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Polen 70 abenteuer und reisen 6 I 2016

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Polen

70 abenteuer und reisen 6 I 2016

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abenteuer und reisen 6 I 2015

Ich kenne kein zweites Land, dessen Bewohner so we-nig über ihre Hauptstadt wissen, aber so munter übersie lästern. Begonnen hat die große Antipathie nachdem Krieg, als Polen von moskauhörigen Kommunis-ten übernommen wurde: Alle Ressourcen des Landesgingen damals in den Wiederaufbau der zerstörtenStadt, während das restliche Land darbte.

Auch die Wende 1989 änderte wenig an diesemImage. Polen wurde von einem brutalen Turbokapi-talismus überrollt – mit grenzenloser Bauwut, Mega-Staus und einer Reklameflut. Erst die unübersehba-ren Verschönerungen im Zuge der Fußball-EM 2012ließen das Negativimage Warschaus in Polen bröckeln.

EUROPAS SCHÖNSTER WOLKENKRATZER

Der Kulturpalast ist das bekannteste Gebäude Polensund für mich persönlich Europas schönster Wolken-

kratzer. Bei seiner Einweihung 1955 war er das nachdem Eiffelturm zweithöchste Gebäude auf dem Kon-tinent. Seine Schönheit kommt am besten nachts zurGeltung, wenn der Koloss in surrealen Farben ange-strahlt wird. Eine Sightseeingtour beginnt obligato-risch auf seiner Aussichtsplattform.

Angeblich durften sich Stalins neue Vasallen ge-gen Ende der 1940er zwischen zwei möglichen Mos-kauer Geschenkideen entscheiden: Wolkenkratzeroder U-Bahn. Einen sozialistischen Wolkenkratzerim Zuckerbäckerstil? Für diese architektonische Ku-riosität gab es historisch nur ein kleines Zeitfensterund die Parteispitze um Staatschef Boleslaw Bierutgriff zu. Heute ist der Kulturpalast vom (früher ver-hassten) Stalinmonument zur geliebten Pop-Ikonegeworden und gibt der Skyline Warschaus ihren spe-zifischen Charakter.

DIE ÖSTLICHE WEICHSEL-SEITE: PRAGA

Bis ins 20. Jahrhundert hinein war Praga eine eigeneStadt. Das Viertel verdankt seinen Aufstieg zum alter-nativen Zentrum des Nachtlebens der Tatsache, dass

1 Spielerisch:Kopernikus-Zentrum

2 Surreal: Kul tur-palast bei Nacht

3 Kultig: DieKonditorei Wladys-law Zagozdzinski 4 Lecker: Paczki

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Polen

abenteuer und reisen 09 I 2014abenteuer und reisen 6 I 2016

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der Stadtteil im Krieg nicht zerstört wurde. In derNachkriegszeit wurde nur am Westufer der Weichselwiederaufgebaut, Praga am Ostufer hatte das Nach-sehen. Die Häuser verfielen. Bis heute verzeichnetdas Quartier die billigsten Mieten der Stadt.

Wer es bis zum Weichsel-Strand Poniatówka ge-schafft hat, ist im angesagten Partybezirk. Dort pul-siert die Szene, es gibt coole Klubs, gerne im Retro-Style, wie etwa den Klub „W Oparach absurdu“ (wasso viel bedeutet wie „In den Dünsten der Absurdi-tät“). Nett: In der kleinen Bar stellt man sein Bier aufalten Nähmaschinentischen ab.

GLITZERNDE PARTYS, KULTIGE KONZERTE

Königin aller Praga-Clubs ist die „Fabryka Trzciny“(Schilffabrik), ein ehemaliger Fabrikkomplex aus meh-reren Backsteingebäuden. Abends mutieren die altenMauern zu einem stylishen Objekt mit rotem Teppich,Türstehern und Scheinwerfern. Hier feiern die Hoch-glanzmagazine „Elle“, „Gala“ oder „Twój Styl“ glit-zernde Jahrespartys, hier fanden schon viele kultigeKonzerte statt, mit Cesária Evora oder Macy Gray.

Mittelpunkt des alten Praga ist die Straße Ul. Stalowaund ihre malerischen Nebenstraßen. Hier kann mannoch nackte Brandmauern und windschiefe, graueMietskasernen fotografieren. Nichts ist renoviert, al-les sieht so aus, als würde gleich jemand von der Wehr-macht um die Ecke biegen – und oft genug passiert dasauch. Immer wieder dienen die alten Häuser als Ku-lisse für Filme wie „Der Pianist“ von Roman Polanski.

