar wahrnahmen, aber Schmerz undUnwohlsein erst mit großer Verzöge-rung im Vergleich zu der Kontrollgrup-pe kundtaten.

Die französische Studie hat bedeu-tende Folgen für die Behandlung vonPatienten mit Down-Syndrom, die be-kanntlich viel häufiger von schmerzhaf-ten Erkrankungen betroffen sind, wieu.a. von Mittelohrentzündungen, Leukä-mien, Hüft- oder Hautprobleme, so dieAutoren.

Dies beinhaltet, dass das medizini-sche Team, das diesen Personenkreis zubetreuen hat, auch dann an eineSchmerzbehandlung denken muss,wenn der Patient offenbar keinSchmerzempfinden zeigt.

Die Forscher untersuchten das sen-sorische Empfinden von 26 Personenmit Down-Syndrom und verglichen esmit einer Kontrollgruppe von 75 ande-ren Personen, alles Patienten einer fran-zösischen Zahnklinik.

Um die Schmerzwahrnehmung zutesten, wurde den Testpersonen ein ein-gewickelter Eiswürfel an die Schläfe undan das Handgelenk gedrückt. Die Er-gebnisse zeigen deutlich, dass Men-schen mit Down-Syndrom länger brauch-ten, um auf den Schmerz zu reagieren,als die Kontrollgruppe. Beide Gruppenreagierten schneller beim Schmerz ander Stirn als am Puls und Frauen in bei-den Gruppen hatten eine signifikantniedrigere Schmerzschwelle als Män-ner.

Bei einem zweiten Test, der daraufzielte, die Fähigkeit, Schmerz zu lokali-sieren, zu erfassen, wurde ein Watte-

bausch in Ethylchlorid getränkt und aufHände, Gesicht und Mund gehalten. DieStudie zeigte, dass Menschen mit Down-Syndrom weniger genau angeben konn-ten, wo die kalte Stimulanz herkam.

Die Forscher meinen, dass die höhe-re Schmerzschwelle und die Unfähig-keit, den Schmerz genau zu lokalisie-ren, verursacht werden durch eine ver-zögerte Schmerztransmission, eine Ver-zögerung im Schmerzintegrationspro-zess, eine verzögerte motorische Verar-beitung oder ein Zusammenspiel dieserFaktoren.

Egal welche Hypothese die richtigeist, die Lebensqualität von Menschenmit Down-Syndrom ist betroffen, wennsie nicht adäquat behandelt werden,weil sie auf Schmerzen nur mit Verzö-gerung reagieren können.

Quelle:Lancet, 2000; 356: 1882-87

Alopecia areata bei Kindern mit Down-Syndrom

Alopecia areata ist eine Komplikati-on, die bei Kindern mit Down-Syn-

drom öfter auftritt als in der Gesamtbe-völkerung. Einige von den angenomme-nen Ursachen sind ein Mangel an Vita-min A und Zink oder eine Schilddrüsen-unterfunktion, aber bei den meisten Fäl-len vermutet man, dass eine Autoim-mun-Erkrankung vorliegt. Unter den731 Patienten, die unsere Vorsorgekli-nik für Kinder mit Down-Syndrom (biszum Alter von 18 Jahren) besuchten,hatten 17 (2,3 %) Alopecia areata. Beizwei der Patienten konnte ein Zusam-menhang festgestellt werden mit Zölia-kie oder als Folge einer Leukämiebe-handlung. Bei 15 Patienten lag keineeindeutige Ursache vor. Immerhin konn-ten 13 Patienten erfolgreich behandeltwerden, der Patient mit Zöliakie durcheine glutenfreie Ernährung und 12 Pati-enten durch eine homöopathische Be-handlung.

Quelle:Abstract von Wolfgang Storm für die

„International Conference on Chromosome 21and Medical Research on Down Syndrome“,

die am 6. und 7. April 2001 in Barcelona stattfand

Eine Tretmühle zum Laufenlernen

Dale Ulrich, Direktor des „Center forMotor Behaviour in Down Syndro-

me“ an der Universität Michigan, USAhat untersucht, ob Babys mit Down-Syn-drom früher laufen können, wenn sieregelmäßig auf einer Tretmühle, einerArt Laufband, üben. Diese Nachrichtkonnte man vor einiger Zeit in dem Ma-gazin „Spiegel“ lesen, der sich wieder-um auf einen Artikel in dem Fachblatt„Pediatrics“ stützte.

Was genau ist gemeint? Wir wissenalle, dass Kinder mit Down-Syndrom imDurchschnitt ein Jahr später anfangenzu laufen als andere Kinder. Diese Ver-zögerung wirkt sich auch auf die kogni-tive Entwicklung des Kindes aus. Je eherdas Kind laufen kann, mobil wird, destobesser kann es die Welt entdecken, soUlrich. Wenn das Kind lange nur liegtoder sitzt, bekommt es weniger Anre-gungen, macht weniger Erfahrungenund lernt deshalb auch langsamer.

Deshalb hat man im Center for Mo-tor Behaviour in Down Syndrome eineArt Laufband entwickelt, eine „Tret-mühle“, auf der das Kleinkind nun dasLaufen trainiert. Ein regelmäßiges Trai-ning von acht Minuten am Tag an fünfTagen pro Woche brachte die Kleinenmehr als 100 Tage, also dreieinhalbMonate früher, zum Laufen als diejeni-gen, die nicht auf einem Laufband üb-ten.

Nicht nur ist dies bedeutsam für dieEntwicklung des Kindes, auch der Stressder Mütter nehme ab, wenn das Kindendlich selbst gehen kann. Außerdembestehe bei Kindern mit Down-Syndromdie Gefahr, eher Übergewicht zu be-kommen, u.a. nämlich weil sie sich zuwenig bewegen.

Das Training auf dem Laufbandstärkt die Kraft in den Beinen und hilftden Kindern, die aufeinander folgendenBeinbewegungen richtig einzuüben. An-gefangen wird das Training, sobald dasBaby über genügend Kopfkontrolle ver-fügt. Wer mehr über diese Methode le-sen will, findet Informationen bei:www.umich.edu/–cmbds.

Im Internet wurde schon heftig überdas Für und Wider dieser Art der För-derung diskutiert. Interessant vielleichteine Bemerkung von Professor SueBuckley aus Portsmouth hierzu: Sie un-terstützt die Idee, weil dieses Trainingauch zu einem besseren Laufen führenkann.

Medizinische Kurzmeldungen

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Meine Tochter ist ordentlich, sehrsogar. Das wäre an sich eine po-

sitive Eigenschaft. Vergleiche ich z.B.ihren „Kleiderstuhl“, auf dem sie jedenAbend fein säuberlich alle ihre Kleiderin einer ganz bestimmten Reihenfolgeablegt, mit dem immer höher wachsen-den und völlig strukturlosen, chaoti-schen Kleiderberg ihrer älteren Schwes-ter, freue ich mich über so viel Ordent-lichkeit.

Wenn ich jedoch Abend für Abenddieses ganze Ritual rund um den Klei-derstuhl miterlebe (die Kleider müssenda auf eine ganz bestimmte Art undWeise hingelegt werden, der Stuhl dazuan einer bestimmten Stelle im Zimmerstehen, usw.), dann überkommt michleicht ein ungeduldiges Kribbeln undich verspüre manchmal große Lust, al-les durcheinander zu bringen oder denStuhl mal woanders hinzustellen. Abund zu halte ich diese Rituale, die mei-ne Tochter offenbar zur Organisation ih-res Lebens braucht, nicht aus.

Und stellen Sie sich die Problemevor, die auftreten, wenn mal woandersübernachtet wird und nicht gerade einsolcher Stuhl im Zimmer steht! Kleider-stühle kann man zum Glück nicht mitauf die Reise nehmen, aber Andreasteckt oft – für unser Dafürhalten abso-lut unnötige – Gegenstände ins Reise-gepäck, z.B. musste lange Zeit der einenMeter lange Kalender überall mit. Wes-halb? Da komme ich gleich drauf.

Die Jodtablette und weiter geht’s

Manche Rituale helfen durch den Tag.Am Anfang eines jeden Tages steht dieJodtablette! Ohne Jodtablette, die einehalbe Stunde vor dem Frühstück einge-nommen werden muss, kann der Tagerst gar nicht anfangen. Hat sie einmaldiese Tablette intus, dann spult sich dasProgramm automatisch ab, langsamschon, aber wir können sicher sein, dasssie der Reihe nach alle notwendigenHandlungen verrichtet, dabei vergisst

Rituale – Richtschnur undReizthema

Regeln und Rituale können praktischund liebenswürdig sein, manchmalaber auch ganz schön nervig und ät-zend!

Auf den folgenden Seiten finden Sie einige Beiträge zuThemen, die den meisten von Ihnen, die mit Kindernoder Erwachsenen mit Down-Syndrom zusammenlebenoder arbeiten, nicht unbekannt sein werden. Das Festhalten an gewohnten Abläufen bis hin zu fest-gefahrenen, zwanghaften Ritualen ist eine Verhaltens-weise, die wir häufig bei Menschen mit Down-Syndrombeobachten können. Oder „Sturheit“ – erwähnten bei ei-ner Umfrage nicht 60 % der Eltern Bockigkeit als typi-schen Charakterzug ihres Kindes? Weshalb entwickeln Menschen mit Down-Syndrom sol-che Verhaltensweisen, was möchten sie uns damit sig-nalisieren? Störendes Verhalten ist nicht angeboren, esist auch kein fester Bestandteil des Syndroms. Vielmehrhat jedes Verhalten ein Ziel oder ist eine Reaktion aufeine Situation, mit der das Kind oder der Erwachsenenicht zurechtkommt. Es ist wichtig herauszufinden, was die Ursachen für sol-che Verhaltensweisen sind. Das können z.B. Problememit der Zeit und der Zeiteinteilung sein oder eine man-gelnde Fähigkeit zu kommunizieren. Verständnis für diebesondere Situation des behinderten Menschen erleich-tert uns zum einen, störendes Verhalten besser auszu-halten, und bietet uns zum anderen vielleicht eine Mög-lichkeit, dem Menschen zu helfen. In den folgenden Artikeln finden Sie keine Patentlösun-gen für Probleme, aber vielleicht einige Anregungen, diefür Ihren Alltag mit Menschen mit Down-Syndrom hilf-reich sind.

Typisch Down-Syndrom?

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 25

sie nichts, und nach einer gewissen Zeiterscheint sie gewaschen, angezogen,mit gepackter Schultasche zum Früh-stück. Den Ablauf beschleunigen zu wol-len, fruchtet nicht, verursacht nur Pro-test und verzögert eher. Wenn wir malfrüher aus dem Haus müssen, gelingtdas am besten, wenn die Jodtabletteeinfach eine Stunde eher serviert wird.Das Programm spult sich ab dem Mo-ment genauso ab, nur eben eine Stundefrüher! Das Einzige, was dann nichtganz stimmt, ist das Begleitprogrammim Radio!

Der Marktrundgang

Zweimal in der Woche findet die letzteSchulstunde in einem anderen Schulge-bäude statt und bietet Andrea die Mög-lichkeit, anschließend allein nach Hau-se zu laufen. Auf dem Heimweg muss sieüber den Marktplatz mit den vielen Ge-schäften. Die besucht sie in einer be-stimmten Reihenfolge. Bei den Laden-besitzern ist sie schon bekannt. Zuerstder Buchladen, dort geht sie in die Ju-gendbuchabteilung, dann besucht siedie Geschenkeboutique, um Ketten an-zuschauen und mit einer bestimmtenVerkäuferin zu sprechen, es folgen derDrogeriemarkt – Make-up ausprobierenund CDs anschauen – sowie ein Schuh-geschäft, hier werden lange Stiefel undPlüschpantoffel anprobiert. Am Schlussgibt es noch ein Buchgeschäft, in demvor allem die vielen Zeitschriften ange-schaut werden müssen. Eine Stundespäter kommt sie ganz vergnügt nachHause. Dagegen ist ja nichts zu sagen, esfördert die Selbstständigkeit, unterwegstrifft sie immer Bekannte und unterhältsich mit dem einen oder anderen. Wirsind froh, dass diese Art von „Soziali-sing“ in unserer Kleinstadt möglich ist.

Nur … fällt diese Schulstunde malaus, fällt auch der Marktrundgang flachund das ist ärgerlich! Sogar manchmalohne Vorankündigung und dann stimmtAndreas Programm nicht mehr. Sie willtrotzdem zu dieser Unterrichtsstundeunten in der Stadt gehen und weigertsich zunächst, sich mit etwas anderemzu beschäftigen. Eine unerwartete Än-derung bringt sie leicht aus dem Kon-zept.

Ein festes Freizeitprogramm

An den Nachmittagen, die Andrea zumgrößten Teil selbst gestaltet, pflegt sie ei-ne ganze Reihe unterschiedlichster Hob-

bys: Sie liest, malt und bastelt, schreibtBriefe und Geschichten von Hand in einHeft oder am Computer, hört Radio oderCDs. Alles läuft nach einem ganz be-stimmten, für uns nicht nachvollziehba-ren Plan ab: erst eine halbe Stundeschreiben („von Hand Mama, mit demComputer doch erst nachher!“), dannfolgt z.B. eine Stunde lesen, dann dasRadio etc.

Komischerweise haben wir es nichtgeschafft, in diesen festen Ablauf einenHausaufgabenblock zu integrieren, weilwenn das so wäre, würde das ja auto-matisch jeden Tag „drankommen“. Sobleibt uns täglich aufs Neue ein kleinerKampf, um die Zeit, die für die Haus-aufgaben benötigt wird, herauszuschin-den – „denn heute gibt es keine Zeitmehr, das Programm ist bereits voll“.

Ein weiterer wichtiger Termin inihrem Kalender ist die Nachhilfestunde,einmal wöchentlich (schließlich hat heu-te fast jeder Jugendliche Nachhilfe, alsowill sie das auch). Es ist Tradition ge-worden, dass Andrea die Reise zurNachhilfelehrerin ganz allein macht. Sieläuft zum Bahnhof, steigt in die S-Bahnund nach sieben Stationen wieder ausund weiter zu Fuß bis zum Ziel. Ein je-de Woche wiederkehrendes Ereignis,das sie liebt: alles bekannt, übersichtlich

– sie hat das Ganze im Griff. Sie begeg-net unterwegs den gleichen Menschenim Zug, plaudert hier und dort.

Fällt die Stunde aus oder soll sie ei-ne Stunde später erst kommen, dann istdas problematisch. Sie liebt wieder er-kennbare, gleiche Situationen. Experi-mente, mal so, mal so, mag sie nicht.

Einmal Cola – immer Cola

Aus vielen Erfahrungen habe ich ge-lernt, dass man in einer neuen Situationaufpassen muss. Wenn dann eine neueRegel eingeführt werden soll oder einbestimmter Ablauf festgelegt und einge-übt werden muss, sollte dies gleich dierichtige, erwünschte Regel sein, dennein einmal eingeführter Ablauf lässt sichim Nachhinein nur schwer abändern,einmal aufgestellte Regeln schlecht wie-der rückgängig machen.

Ein Beispiel: Der erste Tanzabend inder Tanzschule – es geht um das Pau-sengetränk. Cola wird u.a. angeboten,davon bin ich nicht gerade eine Liebha-berin, normalerweise versuchen wir,ohne so etwas auszukommen. Aber ichgebe nach, einmal kann man ja auch einCola trinken (ein großes Glas wurde esdann auch noch). Aber einmal Cola –immer Cola! Ohne dieses Getränk ist derTanzabend nicht komplett und es ist un-

Faschingsparty in der Tanzschule …

natürlich darf das beliebte Pausenge-

tränk nicht fehlen

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möglich, hier noch etwas zu ändern.Beim Squaredance, ein anderes Hobby,dem Andrea übrigens mit viel Freudenachgeht, war jedoch das Pausenge-tränk beim ersten Mal Wasser. Und da-bei blieb es! Nie verlangt meine Tochterhier Cola oder Limo. Einmal Wasser –immer Wasser! Das gehört zu demSquaredance-Abend genauso dazu wieder geliebte Petticoat oder bestimmteBegrüßungsrituale.

Die Sache mit dem Kalender

Tja, und dann noch die Sache mit demKalender. Seit Jahren benutzt Andreaeinen Kalender, um die Zeit zu „kon-trollieren“, wie sie selbst sagt. Die ersteHandlung jeden Tag nach dem Aufste-hen war der Gang zum Schreibtisch, dalag dieser einen Meter lange, schmaleKalender, der neue Tag wurde durchge-kreuzt mit dem Bleistift, der dort schonparat lag. Fuhren wir mal einige Tageweg, auch wenn das ein Wanderwo-chenende mit Rucksack war, dann soll-te der Kalender mit, der Bleistift auch,denn die Tage mussten durchgekreuztwerden! Irgendwann dann konnten wirsie davon überzeugen, das Ding zu Hau-se zu lassen. Dies ging nur mit dem Ver-sprechen, dass derjenige, der zu Hauseblieb, die Aufgabe übernahm und mor-gens den jeweiligen Tag durchstreicht.Mittlerweile gibt es nur noch einenTischkalender in einem handlichen For-mat und die Tage brauchen nicht mehrangekreuzt zu werden, sondern es ge-nügt, in der Früh darauf einen Blick zuwerfen, aber dies ist zurzeit zwingend,unabänderlich. Und ich befürchte, derTischkalender muss nun auch mit nachWien, auf die Abschlussfahrt der Schul-klasse. Auch wenn es heißt, so wenigGepäck wie möglich.

Übrigens die Einzige in der Familie,die immer weiß, welches Datum geradeist, ist Andrea!

Regel ist Regel

Da fällt mir noch die Geschichte mit demToilettenschlüssel ein. Es gab Zeiten, dawar es notwendig, in der Schule denToilettenraum abzusperren. Bei Bedarfkonnte man sich den Schlüssel bei einerLehrerin abholen, nach Gebrauch wur-de der Schlüssel wieder abgegeben.Andrea nun hatte die Regel verstandenund folgte ihr brav (stur?): Schlüssel ab-holen, aufsperren, aufs Klo gehen, Hän-de waschen und den Raum wieder zu-

sperren, Schlüssel abgeben. Nur pas-sierte es natürlich regelmäßig, dass,während sie dort war, auch ein anderesMädchen in den Toilettenraum kam undeine Toilette benutzte. Andrea aber un-beirrt, schloss, nachdem sie fertig war,den Raum ab, wie gelernt, lieferte denSchlüssel ab und ging zurück in ihreKlasse. Mit Klopfzeichen und einem lau-ten Geschrei machte sich irgendwanndas eingesperrte Mädchen bemerkbar!Hatte Andrea nicht gehört, dass nochjemand im Raum war? Oder fand sie eseinfach ganz lustig, jemanden einzu-sperren. Oder folgte sie nur der abge-speicherten Regel? Mehrere Gespräche,Andrea zur Einsicht zu bringen, halfennichts. Mindestens einmal in der Wochegab es eine Klo-Gefangene! Irgendwannfand dies niemand mehr lustig und eswurde überlegt, wie man Andrea diesesVerhalten abgewöhnen konnte. Da hat-te eine die zündende Idee: Wir müssenden Ablauf ändern, um eine Regel er-weitern. Bevor Andrea den Raum ver-lässt, muss sie rufen: „Ist noch jemandda?“ Wenn die Antwort „Ja“ lautet,braucht sie nicht abzusperren. So ein-fach war das. Der neue Ablauf wurdemit Andrea besprochen, schriftlich fi-xiert und … es funktionierte. Von demTag an gab es keine Klo-Gefangenenmehr!

Nette kleine Angewohnheiten oderfestgefahrene Verhaltensweisen?

Es gibt Rituale, für die ich dankbar bin,weil sie dazu beitragen, das Leben mei-ner Tochter zu strukturieren, sie helfenmit, auch in unruhigen Zeiten mit demLeben zurechtzukommen. Andere An-gewohnheiten empfinde ich als sehr einengend, lästig und würde sie am liebsten verbieten. Dann wünschte ichmir mehr Kreativität und Flexibilität.

Wie wichtig und notwendig Ritualejedoch sind, wurde mir wieder bewusstbeim Lesen eines Artikels in der engli-schen Zeitschrift Journal der Down’sSyndrome Association. Der Autor Michael Smull schreibt in dem Bericht„Positive Rituals and Quality of Life“(Seite 31) über die Vorteile von Regelnund Ritualen und welche Bedeutung siefür unsere Lebensqualität haben.

Wir alle pflegen unsere Rituale.Selbst aufgestellte Regeln bestimmenauch unseren Tagesablauf. Nur sind dasbei uns „die kleinen netten Angewohn-heiten“, bei Menschen mit einer Lern-einschränkung wird schnell von Ritua-len und festgefahrenen Verhaltenswei-sen gesprochen.

Nach dem Lesen von Michael SmullsAufsatz bin ich wieder beruhigt und er-trage vorläufig sogar den Kleiderstuhl.

Andrea teilt sich jeden Tag genau

ein. Wenn das Programm aufgeht,

„stimmt der Tag“.

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Positive Rituale und LebensqualitätMichael W. Smull

Rituale erleichtern den Alltag

Jeden Morgen, wenn Sie in Ihrem Büroankommen, brauchen Sie zunächst eineTasse Kaffee. Erst nachdem Sie IhreTasse in der Hand halten und ein paarSätze mit Ihren Kollegen gewechselt ha-ben über das, was gestern Abend nochso passiert ist, erst dann sind Sie soweit, dass Sie mit der Arbeit anfangenkönnen. Klingelt aber schon das Tele-fon, bevor Sie Ihre Tasse Kaffee haben,ärgern Sie sich, weil Sie ja ohne IhrenKaffee noch nicht ganz „da sind“.

Und wenn Sie nach der Arbeit heim-gehen, fühlen Sie sich erst richtig zuHause, wenn Sie Ihre „Arbeitskleider“abgelegt und sich umgezogen haben.Beides sind Beispiele von täglichen Ri-tualen, die wir brauchen, um unserenAlltag zu gliedern, um uns den Über-gang von der einen in die nächste Situa-tion zu erleichtern.

Wir schenken unseren Routinehand-lungen und Angewohnheiten, die uns imAlltag begleiten, nur wenig bewussteAufmerksamkeit. Und vielleicht des-halb, weil wir uns der eigenen Ritualegar nicht so bewusst sind, übersehenwir leicht, welche Bedeutung sie für dieLebensqualität von Menschen mit einerBehinderung haben.

Dabei sind Rituale genauso wichtigfür die Lebensqualität von Menschenmit Behinderungen wie von jedem an-deren Menschen auch. Eltern behinder-ter Kinder haben längst erkannt, dass

z.B. bestimmte Zeremonien, die im Le-ben vieler Menschen eine wichtige Rol-le spielen, genauso wertvoll sind für ih-re Söhne und Töchter. Sie überlegenz.B., wie sie den Führerscheinerwerb,dem in Amerika eine enorme Bedeutungbeigemessen wird und der den Über-gang ins Erwachsenenleben darstellt,angemessen ersetzen können. Sieschafften es, wichtige Meilensteine imLeben jedes Jugendlichen, wie z.B. dieKonfirmation, Bar Mitzvah oder dieSchulabschlusszeremonie, auch für ihreSöhne und Töchter zugänglich zu ma-chen.

Auch diejenigen unter uns, die Men-schen mit Lerneinschränkungen beglei-ten, müssen sich die Bedeutung von Ri-tualen bewusst machen und sich um po-sitive Routinen bemühen, statt sie als läs-tig und überflüssig verbieten zu wollen.

Tägliche Rituale

Am Anfang jedes neuen Tages stehenunsere allmorgendlichen Routinen. Je-der Mensch hat seine eigene Art undWeise, sich auf den neuen Tag einzu-stimmen. Diese persönlichen Rituale ge-ben einem Sicherheit. Ein Beispiel dafürist das Baden. Jeder von uns hat dabeiseinen eigenen Ablauf. Waschen Sie z.B.Ihr Gesicht zuerst oder zuletzt? Für die-jenigen, denen beim Baden geholfenwerden muss und die sich vielleichtnicht selbst äußern können, kann dieserAblauf täglich wechseln, abhängig da-

von, welches Personal eingeteilt ist.Wenn dann eine Mutter anordnet, dasGesicht ihrer Tochter immer zuletzt zuwaschen, weil sie das so gewöhnt ist,wird dies vom Personal häufig als einEinmischen und überbehütetes Verhal-ten empfunden.

Mit John, einem jungen Mann mitDown-Syndrom, wird gerade seine per-sönliche Lebensgestaltung besprochen.Er erwähnt, dass er morgens nur lang-sam aufwacht und dass er da weder hel-les Licht noch laute Musik mag und kei-ne lebhaften Menschen um sich ver-trägt, bis er seine erste Tasse Kaffee ge-trunken hat. Seine Freundin aber, mitder er zusammenwohnt, ist jemand, diemorgens früh aus dem Bett springt undsofort voll aufdreht. Gemeinsam mitdem Assistenten wird nun überlegt, wieman mit einer solchen Situation um-geht. Es wird ausgemacht, dass dieFreundin das Schlafzimmer, nachdemsie aufgestanden ist, verlässt und sichanderswo in der Wohnung aufhält. Johnbekommt so die Zeit, in Ruhe aufzuste-hen. Es ist möglich, dass beide so ihreunterschiedlichen morgendlichen Ritua-le ausleben, ohne sich gegenseitig in dieQuere zu kommen.

