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02/09 Würdigungen Turgenjew-Preis 2008 an Peter Urban 1 Bundesverdienstkreuz an Helga Pfetsch 1 Preis der Leipziger Buchmesse 2009 an Eike Schönfeld 2 Deutsch-italienischer Übersetzerpreis an Sigrid Vagt, Marianne Schneider und Esther Hansen 3 Karl-Dedecius-Preis an Renate Schmidgall 4 6. Wolfenbütteler Gespräch Bericht von Tanja Handels 6 wolfenbüttel, morgen, heute von Mirjam Madlung 8 Übergabe des Hieronymusrings von Susanne Lange an Ulrich Blumenbach 8 Internationaler Übersetzertag Hieronymusfest in Österreich 11 und die Tradition des Hieronymusrings in Deutschland 12 Veranstaltungen Deutsch-argentinische Übersetzerwerkstatt in Buenos Aires 12 Musikalische Transskriptionen in München 13 Seminar für Übersetzer finnischer und finnlandschwedischer Literatur in München 14 Nachrufe Zum Tod von Angela Präsent (1945–2009) – Stimmen aus dem Verband 14 In memoriam Elmar Tophoven (1923–1989) – Josef Winiger 15 Rezensionen Swetlana Geier: Leben ist Übersetzen 16 Roberto Braccini: Praxiswörterbuch Musik, Italienisch – Englisch – Deutsch – Französisch 16 Langenscheidt Taschenwörterbuch Französisch 17 Umschlag: Wolf Harranths PC-Rubrik Redaktionsteam Übersetzen erhält Verstärkung: Dr. Stephanie Kramer 43. Jahrgang, Juli – Dezember 2009

02/09 · Toni Morrison und Doris Lessing, aber auch Margaret Atwood, Saul Bellow oder Don DeLillo. Und Auszeichnungen hat sie in der Tat für ihre Kunst erhalten, zuletzt 2005 den

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Online-Bibliothek Europeana

Dieses Projekt wird von der EU-Kommission initiiert. Für www.europeana.eu haben die Nationalbibliotheken und Kulturinstitute der 27 EU-Mitgliedsstaaten mehr als zwei Millionen Bücher, Landkarten, Aufnahmen, Fotografien, Do-kumente, Gemälde und Filme aus den eigenen Beständen für das Projekt zur Verfügung gestellt und dabei auf die Bestän-de von über 1.000 Archiven Museen und Bibliotheken und deren bereits digitalisiertes Material zugegriffen.

Dieser Text und ein bisschen mehr dazu findet sich auf un-serem neuen Gegenüber: www.orbitpress.at/harranth – und gemehlt sollte jetzt werden an: [email protected]

Wolf Harranth

Impressum

Übersetzen (ehemals »Der Übersetzer«) erscheint halbjährlich.

Herausgeber: Verband deutschsprachiger Übersetzer

literarischer und wissenschaftlicher Werke e. V. (VdÜ)

in Zusammenarbeit mit der Bundessparte Übersetzer

des VS in ver.di, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin.

Bankverbindung: SEB AG Bank Berlin, Konto 1619848500,

BLZ 10010111.

Redaktion (verantwortlich): Dr. Sabine Baumann, Obermainanlage 21,

60314 Frankfurt am Main

Dr. Stephanie Kramer, Prenzlauer Allee 41, 10405 Berlin

Rezensionen: Anke Burger, 4646 Rue de la Roche,

Montréal QC H2J 3J6, Kanada

Abonnements: Maike Dörries, Stresemannstr. 19, 68165 Mannheim

Layout: Christoph Morlok, Heidelberg

Gestaltung Umschlag: Rimini Berlin

Druck: Druckkollektiv Gießen

ISSN 1868-6583

Für unverlangte Manuskripte keine Haftung. Nachdruck nur

mit Genehmigung der Redaktion und mit Quellenangabe.

02/09

WürdigungenTurgenjew-Preis 2008 an Peter Urban 1Bundesverdienstkreuz an Helga Pfetsch 1Preis der Leipziger Buchmesse 2009 an Eike Schönfeld 2Deutsch-italienischer Übersetzerpreis an Sigrid Vagt, Marianne Schneider und Esther Hansen 3Karl-Dedecius-Preis an Renate Schmidgall 4

6. Wolfenbütteler GesprächBericht von Tanja Handels 6wolfenbüttel, morgen, heute von Mirjam Madlung 8Übergabe des Hieronymusrings von Susanne Lange an Ulrich Blumenbach 8

Internationaler ÜbersetzertagHieronymusfest in Österreich 11 und die Tradition des Hieronymusrings in Deutschland 12

VeranstaltungenDeutsch-argentinische Übersetzerwerkstatt in Buenos Aires 12Musikalische Transskriptionen in München 13Seminar für Übersetzer finnischer und finnlandschwedischer Literatur in München 14

NachrufeZum Tod von Angela Präsent (1945–2009) – Stimmen aus dem Verband 14In memoriam Elmar Tophoven (1923–1989) – Josef Winiger 15

RezensionenSwetlana Geier: Leben ist Übersetzen 16Roberto Braccini: Praxiswörterbuch Musik, Italienisch – Englisch – Deutsch – Französisch 16Langenscheidt Taschenwörterbuch Französisch 17

Umschlag: Wolf Harranths PC-RubrikRedaktionsteam Übersetzen erhält Verstärkung: Dr. Stephanie Kramer

43. Jahrgang, Juli – Dezember 2009

Sammel-Surium

Im Web finden wir Portale, die an sich bereits eine Fülle von Informationen bündeln. Sucht man also zu einem bestimm-ten Themenkreis Information, wird man dort manchmal eher fündig als mit Googeln. Drei Beispiele:

Werbung weltweit

Seit Mitte April ist mit ADSandBRANDS (AaB) www.adsand-brands.com ein neues Webportal online, das den Besucher auf eine Zeitreise durch Jahrhunderte der Marken und Werbung schickt. Auf der Webseite werden aktuell über 20.000 Marken- und Werbesujets aus internationalen und deutschsprachigen Medien präsentiert. Das neue Marken- und Werbearchiv im Internet ist nicht nur für die Werbebran-che gedacht, sondern soll auch bis zu einem gewissen Grad Aufschluss über die kulturelle Entwicklung einer Gesellschaft und deren Zeitgeist geben. Derzeit ist das Angebot noch in der Gratis-Testphase.

Digitale Welt-Bibliothek

Ebenfalls seit Mitte April wird mit der World Digital Library www.worlddigitallibrary.org ein ambitioniertes Digitali-sierungsprojekt angeboten, das sein Material von einer Vielzahl renommierter Bibliotheken, Schriftensammlungen und Archiven aus der ganzen Welt bezieht. An dem von der UNESCO geförderten Projekt beteiligen sich weltweit 32 Partnerinstitutionen. Mit dabei sind unter anderem so ange-sehene Bibliotheken wie die Bibliotheca Alexandrina und die Nationalbibliotheken Ägyptens, Frankreichs oder Russlands. „Die World Digital Library wird bedeutende Primärmaterialien aller Kulturen rund um den Globus in vielen verschiedenen Sprachen kostenlos im Internet zugänglich machen“, heißt es auf der Homepage. Ziel des umfangreichen Engagements sei die Förderung des internationalen und interkulturellen Ver-ständnisses. Achtung: Wer hier einmal einsteigt, kommt so schnell nicht wieder in den tristen Übersetzer-Alltag zurück, zu verlockend ist das Angebot.

Redaktionsteam Übersetzen erhält Verstärkung

Stephanie Kramer, geboren 1969 in Münster/Westf. Studium der Anglistik/Amerikanistik, Romanistik, BWL und Didaktik in der Erwachsenenbildung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Sheffield University. Im Anschluss Promotion über die Verarbeitung von Geschichte und Biografie in britischen Dramen seit 1970. Seit 2003 Arbeit als freie Lektorin,

Übersetzerin und Autorin (www.buchbarke.de). Sie übersetzt Unterhaltungsliteratur: historische Romane, Krimis und ganz allgemein Frauenliteratur. Ab diesem Heft betreut sie Übersetzen zusammen mit Sabine Baumann und Anke Burger. Hinweise auf und Berichte über Veranstaltungen, Seminare und Workshops bitte künftig an: [email protected].

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WÜRDIGUNGEN

Andreas Tretner

TURGENJEW-PREIS 2008 AN PETER URBAN

Die Zeiten ändern sich: Rußland scheint sich neuerdings dafürzu interessieren, wie seine Literatur im Ausland ankommt,sprich: was und wie übersetzt wird. – Neu sind nicht nur di-verse Ansätze von Übersetzungsförderung, nun wurde gar eingroßzügig dotierter Preis »für herausragende Leistungen aufdem Gebiet der künstlerischen Übersetzung« russischer Lite-ratur ins Deutsche begründet, wie zuvor ähnlich schon fürsEnglische, Französische, Italienische und Spanische. Er trägtden Namen des germanophilsten unter den russischen Klassi-kern, Iwan Turgenjew, und wird von der Jelzin-Stiftung jährlichverliehen. Erstmals letzten Dezember im Berliner Literatur-haus an Peter Urban.

Ein Solitär mit klarer Handschrift

Bemerkenswert die Zusammensetzung der Jury (hellsichtig,doch angenehm betriebsfremd): zwei russische Übersetzeraus dem Deutschen und zwei russische Schriftsteller, die inDeutschland leben. Einer von ihnen, Oleg Jurjew (den übrigenszwei Dichterinnen, Elke Erb und Olga Martynova, glorios frei-händig ins Deutsche übertragen), schilderte in seiner Laudatioden Preisträger, wie man ihn alljährlich zur Frankfurter Buch-messe antrifft: Beine übereinandergeschlagen, mit der Fuß-spitze wippend, Roth-Händle paffend, stillvergnügt am Standder Friedenauer Presse sitzend – Handwerker alter Schule,der einmal pro Jahr seine Ware zu Markte karrt und im Be-wußtsein ihrer Qualität gelassen feilbietet. Das Bild trifft zu, esläßt sich steigern. Ein »Solitär« mit klarer Handschrift und,dem Umfang seines Werkes nach, ein Gigant, der auf seinemhessischen Bauernhof so viele Schreibtische stehen habensoll, wie er Autoren übersetzt – und das sind viele, wenn nichtsozusagen alle.

Von der fröhlichen Werkstatt zum Vogelsberg

Sucht man drei Jahrzehnte Urbanscher Übersetzungskunst zuüberschauen, läßt sich freilich eine Entwicklung ablesen: vonder fröhlichen Werkstatt, die Urban Mitte der 70er ins Lebenrief, um mit Celan, Pastior, Heißenbüttel, Reichert und anderenden Futuristen Chlebnikow ins Deutsche zu wenden (eine gro-ße Rowohlt-Ausgabe mit vielen facettenhaften Parallelüber-tragungen entstand) hin zum Eremiten vom Vogelsberg, derseinen übersetzerischen Anspruch so streng und gnadenloszu formulieren weiß, daß letztlich keiner als er selbst ihn um-zusetzen in der Lage ist – was er also tut: konsequent, bei-nahe systematisch, von »Tisch zu Tisch« wechselnd, die Klas-siker des achtzehnten, neunzehnten, zwanzigsten Jahrhun-derts …

Urban verficht das Fremde als zu Bewahrendes so poin-tiert, wie man es vergleichbar wohl nur von Friedhelm Rathjenund anderen »Schreibheft«-Akteuren kennt; aversiv reagie-rend auf alles Glättende, Vermittelnde, Erklärende im Text.Nicht die Übersetzung – die Anmerkung, der Apparat dienenals Brücke zum Leser. Manch einen hat er damit verstört(auch nicht gescheut, sich unbeliebt zu machen – und sei esbei Buchhändlern, die zu entscheiden haben, ob sie seinenCechov unter C oder T ins Regal stellen); viele hat er überzeu-gen können. Da ein Übersetzer seines Formats unwillkürlichzur Verkörperung, zum Bild der Literatur werde, die er über-setzt, so gab der Laudator klug zu bedenken, sei eine gewisseBeschneidung des Bildes unvermeidlich, eine Eingemeindungdes Autors und seines Werkes in die eigene Optik, den eige-nen Stil, die eigene Denkungsart. Für Relativierung seien danneben andere zuständig.

Glücksfall für die russische Literatur

Urbans Dankesrede ließ zwei Namen leuchten: Walter Böhlich,seinen Lehrer, mit dem er 1969 aus Protest gegen die Außer-kraftsetzung eines demokratischen Lektoratsstatuts bei Suhr-kamp auszog und den Verlag der Autoren gründete, sowie Ka-tharina Wagenbach, deren Friedenauer Presse für ihn seit lan-gem künstlerische Heimstatt ist – eine Partnerschaft, die sichzum Glücksfall für die russische Literatur und ihr deutschesPublikum entwickelt hat.

Dem Kollegen Peter Urban einen herzlichen Glückwunschzu diesem großen, schönen Preis; Hut ab vor seinem phäno-menalen Werk. Und da man mit ihm nicht in allem einverstan-den sein muß (siehe oben), sage ich: Meine persönliche Hoch-achtung gründet auf mindestens vier dicken Säulen. Da istsein Cechov, dessen Bündigkeit und Lakonie ein Schlüssel ist;sein Charms in der Sorgfalt des editorischen Herangehensund des Apparats; die Entdeckung Gennadi Gors als grandio-sen Dichter der Leningrader Blockade, den er jüngst in einerzweisprachigen Ausgabe nicht nur uns, sondern auch den bisdato ahnungslosen Russen schenkte – und nicht zuletztUrbans unvergeßlicher Auftritt im Leipziger Rathaus 2000, alser, eben mit dem Europäischen Buchpreis für internationaleVerständigung geehrt, so unverstellt und geradlinig, wie es zuihm paßt, den NATO-Krieg gegen Belgrad geißelte.

Hinrich Schmidt-Henkel

BUNDESVERDIENSTKREUZ AN HELGA PFETSCH11. Februar 2009

Ein Kreis schließt sich: Eine Übersetzerin steht im Rampenlicht– Helga Pfetsch erhält den Bundesverdienstorden. Schon dreiweitere Übersetzende haben in jüngerer Zeit dieselbe Aus-zeichnung erhalten: Helmut Frielinghaus, Ragni-MariaGschwend und Jürgen Liedtke. Diese drei wurden gewürdigtfür ihre Verdienste als Kulturvermittler. Helga Pfetsch, wir ha-ben es gehört, erhält den Orden in Anerkennung ihres ehren-amtlichen Engagements für den Übersetzerverband, also fürihr berufs- und kulturpolitisches Wirken.

Dabei gäbe es allen Grund, sie auch als die herausragendeÜbersetzerin auszuzeichnen, die sie ist. Eine Riege großer Na-men hat sie übersetzt, darunter die NobelpreisträgerinnenToni Morrison und Doris Lessing, aber auch Margaret Atwood,Saul Bellow oder Don DeLillo. Und Auszeichnungen hat sie inder Tat für ihre Kunst erhalten, zuletzt 2005 den Heinrich-Ma-ria Ledig-Rowohlt-Preis.

Vier Übersetzende also haben jüngst den Bundesver-dienstorden erhalten. Irgendwo muss es einen klugen Men-schen geben oder mehrere, die die klugen Menschen im Bun-despräsidialamt von der Notwendigkeit überzeugen, Überset-zende für ihre Verdienste auszuzeichnen. Gut so, weiter so!Bei Helga Pfetsch ist diese Auszeichnung besonders trefflichangebracht, besonders berechtigt. Denn damit kluge Men-schen solche klugen Entscheidungen treffen können, müssendie Auszuzeichnenden nicht nur würdig sein, sondern ersteinmal und vor allem: sichtbar!

Professionalisierung des Übersetzermetiers

Ein Kreis schließt sich, sagte ich: schauen wir auf seinen An-fang, schauen wir ins Jahr 1985 zurück. Da wurde HelgaPfetsch in den Vorstand des Übersetzerverbandes gewählt.Wo standen die Übersetzenden 1985? Seit der Nachkriegszeithatte es eine ganz erstaunliche Professionalisierung unseresMetiers gegeben. Man kann sagen, ein Berufsstand hatte sichherausgebildet, eine literarische Kunst, das Übersetzen – zu-gleich Dienstleistung und urheberischer Schöpfungsakt –, eineliterarische Tätigkeit, war zur Profession geworden.

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Übersetzen 2/20092

Zu einer Profession, die sich durch Qualität und Selbstbe-wusstsein auszeichnete und dadurch, dass sie einen unver-zichtbaren Beitrag zum Funktionieren der Literaturwirtschaft,also des Verlagswesens, leistete. Das war 1985 so, das istheute nicht anders. Anders als heute aber war die Übersetzer-schaft 1985 sehr viel weniger sichtbar, sondern wir galten alsdie unsichtbaren Wasserträger der Literatur. Das konnte keinbefriedigender Zustand sein, nicht zuletzt, weil das bitter not-wendige Ringen um bessere wirtschaftliche Bedingungen fürunsere Zunft nur dann erfolgreich sein konnte und kann,

wenn wir als dieunentbehrlichenMitspieler erkenn-bar und sichtbarwerden, die wirsind. Für dieseSichtbarkeit nachaußen und für dieSelbstverge-wisserung nach in-nen haben die Vor-stände, denen Hel-ga Pfetsch ange-hörte, ganz Ent-scheidendes gelei-stet, zusammenmit den vielen Kol-leginnen und Kolle-gen, die sie zumMitwirken an die-

ser Aufgabe begeistern konnten. Und ohne diese Sichtbarkeitgäbe es diese Würdigung einer Reihe von Übersetzendendurch das Bundespräsidialamt nicht.

