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Jane Austen Überredung

020405 Austen ND2018 - Reclam

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Jane Austen

ÜberredungRoman

Aus dem Englischen übersetzt von

Ursula und Christian Grawe

Nachwort und Anmerkungen

von Christian Grawe

Reclam

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Englischer Originaltitel:Persuasion

RECLAM TASCHENBUCH Nr. 204051981, 2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG,Siemensstraße 32, 71254 DitzingenUmschlaggestaltung: Anja Grimm Gestaltung,unter Verwendung des Farbkupferstichs »Ipomoea Quamodit«von Langlois nach Pierre-Joseph Redouté (1759–1840). akg-imagesDruck und Bindung: Canon Deutschland Business Services GmbH,Siemensstraße 32, 71254 DitzingenPrinted in Germany 2018RECLAM ist eine eingetragene Markeder Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-020405-4

Auch als E-Book erhältlich

www.reclam.de

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Kapitel 1

Sir Walter Elliot von Kellynch Hall in Somersetshire1 warein Mann, der außer dem Adelskalender nie ein Buch zumVergnügen in die Hand nahm; dabei aber fand er Beschäf-tigung in müßigen und Trost in trübsinnigen Stunden; da-bei erregte der Gedanke an den ausgesuchten Kreis dernoch überlebenden ältesten Adelsfamilien Bewunderungund Ehrfurcht in ihm; dabei verwandelten sich alle unan-genehmen Empfindungen, die wohl mit seinen häuslichenUmständen zusammenhingen, unweigerlich in Mitleid undVerachtung, wenn er die schier endlosen Adelsverleihun-gen des letzten Jahrhunderts durchblätterte; und dabei laser, wenn alle anderen Seiten des Buches ihre Wirkung ver-fehlten, mit nie versagendem Interesse seine eigene Ge-schichte. Dies war die Stelle, an der sich sein Lieblingsbuchunterdessen ganz von selbst aufschlug.

Elliot von Kellynch Hall»Walter Elliot, geb. 1. März 1760, verh. 15. Juli 1784mit Elizabeth, Tochter von James Stevenson, wohl-geb., von Southpark in der Grafschaft Gloucester.Seine Gemahlin (die 1800 starb) gebar ihm folgendeKinder: Elizabeth (1. Juni 1785), Anne (9. August1787), einen totgeborenen Sohn (5. November1789), Mary (20. November 1791).«

Genau so war der Absatz ursprünglich aus den Händendes Druckers gekommen, aber Sir Walter hatte ihn da-

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durch verbessert, dass er zu seiner eigenen Informationund zu der seiner Familie hinter Marys Geburtsdatum dieWorte »verh. 16. Dezember 1810 mit Charles, Sohn undErbe von Charles Musgrove, wohlgeb., von Uppercross inder Grafschaft Somerset« ergänzt und präzise Tag undMonat eingetragen hatte, an dem ihm seine Frau gestor-ben war.

Dann folgten in den üblichen Formulierungen Ge-schichte und Aufstieg der alten und angesehenen Familie:wie sie sich ursprünglich in Cheshire niedergelassen hat-ten, wie sie in Dugdale als höchste königliche Beamte derGrafschaft und als Abgeordnete in drei aufeinanderfolgen-den Parlamenten mit ihrem Eifer im Dienst der Krone undder Verleihung der Baronatswürde im ersten Jahr derHerrschaft Karls II. und all den Marys und Elizabeths, diesie geheiratet hatten, erwähnt wurden – was alles in allemzwei eindrucksvolle Duodezseiten füllte und nach demWappen und dem Wahlspruch abschloss mit: »Hauptsitz:Kellynch Hall in der Grafschaft Somerset«, und dem fol-genden Zusatz, wieder in Sir Walters eigener Handschrift:»Erbe: William Walter Elliot, hochwohlgeb., Urenkel deszweiten Sir Walter.«

Eitelkeit war das A und O von Sir Walters Charakter –persönliche und gesellschaftliche Eitelkeit. Er hatte in sei-ner Jugend bemerkenswert gut ausgesehen und war mitvierundfünfzig noch immer ein ausgesprochen ansehn-licher Mann. Nur wenige Frauen verschwendeten wohlmehr Gedanken an ihre äußere Erscheinung als er, undnicht einmal der Kammerdiener irgendeines gerade geadel-ten Lords hätte begeisterter über seine Stellung in der Ge-sellschaft sein können. Seiner Meinung nach wurde derSegen der Schönheit nur vom Segen eines Baronats über-troffen, und der Sir Walter, der diese Gaben in sich ver-

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einigte, war der ständige Gegenstand seiner tiefsten Ehr-furcht und Anbetung.

In einer Hinsicht war sein Stolz auf sein gutes Aussehenund seinen Rang berechtigt, denn nur ihnen verdankte erwohl eine Frau, die charakterlich allen Ansprüchen, die erdiesbezüglich stellen durfte, unendlich überlegen war. LadyElliot war eine großartige Frau gewesen, vernünftig und lie-benswert; und wenn man ihr die jugendliche Verblendungvergeben kann, durch die sie Lady Elliot wurde, so warenihr Urteil und ihre Haltung später auf Nachsicht keines-wegs angewiesen. Sie hatte die Schwächen ihres Manneshingenommen oder gemildert oder zugedeckt und siebzehnJahre lang zu seinem Ansehen beigetragen; und obwohl siein ihrem Leben nicht gerade glücklich gewesen war, hattenihre Pflichten, ihre Freunde und ihre Kinder ihr das Lebenlebenswert und keineswegs gleichgültig erscheinen lassen,als die Abschiedsstunde nahte. Drei Mädchen zu hinterlas-sen, die älteren sechzehn und vierzehn, war ein furchtbaresVermächtnis für eine Mutter, ja mehr, es war eine furchtba-re Belastung, sie der Autorität und dem Schutz eines eitlen,oberflächlichen Vaters anzuvertrauen. Sie hatte allerdingseine enge Freundin, eine vernünftige, verdienstvolle Frau,die sich aus Anhänglichkeit zu ihr ganz in ihrer Nähe, imDorf Kellynch, niedergelassen hatte und auf deren Ver-ständnis und Rat bei der Verwirklichung all der solidenGrundsätze und Anordnungen, auf die sie bei ihren Töch-tern solchen Wert gelegt hatte, sie sich vor allem verließ.