Neben coolen Kneipen und heruntergekommenenFilmkulissen haben sich auch schöne Gründerzeit-häuser erhalten, mit dunklen Innenhöfen und bemal-ten Marienaltären. Manche der Marienfiguren tragenbeleuchtete Kronen oder sind mit elektrischen Weih-nachtskerzen umwunden. In einigen Innenhöfen ha-ben sich Antiquariate und Second-Hand-Läden ange-siedelt. Pragas Romantik ist oft derart authentisch,dass sie bruchlos in Bierlachen-Realismus übergeht.

ELCHE AUF WANDERSCHAFT

Das Ostufer der Weichsel ist unbebaut und hat kei-nerlei Promenade. Der Wasserlauf fließt immer nochso wie vor 1.000 Jahren, unreguliert und von Bäumen

73abenteuer und reisen 6 I 2016

WARSCHAU IMKURZ-CHECK

Unerwartet: Keineandere Hauptstadt inOsteuropa entwickeltsich kulinarischinteressanter.Unabhängig: Mit demLeihrad lässt sichWar schau am ein -fachsten erkunden. Unübersehbar: DieStadt an der Weichselist ein lebendigesGeschichtsbuch.

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75abenteuer und reisen 6 I 2016

und Gebüsch gesäumt. Auf ihrer herbstlichen Wande-rung von Nord- nach Südpolen orientieren sich die El-che gerne am Lauf der Weichsel, und schon so mancherspäte Jogger wurde plötzlich von einem Elch überholt.

FRÜHSTÜCKS-BIOMARKT

Auf der westlichen Seite der Weichsel ist der nördli-che Stadtteil Zoliborz für mich am schönsten. DasViertel wurde relativ wenig zerstört. Mit seinen efeu-bewachsenen Bauhausvillen am Plac Inwalidow undmit der malerischen Ruine der einst berüchtigten rus-sischen „Zitadelle“ hat Zoliborz viel vom Flair der Vor-kriegszeit bewahrt. Nicht umsonst wohnt der 90-jäh-rige Filmregisseur Andrzej Wajda hier.

2012 kam ein Familienvater aus Zoliborz auf denEinfall, hier einen Frühstücks-Biomarkt unter freiemHimmel zu installieren. Die Idee setzte sich durch, undden ganzen Sommer über gibt es jetzt jeden Samstag-vormittag an der Aleja Wojska Polskiego diesen Markt.Auf einer großen Wiese sind Dutzende von Ständenmit gesundem Essen aufgebaut, alle von kleinen Be-trieben mit biologischer Ausrichtung. Und mittags fin-det ein kleines Jazz-Konzert statt.

GRUNDMAUERN DES GETTOS

Im Vergleich zu Paris, Barcelona oder London gibt esverschwindend wenige Touristen in Warschau. EinzigMenschen, die ihre jüdischen Wurzeln erforschen,trifft man häufig an. Wer aus Interesse für das Gettonach Warschau kommt, muss sich darauf einstellen,dass kaum etwas übrig geblieben ist. Auch von der lan-gen Gettomauer ist bis auf einen zehn Meter langenAbschnitt in einem Hinterhof der Ul. Zlota 62 nichtsmehr zu sehen. Seit einigen Jahren kann man denMauerverlauf durch eingelassene Steine auf den Bür-gersteigen verfolgen, ähnlich wie den einstigen Ver-lauf der Berliner Mauer am Brandenburger Tor. Übrigblieb nur der jüdische Friedhof an der Ul. Okopowa,der ebenfalls zum Getto gehörte. An seinen riesigenDimensionen kann man sich das Ausmaß jüdischenLebens (und Sterbens) in Warschau klarmachen.

Dieser Friedhof mit seinen 33 Hektar und 200.000Grabstätten ist nach dem Neuen Friedhof in Lódz derzweitgrößte jüdische Friedhof Polens und einer dergrößten weltweit. Das gesamte Gelände ist von hohenBäumen überwachsen. Die meisten Grabstätten stam-men aus dem 19. Jahrhundert, sie tragen polnische,hebräische und jiddische Inschriften, dann und wannauch deutschsprachige.