20 Jahre lang hat Helga Pfetsch dem Vorstand unseres Ver-bandes angehört, die letzten acht Jahre davon – 1997 bis 2005– als Vorsitzende, als unsere Präsidentin. Es ist absolut typischfür sie, dass sie, fragt man sie nach ihren politischen Zielendieser Jahre, nicht ICH sagt, sondern sie spricht von »Zielenund Inhalten unserer Vorstandsarbeit«.

Jahrestagung und Übersetzerzentrum der Buchmesse

Das waren alles Ziele, die der Anerkennung unserer Professi-on dienten und dazu, unsere Zunft zu stärken, gerade in deröffentlichen Wahrnehmung unserer Eigenschaft als Urheber.

Das Wirken nach außen sei an zwei Beispielen illustriert –und bei beiden wird Helga Pfetsch zu recht nicht müde, je-weils die Arbeit und Leistung der verantwortlichen Teams zurühmen. Einmal ist da unsere Jahrestagung; diese war früherals Esslinger, dann als Bergneustädter Gespräch eine relativintime Sache aus Fachvorträgen, Sprachworkshops und derBegegnung eines deutschen Autors mit seinen Übersetzernaus verschiedenen Ländern. Heute ist sie zu einer glanzvollenGroßveranstaltung geworden, die die gastgebende StadtWolfenbüttel mit Übersetzenden und Übersetzungen schierüberschwemmt, mit öffentlichen Lesungen und Vorträgen, miteinem Fachprogramm für die Teilnehmenden und einem Lese-fest für die Öffentlichkeit.

Das zweite Unternehmen, das ich hier paradigmatischnennen möchte, ist das Übersetzerzentrum auf der Frankfur-ter Buchmesse. Was da in Helga Pfetschs Amtszeit als Ver-bandsvorsitzende begann, ist eine grandiose Zusammenarbeitvon Buchmesse und Übersetzerverband, die den Übersetzernheute auf der Messe eine Heimat beschert, einen Veran-staltungsort und Treffpunkt mit Café, einen Ort, für den wireine Miete in Naturalien entrichten in Form eines Programmsvon vielen Dutzend Publikumsveranstaltungen.

Politische Willensbildung

Vor allem aber fällt in diese Zeit die Mitwirkung des Verbandes

an der politischen Willensbildung, die zum erneuertenUrhebervertragsrecht von 2002 führte, einem Gesetz, das dieStärkung der Urheber zum Ziel hatte, vor allem bezüglich ihrerBeteiligung an dem wirtschaftlichen Gewinn, der mit ihremgeistigen Eigentum erzielt wird. Der Kommentar zur Gesetzes-novelle nannte namentlich die Übersetzer beispielhaft als Ur-heber, denen eine angemessene Beteiligung in der Branchen-praxis verwehrt wird.

Skandalöserweise ist anzumerken, dass das Gesetz bisheute nicht umgesetzt wurde. Es bleibt also noch einiges zutun für Helga Pfetschs Nachfolgerinnen und Nachfolger.

Zu all dem, was der Verband in den Jahren von HelgaPfetschs Vorstandswirken erreicht hat, hat eine sehr charak-teristische Eigenschaft der heute Geehrten grundlegend bei-getragen: ihr enormes Talent zum Einen und Einigen, zum Ver-binden und Zusammenführen. Kein Zufall ist es, dass ihre be-rufliche Tätigkeit heute auch stark die als Beraterin, Trainerinund Coach umfasst, kein Zufall, dass sie lange Jahre alsHauptschöffin am Heidelberger Landgericht ehrenamtlich tätigwar.

Denn eines ist ganz klar: Alles, was der Verband in den ver-gangenen Jahrzehnten erreicht hat, geht nur gemeinsam, gehtnur, wenn man das Talent hat, und ich zitiere Helga Pfetsch:»mit gleich gesinnten Leuten etwas auszudenken und auf denWeg zu bringen, das der Zunft zugute kommt.« Dieses Talentzur Gemeinsamkeit, dieses Verbindliche und Verbindende be-wundere ich an Helga Pfetsch besonders.

PREIS DER LEIPZIGER BUCHMESSEIN DER KATEGORIE ÜBERSETZUNGAN EIKE SCHÖNFELDfür die Übersetzung von Saul Bellow: »HumboldtsVermächtnis« (Kiepenheuer & Witsch) 12. März 2009

Begründung der Jury: Dieser Roman ist ein todtrauriges, gran-dios komisches Buch über Literatur, Liebe und Leben, Begier-de und Tod. Er ist ein überwältigendes Sprach- und Erzähl-spiel, eine, wie es Saul Bellow selbst sagte, Komödie des»schwachsinnigen Infernos«.

Schönfeld, einer der sprachwitzigsten, tonsichersten undfleißigsten Übersetzer aus dem Amerikanischen ins Deutsche,hat sich als idealer Botschafter für dieses Werk erwiesen. Sei-ne kongeniale Übertragung ist genauso »lebendig, ironisch,spöttisch und klug«, wie der San Francisco Examiner denUrsprungstext einst charakterisierte.

Eike Schönfeld Foto Uwe Frauendorf

Helga Pfetsch Foto Ebba Drolshagen

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Maike Albath

DEUTSCH-ITALIENISCHER ÜBERSETZERPREISAN SIGRID VAGT, MARIANNE SCHNEIDER UNDESTHER HANSEN16. März 2009 (gekürzte Fassung)

Seit der Antike hängt das Nachdenken über die Übersetzbar-keit von Texten eng zusammen mit dem Nachdenken über dieSprache. In der europäischen Tradition gibt es eine tiefe Sehn-sucht nach einer ursprünglichen, reinen, messianischen Spra-che, nach der lingua adamica. Walter Benjamin lehnt in sei-nem berühmten Aufsatz Die Aufgabe des Übersetzers denInstrumentalcharakter derSprache völlig ab, denn für ihnzielt ein Kunstwerk nicht aufdas Verstehen. Schließlich be-stehe das Wesentliche derDichtung gerade nicht in derMitteilung oder der Aussage,sondern im Unwesentlichenund Geheimnisvollen. Benja-min plädiert für ein »durch-scheinendes Übersetzen«, beidem der Charakter des Frem-den spürbar bleibt und demOriginal ein Königsmantel inweiten Falten umgelegt wird.Der Übersetzer solle sich au-ßerhalb des »Bergwalds derSprache« befinden und einEcho erzeugen.

Walter Benjamin zielt stär-ker auf die Wahrheit des Ge-sagten ab als auf das richtige Wort, und er reiht sich ein in ei-nen alten Streit der Übersetzungskritik, der zwischen den Po-len Martin Luther und Schleiermacher oszilliert: soll man nundem Volk aufs Maul schauen oder das Fremde betonen undbewusst eine Spracherweiterung betreiben? Schon Hierony-mus hatte anlässlich seiner Arbeit an der Vulgata gefordert,nicht »Wort für Wort, sondern Sinn für Sinn« zu übertragen. ImAlltagsgeschäft geht es für Übersetzer vermutlich darum, einevermittelnde Position einzunehmen und sich mal mehr in dieeine Richtung, mal mehr in die andere zu neigen: sich nichtallzu weit weg vom plappernden Volk zu bewegen und den-noch nach neuen oder ungewohnten Ausdrucksweisen zu su-chen, Neologismen zu prägen und alte, längst vergesseneSprachformen wieder in Erinnerung zu rufen. Wenn nicht dieFremdheit, sondern das Fremde gefühlt wird, sagt Humboldtüber die Wirkung der Griechen auf den zeitgenössischen deut-schen Leser, hat die Übersetzung ihre höchsten Zwecke er-reicht.

Erfindungsgeist und nuancenreicher Wortschatz

Genau das ist Sigrid Vagt in ihrer Übertragung von SalvatoreNiffois Roman Die Legende von Redenta Tiria gelungen. Siemacht das Fremde der sardischen Welt Niffois erfahrbar. Diedüstere Atmosphäre des Dorfes Abacastra, wo eine gespen-stische Stimme ihr Unwesen treibt und sämtliche Einwohneran einem bestimmten Punkt ihres Lebens zum Selbstmordaufruft, breitet sich bei Vagt ebenso aus wie im Original. Niffoiist in der italienischen Literatur ein Einzelgänger. Durch sardi-sche Redewendungen und dem Sardischen nachgebildetesyntaktische Fügungen erschafft er schroffe, widerständigeSprachgewebe, die zu den grotesken Sujets seiner Bücherpassen. In der Legende von Redenta Tiria taucht schließlicheine barfüßige, blinde Frau auf, die das Dorf von seinem Flucherlöst. Vagt entscheidet sich für eine behutsame Nachahmungdes Niffoischen Stils: einige der sardischen Verwandtschafts-bezeichnungen, Dankesformeln, Anreden oder Ausrufe blei-

ben im deutschen Text stehen, was dem Ganzen etwas Ge-heimnisvolles gibt. Auf dem Fremden zu insistieren und auchim Deutschen »tsiu« oder »tsia« für »Herr« oder »Frau« oder»mannoi« für »Großvater« zu verwenden, ist eine richtige Ent-scheidung, denn gerade in diesen von Generation zu Genera-tion vererbten Sprachmustern gerinnt das Archaische dieserSphäre. Aber Abacastra ist nicht nur eine karstige Vorhölle, woBlutrachen und Fehden ausgefochten werden und sich dieMänner mit ihren Gürteln an alten Eichen und Treppengelän-dern aufknüpfen und die Frauen zum Strick greifen, sondernauch ein Ort der Gegenwart mit Handys, Fernsehen undInternetdating. Die Reibung zwischen den Elementen derhochtechnisierten Alltagswelt und den Ritualen der Dorfge-

meinschaft bildet Vagt in derdeutschen Version nach.

Wie schon in früherenÜbertragungen, unter denenich die der neapolitanischenSchriftstellerin Anna MariaOrtese hervorheben möchte,stellt Sigrid Vagt ihren Erfin-dungsgeist und ihren nuan-cenreichen Wortschatz unterBeweis. Sie gebraucht soschöne Wörter wie »scheel-äugig« und spricht zum Bei-spiel von den »Pforten desNichts«. Sigrid Vagt legt dierichtige Mischung aus Treueund übersetzerischer Kreativi-tät an den Tag, wenn sie aus»Veniva giù una pioggia chesembrava ghiaccio grattu-giato« das lautmalerische »Re-

gen rieselte wie geraspeltes Eis« macht, und die Formulierung»mi faccio il lavoro« in die etwas eindeutigere stehende Rede-wendung »lege ich Hand an mich« überträgt. Genauso wie inder italienischen Fassung blitzt auch in der deutschen Versioninmitten der unwirtlichen kargen sardischen Landschaft etwasPoetisches auf, wenn Vagt »die Sonne klaubte mit goldenenZähnen die Schatten von der Straße« wählt für Niffois Formu-lierung »il sole masticava con denti d’oro le ombre delle str-ade« und dabei das selten gebrauchte Wort »klauben« ver-wendet. Auch ihre Umgangssprache ist weder zu derb nochzu harmlos: fottere wird zu pimpern, cagarsi zu sich in dieHose machen und als auf Italienisch gedroht wird, »tieniti lepalle strette, che altrimenti te li ritrovi in gola« heißt es bei ihr»und halt dir die Eier fest, dass sie dir nicht wegsausen«.

Niffois Geschichtenreigen ist eine zeitgenössische Varianteder alten Form der Legende. Die Erlöserin Tiria ließe sich alseine Chiffre für eine Kraft deuten, die in einer Welt jenseitsdes Dorfes wurzelt – es könnte auch die Kraft des Erzählenssein. Sigrid Vagt hat die Schwingungen dieses komplexen Tex-tes eingefangen und die verschiedenen Stillagen Niffois be-wahrt. Ihre Übersetzung besitzt, genau wie Humboldt es alssein Ideal formuliert, die »Farbe der Fremdheit«. »Eine Spra-che muss, gleich einem Instrument, vollkommen ausgespieltwerden«, empfiehlt der preußische Sprachforscher. Dass Sig-rid Vagt ihr Instrument beherrscht, hat sie eindrucksvoll unterBeweis gestellt.

Musikalisches Gespür

Ganz den großen Übersetzern der Romantik verpflichtet, hatNovalis einige Jahre nach Humboldt vom poetischen Geist desÜbersetzers gesprochen. »Der wahre Übersetzer muss in derTat der Künstler selber sein, und die Idee des Ganzen beliebigso oder so geben können. Er muss der Dichter des Dichterssein«, heißt es bei ihm. Eine Dichterin zahlreicher Dichter istMarianne Schneider. Ihre Übersetzungen bieten einen Quer-schnitt durch die italienische Literaturgeschichte und reichen

(von links) Sigrid Vagt, Bernd Neumann, Marianne Schneider,Esther Hansen. Foto (c) Bundesregierung/Steins

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von Jacopo Pontorno über Leonardo da Vinci bis zu Leopardiund Carlo Collodi, umfassen von der Neoavantgarde mitGiorgio Manganelli über Alberto Vigevani auch zahlreichewichtige Vertreter der Gegenwartsliteratur wie Meneghellound Gianni Celati. Dabei gibt sie dem vertrackten Manganellimit seinen labyrinthischen Satzgebilden ebenso einen Ton wiedem impressionistischen Vigevani oder dem verschmitztenCelati.

Mit großem musikalischem Gespür hat Marianne Schnei-der die mäandernden Satzketten Alberto Vigevanis in ein me-lodiöses Deutsch übertragen. Bis in die Feinstruktur der Prosafängt sie die melancholisch-schwebende Stimmung ein, die inder Pubertätsgeschichte »Sommer am See« herrscht und fin-det Entsprechungen für bildhafte Ausdrücke. Das Seelenlebendes heranwachsenden Jungen lagert sich immer wieder in Ge-rüchen, Geschmäckern und wechselnden Lichtverhältnissenab, und das wird auch im Deutschen vermittelt. Es »zerstreuteeine festliche Sonne die noch durchsichtigen Schatten« heißtes bei Marianne Schneider an einer Stelle, und eine anderelautet: »zarte Lichter streichelten die Gärten«. Genauso subtilwie bei Vigevani erfährt die gesamte Umgebung eine eroti-sche Aufladung. Eine ähnliche atmosphärische Dichte entfal-ten die Erzählungen »Ende der Sonntage« und »Brief an HerrnAlzheryan«. Wieder zeigt Schneider, wie sie sich Tonfall, Satz-rhythmus und die elegische Stillage anverwandelt.

Ähnlich wie die Gamuna – ein mysteriöses afrikanischesVolk, mit dem sich Gianni Celati in seinem von MarianneSchneider übersetzten Roman Fata Morgana beschäftigt – ver-fügt Marianne Schneider über ein ausgeprägtes Rhythmus-gefühl. Die Sprache der Gamuna besteht nämlich aus Tönenmit Tempoverschiebungen. Morgens verständigen sich dieGamuna in einem rasanten Allegro, am Nachmittag gleiten siein ein gemäßigtes Andante und nach Sonnenuntergang sindsie nur noch zu einem Adagio in der Lage. So findet auch Ma-rianne Schneider für jeden ihrer Schriftsteller das angemesse-ne Tempo. Ihre Übersetzungen sind Spracherlebnisse. In FataMorgana bildet sie den mündlichen Erzählstil ebenso überzeu-gend nach wie die nüchterne Logbuchprosa. Da ist die Redevom »bleischweren Zauber der Erde«, der alles nach untenzieht, auch die Gedanken. Oder von den »heilkräftigen Plaude-reien«, ritualisierten nächtlichen Gesprächen, eine Art Hygie-nemaßnahme gegen übermäßige Schwermut, die man sofortimportieren möchte. Eine ansteckende Frische besitzt Schnei-ders Übertragung von Gianni Celatis Episoden-Roman Was fürein Leben! Sowohl die wörtliche Rede als auch die theoreti-schen Ergüsse der Jugendfreunde, die durch eine italienischeKleinstadt der Nachkriegszeit stromern, sind lebendig und leb-haft. »Was für ein Leben! Wie viele Jahre geredet und geredet!Wie viele Wörter in den Wind gesprochen! Wie viele Büchergelesen und vergessen! Und dann die Labyrinthe der Liebe!«,seufzt der Erzähler mit selbstironischer Inbrunst auf, um danngleich wieder seitenlang den Wörtern zu frönen.

Für die vielen Labyrinthe der Übersetzungen und die un-zähligen Wörter, die nicht in den Wind gesprochen wurden,sondern wohlbehalten in Büchern gelandet sind, verleihen wirMarianne Schneider den Preis für das Lebenswerk.