Diese Freundin und Sir Walter heirateten aber trotz al-lem, was ihre Bekannten in dieser Hinsicht vorausgesagthatten, nicht. Dreizehn Jahre waren seit Lady Elliots Todvergangen, und sie waren immer noch enge Nachbarn undgute Freunde, und der eine blieb Witwer und die andereWitwe.

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Dass Lady Russell bei ihrem gefestigten Alter und Cha-rakter und ihrer finanziellen Unabhängigkeit an eine zwei-te Ehe nicht dachte, bedarf keiner Entschuldigung in denAugen der Öffentlichkeit, die eher dazu neigt, unvernünf-tige Entrüstung zu zeigen, wenn eine Frau tatsächlich wie-der heiratet, als wenn sie es nicht tut; aber dass Sir Walterweiter allein blieb, verlangt eine Erklärung. Es sei deshalbangemerkt, dass Sir Walter (nachdem er bei sehr unver-nünftigen Heiratsanträgen ein oder zwei persönliche Ent-täuschungen erfahren hatte) wie jeder gute Vater stolz dar-auf war, um seiner lieben Töchter willen unverheiratet zubleiben. Für eine Tochter, für seine älteste, hätte er wirk-lich auf alles verzichtet – ein Gedanke, der ihm sonst garnicht nahelag. Elizabeth hatte mit sechzehn, soweit irgendmöglich, die Rechte und die gesellschaftliche Stellung ihrerMutter übernommen; und da sie sehr schön und ihm selbstsehr ähnlich war, war ihr Einfluss auf ihn immer groß ge-wesen, und sie hatten sich immer glänzend verstanden.Seine beiden anderen Kinder bedeuteten ihm sehr viel we-niger. Mary hatte sich auf Umwegen ein bisschen Bedeu-tung erworben, indem sie Mrs. Charles Musgrove gewor-den war, aber Anne mit ihrer geistigen Überlegenheit undihrem ausgeglichenen Charakter, die ihr die Achtung allerwirklich einsichtigen Menschen einbringen mussten, be-deutete weder ihrem Vater noch ihrer Schwester etwas; ihrWort zählte nicht, auf ihre Bequemlichkeit kam es nichtan; sie war nur Anne.

Aber sie war Lady Russells geliebte und hochgeschätztePatentochter, Favoritin und Freundin. Lady Russell liebtesie alle, aber nur in Anne sah sie das leibhaftige Ebenbildihrer Mutter.

Vor ein paar Jahren war Anne Elliot ein sehr hübschesMädchen gewesen, aber ihre Schönheit war früh vergan-

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gen; und da sie für ihren Vater auch in ihrer vollen Blütewenig Bewundernswertes gehabt hatte (so völlig verschie-den waren ihre feinen Züge und freundlichen dunklen Au-gen von seinen eigenen), besaß sie jetzt, wo sie verwelktund dünn war, nichts mehr, was seinen Beifall fand. Er hat-te sich nie großen Hoffnungen hingegeben und hegte jetztgar keine mehr, ihren Namen je auf einer weiteren Seiteseines Lieblingsbuches zu sehen. Eine ebenbürtige Heiratkam nur für Elizabeth in Frage, denn Mary hatte lediglichin eine alteingesessene Gutsbesitzerfamilie von Ansehenund großem Vermögen eingeheiratet und war deshalbdurch ihre Heirat nicht im Rang gestiegen, sondern gesun-ken. Elizabeth würde irgendwann einmal angemessen hei-raten.

Es kommt manchmal vor, dass eine Frau mit neunund-zwanzig hübscher ist als zehn Jahre zuvor; und wenn sienicht unter Krankheit oder Kummer gelitten hat, handeltes sich im Allgemeinen um einen Zeitpunkt im Leben, andem sie kaum an Charme eingebüßt hat. So war es mit Eli-zabeth – immer noch dieselbe schöne Miss Elliot, zu der sievor dreizehn Jahren herangewachsen war, und man konntees Sir Walter deshalb verzeihen, dass er ihr Alter vergaß,oder ihn jedenfalls nicht für ganz so naiv halten, wenn ersich und Elizabeth, während das gute Aussehen aller ande-ren dahin war, blühend fand wie eh und je, denn er konntedeutlich sehen, wie der Rest seiner Familie und seiner Be-kanntschaft alterte. Anne hager, Mary gewöhnlich, jedesGesicht in der Nachbarschaft heruntergekommen, und dierapide Vermehrung von Krähenfüßen in Lady RussellsAugenwinkeln beobachtete er seit langem mit Beklom-menheit.