Das Museum der Geschichte der polnischen Juden(Muzeum Historii Zydów Polskich) sollte man unbe-dingt besuchen. Das Wort „Polin“, die Kurzbezeich-nung für dieses Museum, steht in lateinischer undhebräischer Schrift auf der Außenfassade. Schon bei

der Ankunft schlägt einem historischer Odem entge-gen. Vor dem Eingang steht das Ehrenmal für die Hel-den des Warschauer Gettos. Hier fiel Willy Brandt1970 auf die Knie, anstatt nach dem üblichen Schlei-fezurechtzupfen nur stehend zu verharren. WalterScheel sagte später darüber: „Es war eine vollkommenungeplante und spontane Geste.“ Willy Brandt leitetemit seinem Demutssignal die Versöhnung mit demNachbarstaat ein. Es gibt auf dem Gelände seit demJahr 2000 sogar ein Denkmal für diesen historischenKniefall, der so unendlich viel zur Entspannung zwi-schen Deutschland und Polen beigetragen hat.

EIN SPALT IM MUSEUM

Das Museum der Geschichte der polnischen Juden istim Oktober 2014 eröffnet worden und aufregend mo-dern, vom avantgardistischen Gebäude über die be-merkenswerten Aufbauten im Inneren (zum Beispielein „Schtetl“) zu den interaktiven Ausstellungshigh-lights. Hier kann man eintauchen in 1.000 Jahre Ge-schichte, wie sie ansprechender nicht dargestellt seinkönnte. Kleine meditative Inseln mit Sitzgelegenhei-ten laden Besucher zum Verweilen, zum Innehaltenund „Verdauen“ manch schwerer Kost ein.

Schon die Architektur des Museums ist atembe-raubend. Das gläserne Gebäude ist durch einen Spaltgeteilt. Er steht für den Weg der Juden durch dasMeer. Die Außenwelt und das Museumsinnere sindüber den Spalt fast geheimnisvoll miteinander ver-bunden. Im Inneren zieht sich diese bauliche Meis-terleistung fort: Die angrenzenden Galerien undRäumlichkeiten haben gewölbte Wände, zwischendenen man leicht die Orientierung verliert. Sanft lei-ten sie immer wieder in die nächste historische Epo-che, die das Museum präsentiert.

1 Die wiederaufge-baute Altstadt ist seit

1980 Welterbe2 Der Partystadtteil

Praga kann auchrelaxt – am Weichsel-

Strand Poniatówka3 „Zlota 44“ und das„InterConti“ gebenWarschaus Sky line

ihren Charakter 4 Vom Getto bliebnur der jüdischeFriedhof übrig

5 Schaufenster imStadtteil Praga

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76 abenteuer und reisen 09 I 2014

Die Nachkriegsjahre in Warschau waren vom Wie-deraufbau geprägt. Das kommunistische Regime er-klärte vor allem die Altstadt zum Prestigeobjekt. Siewar bereits 1939 von deutschen Bombern heftig ge-troffen worden, 1944 während des Aufstands wurdesie dann vollständig zerstört. Die kommunistischeFührung wollte nach dem Ende des Kriegs demons-trieren, dass Moskau keine neue Versklavung imSinn hatte, sondern die polnische Identität wieder-herstellen wollte.

NAHEZU HUNDERTPROZENTIGER FAKE

Gelegentlich besuchen mich Freunde, die nicht diegeringste Ahnung von der Warschauer Geschichtehaben. Wenn ich sie in die Altstadt führe, frage ichmich, ob ich ihnen überhaupt von der totalen Rekon -struktion erzählen soll. Manchmal tue ich es erst an-schließend. Es ist verlockend, die Gäste in der Illusi-on einer mittelalterlichen Stadt zu belassen. Wirkendie sanften, erdgelben Pastelltöne der Bürgerhäuseram Altmarkt nicht absolut authentisch, sind sie nichtstellenweise so verwittert, als wären sie mindestens200 Jahre alt?

Für die Leser dieses Textes ist es jetzt aber schonzu spät. Deshalb nun die ganze Wahrheit: Die War-schauer Altstadt ist ein nahezu hundertprozentigerFake. Von 260 Gebäuden waren am Ende des Zwei-ten Weltkriegs 1945 gerade mal sechs unzerstört ge-blieben. Die restlichen 98 Prozent existierten nurnoch als verkohlte Grundmauern und mussten kom-plett neu gebaut werden – nach alten Fotos, Kupfer-stichen und Gemälden. Kein Wunder, dass polnischeRestaurateure seither als die besten der Welt gelten.Doch nicht nur die Altstadt ist idyllisch wie ein Post-kartenmotiv.

DER SCHÖNSTE PARK DER WELT?