Spracherziehung bewerkstelligen

Zum Schluss möchte ich noch einmal Wilhelm von Humboldtbemühen, bei dem es heißt: »Übersetzungen sind doch mehrArbeiten, welche den Zustand der Sprache zu einem gegebe-nen Zeitpunkt wie an einem bleibenden Maßstab prüfen, be-stimmen und auf ihn einwirken sollen«. Das Einwirken auf dieSprache kann bei einem Genre wie dem Kriminalroman be-sonders gut gelingen, weil Krimis eine große Leserschaft errei-chen und zu den erfolgreichsten kulturellen ExportproduktenItaliens gehören. Hier ließe sich leicht so etwas wie Spracher-ziehung bewerkstelligen. Gerade in diesem Bereich wäre esnotwendig, auf sorgfältige Übersetzungen zu achten. EstherHansens Übertragung von Marcello Fois historischem Roman

Sardische Vendetta, die wir mit dem Förderpreis auszeichnen,ist dafür ein herausragendes Beispiel. Esther Hansen meistertnicht nur die Herausforderung der dialektalen Elemente, son-dern bildet die verschiedenen Stilebenen und Figurenredeneinfallsreich nach. Angefangen von der Bürokraten-Spracheüber das sardisch-lateinische Gemisch des Priesters bis zumJargon der Kriegsberichterstattung und dem Soziolekt des Er-zählers findet sie für alles eine Entsprechung.

Alle drei Preisträgerinnen sind zu leidenschaftlichen Kom-plizen der Texte und damit der italienischen Kultur geworden.

Pawel Huelle

MEINE FREUNDIN, DIE SCHWÄBINDedecius-Preis an Renate Schmidgall 22. Mai 2009

Ich erinnere mich an den Tag, als ob es gestern gewesenwäre, obwohl mir das konkrete Datum nicht mehr im Ge-dächtnis ist. In meiner Wohnung in der ulica Chrzanowskiegoklingelte das Telefon, und eine Frauenstimme – mit einem ein-deutig deutschen Akzent – fragte mich, was ich zu einer Über-setzung des Romans »Weiser Dawidek« sagen würde. Die un-bekannte Dame erkundigte sich vorsichtig, ob ich vielleichtschon mit jemandem darüber gesprochen hätte. Nein, dashatte ich nicht. Und überhaupt war ich sehr überrascht. Alsolud ich meine Gesprächspartnerin gleich ein und erklärte ihr,wie sie von der Straßenbahnhaltestelle oder der S-Bahn zuder richtigen Adresse finden würde. Und schon hatte ich einProblem. Häuslicher Art. Es waren die achtziger Jahre und esgab nicht viel zu essen. Die Wohnung war eng und voller Ge-rümpel. Mit einem Wort: die typischen Lebensbedingungen ei-nes Intellektuellen, als der Kommunismus in Polen sich sei-nem Ende näherte. Die scheinbar kleinen, aber doch heiklenProbleme wurden immer größer: Wie sollten wir unter solchbescheidenen Bedingungen einen Gast aus Deutschland emp-fangen? Ich lebte damals mit meiner Frau Anna und meinemSohn Julek in einem 15 Quadratmeter großen Zimmer – mansagte damals: ›bei den Eltern‹. Berge von Büchern, Schlaf-couch, Kinderbett, ein mit Papieren übersäter Schreibtisch;eine unbeschreibliche Enge. Nicht gerade vornehm, gelindegesagt. Daher der Stress: Was wird sie wohl über uns denken?

Die Chemie stimmte

Ich weiß nicht, was sie gedacht hat. Doch schon im erstenMoment unserer Bekanntschaft stellte sich heraus, dass sieeine sehr feinfühlige Person ist, die sich in der Realität unse-res Daseins im Kommunismus sehr gut auskannte. Und nochbesser in der polnischen und europäischen Literatur. Sie wareinfach phantastisch; man wollte mit ihr reden und sich aus-tauschen. Überhaupt nicht der Typ der intellektuellen Lang-weilerin. Dabei hatte sie die Gabe, aufmerksam und konzen-triert zuhören zu können.

Das war also unser erster Kontakt: in der ulica BernardaChrzanowskiego in Wrzeszcz, der früheren Hubertusburger-allee im ehemaligen Langfuhr, einem bis in die siebziger Jahrehalb-dörflichen Stadtteil Danzigs.

Etwas später konnte ich sehen, wie Renate Schmidgall ar-beitet. Sie war ungewöhnlich genau und gründlich. Sie machteeine Menge Fotos von den im Roman beschriebenen Orten,die ich ihr zeigte. Wir waren an der Strzyza, bei dem Tunnel, indem Weiser verschwunden ist, an der Kaserne der preußi-schen Husaren. Auch im Viertel von Günter Grass, im ehema-ligen Labesweg, wo jetzt ein Denkmal steht – eine Bank mitdem kleinen Oskar. Doch natürlich sprachen wir nicht nurüber den Roman, den sie übersetzen sollte. Wir erzählten unsgegenseitig Geschichten aus unserer Kindheit, aus der Schul-und Jugendzeit, von unseren Eltern und Großeltern. Es stelltesich heraus, dass wir vieles gemeinsam hatten, was die politi-

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schen Ansichten, die Gesellschaft und die damalige AufteilungEuropas anging. Renate gehört einem Jahrgang an, der kurznach der revoltierenden Generation von 1968 kam, dochgrundsätzlich teilte sie deren kritische Haltung, die Toleranzund die Offenheit dem Osten gegenüber. Ich gehöre zu derGeneration in Polen, die an der Bewegung der Solidarnosc ak-tiv teilgenommen hat. Die Chemie zwischen uns stimmte also.

Sieht besser aus als auf Polnisch

Als ich die deutschen Belegexemplare von »Weiser Dawidek«erhielt, schenkte ich eins davon meinem Vater. Er schwieg einpaar Wochen, doch schließlich sagte er halb im Scherz, halbernsthaft: »Ach weißt du, auf Deutsch sieht das wesentlichbesser aus als auf Polnisch.« Das war die erste Rezension vonRenates Arbeit, die ich hörte. Ich muss hinzufügen, dass ichmich sehr darüber freute. Eine Übersetzung ist immer ein›Nochmalneuschreiben‹, bei dem nicht nur die Treue zum Ori-ginal zählt, sondern auch der sprachliche Erfindungsgeist desÜbersetzers. Das literarische Talent an sich sozusagen. Mit ih-ren Übersetzungen von Gombrowicz, Kusniewicz, Stasiuk hatRenate Schmidgall dieses Talent vielfach in hervorragenderWeise bewiesen. Ihre Kenntnis des Polnischen, mit all seinenNuancen, Redewendungen und seiner sich veränderndenLexik, ist außergewöhnlich. Wenn wir dazu ihre enormeLiteraturkenntnis und Sensibilität nehmen – was bliebe danoch zu loben? Die beachtliche Liste der übersetzten Bücher,Artikel, Gedichte. Leidenschaft, Fleiß, Geduld. Verständnis.Aber vor allem – und das möchte ich unterstreichen – dieLiebe zur Literatur.

Unsere beruflichen Kontakte führten zu vielen Treffen; un-terwegs zu Autorenlesungen in Deutschland, aber auch in Po-len, besonders in Danzig. Ich weiß nicht, ob Du Dich noch er-innern kannst, liebe Renate; der Spätsommer in Jelitkowo, alsDeine Tochter Vera mir – dem für Fremdsprachen völlig Unbe-gabten – deutsche Wörter beibrachte, die wir am Strand inden Sand schrieben. Dies ist für mich eine der liebsten Erinne-rungen aus all den Jahren und den – ich zögere nicht, es soauszudrücken – gemeinsamen Büchern.

Karl Dedecius’ humanistische Herausforderung

Der Karl-Dedecius-Preis hat eine ganz besondere Dimension.Heute, da das freie Polen und das vereinte Deutschland Part-ner in der Europäischen Union sind, lohnt es, all die mühsa-men und schwierigen Nachkriegsjahre in Erinnerung zu rufen,in denen uns oft die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ab-handen kam. Karl Dedecius, der auf dem scheinbar unwesent-lichen Feld der Literatur arbeitete, schien diese Hoffnung niezu verlieren. Er war einer der Pioniere, der die neuen Pfadedes deutsch-polnischen Dialogs markierte. Eines sehr schwie-rigen Dialogs aufgrund der damaligen Teilung Europas und destragischen, düsteren und nihilistischen Vermächtnisses desKrieges.

Renate Schmidgall gehört zu der Generation von deut-schen Übersetzern und Schriftstellern, die in den 1980er Jah-ren Karl Dedecius’ humanistische Herausforderung angenom-men hat. Diese Generation hat den Deutschen die interessan-testen und wichtigsten Erscheinungen der polnischen Litera-tur in all ihrem Reichtum und in ihrer Vielfalt übermittelt. Esist gleichzeitig die Rolle des Botschafters, des Vermittlers unddes Fremdenführers. Man kann sie nicht genug schätzen. Wieleicht wird sie unterschätzt. Im Trubel der politischen Ereignis-se und im Medienrummel erscheint die Literatur oft wennnicht hilflos, so doch wenig präsent unter den brandaktuellenThemen des Tages. Doch die Arbeit des Übersetzers, so wiedie des Schriftstellers, ist auf längere Dauer angelegt. Es istzwar ein leiser, aber ununterbrochener Dialog mit dem Einzel-nen, mit dem Leser, mit seiner Sensibilität und mit seinem su-chenden Geist.

Genauso versteht und praktiziert Renate Schmidgall ihre

Berufung, die heute mit diesem hohen Preis ausgezeichnetwird. Diese Berufung hat – meiner Ansicht nach – etwas vonder Tradition Hermann Hesses. Der Autor des »Glasperlen-spiels« hat uns – den Kindern des 20. Jahrhunderts – klar ge-zeigt, dass die Literatur und die geistigen Werte nicht nur vonpolitischen Regimes, sondern vom Massenkitsch und von derDiktatur des Gewöhnlichen bedroht werden. Ich möchte da-mit sagen, dass Renate Schmidgall nicht nur – als Übersetze-rin – eine Verbündete der polnischen Literatur ist. Sie ist vorallem jemand, der einen tiefen und klaren Blick auf unsere eu-ropäische Wirklichkeit hat. Immer auf der Suche und immerkritisch. Frei von Dogmatismus, tolerant, aber auch unabhän-gig von momentaner Konjunktur. Umso mehr freue ich mich,dass der Karl-Dedecius-Preis Renate verliehen wird.

Ich weiß nicht, ob diejenigen, die darüber entschieden ha-ben, wissen, dass die diesjährige Preisträgerin auch die Auto-rin von Gedichten ist, die sie auf Polnisch geschrieben hat. Eshandelt sich nicht um Gedichte, die aus ihrer deutschen Mut-tersprache ins Polnische übersetzt wurden, sondern um sol-

che, die auf Polnisch geschrieben wurden. Scherzhaft könnteman sagen, das sei eine Auswirkung der Polonisierung. DochRenate Schmidgall ist keine polonisierte Deutsche. Sie ist eineDeutsche, die die polnische Sprache wählte, um einige wichti-ge emotionale Dinge lyrisch auszudrücken. Hat sie doch vieleandere, wunderschöne Gedichte geschrieben – auf Deutsch.Das Geheimnis der Sprache ist – besonders in der Poesie – einGeheimnis der tiefsten Gefühle, um die nur die Autorin weiß.Aber da ich schon das Thema angeschnitten habe…

Wissen Sie, wer Renate Schmidgall wirklich ist?Ich habe es erfahren, als mich Renate wieder mal besuch-

te, ich glaube es war das zweite Mal in Danzig. Da konnte ichnicht vor ihr verbergen, dass sie die Herzen meiner Eltern ge-wonnen hat. Besonders das meiner Mutter. Sie musste wäh-rend des Krieges bittere Erfahrungen machen. Nicht, dass sieden Deutschen gegenüber feindlich eingestellt gewesen wäre,aber sie hielt eine gewisse Distanz zu ihnen. Sie sagte zu mir:»Schau, eine Deutsche und doch so sympathisch.« Nun, davonerzählte ich Renate, worauf ich zu hören bekam: »Klar bin ichsympathisch, ich bin ja keine Deutsche, sondern Schwäbin...«

Der lieben Schwäbin danke ich für zwanzig Jahre Freund-schaft und gemeinsame Arbeit, für alle Erlebnisse, für die Brie-fe, für die glücklichen Momente und die Sorgen. Ich gratuliereDir zu diesem Preis, Renate. Mögen Dir die polnischen Schrift-steller noch viel Freude bringen und mögen Deine Gedichte –sowohl die auf Deutsch, als auch die auf Polnisch geschriebe-nen – hier in Krakau einen würdigen Verleger finden.

Übersetzung: Joanna Manc

von links: Dr. Kurt W. Liedtke (Kuratoriumsvorsitzender der Robert-Bosch-Stiftung), Renate Schmidgall, der zweite Preisträger RyszardWojnakowski, die Autorin Tanja Kinkel, der Autor Pawel Huelle undProf. Dr. Dieter Bingen (Direktor Deutsches Polen-Institut)

Foto © Pawel Mazur/Deutsches Polen-Institut

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6. WOLFENBÜTTELER GESPRÄCH

Tanja Handels

6. WOLFENBÜTTELER GESPRÄCH 2009

Es ist schon längst Tradition: Einmal im Jahr erfüllt das viel-fache Rattern von Rollkofferrädern auf Kopfsteinpflaster dasniedersächsische Städtchen Wolfenbüttel, und man malt sichgerne aus, dass sich die Anwohner denken: »Aha, da sind siewieder, die Literaturübersetzer.« Zum sechsten Mal fand dieJahrestagung, der schönste jährliche Fixpunkt im Übersetzer-kalender, diesmal vom 5. bis 7. Juni, dort statt, und Wolfen-büttel empfing uns so gastlich und freundlich wie eh und je.

Ehrengabe für Rosemarie Tietze und Gertraude Krueger

Nach fröhlichem Wiedersehen in der Kommisse eröffneteHinrich Schmidt-Henkel, der neue Vorsitzende des VdÜ, die Ta-gung mit seiner Begrüßung – und einer Überraschung: Zum er-sten Mal wurde zwei Kolleginnen die frisch geschaffene Eh-rengabe des VdÜ zuteil, die der Vorstand von nun an für be-sondere Verdienste um den Verband und das Übersetzen ver-leiht. Rosemarie Tietze erhielt die Ehrung, die aus einer

Dankesurkundesowie einemSachgeschenk be-steht, für dieGründung undden langjährigenVorsitz des Deut-schen Übersetzer-fonds und bekamdafür zwar keinenLorbeerkranz,aber doch einLorbeerbäumchenüberreicht. Ger-traude Krueger,die zehn Jahrelang mit großemEinsatz und Erfolgdie Jahrestagun-gen nicht nur inWolfenbüttel,

sondern zuvor auch in Bensberg mitorganisiert hat und sichmit der diesjährigen Tagung aus dem Organisationsteam ver-abschiedet, wurde ebenfalls geehrt – mit einem Sonnen-schirm, dessen kleiner, transportfreundlicher Platzhalter spä-ter noch in einen großen umgetauscht werden soll. Gertraude,die das Gesicht »unseres« Wolfenbüttels entscheidend mitge-prägt hat, sei auch hier noch einmal von Herzen gedankt fürdie vielen schönen Tagungen der letzten Jahre!

Zum konstruktiven Missbrauch der Übersetzung

Nach einem Grußwort der Stadt Wolfenbüttel, in diesem Jahrvertreten durch den Vorsitzenden des Vereins Kulturstadt e.V.,Professor Dr. Christoph Helm, erwartete uns die ebenfalls tra-ditionsreiche Freitagnachmittagsveranstaltung, die in diesemJahr aus zwei Teilen bestand. Zunächst stellte sich die neu ge-gründete Weltlesebühne vor, ein von der Robert Bosch Stif-tung geförderter Verein, zu dem sich Übersetzer aus mehre-ren Städten (derzeit sind es Berlin, Freiburg, Hamburg, Kölnund Zürich) zusammengeschlossen haben, um in Lesungenund Werkstattgesprächen Übersetzer und ihre Arbeit der Öf-fentlichkeit näher zu bringen. Dem folgte eine »thematischePlauderei« des großen Joyce-Kenners und Direktors der Zür-

cher James JoyceFoundation, FritzSenn, zum »Konstruk-tiven Missbrauch derÜbersetzung«. Senn,der sich selbst nichtals »Über-«, sondernals »Auseinander-setzer« bezeichnet,»missbrauchte« inseinem Vortrag Bei-spiele aus Joyce- undanderen Übersetzun-gen, um uns auf hin-reißend hellsichtigeund unterhaltsameWeise die Grenzenunseres Tuns aufzu-zeigen: all die vielenDinge, die beim Über-

setzen unter den Tisch fallen müssen, weil sie sich schlichtund einfach nicht übersetzen lassen. Manches Wortspiel seinicht bloß »schwierig«, sondern eben einfach unmöglich zuübersetzen, machte er uns in seiner selbstgewählten Eigen-schaft als »kalte Dusche vom Dienst« deutlich, beispielsweiseanhand seines Lieblings-pun, der Schlagzeile einer irischen Ta-geszeitung zum Monty-Python-Film Das Leben des Brian: »HeThat Is Without Sin, Stone The Cast First«.