Elizabeth besaß nicht ganz die Selbstgefälligkeit ihresVaters. Seit dreizehn Jahren war sie Herrin von Kellynch

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Hall und herrschte und lenkte mit einer Besonnenheit undEntschiedenheit, die niemals den Gedanken nahelegten, siesei jünger, als sie tatsächlich war. Dreizehn Jahre lang hattesie die Rolle der Gastgeberin gespielt und die häuslicheOrdnung bestimmt und war zur vierspännigen Kutschevorausgeschritten und hatte unmittelbar hinter Lady Rus-sell alle Wohnzimmer und Esszimmer in der Gegend ver-lassen. Dreizehnmal hatte der wiederkehrende Winterfrostsie jeden standesgemäßen Ball eröffnen sehen, den einedünngesäte Nachbarschaft zustande brachte; und dreizehn-mal hatte der Frühling seine Blüten gezeigt, wenn sie mitihrem Vater nach London reiste, um jährlich ein paar Wo-chen die große Welt zu genießen. Sie lebte in der Erinne-rung daran. Sie lebte in dem Bewusstsein, neunundzwan-zig zu sein; und beides verursachte ihr ein gewisses Be-dauern und eine gewisse Beklemmung. Sie war durchausüberzeugt, dass sie immer noch so schön war wie eh undje, aber sie spürte, dass sie sich den gefährlichen Jahren nä-herte; und die Gewissheit, dass jemand von Adel im Laufeder nächsten ein oder zwei Jahre förmlich um ihre Handanhalten würde, hätte sie unendlich erleichtert. Dannkönnte sie das Buch der Bücher wieder mit der gleichenFreude in die Hand nehmen wie in Kindertagen. Aber jetzthatte sie eine Abneigung dagegen. Immer mit dem eigenenGeburtsdatum konfrontiert zu werden und keine Heiratfolgen zu sehen als die ihrer jüngsten Schwester verleideteihr das Buch; und wenn ihr Vater es offen in ihrer Näheauf dem Tisch liegengelassen hatte, hatte sie es mehr alseinmal mit abgewandtem Blick zugeklappt und von sichgeschoben.

Sie hatte darüber hinaus eine Enttäuschung erlebt, de-ren Erinnerung das Buch und besonders die Geschichte ih-rer eigenen Familie immer wachhalten würden. Der Erbe,

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genau jener William Walter Elliot, hochwohlgeb., dessenAnsprüche so großzügig von ihrem Vater unterstützt wor-den waren, hatte sie enttäuscht.

Schon als sehr junges Mädchen, sobald sie wusste, dasser der zukünftige Baron sein würde, wenn sie keinen Bru-der haben sollte, hatte sie beschlossen, ihn zu heiraten; undihr Vater hatte sie in diesem Entschluss immer bestärkt.Sie hatten ihn als Jungen nicht gekannt, aber bald nachLady Elliots Tod hatte Sir Walter sich um die Bekannt-schaft seines Neffen bemüht; und obwohl seine Annähe-rungsversuche nicht auf Begeisterung gestoßen waren,hatte er seine Bemühungen fortgesetzt, wobei er ihm diebescheidene Zurückhaltung der Jugend zugutehielt; undbei einem ihrer Frühjahrsausflüge nach London, als Eliza-beth in ihrer ersten Blüte war, hatten sie Mr. Elliot ihreBekanntschaft aufgezwungen.

Er war zu der Zeit noch ein sehr junger Mann, der ge-rade sein Jurastudium absolvierte. Elizabeth fand ihn unge-wöhnlich anziehend, und sein persönlicher Eindruck bestä-tigte sie in ihren Absichten. Er wurde nach Kellynch Halleingeladen. Man sprach von ihm und erwartete ihn für denRest des Jahres, aber er kam nie. Im folgenden Frühjahrtraf man ihn wieder in London, fand ihn nicht minder an-ziehend, ermutigte ihn, lud ihn ein und erwartete ihn, undwieder kam er nicht; und als Nächstes kam die Nachricht,dass er verheiratet war. Statt sein Glück auf dem Wege zusuchen, der für den Erben des Hauses Elliot vorgezeichnetwar, hatte er sich seine Unabhängigkeit durch eine Verbin-dung mit einer reichen Frau von niederer Herkunft er-kauft.

Sir Walter hatte es ihm verübelt. Als Haupt der Familiefand er, man hätte seinen Rat einholen sollen, besondersnachdem er sich mit dem jungen Mann in aller Öffentlich-

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keit gezeigt hatte. Denn man müsse sie zusammen gesehengaben, bemerkte er, einmal bei Tattersall2 und zweimal inder Vorhalle des Unterhauses. Er gab seiner MissbilligungAusdruck, aber offenbar ohne jeden Erfolg. Mr. Elliot hattesich zu keiner Entschuldigung veranlasst gesehen und sichso wenig an weiteren Aufmerksamkeiten von Seiten derFamilie interessiert gezeigt, wie Sir Walter ihn für ihrerunwürdig hielt; jeder Verkehr zwischen ihnen wurde ein-gestellt.

Diese sehr peinliche Geschichte mit Mr. Elliot erfüllteElizabeth, die den jungen Mann um seiner selbst willenund mehr noch, weil er der Erbe ihres Vaters war, gemochthatte und deren ausgeprägter Familienstolz nur in ihmeine angemessene Partie für Sir Walters älteste Tochter se-hen konnte, noch nach Ablauf mehrerer Jahre mit Ärger.Es gab von A bis Z keinen Baron, den sie so bereitwillig alsgleichberechtigt empfunden hätte. Aber er hatte sich soschäbig benommen, dass sie sich trotz der Trauerbinde, diesie zum gegenwärtigen Zeitpunkt (im Sommer 1814) umseiner Frau willen trug, nicht gestatten konnte, ihn nocheinmal in Erwägung zu ziehen. Die Schande seiner erstenEhe hätte man, da kein Grund zu der Annahme bestand,dass sie durch Nachkommen fortgesetzt worden war, ver-schmerzt, wäre es nicht noch schlimmer gekommen. Aberer hatte, wie sie durch die übliche Einmischung wohlmei-nender Freunde erfahren hatten, sehr abfällig von ihnenallen, sehr beleidigend von dem Blut, zu dem er gehörte,und dem Titel gesprochen, der später auf ihn übergehenwürde. So etwas war unverzeihlich.