Wenn wir die Routinehandlungen,die Menschen mit Behinderungen brau-chen, um ihren Alltag in den Griff zu be-kommen, unterstützen, müssen wir zu-allererst die Individualität dieser Men-schen akzeptieren. Das begleitende Per-sonal in Wohnheimen behauptet in derRegel, dass es das auch macht, aberhäufig erfahren wir, dass Rituale den ei-nen Tag akzeptiert und unterstützt undam anderen Tag wieder als uner-wünschtes Verhalten eingestuft werden,je nachdem, wer gerade Dienst hat.

Aufbauen und Erhalten von Ritualen

In „Rituals for our Times“ von Imber-Black und Roberts werden die Art vonRitualen und die Bedeutung, die sie füruns alle haben, beschrieben. Die Auto-ren legen dar, dass es z.B. in Familienüberall interne Rituale gibt. Sie umfas-sen alle wichtigen Momente in unserem

Rituale sind wichtig und notwendig – einerseits um denAlltag im Griff zu haben, andererseits um in einer neu-en, veränderten Lebenssituation Halt zu finden. Diesgilt für alle Menschen.Das Akzeptieren und Aufrechterhalten von Ritualensollte deshalb auch bei der individuellen Zukunftspla-nung von Menschen mit einer Behinderung mehrberücksichtigt werden. Vor allem dann, wenn jungeMenschen das Elternhaus verlassen und in eine Wohn-gruppe oder ein Wohnheim umziehen, sollte dies beach-tet werden.

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Leben zu Hause. Solche gängigen Ritua-le sind z.B. rundum die Mahlzeiten – dieUhrzeit, wann wir essen, welche Spei-sen es bei bestimmten Anlässen gibt,wer wo am Tisch sitzt und ob wir nebendem Essen Fernsehen gucken.

Jedes Mal, wenn jemand neu in eineWohngruppe hinzukommt, sollten wiruns bewusst sein, dass dieser Menschseine eigenen Angewohnheiten und sei-ne individuelle Geschichte mitbringt. InHeimen, die von irgendwelchen Trägernunterhalten werden, sind die Abläufehäufig vom Personal bestimmt undwechseln so oft, wie das Personal wech-selt.

Wenn Menschen jahrelang in großenInstitutionen gelebt haben, kann es pas-sieren, dass sie keine Rituale kennen,die in einen familiären Rahmen passen.Menschen mit Behinderungen und Be-treuer, die aus Familien mit vielen posi-tiven Ritualen stammen, können inWohngruppen dabei helfen, neue, guteRoutinen in ihren Wohngemeinschaftenaufzubauen und sie zu erhalten.

Wir haben festgestellt, dass mancheMenschen, die zu uns geschickt wurden,weil sie nicht „kooperativ“ waren oderaggressive Verhaltensweisen zeigten,ganz einfach verstört waren, weil ihretäglichen Rituale nicht erkannt wurden.Die fast schon zwanghafte Vorstellungpädagogischen Personals, ständig för-dern oder trainieren zu müssen, hat da-zu geführt, dass Rituale, die eigentlichpositiv sind und eine individuelle An-passung an das tägliche Leben bedeu-ten, ignoriert, unterdrückt oder durchneue Regeln ersetzt wurden. Wenn dasPersonal einmal erkannt hat, welche Be-deutung bestimmte Routinen für Men-schen mit einer Behinderung haben,dann können diese, wenigstens zumTeil, in den Tagesplan eingebaut wer-den.

Außer diesen täglichen Routinehand-lungen gibt es noch andere Rituale, diewir beachten sollten. Imber-Black undRoberts teilen die Rituale wie folgt ein:welche, die in Zusammenhang stehenmit Beziehungen, mit Veränderungen,oder welche, die sich beziehen auf denGlauben und auf bestimmte Traditionen.Um uns klarzumachen, wie wichtig die-se sind, brauchen wir nur einmal nachder Bedeutung des Sonntags für jedenEinzelnen zu schauen. Für einige vonuns ist der Sonntag ein Tag des „In-sich-Gehens“ und wird zusammen mit Men-

schen, die unseren Glauben teilen, ge-feiert. Für andere ist der Sonntag derTag, an dem man ausschlafen und bis inden Nachmittag hinein im Schlafge-wand in der Wohnung herumbastelnkann. Während der Fußballsaison ist fürmanche der Sonntag der Tag, an demman mit der Familie und mit Freundenvor dem Fernseher sitzt und seineMannschaft anfeuert. Die Sonntagsri-tuale jeder Wohngruppe sollten die ihrerBewohner sein, sie dürfen nicht abhän-gen von den Vorlieben des ständigwechselnden Personals.

Rituale beruhigen

Wir sollten uns bewusst machen, dassmanche Rituale die Funktion der Beru-higung haben. Wir haben alle Verhal-tensmuster, die uns dabei helfen, unsbesser zu fühlen, wenn „das Schicksalmal wieder zugeschlagen“ hat. Nach ei-nem schlechten Tag im Büro gehen wirheim und sagen zu unserem Partner:„Heute habe ich keine Lust zu kochenund die Küche zu machen. Ich hatteheute einen schlechten Tag. Lass unsausgehen, zum Essen oder ins Kino.“Das sagen wir auch dann, wenn wirdurch unser eigenes Verhalten dazu bei-getragen haben, dass der Tag schlechtwar.

Hattest du als behinderter Mensch inder Werkstatt oder der Fördergruppe ei-nen schlechten Tag, kann es vorkom-men, dass der Werkstattleiter in derWohngruppe anruft und dies dem Per-sonal mitteilt: „XY war heute wirklichschwierig, lass ihn abends mal nicht mitzum Kegeln gehen, Fernsehen schau-en!“, oder Ähnliches.

Nicht umsonst gibt es den Spruch,der von Menschen aus der Bewegung„Selbstbestimmtes Leben“ geprägt wur-de: „Sag ihnen nie, was du gerne magst,denn sonst musst du dir das richtig ver-dienen! Sag ihnen aber auch nie, was dunicht magst, weil sie dir dann genau dasantun werden, wenn du mal nicht so gutfunktionierst!“

Rituale und Beziehungen

Bei der Unterstützung von Menschen in-nerhalb ihrer Gemeinschaft müssen wiruns vor Augen halten, dass das Wert-volle einer Gemeinschaft gerade die zwi-schenmenschlichen Beziehungen unddie Rituale, die das Leben in der Ge-meinschaft bestimmen, sind. Trotz ih-rer zentralen Funktion wird ihre Be-

deutung kaum diskutiert. In unsererschnelllebigen und mobilen Gesellschaftsollten positive Rituale zu Gunsten vonallen – nicht nur von Menschen mit ei-ner Behinderung – gepflegt werden.

Für Menschen, die umfassende Hil-fen brauchen, um sich im Leben zu-rechtzufinden, ist das Entwickeln sol-cher positiven Rituale eine Priorität.Einmal etablierte Rituale können nurdann und nur so geändert werden, wiees von dem Individuum erwünscht ist,und nicht weil gerade neues Personalantritt.

Die Rituale sind abhängig von derPerson selbst sowie den jeweiligen Um-ständen. Wenn sie richtig eingesetztwerden, können Rituale Menschen ei-nerseits dabei unterstützen, ihren Alltagim Griff zu haben, und andererseits mitgroßen Veränderungen in ihrem Lebenzurechtzukommen. Deswegen sollte beider individuellen Zukunftsplanung vonMenschen mit einer Behinderung demSupport beim Aufrechterhalten von Ri-tualen mehr Platz eingeräumt werden,der lückenlosen Terminierung ihres All-tags mit Förderangeboten dafür weni-ger.

Dieser Artikel erschien in Journal, Ausgabe 98, Winter 2001/2002.

Journal ist die Mitgliederzeitschrift derDown’s Syndrome Association in London,

England.

Wir danken dem Autor und der Down’s Syndrome Association

für die freundliche Genehmigung, diesen Artikel übersetzen

und in Leben mit Down-Syndromveröffentlichen zu dürfen.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 29

Ich habe meine eigene Zeit!

Probleme im Umgang mit „Zeit“ können Ursache vonstörenden Verhaltensweisen sein. Genauer definiert, einschlecht entwickeltes Zeitkonzept führt zu einem Gefühlder Orientierungslosigkeit in der Zeit. Die Unsicherheitund das Angstgefühl, die dadurch entstehen, sind beivielen Menschen einer der Hauptgründe, sich „anders“zu verhalten.

Was ist Zeit?

„Zeit kann man weder fühlen noch fest-halten, man kann sie nicht sehen, hörennoch riechen. Sie ist schwer fassbar undtrotzdem ein integraler Bestandteil un-ser aller Leben. Es ist das ‚Medium‘, indem wir leben. Es ist die psychologi-sche, mentale und emotionale Luft, diewir einatmen …“ (Ventura 1995). Sieentspricht den „Rhythmen wiederkeh-render Kreisläufe. Einige davon natür-lich: Tag und Nacht oder die Jahreszei-ten. Andere willkürlich geschaffen: dieWochentage, die Wochenenden, die Mo-nate des Jahres. Die Zeitkonzepte sindsehr abstrakt“ (Mc Clennen, 1991). Kon-zepte sowie Vergangenheit, Gegenwartund Zukunft sind eingebettet in unse-rem Verständnis von Zeit. Zeit ist dieKonstante, entlang der wir reisen. Wirlenken unsere Gedanken zurück, umnachzudenken über das, was letzte Wo-che passierte, und wir richten unsereGedanken nach vorne, um zu überle-gen, was wohl nächste Woche passierenwird. Das Reisen entlang der Zeitachsebeinhaltet beides, das Sich-Erinnernund das Vorausdenken. Ohne Zeitkon-zepte sind jedoch Begriffe wie „jetzt“,„später“, „morgen“ und „warte“ fast oh-ne Bedeutung.

Ohne Zeitkonzept verunsichert

Menschen, die kein Zeitkonzept oder einschlecht entwickeltes Zeitkonzept ha-ben, erleben die Welt häufig als einenchaotischen Ort, wo eine nie enden wol-lende Reihe von Aktivitäten und Ereig-nissen willkürlich passiert. Das Gefühl,keine Kontrolle oder keinen Einfluss aufdiese Aktivitäten und Ereignisse zu ha-ben, kann überwältigend sein, der Mo-ment, das Jetzt scheint die einzige Rea-

lität. Zunehmende Ängstlichkeit, ein Ge-fühl der Furcht vor etwas, was einen er-wartet, und die Sorgen, wann irgend-welche Dinge passieren werden, wirkenextrem belastend und können zurHauptbeschäftigung dieser Personenwerden. Der Alltag wird ein einzigesbeängstigendes Experiment.

Diese Umstände können leicht dazuführen, darauf zu beharren, bestimmteRoutinen strikt einzuhalten. Sie könnenaber auch zu auflehnendem oder ritua-lisiertem Verhalten, zu Aggression undsogar zu selbstschädigendem Verhaltenführen. Oft sind sie die einzige Möglich-keit für die jeweilige Person, ihre Ängsteunter Kontrolle zu halten. Es ist nichtverwunderlich, dass diese Menschenauf alternativen Wegen versuchen, dieAktivitäten und Ereignisse ihres Alltagszu beherrschen, zu kontrollieren odervorherzusagen. Allerdings sind es ge-nau diese alternativen Lösungen, diewir als „herausfordernde, unerwünsch-te Verhaltensweisen“ einstufen.

Wie kann ein Zeitkonzept entwickelt werden?

Die Frage bleibt: Was kann man tun?Als Teil eines gut durchdachten, umfas-senden Förderplans müssen effektiveStrategien entwickelt werden, die esdem Menschen ermöglichen, einerseitsein Zeitkonzept zu entwickeln, und an-dererseits ihm Wege aufzeigen, wie erdie Kontrolle über die Dinge, die sich inseinem täglichen Leben ereignen,behält. Er muss wissen, was er wann er-warten kann, um so das Gefühl, „allesim Griff zu haben“, zu erzeugen. Visuel-le, auditive und technische Hilfsmittelsind notwendig bei der Entwicklung die-ser Fähigkeiten.

In dem schwedischenFilm „Martina“ antwor-tet die junge Frau mitDown-Syndrom auf dieFrage: „Was fällt dir amschwersten?“ „Es fälltmir schwer, an die Zu-kunft zu denken undauch an die Vergangen-heit. An die Zeit über-haupt.“„Ist die Zeit so schwerzu verstehen?“„Ja, ich hasse die Zeit.Ich würde gerne ohnedie Zeit leben.“

Kein Zeitgefühl

Kann man bei Kindern und Jugendli-chen mit Down-Syndrom auch Proble-me mit der Zeit feststellen?

Wir wissen, dass das Zeitgefühl derKinder häufig nicht sehr gut ist. Wiespät es ist, wie lang etwas dauert, wannes 8 Uhr ist oder wie lang es dauert, bises übermorgen oder nächste Woche ist,können kleine, aber auch größere Kin-der schlecht oder gar nicht einschätzen.

Häufig verbinden die Kinder mit ei-nem bestimmten Tag eine bestimmteTätigkeit (z.B. am Montag ist Turnen).Es wird schwierig, wenn am Montagnoch etwas anderes ansteht, z.B. derBesuch bei einer Tante. Das Kind wehrtsich: Montag, das geht nicht, denn dahat es ja schon Turnen. Dass die beidenEreignisse nichts miteinander zu tunhaben, dass beides am Montag stattfin-den kann, ist dem Kind nicht klar. Es istverunsichert, wird unruhig und unglück-lich: Sein Programm kommt durchein-ander.

Es fehlt dem Kind das Gefühl für dieZeit. Dabei ist die Zeit eine wichtigeRichtschnur, nach der wir unser Lebeneinrichten. Ohne ein Gefühl dafür, wieviel Zeit ich für etwas brauche und überwie viel Zeit ich verfügen kann, ist es

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schwer, sich in unserer Gesellschaft zubehaupten. Ein Zeitkonzept zu haben,ist die Voraussetzung, um mit der Zeitklarzukommen.

Ohne ein solches Zeitkonzept zu le-ben, kann eine ständige Verunsicherungbedeuten. Das Kind hat keine Kontrolleüber die Ereignisse, kann sie nicht steu-ern. Und es wird dauernd überranntvon Dingen, die es nicht vorhergesehenhat.

Die Folgen sind verständlich: AusAngst vor all dem Unbekannten, das aufeinen einstürmen kann, muss man sichwehren, muss man Strategien, die ei-nem Halt geben, entwickeln; z.B. wehrtsich das Kind, indem es sich stur stellt,sich nicht bewegen lässt, dies oder jeneszu tun oder etwas Neues, anderes zutun. Man weiß ja nie, was da auf einenzukommt.

Oder das Kind regelt seinen Alltagauf seine Art und Weise, indem es z.B.ganz strikte Rituale einhält, alles nacheinem bestimmten Schema macht. SeinTag ist eben eingeteilt in: Aufstehen, an-ziehen, frühstücken … Seine Woche in:Montag dies und Dienstag das: Und bit-te ja nichts umstellen oder weglassenoder gar neue Termine dazwischen-schmuggeln!

Manchmal auch stellt das Kind eineeigene Art von Kontrolle über die Zeither, indem es z.B. jeden vergangenenTag im Kalender durchstreicht.

Manche Kinder reagieren anders, sieflippen aus, werden unruhig oder ent-wickeln unterschiedliche problemati-sche Verhaltensweisen, weil sie mit denständig neuen, nicht vorhersehbarenDingen nicht zurechtkommen.

Verhaltensauffälligkeiten wie Stur-heit, Verweigerung, Routinehandlungenund Unruhe lassen sich also manchmalaus dieser Angst ableiten, sein Lebennicht unter Kontrolle zu haben.

Nebenstehende Strategien könnenvielleicht helfen, ein Zeitkonzept zu ent-wickeln:

Quellen:Monique Gillessen:

„Behaviour Management: Time Concepts Revisted“

in Understanding Behaviour – Guide forParents and Caregivers, Down Syndrome

Society of South Australia, 1999

„Das Kind mit Down-Syndrom in derRegelschule“

Deutsches Down-Syndrom InfoCenter, 2002

Strategien

• Ein strukturierter Tagesablauf bringt Sicherheit. • Mit einem übersichtlichen Kalender lässt sich der Monatstrukturieren. • Ein Tagesplan gliedert den Schultag (alle Fixpunkte eintra-gen, dann mit einer anderen Farbe die einmaligen Ereignisseund, sobald sie bekannt sind, auch die Änderungen eintragenund besprechen).• Hängen Sie ein Tagesprogramm auf oder aufschreiben (even-tuell auch mit Symbolen gestaltet) oder schreiben Sie und ge-ben Sie dem Kind eine solche Übersicht. Das Kind bekommt sowieder „Kontrolle“ über den Tagesablauf.• Benutzen Sie technische Hilfsmittel wie die „Viertel-Stunden-Uhr“ oder eine Übersichtstafel mit Leuchtpunkten für die ver-schiedenen Programmpunkte.• Und immer wieder: Kündigen Sie Veränderungen, Neuigkei-ten usw. rechtzeitig an.• Die große Kunst besteht darin – und das kann zu einemschwierigen Balanceakt werden –, bei aller Struktur doch auchflexibel zu bleiben. Zu viel Struktur, zu viel Gleichmäßigkeit ist nicht gerade förderlich für die Flexibilität! Bauen Sie in diePläne gezielt immer wieder Umstellungen ein. Spontane Ein-fälle des Kindes sollten ebenfalls umgesetzt werden.

Text entnommen aus der neuen Broschüre „Das Kind mit Down-Syndrom in der

Regelschule“. In einem Kapitel werden dort die Probleme mit der Zeit angesprochen.

Die Viertel-Stunden-Uhr ist eineNeuentwicklung für Personen ohne

Zeitverständnis/-gefühl. Durch eine an-dere Darstellung von Zeit ermöglichtman ihnen, ein Zeitgefühl zu ent-wickeln.

Wie funktioniert diese Uhr?

Ereignisse/Termine werden durch Bil-der, Fotos und/oder Schrift leicht ver-ständlich dargestellt. Diese Bilder wer-den in die Viertel-Stunden-Uhr einge-legt. Die Zeit bis zum Ereignis wirddurch dunkle Punkte wiedergegeben,wobei ein Punkt einer Viertelstunde ent-spricht. Es werden maximal acht Punk-te angezeigt. Ist der Zeitpunkt erreicht,ertönt ein Signal. Die Punkte laufenrückwärts und zeigen dadurch an, dassdas Ereignis überschritten ist.

Die Viertel-Stunden-Uhr ist hand-lich, robust und batteriebetrieben, siekann überall hin mitgenommen werden.

Die Bildträger (ähnlich wie ein Dia-rähmchen) sind aus festem Plastik, derAnwender selbst, seine Familie oder Be-treuer können die Bilder, Fotos oderSchrift selbst anfertigen. In die Rücksei-te des Bildträgers wird eine Zeitcode-karte eingelegt, die einem Zifferblattähnelt und in einfacher Weise auf diegewünschte Zeit programmiert wird.

Mit der Viertel-Stunden-Uhr ist eserstmals möglich, Zeitmenge sichtbarzu machen, und sie ermöglicht Perso-nen ohne Zeitverständnis, Zeitquantitätzu erfahren und ein Zeitgefühl zu ent-wickeln.

Information

Die Viertel-Stunden-Uhr ist ein Produktder „Handitek Foundation Schweden“.Größe: 130 x 80 x 30 mm, Gewicht: 225 gMehr Informationen bei: Epitech GmbH, KommunikationshilfenPostfach 1542, 32113 Hiddenhausen

Besseres Zeitgefühl mit derViertel-Stunden-Uhr

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 31

Ein bisschen stur kann nicht schaden …Carol Johnson

Es ist interessant zu sehen, wie vieleMenschen vom eigensinnigen Ver-

halten ihres Kindes reden, als wäre diesein Teil des Down-Syndroms. Das ist esaber nicht.

Es gibt viele eigensinnige Leute –auch ohne Down-Syndrom – und inmanchen Situationen wird Sturheit so-gar als ein positives Merkmal angese-hen. Ich habe schon oft genug gehört,dass Menschen behaupten, sie hätteneine Situation letztendlich erfolgreichgemeistert, weil sie stur geblieben wa-ren, weil sie nicht nachgegeben hattenoder sich nicht hatten herumkomman-dieren lassen.

Was ist demnach störrisches Verhal-ten bei Kindern mit Down-Syndrom undwie ist es zu bewerten? Meiner Meinungnach resultiert Sturheit aus einem Man-gel an Fähigkeiten und Sprachgewandt-heit, um seine Position zu vertreten.

Oft haben wir über eine Sache einebestimmte Meinung – diese kann richtigoder falsch sein –, wir bleiben bei dieserMeinung, wenn wir das Gefühl haben,sie sei richtig, und ändern sie, wenn wirvon einer anderen Meinung überzeugtwerden können.

Ein Kind mit Down-Syndrom wirdsich nicht so schnell auf etwas andereseinlassen. Es wird lieber seine Art, mitDingen umzugehen, beibehalten, weil esein sicherer Weg ist, den es kennt undder in der Vergangenheit bereits funk-tioniert hat. Wenn wir also versuchen,sein Verhalten zu ändern oder neue Sa-chen einzuführen, bedrohen wir seine„sichere Basis“. Dies trifft nicht unbe-dingt für alle Kinder zu. Manche von unssind Veränderungen gegenüber auchaufgeschlossener als andere und ähn-lich ist es bei Kindern mit Down-Syn-drom.

Viele von uns können die eigeneSichtweise verteidigen und mancheMenschen wirken so überzeugend, dasssie es schaffen, dass der Diskussions-partner seinen Standpunkt ändert unddie Meinung des anderen übernimmt.

Kinder mit Down-Syndrom sindaber kaum in der Lage, ihren Stand-punkt zu erklären. Sie verfügen nichtüber ausreichende sprachliche Fähig-

keiten, über die in einer Diskussionbenötigte kognitive Flexibilität und denÜberblick, um verbale Auseinanderset-zungen zu gewinnen. Die einzige Mög-lichkeit, sich zu wehren, ist sich stur zustellen.

Wie würden Sie reagieren?

Denken Sie doch mal über Folgendesnach: Was wäre, wenn Sie sich in einerSituation befänden, die Sie nicht ganzverstehen würden. Die Leute um Sieherum möchten, dass Sie etwas tun,dessen Sie sich nicht ganz sicher sind.Wie würden Sie sich verhalten?

Sie würden sich weigern, Sie würdenbei dem bleiben, was Ihnen bekannt ist,und schon würden Sie als stur gelten.Was wäre, wenn Sie nicht über diesprachlichen Fähigkeiten verfügten, umIhre Ansichten mitzuteilen? Was wäre,wenn Ihr Gegenüber Sie nicht verstehenwürde oder nicht an dem interessiertwäre, was Sie zu sagen haben? Viel-leicht würden Sie sogar bestraft oder ge-maßregelt werden, weil die anderen Siefür störrisch hielten?

Und wie würde dieses für die nächs-ten Male Ihre Kooperationsbereitschaftbeeinflussen? Wie würden Sie auf dieseMenschen reagieren, die Sie dazu ge-bracht haben, etwas zu tun, das Sienicht verstanden haben oder das Sienicht machen wollten? Es könnte pas-sieren, dass Sie sogar noch störrischeroder widerspenstiger reagieren wür-den. Und die Gegenseite würde diesesVerhalten wiederum als „Verweige-rung“ oder „Problem“ interpretieren.

Irgendwann nimmt Ihre Umwelt ein-fach an, dass Sie prinzipiell immer stursind, ohne zu berücksichtigen, dass Sieüberhaupt eine andere Meinung habenkönnten oder dass Sie einfach nicht sogut in der Lage sind, Ihre Meinung er-folgreich mitzuteilen.

Wie können wir dieses Verhaltens-muster verändern?

Indem wir nicht weiter an dem Mythosder Sturheit festhalten oder eigensinni-ges Verhalten als Widerstand interpre-tieren.

Widerstand gegenüber etwas Neu-

em, Widerstand gegenüber etwas Un-verstandenem, Widerstand gegenüberMenschen, die die Kontrolle haben, Wi-derstand gegenüber jemanden, demman nicht traut oder den man nicht ver-steht. Der einzige Weg, diese Wider-stände abzubauen, ist, der betroffenenPerson zu helfen, sich sicher genug zufühlen, etwas Neues oder Fremdes aus-zuprobieren.

Wenn ein Kind noch klein ist, kannes sich noch nicht so gut auf Verände-rungen einstellen, es wird sich dann eherzurückziehen. Wenn es größer wird,wird es vor allem Strategien benutzen,die in der Vergangenheit gut funktio-niert haben, wie Rückzug, Schmollenoder sich auf den Boden werfen (allestrotzige Verhaltensweisen).

Je eigensinniger ein Kind wirkt, des-towirksamer muss sein Verhalten in derVergangenheit gewesen sein; geradediese Strategien haben dem Kind bishererlaubt, sich erfolgreich zu widersetzen,haben es ihm ermöglicht, auf seiner „si-cheren“ Insel zu bleiben.

Erwachsene haben dieses Problemhäufig selbst mitverursacht, indem siedie Trotzreaktionen des Kindes akzep-

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tierten und es in Ruhe gelassen haben.Aber manchmal hat einen auch die Wutgepackt. Und was passierte dann? Viel-leicht wurde das Kind beschimpft, be-straft? Das Kind kann dieses Verhaltennicht einordnen. Bis jetzt hatte es ja mitseinem Trotzverhalten den erwünsch-ten Erfolg. Sollte dies plötzlich nichtmehr funktionieren? Es reagiert eben-falls mit Wut und … mit noch mehrTrotz. Aber ist dies nicht eine natürlicheReaktion?