Lesefest in der Mühle und Workshops

Derart ernüchtert und beschwingt, zog die Wolfenbütteler Ge-sellschaft zur abendlichen Stärkung an den stadteigenenSommerstrand »Laguna Beach«, der uns empfindlich mit demeinzigen Manko des Wochenendes in Kontakt brachte: dem sogar nicht frühsommerlichen, unwirtlichen, ja geradezu eisigenWetter. Am frühen Freitagabend konnte man dort Literatur-übersetzerInnen beobachten, die in alle verfügbaren Pullover,Jacken und Schals gemummelt unter Heizpilzen vor (!) demRestaurant saßen und sich unverdrossen gut gelaunt die be-reitgehaltenen Köstlichkeiten schmecken ließen. Später ginges weiter zum Lesefest in der Schünemann’schen Mühle, woauf vier Bühnen »Mein Lieblingsbuch«, »Allzu Menschliches«,»Poetisches« und Literarisches »Unter 18« vorgestellt wurde.Mitsamt der anschließenden Geselligkeit bei Wein, Grissiniund Mühlbachrauschen war die Vorstellung eigener Werkevon Kollegen für Kollegen auch in diesem Jahr der erste Höhe-punkt der Tagung, obwohl trotz schön gestalteter Plakate undFlyer wiederum praktisch keine Wolfenbütteler »Zivilisten« ge-sichtet wurden.

Gertraude Krueger erhält die Ehrengabe desVdÜ von Hinrich Schmidt-Henkel

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Rosemarie Tietze erhält die Ehrengabe desVdÜ von Hinrich Schmidt-Henkel

Die Weltlesebühne v.l.: Claudia Steinitz, Peter Klöss, Christian Hansen,Tobias Scheffel und Annette Kopetzki

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Der Samstaggehörte wie im-mer den Work-shops: Vom Flu-chen auf Spa-nisch und Italie-nisch über die in-tensive Ausein-andersetzung mitPartikeln und dieSchulung derSelbstwahr-nehmung als Un-ternehmer bishin zu Einblickenin das Arbeitsle-ben einesProfilers und An-leitungen zumentspannten Ar-beiten gab es

auch in diesem Jahr ein vielfältiges, buntes Angebot, das dieAuswahl gar nicht leicht machte. Erstmals war auch ein ganz-tägiger Workshop dabei: die Schreibwerkstatt von HelmutFrielinghaus, aus der nach einer theoretischen Einführung amVormittag in der Mittagspause einige bemerkenswerte Textezum Thema »Ein Morgen in Wolfenbüttel« entstanden, die amNachmittag vorgelesen und besprochen wurden – mit demFazit: Auch Übersetzer und Lektoren können schreiben, undzwar exzellent (im Anhang ist deshalb der Text von MirjamMadlung nachzulesen, der die WerkstattteilnehmerInnen be-sonders beeindruckt hat). Und: Jeder schreibt immer so, wieer oder sie schreiben muss – da braucht man sich gar nicht soviele Gedanken zu machen.

Notwendigkeit und Glück des Übersetzens

Nach der intensiven Arbeit des Tages gehörte der Samstag-abend dem wohlverdienten Feiern, das zunächst mit dem offi-ziellen Festakt begann: In der KuBa-Halle wurde der Hierony-mus-Ring feierlich von Susanne Lange, die ihn vor zwei Jahrenfür ihre Neuübersetzung des Don Quijote erhielt, an UlrichBlumenbach weitergegeben, als Auszeichnung für sein geradevollendetes opus magnum, der Übersetzung von David FosterWallace’ Infinite Jest (Unendlicher Spaß). Die Festreden beiderRingträger finden sich ebenfalls in diesem Heft. Nach dieseranrührenden Zeremonie verging der Abend unter Essen (dasBuffet war auch in diesem Jahr wieder ebenso reichhaltig wieköstlich), Trinken und intensiven Gesprächen, und zu spätererStunde tobten sich die Tanzwütigen unter den KollegInnen zur

kundigen Beschallung von DJ Steph Morris und DJane KatyDerbyshire (aka DJs Lang & Scheidt) bis in die frühen Morgen-stunden auf der Tanzfläche aus.

Trotz der zweiten langen Nacht in Folge fanden sich amSonntagmorgen alle zur großen Abschlussveranstaltung wie-der in der Kommisse ein: Ingo Schulze traf auf seine Überset-zer John E. Woods (Englisch) und Lídia Nádori (Ungarisch) und

unterhielt sich mit ihnen in einem von Susanne Höbel mode-rierten Werkstattgespräch über die Übersetzung seines Ro-mans Neue Leben. Die Problematik der Übersetzung von Dia-lekten (in diesem Fall Ost und West) kam ebenso zur Sprachewie das Übersetzen von Eigennamen oder das Thema Recher-che und Erklärungen für den fremdsprachigen Leser: Soll manin einen Roman, der bereits zahllose Fußnoten eines fiktivenHerausgebers enthält, noch weitere Fußnoten des Überset-zers einbauen? Ingo Schulze, der kürzlich im EuropäischenÜbersetzerkollegium Straelen eine Übersetzerwerkstatt zuseinem neuen Buch Adam und Evelyn mit Übersetzern in 17Sprachen abgehalten hat, bewies große Wertschätzung fürseine Übersetzer (wobei er sympathisch-ironisch konstatierte,die Steigerung von »Besserwisser« sei eindeutig »Überset-zer«): »Als Autor braucht man die Übersetzer, weil sie so vielmerken. Eigentlich müsste ein Buch immer erst übersetztwerden, bevor es auf Deutsch erscheint.«

Nach diesem wunderbaren Abschluss einer rundum gelun-genen Tagung machten sich die Literaturübersetzer wiederrollkofferratternd auf den Heimweg und verließen Wolfen-büttel bis zur Rückkehr im nächsten Jahr. Fritz Senn hatte unsam Freitagnachmittag mit der Feststellung in den Abend ent-lassen, die Welt sei nicht geschaffen worden, um Übersetzerglücklich zu machen. Nun, die Welt vielleicht nicht – aberWolfenbüttel schon!

Lesefest Lieblingsbuch v.h.l.: Tobias Scheffel,Eike Schönfeld, Bettina Abarbanell, Isabel Bog-dan, Karen Nölle

Lesefest Lyrik v.l.: Burkhard Kroeber, Susanne Höbel, Reinhard Streit,Annette Kopetzki, Helmut Frielinghaus und Eva Profousová

Fritz Senn mit Teilnehmern des Workshops Romananfänge

v.l. John E. Woods, Lídia Nádori, Ingo Schulze und Susanne HöbelFoto Fritz Senn

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mirjam madlung

wolfenbüttel, morgen, heute

morgen

werde haben schlecht geträumt. habe schlecht geträumt.ich ging ins gericht, mit mir, ins eine, dann ins anderegericht. war der bote, der büttel. bei mir ein häscher, ohnegesicht. wir, ich und ich, trugen nachrichten her undnachrichten hin, sie wurden uns unterwegs zu befehlen.gehorchen soll ich, der büttel, dem wolf.ich weiß zu wenig über wölfe.

heute

schafskälte – ziegensommer – affenhitze – hundstage –katzenjammer – wolfenbüttel.wo der büttel, wo der wolf.und wohin führen die notate: von der kommisse gleichzum sultan.auf dem weg dorthin ein august, hoch, neben seinempferd am wasser. alt scheint er nicht geworden. geducktunters fachwerk – da, ein bodentier. schnürt auf mich zu,klein, gedrungen, auf menschlichen beinen – und ziehtvorbei. es war ein ordnungshüter, bemützt und verlegen.am frühen morgen gibts noch nichts zu sagen und nichtszu hüten. die symbole sind unter kontrolle. keiner trägteine weiße mütze zum zeichen der trauer.ich finde trost auf dem stadtmarkt.wolfenbüttel ist ein annehmliches gesamtkunstwerk.man halte hier inne.

der sultan spricht kein deutsch. er kommt von weit her,aus dem osten, und lebt erst seit zwanzig jahren hier. seingesicht ist weich und buttrig, ein leichter unterbiss, diewangen kindlich rosig, er lächelt sanft und setzt sichdurch. sein gefährte ein deutscher, auch er über sechzig,erledigt das frühstück und besteht auf ordnung. jeder ge-deckte platz gehört zu einer zimmernummer. man sollnicht tauschen und nicht wandern. der chef kommt gleich,sagt er zu neuen gästen, stellt sich an die treppe und ruftlaut, erstaunlich laut, SULTAN ins dunkle hinauf, und vonweit her kommt gedämpft, wie von kissen gedämpft, dieantwort JA JA. sauber riecht es in den zimmern, nach ei-ner extraportion waschmittel von aldi.

hier. jetzt

es geht nicht los. ein erster satz muss nicht der erste sein.es sterben andere leute. manche machen sich auchnotizen. wenn die sprache übergeht – wohin. in eine inne-re haltung. dichter haben das herz mit irgendetwas voll,dann fließt die feder ihnen über.

der schriftsteller bedarf der pflege.

ein ungesungenes leben ist ein nicht gelebtes leben ist eintotes leben ist ein nicht. schläft kein lied in diesen dingen.wie kommt man in sein skelett hinein, wir drücken unsgerne aus in klischees und nutzen die syntax.

wer erzählt hier eigentlich. ist das ich, dann könnte wasdraus werden.

ich weiß zu wenig über wölfe.

am ende bedenken: dies sei erst der anfang.

Susanne Lange

REDE ZUR ÜBERGABE DES HIERONYMUS-RINGSAN ULRICH BLUMENBACH6. Juni 2009 in Wolfenbüttel

Wenn ich mich recht erinnere, waren wir vor zwei Jahren beiden Löwen stehengeblieben. Beim Löwen des Hieronymus,der dem Übersetzerpatron zahm zu Füßen liegt, und beim Lö-wen des Don Quijote, der dem Ritter weniger zahm als trägeden Hintern zuwendet und der auch mit den besten Wortennicht mehr aus seinem Käfig zu locken ist.

Nun gilt es, einen gewaltigen Sprung zu tun: Vom goldenenZeitalter des Don Quijote bis ins 21. Jahrhundert des DavidFoster Wallace. Aber der Löwe kann ja bekanntlich sehr weitspringen. Nun hat Ulrich Blumenbach als neuer Löwenbändi-ger ein besonders gewichtiges Raubtier herausgefordert, des-sen Sprungweite sich nicht mehr bemessen läßt, denn es

nennt sich »Unendlicher Spaß«. Ich habe schon einen winzi-gen Vorgeschmack auf die Unendlichkeit bekommen – ein Pri-vileg, das der Hieronymus-Ring mit sich bringt –, so daß ichum den langen Kampf weiß, den Ulrich Blumenbach in denletzten Jahren geführt hat. Als erprobte Marathonkämpferinkann ich mich gut in ihn hineinversetzen, auch wenn dieWindmühlen und Ritterrüstungen bei Wallace zu einem Schar-mützel mit den ausgefallensten Wörtern, mit Produktnamenoder Fachbegriffen geworden sind.

Wie bändigt man so einen Löwen? Gewiß nicht wie beiMonty Python, wo ein angehender Bändiger – ehemals Buch-halter – glaubt, ein Hut mit der Aufschrift Löwenbändiger rei-che dazu aus. Am Ende stellt sich heraus, daß er gar keinenrichtigen Löwen, sondern einen Ameisenlöwen im Sinn hatteund dann doch lieber bei der Buchhalterei bleibt. Beim Über-setzen ist es genau umgekehrt: Manch Leser denkt vielleicht,den Weg von einer Sprache in die andere zu finden sei keingrößeres Kunststück, als mit einem Ameisenlöwen fertigzu-werden, während man es in Wirklichkeit mit dem wildestenaller Raubtiere zu tun hat. Und selbst wenn die Größe der Her-ausforderung und der Löwenmut des Übersetzers gewürdigtwerden, kommt als Schwierigkeit hinzu, daß er den Eindruckerwecken muß, der Löwe sei gar nicht gebändigt, sondernnoch so wild wie in der Savanne seiner Herkunft.

Die letzten Wehen eines Universalgeistes

Für eine solche Aufgabe hat es bestimmt nicht geschadet,daß sich Ulrich Blumenbach in früher Jugend mit Karate-training auf den Nahkampf mit den Wörtern vorbereitet hat,der einem im Fall von Wallace auch physisch einiges abfor-dert. Ebenso war das Verbalkarate, in dem er sich bei seinenersten Übersetzerschritten anhand von Passagen aus»Finnegan’s Wake« üben konnte, zweifellos eine solide Grund-

Susanne Langeund UlrichBlumenbachFoto Fritz Senn

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lage. Doch in erster Linie zählt hier diese Wortbesessenheit,die auch den Erzähler im »Don Quijote« umtreibt, der leiden-schaftlich alles liest, was er finden kann, selbst die Papierfet-zen auf dem Boden.

Die Papierfetzen auf dem Pflaster, die Werbung an denWänden, der Slang auf der Straße, Fachbegriffe aus denfernsten Bereichen, all dies ist für Ulrich Blumenbach das Ma-terial, aus dem er in seiner Übersetzerwerkstatt etwa Wort-spiele oder den schnoddrig-natürlichen Ton der Figuren drech-selt. Daß er sich außerdem auf der Jagd nach Wörtern gern inden verschiedensten Fachgebieten tummelt, war für die Über-setzung von Wallace gewiß ein unschätzbarer Vorteil, ebenso,daß die Wörterbücher zu seinen Lieblingslektüren zählen.

Wenige sind so divers und abseitig gebildet wie die Über-setzer. Es ist herrlich, was für eine Unmenge an überflüssigemWissen man dabei ansammeln kann – das geht von der Ento-mologie bis zur Phrenologie, von den obskuren bis zu den ex-akten Wissenschaften –, und somit darf man als Übersetzernoch die letzten Wehen eines Universalgeistes erahnen (auchwenn vieles davon wieder in der Schatzkammer des Gedächt-nisses versinkt). Bei Wallace konnte Ulrich Blumenbach diesenweltumfassenden, enzyklopädischen Drang nach Herzenslust– und manchmal vielleicht auch mit einer Spur Herzensqual –ausleben. Ob es um Mathematik, Tennis, Werbeslogans, Dro-gen, Medien, Psychotherapie, Pharmakologie oder Medizingeht, immer muß der richtige Begriff zur Hand sein und viel-leicht sogar noch in ein Wortspiel umgeschmolzen werden.Und dazu kommt die Vielstimmigkeit des Romanpersonals.Auch hier läßt sich ein Bogen vom »Don Quijote«, als einemder ersten polyphonen Romane überhaupt, in die Gegenwartschlagen: Wie bei Cervantes redet bei Wallace jeder, wie ihmder Schnabel gewachsen ist, und bevorzugt vollbringt er dabeiunzählige Fehlleistungen, die der Übersetzer ebenfalls in Fehl-leistungen übertragen muß. Eine vertrackte Aufgabe, denn esgilt, sich Slang und Dialekte zu erfinden und die Figuren hol-pern und stocken zu lassen, wo sie es im Original tun. AuchWortkrempeler, Zungendrescher und froschgoschige Schwatz-mäuler, wie es Johann Fischart vor gut vierhundert Jahren ge-nannt hätte, kommen hier also zum Zug. Und der Erzählerklammert sich ebenso fest ans Wort, so daß er eine Aversiongegen das Satzende zu haben scheint und sich in immerausladenderen Perioden ergeht – bekanntlich eine Herausfor-derung für die deutsche Satzstruktur, der sich Ulrich Blumen-bach beherzt stellt. Hätte ich versucht, meine Sätze hier inden Wallace-Stil umzuwandeln, wären wir jetzt vermutlichnoch beim Anfangssatz und bei den Löwen und wären nie beiden Fischen angekommen, zu denen ich jetzt übergehenmöchte.

Was zum Teufel ist Wasser?