Jeder Warschau-Besucher sollte sich in den Lazienki-Park begeben. So wie der Kulturpalast für die Gigan-tomanie des 20. Jahrhunderts steht, ist der Park eineweiche Reminiszenz an längst vergangene, vielleichtbessere Rokoko-Zeiten, als der König und seine Da-men sich hier in den Bädern vergnügten. „Lazienki“bedeutet nichts anderes als „Bäder“.

Der Park ist jeden Tag bis zehn Uhr abends geöff-net. Man erhält kostenlosen Zutritt in eine grüne Mär-chenwelt, die sich oben von der Klippe bis hinunter indas Weichsel-Tal zieht. Auf den großen Wiesen ist inecht königlicher Manier jedwedes Grillen, Nacktson-nen, Federballspielen und Picknicken verboten. Vonden alten Bäumen hüpfen Eichhörnchen herunterund lassen sich von den Passanten füttern. Gelegent-lich stolziert ein arroganter Pfau vorbei. Hier kommeich her, um die Welt zu vergessen.

Seit Jahrzehnten finden hier im Lazienki-Park anjedem Sonntag zwischen Anfang Mai und Ende Sep-tember zwei Konzerte unter freiem Himmel statt, umzwölf und um 16 Uhr. Meist sind es polnische Pianis-ten, die Balladen, Etüden, Mazurken oder Polonaisenvon Chopin spielen. Auf den Wiesen zwischen den Ro-senbeeten sitzen Hunderte, manchmal sogar Tausen-de von Menschen, die in erstaunlicher Stille zuhören,fast eine Stunde lang. Es sind keineswegs die üblichengrauhaarigen Klassik-Fans, sondern Menschen aus al-len Altersgruppen und aus allen gesellschaftlichenSchichten. Ich habe hier schon beobachtet, wie Babysdie Musik ihres berühmten Landsmannes wortwört-lich mit der Muttermilch einsogen.

FRANZOSE ODER POLE?

Nun wird deutlich, welch schlimmer Fauxpas es ist,wenn mancher Ausländer Chopin für einen Franzo-sen hält. Verständlich ist der Irrtum allerdings schon,weil man Frédéric Chopin ja wirklich nicht auf den ers-ten Blick für einen polnischen Namen halten muss.Beginnen wir also mit der (geflüsterten) Mitteilung,dass Chopin tatsächlich ein halber Franzose war. SeinVater, Nicolas Chopin, stammte aus Lothringen undkam mit 16 nach Polen. Mit 20 Jahren begab sich seinSohn Frédéric auf eine lange geplante Konzertreisenach Wien und Paris. Diese Reise rettete ihm vielleichtdas Leben: Wenige Wochen später brach der Novem-ber-Aufstand gegen die russischen Besatzer aus, Tau-sende Warschauer kamen um, wurden nach Sibirienverbannt oder emigrierten nach Deutschland oderFrankreich. Den Rest seines kurzen Lebens verbrach-te Chopin in Frankreich. Hier wurde er weltberühmt– und es gehört seitdem zu den klassischen Klischeesdes polnischen Minderwertigkeitskomplexes, dassman als Pole nur im Ausland berühmt werden kann.

76 abenteuer und reisen 6 I 2016

Polen

1 In sogenanntenMilchbars gibt essubventionierteGerichte für alle

Ostalgiker 2 Die authentischsteMilchbar Warschausist die „Bar Gdanski“an der Ul. Andersa 3 Bürgerhäuser am

Schlossplatz mit derSigismund-Säule 4 Die angesagte

„Miedzy Nami Café“:Restaurant, Bar, Drei-

Zimmer-Pension

WARSCHAU IMKURZ-CHECK

Futsch: Man weiß nie,wie lange sich einneues Restaurant hält.Autsch: Warschau istan vielen Stellen einpostsozialistischerMoloch.Ätsch: Die polnischenToilettenzeichen (einKreis für Frauen, einDreieck für Männer)versteht kein auslän -discher Besucher.

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SEITE SCANNEN UND FILM GENIESSEN, IN DEM

STEFFEN MÖLLER SINGEND AUF DEM RAD

DURCH WARSCHAU FÄHRT

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79abenteuer und reisen 6 I 2016

Polen

GEHEIMTIPP MILCHBAR

Eine echte Empfehlung für alle Ostalgiker sind dieMilchbars aus sozialistischen Zeiten. Die authen-tischste Milchbar Warschaus ist die „Bar Gdanski“.Dort hat sich seit 1989 nur wenig verändert. Die Wän-de des hohen Raumes sind gelb gestrichen, die Tischeschlicht, die Kacheln blau. Hinter der Durchreichesieht man die Köchinnen agieren, an der Kasse stehtPani Kasia, die Chefin, energisch und geradlinig. ImÜbrigen habe ich noch niemals in einer polnischenMilchbar einen männlichen Angestellten gesehen.Milchbars sind rauchgeschwängerte Monumentedes pol nischen Matriarchats.