Strategien

Im Umgang mit Kindern mit störri-schem Verhalten können vielleicht fol-gende Strategien hilfreich sein:

Bedenken Sie, dass auch wenn Ihnenetwas klar und selbstverständlich er-scheint, dies für das Kind nicht unbe-dingt der Fall sein muss. Wie kann mandem Kind klarmachen, dass etwas gutfür es ist? Dies einfach so zu behaupten,hat wenig Sinn. Aber vielleicht könnenSie dem Kind vorspielen, dass wenn esmitmacht, einlenkt, es für es letztendlichauch etwas Positives bedeutet? KönnenSie vielleicht schrittweise vorgehen?Können Sie eventuell mit anderen Wor-ten oder Bildern die Sache besser er-klären?

Gibt es für das Kind andere Möglich-keiten als die heftigen Trotzreaktionen,um auszudrücken, dass es nicht will,was von ihm verlangt wird, dass es nichtkann oder es Angst hat? Solange einKind keine ausreichende Kommunikati-onsmöglichkeit hat, wird sein Wider-stand schnell als Sturheit ausgelegt.

Versuchen Sie es mit der alten Weis-heit: „Honig ums Maul schmieren …“Jeder Mensch reagiert besser auf positi-ven Zuspruch als auf Zwang. VersuchenSie – wenn etwas Neues ansteht – dieszu verbinden mit etwas Positivem, et-was dem Kind schon Bekanntem.Manchmal kann man mit Musik, mit ei-nem Lied oder Spiel nachhelfen, demKind neue Erfahrungen zu vermitteln.Nur zu beobachten, wie ein anderesKind eine neue Aufgabe erfolgreich löst,ist meistens nicht ausreichend, weil dasKind mit Down-Syndrom daraus nichtautomatisch schließt, es könne diesdann selbst auch.

Ohne eine vertrauensvolle Basis wirddas Kind nicht zu einer Zusammenar-beit bereit sein. Und es kann manchmallange dauern, bis das Kind Vertrauenfasst. Außerdem können Sie nicht er-

Das „Goslar-Syndrom“ oder wieSyndrome entstehen …

In diesem Zusammenhang möchteich noch eine kleine Anekdote er-zählen. Unterwegs im Ausland(Skandinavien) wurde ich nach demso genannten Goslar-Syndrom be-fragt. Erstaunt antwortete ich, da-von noch nie gehört zu haben.Doch, doch, ich hätte dies ja selbsteinmal in der Zeitschrift beschrie-ben! Im Zusammenhang mit demThema „Sturheit“! Auf jeden Fallhatte diese Geschichte dazu geführt,dass man bockiges Verhalten dortals „Goslar-Syndrom“ bezeichnete!

Hier folgt diese Geschichte, einewahre Geschichte, noch einmal:

Vor Jahren, als ich mit meinerFamilie an einer Seminarwoche inSonnenberg teilnahm, machten wirmit allen anderen Familien einengemeinsamen Ausflug nach Goslar.Wir waren in Grüppchen unter-wegs, zu Fuß versteht sich. Irgend-wie schienen an diesem Tag dieKinder mit Down-Syndrom keinerechte Lust zum Spazieren zu ha-ben: So bot sich folgendes Bild:Überall in Goslars Innenstadt saßenKinder mit Down-Syndrom, die sichweigerten, weiterzugehen, auf derStraße. Die Eltern standen dane-ben, bittend, bettelnd, drohend,schimpfend und zerrend. Die Kin-der blieben hocken, als ob sie amAsphalt klebten!

Als wir endlich doch wieder imBus saßen, konnten wir darüber la-chen, obwohl es wieder mal Nervengekostet hatte. Auch ist das Aufse-hen, das man erregt, wenn man soein „armes behindertes“ Kind brül-lend hinter sich herschleift, unan-genehm.

Damals waren unsere Kinderklein und wir konnten sagen, na ja,das ist das Trotzalter, da müssenwir durch, das geht vorbei. Es dau-ert bloß ein wenig länger als bei an-deren. Ja, aber nun sind sie alleschon einige Jahre älter gewordenund … ehrlich gesagt, gehört diesesPhänomen „Sturheit“ immer nochzu unserem Alltag!

warten, dass das Kind Vertrauen zu je-mandem fasst, der es einerseits für be-stimmte Verhaltensweisen lobt, für an-dere jedoch bestraft. Diese Inkonse-quenz stresst das Kind noch mehr. Sowird das Kind vielleicht nie das notwen-dige Vertrauen aufbauen können.

Wenn Sie merken, dass Sie die Wutpackt … halten Sie inne, lachen Sie,zählen Sie bis zehn, entspannen Siesich. Versuchen Sie in dieser Situationdie Spannung zu lösen und greifen Siedie Angelegenheit erst später wieder auf…, vielleicht auf eine andere Art. Dannkann es manchmal sogar passieren,dass das Kind plötzlich nachgibt, weilSie sich wieder beruhigt haben und dieSituation entspannter ist.

Einige der besten Pädagogen sindselbst stur genug, um genau dort einzu-steigen, wo die meisten anderen dasKind schon aufgegeben haben. Versu-chen Sie, einer von diesen zu sein. Glau-ben Sie beharrlich an die Lernfähigkeitdes Kindes und helfen Sie dem Kind,sich so sicher zu fühlen, dass es sich aufneues Terrain wagt, mit Ihnen an seinerSeite!

Quelle: „Stubborn is …“ von Carol Johnson,

Chaos Consultation, CanadaNewsletter of the Canadian Down Syndrome

Society, 1998

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 33

Depressive Störungen scheinen beiMenschen mit Down-Syndrom üb-

lich zu sein, jedoch treten bipolare Er-krankungen (manisch-depressive Stö-rungen) bei dieser Personengruppe we-niger häufig auf als in der Gesamtbevöl-kerung. Symptome einer Depression beiMenschen mit Down-Syndrom beinhal-ten u.a. Niedergeschlagenheit (Gesichts-ausdruck), sozialen Rückzug, abneh-mende Energie, Unfähigkeit, sich überDinge zu freuen, die früher Spaß berei-tet haben, Appetitlosigkeit, Schlafstörun-gen, abnehmende Selbstständigkeit, we-niger Sprache, aggressive Verhaltens-weisen, Wutanfälle, Weinerlichkeit undeine zunehmende Abhängigkeit von an-deren.

Depressionen müssen unterschie-den werden von Schilddrüsenproble-men, Allergien, Infektionen und Schlaf-

Apnoe. Es muss ebenfalls ein Unter-schied gemacht werden zwischen de-pressiven Störungen und Trauerreak-tionen, die nicht nur durch den Verlusteines nahe stehenden Verwandten oderFreundes, sondern auch durch den Ver-lust eines Betreuers, eines Arbeitsplat-zes oder eine Veränderung der Wohnsi-tuation hervorgerufen werden können.

Eine Depression kann durch dasHinzukommen der Alzheimer-Krank-heit noch verschlimmert werden. AlleMenschen mit Down-Syndrom, bei de-nen ein Verdacht auf Demenz besteht,sollten auch auf Depression untersuchtwerden, und für diejenigen, die unter 35Jahre alt sind, sollte Depression als ers-te Diagnose in Betracht gezogen wer-den, statt Demenz (weil Demenz beiMenschen mit Down-Syndrom unter 35unüblich ist). Bei älteren Menschen kön-

Affektive Störungen undDown-SyndromPary RJ, Loschen EL, Tomkowiak SB

Das Auftreten von Affektiven Störungen bei Menschenmit Down-Syndrom ist ein Thema, das viele Fachleutefasziniert, auch diejenigen, deren Schwerpunkt nichtunbedingt „Psychische Erkrankungen und geistige Be-hinderung“ ist. In den letzten Jahren wurde zunehmendmehr über Depressionen bei Menschen mit Down-Syn-drom bekannt.

nen beide Diagnosen nebeneinanderauftreten.

Die Autoren betonen weiter, dass beider Behandlung von depressiven Stö-rungen vor allem trizyklische Antide-pressiva und Serotoninhemmer benutztwerden sollten. Bei der Behandlung vonschweren Depressionen kann die zu-sätzliche Gabe eines Schilddrüsenhor-mons einen Versuch wert sein. EinePsychotherapie kann dann erfolgreicheingesetzt werden, wenn die Person mitDown-Syndrom über die nötigen verba-len Fähigkeiten verfügt und sich auf ei-nen Therapeuten einlässt.

Psychosen treten bei Menschen mitDown-Syndrom weniger häufig auf alsin der Gesamtbevölkerung, die Diagno-se wird erschwert, wenn der Patientüber nur mangelhafte sprachlicheFähigkeiten verfügt. Die Autoren ratenin diesem Fall, auf das Vorkommen vonz.B. Größenwahn oder bizarren Verhal-tensweisen zu achten.

Der Begriff „psychotoform“ wurde ineinem früheren Artikel geprägt, um Ver-halten zu beschreiben, das scheinbarpsychotischer Art, jedoch stattdessen ei-ne Indikation für eine Affektive Störungwar. Dies zeigt, wie wichtig es ist, genauzwischen beiden zu unterscheiden, be-vor mit einer medikamentösen Behand-lung angefangen wird.

Quelle: Dieser Artikel wurde als

„Aufsatz des Monats“ im Januar 2002 auf derHomepage von Dr. Les Leshin vorgestellt. Esist die Zusammenfassung eines Berichts, der

in Seminars for Clinical Neuropsychiatry 1996erschienen ist.

Im InfoCenter häufen sich die Fragennach Informationen über Verhaltens-

auffälligkeiten bei Menschen mit Down-Syndrom. Empfehlen können wir in die-sem Zusammenhang z.B. dieses Buch,das nun in einer zweiten, erweitertenAuflage von Georg Theunissen heraus-gegeben wurde.

Aus dem Klappentext: Seit einigen Jah-ren steht Selbstbestimmung als neueLeitform der Arbeit mit geistig behin-derten Menschen hoch im Kurs. Verhal-tensauffälligkeiten erschweren häufigdie konkrete Umsetzung dieses Leitge-dankens und verunsichern viele Prakti-ker. Lässt sich Selbstbestimmung bei

Menschen, die als schwierig gelten,überhaupt umsetzen? Ist Selbstbestim-mung bei Verhaltensauffälligkeitenkontraindiziert? Oder sind Verhaltens-auffälligkeiten Ausdruck von Selbstbe-stimmung?

Diese Fragen werden in dem Buchaufgegriffen. Es sucht Antworten fürunterschiedlichste Sozialisationsfelderund Lebensbereiche (Elternhaus,Schule, Wohnen, Gesellschaft). Es wirdnicht nur die konkrete Praxis ange-sprochen, sondern das Buch liefertauch grundlegende Informationen so-wie Anregungen für eine qualifizierteProfessionalisierung.

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34 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Wir trauern umProf. Dr. rer. soc. Werner Dittmann

Er hat am 15. Februar 2002 den schwe-ren Kampf gegen seine Krankheit verlo-ren.

Werner Dittmann wurde am 4. No-vember 1941 in Stuttgart geboren. Hierverlebte er auch seine ersten, vomKriegserleben und dem Verlust des Va-ters geprägten Lebensjahre. Nach demSchulbesuch und dem Abitur am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Leonbergstudierte er von 1961 bis 1963 an derPH Stuttgart/Ludwigsburg zunächst Pä-dagogik und legte die Erste Staatsprü-fung für das Lehramt an Volksschulenab. Schon bald danach begann er einPsychologiestudium in Tübingen undHamburg, das er dann 1968 mit dem Di-plom abschloss.

Sicher mitgeprägt durch die berufli-che Tätigkeit seiner Mutter als Sonder-pädagogin wandte sich auch WernerDittmann bald diesem Aufgabenfeld zu.Bereits 1969 wechselte er in den Hoch-schuldienst, zunächst als Assistent vonProf. Dr. Theodor Hofmann. Ab 1972war Herr Dittmann zunächst als Dozentund ab 1976 als Professor an der PHLudwigsburg Außenstelle Reutlingenam Institut für Sonderpädagogik tätig.Aus diesen Jahren resultiert der Beginneiner intensiven Zuwendung zu Proble-

men von Menschen mit dem Down-Syn-drom. Seine Promotion, die er 1982 er-folgreich abschloss, veröffentlichte er imgleichen Jahr unter dem Titel „Intelli-genz beim Down-Syndrom“. Damit be-gann eine rege Publikationstätigkeit.

Auf dem Gebiet des Down-Syndromsbearbeitete er im Verlaufe seiner Tätig-keit weitere vielfältige Fragestellungen.So ging es ihm unter anderem um dieVerbesserung der Situation bei der Dia-gnosemitteilung an die Eltern, um Hilfenfür sie im anschließenden Krisenverar-beitungsprozess, um Lernbesonderhei-ten der Kinder sowie um Fragen der Un-terstützung des Lebens und Lernensnicht nur im schulischen Alltag.

Es war ihm stets ein großes Anlie-gen, die Verbindung von Lehre, For-schung und Praxis zu pflegen und somitden Studierenden den Übergang in dieberufliche Tätigkeit in unterschiedli-chen sonderpädagogischen Handlungs-räumen zu erleichtern. Dies setzte Prof.Dittmann konsequent fort, als er im Jah-re 1995 dem Ruf auf den Lehrstuhl Geis-tigbehindertenpädagogik an die Univer-sität Rostock folgte, wo er bereits seit1992 neben seiner Tätigkeit in Reutlin-gen in der Lehre und als Prüfer wirkte.Hier war er bis zu seiner plötzlichenschweren Erkrankung und selbst nachseiner ersten schweren Operation im

Jahre 2000 mit viel Engagement und Er-folg tätig.

In den letzten Jahren hatte er seineForschungen auf Kinder mit FX-Syn-drom ausgeweitet. Er machte hier, wieschon beim Down-Syndrom, besondersForschungsergebnisse aus dem anglo-amerikanischen Raum für die Lehre zu-gänglich.

Im akademischen Alltag war Prof.Werner Dittmann, obwohl er hohe An-forderungen an sich und andere stellteund selbst stets mehr gab, als gefordertwar, immer ein umsichtiger, einfühlsa-mer und verständnisvoller Partner fürStudierende sowie Kolleginnen und Kol-legen. Viele schöne Traditionen unseresInstitutes hat er neu aufleben lassenbzw. ins Leben gerufen, so insbesonde-re unvergessliche Exkursionen in Ein-richtungen des Landes Baden-Württem-berg und der Schweiz, gemeinsameWeihnachtsfeiern und Stammtischbe-gegnungen mit Studierenden, die denKontakt zwischen Lehrenden und Ler-nenden intensivierten und die Möglich-keiten einer freien Diskussion zu fachli-chen, weltanschaulichen und weiterenProblemen des Alltags schufen.

Auch das Engagement für die Wei-terbildung der in der Praxis tätigen Kol-legen, das Werner Dittmann in den 70erund 80er Jahren an der Schule für Heil-erziehungspflege der Mariaberger Hei-me und an der Evangelischen Fach-hochschule für Sozialpädagogik der Gu-stav-Werner-Stiftung Reutlingen be-gann, setzte er in Rostock fort. Der Kursfür Lehrer an den Schulen zur individu-ellen Lebensbewältigung beim L.I.S.A.,aber auch sein Einsatz für die Vorberei-tung von bereits in der Praxis tätigenLehrern in Mecklenburg-Vorpommernauf Aufbau- und Erweiterungsprüfun-gen werden den beteiligten Kolleginnenund Kollegen in positiver Erinnerungbleiben.

Wir alle haben in Herrn Prof. Dr.Werner Dittmann einen Kollegen verlo-ren, der bei uns fachlich wie menschlicheine große Lücke hinterlässt, die nurschwer zu schließen sein wird.

Wir werden ihm stets ein ehrendesAndenken bewahren.

Rosemarie Patejdl und die Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter sowie Stu-

dierenden des Instituts für Sonder-pädagogische Entwicklungsförderung

und Rehabilitation (ISER)

Nachruf – Wir trauern um Prof. Dr. rer. soc. Werner Dittmann

Schon 1987 lernte ich Prof. Dittmann bei ei-

nem Elternseminar kennen. Seitdem stan-

den wir in regelmäßigem Kontakt, auch

noch während seiner Krankheit.

Herr Dittmann war wiederholt zu Vorträgen

bei uns zu Gast, er schrieb verschiedene Ar-

tikel für Leben mit Down-Syndrom und war

Beirat in der Redaktion dieser Zeitschrift. Er

hat unsere Arbeit von Anfang an unter-

stützt. Persönlich konnte ich vieles von ihm

lernen, seine gewissenhafte Art zu arbeiten

hat mich immer beeindruckt.

Wir sind traurig über seinen Tod und wer-

den ihn als Berater und Begleiter in unserer

Arbeit für Menschen mit Down-Syndrom

vermissen.

Cora Halder und das Team des Deutschen

Down-Syndrom InfoCenters

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P E R S O N E N

Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 35

Es gibt viele Möglichkeiten, „anders“zu sein. Heutzutage gibt es in Nor-

wegen viele Einwanderer und Flüchtlin-ge, die anders sind als wir Norweger.Sie haben oft eine andere Hautfarbeoder Haarfarbe, sie ziehen sich andersan, haben eine andere Sprache, eine an-dere Religion und eine andere Kultur.

Man kann anders sein als die ande-ren durch seine Kleider, seine Frisuroder seinen Geschmack.

Man kann anders sein, ohne dassman das weiß. Wenn man aus dem Rah-men fällt, den andere gemacht haben,ist man anders. Bei mir ist das ein klei-nes Gen, das mich anders als die ande-ren macht. Als ich noch ein ganz kleinesEtwas war in Mutters Bauch, passierteein Fehler bei der Zellteilung, der dazuführte, dass ich ein Chromosom mehrbekam. Dieses Extra-Chromosom macht,dass alles, was mich betrifft, etwas lang-samer geht als bei anderen.

Ich habe Down-Syndrom. Es wirdDown-Syndrom genannt, weil einMann, der Down hieß, diesen Fehler,den ich habe, beschrieben hat und die-ser Krankheit seinen Namen gab.

Eigentlich gefällt es mir überhauptnicht, dies eine Krankheit zu nennen,denn ich fühle mich nicht krank. Ge-nauer gesagt ist es eine Entwicklungs-verzögerung.

Menschen mit Down-Syndrom se-hen sich ein wenig ähnlich. Man siehtdas an den Augen, die stehen ein wenig

Hanne Aarstad ist 20 Jahre alt undkommt aus Frederikstad in Süd-Norwegen. Drei Tage pro Wochegeht sie noch in eine weiterführendeSchule, an zwei Tagen arbeitet sie ineiner Bäckerei/Catering-Firma, wosie u.a. Sandwiches zubereitet. Dorthofft sie, nach diesem letzten Schul-jahr eine feste Anstellung zu bekom-men. Sie ist in einem Handballver-ein, leitet eine Gruppe mit Kindern,die eine Entwicklungsverzögerunghaben, und macht in ihrer Freizeitall das, was andere Jugendlicheauch machen: Sie trifft sich mitFreunden, geht ins Kino oder zumEssen, telefoniert, hört Musik undschaut TV oder Videos. Außerdemliebt sie es, Geschichten, Gedichteund Briefe zu schreiben. Deshalbwurde sie nun als Mitarbeiterin beider norwegischen DS-ZeitschriftMarihona engagiert.Als sie 15 Jahre alt war und sich da-mals sehr mit ihrem Anderssein be-schäftigte, schrieb sie in der Schuleeinen Aufsatz über dieses Problem.Sie bekam vom Lehrer keine guteNote, denn sie hätte sich nicht andie Aufgabenstellung gehalten! IhrOnkel fand den Aufsatz gut undschickte ihn an die „Aftenposten“,die größte Tageszeitung in Norwe-gen. Der Redaktion gefiel HannesAufsatz sogar so gut, dass er ge-druckt wurde! Beim Kongress las sieihre später etwas erweiterte Ge-schichte vor.

schräg. Sie haben manchmal kleineHände und Füße oder einen etwas brei-teren Nacken. Einige haben eine etwasgrößere Zunge. Für manche kann esschwierig sein, einfache Dinge, wie ge-hen, sprechen, selbstständig essen usw.,zu lernen. Nicht alle werden tüchtig imLesen, Schreiben, Rechnen usw.

Ich habe im Grunde genommengroßes Glück gehabt und ich glaube,dass das u.a. daher kommt, weil Mamaund Papa von Anfang an viel und kon-sequent mit mir gearbeitet und geübthaben. Es war klug von ihnen, ein we-nig stur zu sein und nicht so leicht auf-zugeben. Deshalb kann ich jetzt arbei-ten und bin sehr selbstständig.

Als ich dahinterkam, dass ich Down-Syndrom habe, verstand ich das ganzund gar nicht und eine Zeit lang konnteich mich selbst absolut nicht leiden. Ichfand es ungerecht und übel. Wenn je-mand darüber mit mir sprach, leugneteich alles ab. Allmählich, als ich älterwurde, akzeptierte ich es besser, ob-wohl ich natürlich am allerliebsten sosein wollte wie die anderen.

Früher versuchte ich die ganze Zeit,genauso wie die anderen zu sein, aberdas war nicht einfach. Es war mühsam,nie ich selbst sein zu können. Jetzt habeich herausgefunden, dass es viel besserfür mich ist, wenn ich ich selbst bin. Sobin ich selbst auch zufriedener undnicht mehr so erschöpft. Ich glaubeauch, dass andere mich besser mögen.Wenn ich mit mir selbst zufrieden bin,können die anderen sich auch besserüber mich freuen.

Ich fühlte mich auch deshalb so an-ders, weil ich noch nicht so viele andereMenschen mit Down-Syndrom kannte.Ich versuchte, Freunde zu bekommen,und machte die wildesten Sachen. Ichhatte noch viele unrealistische Träume.

Ich hoffe und glaube, dass alles ein-facher wird, wenn ich ich selbst seinkann. Ich bin ein Mensch, der sichwünscht, so zu sein wie die anderen,aber weiß, dass das nicht geht. Trotz-dem wünsche ich, mit dabei zu sein, ak-zeptiert zu werden und so angenommenzu werden, wie ich bin.

Ich kann sprechen und laufen. Ichkann lachen und Spaß machen. MeineBehinderung ist nicht gefährlich oderansteckend. Ich wünsche mir, dass dieanderen mich – Hanne – sehen als denMenschen, der ich bin, nicht nur als je-mand, der anders ist!

Ich bin andersHanne Aarstad

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F Ö R D E R U N G

36 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Das Marianne-Frostig-Konzept ent-spricht einem ganzheitlichen An-

satz zur Förderung der kindlichen Ent-wicklung und zur Behandlung von Lern-störungen.

Die Bereiche von Sensomotorik,Sprache, Wahrnehmung, höheren kog-nitiven Funktionen, emotionaler Ent-wicklung und das soziale Umfeld wer-den bei Anwendung dieses Konzepts inihrer wichtigen Bedeutung für die Ge-samtentwicklung des Kindes stets inihrem Zusammenhang beachtet und un-tersucht und unter ganzheitlichen Be-dingungen gefördert oder bei bereitsvorliegenden Störungen behandelt.

Selber vielseitig ausgebildet, konnteMarianne Frostig (1906–1985) ein ganz-heitliches Konzept aufbauen, das daraufausgerichtet ist, Einflüsse verschiedenerpädagogischer und psychologischerTheorien und Methoden zu integrieren(u.a. der humanistischen Psychologie,der Gestaltpsychologie, der Verhaltens-modifikation, der Psychoanalyse undder kognitiven Entwicklungspsycholo-gie). Auch Forschungsergebnisse ausden Bereichen der Neurophysiologieund Neuropsychologie fanden Beach-tung.

Marianne Frostig wurde in ihremheilpädagogischen und humanistischenAnsatz vor allem von ihren LehrernAichhorn, Maslow, Montessori undBühler beeinflusst.

Die Inhalte des Frostig-Konzeptsstellen einen eigenständigen Ansatz imBereich der Heilpädagogik und Ent-wicklungsrehabilitation dar.

Für welche Kinder ist das Frostig-Konzept geeignet?

Im Mittelpunkt des Konzepts steht daspädagogische und psychologische Be-mühen um das Kind mit Lernstörungen,die nach dem deutschen Sprachge-brauch am besten mit dem Begriff derTeilleistungsstörungen zu definierensind. Teilleistungsstörungen können Ur-sache und auch Folge von Verhaltens-störungen sein.

Es handelt sich um Kinder mit Aus-fällen oder Störungen in bestimmtenBereichen der Wahrnehmung und ihrerVerarbeitung. Die Erscheinungsformensind vielfältig. Zu erkennen sind dieseKinder meist an ihren taktil-kinestheti-schen Wahrnehmungsstörungen mit Ungeschicklichkeiten der grob- oder fein-motorischen Bewegungen, an expressi-ven und/oder sensorischen Sprachstö-rungen, Störungen der auditiven Wahr-nehmung und oft des auditiven Kurz-zeitspeichers, vor allem an Störungender Konzentrationsfähigkeit.