Das waren Elizabeths Gesinnungen und Gefühle. Daswaren die Sorgen und Aufregungen, die Eintönigkeit undVornehmheit, Luxus und Nichtigkeit ihres alltäglichen Le-bens erträglicher und abwechslungsreicher machen sollten.

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Das waren die Empfindungen, die einem langen, ereignis-losen Aufenthalt in dem immer gleichen ländlichen ZirkelInteresse geben, die Leere beseitigen sollten, wo nützlicheTätigkeiten außerhalb, Begabungen und Talente innerhalbdes Hauses fehlten, um sie zu füllen.

Aber jetzt begann eine neue Aufgabe und Sorge ihreGedanken zu beschäftigen. Ihr Vater geriet immer mehr infinanzielle Schwierigkeiten. Sie wusste, dass er den Adels-kalender nur noch in die Hand nahm, um die hohen Rech-nungen seiner Lieferanten und die unangenehmen Anspie-lungen von Mr. Shepherd, seinem Rechtsanwalt, darüberzu vergessen. Der Besitz von Kellynch war ertragreich,aber den Ansprüchen, die Sir Walter an den Lebensstil sei-nes Besitzers stellte, nicht gewachsen. Solange Lady Elliotlebte, hatten Überlegung, Bescheidenheit und Sparsamkeitgeherrscht, so dass er mit seinen Einkünften gerade aus-kam. Aber mit ihr war auch alle Rechtschaffenheit dahin-gegangen, und seit der Zeit hatte er ständig über seineVerhältnisse gelebt. Er hatte es nicht fertiggebracht, weni-ger auszugeben; er hatte nur getan, wozu Sir Walter Elliotunbedingt verpflichtet war. Aber schuldlos, wie er war, ge-riet er nicht nur immer tiefer in Schulden, sondern bekames auch so oft zu hören, dass es aussichtslos wurde, es auchnur teilweise länger vor seiner Tochter zu verheimlichen.Er hatte ihr gegenüber im letzten Frühjahr in London eini-ge Andeutungen gemacht. Er war sogar so weit gegangenzu fragen: »Können wir uns einschränken? Meinst du, dasswir uns irgendwo einschränken können?« – und Elizabeth,das muss man ihr lassen, hatte im ersten Eifer weiblicherPanik ernsthaft darüber nachgedacht, was zu tun sei, undschließlich die beiden folgenden Sparmaßnahmen vorge-schlagen: einige unnötige Wohltätigkeitsspenden zu strei-chen und von einer Neumöblierung des Wohnzimmers ab-

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zusehen, wozu ihr später noch der glückliche Einfall kam,Anne diesmal, wie es sonst ihr jährlicher Brauch gewesenwar, kein Geschenk mitzubringen. Aber diese Maßnah-men, so sinnvoll sie auch sein mochten, wurden dem tat-sächlichen Ausmaß des Übels, das in seiner ganzen Trag-weite ihr zu gestehen Sir Walter sich bald danach genötigtsah, bei weitem nicht gerecht. Elizabeth hatte keine tiefer-greifenden Hilfsmittel vorzuschlagen. Sie fühlte sich ge-nau wie ihr Vater missbraucht und unglücklich; und siewaren beide außerstande, Wege zu finden, ihre Ausgabeneinzuschränken, ohne auf unerträgliche Weise ihre Würdezu beeinträchtigen oder auf ihre Bequemlichkeit zu ver-zichten.

Es gab nur einen kleinen Teil seines Besitzes, den SirWalter veräußern konnte. Aber hätte er sich von jedemStückchen Erde trennen können, es hätte nichts genutzt.Er hatte sich, soweit es in seiner Macht stand, zu Hypothe-ken herabgelassen, aber er würde sich nie dazu herablassenzu verkaufen. Nein, so weit würde er den Familiennamennicht entehren. Der Besitz von Kellynch würde heil undganz, so wie er ihn übernommen hatte, weitergegebenwerden.

Ihre beiden engsten Freunde, Mr. Shepherd, der in dernächsten Kleinstadt wohnte, und Lady Russell, wurdenum ihren Rat gebeten, und sowohl Vater als auch Tochtererwarteten anscheinend, dass einer von beiden einen Ein-fall haben würde, wie man ihnen aus der Verlegenheit hel-fen und ihre Ausgaben verringern könne, ohne dass ihreAnsprüche an Geschmack oder Stolz Abbruch erleidenwürden.

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Kapitel 2

Mr. Shepherd, ein höflicher, vorsichtiger Rechtsanwalt, demungeachtet seiner Macht oder seiner Ansichten über SirWalter daran lag, die unangenehmen Nachrichten von je-mand anderem offenbaren zu lassen, enthielt sich auch derleisesten Andeutung und erlaubte sich lediglich, dem aus-gezeichneten Urteil von Lady Russell, von deren gesundemMenschenverstand er sich genau die einschneidenden Maß-nahmen versprach, die er letzten Endes getroffen zu se-hen wünschte, seine uneingeschränkte Hochachtung aus-zusprechen.