David Foster Wallace hat einmal eine berühmt gewordeneRede vor Studenten des Kenyon College gehalten, mit der ersie auf den Ernst des Lebens vorbereiten wollte und die er mitfolgender Geschichte beginnt:

»Schwimmen zwei junge Fische daher und treffen auf ei-nen älteren Fisch, der ihnen entgegenschwimmt, zunickt undsagt: »Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?« Die beidenJungfische schwimmen ein Weilchen weiter, bis der eineschließlich zum andern sieht und sagt: »Was zum Teufel istWasser?««

Während die Geschichte Wallace dazu dient, über das Be-wußtsein der allgegenwärtigen, kleinen, oft als trivial oder ba-nal empfundenen Realitäten zu reden, die man oft am schwer-sten erkennt, weil man ständig steuerlos in ihnen treibt,scheint sie mir äußerst geeignet zu sein, die verschiedenenAnforderungen deutlich zu machen, mit denen es ein Überset-zer zu tun hat. Manche Werke verlangen es, daß man sichdem Fluß der Sprache hingibt, sich in ihnen treiben lassenkann und auch der Übersetzer den Leser vergessen macht,daß er im Medium übersetzter Worte schwimmt, ihm sozusa-

gen den Eindruck vermittelt, daß er trockenen Fußes ans an-dere Ufer gelangt. Eine schwierige Aufgabe, bei der die Wel-lenbewegung, der Rhythmus, exakt wiedergegeben werdenmüssen. Aber es gibt andere Werke, bei denen sich das Medi-um in den Vordergrund schiebt, sich immer wieder auffälligbemerkbar macht. Da hat man es mit Schlag- und Spring-wellen zu tun, und immer wieder spritzt einem die Wörter-gischt um die Nase. Ein Platzregen von Wörtern geht über ei-nem nieder, eine Art Partikelschauer, mit anderen Worten: derLeser wird naß – von allen Seiten. Und er muß naß werden,denn sonst würde ihm das Wesentliche des Werkes entgehen.

Schalks=Esperanto des Unterbewußtseins

Auch Wallace ist ein Autor, bei dem einem immer wieder dieWortoberfläche ins Bewußtsein gerückt wird. Das an sichselbstverständliche Medium der täglichen Kommunikationüberschlägt sich auf einmal wie heranrollende Brecher; immerwieder wird da das Wasser aufgewühlt, so daß kein Fischmehr behaupten kann, er wisse nicht, was das sei. UlrichBlumenbach hat sich auf dieses Gewoge bestens vorbereitet,indem er sich schon zu Beginn seiner Übersetzerlaufbahn be-vorzugt mit Sprachjongleuren wie Joyce, Thomas Pynchonoder Arno Schmidt auseinandergesetzt, selbst die erstenSchwimmübungen also in aufgewühlter See absolviert hat.Dazu gehört es, daß man das Wort niemals als selbstverständ-lich gegeben ansieht, sondern aus den verschiedensten Per-spektiven betrachtet, mit der Lupe und mit dem Fernrohr. In»Zettels Traum«, wo Arno Schmidt ein Alter ego mit einemEhepaar, das gerade Edgar Allan Poe übersetzt, durch die Hei-de spazieren läßt, wird die harmlose Fangfrage gestellt:»<Was Worte sind, wißt ihr - ?>/« Und er fährt fort, »(sie nick-ten schnell:!) / (Glückliches Völkchen; mir wars nicht ganzklar).« Mit diesem Nicht-Wissen um die Worte muß man sichauch bei Wallace konfrontieren. In jedem Wort schwingt näm-lich, wie Arno Schmidt meint, etwas mit, was er das »Schalks=Esperanto« des Unterbewußtseins nennt, das z.B. »Wort=Ver-wandtheiten ausnützt, um mehrere Bedeutungen gleichzeitigwiederzugeben«. All dies bringt also die Wasseroberflächezum Brodeln und will bei einem Autor wie David FosterWallace mitübersetzt werden – eine Strömung, die man bis zuCervantes zurückverfolgen kann, bei dem die Sprache immerwieder Kapriolen schlägt, dem Sprecher selbst in den Rückenfällt, mal in einem rauschenden Hofkleid mit Schleppe daher-kommt, manchmal auf einem bockenden Esel und sich nebenRitter und Knappen als dritter Protagonist behaupten kann.

So ein Bogen über vierhundert Jahre ist natürlich weit ge-spannt, aber seine Rundung wird solide gestützt vom Hierony-mus-Ring, den ich nun an Ulrich Blumenbach weitergebe.

Da ich selbst Don Quijote und Sancho Panza nach den fastsechs Jahren gemeinsamen Weges sehr vermisse, kann ichmir vorstellen, wie es Ulrich Blumenbach nun geht, da er sichallmählich vom »Infinite Jest«, vom »Unendlichen Spaß«, lösenmuß. Aber trotz der schwer zu bändigenden Löwen und Wel-len bin ich überzeugt, daß das Wortgetümmel genau das fürihn war: ein unendlicher Spaß.

Ulrich Blumenbach

VOM GLÜCK DES ÜBERSETZENSDankesrede zum Empfang des Hieronymusrings6. Juni 2009 in Wolfenbüttel

Hieronymus, der Schutzpatron der Übersetzer, wird von Al-brecht Dürer bekanntlich mit einem Löwen dargestellt, der,von der Frömmigkeit des Kirchenvaters angesteckt, friedlichin dessen Gehäus liegt und neben einem Hündchen schläft.Vielleicht dürfen wir Übersetzer im Vollgefühl unserer inter-kulturellen Unentbehrlichkeit aber auch annehmen, dass sich

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die Friedfertigkeit des Raubtiers dem zivilisierenden Einflussdes literarischen Wortes verdankt. In einer späten Wiederge-burt bekommt der Löwe es jedenfalls mit der SchweizerKinderbuchfigur Globi zu tun. Wenn ich die dazugehörige Ge-schichte meinem Sohn vorlese, fällt mir immer eine Stelle ausCervantes’ Don Quijote ein, auf die Susanne Lange in ihrerDankesrede zu sprechen kam, als sie vor zwei Jahren denHieronymusring erhielt und die Sie hier auf einer Illustrationvon Gustave Doré sehen:

Don Quijote begegnet einem Wagen mit einem Löwen, willgegen ihn kämpfen und zwingt die Löwenwärter mit seinerLanze dazu, die Käfigtüren zu öffnen. Der Löwe streckt demRitter von der traurigen Gestalt aber nur das Hinterteil entge-gen und bleibt im Käfig. Auf der vierhundertjährigen Reise ausSpanien in die Schweiz ist aus der Lanze eine Colaflasche ge-worden, und die Unheil abwehrende Geste hat das Subjektgewechselt: Nicht der Löwe streckt mehr dem Ritter verächt-lich den Hintern entgegen, sondern Globi schlägt den Königder Tierwelt mit einem respektlosen Rülpsen in die Flucht.

Herz- und hirnerweiternde Weltausdehnung

Zu David Foster Wallace und seinem Roman Infinite Jest bringtmich nun nicht der Löwe, sondern die Colaflasche: Der Pepsi-Konzern bewarb sein Produkt im Jahr 1984 mit dem SloganThe Choice of a New Generation. Dieser Slogan taucht in Infi-nite Jest, der neben vielem anderen auch die Satire auf einenvöllig entfesselten Kapitalismus ist, verballhornt auf als TheChoice of a Nude Generation. Aus der neuen Generation isteine nackte geworden, und nackt ist sie, weil sie ihre Spracheverloren hat, weil sie in einer Gesellschaft lebt, deren »Poten-tial für Phantasie, für Sprache und eigenständiges Denken Tagfür Tag ausgezehrt wird«, wie Zadie Smith vor einemDreivierteljahr anlässlich von Wallace’ Tod schrieb. »Die Gren-zen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt«,heißt es bekanntlich bei Ludwig Wittgenstein, und wenn ichnicht gerade Infinite Jest übersetze, fühle ich mich oft genugwie der Jedi-Ritter Luke Skywalker, Prinzessin Leia Organa undder schlitzohrige Raumschiffpilot Han Solo, die sich in demScience-Fiction-Film Star Wars plötzlich im Müllschlucker desTodessterns wiederfinden: Durch die massenmediale Sprach-verhunzung, das Ramschdeutsch im Internet und den all-abendlich aus der Glotze quellenden Worthülsenfruchtsalatbekam ich förmlich Platzangst, denn ich hatte den Eindruck,von allen Seiten kämen die Wände meiner Sprache und mitWittgenstein damit eben auch die Grenzen meiner Welt aufmich zu. David Foster Wallace ist für mich der Han Solo der Li-teratur. Er bringt eine »Allergie gegen die einschränkendenRealitäten der Gegenwart« mit, wie es im Unendlichen Spaßeinmal heißt. Er stemmt sich gegen die Beklemmungen vonSchlagwort und Klischee. Sein Roman stellt eine neue und

kaum fassbare Ausweitung der Literatursprache dar, dennWallace zündet im Müllschlucker des Todessterns eine Super-Nova, die den Raum der Sprache »herz- und hirnerweiternd«(Zadie Smith) ausdehnt. Die Genauigkeit seines Stils ist keinselbstverliebtes, über Verständnisleichen gehendes öffentli-ches Schwierigtun, sondern dient der Welterweiterung, dennjeder Fachbegriff und jedes zusätzlich nuancierende Adjektiverlauben Einblicke in neue Universen.

Dellen in die Wände des Müllschluckers gehämmert

Ich möchte noch einen weiteren Lieblingsfilm zitieren: InRidley Scotts Blade Runner gibt es eine Szene, da sitzt RoyBatty, der letzte Replikant, im strömenden Regen auf einemHochhausdach, hebt zu seinen letzten Worten an und sagt:»I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships onfire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in thedark near the Tannhäuser Gate.« – »Ich habe Dinge gesehen,die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schif-fe, die brannten draußen vor der Schulter des Orion. Und ichhabe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkel nahe demTannhäusertor.« Ähnlich kann ich – mit nur wenig Übertrei-bung – nach Abschluss vom Unendlichen Spaß sagen: Ichhabe in Infinite Jest Sachen gesehen, die mir selbst erfahreneÜbersetzer kaum glauben würden. Ich habe labyrinthisch ge-wundene Sätze gelesen, die Thomas Mann oder Marcel Proustals kurzatmige Asthmatiker dastehen lassen. Ich habe in die-ser Schatzkiste Wörter gefunden, die ich wahrscheinlich imganzen Leben nicht noch einmal lesen werde, und ich habe

sie gelegentlich durchWörter ersetzen können,deren Gebrauch im Deut-schen Wörterbuch letzt-mals für das Jahr 1702 be-legt ist wie bei»unrüchtig« oder die beiden Brüdern Grimm garkeinen eigenen Eintrag be-kommen haben wie»Schallern« (ein Helm des15. Jahrhunderts). Ichhabe gesehen, wieWallace aus Münzenlängst abgelöster Sprach-währungen wieder gültigeZahlungsmittel macht. Ichhabe Wörter wie»Halluzinogenivore« (alsoetwa ›Rauschgiftesser‹)oder »thalassofiziert« (›inMeer verwandelt‹) erfun-den, weil Wortneu-schöpfungen zu Wallace’stilistischen Merkmalengehören, und ich habe da-

mit selber ein paar Dellen in die Wände des Müllschluckersgehämmert und die Sprach- und Wortbildungsmöglichkeitendes Deutschen auszuloten und zu erweitern versucht. Ichhabe bei Wallace vorsprachliche Gewissheiten ausformuliertgefunden, eine Überführung von Selbstverständlichkeiten inVerständlichkeiten, wie sie die Phänomenologie betreibt; dieWahrnehmung etwa, dass Männer dann Haare auf dem Rük-ken bekommen, wenn der Haaransatz über der Stirn zurück-geht. Oder: »Marathe gehörte zu den wenigen Menschen, diedanach nicht den Inhalt des Taschentuchs inspizieren.«

Was ich in Infinite Jest nicht angetroffen habe, ist einauktorialer Erzähler, dieses allseits beliebte brandheiße Kabelvom Nabel der Fabel. An seine Stelle tritt eine Vielzahl von Fi-guren, deren persönlichen Sprachgebrauch Wallace liebevollauspinselt. Ein Mathematik-Freak spricht in Formeln. Ein un-terprivilegierter schwarzer Teenager spricht das berüchtigte

Miguel de Cervantes SaavedraLeben und Thaten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Man-cha, uebersetzt von Ludwig Tieck, mit Illustrationen von Gustav [sic!]Doré, Berlin 1869, zweiter Band, S. 93

Heiri Schmid (Zeichnungen) / GuidoStrebel (Verse), Globi und die Bahn,Zürich: Globi-Publishing 2001, S. 56 f.

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Black American English. Ein autobiographisch angelegter Ju-gendlicher hat das ganze Oxford English Dictionary verschlun-gen und verlegt sich auf »eine Art lexikalische Vergewalti-gung« des Lesers, wie es in einem Selbstkommentar desBuchs heißt. Ein Frankokanadier aus Québec stellte mich vordie Frage, wie ich im Deutschen nachahmen sollte, dass dasEnglisch dieser Figur teilweise der französischen Grammatikfolgt. Ein Kokainsüchtiger lebt sprachlich über seine Verhält-nisse und produziert mit furchtlos bildungswidrigen Aus-sprachemanieren einen Schnitzer nach dem anderen. Einigedieser Figuren traten nur kurz aus den Kulissen, andere stan-den im ganzen Romanverlauf im Rampenlicht. Sie wuchsenmir im Lauf der Jahre ans Herz. Wenn ich mich morgens wie-der an die Tastatur begab, freute ich mich über das Wiederse-hen mit alten Freunden. Ich war gespannt, welche Facette ih-rer Persönlichkeit oder welche Begebenheit aus ihrem Lebensie mir nun wieder präsentieren würden. Jeden Tag aufs Neuesetzte Wallace mir wieder so ein kleines Juwel vor, und wennes nur Sätze in Kindersprache waren oder die Beschreibungvon Photos im Vorzimmer eines Schulleiters. Ich habe, um Bi-lanz zu ziehen, jahrelang eine schier unglaubliche Vielfalt undSinnlichkeit reinen Wortmaterials erfahren, und ich durfte wienie zuvor aus der ganzen Fülle meiner Muttersprache schöp-fen, um diese Vielfalt und Sinnlichkeit wiederherzustellen. DerUnendliche Spaß hat ganz einfach unendlich viel Leben ge-speichert.

Vom Glück des Übersetzens

Und apropos Leben: Ich habe Roy Battys Schlussmonolog ausdem Blade Runner oben unvollständig zitiert. Nach der Auflis-tung der denkwürdigsten Augenblicke und überirdischsten Er-fahrungen seines Lebens fährt er nämlich fort: »All thosemoments will be lost in time. Like tears in rain. Time to die.« –»All diese Momente werden in der Zeit verloren gehen wieTränen im Regen. Zeit zu sterben.« Hier möchte ich Einsprucheinlegen – nicht gegen meine Sterblichkeit, wohlgemerkt;nach den bisher vorliegenden Daten hat die Menschheit eineSterblichkeitsrate von 100%, und ich fürchte, ich werde dakeine Ausnahme machen. Einspruch einlegen möchte ich viel-mehr als leidenschaftlicher Bewohner der Gutenberg-Galaxis:Nein, nichts geht verloren. Mein über alles verehrter MentorFritz Senn sagte in seiner gestrigen Präsentation, die Welt seinicht erschaffen worden, um Übersetzer glücklich zu machen.Wie es sich für anständige Vater-Sohn-Verhältnisse gehört,möchte ich widersprechen: Das Beglückende am Übersetzenist gerade das Festhalten gutgefügter Wörter, ihr Aufschreibenund ihr Aufbewahren für die Nachwelt. Sprache mag ein flüch-tiges Medium sein, aber jedes Mal, wenn der Paketbote mirdie Belegexemplare einer Übersetzung in die Hand drückt,denke ich unwillkürlich: »Gott sei Dank, diesen Wörtern kannnichts mehr passieren!« Was einmal gedruckt wird, ist mitArno Schmidts fast schon geflügeltem Wort »immerfort mit-lebend«. Wir mögen gehen – was bleibt, ist die von uns mit-erschaffene Literatur.

Brigitte Rapp

HIERONYMUS-FEST ALIAS INTERNATIONALERÜBERSETZERTAG IN ÖSTERREICH: EIN RÜCK-BLICK

Ein Kirchenvater und bekannter Asket als Patron derÜbersetzerInnen? Damit mochten wir uns zunächst nichtidentifizieren, als die FIT (Fédération Internationale desTraducteurs) Anfang der 1990er ihre Mitglieder aufforderte,zum Gedenktag des Heiligen Hieronymus am 30. Septemberden internationalen Übersetzertag zu feiern. Das Konzeptschien uns damals etwas zu verstaubt und rückwärts ge-

wandt, deshalb wollten wir es in Österreich und für die Über-setzergemeinschaft zunächst nicht einführen.

Anders unsere KollegInnen von der fachübersetzendenund dolmetschenden Zunft: Ihr Übersetzer- und Dolmetscher-verband feiert St. Hieronymus seit Jahr und Tag mit einemMitgliedertreffen beim Heurigen oder im Café. 1999 luden sieuns erstmals ein, das Hieronymusfest mit ihnen zu begehen.Was als geselliger Abend mit Buffet begann, wurde schon imnächsten Jahr zu einer gemeinsamen »Veranstaltungs-Triaszum Hieronymus« mit einem Vortrag von Chris Durban (Paris)zum Thema »Taking Responsibility, Taking Credit« am WienerDolmetschinstitut, der von Studierenden als Übung gedol-metscht wurde, einem gemeinsamen Heurigenabend und amnächsten Tag einem weiteren Vortrag über die Vielsprachigkeitin der EU, gehalten von einer Kollegin des EU-Übersetzungs-dienstes.