Die selektive Aufmerksamkeit istmeist durch Figur-Grund-Störungenstark beeinträchtigt, oft verbunden mitmotorischer Unruhe. Es sind reizgebun-dene Kinder mit Perseverationsneigun-gen, sie haben oft Umstellschwierigkei-ten, eine kurzfristige Veränderung vonSituationen führt häufig zu großer Ver-unsicherung. Die Verarbeitung der Um-weltreize ist stark beeinträchtigt.

Störungen der Entwicklung derWahrnehmungskonstanzen, der Raum-Lage-Wahrnehmung oder des Erfassensräumlicher Beziehungen sowie des Er-

fassens und Behaltens von Handlungs-abläufen machen sich meist in der Ge-samtentwicklung störend bemerkbar.

Die Indikation zur therapeutischenAnwendung des Frostig-Konzepts liegtbeim Kind mit Lernstörungen oder Teil-leistungsstörungen, bei vorliegender ma-nifester Hirnschädigung oder minimalerzerebraler Dysfunktion sowie bei senso-rischer Deprivation. Betroffen könnennormal und überdurchschnittlich intel-ligente, lernbehinderte und auch geistigbehinderte Kinder sein.

Am effektivsten lässt sich die Arbeitnach dem Frostig-Konzept für Kinderim Entwicklungsalter von dreieinhalbbis ca. acht Jahren einsetzen, eine Ent-wicklungsstufe, in der der Wahrneh-mung bei der Umweltbewältigung einezentrale Rolle zukommt. Dies gilt auchfür ältere Kinder und Jugendliche mitunausgeglichenen Entwicklungsprofilenund Leistungsminderungen. Es lassensich vor allem Teilleistungsstörungen inden Bereichen Bewegung, visuelle undauditive Wahrnehmung und damit zu-sammenhängenden Verhaltensstörun-gen, wie z.B. der häufig auftretendenKonzentrationsschwierigkeiten, positivbeeinflussen.

Die Kinder werden mit Hilfe desKonzepts auf die Einschulung und dasErlernen der Kulturtechniken gezieltvorbereitet oder erhalten nach der Ein-schulung gezielte Unterstützung zumErlernen der Kulturtechniken.

Frostig und andere Therapien

Besonders günstig ist eine Kombinationvon Frostig-Konzept und psychomotori-schen Übungsbehandlungen oder Moto-therapie, da sich beide Programmesinnvoll ergänzen. Marianne Frostig hatbedeutende Anstöße für die Entwick-lung der Psychomotorik gegeben, wennauch diese Programme z.T. unabhängigvoneinander entstanden sind. Auch dieKombination mit anderen Methoden derEntwicklungsrehabilitation (z.B. nachBobath, Vojta, Jean Ayres) ist bei bewe-gungs- und wahrnehmungsgestörtenKindern empfehlenswert.

Das Montessori-Modell und das Fros-tig-Konzept enthalten viele gemeinsameWurzeln. Marianne Frostig ist bei derEntwicklung ihres Konzepts wesentlichvon Maria Montessori beeinflusst wor-den.

Das Frostig-KonzeptIn der vorigen Ausgabe der Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom stellten wir das Feuerstein-Konzept vor, einProgramm zum „Denkenlernen“ für ältere Kinder. Daraufhin bekamen wir verschiedene Anfragen, ob esein ähnliches Programm auch für kleinere Kinder gibt.Das gibt es tatsächlich, und zwar das Programm vonMarianne Frostig zur Förderung der Wahrnehmung.Dieses Konzept wurde im Heft Nr. 19 (Mai, 1995) be-schrieben. Wir bringen hier den Bericht, in leicht ab-geänderter Form, noch einmal.

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Schwerpunkte desFrostig-Konzepts

Grundsätzliches bei der Erziehungnach Marianne Frostig

Das Marianne-Frostig-Konzept ent-spricht einem ganzheitlichen Ansatz zurFörderung der kindlichen Entwicklungund zur Behandlung von Lernstörun-gen. Einige pädagogische und thera-peutische Prinzipien bilden bei der An-wendung des Konzepts das Gerüst. Dassind u.a.

Achtung der menschlichen Würdedes behinderten Kindes

Respektierung seiner individuellenBedürfnisse und Freiheit

Unterstützung der Fähigkeiten desKindes zur Selbstentwicklung

Förderung seiner Eigeninitiativeund Motivation

Förderung seiner kreativen Aus-drucksmöglichkeiten

Zu den methodischen Grundlagen desFrostig-Konzepts gehören u.a.

eine eingehende Entwicklungsdia-gnostik und gründliche Verhaltens-beobachtung

Hilfestellungen zum „Schritt fürSchritt lernen“

Vermittlung von Erfolgserlebnis-sen

Einsetzen von positiven Verstär-kern

Betonung der SelbstkontrolleEntgegenwirken von Vermeidungs-

tendenzenFreude am LernenFörderung des sozialen Bewusst-

seinsFlexibilität der Methodenwahlein individueller Therapieplan, die

interdisziplinäre Zusammenarbeitund die Kooperation mit den Elternzeichnen die Frostig-Arbeit aus.

Rolle der Bewegungserziehung

Marianne Frostig erkannte die Zusam-menhänge zwischen Wahrnehmungs-/motorischen Störungen und Verhaltens-und Lernstörungen. Sie entwickelte einTestverfahren, das 1972 in Amerika er-schien und 1985 in deutscher, standar-disierter Fassung herauskam. Der Be-wegungstest prüft die Bewegung in denBereichen Koordination, Kraft, Flexibi-lität, ausgeglichene Bewegung und

Gleichgewicht. Er ist für die Altersgrup-pen 5,9 bis 9,8 Jahre normiert. Frostigzusammen mit Ph. Maslow entwickelteaufbauend auf den Testergebnissen einProgramm zur Bewegungserziehung.Die Übungen werden nach Bereichengeordnet, wie z.B. Koordination undRhythmus, Gleichgewicht, Geschicklich-keit, Entspannung oder Atmen.

Mit ihrem Buch „Bewegungserzie-hung“ hat Marianne Frostig wegwei-sende Arbeit verrichtet. Heute findetman viele ihrer Übungsvorschläge inder Psychomotorik und Motopädie wie-der. Ihre Ausführungen über das Kör-perbewusstsein, die kreative Bewegungund Bewegungsübungen, in Zusam-menhang mit dem Lernen von Mathe-matik oder Lesen, sind bemerkenswert.

Die Durchführung der Übungen zurBewegungserziehung erfolgt unter ganz-heitlichen Gesichtspunkten ebenso wiedas Programm zur Wahrnehmungsför-derung. Beide Programme ergänzensich, enthalten ähnliche Übungen, set-zen aber andere Schwerpunkte. Wennbei einem Kind Bewegungs- und Wahr-nehmungsstörungen vorliegen, müssenbeide Programme durchgeführt wer-den.

Die visuelle Wahrnehmung

Visuell wahrzunehmen bedeutet nichtnur die Fähigkeit, gut zu sehen, sondernbeinhaltet gleichzeitig die Interpretationeines visuellen Reizes. Dies geschieht imGehirn, nicht durch die Augen. Wenn je-mand z.B. vier Linien (angeordnet zu ei-nem Rechteck) sieht, erfolgt der Sinnes-eindruck mit den Augen; die Erkenntnis,

dass es sich um ein Rechteck handelt, istein Denkvorgang.

Unter visueller Wahrnehmung ver-steht man also, visuelle Reize zu erken-nen, zu unterscheiden und zu interpre-tieren durch Assoziation mit früherenErfahrungen. Die visuelle Wahrneh-mung ist fast an jeder unserer Handlun-gen beteiligt und bildet deshalb auchdas Gerüst für die schulischen Fertig-keiten.

Es werden fünf verschiedene Berei-che der visuellen Wahrnehmung unter-schieden, die für die Lernfähigkeit derKinder besonders bedeutsam sind:

Visuomotorische Koordination

Die Fähigkeit, das Sehen mit den Bewe-gungen des Körpers oder Teilen desKörpers zu koordinieren, nennt man dievisuomotorische Koordination. Für bei-nahe jede Handlungsfolge (greifen, fan-gen, springen, Treppensteigen, schrei-ben, malen usw.) ist eine gut funktionie-rende Koordination zwischen Augenund Motorik notwendig.

Figur-Grund-Wahrnehmung

Das menschliche Gehirn ist so organi-siert, dass es aus der Gesamtzahl voneinströmenden Reizen eine begrenzteZahl auswählen kann, die zum Zentrumseiner Aufmerksamkeit werden. Dieseausgewählten Reize, ob auditiv, taktiloder visuell, bilden die Figur in unseremWahrnehmungsfeld, während die Mehr-zahl der Stimuli einen nur ungenauwahrgenommenen Grund bildet. Wennein Kind unaufmerksam erscheint oderein unorganisiertes Verhalten zeigt,

Übungsanleitung und Übungsblatt aus Heft 1

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liegt häufig eine schlechte Figur-Grund-Wahrnehmung vor. Das Gleiche gilt fürKinder, die „reizgebunden“ sind, d.h.sich schwer neuen Reizen zuwendenkönnen, bei einer Tätigkeit haften blei-ben.

Wahrnehmungskonstanz

Aufgrund der Wahrnehmungskonstanzsind wir imstande, bestimmte Eigen-schaften eines Gegenstandes, wie seineForm, Lage, Farbe oder Größe, trotz un-terschiedlichen Netzhautbildes unver-ändert wahrzunehmen.

Wahrnehmung der Raumlage

Die Wahrnehmung der Raumlage kanndefiniert werden als die Wahrnehmungder Raum-Lage-Beziehung eines Gegen-standes zum Wahrnehmenden.

Ein Kind, dessen Raum-Lage-Wahr-nehmung ungenügend entwickelt ist, istauf vielerlei Weise beeinträchtigt. Seinevisuelle Welt ist verzerrt. Es sieht Ge-genstände und geschriebene Symbolenicht in der richtigen Beziehung zu sichselbst. Es ist ungeschickt und unsicherin seinen Bewegungen, hat Schwierig-keiten, Wörter wie „innen, außen, un-ten, davor, dahinter, rechts und links“zu verstehen. Seine Schwierigkeitenwerden besonders auffällig, wenn dasKind mit den ersten schulischen Aufga-ben konfrontiert wird, weil es Buchsta-ben, Sätze, Zahlen, Bilder verzerrt siehtund dadurch verwirrt wird.

Wahrnehmung räumlicher Beziehungen

Unter der Wahrnehmung räumlicherBeziehungen versteht man die Fähig-keit, die Lage von zwei oder mehr Ge-genständen in Bezug zu sich selbst undin Bezug zueinander wahrzunehmen.Diese Fähigkeit entwickelt sich späterund aus der einfacher strukturiertenWahrnehmung der Raumlage.

So muss ein Kind, das Perlen auffä-delt, die Lage einer Perle und derSchnur zu sich selbst wahrnehmen so-wie die Lage einer Perle und der Schnurin Bezug zueinander.

Visuelle Wahrnehmungsstörungen

Normalerweise entwickelt sich die visu-elle Wahrnehmung am stärksten im Al-ter von drei bis sieben Jahren. Aber injeder Schulklasse gibt es Kinder, die inder Entwicklung der visuellen Wahr-nehmung zurückgeblieben sind. Es han-

delt sich um die Kinder, die im Kinder-garten oder im ersten Schuljahr – odersogar noch später – nicht die notwendi-ge Stufe der visuellen Wahrnehmung er-reicht haben, die notwendig ist, um dieAufgabenstellungen bewältigen zu kön-nen, die dem Lernziel entsprechen. Beiden meisten Kindern kann man keinebesondere Erklärung dafür finden. Esist einfach so, dass Kinder einen unter-schiedlich schnellen Reifungsprozessdurchmachen. Jedoch können Wahr-nehmungsstörungen auch durch Dys-funktion des Nervensystems oder durchschwere emotionale Störungen bedingtsein. Bei Kindern aus sozial benachtei-ligten Familien liegt die Ursache häufigim Fehlen von Anregungen in derfrühen Kindheit.

Ein Kind mit einem Rückstand in dervisuellen Wahrnehmung ist in der Tatbeim Lernfortschritt stark beeinträch-tigt. Es hat Schwierigkeiten, die Gegen-stände und ihre räumliche Beziehungzueinander wahrzunehmen, und weil esdie Welt nur verzerrt wahrnimmt, er-scheint sie ihm unstabil und in ihren Er-scheinungen schwer zu deuten. Es ver-hält sich oft unbeholfen bei der Bewälti-gung von alltäglichen Aufgaben und istungeschickt bei Sport und Spiel.

Außerdem erschwert die Verzerrungdas schulische Lernen. Ja, es ist mög-lich, dass ein solches Kind – unabhängigvom Grad seiner Intelligenz – völligbeim Lernen versagt.

Bei Kindern mit Lernschwierigkei-ten (dazu können wir auch Kinder mitDown-Syndrom rechnen) kommen sehrhäufig Wahrnehmungsstörungen vor.

Nicht alle Lernschwierigkeiten ste-hen in Zusammenhang mit visuellenWahrnehmungsstörungen.

Eine Lernstörung kann auch durchStörungen der auditiven Wahrneh-mung, des Gedächtnisses, des Lernensvon Symbolen oder durch Störungen derAssoziation zwischen auditiven und vi-suellen Stimuli verursacht werden.

Visuelle Wahrnehmungsstörungenbeeinträchtigen u.a. die Fähigkeit, lesenzu lernen, aber vor allem wird beiStörungen der Wahrnehmung räumli-cher Beziehungen die Entwicklung ma-thematischer Fähigkeiten beeinträch-tigt. Kinder mit visuellen Wahrneh-mungsstörungen können große Schwie-rigkeiten haben beim Abschreiben vonder Tafel (die Übertragung visueller Rei-ze von der vertikalen Lage der Tafel in

die horizontale Lage des Papiers) oderverlieren die richtige Stelle, wenn sieaus einem Buch abschreiben sollen. DieKinder können nur beschränkt Infor-mationen von der Außenwelt aufneh-men, dadurch kann ihr Wissensumfangstark reduziert sein. Auch die emotio-nale Stabilität eines Kindes wird durchvisuelle Wahrnehmungsstörungen be-einflusst, denn das Kind wird häufig ver-unsichert sein und darunter leiden, dassihm die Dinge nicht so gelingen wie sei-nen Mitschülern. Die Enttäuschung unddie Beunruhigung der Eltern und derLehrer machen das Problem noch kom-plizierter.

Wenn die Kinder älter werden, ler-nen sie häufig (aber nicht immer), ihreWahrnehmungsstörungen zu kompen-sieren. Aber es darf nicht vergessenwerden, dass sie bis zu diesem Zeit-punkt unter beträchtlichem Stress stan-den, unter Versagen und Hemmnissenzu leiden hatten, was ihre Einstellungzum Lernen auf Dauer beeinträchtigthaben kann.

Es ist besser und sicherer, Übungenzur Vorbeugung durchzuführen. Des-halb sollten, wann immer Wahrneh-mungsstörungen erkannt werden,Übungen zur visuellen Wahrnehmungals pädagogische Maßnahme durchge-führt werden.

Pertra-Bausatz Ein zusätzliches Spielmaterial

Der Pertra (= Perzeptionstrainings)-Bausatz wurde von der Fachhoch-schule für Design in Schwäbisch-Gmünd entwickelt und von der Fir-ma E. Hoerz hergestellt und ist alsSpielmaterial in der Frostig-Pädago-gik sehr geschätzt. Der Spielsatz, einBaukasten mit vielen Einzelteilen,dient als Vorstufe der Frostig-Übungsblätter und ist für behinder-te wie für nicht behinderte Kindergleich gut einsetzbar. Unter Berück-sichtigung der fünf visuellen Wahr-nehmungskriterien nach Frostigkann damit gezielt geübt werden.Darüber hinaus bietet das Material,das einen hohen Aufforderungscha-rakter hat, sehr viele kreative Spiel-möglichkeiten.

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Das Frostig-Programm

Das Programm besteht aus einemAnweisungsband und drei Arbeits-

heften, mit jeweils ca. 130 Übungen. DieArbeit mit den Heften kann schon imKindergarten angefangen werden, aberauch ein späterer Beginn in der erstenGrundschulklasse ist selbstverständlich

möglich. Die Übungsblätter können mitallen Kindern einer Kindergartengrup-pe oder einer Schulklasse bearbeitetwerden sowie gezielt in Kleingruppenmit Kindern, die Wahrnehmungsstö-rungen haben. Auch die Arbeit mit ei-nem einzelnen Kind ist denkbar.

Kinder mit Down-Syndrom könntenzu Hause mit den Eltern daran arbeiten,eventuell in Zusammenarbeit mit einerPädagogin der Frühförderung, in derVorschul- oder Kindergartengruppe undauch später in der Schule. Da viele Kin-der mit Down-Syndrom motorischeSchwierigkeiten haben, wird ihnen dasFühren eines Bleistiftes erst einmalschwer fallen. Deshalb und weil auchein gewisses Verständnis für die Anwei-sungen vorhanden sein muss, ist ein zufrüher Anfang nicht ratsam.

Pro Woche können mit kleinerenKindern bei drei Arbeitsperioden vonca. 15 Minuten vielleicht sechs, siebenArbeitsblätter bearbeitet werden.Durchschnittlich braucht man für einArbeitsheft ein halbes Jahr. Ein schnel-leres oder langsameres Vorgehen hängtimmer von den individuellen Begleitum-ständen ab.

Im Anweisungsbuch wird ausführ-lich beschrieben, wie mit den Übungs-blättern gearbeitet werden muss. DieAufgaben werden von Arbeitsheft zu Ar-

beitsheft immer schwieriger, deshalbsollten sie nach der vorgegebenen Rei-henfolge bearbeitet werden. Bei jederAufgabe ist in einer kleinen Geschichtebeschrieben, was vom Kind verlangtwird. Es wird angegeben, zu welchender fünf Bereiche der visuellen Wahr-nehmung die Übung gehört, und es wer-den Ergänzungsübungen vorgeschla-gen: zur Fein- und Grobmotorik, zurSprachförderung und zur Sachkunde.

So wird man bei der Arbeit mit demProgramm immer wieder an den ganz-heitlichen Ansatz erinnert und es wirdvermieden, dass man sich nur auf diePapier-Bleistift-Übungen beschränkt.Das Programm kann nur dann erfolg-reich sein, wenn es mit Übungen ausanderen Bereichen kombiniert wird.

Quellen: Dr. phil. Christa Seidel

„Die Anwendung des Marianne-Frostig-Konzepts in Pädagogik und Therapie“,

Bericht der Jahrestagung der Internationalen Frostig-Gesellschaft 1987

Marianne Frostig„Visuelle Wahrnehmungsförderung“

Schroedel-Schulbuchverlag

Wir danken dem Schroedel-Schulbuchverlagfür die freundliche Genehmigung, Texte und

Bilder aus dem Frostig-Programmwiederzugeben.

Ein unbegrenztes Spielebuch

Im folgenden Bericht beschreibt Pia Kresser, die Muttervon Valerie, wie sie mit dem visuellen Wahrnehmungs-programm von Frostig gearbeitet hat. Die Erfahrung hatgezeigt, dass Spiel und Spaß einerseits und Therapieandererseits keine Gegensätze sein müssen.

Leichte Handhabung

Das Programm lässt auf den ersten Blickeine klare Gliederung erkennen. Es be-steht aus einem ausführlichen Anwei-sungsbuch für den Erwachsenen unddrei Arbeitsheften für das Kind. Das An-weisungsbuch gliedert sich in einen all-gemeinen Teil – auf blaues Papier ge-druckt – mit Erläuterungen über theo-retische Grundkenntnisse, Hinweisen

zur Durchführung und Beispielen mitZeichnungen. Alles ist in kleine Ab-schnitte mit prägnanten Überschriftenuntergliedert. Es lädt auch zum kurzenHineinlesen, Schmökern ein. Man findetimmer wieder neue Ideen und Anre-gungen.

Danach folgt ein ausführlicher Teil,in dem jedes einzelne Übungsblatt ganzspeziell erläutert wird. Dies geschieht

zum einen in allgemeiner Form: Erläu-terungen zu Voraussetzungen, allgemei-ne Zielrichtung und pädagogisches Hin-tergrundwissen für den Erwachsenen.Zum anderen gibt es dann ganz konkre-te, sogar wörtliche Anweisungen für dasKind. Anschließend werden Anregun-gen zur Modifizierung des Themas ge-geben: Anreize zu Rollenspielen, dasEinbeziehen von anderen Sinneswahr-nehmungen, Themenvorschläge zursprachlichen Behandlung, Vorschlägefür Übungen im Freien, Bewegungs-übungen, Gedächtnisübungen usw.

Es macht uns allen Spaß

Die Grundlage von allen Spielen warnatürlich, dass es uns allen Spaß macht.Wir spielten nur, wenn wir richtig Lustdarauf hatten (wir hatten fast immer!).Für mich war es immer wieder span-nend, Pädagogik (die ich selbst bei

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früheren Therapien beobachtet hatte)auf verständliche Art in kleinen Ab-schnitten zu den jeweiligen Arbeitsblät-tern zu erfahren. Das Kind erfährt dieFreude des gemeinsamen Tuns. Undimmer wieder Neues, eine schier uner-messliche Anzahl von Übungsblättern!

Wir beließen alle Blätter in den Hef-ten, mit dazwischen gelegten Kartons,damit das Papier sich nicht wellte. Die„Kunstwerke“ wurden mit Datum ver-sehen, und jetzt haben wir schöne Al-ben, die wir selbst und auch andere ger-ne bewundern. Auch im Nachhinein in-spirieren sie uns immer wieder zu neu-en Spielen. Alles machen wir freiwillig,weil wir einfach gerne zusammen spie-len und reden und Neues erfinden.Wenn etwas zu schwierig erscheint,werden Zwischenübungen gemachtoder aber auch großzügig weggelassenoder aufgeschoben.

Kreativität

Die recht einfachen schwarzweißenZeichnungen lenken die Konzentrationzunächst voll auf die gestellte Aufgabe.Sie lassen der Phantasie freien Raum,Erinnerungen, persönliche Erfahrungendurch Gespräche können eingebrachtwerden oder man kann über tolle Plänereden. So entsteht ein ganz persönlichesArbeitsblatt. Denkprozesse, Abstraktio-nen werden freigesetzt, auch in der wei-teren Bearbeitung über das Arbeitsblatthinaus.

Eine Hilfe zur Integration

Im Gegensatz zu Therapieangebotenaußer Haus können wir uns hier ganznach dem jeweiligen Tagesablauf in derFamilie richten. Es müssen keine Zeit-pläne eingehalten werden, Anfahrtswe-ge entfallen. Geschwister oder auchspontan dazukommende Nachbarskin-der können mitmachen. Übungen lassensich auf diese Weise ganz ohne erkenn-baren Therapiecharakter in den Tages-ablauf einbinden. Das Kind hat zudemnicht das Gefühl, dass seine speziellenDefekte „repariert“ werden.

Übrigens: Wären uns all diese Übun-gen und Vorschläge zu schwierig oderunangenehm gewesen, hätten wir sieganz einfach gelassen. Wir hatten ja dievöllige Freiheit, jederzeit aufzuhören.

Eine kontinuierliche Vorbereitungauf die Schule

Aufgrund unzähliger kleiner Übungs-schritte, die mit allen Sinnen an dasKind herankommen, werden die Grund-lagen zur Abstraktion, die Hinführungzu Denkprozessen auf sehr sensibleWeise gegeben.

Es werden Begriffe wie z.B. Recht-eck, Oval, Stern eingeführt, erklärt undin verschiedenen Größen (Wahrneh-mungskonstanz) gesucht. Sie werden indie Erfahrungswelt eingebaut, mit allenSinnen begriffen und wieder erkannt.

Wir konnten uns gegenseitig immerneue Aufgaben stellen. Wir bauten uns

immer schwierigere Mustergebäude,Türme, Tore aus Holzklötzen oder Dup-los oder malten sie. Da hat uns schonmanches Schulkind anerkennend zuge-schaut.

Sortieraufgaben erwiesen sich auchals sehr beliebt und wichtig. RäumlicheBeziehungen wurden begreifbar ge-macht: rechts, links, hinter usw., an-schließend auch zeitliche Einteilungen.

Es eröffnete sich für das Kind ein ge-ordnetes System. Ordnung war immersehr wichtig. Leicht konnten dann auchBuchstaben, Wörter, Zeichen und Men-gen erkannt und unterschieden werden.Bei späteren Rechenübungen profitier-ten wir von der fruchtbaren Grundlageunserer Spiele. Ganz natürlich habenwir uns an konzentriertes, exaktes Ar-beiten gewöhnt.

Für mich als Mutter, für uns als Fa-milie war es ebenso bereichernd wiespannend und lehrreich bis hin zu denletzten, schwierigen Übungen. Mit de-nen lassen wir uns jetzt noch ganz ruhigZeit, weil wir sie wirklich als sehrschwierig empfinden.

Aber da ertönt immer wieder der Rufnach dem Frostig-Programm, und so er-finden wir uns dann wieder neue Übun-gen, bis wir auch diese letzten Symme-triegebilde malen können – oder auchnicht. Spaß hat es uns auf jeden Fall ge-macht.