Lady Russell lag das Thema außerordentlich am Her-zen, und sie machte sich ernsthafte Gedanken darüber. Zu-verlässig, wenn auch nicht schnell in ihrem Urteil, war sieeine Frau, die bei dem Aufeinanderprallen zweier wichtigerGrundsätze große Schwierigkeiten hatte, eine Entschei-dung zu treffen. Sie war eine durch und durch integreFrau, mit unbestechlichem Ehrgefühl. Aber sie war ebensobemüht, Sir Walters Gefühle zu schonen, wie auf das An-sehen der Familie bedacht, ebenso standesbewusst in ihrenVorstellungen über ihre gesellschaftlichen Ansprüche, wieein vernünftiger und aufrichtiger Mensch nur sein konnte.Sie war eine wohlmeinende, gütige, ehrliche Frau und zustarken Bindungen fähig, äußerst korrekt in ihrem Beneh-men, streng in ihren Vorstellungen von Anstand und mitUmgangsformen, die für den Inbegriff einer guten Kinder-stube gehalten wurden. Sie war gebildet und dachte imAllgemeinen rational und logisch – aber sie hatte Vorurtei-le in Fragen des Standes. Sie maß Rang und Stellung eineBedeutung bei, die sie gelegentlich über die Schwächen de-rer hinwegtäuschte, die sie besaßen. Selbst nur die Witweeines Geadelten, galt der Würde eines Barons ihre ganze

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Bewunderung; und Sir Walter hatte unabhängig von sei-nen Ansprüchen als alter Bekannter, als aufmerksamerNachbar, als verständnisvoller Vermieter, als Gatte ihrerengsten Freundin und Vater von Anne und ihren Schwes-tern in ihren Augen schon allein als Sir Walter Anspruchauf eine Menge Mitleid und Nachsicht in seinen augen-blicklichen Schwierigkeiten.

Sie mussten sich einschränken; daran gab es keinenZweifel. Aber sie war sehr darauf bedacht, dass er und Eliza-beth so wenig wie möglich darunter zu leiden hatten. Sieentwarf Sparmaßnahmen, sie stellte genaue Berechnungenan, und sie tat das, woran sonst niemand gedacht hatte: Siebat Anne um ihren Rat, von der anscheinend niemandsonst irgendein Interesse an der Sache erwartete. Sie fragtesie also um Rat und ließ sich in gewisser Weise beim end-gültigen Entwurf der Einschränkungsmaßnahmen, wie sieSir Walter zu guter Letzt vorgelegt wurden, beeinflussen.Anne hatte bei allen ihren Vorschlägen für Aufrichtigkeitstatt für eine standesgemäße Fassade plädiert. Sie wollteeinschneidendere Maßnahmen, eine radikalere Umstel-lung, eine schnellere Tilgung der Schulden, eine entschie-den größere Gleichgültigkeit gegenüber allem, außer wasrecht und billig war.

»Wenn wir deinen Vater dazu überreden können«, sag-te Lady Russell mit einem Blick auf ihren Plan, »dann istschon viel erreicht. Wenn er diese Maßnahmen akzeptiert,ist er in sieben Jahren schuldenfrei; und ich hoffe, wir kön-nen ihn und Elizabeth davon überzeugen, dass KellynchHall an sich ein Ansehen besitzt, dem diese Einschrän-kungen keinen Abbruch tun können, und dass Sir WalterElliots wahre Würde in den Augen vernünftiger Leutedurchaus nicht beeinträchtigt wird, wenn er wie ein Mannvon Grundsätzen handelt. Und was tut er denn anderes, als

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was sehr viele unserer führenden Familien ebenfalls getanhaben – oder tun sollten? Sein Fall ist keine Ausnahme,und es ist die Ausnahme, die uns oft am schlimmsten trifftoder jedenfalls unser Handeln entscheidend beeinflusst. Ichhabe große Hoffnungen, dass wir uns durchsetzen. Wirmüssen bestimmt und entschieden sein – denn schließlichmuss der, der Schulden gemacht hat, sie auch bezahlen.Und obwohl man den Empfindungen eines Gentlemansund dem Haupt einer Familie wie deinem Vater viel Rück-sicht schuldig ist, dem Charakter eines ehrlichen Mannesist man mehr Rücksicht schuldig.«

Anne lag daran, dass ihr Vater nach diesem Grundsatzhandelte und seine Freunde ihn darin bestärkten. Sie hieltes für ein unumgängliches Gebot der Pflicht, die Ansprü-che der Gläubiger mit all der Geschwindigkeit zu befriedi-gen, die nur durchgreifende Einschränkungen garantierenkonnten; und weniger als das erschien ihr ehrlos. Siewünschte, dass ein solcher Schritt verordnet und als Pflichtempfunden wurde, sie versprach sich viel von Lady Rus-sells Einfluss; und was die Rigorosität des Verzichts betraf,den ihr eigenes Gewissen vorschrieb, so glaubte sie, dass eskaum schwieriger sein werde, sie zu einer vollständigenUmkehr zu überreden als zu einer halbherzigen. Wie sieihren Vater und Elizabeth kannte, würde das Opfer einesPferdegespannes sie kaum weniger schmerzlich treffen alsdas von zweien, und das Gleiche galt für die ganze Listevon Lady Russells zu vorsichtigen Einsparungen.

Wie Annes rigorosere Forderungen aufgenommen wor-den wären, spielt keine Rolle. Lady Russells hatten keiner-lei Erfolg – galten als unannehmbar – waren unerträglich.Was! Auf alle Annehmlichkeiten des Lebens verzichten!Reisen, London, Diener, Pferde, Tafelfreuden – überallKürzungen und Einschränkungen! Sich nicht einmal mehr

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den Lebensstil eines einfachen Gentlemans leisten! Nein,lieber würde er Kellynch Hall auf der Stelle verlassen, alsunter solch schmählichen Bedingungen weiter darin zuwohnen!