Aber Achtung: Der Name „Milchbar“ ist irrefüh-rend, weil er ein Paradies für Vegetarier suggeriert.Doch stehen hier keineswegs nur Milchspeisen aufder Karte, sondern auch viele Fleischgerichte, sogarmehr Gerichte als im Chinarestaurant: in der „BarGdanski“ allein 17 verschiedene Suppen, daruntervier verschiedene Sorten von „Barszcz“ (Rote rüben -suppe), aber auch Bohnensuppe, Hühnerbrühe undneapolitanische Nudelsuppe. Weiterhin gibt es vieleArten von Grütze („Kasza“), die in Polen sehr beliebtist. Und wer das alles nicht will, kann auch einfachSpiegeleier mit Speck bestellen – wenn man derSprache mächtig ist. Die Speisen sind nämlich nurauf Polnisch angeschrieben. Mein Tipp: Einfach aufgut Glück irgendetwas bestellen, auch wenn man daspolnische Wort nicht versteht. So habe ich es in mei-ner ersten Zeit gehalten und immer brav aufgeges-sen, was mir von den Köchinnen gereicht wurde.Manchmal passte die Gurkensuppe nicht recht zumVanillepudding, aber geschmeckt hat es immer!

NACH 20 JAHREN ENTDECKT: DIE BESTEN KRAPFEN

Krapfen heißen bekanntlich in jeder Region Deutsch-lands anders, von „Berliner“ bis „Kräppel“. Auf Pol-nisch heißen sie Paczki (gesprochen „Pon tschki“).Die Paczki von Blikle sind sehr empfehlenswert. AmTlusty Czwartek (Fetter Donnerstag beziehungswei-se Weiberfastnacht), also vier Tage vor Rosenmon-tag, wenn alle Warschauer einen oder auch zehn Ber-liner kaufen wollen, bilden sich vor dem Geschäftlange Schlangen bis hinaus auf die Straße. Sie geltenselbst bei Auslandspolen, die schon lange woanderswohnen, als die besten Krapfen der Stadt. Und siesind köstlich, in der Tat.

Trotzdem würde ich heute sagen, dass es einenoch bessere Krapfenbäckerei gibt, und ich habe fast20 Jahre gebraucht, um sie zu entdecken: Die Kon-ditorei Wladyslaw Zagozdzinski residiert seit 1925 ineinem alten Backsteinhaus, das im Krieg nicht zer-stört, sondern nur stark verrußt wurde. Seither wur-de nichts renoviert.

Private Firmen, die fast 100 Jahre alt und in Famili-enbesitz sind (heute in vierter Generation), stellenin Polen eine absolute Rarität dar. Und das Beste: Indieser Konditorei gibt es nichts anderes als Krapfen!Der Purismus geht sogar noch weiter: Als ich die Ver-käuferin nach der Füllung der Krapfen fragte, erhieltich die Antwort: „Marmelade“. Wunderbar, diese La-konie! Genau das liebe ich so sehr an Polen. Nichtswird aufgeplustert, optimiert oder übertrieben. DasLeben ist, wie es ist. Und in diesen Krapfen steckteben nur Marmelade. Wie fein sie schmecken, wirdjeder erfahren, der reinbeißt. Das muss nicht in dieWelt posaunt werden. Glücklich darf sich schätzen,wer so etwas entdeckt.

Und weil es meine polnischen Mitbürger nichtmachen, posaune ich es in die Welt hinaus: In Polen,besonders in Warschau, gibt es unzählige von diesenMöglichkeiten, überraschende, ja glücksbringendeEntdeckungen zu machen. Auf nach Polen!

17 reportergetestete Restaurant- und Hotel-Tipps

sowie Anreise-Infos, Übersichtskarte, Klimatabelle,

Kostencheck und mehr ab Seite 80

INFO

1 Relaxt: Die Aus -sichtsplattform des

Kulturpalasts 2 Märchenhaft: Der

Lazienki-Park 3 Erhaben: Der Grzy - bowski-Platz mit derAllerheiligen-Kirche 4 Günstig: Nirgendssind die Mieten so

niedrig wie in Praga5 Schnell und

entspannt: Sight -seeing per Tram

6 Farbig: Der Kul tur -palast wird nachts

poppig in Szenegesetzt

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