Pia Kresser

Übung aus Heft 3 auf Papier und in abgewandelter Form mit Stäben im Garten

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Aufruf zur Teilnahme an der Evalua-tionsstudie „Kleine Schritte“ – einFrühförderprogramm für Kinder miteiner Entwicklungsverzögerung

In der Periode September 2002 bis März2003 findet unter der Leitung von Prof. Dr. Meindert Haveman (FakultätRehabilitationswissenschaften, Univer-sität Dortmund) eine Evaluationsstudiedes Frühförderprogramms KleineSchritte statt. Wenn Sie mitmachenmöchten, im Ruhrgebiet wohnen undein Kind mit einer geistigen Behinde-rung haben, das jünger ist als fünf Jah-re (Zeitpunkt: September 2002), könnenSie und Ihr Kind sich für die Teilnahmean dieser Studie schriftlich anmelden:

Prof. Dr. Meindert HavemanFakultät RehabilitationswissenschaftenEmil-Figge-Straße 5044221 Dortmund

Hintergrund des Programms

Die „Kleine Schritte“ erscheinen erst-mals in Deutschland, obwohl es sich umein Förderprogramm handelt, mit dembereits in vielen anderen Ländern Erfol-ge erzielt wurden. Trotzdem wollen wirdieses Programm für die deutsche Si-tuation wissenschaftlich mit einer Inter-ventions- und Referenzgruppe überprü-fen.

Dabei sind wir auf Familien ange-wiesen, die bereit sind, diese neue Artdes Lernens auszuprobieren und vonihren Erfahrungen zu berichten. Einepädagogische Familienbegleitung undein/e persönliche/r Ansprechpartner/inwerden den Lernprozess des Kindes be-gleiten und zum Abschluss dokumentie-

ren. Die Förderung ist zunächst auf 20Wochen angelegt.

Der Grundgedanke

Viele Eltern möchten die Entwicklungihres Kindes bewusst unterstützen, vorallem dann, wenn sie merken, dass

die Sprachentwicklung nicht alters-gemäß beginnt,

Auffälligkeiten in den Bewegungsab-läufen sichtbar werden,

feinmotorische Tätigkeiten nicht be-wältigt werden,

Wahrnehmungs- und Koordinations-schwierigkeiten auftreten,

altersadäquate Zusammenhänge nichtverstanden werden.Mit Hilfe des Konzepts können Elterngemeinsam mit ihrem Kind einzelneEntwicklungsschritte üben. Dabei han-delt es sich um Fähigkeiten einer ganznormalen Entwicklung, die nur klein-schrittiger und systematischer vermit-telt werden müssen als bei Kindern oh-ne Beeinträchtigungen.

Die Ziele

Dem Kind soll ermöglicht werden, seineKompetenzen und Handlungsmöglich-keiten zu erweitern, um damit Selbst-ständigkeit, Selbstsicherheit und sozia-le Fähigkeiten zu fördern. Ein Optimuman Unabhängigkeit und eine Verringe-rung des Pflegeaufwands sollen dazubeitragen, das Kind in normale Lebens-bereiche zu integrieren.

Der Ablauf

Im Rahmen der diagnostischen Ein-gangsuntersuchung werden die Fähig-keiten des Kindes aus den Bereichen

GrobmotorikFeinmotorikSprachverständnissprachliche Ausdrucksfähigkeitpersönliche und soziale Fähigkeiten

eingeschätzt und ein individuelles För-derprogramm für diejenigen Bereichezusammengestellt, in denen das KindRückstände hat. Die Eltern üben nun inAlltagssituationen einzelne Aufgabenmit dem Kind und gehen erst dann ei-nen (Entwicklungs-)Schritt weiter, wenndas Kind die Aufgabe bewältigt hat.

Evaluationsstudie „Kleine Schritte“ Wer möchte teilnehmen?

Ab Herbst 2002 wird von der Universität Dortmund eineEvaluationsstudie durchgeführt, wobei das Frühförder-programm Kleine Schritte wissenschaftlich überprüftwerden soll.Familien aus dem Ruhrgebiet, die Interesse haben, andieser Studie teilzunehmen, können sich bei ProfessorHaveman darüber informieren.

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Einleitung

Das Karlstad-Modell ist eine Methodezur Sprachförderung, die auf der For-schungs- und Entwicklungsarbeit vonProfessor Iréne Johansson und ihrenErfahrungen mit Kindern mit Lern-schwierigkeiten, u.a. bei Kindern mitDown-Syndrom, beruht. Seit Anfang1980 arbeitet sie in diesem Bereich derSprachforschung. Iréne Johansson istProfessorin der Sonderpädagogik undPhonetik, sie ist verantwortlich für denFachbereich Sonderpädagogik an derKarlstad-Universität in Karlstad, Schwe-den und leitet die Forschungsgruppe„Behinderung und Sprache“.

Das Karlstad-Modell ist ein praxis-orientiertes Programm, das sich stütztauf die Erkenntnisse über die Sprach-entwicklung sich normal entwickelnderKinder sowie auf die Erfahrungen, dieman in der Arbeit mit Kindern mit Down-Syndrom, Autismus oder ande-ren Entwicklungsverzögerungen ge-sammelt hat. Die Methode kann indivi-duell angepasst und so für Kinder undJugendliche mit den unterschiedlichstenSprach- und Kommunikationsschwie-rigkeiten benutzt werden.

Das Karlstad-Modell umfasst einkomplettes Sprachförderprogramm fürKinder mit einer verzögerten Sprach-entwicklung. Es kann schon bei Neuge-borenen eingesetzt werden und bietetÜbungen bis zum ersten Lese- undSchreibunterricht im Schulalter.

Wichtig ist beim Karlstad-Modell vor al-lem das strukturierte, systematische,konsequente und kontinuierliche Trai-ning von Sprache und Kommunikation.Das Ziel ist, grundlegende Fertigkeitensowohl im Bereich der Einzelwörter undSatzstrukturen als auch in einfachenoder komplexen Mehrwortäußerungenzu fördern. Das Sprachtraining hat ei-nen ganzheitlichen Ansatz, wobei vorallem die Eigenaktivität und die Eigen-initiative des Kindes im Mittelpunkt ste-hen. Das Kind soll nie passiver Zu-schauer sein, sondern immer aktiverTeilnehmer.

Das Fördern der Sprach- und Kom-munikationsfertigkeiten wird als ein in-tegrierter Teil der Gesamtförderung desKindes betrachtet, wobei sowohl diepersönlichen, individuellen Vorausset-zungen als auch die Einwirkungen ausdem Umfeld des Kindes berücksichtigtwerden.

Das Modell baut auf der neueren Re-lations-Theorie auf, die davon ausgeht,dass das Kind durch das Zusammen-wirken mit anderen lernt und dass mei-nungsvolle Sprache nur in einem sozia-len Zusammenhang entstehen kann.

Spiel und Motivation sind zentraleBegriffe in dieser Arbeit. Wenn dieSprach- und Kommunikationsentwick-lung als ein integrierter Teil der Gesamt-entwicklung des Kindes gesehen wird,bedeutet dies, dass sie auch abhängig istvon der motorischen, kognitiven, emo-

tionalen und sozialen Entwicklung. AlleGebiete wirken aufeinander ein undsind in Interaktion mit dem Kind undseinem Umfeld.

Den Theorien übergeordnet ist eineIdeologie, dass alle das Recht haben,verstanden zu werden und andere zuverstehen, eigene Gedanken und Gefüh-le ausdrücken zu können und an denunterschiedlichsten Aktivitäten teilneh-men zu können.

Ecksteine der skandinavischen Methode: Struktur, Systematik,Konsequenz, Kontinuität und individuelle Anpassung

Kinder sind verschieden und jedes Um-feld ist anders. Die Übungen und dasTrainingsprogramm müssen deshalbdem einzelnen Kind und seiner Situati-on angepasst werden. Wichtig ist, dassdas Üben ein selbstverständlicher Teilder täglichen Aktivitäten wird. Diesesstrukturierte, angepasste Sprachtrai-ning ist etwas, das Kinder mit normalerSprachentwicklung nicht brauchen.

Pro Tag sollte nicht länger als 20 bis30 Minuten gezielt geübt werden, dieskann über zwei oder mehr „Sitzungen“verteilt sein. Das strukturierte Trainingist nur der Einstieg. Das Kind soll seineneu gewonnenen Fähigkeiten in unter-schiedlichen Situationen in seinem All-tag erproben. Deshalb sollte dafür ge-sorgt werden, dass es ausreichend Mög-lichkeiten bekommt, Wissen und Kön-nen anzuwenden und generalisieren zukönnen, damit die Begriffe für das KindBedeutung bekommen.

Das Karlstad-Modell – ein Weg-begleiter bei der SprachentwicklungEntwicklung von Sprache und Kommu-nikation ist ein langer und kontinuierli-cher Prozess. Dieser kann mit den ent-sprechend der Sprachentwicklung auf-einander aufbauenden Büchern von Iré-ne Johansson begleitet werden: vondem ersten Buch „Performative Kom-munikation“ über die Folgebücher„Wortstadien“, „Einfache Grammatik“und „Erweiterte Grammatik“ bis hinzum letzten Teil „Der Lese- und Schreib-prozess“. Die Bücher enthalten eine Rei-he von Vorschlägen für die pädagogi-sche Praxis und für die Herstellung vonMaterialien. Die Verfasserin Iréne Jo-hansson unterstreicht, dass ihre Vor-schläge für Übungen und Material demKind individuell angepasst werden soll-

Das Karlstad-Modell – ein Programmzur SprachförderungKirstin Bergem und Wenche Rognlid

Das Karlstad-Modell wird in Skandinavien seit vielenJahren zur Förderung der Sprache u.a. bei Kindern mitDown-Syndrom eingesetzt. Das Programm wurde ent-wickelt von Iréne Johansson, Professorin an der Univer-sität Karlstad in Schweden. Die beiden Autorinnen dieses Berichts arbeiten in einemheilpädagogischen Zentrum in Süd-Norwegen. Ihre Auf-gabe besteht u.a. darin, Eltern und Fachleute über dieKarlstad-Methode zu informieren, sie anzuleiten undbei der Umsetzung in die Praxis zu unterstützen.

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ten. Das Ziel der einzelnen Übungen istdas Wichtige. Diese Ziele können aberauf verschiedenen Wegen erreicht wer-den. Wenn die vorgeschlagenen Übun-gen für das einzelne Kind nicht passenoder das Kind dazu nicht zu motivierenist, kann man Übungen und Material ab-wandeln. Wie schon erwähnt, sind einfrüher Einsatz, ein strukturiertes undein systematisches Vorgehen sowie einkontinuierliches und tägliches Üben dieEcksteine des Programms.

Mit allen Sinnen lernen – Methodeerlaubt Einsatz vielfältiger stützen-der Maßnahmen

Die Sprache eines Kindes entwickeltsich kontinuierlich weiter. Dabei beein-flussen sich Inhalt, Form und aktiverGebrauch der Sprache gegenseitig(Bloom & Lahey, 78).

Sprachinhalt hat mit Begriffen undmit dem Wortschatz zu tun. Die Sprach-form handelt vom Organisieren der Lau-te und der Satzteile (sei es in Form vonSprechen, Schrift, Bliss-Zeichen, Pikto-grammen, Gebärdensprache oder laut-unterstützenden Gebärden). Sprachge-brauch ist der aktive Einsatz der Spra-che, wenn das Kind z.B. fragt, antwortet,erzählt.

Lautunterstützende Gebärden undz.B. Tastbuchstaben als visuelle undkonkrete Stütze beim Lernen von Ein-zellauten sind Teil des Programms. DerEinsatz von Gebärden ermöglicht esdem Kind zu kommunizieren, bevor essich selbst verbal ausdrücken kann.

Netzwerk ist wichtig

Das Karlstad-Modell legt Gewicht auf ei-ne Kooperation mit allen Personen, diemit dem Kind zusammenleben – und ar-

beiten. Die Eltern und andere Menschenaus dem „Netzwerk“ rund um das Kindspielen eine zentrale Rolle bei der Um-setzung seiner Sprachfertigkeiten, siesollen dem Kind gute Gesprächspartnersein. Alle sollen dazu beitragen, diesprachliche Kompetenz des Kindesdurch Sprachtraining im täglichen Le-ben zu fördern. Für das pädagogischeFachpersonal ist es daher eine wichtigeAufgabe, die Kompetenzen der nahenBezugspersonen dieses Netzwerkes zustärken und sie dabei so gut wie möglichzu unterstützen.

Phasen der Sprachentwicklung Diese Phasen sind in Iréne JohanssonsBüchern beschrieben.

Phase 1: Vorsprachliche Kommunikation

In dieser Phase ist das Kind auf demWeg zu einer zweckmäßigen, bewuss-ten und zielgerichteten Kommunikati-on. Hier stehen die Sprachanbahnungim Mittelpunkt, die Mutter-Kind-Inter-aktion, der Blickkontakt, das Horchen,motorische Übungen, Spiel und Imitati-on.

In dem ersten Teil dieser Serie vonfünf Anleitungsbüchern für die Sprach-förderung bei Kindern mit einerSprachverzögerung: Performative Kom-munikation, das in Norwegisch, Sa-misch, Finnisch, Englisch und Spanischübersetzt ist, werden die Methodik undviele praktische Übungen beschrieben.Außerdem werden Vorschläge für Ma-terialien präsentiert. Das Buch richtetsich an Eltern, Vorschullehrer/-innen,Erzieher/-innen, Logopäden/-innen undandere, die an der Arbeit mit dem Kindbeteiligt sind.

Das Programm enthält zwölf Module mitjeweils Vorschlägen für Übungen undSpiele, die aufeinander aufbauen. Woman anfängt, hängt vom Entwicklungs-stand des einzelnen Kindes ab.

(Idealerweise fängt man, so die The-rapeuten, gleich mit dem Neugeborenenan. Aber gleichzeitig wissen alle, dassdies häufig nicht möglich ist. Entwedersind die Eltern noch nicht in der Lage,an eine gezielte Förderung zu denken,oder erfahren nicht sofort etwas überdas Programm. Außerdem hat dies,gleich nach der Geburt, oft keine Prio-rität, weil viele Babys mit Down-Syn-drom gesundheitliche Probleme haben,die dann im Vordergrund stehen.)

Phase 2: Wortstadium

In dieser Phase ist das Kind auf demWeg zu Ein- und einfachen Zweiwort-sätzen. Die Phase wird oft das Wort-sammlerstadium genannt und setzt vor-aus, dass das Kind in seiner Kommuni-kation performativ ist, dass es also sei-ne Sprachfertigkeiten auf eine zweck-mäßige und zielgerichtete Art benutzt(handlungsorientiert). Das Ziel ist es, be-kannte Begriffe durch Sprache oder Ge-bärden gezielt einzusetzen.

Die Verfasserin gibt im zweitenBand, bestehend aus einem Text- undeinem Bilderbuch, Vorschläge, wie mandie Sprache weiter stimulieren kann.Eingeteilt in 31 Lernperioden gibt sieTipps zu Hör-/Horchübungen, Imitati-onsspielen, Liedern, Reimen usw. Wielange eine Periode währt, hängt von derLerngeschwindigkeit des Kindes ab.Wenn das Kind eine Übung beherrscht,kann diese im Spiel mit anderen Kin-dern und Erwachsenen benutzt werden.

Die Lautpüppchen – ein Material, das in der

zweiten Phase (Wortstadium) zur Förderung

der auditiven Wahrnehmung benutzt wird

Die Stoffbuchstaben gehören ebenfalls zum Material

der zweiten Phase und fördern den Tastsinn

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F Ö R D E R U N G

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Phase 3: Einfache Grammatik Das Kind ist nun auf dem Weg zu einfa-chen Sätzen und seine Kommunikationist gekoppelt an seine eigenen Erfah-rungen und konkrete Dinge im Hier undJetzt. Das Ziel ist es, nun eine mehr dif-ferenzierte Kommunikation mit Hilfevon Sprache, Zeichen, Gebärden, Pikto-grammen, Symbollesen und Schreibenzu entwickeln. Es soll dem Kind ermög-licht werden, seiner Phantasie Ausdruckzu geben, Informationen auszutau-schen, Wissen entgegenzunehmen undeigene Gedanken und Meinungen for-mulieren zu können.

Die zwölf Lerneinheiten im drittenTeil des Programms enthalten jeweilsein Lexikon mit Wörtern und Wort-Ka-tegorien und unterschiedliche Materia-lien, um die Aussprache, den Satzbauund die Grammatik zu üben, dazu ver-schiedene Themenbücher.

Phase 4: Erweiterte Grammatik

Das Ziel in dieser Phase ist es, dem Kinddie Möglichkeit zu geben, seine Spracheständig weiterzuentwickeln, sodass eslernt, sich immer nuancierter auszu-drücken, und ein besserer Gesprächs-partner wird. Die Sprache wird von dem„Hier und Jetzt“ abgekoppelt und be-ginnt ein „Eigenleben“. Das Kind kannallmählich Sprache unabhängig vonPersonen, Zeit und Situationen benut-zen. Dies bedeutet, dass das Kind diePerspektive anderer übernehmen undverschiedene Gesprächsrollen ausfüllenkann, was eine gewisse soziale Kompe-

tenz voraussetzt. Das Material dieses Buches besteht u.a.aus mehreren Papierpuppen mit Klei-dern und Ausstattung sowie einer Men-ge Kulissen, in denen die Puppen sichbewegen. Die Idee dabei ist, dass dasKind verschiedene Rollen spielen undunterschiedliche Positionen einnehmenkann. Diese Phase ist erreicht, wenn dasKind spontan Dreiwortsätze äußert.

Phase 5: Lese- und Schreibprozess

Lesen ist eine sprachliche Aktivität mitdem Ziel, Informationen über Schriftoder taktile Symbole zu sammeln undTexte zu verstehen. Buch fünf desSprachförderprogramms von Iréne Jo-hansson bietet zwölf Übungspakete mitMemorys, phonologische und grapho-motorische Übungen, Leseübungen(Analyse sowie Synthese), Schreibhefte,Wort- und Bildkarten, Rätsel, Satzübun-gen und Lesebücher. Der Inhalt derÜbungen im Lesepaket bildet eine sys-tematische Vorbereitung auf die Lese-bücher, die zu diesem Programm mit-geliefert werden.

Kirstin Bergem, Wenche Rognlid, Sörlandet kompetansesenter

Serviceboks 4304604 Kristiansand, Norwegen

www.statped.no/sorlandet

Übersetzung aus dem Norwegischen: Angelika Holte,

Arendal, Norwegen

Karlstad-Modell in Vergleich

Die fünf Bücher von Iréne Johanssonsind in verschiedene Sprachen über-setzt, leider jedoch nicht ins Deutsche.Man könnte das Programm in etwa ver-gleichen mit dem FrühförderprogrammKleine Schritte, wobei diese MethodeÜbungen zu allen Entwicklungsberei-chen enthält und es beim Karlstad-Mo-dell hauptsächlich um die Sprachent-wicklung geht.

Ich möchte auf einige interessanteAspekte dieser Karlstad-Methode einge-hen. Obwohl vieles mit den uns bekann-ten Sprachfördermethoden vergleichbarist, weicht Iréne Johanssons Programmdoch in einigen Punkten wesentlich da-von ab.

1. Strukturierte Sprachanbahnungvon Anfang an

Interessant ist der frühe Anfang der ge-zielten, strukturierten Sprachanbah-nung. Schon von Geburt an soll mit demKind z.B. das Lallen regelrecht geübtwerden. Da man festgestellt hat, dassdie Variation der Lalllaute bei Kindernmit Down-Syndrom viel weniger großist als bei anderen Kindern, spricht mandem Kind die Laute immer wieder vor –mal lang und dehnend, mal kurz undschnell – und regt das Kind so zumNach- und Mitsprechen an. Dieses Spie-len mit den Silben sollte mehrmals amTag in bestimmten Situationen, z.B.beim Wickeln, durchgeführt werden.

In den Übungsplänen wird genau dieReihenfolge angegeben, in der man dieLalllaute einführt. Man folgt dabei demnormalen Entwicklungsmuster. Bei die-sen gemeinsamen Sprachspielen wirddas Hinhören – das Lauschen – geübtund spielen außerdem Blickkontakt, Imi-tation und Turntaking (interaktivesHandeln) eine wichtige Rolle. Die ge-meinsamen Handlungen sind die we-sentliche Voraussetzung des Spracher-werbs. Das Kind genießt diese Interak-tion, es erwartet die „Gespräche“ meistschon freudig. Erst nach ca. neun Mo-naten werden dann auch gezielt be-stimmte Wörter zum Mit- und Nach-sprechen angeboten.

Wir finden diese Art von Imitations-übungen zwar auch in Kleine Schritte,(Buch 3 Expressive Sprache), allerdingswird hier längst nicht so detailliert be-schrieben, wie man das Kind Schritt fürSchritt begleiten und führen kann.

Fühlteppich, Fühlbuch

Fingerbuchstaben und

Stoffbuchstaben sind

einige der Materialien,

die zum Karlstad-

Modell gehören und

von einer speziellen

Werkstatt angeboten

werden

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P U B L I K A T I O N E N

Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 45

2. Gebärden werden schon früh eingesetzt

Auch der Einsatz von Gebärden erfolgtfrüher, als wir es z.B. aus der GuK-Me-thode kennen. Frau Professor Wilkenmeint dazu: „Die optimale Zeit für dieAusbildung der auditiven Wahrneh-mung liegt im ersten Lebensjahr undmuss deshalb intensiv gefördert wer-den, da ohne rechtzeitige Entwicklungdes gerichteten Hörens immer eine deut-liche Tendenz der verstärkten visuellenOrientierung entsteht. Deshalb werdenin diesem Alter auch keine Gebärdenangeboten“ (Wilken S. 186).

In Skandinavien bietet man Babysschon von Anfang an Gebärden an. Manhat dort nicht die Sorge, dass das Kindsich dadurch schon zu sehr visuell ori-entiert. Aber auch hier steht eindeutigdie auditive Förderung im Vordergrund.

3. Material wird mitgeliefert

Das Karlstad-Modell empfiehlt für dievielen Sprach- und Sprechspiele aucheine Reihe Materialien. In einer spezielldazu eingerichteten Werkstatt in Schwe-den ([email protected])werden diese Materialien hergestellt. El-tern und Fachleute können dort das„textile-pädagogische Material zurSprachentwicklung“ bestellen, entwe-der schon fix und fertig genäht oder alsRohmaterial mit Anleitung zum Selber-basteln, z.B. Stoffbuchstaben, Fühl-bücher, Lautpüppchen und Buchsta-benfinger für die ersten Stufen der Me-thode. Außerdem enthält jeder Pro-grammteil schon verschiedene Materia-lien, die man zum Üben einsetzen kann,oder gibt Anregungen und Anleitungenzum Selberherstellen.

Für viele Eltern ist das Karlstad-Mo-dell eine große Hilfe. Sie bekommen da-mit sicherlich ein gut strukturiertes Pro-gramm zusammen mit den dazu pas-senden Materialien, das sie in die Lageversetzt, gezielt die Sprachentwicklungihres Kindes zu unterstützen.

Cora Halder

Florian lässt sich Zeit

Autorin: Adele SansoneVerlag: Tyrolia, Innsbruck, 2002ISBN 3-7022-2435-1Preis: EURO 14,90

Ein Bilderbuch für Kinder ab vier Jah-ren zum Thema Down-Syndrom.

Der sechsjährige Florian geht zu-sammen mit seinem jüngeren BruderPeter in den Kindergarten. Floriannimmt zwar am Kindergartengesche-hen teil, aber vieles gelingt ihm nicht sogut und nicht so schnell wie den ande-ren Kindern. Sein Bruder Peter nimmt

ihn vor den anderen Kindern in Schutz,wenn diese ihn manchmal hänseln. Erverteidigt ihn mit den Worten: „Florianlässt sich einfach mehr Zeit. Er kann dasschon.“ Eines kann Florian aber bereitsjetzt besser als alle Kinder in seinemKindergarten, er kann besser trösten,wenn es jemandem schlecht geht.

Die Autorin Adele Sansone, die dasBuch auch illustriert hat, will anhandder Schilderung eines Kindergartenall-tages ein wenig die Unterschiede undBesonderheiten zwischen einem Kindmit Down-Syndrom – Florian – und ei-nem nicht behinderten Kind – Peter –aufzeigen.

Wir Eltern von Kindern mit Down-Syndrom erkennen in Florians Verhal-ten Eigenschaften unserer Kinder wie-der, ihre Langsamkeit, ihr Verschmust-sein, die Fürsorgebereitschaft, wennsich jemand wehgetan hat. Eine Er-kärung für dieses Verhalten erschließtsich allerdings nicht aus dem Text, nuraus dem Nachwort. Dort wird in einerkurzen Beschreibung über die Entste-hung des Down-Syndroms berichtet undwerden die Entwicklungsmöglichkeitenangesprochen. Um einem Kind anhanddieses Buches das Phänomen Down-Syndrom nahe bringen zu können, wirdnach dem Vorlesen noch eine Menge zu-sätzlich erklärt werden müssen.

Viele DS-Informationen auf CD-Romaus den Niederlanden

Die niederländische Stichting DownSyndroom hat eine CD-Rom zusammen-gestellt, die eine umfangreiche Informa-tionsquelle darstellt und in erster Liniefür neu betroffene Eltern, aber auch fürandere Interessierte, bestimmt ist.

Die CD-Rom umfasst viele gut ver-ständliche Texte mit viel Foto- und Vi-

deomaterial (mehr als 30 Minuten!),teils aus privaten Quellen, aber auch ausprofessionell gedrehten Filmen und ausvielen Fernsehsendungen.