»Kellynch Hall verlassen!« Das Stichwort wurde sofortvon Mr. Shepherd aufgegriffen, der ein durchaus greifbaresInteresse an Sir Walters Sparmaßnahmen hatte und völligdavon überzeugt war, dass ohne einen Wohnungswechselnichts zu erreichen war.

Da der Gedanke von genau der Seite komme, die dieEntscheidungen treffen müsse, habe er keinerlei Skrupel,sagte er, zu gestehen, dass er mit dieser Meinung völligübereinstimme. Er halte es nicht für wahrscheinlich, dassSir Walter seinen Lebensstil in einem Haus wesentlichändern könne, das so vom Geist der Gastfreundschaft undalter Ehrwürdigkeit durchdrungen sei. Überall sonst seier sein eigener Herr und werde, gleichgültig, wie er seineneigenen Haushalt gestalte, ein Vorbild für den Lebensstilanderer sein.

Sir Walter würde Kellynch Hall verlassen – und nachnur wenigen Tagen voller Zweifel und Unschlüssigkeit wardie große Frage, wohin er ziehen solle, beantwortet und einerster Plan für diese tiefgreifende Veränderung entworfen.

Es hatten drei Möglichkeiten zur Debatte gestanden,London, Bath oder ein anderer Landsitz. Annes Wünscherichteten sich ganz auf das Letzte. Ein kleines Haus in ih-rer alten Nachbarschaft, wo sie weiterhin mit Lady Russellverkehren, weiterhin in Marys Nähe sein und weiterhindas Vergnügen haben konnten, ab und zu die Anlagen undWäldchen von Kellynch zu sehen, war das ganze Ziel ihrerWünsche. Aber es traf sie das übliche Schicksal Annes,denn man entschied sich für etwas ihren Wünschen völligEntgegengesetztes. Sie mochte Bath nicht und konnte sich

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nicht vorstellen, dass sie sich dort wohl fühlen werde – undausgerechnet Bath sollte ihr Zuhause werden.

Sir Walter hatte zuerst eigentlich an London gedacht,aber Mr. Shepherd fand, dass man ihm in London nichttrauen konnte, und war geschickt genug gewesen, ihmBath schmackhaft zu machen. Bath sei ein viel sicherererOrt für einen Gentleman in seiner schwierigen Lage: Dorthabe er mit verhältnismäßig wenig Aufwand großes An-sehen. Zwei wesentliche Vorteile von Bath gegenüber Lon-don hatten natürlich den Ausschlag gegeben, und zwarseine geringere Entfernung von Kellynch, nur fünfzigMeilen, und die Tatsache, dass Lady Russell jedes Jahr ei-nen Teil des Winters dort verbrachte; und zur großen Be-ruhigung von Lady Russell, die bei dem bevorstehendenUmzug Bath von Anfang an den Vorzug gegeben hatte,wurden Sir Walter und Elizabeth davon überzeugt, dass sieweder auf Ansehen noch Abwechslung verzichten müss-ten, wenn sie sich dort niederließen.

Lady Russell sah sich gezwungen, den ihr bekanntenWünschen ihrer lieben Anne zu widersprechen. Man muteSir Walter zu viel zu, wenn man erwarte, dass er sich dazuherablassen werde, in ein kleines Haus in seiner eigenenNachbarschaft zu ziehen. Anne selbst würde die Demüti-gung stärker empfinden als erwartet, und für Sir WaltersEhrgefühl wäre sie bestimmt unerträglich. Und was AnnesAbneigung gegen Bath angehe, so halte sie sie für ein Vor-urteil und einen Irrtum, der erstens darauf beruhe, dass siedort drei Jahre nach dem Tod ihrer Mutter zur Schule ge-gangen sei und dass es ihr zweitens in dem einzigen Win-ter, den sie dort anschließend mit ihr selbst verbracht habe,nicht besonders gut gegangen sei.

Kurz und gut, Lady Russell gefiel Bath, und sie neigtedeshalb zu der Annahme, dass es für alle das Richtige sei.

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Und was die Gesundheit ihrer jungen Freundin betreffe, sowerde jedes Risiko vermieden, wenn sie die warmen Som-mermonate bei ihr in Kellynch Lodge verbringe. Es handlesich also um einen Wechsel, der sowohl ihrer Gesundheitals auch ihrer Stimmung guttun müsse. Anne sei zu wenigvon zu Hause fortgekommen, zu wenig in Gesellschaft ge-wesen. Es fehle ihr an Unternehmungslust. Mehr Gesell-schaft werde ihr guttun. Sie wolle sie mehr unter Leutebringen.

Das Fatale eines Hauses in derselben Nachbarschaftwurde für Sir Walter natürlich wesentlich durch ein Ele-ment verstärkt, und zwar ein entscheidendes Element desPlans, das man dem ersten Schritt arglos noch aufgepfropfthatte. Er sollte sein Heim nämlich nicht nur verlassen,sondern es in anderen Händen sehen – eine Prüfung, diefür stärkere Naturen als Sir Walter zu viel gewesen wäre.Kellynch Hall sollte vermietet werden. Dies allerdings warein tiefes Geheimnis, das nicht über ihren unmittelbarenKreis hinausdringen durfte.