Durch die Hintertür

Damit war der Hieronymus-Tag gewissermaßen durch die Hin-tertür bei uns gelandet und wird seither von unseren beidenOrganisationen alljährlich im Wechsel ausgerichtet und ge-meinsam gefeiert. Das Format variiert. Die Veranstaltungender Übersetzergemeinschaft finden im Wiener Literaturhausstatt, unserem »Domizil«, und bestehen meist aus einem Po-diumsgespräch und einem anschließenden Fest mit Buffet.Der österreichische Dolmetscherverband Universitas lädtmangels eigener Räumlichkeiten zum geselligen Zusammen-sein in ein Lokal, manchmal gekoppelt mit einem Vortrag. DieThemen sind inspiriert von dem Motto, dass die FIT für den»International Translation Day« ausgibt, oder aber selbst ge-wählt. Um eine Vorstellung davon zu geben, hier eine Aus-wahl: Podiumsdiskussion zur »Ethik des Übersetzens«, Vortragunseres Rechtsanwalts zum »Urheberrecht für Übersetzen-de«, Buchpräsentation und Gespräch »Wortklauber, Sinnver-dreher, Brückenbauer? DolmetscherInnen und Übersetzer-Innen als literarische Geschöpfe«, Vortrag zum Thema »Dyna-mik, Transformation, Crossing-over: Deutsch in Bewegung«und im letzten Jahr ein Pub-Quiz nach Übersetzer Art, an demalle einen Heidenspaß hatten.

Bessere Zusammenarbeit

Die Inhalte sind also breit angelegt, damit sie gemeinsame In-teressen aller Sparten des Übersetzerberufs berühren undmöglichst viele KollegInnen ansprechen. Bei diesen Veranstal-tungen geht es uns weniger darum, uns nach außen hin dar-zustellen und für unseren Beruf zu werben, als vielmehr unsselbst und unseren Beruf zu feiern. Das stärkt das Selbst-bewusstsein und den Zusammenhalt und schafft eine breitereBasis, wenn es darum geht, für gemeinsame Anliegen aufzu-treten. Jedenfalls hat sich das früher nicht ganz reibungsfreieVerhältnis zwischen den beiden Verbänden durch diese Zu-sammenarbeit massiv verbessert. Es gibt regen Informations-und Meinungsaustausch, Respekt für unterschiedlicheInteressenlagen und, wo nötig, solidarische Unterstützung.Neuerdings arbeiten wir an einer gemeinsamen Plattform zurDarstellung aller translatorischen Tätigkeiten, u.a. mit demZiel, die Sichtbarkeit des Übersetzerberufes bzw. aller Spartenzu steigern.

Der Asket St. Hieronymus hat wohl nicht von ungefähr un-ser Unbehagen geweckt. St. Hieronymus mit dem Löwen alsSymbol seiner stolzen Streitbarkeit zu Füßen ist hingegenheute mehr denn je ein geeignetes Leitbild für uns um Sicht-barkeit und Anerkennung kämpfende ÜbersetzerInnen (ne-benbei gesagt war auch der Apachenhäuptling Geronimo eintapferer Krieger und Verteidiger seines Volkes). Daher: Es lebeder Hieronymustag aka International Translation Day oderauch Journée mondiale de la traduction!

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Susanne Höbel

DER HEILIGE HIERONYMUS UND DERHIERONYMUSRING

Lange bevor die Rede von der Einführung eines Hieronymus-Tages war, wie er inzwischen in aller Munde ist, gab es denHieronymusring. Wie diese Tradition entstanden ist und wor-auf sie sich gründet, möchte ich hier nachzeichnen.

Gelehrte, Asket, Büßer und Übersetzer

»Der heilige Hieronymus, Sie wissen es, ist der Schutzpatronder Übersetzer.« So beginnt Hanns Grössel seinen Essay „DieGrenzen der Wörtlichkeit“ (Text und Kontext, Heft 48, 2004).Ja, das hat sich inzwischen herumgesprochen, aber wer warHieronymus, bevor er der Heilige Hieronymus war? Folgendeskann man im Brockhaus nachlesen: Der lateinische Kirchen-lehrer Hieronymus lebte im vierten Jahrhundert nach ChristiGeburt, war Rhetor und Philologe und galt als der »fruchtbar-ste aller lateinischen Kirchenväter«. Sein größtes Verdienst istseine Übersetzung der Bibel ins Lateinische, die »Vulgata«.Hieronymus ist damit der Begründer unserer Zunft.

Im Mittelalter war Hieronymus ein häufiges Motiv in derchristlichen Kunst. Es gibt Hunderte von Bildern, auf denen erin unterschiedlicher Gestalt – als gelehrter Doctor Ecclesiae,als Büßer, als Asket – dargestellt wird, und manchmal wirdauch der Asket als Gelehrter, der Büßer beim Übersetzen derBibel gezeigt. Die bei uns bekannteste Darstellung ist AlbrechtDürers »Hieronymus im Gehäus«, aber Künstler wie El Greco,Leonoardo da Vinci, Ghirlandaio, Hieronymus Bosch, Tizianund Lucas Crancach d.Ä., um nur einige zu nennen, habenüber die Jahrhunderte immer wieder ihre Sicht und Interpreta-tion des Hieronymus auf die Leinwand gebracht. Er war eineprägende Gestalt.

Die Übersetzer interessieren sich weniger für den Büßeroder den Asketen, sondern es ist der Gelehrte Hieronymus,der Studierende und Bibelübersetzer, der ihnen Leitbild, Vor-bild und Schutzpatron ist. Dem Löwen, der oft zu seinen Fü-ßen liegend gezeigt wird, hat Hieronymus der Sage nach einenDorn aus der Tatze gezogen – ein Zeichen christlicher Barm-herzigkeit.

Eine Shakespearesche Tradition

Weil der Heilige Hieronymus ein Markstein in der Geschichtedes Übersetzens darstellt, ist er unser Schutzpatron gewor-den, aber wie kam es zum Hieronymus-Ring? Anlass war derachtzigste Geburtstag der Übersetzerin Susanna Brenner-Rademacher im Jahr 1979. Um sie zu ehren, stiftete der Verle-ger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt den Hieronymus-Ring. In ei-ner kleinen, aber feierlichen Zeremonie wurde Susanna Bren-ner-Rademacher der Ring übergeben, ein Festakt, der durchetliche Fotos dokumentiert ist, auf denen neben einigen nichtidentifizierten Personen die geehrte Übersetzerin zusammenmit Ursula Brackmann, Klaus Birkenhauer und Helmut Frieling-haus zu sehen ist.

Aber von Anfang an sollte der Ring ein »Wanderring« sein.Vorbild dafür ist der Ifflandring, der unter Schauspielern alsbesondere Auszeichnung und Ehrung weitergegeben wird.Möglicherweise griff der Schauspieler August Wilhelm Iffland(1759-1814) die Idee bei Shakespeare auf, der zwei Schauspie-lern aus seiner Truppe am Globe Theatre in London, JohnHeminges und Henry Condell, die später seine Werke heraus-gaben, in seinem Testament Geld für zwei Ringe zusprach: »...sechsundzwanzig Schilling und acht Penny pro Person, um ih-nen Ringe zu kaufen.« Auf diese – mir sehr plausibel erschei-nende – Verknüpfung stieß ich, als ich den Essay »Spätwerk«von John Updike übersetzte, in dem er den vorstehenden Satzaus Shakespeares Testament zitiert.

Die Tradition ist also etabliert: Alle zwei Jahre wird der Hie-

VERANSTALTUNGEN

Florencia Martin

NEUER TURMBAU IN BABEL – DEUTSCH-ARGENTINISCHE ÜBERSETZERWERKSTATT12.–18. April 2009 in Buenos AiresLeitung: Silke Kleemann, Nicolás Gelormini

Im April 2009 wurde in San Isidro, Buenos Aires, eine deutsch-argentinische Übersetzerwerkstatt veranstaltet. Vor dem Hin-tergrund der Frankfurter Buchmesse 2010, auf der ArgentinienEhrengast sein wird, waren acht argentinische und siebendeutschsprachige Übersetzer dazu eingeladen, eine Wochelang gemeinsam an einer Auswahl von Texten zu arbeiten.Den Corpus des Treffens bildeten Ausschnitte deutscher bzw.argentinischer Literatur, an deren Übersetzung die Teilnehmerund Teilnehmerinnen arbeiten. Ort des Treffens: Villa Ocampo,ein herrschaftliches Haus aus dem späten 19. Jahrhundert,das als einstiger Ausgangspunkt der weit bekannten Literatur-zeitschrift Sur das Treffen ohnehin in die Tradition desgrenzübergreifenden Austausches einbettete.

Am ersten Tag konnte die Gleichsetzung von Übersetzer/übersetztem Autor – zu der es durch die Lektüre des ReadersWochen vorher gekommen war – aufgebrochen werden.Nicolás Gelormini sprach nicht ausschließlich über das BerlinKatja Lange-Müllers; Peter Schwaar war durchaus nicht vonder erstarrenden Verzweiflung geprägt, die sich der weibli-chen Hauptfigur in Tomás Eloy Martínez’ »Purgatorio« be-mächtigt. Die Gruppe, die die nächste Woche zusammen ar-beiten würde, bekam ein neues Gesicht.

Produktive Sprachentwirrung

Schon am ersten Arbeitstag ergaben sich viele Gelegenheiten,über das jeweils andere Sprachverständnis ins Gespräch zukommen. Nach einer knapp gehaltenen, doch rundweg anre-genden Diskussion zur Frage »Ist das Übersetzen ein Hand-werk oder eine Kunst?« tauchte die Gruppe in die Beratungpraktischer Aspekte der Textgestaltung ein. Besprochen wur-den so unterschiedliche Textformen wie Theaterstücke, Roma-ne, Novellen und Traktate, deren Originalfassungen von derRomantik bis in die heutigen Tage reichten: Bestseller, Extra-vaganzen ebenso wie Ungedrucktes. Von Leopoldo Brizuela,Martín Caparrós und Edgardo González Amer bis hin zu FeliciaZeller, Thomas Thiemeyer, dem Mausekönig E.T.A. Hoffmanns

ronymus-Ring innerhalb der Übersetzergemeinschaft weiter-gegeben. Er ist mit keinem Preisgeld verbunden, denn er wirdnicht als öffentliche Anerkennung für eine auszeichnungs-würdige Arbeit verliehen – obwohl wir uns freuen, wenn dieWeitergabe des Rings öffentlich wahrgenommen wird –, son-dern wird zur Ehrung eines Übersetzers weitergegeben. Beider Wahl des Nachfolgers ist der Ringträger frei und nur derIdee des Hieronymus-Rings verpflichtet, nach der ein würdigerRingträger vorzugsweise unter denjenigen Übersetzern ge-sucht werden sollte, die noch nicht mit Preisen und anderenEhrungen ausgezeichnet sind. Allein nach dem übersetze-rischen Können sollte ausgewählt werden – etwas, das wirÜbersetzer doch besonders gut beurteilen können. Nichts ver-anschaulicht das besser als ein Blick auf die Liste der Ring-träger seit 1993 – Ruth Achlama (1993), Hartmut Fähnrich(1995), Stefanie Schäfer (1997), Brigitte Große (1999), HannsGössel (2002), Elisabeth Edl (2005), Susanne Lange (2007), Ul-rich Blumenbach (2009).

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beitsbedingungen heraus, und umso ertragreicher war auchder Austausch mit erfahrenen deutschen Kollegen.

Die »Sprachverwirrung« kann durchaus Grund zur Freudesein. Nach einer solchen Woche kommt man nicht umhin, da-von zu träumen, einen Arbeitsplatz zu etablieren, an dem je-der Übersetzer seinen Raum für sich findet, sich jedoch in denMittagspausen problemlos mit den Kollegen den Kopf überÜbersetzungsprobleme zerbrechen darf, und wo man sich inregelmäßigen Abständen zu gemeinsamen Arbeitstagen zu-sammenfindet: der ideale Treffpunkt im Turm zu Babel?

Martina Tichy

MUSIKALISCHE TRANSSKRIPTIONEN2. April 2009 im Literaturhaus München

Nach »Tierisch/Narrisch/Erotisch/Kulinarisch/Mörderisch lite-rarisch« stand im sechsten Jahr der »’isch-Kultserie« desMünchner Übersetzerforums die Musik im Mittelpunkt. »Musi-kalisch literarisch« versammelte fünf Übersetzerinnen undÜbersetzer mit denkbar unterschiedlichen Texten zum Thema,moderiert von Thomas Merk mit seinen unweigerlich Bauch-muskelkater erzeugenden Maschinengedichten und untermaltvon dem wunderbar klöppelnden Percussion-Künstler ErwinRehling (vom Duo Hammerling).

Von Chopin bis zur Queercore-Band

Wieder einmal war so gut wie alles geboten: ein verschrobe-ner irischer Geschichtslehrer, den es durch puren Zufall in einKammerkonzert verschlägt, bei dem er sich unsterblich in dieebenfalls nur zufällig anwesende italienische Geigerin verliebt(Die Musik des Himmels von Niall Williams); ein 75-Jähriger,zurückgezogen lebender Pianist, der die 4. Ballade von Chopinspielt, als habe dieser sie einzig und allein für ihn komponiert(da sie seiner Meinung nach sonst niemand spielen kann), unddabei mit dem Klavier hadert, das ihm nicht gehorchen will(Die verlorene Partitur von Roberto Cotroneo); der nichtschwule Bassist eine Queercore-Band, der von sich sagt: »Ichbin stärker als die Wörter, größer als die Bühne, auf der ichstehe« und Holzfällerhemden als »die einzige Mode, die in 50Jahren kein Revival hatte« abqualifiziert (Nick und Norah.Soundtrack einer Nacht von Rachel Cohn / Darjah Levithan);ein 16-Jähriger Inder, der vor seiner Angebeteten mit einer ei-genen Band angibt, die eigentlich noch gar nicht existiert und– nolens volens ins Leben gerufen – bei ihren ersten Probenfeststellen muss, dass der Bassgitarrist eine Null, der Tromm-ler von Selbsthass besessen und der allfällige Stromausfall alsSoundeffekt zu begreifen ist (Family Planning von Karan Maha-jan); zu guter Letzt ein Sachbuch über die Geschichte von»White Christmas«, einem der bekanntesten Weihnachtsliederüberhaupt, das aus der Feder des musikalischen AutodidaktenIrving Berlin stammt (White Christmas von Jody Rosen).

Musikalisches und computergestütztes Trommelfeuer

Was für ein Abend! Ein wahres Trommelfeuer, nicht zuletztdank Erwin Rehling, der zwischen einem von ihm aufge-mischten Schlagzeug sowie einem Marimbaphon und einemselbstgeflexten »Steinspiel« mit fröhlichen Augenaufschlägenhin- und herwuselte, stets gefolgt von Thomas Merk, der the-matisch passend den eher schlichten Text des dreißiger Jahre-Schlagers »Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennigzum Glück, ich brauche weiter nichts als nur Musik, Musik,Musik«, durch sein ganz persönliches Computerübersetzungs-programm z.B. ins Koreanische übersetzt, was dann wiederins Deutsche gebracht unter anderem Folgendes ergab: »IchZehntausend der Nr. hundert in der Notwendigkeit So viel wieniemand ist Pfennig glücklicherweise zu mir. I mit nur musika-

und Hans Blumenberg. Schon die Originale boten reichlichDiskussionsstoff. Ausgehend von den Eckdaten – Entstehungs-zeit, gattungs- und stilspezifischen Merkmalen – wurden Flos-keln, Ambivalenzen und Anspielungen analysiert; Rhythmus,Wort- und Syntaxspiele ausgearbeitet und geschliffen. Kultu-rell geprägte Ausdrücke konnten aufgeklärt werden: Was be-deutet in Argentinien »papas fritas a caballo« (wörtlich»Pommes zu Pferd«, eigentlich aber Pommes mit einem Spie-gelei obendrauf)?; wie lässt sich das, was in Buenos Aires zumInbegriff des Tangomilieus geworden ist, nämlich »arrabal«(»Vorstadt«, »Armenviertel«), ins Deutsche übersetzen? Zuentwirren waren auch gewisse Redewendungen: Ist etwa »ei-nen Schleck auf den Schnabel tun« (Lange-Müller) ein festerAusdruck? Gemeinsam wurden Entsprechungen für Epochen-hinweise gesucht. Wie kann etwa im spanischsprachigen Vor-stellungsraum eine Äquivalenz für die Atmosphäre gefundenwerden, die in knapp durch Ausdrücke wie »Medizinalrat«/»Wohnstube«/»elektrische Bahn« markierten und dadurchzeitlich klar verorteten Zeilen zum Ausdruck kommt?

Die Begegnung trug bald Früchte, denn in Buenos Aireshaben alle Koordinaten gestimmt: Muttersprachler (Spanisch)traf auf Muttersprachler (Deutsch), Übersetzer auf Übersetzer;eine ausgezeichnete Sprachbeherrschung der jeweiligenZweitsprachen räumte im Voraus alle Steine aus dem Weg.