Sie gibt eine Übersicht über die Ent-wicklung eines Menschen mit Down-Syndrom von vor der Geburt bis ins Er-wachsenenalter. Auch Themen wie Prä-natale Diagnostik und die Folgen davon,Erziehung, Integration, Sexualität,selbstständiges Wohnen und Arbeitenwerden angesprochen.

Die CD-Rom vermittelt auf eine zeit-gemäße Art und Weise ein Bild über dieSituation von Menschen mit Down-Syn-drom in der heutigen Zeit.

Mehr Informationen über diese CD „HetSyndroom van Down“ in niederländi-scher Sprache finden Sie bei derStichting Down Syndroom im Internetunter: www.downsyndroom.nl

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46 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Hi, ich bin Marvin …Es ist ein freudiges Ereignis, wenn das Kind mit Down-Syndrom einen Platz in einem Regelkindergarten be-kommt. Trotzdem überkommt einen gleichzeitig ein et-was mulmiges Gefühl … Wie wird es gehen? Was wer-den die anderen Kinder und deren Eltern wohl sagen?Werden sie das Kind akzeptieren, Verständnis für seineEigenheiten haben? Dies überlegen sich viele Eltern, be-vor sie ihr Kind in den Kindergarten schicken. Schließ-lich ist es das erste Mal, dass das Kind nun eigene We-ge geht, nicht mehr in der ständigen Obhut der Familieist. Einige Eltern halten einen Infoabend über Down-Syndromoder schenken ein passendes Kinderbuch, damit die Erzieherin mit Hilfe dieser Geschichte den Kindern das eine oder andere erklären kann. Die Familie Böge aus Kiel hat sich etwas einfallen las-sen. Sie schrieb einen Brief über Marvin (mit Foto). Die-sen Brief bekamen alle Familien, deren Kind mit Marvinin der Gruppe war. Uns gefiel die Idee und wir möchtenhier den Text von Marvins „Steckbrief“ abdrucken. Vielleicht ist es eine Anregung für andere Eltern, diesich gerade über dieses Thema Gedanken machen? DieFamilie Böge hat gute Erfahrungen damit gemacht. Beiden anderen Kindergarteneltern sei der Brief äußerstpositiv aufgenommen worden und hat zu einer ver-ständnisvollen Atmosphäre beigetragen, in der MarvinsIntegration bestens gelingt.

Liebe Eltern,... Und noch immer ist Marvin im Kin-dergarten: Weil er einfach etwas mehrZeit braucht.

Marvin hat das Down-Syndrom(früher auch mongoloid genannt), kanndeshalb noch nicht richtig sprechen undist in manchen Dingen anders als ande-re Kinder in seinem Alter. Ihre Kinderwerden vielleicht zu Hause erzählen,dass er anders aussieht, dass er so tap-sig läuft, dass er schwer zu verstehenist, dass er irgendwie anders ist … undvielleicht wissen Sie nur, dass Marvinbehindert ist und wissen nicht genau,

was Sie Ihrem Kind sagen sollen? Unsist es wichtig, dass Ihre Kinder überMarvins Behinderung Bescheid wissen.Damit Vorurteile oder auch falsche Bil-der gar nicht erst entstehen, möchtenwir Sie hiermit informieren. Wir möch-ten, dass Sie die Möglichkeit haben,Ihren Kindern über das Anderssein vonMarvin zu erzählen:

Marvin ist nicht krank! Er ist behin-dert. Down-Syndrom ist keine Krank-heit, es verursacht keine Schmerzen, dieden Ausdruck „Leiden“ rechtfertigenwürden. Marvin reagiert häufig langsa-mer. Er hat einfach ein „Tempo“, das

wir nicht gewohnt sind. Es ist deshalbbesonders wichtig, ihm Zeit zum Rea-gieren zu lassen, ihm nicht „voreilig“ zuhelfen und ihm Raum für seine eigeneMeinung zu geben. Er hat genau wie al-le anderen Kinder das Bedürfnis nachSelbstständigkeit und Mitentscheidung.

Marvin lernt vieles langsamer.Früher wurden den Menschen mit Down-Syndrom viele Fähigkeiten abge-sprochen, was jedoch ein großes Miss-verständnis war. Mittlerweile ist es so,dass die meisten Menschen mit Down-Syndrom sprechen lernen und dass sielernen können zu lesen, zu schreiben…, nur eben langsamer und vielleichtauch nicht immer so umfassend. Siesind entwicklungsfähig, wie alle ande-ren Menschen auch. Das bedeutet z.B.:Marvin kann vielleicht beim ersten Malein bestimmtes Spiel nicht gleich mit-spielen, was folglich nicht heißen darf,dass er dieses Spiel nie lernen wird.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 47

Kur mit Schwerpunkt Down-Syndrom Ein Bericht von Dr. med. Maria Gierl, Leitende Ärztin in der Klinik Blumenhof

Bei unserem ersten geschlossenenKurdurchgang für Familien mit ei-

nem Kind mit Down-Syndrom warenwir zunächst überrascht, dass etwa ei-nem Drittel der betroffenen Kinder vonden Krankenkassen kein Patientensta-tus gewährt worden war. Mit dieser Si-tuation konnten weder wir noch die El-tern zufrieden sein, zumal ja die Not-wendigkeit einer kontinuierlichen För-derung und physiotherapeutischen Be-handlung nicht in Zweifel zu ziehen ist.Leider führte auch eine nachträglicheAntragstellung nicht in jedem Fall zumgewünschten Ergebnis.

Wir sind bei dieser ersten geschlos-senen Maßnahme mit einer Schar vonKleinkindern „gesegnet“ worden. MitAusnahme eines Kindes im Schulalterwar das Gros der Kinder zwischen ei-nem Jahr und drei Jahre alt. Unser„Benjamin“ war gerade mal acht Mona-te.

Diese Altersstruktur erforderte vorallen Dingen von den Mitarbeiterinnenunserer Kindertagesstätte ein erhebli-ches Maß an Flexibilität, Ausdauer undGeduld. Ihr Einsatz und ihre Leistungwurden den Müttern erst gegen Kuren-de bewusst. Allzu leichtfertig wurdenanfängliche Eingewöhnungsschwierig-keiten der Kinder mit erzieherischer Be-treuung verknüpft. Die Erkenntnis, dassdie Akzeptanz einer bis dahin nicht er-lebten Fremdbetreuung – noch dazu beieinem entwicklungsgestörten Kind – ei-nes erweiterten Zeitrahmens bedarf,kam glücklicherweise rechtzeitig.

So ergab sich ein erstes Fazit auf bei-den Seiten: Drei Wochen sind bei dieserPatientenklientel im Kleinkindesalter zukurz bemessen. Diese Kinder brauchenmehr Zeit, um sich auf eine neue Situa-tion einzustellen.

Die Form eines geschlossenen Kur-durchganges wurde fast durchweg be-grüßt und für sehr positiv gehalten. DerWegfall von Erklärungen und Rechtfer-tigungen über Verhaltensweisen einesbehinderten Kindes, das Fehlen dersonst üblichen Außenseiterrolle und des

zwangsläufigen „Im-Mittelpunkt-Stehens“erleichterten den Müttern ihre Situationspürbar. Die Behinderung war für dreiWochen ein Stück „Normalität“.

So formierte sich recht rasch eineSchicksalsgemeinschaft mit gleicharti-gen Problemstellungen, wodurch in the-menzentrierten Gesprächskreisen so-fort auf das Kernproblem vorgestoßenwerden konnte. Die Gelegenheit, mitgleich Betroffenen in einen intensivenDialog zu treten, ließ den Wunsch auf-kommen, über die Anzahl der einge-planten Gesprächstermine hinaus, wei-tere Gesprächsrunden anzuberaumen.Diesem Anliegen kam man gerne entge-gen.

Der Kenntnisstand bezüglich Down-Syndrom differierte in nicht erwarteterWeise. So blieb es nicht nur bei einemErfahrungsaustausch untereinander.Manche ganz neue Information konntesowohl von unserer Seite als auch vonbeachtlich informierten Patientinnen anandere weitergegeben werden.

Je enger die Kontakte innerhalb derGruppe geknüpft wurden, umso mehrwar die Zunahme eines gewissen Grup-pendrucks nicht zu übersehen. Ambiva-lente Gefühle und eine erhöhte Sensibi-lität der Teilnehmerinnen erfordertenvom therapeutischen Team ein hohesMaß an Empathie.

Das für die Mütter erstellte Behand-lungsprogramm ermöglichte – unterBerücksichtigung der vorliegenden so-matischen Erkrankungen – körperlicheAktivität wie auch Entspannung.

Breit gefächerte balneophysikalischeAnwendungen wie Massagen, Aroma-bäder, Wärmepackungen und Thermal-badbesuche sowie abwechslungsreichesportliche Angebote trugen zu körperli-chem Wohlbefinden und Steigerung derFitness bei. Loslassen, die kognitiveKontrolle hintanstellen, nur den eigenenKörper spüren, wurde in Entspan-nungsverfahren wie autogenem Trai-ning und bei der Progressiven Muskel-relaxation nach Jakobson ermöglicht.

Aufgrund der uns fast ausschließlich

Ihre Kinder üben Fähigkeiten im Rol-lenspiel, z.B. im „Mutter und Kind“-Spiel: Es wird eher so kommen, dassMarvin als „Kind“ engagiert wird, weiler so „lieb“ liegen bleibt, o.Ä. Für ihn istes aber genauso wichtig, Erfahrungenzu sammeln, wenn er auch mal jeman-den „behüten“ darf, wenn er auch maldie Rolle des Aktiven üben kann.

Manchmal muss Marvin aus seiner„Traum“-welt herausgerissen werden:Ermutigen Sie Ihre Kinder, Marvin auf-zufordern mitzuspielen. Sie können ihneinfach an die Hand nehmen und erwird sehr wohl verstehen, was die Kin-der dann von ihm wollen, und diesdurch den Spaß am Spiel zeigen.(Manchmal brauchen wir alle einen klei-nen Schubs …)

Marvin belegt in dem Andreas-Kin-dergarten einen von vier Integrations-plätzen. Diese Integration hat natürlichnur Sinn, wenn z.B. auch nachmittagsnach dem Kindergarten ein Kontaktstattfindet. Sollten Sie oder Ihr Kindnicht genau wissen, ob Marvin zu Be-such kommen kann, so möchten wir an-bieten, dass wir während der Spielzeitjederzeit erreichbar sind.

Und noch ein wichtiger Punkt: Mar-vin hat die gleichen Bedürfnisse wie al-le anderen. Er will seine Umwelt ent-decken, will spielen, will lernen, lachen,Beziehungen zu anderen Kindern auf-nehmen und will immer selbstständigerwerden. Er ist als Mensch einzigartig,wie alle anderen Menschen es auchsind. Mit einer eigenen Persönlichkeit.

Unser Gedanke bei diesem Schrei-ben ist, das Marvin bei Ihnen und IhrenKindern so gesehen wird, wie alle ande-ren Kinder auch: mit seinen Schwächen,vielleicht auch mit seinen Besonderhei-ten und mit seinen Stärken.

Mit Ihrem Verständnis und Ihrer Un-terstützung erhält Marvin die Chance,„ein Leben so normal wie möglich“ zuleben. Ja, das ist unser Wunsch.

Mit freundlichen Grüßen vonOliver und Inga Böge, die bezüglich Marvin und auch sonst im-mer gerne gesprächsbereit sind!

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zugewiesenen Kleinkinder konnte unserfür diesen Schwerpunktkurdurchgangerarbeitetes, erweitertes Behandlungs-und Therapieprogramm nicht zur Gän-ze ausgeschöpft werden. Für Hippothe-rapie, Psychomotorik, rhythmische Be-wegungstherapie und Schwimmkurswar die Mehrheit unserer Down-Kinderganz einfach noch zu klein. Für sie stan-den Physiotherapie, Mutter-Kind-Gym-nastik, Babymassage, medizinische Bä-der sowie weitere indikationsbezogeneTherapien zur Verfügung.

Als sehr lohnend, da informativ undinteressant, erwies sich für die Mütterder Besuch einer nahe gelegenen ergo-therapeutischen Praxis. Es blieb nichtnur bei theoretischen Erläuterungenüber die Ziele und Methoden der Ergo-therapie. Unsere Teilnehmerinnen durf-ten selbst Therapiemittel begreifen,Gleichgewicht auf der Therapieschaukeltrainieren oder beispielsweise im Snoe-zelen-Raum „schnuppern und dösen“.Im Hinblick auf das Down-Syndromwurde speziell auf die sensorische Inte-grationstherapie eingegangen.

Viele Wintersonnenstunden im Rot-tal ließen die sonst in dieser Jahreszeitüblichen Infekte kaum aufkommen. Kla-re Winterluft, Toben im Schnee, Abhär-tung in der Kindersauna dürften zurStabilisierung der Gesundheit und Stär-kung der Abwehrkräfte beigetragen ha-ben.

Belohnt wurden beide Seiten am En-de der dreiwöchigen Kurmaßnahme,Mütter und Down-Kinder, durch ge-meinsame, intensiv erlebte drei Wochenmit sichtlichen Entwicklungsfortschrit-ten der Kinder (bei zwei Dritteln wurdeder Behandlungserfolg als „gut“ einge-schätzt), wir vom Blumenhof-Teamdurch eine abschließende Tanzvor-führung.

Eine Gruppe selbstbewusster Mütterließ es sich nicht nehmen, ihre währendder drei Wochen von unserer Gymnas-tiklehrerin zu den Klängen von „Can’tget you out of my head“ einstudierteTanzshow in ansprechender Synchro-nie und Harmonie zu präsentieren. An-rührend und erheiternd zugleich brach-ten schließlich „unsere Kinder“ mit ihremWesterntanz die gemeinsame Zeit zumAbschluss.

Drei Wochen normal sein – Schwerpunktkur an der NordseeBericht von Nicole Braemer,Teilnehmerin an der Schwerpunktkur

Im Februar nahmen 18 Familien an derSchwerpunktkur „Down-Syndrom“ in

Friedrichskoog an der Nordsee teil. Ausganz Deutschland waren die Mütter(und fünf Väter) mit insgesamt 29 Kin-dern Ende Januar angereist; Schwä-bisch, Friesisch und Sächsisch mischtesich mit viel Pfälzisch und Rheinlän-disch. Auch die Kinder waren gemischt,die Kleinste erst zwei, der Älteste bereitssiebzehn Jahre alt. Doch die vielen ver-schiedenen Gesichter der Jungen undMädchen mit Down-Syndrom machtenschon beim ersten Rundgang durch dieKurklinik klar: Hier herrscht ab soforteine ganz besondere Atmosphäre, 19„Downies“ bestimmen Themen und Ab-läufe und geben diesem Kurgang einebesonders gefühlsbetonte Note.

Mittwochs ist Anreisetag für dieSchwerpunktkur, die die Klinik Nord-seedeich jährlich einmal durchführt unddieses Jahr zum dritten Mal anbot. DasHaus liegt in Friedrichskoog-Spitze, ei-ner kleinen Ferienhäuser-Ansammlung,100 Meter vom Meer entfernt. Zu Spit-zenzeiten im Sommer können über 100Mütter mit ihren Kindern hier kuren, imWinter dagegen ist es ruhig. In den dreiWochen der Schwerpunktkur gab eszeitversetzt noch drei andere Kurgängemit jeweils etwa zehn Müttern. Diese ge-ringe Auslastung könnte den Anlass ge-geben haben, für Familien mit Down-Syndrom eine spezielle Kur anzubieten.Zu einer anderen Jahreszeit wäre diesesicher nicht durchführbar, da geradedie Betreuung der behinderten Kindersehr viel mehr Zeit und Zuwendung er-fordert.

Das musste auch das Kindergarten-Team erfahren, das sich von Beginn anmit einigen Schwierigkeiten konfron-tiert sah, auf die es organisatorisch nichtvorbereitet war. Etwa ist die Betreuungvon sechs Kindern mit Down-Syndromneben sechs weiteren in einem nicht ge-rade großen Gruppenraum durch zweiErzieherinnen nicht zu schaffen. Kon-flikte traten hier schnell auf. Doch offe-

ne Gespräche zwischen Personal undEltern und zum Teil auch der Kliniklei-tung sollten zumindest für die nächstenSchwerpunktkuren Abhilfe schaffen.

In der Kita konnten die Kinder vonmorgens acht bis nachmittags 17.30Uhr bleiben, aber jederzeit geholt undauch wieder gebracht werden. Dieselange Betreuungszeit gab den Mütternund Vätern viel Zeit, ihre Anwendungenzu nehmen, Spaziergänge zu machenoder im „Pesel“ (dem Aufenthaltsraum)den kostenlos angebotenen Kaffee amNachmittag beim Klönen zu genießen.Der Schwerpunkt dieses Kurganges liegtauf der Erholung der Eltern, es soll sichnicht alles in erster Linie (wie zu Hau-se?) um das Kind mit Down-Syndromdrehen.

Das Thema „Down-Syndrom“ wartrotz allem in den meisten Gesprächendas Hauptthema, denn es verband alle.Schnell entstand bei den meisten Teil-nehmern ein starkes Gruppengefühl,man wusste einfach um die Problemeder anderen ohne lange Erklärungen.Dazu kam, dass die Eltern sich auf alleKinder ohne Zögern und Vorbehalteeinlassen konnten. Im zum Toberaumumfunktionierten Aufenthaltsraumkonnte man getrost sein Kind einige Zeitspielen lassen, denn es war immer je-mand da, der aufpasste und zur Notauch eingriff. Dies gab den Eltern einschönes Gefühl von Normalsein. Andersals im Alltag waren hier einmal für eini-ge Wochen die Familien mit Down-Syn-drom die Norm, und die so genanntenNormalen in den anderen Kurgängenwaren in der Minderheit und musstensich anpassen. Ein tolles Gefühl, dassehr viel Stärke über die Kur hinaus ver-mittelte.

Bis auf eine Familie, die leider ausgesundheitlichen Gründen nach einpaar Tagen abreiste, genossen Väter,Mütter und alle Kinder das Zusammen-sein sehr. Viel Mühe gab sich das Kin-dergarten-Personal mit speziellen Ak-tionen wie Karnevals-Party (Kostüme

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 49

Nächste Termine für eine Schwer-punktkur in der Klinik Blumenhofsind:20.11.2002 – 11.12.200220.02.2003 – 12.02.2003

Informationen beim:Mutter-Kind-Hilfswerk e.V.Millberger Weg 194152 Neuhaus am Inn Tel.: 0 85 03 / 91 49-0E-Mail: [email protected]: www.mutter-kind-hilfswerk.de

Nächster Termin für eine Schwer-punktkur in der Klinik Nordseedeichist: 22.01 – 12.02.2003

Klinik NordseedeichDeichweg 125718 FriedrichsoogTel.: 0 48 54 / 908-0Servicetelefon: 0800 / 5 54 64 56

einpacken), Ausflüge zur Feuerwehr,ins Museum oder zum Reiten (das an-gekündigte therapeutische Reiten fielleider aus) oder einem „Wahrneh-mungsfest“, bei dem mit allen Sinnengespielt werden konnte.

Therapeutisch wurde für die Kindermit Down-Syndrom zweimal die WocheKoordinationsgymnastik (Psychomoto-rik), vereinzelt Krankengymnastik, Ent-spannungstraining oder Asthmabe-handlung angeboten. Im Vordergrundstand für sie jedoch der Klimawechselund so wurde mindestens einmal amTag an die frische Luft gegangen. DieKinder fühlten sich in der Betreuungtrotz Platz- und Bewegungsmangels imInnenbereich (es fehlt noch eine großeTurnhalle) wohl. Freundschaften ent-standen, sodass auch nach „Feier-abend“ im Zimmer, in den Etagenspiel-räumen oder im Klinik-Schwimmbadzusammen die Zeit verbracht wurde.

Für die Eltern war das Wohlbefin-den der Kinder sehr wichtig, um auchselbst zur Ruhe zu kommen. Nach einerärztlichen Visite am Donnerstag gingendie Therapien allerdings erst am darauffolgenden Montag los, man „verlor“ al-so eine halbe Woche. Für die Anwen-dungen gab es einen genauen Zeitplan,der häufig bereits um acht Uhr begann.

Neben Massagen, Bädern, Kran-kengymnastik sowie Kneippen, Walkingund Entspannungstraining wurdenGruppen- und Einzelgespräche mit Psy-chologen geführt. Dort wurden von denKursteilnehmern Themen angespro-chen wie „Auffälliges Verhalten meinesKindes in der Öffentlichkeit“ oder „Kon-sequente Erziehung“ und so lebhaft be-sprochen, dass die Psychologin kaum zuWort kam.

Wer abends noch Lust auf einSchwätzchen hatte, konnte das Baby-phon einschalten und sich zu den ande-ren in den Pesel setzen oder die Frei-zeitangebote wie Stoffmalen, Basteln,Atemtraining, Vorträge und Märchen-erzählen nutzen. Sehr interessant wa-ren die angebotenen Ausflüge in dieUmgebung, nach Kiel oder ins Watt –Letzteres jedoch nicht für empfindlicheNaturen mit einem Ekel vor Matsch undSchlick zu empfehlen. Und wem dasnicht gefiel, der konnte in der BibliothekBücher und Spiele ausleihen oder sei-nen Fernseher auf dem Zimmer (gegenBezahlung) anschalten.

Eher nüchtern und kühl, da für Al-lergiker geeignet, wirkt die Ausstattungder Klinik. Die Unterbringung erfolgtezumeist in geräumigen Zweizimmer-Appartements mit Bad und Balkon, teil-

weise stand nur ein Raum für Müttermit kleineren Kindern zur Verfügung.Auf den Etagen stehen eine Küche mitAufenthaltsraum und ein Spielzimmerzur Nutzung bereit. Ein Wasch- und Bü-gelraum befindet sich im dritten Stock.

Die Ausstattung der Klinik Nordsee-deich bot alles, was gebraucht wurde.Trotzdem gab es Kritikpunkte, vor allemder, dass das Haus noch zu wenig aufdie Belange der besonderen Kinder ein-gestellt ist. Es genügt nicht, eineSchwerpunktkur „Down-Syndrom“ an-zubieten und nicht gleichzeitig zusätzli-ches und speziell geschultes Personaleinzustellen. Ebenso muss den Kindernim Winter mehr Raum zum Austobenangeboten werden.

Trotz dieser Mankos haben die Fa-milien mit den Kindern mit Down-Syn-drom und den Geschwisterkindern dasZusammensein miteinander genossenund nicht nur viel geredet, sondern auchausgiebig gelacht, geweint, gefeiert undgetanzt.

Nicole Braemer

Spielen mit Rasierschaum beim Wahrnehmungsfest –

der kleine Johann aus Hamburg

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50 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Drei Monatemit Marco

Eigentlich hatte unser Baby noch zweiWochen Zeit bis zum errechneten

Entbindungstermin, aber seine Neugierauf die Welt war größer. Und statt laut-hals zu schreien, sah er sich gleich mitgroßen Augen um. Nach 38 Wochen ge-spannten Wartens, das Baby endlich zusehen, das war für uns ein tolles Gefühl.Marco wog 3300 g und seine Länge be-trug 52 cm.

Nachdem Marco gewaschen war,sah ihn die Gynäkologin genauer an undsagte uns, er müsse am nächsten Tagvom Kinderarzt wegen schräg stehen-der Augen und einer Sattelnase unter-sucht werden. Ich hatte ein ungutes Ge-fühl, spürte, dass etwas nicht in Ord-nung ist.

Einen Tag bevor er geboren wurde,hatte ich einen schlechten Traum. Ichträumte, dass unser Kleiner geborenwurde und einen viel zu großen Kopfhatte. Jetzt hatte er zwar keinen zugroßen Kopf, aber es stimmte trotzdemetwas nicht.

Ich verglich ihn dauernd mit den an-deren Babys. Er sah anders aus, hatteein sehr flaches Gesicht, mandelförmigeAugen, überhaupt, der Gesamteindruckwar für Menschen, die Erfahrung mitDown-Syndrom haben, eindeutig.

Am nächsten Morgen kam der Kin-

derarzt in die Klinik, sah sich Marco anund hörte sein Herz ab. Es dauerte viel-leicht 20 Sekunden und die Diagnosestand fest. Unser Winzi ist ein Baby mitDown-Syndrom! Von einer Sekunde aufdie andere brach meine Welt zusam-men. Ich rannte ohne Marco aus demUntersuchungszimmer in mein Kran-kenzimmer und rief meinen Mann inder Arbeit an.

Er schrie und weinte fürchterlich, eswar entsetzlich! Es tat mir so Leid fürihn, er hatte sich doch so auf unsere Zu-kunft mit Marco gefreut. Und ich hatteAngst, dass er ihn nicht so richtig liebhaben würde.

Zwei Stunden nach der Untersu-chung des Kinderarztes kam mich mei-ne Mutter besuchen, ihr hatte ich auchgleich Bescheid gesagt. Sie fragte mich,wo denn unser Kleiner wäre. Er warnoch immer im Schwesternzimmer undich ließ ihn bringen. Als er wieder beimir war, tat es mir sogleich unendlichLeid, dass ich ihn einfach auf dem Un-tersuchungstisch liegen ließ! Ich fühltemich schlecht, eine Rabenmutter.

Wie wird es weitergehen?