Sir Walter hätte die erniedrigende Bekanntmachung,dass sein Haus zu vermieten sei, nicht ertragen. Mr. She-pherd hatte ein einziges Mal das Wort »annoncieren« fal-lenlassen, aber nicht gewagt, je wieder darauf zurückzu-kommen. Sir Walter wies den Gedanken, dass man es aufirgendeine Weise feilbieten könne, empört von sich; verbatsich die leiseste Anspielung, er könne eine derartige Absichthaben; und nur unter der Voraussetzung, dass er ein ganzspontanes Angebot von einem ganz außergewöhnlichen Be-werber erhalte, würde er nach seinen eigenen Bedingungenund als große Gefälligkeit überhaupt vermieten.

Wie schnell wir Gründe bei der Hand haben, das zu bil-ligen, was uns gefällt! Lady Russell führte einen weiterenausgezeichneten Grund für ihre übergroße Freude an, dass

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Sir Walter und seine Familie vom Land in die Stadt zogen.Elizabeth hatte vor kurzem eine enge Freundschaft ange-knüpft, die sie gern unterbunden hätte. Es handelte sichum eine Tochter von Mr. Shepherd, die nach unglücklicherEhe mit der zusätzlichen Bürde zweier Kinder ins Haus ih-res Vaters zurückgekehrt war. Sie war eine geschickte jun-ge Frau, die es verstand, sich beliebt zu machen, jedenfallsin Kellynch Hall, und die sich so bei Miss Elliot einge-schmeichelt hatte, dass sie trotz aller Anspielungen aufVorsicht und Zurückhaltung von Lady Russell, die dieseFreundschaft für völlig unstandesgemäß hielt, dort schonmehr als einmal länger zu Besuch gewesen war.

Lady Russell hatte tatsächlich kaum Einfluss auf Eliza-beth und liebte sie anscheinend eher, weil sie es sich vorge-nommen hatte, als weil Elizabeth es verdiente. Sie hattevon ihr nie mehr als oberflächliche Aufmerksamkeit erhal-ten, nichts, was über die notwendige Höflichkeit hinaus-ging, und es war ihr nie gelungen, sie von einer einmal ge-hegten Vorliebe abzubringen. Sie hatte mehrfach ernsthaftversucht, dass Anne bei den Besuchen nach London mitge-nommen wurde, da sie schmerzlich die ganze Ungerechtig-keit und Rücksichtslosigkeit dieser egoistischen Unterneh-mungen empfand, von denen sie ausgeschlossen war, undhatte bei viel geringfügigeren Anlässen versucht, Elizabethvon ihrer eigenen besseren Einsicht und Erfahrung profi-tieren zu lassen – aber immer vergeblich. Elizabeth bestanddarauf, ihren eigenen Weg zu gehen, und nie hatte sie ihnin entschiedenerem Widerspruch zu Lady Russell verfolgtals bei ihrer Wahl von Mrs. Clay. Sie verschmähte die Ge-sellschaft einer so schätzenswerten Schwester und schenk-te ihre Neigung und ihr Vertrauen statt dessen einer Per-son, die nichts als ein Gegenstand kühler Höflichkeit hättesein sollen.

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Ihrer Stellung nach war Mrs. Clay in Lady RussellsAugen eine sehr unebenbürtige, ihrem Charakter nach,glaubte sie, sehr gefährliche Freundin; und ein Umzug, derMrs. Clay zurücklassen und Miss Elliot den Umgang vongeeigneteren Gefährtinnen ermöglichen würde, war des-halb ein höchst wünschenswertes Ziel.

Kapitel 3

»Ich gestatte mir zu bemerken«, sagte Mr. Shepherd einesMorgens in Kellynch, als er die Zeitung beiseitelegte, »dassdie augenblickliche Lage der Dinge uns sehr entgegen-kommt. Dieser Friede3 wird alle unsere reichen Marineof-fiziere an Land bringen. Sie werden alle ein Haus brau-chen. Kein besserer Zeitpunkt denkbar, Sir Walter, um eineganze Auswahl an Mietern zu haben, sehr verantwor-tungsbewussten Mietern. Manch einer hat während desKrieges ein stattliches Vermögen gemacht. Wenn uns einreicher Admiral über den Weg liefe, Sir Walter …«

»Dann könnte er sich glücklich schätzen, Shepherd«,erwiderte Sir Walter, »mehr habe ich dazu nicht anzumer-ken. Kellynch Hall wäre wahrlich eine schöne Prise fürihn; vermutlich die bei weitem größte Prise, da kann erbisher noch so viele Schiffe gekapert haben, wie, She-pherd?«

Mr. Shepherd, der wusste, was er Sir Walter schuldigwar, lachte über soviel Witz und fuhr dann fort:

»Ich erlaube mir anzumerken, Sir Walter, dass sich mitden Herren von der Marine in geschäftlichen Dingen aus-gezeichnet verhandeln lässt. Ich habe ein wenig Erfahrungmit ihrer Art, Geschäfte zu machen, und bin so frei zu

