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Morgenmuffel von Martin Zenhäusern ([email protected] ) Wir wissen längst, dass wir zu gewissen Tageszeiten unterschiedliche Leistungen erbringen. Morgenmuffel und chronische Langschläfer benötigen manchmal eine gehörige Portion Kaffee und Nikotin, um überhaupt einigermassen wach zu werden. Die Nachtaktiven wiederum kommen gerade dann so richtig in Schwung, wenn die Frühstarter bereits zu Abend essen. Dänemark hat erkannt, dass es vorteilhaft für die Betroffenen wäre, wenn jeder Mensch seinem eigenen Tagesrhythmus gemäss tätig sein könnte. Erste Pilotprojekte sollen bereits in diesem Jahr starten. So soll es eine Nachmittagsschule geben mit Unterrichtsbeginn um zwölf Uhr dreissig. Zudem sollen flexiblere Arbeitszeiten im öffentlichen Sektor und in der Privatwirtschaft eingeführt werden. „Warum unser Leben von einem Wecker fremd bestimmen lassen?“, lautet die zentrale Frage. Sind die Dänen Trendsetter oder ist dies nur eine sozial verbrämte Initiative? In der modernen Gehirnforschung ist bewiesen worden, dass sowohl Kinder in der Schule als auch Erwachsene in ihrem Job ihre Sache dann gut machen, wenn die Aufgabe ihren Fähigkeiten entspricht. Für hoch begabte Kinder zum Beispiel bedeutet Anpassung an ein normales Lerntempo oft die Qual einer schier unerträglichen Langeweile. In der Regel lernen die Kinder nach einer einheitlichen Methode, obwohl längst bekannt ist, wie unterschiedlich Begabungen ausfallen. Für Individualität bliebt dann wenig Raum. Zudem ist das Gehirn der Jugendlichen häufig noch nicht so ausgebildet, dass sie sich bereits frühmorgens gut konzentrieren können. Was sich wiederum negativ auf die Leistung auswirkt. In der griechischen Antike betrieben die Philosophen regelrechte Glücksschulen, um die Früchte ihres Nachdenkens in den Köpfen ihrer Schüler zu verankern. Es gab keine strikte Trennung wie heute zwischen Wissenschaft und Lebenskunst. Ziel des Unterrichts war, dass die Schüler ausgeglichener und fröhlicher lebten. Wir hatten seinerzeit im Kollegium ein Fach mit dem Namen „Lebenskunde“. Für Zwölfjährige war das durchaus anspruchsvoll und wegweisend – oder wäre es gewesen, wenn die Verpackung mit dem Inhalt übereingestimmt hätte. Der Ansatz jedenfalls war modern. Schulen und Unternehmen tun gut daran, wenn sie den Schülern einen auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Unterricht und den Arbeitnehmern eine ihrem Tagesrhythmus angepasste Tätigkeit ermöglichen. Wie in vielen Studien festgestellt worden ist, fühlen sich die Menschen bei einer intensiven Tätigkeit – spannender Unterricht, interessanter Job – wohler, als wenn sie sich am Abend oder in der Freizeit im Nichtstun ergehen. Beispielsweise gaben Fabrikarbeiter während ihrer Arbeitsstunden mehr als doppelt so oft an, sich gut zu fühlen als in der Freizeit. Bei Angestellten und Managern lag diese Quote bei gross angelegten Untersuchungen noch höher. In Anbetracht der globalisierten Welt und der hundertprozentigen Erreichbarkeit wird zwar wenig Rücksicht mehr auf die persönlichen Befindlichkeiten genommen. Trotzdem können sich unbeabsichtigt die Grenzen verwischen: Wenn ein hiesiger Morgenmuffel mit einem entfernten Nachtaktiven kommuniziert, hebt die Zeitdifferenz den Unterschied zwischen beiden wieder auf.