Auch die einmalige Gelegenheit einer Autorenbesprech-ung mit Ariel Magnus, die von Silke Kleemanns Übersetzungausging, erwies sich als fruchtbar. Der Schriftsteller zeigtesich von einer Mannschaft penibler Leser nicht eingeschüch-tert und entschlüsselte sogar das eine oder andere, das selbstargentinischen Augen ein Rätsel geblieben war.

Büro im Turm zu Babel

Von der gemeinsamen Arbeit profitierte nicht nur der redigier-te Text. Über den konkreten Anlaß hinaus dient ein solchesTreffen auch dem Übersetzen als Beruf. Die Zusammenkunftvernetzt. Sie schafft zugleich ein Bewusstsein für dieses Be-rufsbild, das als solches noch viel zu unbeachtet bleibt. TrotzÜbersetzungen, die Weltruhm erlangt haben, trotz reicher Tra-dition, was die Veröffentlichung ausländischer Literatur anbe-langt, und trotz des Vorhandenseins von Übersetzern, die her-vorragende Arbeit leisten, bleibt in Argentinien in dieser Hin-sicht noch viel zu tun. Dank individueller Initiative entsteht all-mählich ein institutioneller Rahmen dafür. Als umso produkti-ver stellte sich die Diskussion über die unterschiedlichen Ar-

vordere Reihe v. l. n. r.: Nicolás Gelormini, Román Setton, CarlaImbrogno, Peter Schwaar, Neva Micheva; mittlere Reihe v. l. n. r.:Alejandra Obermeier, Rike Bolte, Griselda Mársico, Silke Kleemann mitCarlo Naim Ruby; hintere Reihe v. l. n. r.: Svenja Becker, Ilana Marx,Lorena Batiston, Gabriela Adamo, Thomas Brovot; auf den Pfeilern l.:

Sabine Giersberg, r.: Florencia Martin. Foto: Gabriela Adamo

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lischer musikalischer Musik auch nichts tun wenig mehr inder Notwendigkeit.«

Es lasen in der Reihenfolge ihres Auftritts:Martina Tichy (Die Musik des Himmels von Niall Williams; Mün-chen: Blessing, 1999)Burkhard Kroeber (Die verlorene Partitur von Roberto Cotro-neo; Frankfurt: Insel, 1997)Bernadette Ott (Nick und Norah. Soundtrack einer Nacht vonRachel Cohn / Darjah Levithan; München: cbt, 2008)Richard Barth (Family Planning von Karan Mahajan; München:C. Bertelsmann, noch nicht erschienen)Gerlinde Schermer-Rauwolf (White Christmas von Jody Rosen;München: Blessing, 2003; zusammen mit Robert A. Weiß)

Angela Plöger

LITERATURHAUS MÜNCHEN ERMÖGLICHTREGEN AUSTAUSCH MIT VERLAGENSeminar für Übersetzer finnischer und finnland-schwedischer Literatur mit Verlegermesse im LiteraturhausMünchen vom 28.Februar bis 04.März 2009

Das Seminar fand zwar im Rahmen der Textwerk-Reihe desLiteraturhauses München statt, es unterscheidet sich abervon den bisherigen Veranstaltungen dadurch, dass es in ei-nem größeren Zusammenhang stand und eine Zielsetzunghatte, die über den Aspekt Weiterbildung hinausgeht.

Mehr Aufmerksamkeit schaffen

Hintergrund ist, dass das unlängst gegründete Netzwerk derLiteraturhäuser Deutschlands, Österreichs und der Schweiz(www.literaturhaus.net) mit FILI, dem Informationszentrum fürfinnische Literatur, für 2009 und 2010 ein Kooperationsprojektvereinbart hat. Es soll finnische Autoren, deutschsprachigeÜbersetzer, Lektoren und Verleger miteinander in Kontaktbringen und mit einer Veranstaltungsreihe im April 2010 dieAufmerksamkeit des Publikums auf die Literatur Finnlandslenken. Zwei Wochen lang werden dann finnische und finn-landschwedische Autoren sowie ihre Übersetzer in den betei-ligten elf Literaturhäusern ihre Bücher vorstellen.

Verlagsvertreter an den Haken kriegen

Der Vorbereitung dieser Großaktion galt die Münchener Veran-staltung. Eingeladen waren vierzehn Übersetzer (vier aus demSchwedischen, die übrigen aus dem Finnischen), darunterzwei Studenten ohne Berufserfahrung. Hinzu kamen die bei-den Seminarleiter, Paul Berf für die Betreuung der »Schwe-den« und Angela Plöger für die der »Finnen«.

Jede der Übersetzerinnen (womit auch die spärlich vertre-tenen Männer gemeint sind) hatte im Vorfeld ein Buch zuge-teilt bekommen, dessen Rechte bisher nicht nach Deutsch-land verkauft worden sind, dazu eine Buchvorstellung verfasstund zehn Seiten Textprobe übersetzt. Diese Papiere wurdenam Ende in Mappen zusammengestellt und den Teilnehmernder Verlegermesse in der Hoffnung übergeben, sie könntendarin etwas für ihr Programm Passendes finden.

Zuvor aber wurden in gemeinsamen Sitzungen von »Fin-nen« und »Schweden« die Bücher vorgestellt, die Übersetzun-gen durchgearbeitet und Fragen geklärt. Was sich dabei anÄnderungen ergab, konnte abends am Laptop eingearbeitetwerden. Für jedes Buch waren anderthalb Stunden einge-plant. Damit ergab sich ein dichtes und intensives Programm,in dem aber noch weitere Programmpunkte Platz fanden.

Dazu gehörte der Vortrag des Literaturagenten Oliver Brau-er, der uns einige Aspekte des Buchgeschäfts aus seiner Sichtbeleuchtete. Zwei Verlagslektoren, Tatjana Michaelis von

Hanser und Thomas Tebbe von Piper, beantworteten unserevielen Fragen zum Thema finnische Literatur in deutschen Ver-lagen, und die Übersetzerin Irene Rumler coachte die Kollegin-nen, die bei der Verlegermesse den Verlagsvertretern in fünfMinuten das Wesentliche über ihr Buch nahe bringen und sie»an den Haken kriegen« sollten.

Kleider machen Leute

Zur Verlegermesse am 4. März waren sieben Verlagsvertreteraus Finnland gekommen, die an ihren Büchertischen für Ge-spräche bereit standen, und mehr als dreißig deutsche Verla-ge hatten Mitarbeiter entsandt. Das Programm des Tagesumfasste neben den üblichen Reden ein Podiumsgespräch,bei dem Andreas Trojan vom Börsenblatt unsere Kollegen Mei-ke Frese und Stefan Moster zum Thema »Die finnische undfinnlandschwedische Literatur und der deutsche Buchmarkt«interviewte, sowie die Buchvorstellungen der Übersetzerin-nen. Ein ganz wichtiger Aspekt für die Verlagsvertreter wardabei zweifellos die Art, wie die Kolleginnen und Kollegennicht nur ihr Buch, sondern auch sich selbst darstellten.

Nach dem Mittagsempfang gab es dann unzählige Gesprä-che und Kontaktaufnahmen, und viele Lektoren fanden eswunderbar, endlich die Übersetzerinnen persönlich kennenzu-lernen, mit denen sie bisher nur telefonisch in Kontakt gestan-den hatten. Der Kontaktpflege diente auch der von der finni-schen Botschaft organisierte und gut besuchte Empfang amVorabend der Verlegermesse.

Die Veranstaltung wurde von allen Beteiligten als nützlichund gelungen gewürdigt; davon zeugen zahllose Reaktionen,die beim Literaturhaus München eingingen. Die Initiative fürdie Veranstaltung hatte das Literaturhaus ergriffen; für die vor-zügliche Organisation zeichnete Dr. Katrin Lange verantwort-lich. Financiers waren das Literaturhaus, das Informationszen-trum für finnische Literatur in Helsinki und der DÜF.

NACHRUFE

ZUM TOD VON ANGELA PRAESENTStimmen aus dem Verband

Thomas Gunkel:

»Unsere Übersetzerkollegin Angela Praesent war ein vielseiti-ger Mensch: Ihr Talent beschränkte sich nicht aufs Übersetzenoder Lektorieren, sie trat auch als Autorin, Herausgeberinoder Jurorin beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Erscheinung.

Geboren 1945 in Mannheim, entwickelte sie sich zu einerder herausragenden Literaturübersetzerinnen Deutschlands,übertrug Harold Brodkey, John Updike und E.L. Doctorow – umnur die bekanntesten Namen zu nennen – ins Deutsche undwurde für ihre Arbeit mit dem Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt-Preis und dem Paul-Celan-Preis ausgezeichnet.

Mir persönlich war es leider erst vor wenigen Jahren ver-gönnt, sie kennenzulernen und unter ihrem Lektorat für denDuMont-Verlag eine Neuübersetzung des Werks von JohnCheever zu beginnen. Dabei habe ich nicht nur von ihrem un-trüglichen Sprachgefühl und ihrem großen Wissen profitiert,sondern sie auch als Mensch zutiefst schätzen gelernt. Zwarkonnte sie sich nie durchringen, dem Übersetzerverband bei-zutreten, aber dennoch war sie eine Netzwerkerin – die ihr ei-genes Netzwerk aufbaute und mir häufig mit Rat und Tat zurSeite stand. Den Abschluss der Cheever-Neuübersetzung wirdsie nun nicht mehr miterleben, aber auch ich kann mir die Ar-beit daran ohne ihre Mitwirkung nur schwer vorstellen.«

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Sabine Hedinger:

Der Name Angela Praesent bleibt für mich untrennbar verbun-den mit der neuen frau, der Reihe, die sie ins Leben gerufenund als Herausgeberin betreut hat. Für mich verkörpert sie dieneue Frau, die es vermochte, in den verschiedensten Berei-chen der Literatur zu brillieren: als Übersetzerin, als Lektorin,Herausgeberin, Entdeckerin von Talenten, als Autorin undnicht zuletzt als Kritikerin (ob sie mir die vielen »ins« in einerReihe als Stilmittel hätte durchgehen lassen?) – eine Leistung,angesichts derer einem schwindlig werden kann. Vor unsererersten Zusammenarbeit war ich daher einigermaßen nervös;sollte sie das gemerkt haben, so ließ sie es sich jedenfallsnicht anmerken und nahm mir gleich beim ersten Arbeits-gespräch durch ihre neugierige, fröhlich-spöttische Art jedeBefangenheit. Ich vermute, dass sie aus »ihren »Übersetzerndas Beste herausgeholt hat, weil sie ihnen auf Augenhöhe be-gegnete, und das Beste aus jedem Text, weil sie ihn respekt-voll behandelte, auch wenn sie die Schwächen genau sah undherrlich darüber lästern konnte. »Ihre letzte große Roman-übersetzung«, schreibt der SPIEGEL in seinem Nachruf, »ge-schah ‘unter Volldampf’: Der von ihr bewunderte US-AutorJohn Updike war im Januar gestorben, und der Erscheinungs-termin für seinen Roman Die Witwen von Eastwick wurde vor-gezogen. Sie schaffte es sogar »früher als geplant ...«

Josef Winiger

ELMAR TOPHOVEN, PIONIER DERÜBERSETZUNGSPÄDAGOGIK

Am 23. April jährte sich zum zwanzigsten Mal der Todestagvon Elmar Tophoven. Dass Tophoven zu Lebzeiten zu den we-nigen wirklich bekannten Übersetzern gehörte, verdankte ervor allem seinen Beckett-Übertragungen. Allerdings findensich in seiner über hundert Titel umfassenden Bibliographieauch fast alle großen Namen des Nouveau Roman, dazu dieNamen von zwei Dutzend anderer großer französischer Auto-ren des 20. Jahrhunderts. Doch Tophoven war nicht nur aner-kanntermaßen ein großer Übersetzer, er war wohl der ersteLiteraturübersetzer, der seine Kunst auch lehrte (der erste zu-mindest im Westen, im Osten, in Leningrad, darauf hat OlgaRadetzkaja mich hingewiesen, leitete Efim Ëtkind bereits inden fünfziger und frühen sechziger Jahren regelmäßig Über-setzerseminare).

Vertreter und Nachfolger Paul Celans in Paris

Seine Lehrtätigkeit begann damit, dass er in den 1960er Jah-ren Paul Celan, der damals Deutsch-Lektor an der Professo-renschmiede École normale supérieure war, erst gelegentlich,dann immer öfter vertrat, bis er schließlich nach Celans Tod1970 dessen Nachfolge antrat. 1953 hatte seine enge Zusam-menarbeit und Freundschaft mit Samuel Beckett begonnen,und seither hatte er viel übersetzerische Erfahrung erworben.An der École normale supérieure, wo er das Übersetzen insDeutsche zu lehren hatte, begann er, seine Methodik zu ent-wickeln, an der er ein ganzes Übersetzerleben feilte, immerwieder neue Wege suchend. Dabei ging es ihm nie um bloßeSystematik, sein Motiv war im wahrsten Sinne pädagogisch:Noch in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurdebei der Literaturübersetzung in der Regel »nach Gefühl« vor-gegangen, und die Übersetzer mochten es nicht sonderlich,wenn man ihnen zu genau auf die Finger schaute. Tophovenkritisierte dies nicht explizit, er wendete die Kritik ins Positive,wollte demonstrieren, dass das Übersetzen kein »Blindflug«sein müsse, und indem er selbst unermüdlich seine über-setzerischen Entscheidungen bis ins kleinste Detail dokumen-tierte, wollte er, wie er in Der Übersetzer vom Oktober 1970

schrieb, den Übersetzer »von der Aura eines Wünschelruten-gängers und dem Odium eines Falschmünzers befreien«.

Glossare von Trouvaillen anlegen

Nicht dass er die übersetzerische Intuition geringgeschätzthätte, doch er wollte sie »durchschaubar machen« und gewis-sermaßen auf einen handwerklichen Boden stellen. Er sprachin einem meines Wissens unveröffentlichten Typoskript mitdem Titel »Über das Üben von Solidarität beim Übersetzen«vom »transparenten Übersetzen« und suchte nach Arbeitsver-fahren, die dem Übersetzer einen »sich ständig vergrößerndenFundus von Einsichten und Kunstgriffen« (Der Übersetzer, No-vember 1970) zur Verfügung stellen sollten. Er ging mit gutemBeispiel voran und zeigte uns die Originale seiner Übersetzun-gen: Satz für Satz waren da die Probleme der »Wortschicht«,der »Satzschicht« und der »Klangschicht« mit verschiedenenFarben gekennzeichnet, und in Protokollen, die oft umfangrei-cher waren als die Übersetzung selbst, notierte er Satz fürSatz das konkrete Problem und die Begründung für die über-setzerische Entscheidung. Es war ihm sehr wohl bewusst,dass er kaum Nachahmer finden würde, er hat uns auch nieaufgefordert (zumindest nicht die Kollegen), es ihm gleichzu-tun; allenfalls ermunterte er uns, »Glossare« von Trouvaillenanzulegen, und sie unter uns auszutauschen oder, bessernoch, im Übersetzerkollegium den interessierten Kolleginnenund Kollegen als Datenbank zur Verfügung zu stellen. Es solltenicht sein, dass jeder Übersetzer »mit seinem Geheimnisstirbt« (Der Übersetzer, November 1970).

Gründer eines »neuen Toledo«

Auf diesen Austausch unter Kollegen kam es ihm wohl ammeisten an. Er war eines der Hauptmotive, die ihn die großar-tige Idee der Übersetzerkollegien in zähem Bemühen verfol-gen und schließlich in Straelen verwirklichen ließ. Das Kollegi-um, so seine Vision, sollte zum »neuen Toledo« werden.

Manche seiner Visionen waren euphorisch, wenn nichtutopisch. So etwa, wenn er im Kollegium zur Regel machenwollte, dass die Hausgäste allabendlich zusammenkämen, umAusschnitte aus ihrer Übersetzung vorzulesen und in der Run-de zu diskutieren. Doch der Gedanke hat in anderer Form ei-nen bis heute wachsenden Erfolg: Schon 1970 war er mit ei-ner kleinen zweisprachigen Übersetzergruppe in ein Dorf au-ßerhalb von Paris gezogen, um mehrere Tage mit ihnen ge-meinsam an Texten zu arbeiten. 1983 organisierte er ein zwei-sprachiges Werkstattgespräch in Straelen, das eine Wochedauerte. Es wurde zum unmittelbaren Vorbild für die einwö-chige Werkstatt Deutsch und Französisch, die dieses Jahr zum15. Mal stattfindet und wiederum Schule machte: Heute gibtes mehr als ein halbes Dutzend solcher zweisprachiger Werk-stattgespräche. Tophoven, dieses »pädagogische Genie« (seinehemaliger Schüler B. Lortholary) ist ihr Erfinder.

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REZENSIONEN

Swetlana Geier – Leben ist Übersetzen. Gespräche mit Lerkevon Saalfeld. Ammann Verlag, Zürich. 224 S., 19,90 Euro

Wenn eine Übersetzerin mit 85 Jahren noch so aktiv ist wieSwetlana Geier, verdient sie, insbesondere von uns Kolleg-Innen, Anerkennung und Respekt. Ein Leben wie das ihre, dasseit über sechzig Jahren der Literatur gewidmet ist, hat Vor-bildcharakter. Die Literaturwissenschaftlerin Lerke von Saal-feld hat über viele Jahre hinweg, von 1996 bis 2007, Gesprächemit Swetlana Geier geführt, die seit 2008 als Buch vorliegen.