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gestehen, dass sie sehr großzügige Vorstellungen habenund wahrscheinlich nicht weniger erstrebenswerte Mietersind als Leute aus anderen Kreisen. Deshalb, Sir Walter,möchte ich mir vorzuschlagen gestatten, dass ich, JohnShepherd …, falls infolge irgendwelcher über Ihre Absich-ten in Umlauf geratener Gerüchte, die man ja als Möglich-keit einkalkulieren muss, denn wir wissen, wie schwierig esist, die Handlungen und Absichten des einen Teils derMenschheit vor der Aufmerksamkeit und Neugier des an-deren Teils geheim zu halten – Größe hat ihren Preis …das Recht habe, alle Familienangelegenheiten, bei denen esmir nötig scheint, geheim zu halten, denn mich zu beob-achten, würde niemand für lohnend halten, aber auf SirWalter Elliot ruhen Augen, denen zu entgehen sehrschwierig sein dürfte … und deshalb wäre es keineswegseine große Überraschung für mich, so viel wage ich zu sa-gen, wenn bei all unserer Vorsicht doch Gerüchte von derWahrheit in Umlauf geraten würden … in welchem Falle,wie ich gerade bemerken wollte, da Mietgesuche ohne Fra-ge folgen werden, ich es für angezeigt halten würde, denenvon Seiten unserer wohlhabenden Marinekommandantenbesondere Aufmerksamkeit zu schenken … und ich erlau-be mir hinzuzufügen, dass ich jederzeit in zwei Stundenhier sein könnte, um Ihnen die Mühe einer Antwort zu er-sparen.«

Sir Walter nickte nur. Aber bald darauf erhob er sich,schritt im Zimmer auf und ab und bemerkte sarkastisch:

»Es gibt nur wenige Herren bei der Marine, könnte ichmir vorstellen, die nicht überrascht wären, sich in einemHaus dieser Größenordnung wiederzufinden.«

»Sie würden sich umsehen, keine Frage, und ihremSchicksal danken«, sagte Mrs. Clay, denn Mrs. Clay waranwesend. Ihr Vater hatte sie mitgebracht, denn nichts tat

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Mrs. Clays Gesundheit so gut wie eine Fahrt nach Kel-lynch. »Aber ich bin mir mit meinem Vater einig, dass einSeemann ein sehr wünschenswerter Mieter wäre. Ich ken-ne allerlei Leute in diesem Beruf, und abgesehen von ihrerGroßzügigkeit sind sie rundherum so adrett und umsich-tig! Ihre kostbaren Bilder hier, Sir Walter, falls Sie die zu-rücklassen sollten, wären vollkommen sicher. Drinnen unddraußen würde alles so ausgezeichnet instand gehaltenwerden! Park und Garten würden von dem hervorragen-den Zustand, in dem sie jetzt sind, fast nichts verlieren. Siebrauchten keine Angst zu haben, Miss Elliot, dass ihr rei-zender kleiner Blumengarten vernachlässigt würde.«

»Was das betrifft«, fuhr Sir Walter kühl fort, »ange-nommen, ich wäre tatsächlich bereit, mein Haus zu ver-mieten, so habe ich keineswegs über die Privilegien ent-schieden, die damit verbunden sind. Ich bin nicht sonder-lich geneigt, einem Mieter Vergünstigungen einzuräumen.Der Park stünde ihm natürlich offen, und nur wenige Ma-rineoffiziere oder auch Leute aus irgendeinem anderen Mi-lieu können über eine solche Fläche verfügt haben. Aberwelche Einschränkungen ich ihm bei der Benutzung derGartenanlagen auferlege, ist eine andere Frage. Mir behagtder Gedanke gar nicht, dass man in meinem Staudengartenein und aus geht; und ich würde Miss Elliot empfehlen,Vorsichtsmaßnahmen für ihren Blumengarten zu treffen.Ich bin ganz und gar nicht geneigt, einem Mieter von Kel-lynch Hall irgendwelche außergewöhnlichen Vorzüge ein-zuräumen, das kann ich Ihnen versichern, ob Seemannoder Soldat.«

Nach einer kurzen Pause gestattete sich Mr. Shepherddie folgende Bemerkung:

»In all diesen Fällen gibt es bewährte Gepflogenheiten,die das Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter klar und

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einfach regeln. Ihre Interessen, Sir Walter, sind in gutenHänden. Sie können sich auf mich verlassen, dass keinMieter mehr Rechte erhält, als ihm zustehen. Ich erlaubemir den Hinweis, dass Sir Walter Elliot nicht halb so sehrauf seinen Vorteil bedacht ist wie John Shepherd.«

Hier nahm Anne das Wort.»Der Marine, die so viel für uns getan hat, steht, finde

ich, mindestens der gleiche Anspruch wie Angehörigen an-derer Berufe auf all die Annehmlichkeiten und Privilegienzu, die ein Haus bieten kann. Seeleute müssen für ihreAnnehmlichkeiten schwer genug arbeiten, das wissen wirdoch alle.«

»Sehr wahr, sehr wahr. Was Miss Anne sagt, ist sehrwahr«, war Mr. Shepherds Entgegnung, und »Oh, gewiss!«die seiner Tochter, aber Sir Walter bemerkte kurz darauf:

»Der Beruf hat seinen Nutzen, aber ich würde es be-dauern, wenn einer meiner Freunde dazugehörte.«

»Wirklich!« war die von einem Blick des Erstaunensbegleitete Antwort.

»Ja, er ist mir aus zwei Gründen zuwider, ich habe zweitriftige Einwände dagegen: Erstens ist er dafür verantwort-lich, dass Leute obskurer Herkunft es zu unverdienterAuszeichnung bringen und Männer in ehrenvolle Stellun-gen gelangen, von denen ihre Väter und Großväter nie-mals geträumt hätten. Und zweitens verkürzt er die Jugendund Lebenskraft eines Mannes fürchterlich. Ein Seemannaltert schneller als alle anderen Menschen; das habe ichmein Leben lang beobachtet. Man ist in der Marine in grö-ßerer Gefahr als in jedem anderen Beruf, durch den Auf-stieg eines Mannes beleidigt zu werden, mit dessen Vaterzu sprechen der eigene Vater für unter seiner Würde ge-halten hätte, und auf diese Weise selbst vorzeitig Gegen-stand der Verachtung zu werden. Eines Tages im letzten