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Morgenmuffel von Martin Zenhäusern ([email protected]) Wir wissen längst, dass wir zu gewissen Tageszeiten unterschiedliche Leistungen erbringen. Morgenmuffel und chronische Langschläfer benötigen manchmal eine gehörige Portion Kaffee und Nikotin, um überhaupt einigermassen wach zu werden. Die Nachtaktiven wiederum kommen gerade dann so richtig in Schwung, wenn die Frühstarter bereits zu Abend essen. Dänemark hat erkannt, dass es vorteilhaft für die Betroffenen wäre, wenn jeder Mensch seinem eigenen Tagesrhythmus gemäss tätig sein könnte. Erste Pilotprojekte sollen bereits in diesem Jahr starten. So soll es eine Nachmittagsschule geben mit Unterrichtsbeginn um zwölf Uhr dreissig. Zudem sollen flexiblere Arbeitszeiten im öffentlichen Sektor und in der Privatwirtschaft eingeführt werden. „Warum unser Leben von einem Wecker fremd bestimmen lassen?“, lautet die zentrale Frage. Sind die Dänen Trendsetter oder ist dies nur eine sozial verbrämte Initiative? In der modernen Gehirnforschung ist bewiesen worden, dass sowohl Kinder in der Schule als auch Erwachsene in ihrem Job ihre Sache dann gut machen, wenn die Aufgabe ihren Fähigkeiten entspricht. Für hoch begabte Kinder zum Beispiel bedeutet Anpassung an ein normales Lerntempo oft die Qual einer schier unerträglichen Langeweile. In der Regel lernen die Kinder nach einer einheitlichen Methode, obwohl längst bekannt ist, wie unterschiedlich Begabungen ausfallen. Für Individualität bliebt dann wenig Raum. Zudem ist das Gehirn der Jugendlichen häufig noch nicht so ausgebildet, dass sie sich bereits frühmorgens gut konzentrieren können. Was sich wiederum negativ auf die Leistung auswirkt. In der griechischen Antike betrieben die Philosophen regelrechte Glücksschulen, um die Früchte ihres Nachdenkens in den Köpfen ihrer Schüler zu verankern. Es gab keine strikte Trennung wie heute zwischen Wissenschaft und Lebenskunst. Ziel des Unterrichts war, dass die Schüler ausgeglichener und fröhlicher lebten. Wir hatten seinerzeit im Kollegium ein Fach mit dem Namen „Lebenskunde“. Für Zwölfjährige war das durchaus anspruchsvoll und wegweisend – oder wäre es gewesen, wenn die Verpackung mit dem Inhalt übereingestimmt hätte. Der Ansatz jedenfalls war modern. Schulen und Unternehmen tun gut daran, wenn sie den Schülern einen auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Unterricht und den Arbeitnehmern eine ihrem Tagesrhythmus angepasste Tätigkeit ermöglichen. Wie in vielen Studien festgestellt worden ist, fühlen sich die Menschen bei einer intensiven Tätigkeit – spannender Unterricht, interessanter Job – wohler, als wenn sie sich am Abend oder in der Freizeit im Nichtstun ergehen. Beispielsweise gaben Fabrikarbeiter während ihrer Arbeitsstunden mehr als doppelt so oft an, sich gut zu fühlen als in der Freizeit. Bei Angestellten und Managern lag diese Quote bei gross angelegten Untersuchungen noch höher. In Anbetracht der globalisierten Welt und der hundertprozentigen Erreichbarkeit wird zwar wenig Rücksicht mehr auf die persönlichen Befindlichkeiten genommen. Trotzdem können sich unbeabsichtigt die Grenzen verwischen: Wenn ein hiesiger Morgenmuffel mit einem entfernten Nachtaktiven kommuniziert, hebt die Zeitdifferenz den Unterschied zwischen beiden wieder auf.

Ob Morgenmuffel oder Nachtaktiver, letztlich geht es darum, die vorhandene Zeit sinnvoll einzusetzen. So wie wir dies als Zwölfjährige in der „Lebenskunde“ gelernt haben: „Die Zeit vergeht, der Augenblick entschwebt. Wen du nicht genutzet, den hast du nicht gelebt.“

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