»Eine Übersetzung ist eine Übersetzung und kein Doppel-gänger des Originals«, konstatiert die alte Dame lapidar im er-sten Dialog, in dem es um »Die Kunst des Übersetzens« geht.Im weiteren Verlauf macht sie deutlich, wie sehr es ihr daraufankommt, sich in einen Roman – und hier geht es hauptsäch-lich um Dostojewskij – nicht nur hineinzudenken, sondern ihnnachzufühlen und die Stimmenvielfalt der handelnden Perso-nen im Deutschen so wiederzugeben, dass der Funke über-springt, vom Original auf die Übersetzung und von der Über-setzung auf das Lesepublikum.

Die große Kunst des Übersetzens

Sie erläutert ihre einzigartige Methode des Übersetzens, beider sie sich vom Text, genauer gesagt, vom Papier, löst, dieauf Deutsch gefundenen Sätze laut spricht und einer Mitarbei-terin diktiert. Weitere Durchgänge finden ebenfalls auf mündli-chem Weg statt; sie trifft sich mit einem Musiker, der ihr dendeutschen Text vorliest, und dies wiederum ist Anlass für wei-tere Korrekturen, bis alles steht. Auf diese Weise schaffe sieetwa sieben bis acht Seiten pro Tag, erklärt sie. Was für einLuxus! Was für ein Meer an Zeit müsste man haben, würdeman ihrem Beispiel folgen …

Auf diese Weise sind die Neu-Übersetzungen der RomaneDostojewskijs entstanden, unter anderem »Verbrechen undStrafe« – statt »Schuld und Sühne« –, »Böse Geister« – statt»Die Dämonen« – und »Die Brüder Karamasow«. Insgesamtsieben Werke Dostojewskijs sind es, für deren ÜbertragungSwetlana Geier einhellig gelobt und mit Preisen bedachtwurde.

Leben und Literatur eine Symbiose

Verhalten und unaufdringlich ist die Gesprächsführung vonLerke von Saalfeld; es sind kaum mehr als Impulse, die dazuführen, dass die Interviewte sich in neun Dialogen ausführlichäußert, sei es zu ihrer Beziehung zur deutschen, sei es zurrussischen Literatur und den Autoren, auf die es ihr in ersterLinie ankommt: Puschkin, Dostojewskij und Sinjawskij. Dabeikommt auch Biografisches zur Sprache. Swetlana Geier hatKiew 1943, im Alter von zwanzig Jahren, verlassen und kamerst 1998 wieder in ihr Land, zuerst nach St. Petersburg – undstaunte. Mit ihrer Einschätzung der Lage nach dem Zusam-menbruch des Sowjetsystems hält sie sich keineswegs zu-rück, sondern benennt viele kritische Punkte. Den schwierigenSchritt, in ihre eigentliche, ursprüngliche Heimat zu reisen,wagte sie erst im Jahr 2007– und sah Kiew wieder. Dies alleswird so eindringlich geschildert, dass man einen lebhaftenEindruck davon gewinnt, wie sehr Leben und Literatur bei dergroßen alten Dame der russisch-deutschen Literatur eineSymbiose eingegangen sind.

Monika Carbe

Roberto Braccini: Praxiswörterbuch Musik, Italienisch – Eng-lisch – Deutsch – Französisch. 2. bearbeitete und erweiterteAuflage, Langenscheidt/Schott Music 2009, 432 Seiten, Ta-schenbuch. 19,95 Euro.

»Insgesamt rund 4200 topaktuelle Fachbegriffe […] mit über-sichtlichen alphabetischen Sprachregistern« – so kündigt derUmschlag des Praxiswörterbuchs Musik es an. Das Nachschla-gewerk wendet sich in erster Linie an Musiker und Musiklieb-haber, nicht an Übersetzer. Qualitativ sollte sich daraus ei-gentlich kein großer Unterschied ergeben, doch es mag erklä-ren, warum auf etwaige inhaltliche Erläuterungen zu den auf-geführten Fachbegriffen gänzlich verzichtet wurde. Wie dasVorwort erläutert, ist das Praxiswörterbuch Musik zumschnellen Nachschlagen gedacht, wenn man beispielsweisebeim Üben eines Klavierstücks auf eine italienische Vortrags-bezeichnung stößt, deren Bedeutung auf Deutsch man nichtkennt.

Umfangreiche Wortsammlung mit Ungereimtheiten

Diesen Anspruch löst das Buch zwar nicht schlecht, aber auchnicht rundum überzeugend ein, zumal selbst der Laie schnellUngereimtheiten entdeckt. Blättert man beispielsweise indem Kapitel »100 berühmte Kompositionen«, findet man beiMozart den italienischen Operntitel »Cosi fan tutte« – nur lei-der wäre die richtige Schreibweise »Così fan tutte«. Die deut-sche Übersetzung des Titels, »So machen es alle (Frauen)« istzwar nicht falsch, man wird sie aber eher selten auf demSpielplan eines Opernhauses finden. Damit stellt sich die Fra-ge, wie sinnvoll sie ist …

Lobend muss erwähnt werden, dass die Wortsammlung ineinigen Bereichen sehr umfangreich ist – wie zum Beispiel dieAufzählung der Gattungen und Formen oder die Auflistung derBlasinstrumente. Allerdings fällt auf, dass im Italienischen der»flauto« mal mit, mal ohne Betonungsangabe versehen ist.Auch bei anderen Begriffen fehlt die Betonungsangabe, ob-wohl im Vorwort steht, dass sie im Italienischen immer zu fin-den sei.

Es mag eine Spitzfindigkeit sein, aber »mit gänzlich ge-dämpfter Stimme« wäre im Französischen wohl eher »à voixtrès basse« und nicht nur »à voix basse«. Das amerikanische»Ragtime« mit »ein Klavierstil« zu übersetzen, ist auch nichtwirklich gelungen. Und warum wird für den Begriff »Vortrags-bezeichnung« als Übersetzungsvariante »Ausdrucksbezeich-nung« angegeben, während die »neapolitanische Sexte« ohneden gebräuchlicheren »Neapolitaner« als Alternative auskom-men muss?

Fragwürdiger Aufbau des Registers

Die allgemeine Auswahl der Fachbegriffe wirft ebenfalls einigeFragen auf. Sie kann wohl kaum jemals objektiv und allumfas-send sein, doch es fehlen gängige und wichtige Ausdrückewie »Klaviertrio« oder »Meisterkurs«, während der Eintrag»Zukunftsmusik« eher verzichtbar gewesen wäre.

Die in den einzelnen Kapiteln zusammengestellten Stich-wörter richten sich alphabetisch nach dem Italienischen. Dasist für den deutschen Nutzer, der eventuell diese Sprachenicht beherrscht, unübersichtlich und etwas mühsam. Hilf-reich wäre es da gewesen, für jede Sprache ein eigenes In-haltsverzeichnis anzuhängen. Doch leider gibt es nur ein einzi-ges Register, in dem alle vier Sprachen gemischt stehen. Umwelche Sprache es sich handelt, wird durch einen entspre-chenden Buchstaben in Klammern angegeben. So stehen»biniou (F)«, »bird pipe (E)« und »Birne (D)« direkt untereinan-

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der, jeweils mit einem Verweis, unter welcher Zahl der laufen-den Nummerierung dieser Begriff im vorderen Teil des Bucheszu finden ist. Dort kommt es durch die Aufteilung in vier Spal-ten pro Doppelseite dann leicht vor, dass man in der Zeile ver-rutscht, wenn man beispielsweise zu einem italienischen Be-griff die deutsche Entsprechung sucht und dabei die Spalte»Englisch« überspringen muss.

Insgesamt muss man feststellen, dass das Praxiswörter-buch Musik etwas unübersichtlich ist und nicht ganz zu über-zeugen vermag. Die mit Fleiß zusammengetragene Wort-sammlung eignet sich für das schnelle Nachschlagen – nichtmehr, aber auch nicht weniger.

Birgit Irgang

Langenscheidt Taschenwörterbuch Französisch, Neubearbei-tung 2009, € 24,90

Ein handlicher kleiner Brocken. Dick ist dieses gelbe Taschen-wörterbuch mit seinen 130.000 Stichworten, aber dafür soklein und in Plastik gebunden, dass man es tatsächlich in derSchultertasche (sac en bandoulière oder sacoche) mit sichführen kann. Für den professionellen Gebrauch im Über-setzungshandwerk eignet es sich hingegen kaum, da mussschon ein Großwörterbuch her.

Ich lerne seit ca. 4 Jahren Französisch, und mir leistet die-ses Wörterbuch hervorragende Dienste bei der Bewältigungdes Alltags in Quebec. Allerdings stehen alle mir lieb geworde-nen Worte nicht drin, die das Überleben in Quebec möglich

machen: Die mitaines (québécois für gants, Handschuhe) sindso wenig zu finden wie die tuque, die Wollmütze, und unsererhiesiger chandail, der jede Art der Oberkörperbekleidung be-zeichnet, ist in Frankreich eben nur ein Wollpullover, sonstnichts. Zur Fußbedeckung bietet das Wörterbuch sowohl diechaussures (frz.) als auch die souliers (québécois) an. Lesbaskets sind bei den Frankokanadiern les running shoes, war-um auch nicht – die Turnschuhe sind ja in Deutschland auchmega-out und man trägt nur noch »Sneakers«.

Gut lesbare, neue Typografie

Während man in Frankreich auf den rollers (Inliners) oder demskate durch die Straßen rollt, tun die ados das in Montréal aufden patins à roues alignées oder dem planche à roulettes. Im5 Monate langen Winter steigt man hier auf das planche a nei-ge um, in Frankreich hingegen steht la snowboardeuse lautTaschenwörterbuch auf le surf, laut Muttersprachlerin jedochauf le snowboard.

Außerdem weiß ich jetzt, dass der deutsche »Serienkiller«in Frankreich le serial killer heißt – allerdings nur im Wörter-buch. Meine Französischlehrerin hat das Wort noch nie ge-hört. Fazit: Vor den Anglizismen ist man nirgendwo sicher,nicht einmal mehr beim l’institut de la langue française bzw.beim l’office québécois de la langue française!

Die zweifarbige Gestaltung mit Stichworten in Blau mitneuer Typografie ist sehr gut lesbar. Das Taschenwörterbuchnennt sich »ein Meilenstein in der Wörterbuch-Entwicklung«und bietet »intuitive Navigation« und »mehr Luft« – und waswill man mehr! Mehr Luft! Mehr Licht!

Anke Burger

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Online-Bibliothek Europeana

Dieses Projekt wird von der EU-Kommission initiiert. Für www.europeana.eu haben die Nationalbibliotheken und Kulturinstitute der 27 EU-Mitgliedsstaaten mehr als zwei Millionen Bücher, Landkarten, Aufnahmen, Fotografien, Do-kumente, Gemälde und Filme aus den eigenen Beständen für das Projekt zur Verfügung gestellt und dabei auf die Bestän-de von über 1.000 Archiven Museen und Bibliotheken und deren bereits digitalisiertes Material zugegriffen.

Dieser Text und ein bisschen mehr dazu findet sich auf un-serem neuen Gegenüber: www.orbitpress.at/harranth – und gemehlt sollte jetzt werden an: [email protected]

Wolf Harranth

Impressum

Übersetzen (ehemals »Der Übersetzer«) erscheint halbjährlich.

Herausgeber: Verband deutschsprachiger Übersetzer

literarischer und wissenschaftlicher Werke e. V. (VdÜ)

in Zusammenarbeit mit der Bundessparte Übersetzer

des VS in ver.di, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin.

Bankverbindung: SEB AG Bank Berlin, Konto 1619848500,

BLZ 10010111.

Redaktion (verantwortlich): Dr. Sabine Baumann, Obermainanlage 21,

60314 Frankfurt am Main

Dr. Stephanie Kramer, Prenzlauer Allee 41, 10405 Berlin

Rezensionen: Anke Burger, 4646 Rue de la Roche,

Montréal QC H2J 3J6, Kanada

Abonnements: Maike Dörries, Stresemannstr. 19, 68165 Mannheim

Layout: Christoph Morlok, Heidelberg

Gestaltung Umschlag: Rimini Berlin

Druck: Druckkollektiv Gießen

ISSN 1868-6583

Für unverlangte Manuskripte keine Haftung. Nachdruck nur

mit Genehmigung der Redaktion und mit Quellenangabe.

02/09

WürdigungenTurgenjew-Preis 2008 an Peter Urban 1Bundesverdienstkreuz an Helga Pfetsch 1Preis der Leipziger Buchmesse 2009 an Eike Schönfeld 2Deutsch-italienischer Übersetzerpreis an Sigrid Vagt, Marianne Schneider und Esther Hansen 3Karl-Dedecius-Preis an Renate Schmidgall 4

6. Wolfenbütteler GesprächBericht von Tanja Handels 6wolfenbüttel, morgen, heute von Mirjam Madlung 8Übergabe des Hieronymusrings von Susanne Lange an Ulrich Blumenbach 8

Internationaler ÜbersetzertagHieronymusfest in Österreich 11 und die Tradition des Hieronymusrings in Deutschland 12

VeranstaltungenDeutsch-argentinische Übersetzerwerkstatt in Buenos Aires 12Musikalische Transskriptionen in München 13Seminar für Übersetzer finnischer und finnlandschwedischer Literatur in München 14

NachrufeZum Tod von Angela Präsent (1945–2009) – Stimmen aus dem Verband 14In memoriam Elmar Tophoven (1923–1989) – Josef Winiger 15

RezensionenSwetlana Geier: Leben ist Übersetzen 16Roberto Braccini: Praxiswörterbuch Musik, Italienisch – Englisch – Deutsch – Französisch 16Langenscheidt Taschenwörterbuch Französisch 17

Umschlag: Wolf Harranths PC-RubrikRedaktionsteam Übersetzen erhält Verstärkung: Dr. Stephanie Kramer

42. Jahrgang, Juli – Dezember 2009

Sammel-Surium

Im Web finden wir Portale, die an sich bereits eine Fülle von Informationen bündeln. Sucht man also zu einem bestimm-ten Themenkreis Information, wird man dort manchmal eher fündig als mit Googeln. Drei Beispiele:

Werbung weltweit

Seit Mitte April ist mit ADSandBRANDS (AaB) www.adsand-brands.com ein neues Webportal online, das den Besucher auf eine Zeitreise durch Jahrhunderte der Marken und Werbung schickt. Auf der Webseite werden aktuell über 20.000 Marken- und Werbesujets aus internationalen und deutschsprachigen Medien präsentiert. Das neue Marken- und Werbearchiv im Internet ist nicht nur für die Werbebran-che gedacht, sondern soll auch bis zu einem gewissen Grad Aufschluss über die kulturelle Entwicklung einer Gesellschaft und deren Zeitgeist geben. Derzeit ist das Angebot noch in der Gratis-Testphase.

Digitale Welt-Bibliothek

Ebenfalls seit Mitte April wird mit der World Digital Library www.worlddigitallibrary.org ein ambitioniertes Digitali-sierungsprojekt angeboten, das sein Material von einer Vielzahl renommierter Bibliotheken, Schriftensammlungen und Archiven aus der ganzen Welt bezieht. An dem von der UNESCO geförderten Projekt beteiligen sich weltweit 32 Partnerinstitutionen. Mit dabei sind unter anderem so ange-sehene Bibliotheken wie die Bibliotheca Alexandrina und die Nationalbibliotheken Ägyptens, Frankreichs oder Russlands. „Die World Digital Library wird bedeutende Primärmaterialien aller Kulturen rund um den Globus in vielen verschiedenen Sprachen kostenlos im Internet zugänglich machen“, heißt es auf der Homepage. Ziel des umfangreichen Engagements sei die Förderung des internationalen und interkulturellen Ver-ständnisses. Achtung: Wer hier einmal einsteigt, kommt so schnell nicht wieder in den tristen Übersetzer-Alltag zurück, zu verlockend ist das Angebot.

Redaktionsteam Übersetzen erhält Verstärkung

Stephanie Kramer, geboren 1969 in Münster/Westf. Studium der Anglistik/Amerikanistik, Romanistik, BWL und Didaktik in der Erwachsenenbildung an der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Sheffield University. Im Anschluss Promotion über die Verarbeitung von Geschichte und Biografie in britischen Dramen seit 1970. Seit 2003 Arbeit als freie Lektorin,

Übersetzerin und Autorin (www.buchbarke.de). Sie übersetzt Unterhaltungsliteratur: historische Romane, Krimis und ganz allgemein Frauenliteratur. Ab diesem Heft betreut sie Übersetzen zusammen mit Sabine Baumann und Anke Burger. Hinweise auf und Berichte über Veranstaltungen, Seminare und Workshops bitte künftig an: [email protected].