Und jetzt? Wie wird es weitergehen?Was für eine Zukunft liegt vor uns, miteinem behinderten Kind? Wieso pas-siert das ausgerechnet mir? Ich hattedoch schon immer eine große Angst vorbehinderten Menschen. Karsten, meinMann, leistete seinen Zivildienst in einerWerkstatt für behinderte Menschen. Nieim Leben hätte ich ihn dort besucht! Ich

hatte Angst und dachte mir, dass „sol-che“ Menschen mir das sofort ansehenund sich dementsprechend verhalten.Und „so ein Mensch“ ist nun auch unserMarco. Das war unbegreiflich, unfass-bar.

Die Diagnose änderte plötzlich meinGefühl zu Marco, ich spürte eine Ableh-nung. Aber gleichzeitig hasste ich michfür dieses Gefühl. Wieso war ich so eineschlechte Mama? Er war doch immernoch mein Winzi, immer noch der Glei-che, der neun Monate in meinem Bauchheranwuchs und auf den wir uns dochso freuten.

Ein Berg voller unbeantworteterFragen türmte sich in meinem Kopf auf.So viele Stufen in unserem Haus, wielange wird es dauern, bis er sie steigenkann? In welchen Kindergarten soll ereinmal gehen? Wie wird sich die Gesell-schaft ihm gegenüber verhalten? Wel-chen Beruf soll er mal ausüben? Ich zer-marterte mir den Kopf. Hätte ich zu die-sem Zeitpunkt von seinem kurzen Lebengewusst, hätte ich jeden Augenblick mitihm genossen.

In der folgenden Nacht um 3 Uhrwurde Marco wegen Sauerstoffunter-versorgung vom Kinderarzt in die Kin-derklinik nach Nürnberg gebracht. DerKinderarzt erklärte mir kurz von seinerBefürchtung eines Herzfehlers.

Ich musste im Neumarkter Kranken-haus bleiben, durfte nicht mitfahren. Ichweinte bis zum Morgen in mein Kopf-kissen. In meinem Krankenzimmer wa-ren zwei Mamas, die ihre gesunden Ba-bys bei sich hatten, und das eine schrieandauernd wegen Blähungen. Es wareine schreckliche Nacht.

Am nächsten Morgen hielt michnichts mehr im Krankenhaus, ich woll-te unbedingt zu meinem Winzi! Als wirin der Säuglingsintensivstation seinZimmer betraten und ich ihn in seinemPlexiglas-Bettchen so einsam liegen sah,spürte ich, wie lieb ich ihn hatte. Er sahso zufrieden und niedlich aus.

„Hallo mein Schatz, da ist deine Ma-mi! Endlich habe ich dich wieder, ichlass dich nie wieder alleine!“ Das wuss-te ich jetzt, nichts war mir wichtiger alssein Wohlergehen!

Der Kinderarzt bat uns in sein Be-sprechungszimmer und erklärte unsMarcos Herzfehler. Er hatte einen tota-len AV-Kanal. Auch das noch? Jetzt hatunser Kleiner schon Down-Syndrom,wieso muss es nun auch noch Probleme

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 51

mit seinem Herzen geben! Die Sorgenwegen des Down-Syndroms traten inden Hintergrund, wir machten uns vielmehr Sorgen um sein Herz.

Nach zwei Wochen durfte Marcotrotz des Herzfehlers nach Hause. DasTrinken (aber leider nur aus der Fla-sche) klappte und er sah richtig gut aus.

Endlich zu Hause! Das war eine sehrschöne Zeit und wir genossen sie, ob-wohl wir auch schmerzliche Erfahrun-gen machten: Bekannte, die wir beimSpazierengehen trafen, trauten sich oft-mals nicht, in den Kinderwagen zuschauen. Sie wussten nicht, was sie dafür ein „Anblick“ erwartete. Mir wurdebewusst, wie unwissend die Menschensind, wenn es um das Down-Syndromgeht.

Bald hatten wir schon wieder unse-ren nächsten Termin in der Kinderkli-nik, eine Untersuchung der Nieren we-gen eines Nierenrückstaues. Sehrschnell verging diese viel zu kurze Zeitund wir ahnten nicht, dass es gleichzei-tig unsere erste und letzte gemeinsameZeit zu Hause war. Geplant waren vierTage Krankenhausaufenthalt, darauswurden sechs Wochen. Viele nieder-schmetternde Diagnosen wurden ge-stellt und wir wussten manchmal nichtmehr weiter. Nach der Nierenuntersu-chung bekam er eine Harnwegsinfekti-on und danach wurde er am Leisten-und Bauchnabelbruch operiert. Dannhatte er eine Lungenentzündung und esging ihm sehr schlecht. Wir konntenMarco nichts abnehmen, musstenmachtlos zusehen. Das Einzige, was wirfür ihn tun konnten, war: Immer da zusein und ihm viel Liebe zu geben. Diebekam er nicht nur von uns, seinen El-tern, sondern auch von unseren Famili-en und Freunden. Jeder hatte unserenPrinzi sehr lieb. Er war ein richtig hüb-sches und liebes Baby.

Ich blieb Tag und Nacht im Kran-kenhaus und bin im Nachhinein sehrfroh darüber. Ich weiß, dass ich ihn nieallein gelassen habe. Er belohnte michdafür mit seinem supersüßen Lächeln.Sein erstes Lächeln schenkte er aller-dings seinem Papi!

Es war eine sehr schwere Zeit undtrotzdem machte er uns immer wiederMut und erfreute uns mit seinemLächeln. Er lernte, sich zur Seite dre-hen, und konnte somit zur Türe sehen.Morgens, als ich in sein Zimmer kam,lag er immer so halb zur Seite gedreht

und ich hatte das Gefühl, als würde ermich schon erwarten.

Von der Kinderklinik in Nürnbergbrachte uns ein Kindernotarztwagen indie Uniklinik Erlangen, Station Kardio-logie. Wir freuten uns eigentlich, hoff-ten, dass es Marco nach der Herzopera-tion gesundheitlich besser gehen würdeund er dann wieder aus der Flaschetrinken könnte – das wurde nämlich lei-der zunehmend schlechter, da er immerkraftloser wurde.

Es wurde sofort ein ausführlicher Ul-traschall gemacht, man wollte ihm denHerzkatheter ersparen. Die Diagnose warniederschmetternd! Totaler AV-Kanal(das wussten wir ja bereits), Mitralklap-penundichtheit, Aortenstenose an einersehr schlecht zu operierenden Stelle,außerdem war der rechte Herzmuskeldramatisch vergrößert. Sogar der Pro-fessor erschrak bei diesem komplizier-ten Herzfehler und meinte, dass seineChirurgen dies gar nicht erst operierenwürden. Es müsste ein medizinischesWunder geschehen, damit Marco über-lebt. Dieser Tag war ein Trauertag, dennwir ahnten jetzt, was passieren würde.Wir verstanden die Welt nicht mehr.Unser Baby mit Down-Syndrom! Wirhatten doch diese Aufgabe angenom-men, wir wollten doch dieses Baby mitviel Liebe aufziehen und ihm alles ge-ben, was es brauchte. Wieso wird er unsjetzt auch noch weggenommen? Wieso

ist er jetzt unheilbar krank? Was ist dasfür ein „lieber“ Gott, der so ungerechtist?

Dann wurde doch noch ein Herzka-theter gelegt, die Ergebnisse waren so-gar noch schlechter. Die Chirurgen wa-ren zwar bereit, eine Operation zu wa-gen, „alles auf eine Karte zu setzen“,d.h. Totaloperation des Herzens, Mar-cos Überlebenschancen würden aber alssehr schlecht eingestuft. In seinem mo-mentanen Zustand würde Marco dieOperation sicherlich nicht überleben,deshalb sollte noch abgewartet werden.

Zwei Wochen nach dieser Diagnoseist Marco gestorben! Nun hatte er dochnoch selbst entschieden zu gehen, undwir mussten keine Entscheidung mehrtreffen, ob eine Operation oder nicht.Wir bekamen ein Zimmer, nur für unse-re kleine Familie, um in Ruhe von ihmAbschied zu nehmen. Als er aufhörte zuatmen, zündeten wir eine Kerze an, hiel-ten ihn in unseren Armen, küssten ihnund schmusten noch zwei Stunden mitihm. Schöner hätte ein Abschied nichtsein können. Ich bin unendlich dank-bar, dass er nicht während einer OPoder kurz danach gestorben ist, sondernin unseren Armen.

Diese 14 Wochen mit Marco habenunser Leben grundlegend verändert.Down-Syndrom, ja, das war anfangs einfürchterlicher Schock. Aber je mehr wirdarüber erfuhren, umso problemloser

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52 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

erschien uns das. Wir besuchten dasDeutsche Down-Syndrom InfoCenter inLauf und fühlten uns schon nicht mehrso alleine. Andere Familien mit einemKind mit Down-Syndrom zu sehen unduns mit ihnen zu unterhalten, gab unsKraft und Mut. Wir sahen, wie auch die-se Familien ein ganz normales Lebenführten und glücklich waren. Mich über-raschte auch, was Kinder mit Down-Syndrom durch entsprechende Förde-rung lernen können. Auch die Gesell-schaft, die Menschen nach Leistung,Äußerlichkeiten, Besitztum bewertet,kann so ein Mensch in eine andere, bes-sere Richtung lenken. Was ist dennwirklich wichtig? Wie wäre es erst ein-mal mit Liebe, gutes Tun, Mitgefühl, To-leranz, sich nicht so wichtig zu nehmen,sondern auch für andere da zu sein.

Zu verstehen, weshalb Marco gehenmusste, fällt uns schwer. Er hätte es beiuns sehr gut gehabt, denn wir liebtenihn so, wie er war, und ich hätte ihm vielZeit geben können. Sicher hätte es auchoft schwere Zeiten gegeben, aber in sol-chen Zeiten hätten wir uns Rat und Hil-fe bei betroffenen Eltern geholt. Man istdoch nicht alleine!

Wir hätten diese Aufgabe sehr gerneangenommen, hätte er nur leben dür-fen.

Anja Pötzl

GeburtsanzeigeDas Baby ist da. Nun soll die meistens schon längst vor-bereitete Geburtsanzeige noch um Namen und Geburts-datum ergänzt werden, und schon kann die freudigeNachricht verschickt werden. Aber was ist, wenn das Baby Down-Syndrom hat? Sollman das in der Geburtsanzeige erwähnen oder besserverschweigen. Oder soll man nun gar keine Anzeigemehr verschicken? Hier möchten wir einige Lösungenvorstellen: So gaben Eltern die Nachricht, dass ihr Babyein wenig anders war als erwartet, weiter.

Wir hatten lange darum gerungen,wie wir unsere Geburtsanzeige

gestalten könnten. Einerseits wolltenwir nicht so tun, als wäre alles in Ord-nung, andererseits wollten wir unseremKind nicht schon von vornherein denStempel „behindert“ aufdrücken. Soschrieben wir die eigentliche Geburts-anzeige ohne besondere Hinweise aufdas Down-Syndrom unseres Kindes,legten aber einen Begleitbrief bei, ummitzuteilen, dass uns die Geburt von Si-mon in besonderer Weise bewegt hatte.

Ihr Lieben!Es ist uns ein Anliegen, euch an unsererneuen Lebenssituation, die sich durchdie Geburt von Simon ergeben hat, teil-haben zu lassen. Am frühen Morgen des8. Juli durften wir nach einer gut ver-laufenen Geburt Simon in unsere Armeschließen. Dankbar darüber, nun dreigesunde Buben zu haben, schmiedetenwir Zukunftspläne und träumten vonAbenteuern mit der Familie. Die Ruheund die Zufriedenheit, die Simon aus-strahlte, faszinierten uns. So durften wirfast drei Stunden ungetrübtes Famili-englück mit einem neugeborenen Babyauf Mamas Brust genießen.

Erst vier Stunden nach der Geburtkam der Kinderarzt, um uns die nichtfassbare Mitteilung zu machen: Simonmüsse in die Intensivstation der Inns-brucker Kinderklinik gebracht werden,da er „Anpassungsschwierigkeiten“ ha-be – „chromosal bedingt“. Auf unsereerschrockene Rückfrage, ob Simon eineTrisomie 21 (oder „Down-Syndrom“)

habe, konnte der Arzt, selber sichtlichbetroffen, nur schweigend nicken. „Dasdarf doch nicht wahr sein“, war nichtnur unsere erste Reaktion, sondernauch der Satz, den wir in der folgendenZeit wohl am häufigsten ausgesprochenhaben.

Nach zwei Tagen durfte Simon dieIntensivstation verlassen, um dann nocheinige Tage in einem Mutter-Kind-Zim-mer der Kinderklinik überwacht zu wer-den. Simon ist – Gott sei Dank – körper-lich gesund. Er hat sich von Anfang anproblemlos stillen lassen und entwickeltsich sehr gut. Wir hoffen, dass wir ihn –aufbauend auf dem Nährboden des ab-soluten Geliebtseins – durch gezielteFörderung in ein glückliches und erfüll-tes Leben in größtmöglicher Selbststän-digkeit begleiten können.

Es wahrhaben zu können und ins ei-gene Bewusstsein zu integrieren, selberein Kind mit Down-Syndrom zu haben,ist zu Beginn wohl die größte Heraus-forderung, sind es doch immer nur „dieanderen“, die so etwas trifft. Doch be-gleitet von lieben, mitfühlenden Men-schen, gestärkt durch unzählige Ge-spräche und getragen durch unserenGlauben konnten wir die erste Zeit desSchocks, der Enttäuschung und Trau-rigkeit gut überwinden.

Besonders viel Kraft jedoch konnteund kann uns Simon selber geben. Er istunser Kind, das wir von Anfang an festin unser Herz geschlossen haben. Unseretiefe Liebe zu diesem kleinen Mensch-lein, das mit seiner Zufriedenheit, seinerGeduld und seinem Herschmeicheln et-

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 53

Wir freuen uns über unseren lieben

Simon Emanuel, der am 8. Juli 2000

in unsere Familie gekommen ist

was Besonderes ausstrahlt, lässt dieFrage nach seiner „Leistungsfähigkeit“ganz in den Hintergrund rücken. Wirhaben große Freude an ihm und habenihn einfach gern, so wie er ist.

Wir sind überzeugt davon, dass Si-mon für unsere Familie eine große Be-reicherung sein wird und in unseremLeben ein Wachsen und Reifen zu be-wirken vermag, das ohne seine Behin-derung nicht so leicht möglich gewesenwäre. Durch sein bedingungsloses Lie-benkönnen, das für Menschen mit Down-Syndrom charakteristisch seinsoll, kann er vielleicht auch uns zu einergrößeren Liebesfähigkeit reifen lassenund uns die wahren Werte des mensch-lichen Liebens stets vor Augen führen.

Abschließend möchten wir gerne ei-ne Beschreibung von Kindern mit Down-Syndrom wiedergeben, wie sie von be-troffenen Eltern stammt, ohne An-spruch auf Vollständigkeit, sondern ein-fach aus dem Lebensalltag kommend:

„Wenn Ihr Kind noch klein ist, wer-den Sie bald merken, dass ein Kind mitDown-Syndrom fast alles tut, was einnicht behindertes Kind auch tut, nureben langsamer und zu einem späterenZeitpunkt. Von Liebe und Verständnisgetragen, können diese Kinder vieleDinge erlernen, die ihnen bisher nie-mand zugetraut hat. Sie werden gehen,laufen, lachen, lernen und Ihnen sagen,wann sie Hunger oder Durst haben. Vie-le können lesen und schreiben, sie lie-ben Schule und Musik und reisen mitBegeisterung. Sie können schwimmen,kegeln, am Ballettunterricht teilneh-men, Pfadfinder werden, segeln, reitenund Klavierspielen lernen, an Erstkom-munion und Firmung teilnehmen undviele andere Dinge, die wir für alle un-sere Kinder wünschen. Sie reagierenohne Problem auf sanfte Ermahnung.Sie haben einen ausgeprägten Sinn fürHumor und lernen viel durch ihre Um-gebung und durch Nachahmung. IhreSensibilität tröstet uns, wenn wir trau-rig sind. Sie sind kleine Racker, die allesMögliche anstellen, sie sind Kobolde mitschmutzigen Fingern, nur am Randesind sie Kinder mit einer Behinderung.Aber anders als unsere anderen Kinderkönnen sie bedingungslos und ohneFragen lieben, mit einer Überzeugungund Standhaftigkeit, die wir oft gar nichtverstehen.“

Waltraud und Christian Juranek

Uns geschenktzum Umsorgenzum Begleitenzum Beschützenzum Erziehenzum Genießenzum Hegenzum Pflegen

auf ZeitUnd geschenktzum Verstehenzum Wachsenzum Reifen.

Uns geschenkt zum Lieben

für immer

Antonia wurde am 26. August

1997 geboren.

Den Text für die Geburtsanzei-

ge hatte ihre Mutter damals

unter viel Tränen, aber doch

auch schon mit viel Freude ge-

schrieben. Die Worte, so

schreibt Frau Vest, „sind ein

Stück Lebensmotto geworden

und erfüllen uns mit Stolz auf

unsere Tochter“.

Mit Dir buchstabieren wir das Leben neu:

Du öffnest uns die Augen, die Verborgenes entdecken

Du weckst in uns die Neugier, die Unbekanntes entlockt

Du schenkst uns Träume, die hoffen lassen

Du lehrst uns Offenheit gegenüber anderen und dem Anderssein

Du lässt uns Nichtigkeiten von Wichtigkeiten trennen

Du sagst einfach: Ich bin ich!

Dafür danken wir Dir, Antonia

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54 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Leserbrief zum Artikel: Integration in der Schule – Vorteileund Schlüssel zum Erfolg

Leben mit Down-Syndrom 39/Jan. 2002

Schule ist nicht alles ...

Wir machen das Pro und Kontra Inte-gration an Befürwortern und Gegnern(bzw. Skeptikern) von Regelschulen fest.Ist das der richtige Ansatz? Ich denkenicht. „Integration in der Schule – Vor-teile und Schlüssel zum Erfolg“. DieseÜberschrift suggeriert, dass sich Elternvon Sonderschulkindern auf dem Ver-liererkurs bewegen. Weitere Äußerun-gen in diesem Artikel wie „Weshalb kei-ne Vorteile in den Sonderschulen?“ oder„Schlechtes Zeugnis für die Sonder-schule“ tun ihr Übriges in diese Rich-tung.

Davon abgesehen, dass die Situationin England geschildert wird und Ver-gleichsstudien in Deutschland fehlen,bleibt ein ungutes Gefühl zurück: VieleEltern von Kindern, die eine Sonder-schule besuchen, fühlen sich dem Vor-wurf ausgesetzt, nicht genügend Kampf-geist gezeigt zu haben, lieber den be-quemen Weg gegangen zu sein. Viel-leicht trifft das z.T. für Eltern zu. Wasaber ist mit den vielen Eltern, denennach langem Ringen keine andere Wahlblieb? Was aber ist mit den Eltern, diesich nach langer Überlegung und Ab-wägung guten Gewissens für die Son-derschule entschieden haben? Ja, auchdas gibt es.

Um den Begriff „Kampf“ noch ein-mal aufzugreifen. Wenn wir überhaupt

kämpfen, dann doch nicht an unter-schiedlichen „Fronten“. Wir kämpfendoch alle für unsere Kinder. Teilen wiruns doch nicht selber in Kategorien wieBefürworter und Gegner von Integrationein. Wir befürworten doch alle Integra-tion. Wir möchten, dass unsere Kinderin dieser Gesellschaft, nein in diesemLeben ihren Platz finden und vor allem,dass sie glücklich sind. Dass unsereTochter Antonia glücklich wird, das istüberhaupt das Kriterium, an dem meinMann und ich alles messen.

Wir verstehen Integration in einemumfassenden Sinn. Für uns gehört we-sentlich mehr dazu als die Tatsache,dass unsere Tochter vielleicht eine Re-gelschule besucht. Unter dem Begriff„Integration“ sollten wir all unsereBemühungen zusammenfassen, unse-ren Kindern in unserer Gesellschaft zueinem sinnerfüllten und glücklichen Le-ben zu verhelfen. Da sind alle Lebens-bereiche angesprochen ...

Im Fazit lesen wir dann, „... dass esdort zur Zeit noch schwierig ist für dieTeenager mit Down-Syndrom, adäqua-te Freunde zu finden, weil innerhalb ih-rer Schule keine oder noch zu wenigeSchüler sind, die auf einem ähnlichenEntwicklungsniveau stehen und mit de-nen sie Freundschaften entwickelnkönnten“. Ein Eingeständnis? Wirklichgute Freundschaften entstehen zwi-schen unseren Kindern mit Down-Syn-drom und nicht behinderten Kindernnicht. Und das ist kein gesellschaftlichesProblem, das einfach nur noch behobenwerden muss, das wir schon noch inden Griff bekommen. Das ist ein

Leserbrief von Katharina Kaiser aus Kössen, Tirol

menschliches Problem. Nein, es ist, glau-be ich, noch nicht einmal ein Problem.So ist es einfach ...

Ich kann meiner Tochter eine liebe-volle Mutter sein, ich kann ihr beim Le-sen- und Schreibenlernen helfen, ichkann sie entwickeln, fördern und for-dern. Aber ich kann ihr im Teenageral-ter nicht die gute Freundin sein. UnsereTochter Antonia, fast viereinhalb Jahrealt, hat eine besondere „Antenne“ fürdas, was sich in ihrer Umwelt abspielt,für soziale Beziehungen. Die Integrationim Kindergarten klappt prima. Ihre Er-zieherin ist sehr engagiert, liebevoll. Siewird von den anderen Kindern einbezo-gen (Zauberwort „inclusion“). Aber wirsind davon überzeugt, dass Antoniaspürt, dass sie „anders“ ist, und es istschmerzhaft für sie. „Können wir die Lizeinladen?“ „Die Désirée soll zu mir kom-men ...“ Sie will sich mit anderen Kin-dern verabreden, und das klappt haltnicht immer so, wie sie will.

Jetzt kann sie noch (wenige, abergute) Freundschaften knüpfen. Aber wiewird das im Teenageralter? Vielleichtsind wir da naturgemäß nicht so opti-mistisch, aber wir wollen uns keiner Il-lusion hingeben.

All das Gesagte soll kein Plädoyer fürdie Sonderschule sein. Überhaupt den-ken wir, dass eine gelungene Integrati-on nicht an eine bestimmte Schulformgeknüpft ist. Das zeigen hoffentlich dieLebensläufe unserer Kinder, vielleichtauch mal eine Studie ...

Christina und Walter Vest, Glashütten-Schloßborn

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 55

Bislang waren wir in unserem Vereinin Kiel (K.I.D.S., Kieler Initiative

Down-Syndrom) meist mit Erfahrungs-austausch und mit Öffentlichkeitsarbeitbeschäftigt. Eine zweckgebundene Spen-de der PSD in Schleswig-Holstein brach-te uns dann aber auf die Idee, auch malganz konkret für unsere Kinder etwaszu tun. Wir errichteten eine Lernspiel-sammlung! Eine Sammlung, die für alleMitglieder des Vereins zugänglich istund die nach Bedarf entliehen werdenkann.

Da uns für die Auswahl der Samm-lung nur wenig Zeit (ca. ein Monat) zurVerfügung stand, haben wir uns, ah-nend, dass eine solche Sammlung füralle, besonders für unsere Kinder, einesinnvolle Stütze sein kann, schnell andie Arbeit gemacht. Wir bildeten einen„kleinen Arbeitskreis“, der sich intensivauf die Suche nach einer großen Breitevon guten Lernspielmaterialien machte.Und wir stellten fest, dass es bei der Su-che nach geeignetem Lernspielzeug, dasder Entwicklung der Kinder zugutekommen soll und das dem Rahmen ei-ner Lernspielsammlung für einen Ver-ein gerecht wird, einiges zu bedenkengibt. Eine Wunschliste der anderen Mit-glieder wurde erstellt, Spielzeugerfah-rungen wurden ausgetauscht (bis dahinhatten wir seit mindestens einem Jahrschon geplant, einen Themenabend da-zu zu veranstalten ...). Kataloge wurdengewälzt, wir suchten Beratungen in Kin-dergärten, machten uns Gedanken, wasunsere Kinder in Zukunft gebrauchenkönnten, und wir suchten nach Stützen,die für die einzelnen Entwicklungsbe-reiche besonders relevant sind. Aberauch Rabattpreise bei Mengenbestel-lung oder die Lebensdauer der Spielma-terialien interessierten uns. Sicher, wirhätten bestimmt auch noch anderes be-denken können, z.B. Materialbeschaf-fenheit o.Ä. Doch wann gibt es das Ge-fühl nicht, es könnte noch mehr Zeit zurVerfügung stehen?

Nach gut einem Monat waren dieAuswahl und die Anschaffung unsererSammlung abgeschlossen, danach muss-ten dann noch verwaltungstechnische

Dinge wie Ausleihverfahren, Ordnung,Beschriftung und Unterbringung derSammlung geregelt werden.

Froh über diese Anschaffung erle-ben wir unsere Kinder nun; nach undnach lernen sie Neues kennen, probie-ren aus und erfahren. Jana, die eifrigmit ihrem Papa gegen den Boxsackkämpft. Das Zicke-Zacke-Spiel, das derganzen Familie Freude bereitet. Marvin,der auf seinem Kindergartenweg dasGleichgewicht am Laufrad erprobt oderder mit den Buchstabenstempeln einezusätzliche Möglichkeit des Schreibenserfährt. Lukas, der sich im Bällebadtummelt und der die Gebärden durchdie GuK-Karten lernt. Thomas, der Pa-pa von Peer, möchte mit Hilfe der Mon-tessori-Mappe Lernmaterialien selberherstellen. Linus, der gespannt denGeräuschen der Ocean-Drum lauscht.Das Schwungtuch, das auf den Kinder-geburtstagen herausgeholt werden kannund das auch unsere gemeinsamenFreizeiten begleiten wird.

Bis zur Idee dieser Sammlung hattenwir als Eltern vielfach die Erfahrung ge-macht, dass wir viel Geld in die Spiel-zeuge unserer Kinder investierten. Im-mer wieder stellten wir fest, dass gera-de gutes Lernspielzeug recht teuer istund dass der Preis des guten Spielzeu-ges meist nicht im richtigen Verhältniszur zeitlichen Nutzungsdauer steht.

Die Lernspielsammlung als finanzielleStütze ist mit Sicherheit kein unwichti-ger Aspekt. Aber es ist auch keinesfallsder einzige Aspekt. Denn wir sehendurch sie noch vielmehr die Chance desbewussten Einsatzes von Spielmateria-lien.

Wir erfahren, dass es etwas anderesist, wenn Spielmaterial nur für kurzeZeit zur Verfügung steht. Es wird wirk-lich intensiver genutzt als das Spielma-terial, das im Kinderzimmer schon seitEwigkeiten „gehortet“ wird. Außerdemhaben wir als Eltern durch die vorhan-dene große Breite an Spielmaterialiendie Möglichkeit, genau das zu finden,was unsere Kinder gerade brauchen.Bietet das Spielzeug eine gute Stütze,findet mein Kind überhaupt einen Zu-gang dazu oder ist der Zeitpunkt dafürder richtige? Wir können ausprobieren.Die Suche nach dem richtigen Spielzeugfür unsere Kinder wird belebt. Bewusstwird, dass es keinen Sinn macht, wenndas Spielzeug einfach nur da ist. Das ge-meinsame Miteinander im Spiel ist das,was für unsere Kinder so wichtig ist.

Unsere Lernspielsammlung ist eineAusleihmöglichkeit zum Wachwerdenfür das gemeinsame Spiel, für das ge-meinsame Lernen und für den gemein-samen Spaß.

Ein detaillierter Einblick in unsereSammlung kann im Internet www.kids-kiel.de (Seite ist noch im Aufbau) ge-wonnen werden. Dort sind die Lern-spiele nach den einzelnen Förderberei-chen geordnet und mit den entspre-chenden Förderaspekten beschrieben.

Inga Böge, Kiel

Die Idee einer Lernspielsammlung

Lernspielzeug kennen lernen, ausprobieren und erfahren können

Marvin Böge aus Kiel.

Lernspiele hin oder her –

spielen mit Sand ist min-

destens genauso schön!

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büttel gesehen. Wir hatten einen ca. 200Quadratmeter großen Saal im Sozial-zentrum angemietet, das in zentralerLage zwischen zwei Fußgängerzonenliegt. Durch die Größe des Saales hattenwir den Vorteil, die Ausstellung sehrgroßzügig aufbauen zu können und zu-dem noch weitere Informationsangebo-te zu machen. So gab es einen sehr gutbestückten Büchertisch, einen PC (mitaus dem Internet heruntergeladenen In-fos), einen Videorecorder und eine klei-ne Spielecke.

Im Foyer der Kommisse hatten wirdie Möglichkeit, unsere eigene Arbeitvor Ort darzustellen. Da es auch einebeliebte Abkürzung zwischen denFußgängerzonen ist, bescherte uns die-se günstige Lage so manchen „Zufalls-besucher“. Diese Zahl war sicher gerin-ger als in anderen öffentlichen Gebäu-den, aber da wir keine akzeptable Al-ternative hatten, war es ein guterKompromiss. Auch zeigten sich schnelldie Vorteile des eigens für die Ausstel-lung angemieteten Raumes. So wurdevon vielen Besuchern die sehr angeneh-me und entspannte Atmosphäre gelobt,die sich auch in der durchschnittlichenVerweildauer des einzelnen Besuchersvon etwa einer Stunde niederschlug. Eskonnten problemlos zwei Schulklassengleichzeitig die Ausstellung besuchenund es fand sich immer eine ruhige Eckefür intensivere Gespräche, von denenetliche stattfanden.

Am Rande der Ausstellung kam esimmer wieder zu interessanten Begeg-nungen, so wurden z.B. einem fast er-blindeten Besucher sämtliche Texttafelnvorgelesen.

Vom 9. bis 27. Februar war die Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“ in Wolfenbüttel zu sehen

„Die Ausstellung war sehr informativ.Die Fotos waren gut ausgesucht und derAufbau sehr schön gestaltet.“ DieserAuszug aus dem Gästebuch zur Ausstel-lung entspricht genau unserem Ein-druck: eine rundum gelungene und vonangenehmer Atmosphäre geprägte Ver-anstaltung.

Stimmungsvolle Eröffnungsfeier

Bereits die Eröffnungsveranstaltungwar mit ca. 120 Gästen ein großer Er-folg. Alle für unsere Arbeit wichtigenPersönlichkeiten aus Stadt und Land-kreis, sowie Vertreter der Lebenshilfe,waren unserer Einladung gefolgt und si-cherten uns ihre Unterstützung zu.Schirmherr der Ausstellung war der„Round-Table 112“, der sich diesmal inBezug auf die Ausstellung für die Logis-tik zuständig erklärt hatte. Herr Krügerzog eine sehr positive Bilanz derlangjährigen Zusammenarbeit mit un-serer Arbeitsgemeinschaft, die inzwi-schen auf familiär-freundschaftlicherBasis verläuft.

Reinhard Fricke, der Landesvorsit-zende des Fachverbandes für Behinder-tenpädagogik Niedersachsen, eröffnetedie Ausstellung mit einer beeindrucken-den Rede. Er zeigte sich sehr erfreutüber die große Resonanz beim Publi-kum, betonte die Aussagekraft der Bil-der und umriss die Ausstellung mit den

Worten: „Die Ausstellung spiegelt Selbst-bewusstsein wider. Grundlegend ist diedeutliche Lebensbejahung. Die Ausstel-lung ergreift Partei und ist zukunftwei-send.“

Das Rahmenprogramm gestaltetenüberwiegend Kinder und Jugendlicheaus unserer Arbeitsgemeinschaft. Esgab zwei musikalische Einlagen (Veeh-Harfe, Keyboard) und ein kleines Panto-mimenspiel, das während eines inte-grativen Wochenendseminars ent-wickelt worden war.

Viele Besucher, gute Gespräche

In den folgenden zweieinhalb Wochenhaben insgesamt über 500 Besucher dieAusstellung in der Kommisse in Wolfen-

Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“in Wolfenbüttel

„Die Ausstellung hat unsere Einstellung gegenüber Menschen mit Down-Syndrom zum Positiven verändert!Wirklich sehr gut!“ „Sehenswert! Sehr informativ, hilft,Wissenslücken zu schließen und den Betroffenen vorur-teilsfrei zu begegnen.“Zwei Auszüge aus dem Gästebuch, das während derAusstellung in Wolfenbüttel auslag. Die Arbeitsgemein-schaft Down-Syndrom e.V. zeigte die Informationsaus-stellung des Deutschen Down-Syndrom InfoCenters inder Kommisse in Wolfenbüttel und war vom Erfolg be-geistert.

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 57

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Interessierte Schüler

Besonders gern hatten wir Schulklassenzu Gast, wobei wir oft von dem detail-lierten Wissen, dem Interesse und derOffenheit der Jugendlichen angenehmüberrascht waren. Im Nachgesprächmit Lehrern und Jugendlichen wurdedeutlich, dass besonders die persönli-chen Erfahrungsberichte für sie beein-druckend waren. Dabei hatte es sich alsvorteilhaft erwiesen, dass wir überwie-gend zu zweit „Dienst“ hatten und somitstets zwei Ansprechpartner zur Verfü-gung standen, die von unterschiedlichenErfahrungen berichten konnten. Diesverdeutlichte den Schülern nochmals inbesonders hohem Maß die Individualitätvon Kindern mit Down-Syndrom. In denvielen Nachfragen zu den persönlichenEntwicklungsverläufen kam dies deut-lich zum Ausdruck.

Positive Wirkung

Wie positiv die Ausstellung auf Besucherwirkt, möchte ich noch am Beispiel ei-ner guten Bekannten erläutern, diegroße Bedenken hatte, die Ausstellung

Informationen zur Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“

Die Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“ besteht aus 17 Texttafelnund 110 Fotos. Sie ist gegliedert in:

Ein genetischer/medizinischer Teil.Hier geht es um Zellen und Chromoso-men und um medizinische und ge-schichtliche Aspekte.

Der zweite Teil heißt: „Mehr Lebens-qualität durch medizinische Vorsorge,Förderung und Integration.“ Hier wirdüber die gesundheitlichen Beeinträch-tigungen, die bei Kindern mit Down-Syndrom vorliegen können, berichtet,aber auch über die heutigen Möglich-keiten der Medizin, den Kindern zuhelfen. Weiter wird gezeigt, wie mandurch Förderung und Therapie ihreEntwicklung positiv beeinflussen kannund welch wichtige Rolle die Integrati-on für die Lebensqualität der Men-schen mit Down-Syndrom spielt.

In dem dritten Teil „Down-Syndromhat viele Gesichter“ machen Fotos undTexte klar, wie unterschiedlich Men-schen mit Down-Syndrom sind. Bilder

und Poster aus dem In- und Auslandvermitteln ihre Lebensfreude, ihreKompetenz und ihr Selbstbewusstsein.

Am Schluss wird die Öffentlichkeitsar-beit des Deutschen Down-Syndrom In-foCenters mit u.a. einigen Beispielenschöner Plakate vorgestellt.

Ausleihmodalitäten

Die Ausstellung muss mindestens zweiWochen ausgeliehen werden. Die Leih-gebühr beträgt 500 Euro für zwei Wo-chen, jede zusätzliche Woche kostet125 Euro. In den Mietkosten sind 50Ausstellungsplakate und 500 Informa-tionsflyer erhalten, die mit einem indi-viduellen Eindruck (Veranstalter, Ort,Datum etc.) versehen werden. Die Aus-stellung ist in 10 Holzkisten verpackt.Der Mieter muss die Ausstellung selbstabholen oder den Transport über eineSpedition organisieren.

Weitere Informationen beim Deut-schen Down-Syndrom InfoCenter.Zu sehen ist die Ausstellung ab 1. Juni2002 in der Landesgartenschau in Ost-fildern, im Pavillon der HochschuleReutlingen.

überhaupt zu besuchen, da sie trotz ei-genen Engagements eine starke Ten-denz zu Mitleid mit den Kindern undFamilien zeigt. Beim Verlassen der Aus-stellung verspürte sie entgegen ihrenBefürchtungen großen Optimismus. IhrGlaube und das Vertrauen in die Ent-wicklung von Zukunftsperspektiven undeiner Integration in unsere Gesellschafthabe sich anhand der positiven Darstel-lung verstärkt.

Die Arbeit hat sich gelohnt

Wir können die Ausstellung also nurweiterempfehlen. Obwohl die Vorberei-tungs- und Ausstellungszeit sehr ar-beitsintensiv ist, hat sie neben dem po-sitiven Effekt der Öffentlichkeitsarbeitauch uns als Organisatoren vor Ort vielSpaß gemacht und wir haben im Um-gang mit den Besuchern viel dazuge-lernt. Und allen, die den Zeit raubendenAufbau fürchten, sei zum Trost gesagt,dass der Abbau (dank der tollen Ver-packungskisten) in allerkürzester Zeitzu schaffen ist. An dieser Stelle möchteich mich bei allen Helfern, Sponsoren

und dem Down-Syndrom InfoCenter fürdie gute Zusammenarbeit und die Un-terstützung bedanken.

Auszüge aus dem Gästebuch

„Eine Ausstellung, die Mut macht! Mut macht, ein Leben mit Kindern, die dasDown-Syndrom haben, zu wagen.“

„Es hat unsere Einstellung gegen-über Menschen mit Down-Syndromzum Positiven verändert!!! Wirklichsehr gut!“

„Jeder sollte wissen, dass es norma-le Menschen sind, die man nicht ausla-chen darf!“

„Die Ausstellung ist sehr interessantund ich würde mir wünschen, dass dieMenschen offener mit solchen Dingenumgehen. Denn es kann jeden von unstreffen! Danke für die Aufklärung!“

„Sehenswert! Sehr informativ, hilft,Wissenslücken zu schließen und den Be-troffenen vorurteilsfrei zu begegnen.“

Margit BernhofenArbeitsgemeinschaft Down-Syndrom e.V. Wolfenbüttel

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58 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

V E R A N S T A L T U N G E N

Down-Syndrom-Fachtagung inPotsdamVom 4. bis 6. Oktober findet in der Uni-versität Potsdam die Down-Syndrom-Fachtagung statt. Nach München, Dres-den, Hannover und Bochum ist dies nundas fünfte Mal, dass in Deutschland die-se große Tagung durchgeführt wird. Eswerden ca. 800 Teilnehmer aus demganzen Bundesgebiet erwartet.

Organisiert wird die Tagung vomDown-Syndrom-Netzwerk Deutschlande.V. in Zusammenarbeit mit Frau Prof.Hellgard Rauh, die am Institut für Psy-chologie der Universität Potsdam tätigist.

Viele Fachvorträge und Workshopsstehen auf dem Programm. Zu den Re-ferenten gehören u.a. Jutta Schöler,Andreas Hinz, Ines Boban, FriederikeKörner, Etta Wilken, Wolfgang Storm,Sabine Stengel-Rutkowski und viele an-dere. Einige Themen der Vorträge, Se-minare und Workshops sind:

Menschen mit Down-Syndrom stellensich vor

Geschwister behinderter KinderPersönliche ZukunftsplanungIdentitätsfindung/Selbstbestimmtes

Leben Partnerschaft und Sexualität Wohnen und Arbeiten PsychotherapieSprachförderung, LesenlernenFrühförderung/Kleine SchritteEltern-Kind-Beziehung

Das St. Briavels Centre stellt sich vor

Datum: 29. Juni 2002 Zeit: 10.00 bis 16.00 Uhr Ort: Kantine Dyckerhoff AG WerkLengerich, Lienener Straße 89Anmeldung: bis 6. Juni 2002 Familie Kasch, Tel.: 0 54 81/84 66 09Teilnahmegebühr: Euro 5,–

Sozialhilfe-, Erb- und Steuerrechtfür Behinderte

Datum: 18. Juni 2002, 19.00 UhrOrt: Hilfe für Behinderte in BayernOrleansplatz 3 (am Ostbahnhof)MünchenReferenten: Dr. Thomas Fritz (RA),Jürgen Greß (RA), Peter von Miller(Steuerberater)Unkostenbeitrag: Euro 5,–

Familie in der Schweiz sucht Hilfe fürSohn mit Down-SyndromWir suchen für einen zu vereinbarendenZeitraum zur Schulung und Beaufsichti-gung unseres vierjährigen charmanten,aufgeweckten Sohnes mit Down-Syn-drom eine engagierte Dame oder einenengagierten Herrn, bevorzugt eine Prak-tikantin oder einen Praktikanten ausdem Bereich der Heilpädagogik bzw.Krankengymnastik oder Logopädie. Zuden Aufgaben gehört außerdem die Be-gleitung auf Reisen nach Süddeutsch-land und ins Ausland.

Wir wohnen in der französischenSchweiz, unsere Gegend bietet u.a. guteWinter- und Wassersportmöglichkeitenund Sprachkurse in Französisch.

Nehmen Sie bei Interesse bitte Kontaktauf mit:Frau Johanna Moser-KühnBourguillards 14CH-2072 St. BlaiseTel.: 00 41 / 32 / 7 53 43 65

Herzoperation?

Wer hat Erfahrungen mit der OP von ei-ner Sub-Aortenstenose? Wo wurde ope-riert und wie ging es dem Kind hinter-her?Kontakt: Frau Claudia HeizmannLiebensteinstraße 779312 EmmendingenTel.: 0 76 41 / 95 81 85

Integration Kindergarten/SchuleMedizinische Aspekte/Homöopathie TNI und NahrungsergänzungErgotherapie/Logopädie/Musiktherapie

/Pörnbacher-Therapie/Lekotek-Methode

Informationen und Anmeldung:

Down-Syndrom-Netzwerk Deutschland Fachtagung PotsdamPostfach 1702, 38007 BraunschweigE-Mail:[email protected]: www.Tagung.Down-Syndrom-Netzwerk.de

3. Mädchenkonferenzfür Mädchen und junge Frauen mitBehinderung

Datum: 25. bis 27. Oktober 2002Ort: Mössingen (Nähe Tübingen)

Mädchen und junge Frauen haben vieleWünsche für die Zukunft. Die Teilneh-merinnen der letzten Mädchenkonfe-renz wünschten sich, dass auch in Zu-kunft bundesweit Mädchenkonferenzenstattfinden. Mädchenkonferenz, das heißt:

ein Wochenende lang an erster Stellestehen

jede Menge Spaß und Aktionenneue Sachen ausprobierenheiße Diskussionen führen

Mädchen und junge Frauen kennenlernen / neue Freundschaften schließen

ein Wochenende ohne Eltern verbrin-gen. Es wartet ein abwechslungsreiches Pro-gramm mit vielen Workshops, Markt derMöglichkeiten, Partyabend und Disco.

Informationen und Anmeldung:Bundesverband für Körper- und Mehr-fachbehinderte e.V., DüsseldorfFrau Heide Adam-Blaneck, Tel.: 02 11/6 40 04-16Landesverband Körper- und Mehrfach-behinderte, Baden-Württemberg e.V.Frau Anette Reinheimer Tel.: 07 11/21 55-2 20

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Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002 59

Folgende Informationsmaterialien sind beim DeutschenDown-Syndrom InfoCenter erhältlich:

Euro

Broschüre „Down-Syndrom. Was bedeutet das?“ 7

Neue Perspektiven für Menschen mit Down-Syndrom 20

Videofilm „So wie Du bist“, 35 Min. 20

Albin Jonathan – unser Bruder mit Down-Syndrom 17

Medizinische Aspekte bei Down-Syndrom 3

Das Baby mit Down-Syndrom 3

Das Kind mit Down-Syndrom im Regelkindergarten 3

Das Kind mit Down-Syndrom in der Regelschule 5

Herzfehler bei Kindern mit Down-Syndrom 3

Das Stillen eines Babys mit Down-Syndrom 3,50

Sonderheft „Diagnose Down-Syndrom, was nun?“ 12

Erstinformationsmappe 25

GuK – Gebärdenkartensammlung (incl. Porto) 43

Kleine Schritte Frühförderprogramm (incl. Porto) 59

Poster „Down-Syndrom hat viele Gesichter“ A3 2

10 Postkarten „Glück gehabt“ 5

10 Postkarten „Tumur und Stephan“ 5

Posterserie „Down-Syndrom – Na und?“ Format A1 12

Format A2 7

Format A3 5

Down-Syndrom, Fragen und Antworten pro 10 Stück 0,50

Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom, ältere Ausgaben 5

+ Porto nach Gewicht und Bestimmungsland

Bestellungen schriftlich an:Deutsches Down-Syndrom InfoCenterHammerhöhe 391207 Lauf / PegnitzTel. 09123 / 98 21 21Fax 0 91 23 / 98 21 22

Sie können noch eine Reihe weiterer Informationsmaterialien und Fach-bücher beim Deutschen Down-Syndrom InfoCenter bestellen. Bitte fordernSie unsere Bestellliste an.

Wer Artikel zu wichtigen und interessanten Themen beitragen kann, wird von der

Redaktion dazu ermutigt, diese einzuschicken.

Garantie zur Veröffentlichung kann nicht gegeben werden. Einsendeschluss für die

nächsten Ausgaben von Leben mit Down-Syndrom: 20. Juni 02, 30. Oktober 02.

Impressum

Herausgeber:Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde e.V.Erlangen

Redaktion:Deutsches Down-Syndrom InfoCenterHammerhöhe 391207 Lauf / PegnitzTel.: 0 91 23 / 98 21 21Fax: 0 91 23 / 98 21 22E-Mail: [email protected]

Wissenschaftlicher Redaktionsrat:Ines Boban, Dr. Wolfgang Storm, Prof. Etta Wilken

Repros und Druck:Fahner Druck GmbHNürnberger Straße 1991207 Lauf an der Pegnitz

Erscheinungsweise:Dreimal jährlich, zum 30. Januar, 30. Mai und 30. SeptemberDie Zeitschrift ist gegen eine Spende beider Selbsthilfegruppe erhältlich.

Bestelladresse:Deutsches Down-Syndrom InfoCenterTel.: 0 91 23 / 98 21 21 Fax: 0 91 23 / 98 21 22

Die Beiträge sind urheberrechtlich ge-schützt. Alle Rechte vorbehalten. Nach-druck oder Übernahme von Texten für Internetseiten nur nach Einholung schrift-licher Genehmigung der Redaktion. Mei-nungen, die in Artikeln und Zuschriftengeäußert werden, stimmen nicht immermit der Meinung der Redaktion überein.

Die Redaktion behält sich vor, Leser-briefe gekürzt zu veröffentlichen undManuskripte redaktionell zu bearbeiten.

ISSN 1430 - 0427

Vorschau Für die nächste Ausgabe (September 2002) von Leben mit Down-Syndrom sind geplant:

… 2. Internationale Down-Syndrom-Konferenz, San Marino

… Menschen mit Down-Syndrom – Künstler und Lebenskünstler

… Wahrnehmungsstörungen

… Lernaspekte – Vom Umgang mit Schülern mit Down-Syndrom

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A K T U E L L E S

60 Leben mit Down-Syndrom Nr. 40, Mai 2002

Ja, ich möchte Ihre Arbeit mit einer Spende von .......... Euro unterstützen:

Name (Blockschrift) ……………………………………………………………………………………………….....................…………Unser Kind mit DS ist am ...............………...........…….. geboren und heißt ……………………………..…….........……….Straße ………………………………………………………………………………………………………………............................... PLZ/Ort/(Staat) ………………………………………………………………… Tel./Fax ……………………............….................

‘ Bei einer Spende ab EURO 25,– erhalten Sie regelmäßig unsere Zeitschrift

InlandIch bin damit einverstanden, dass meine Spende jährlich von meinem Konto abgebucht wird.

(Diese Abbuchungsermächtigung können Sie jederzeit schriftlich widerrufen.)

Konto Nr. ……………………………………………….. BLZ ……………………………………..............………...........Bankverbindung ………………………………………………Konto-Inhaber ………………………………............................

Meine Spende überweise ich jährlich selbst: Konto der Selbsthilfegruppe Nr. 50-006 425, BLZ 763 500 00

bei der Sparkasse Erlangen. Unter Verwendungszweck „Spende” Ihren Namen und Ihre Anschrift eintragen.

Ausland (Spende ab Euro 30,–)Einzahlung der Spende bitte mit Euroscheck (EC-Karten-Nr. auf Scheckrückseite unbedingt vermerken),

Postanweisung oder Überweisung auf das Konto der Selbsthilfegruppe Nr. 50-006 425, BLZ 763 500 00

bei der Sparkasse Erlangen. Unter Verwendungszweck „Spende” Ihren Namen und Ihre Anschrift eintragen

Datum ……………………………… Unterschrift ……………………………………………………..................................…....

Ihre Spende ist selbstverständlich abzugsfähig. Die Selbsthilfegruppe ist als steuerbefreite Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschafts-

steuergesetzes beim FA Erlangen anerkannt. Bei Spenden über DM 100,– erhalten Sie automatisch eine Spendenbescheinigung.

Bitte ausgefülltes Formular auch bei Überweisung/Scheck unbedingt zurückschicken an: Deutsches Down-Syndrom InfoCenter, Hammerhöhe 3, 91207 Lauf (Tel. 09123/98 21 21, Fax 09123/98 21 22)

Dreimal jährlich erscheint die Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom,in der auf ca. 50 Seiten Informationen über das Down-Syndromweitergegeben werden.

Die Themen umfassen Förderungsmöglichkeiten, Sprachentwick-lung, medizinische Probleme, Integration, Ethik u.a. Wir geben die neuesten Erkenntnisse aus der Down-Syndrom-Forschung aus dem In- und Ausland wieder. Außerdem werden neue Büchervorgestellt, gute Spielsachen oder Kinderbücher besprochen sowie über Kongresse und Tagungen informiert. Vervollständigt wirddiese informative Zeitschrift durch Erfahrungsberichte von Eltern.

Ihre Spende ist selbstverständlich abzugsfähig. Die Selbsthilfe-gruppe ist als steuerbefreite Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes beim FA Erlangen anerkannt.

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Das Plakatmotiv derHEXAL-Kampagne 2002„Für eine bessere Zukunft”

www.ds-infocenter.ded e u t s c h e s

i n f o c e n t e rdown-syndrom

Eine Aktion der HEXAL-Initiative „Für eine bessere Zukunft”

Down-Syndrom wir gehören dazu

D i e I n i t i a t i v e w i r d u n t e r s t ü t z t v o n :

Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V., Köln – Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistigerBehinderung e.V., Marburg – Deutsches Down-Syndrom InfoCenter, Lauf a.d.Pegnitz – HEXAL AG, HolzkirchenKindernetzwerk e.V., Aschaffenburg – Schmidt-Römhild Verlag, Lübeck