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Archiv für ý1 t GLGk-C41 Kulturgeschichte Herausgegeben von FRITZ WAGNER Sonderdruck Im Buchhandel nicht erhältlich ANNA-DOROTHEE VON DEN BRINCKEN, Eine christliche Welt- chronik- von Qara Qorum. Wilhelm von Rubruck OFM und der Nestorianismus JOHANNES ZAIiLTEN, Die Hippiatria" des Jordanus Ruffus. Ein Beitrag zur Naturwissenschaft am Hof Kaiser Friedrichs II. DIETER BREUER, Die Auseinandersetzung mit dem ober- deutschen Literaturprogramm im 17. Jahrhundert. Zum Ver- hältnis von sprachlicher und gesellschaftlicher Programmatik GUSTAF KLE. \SENS SCHMELZEISEN, Staatsrechtliches in den Trauerspielen des Andreas Gryphius KLAUS GERTEIS, Bildung und Revolution. Die deutschen Lesegesellschaften am Ende des 18. Jahrhunderts HANS SCHJIIDT, Francis Park-man als Historiker FRANZ FLAsKAaiP, Eine Begegnung mit Georg Steinhausen KARL-HEINZ GÖTTERT, Literaturgeschichte als germanische Philologie. Bemerkungen zu einer neuen Fachenzyklopädie KULTURGESCHICHTLICHE UMSCHAU. Besprechungen - Einge- sandte Bücher - Mitteilungen 53. BAND 1971 HEFT 1 BOHLAU VERLAG KÖLN WIEN

ý1 Archiv für - MGH-BibliothekJohanns del Piano Carpini. Wilhelm weilte seit dem 28. Dezember 1253 7 am Hoflager des Groß- khans, nur zehn Tagereisen von Qara Qorum entfernte, und

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Archiv für

ý1 t GLGk-C41

Kulturgeschichte Herausgegeben

von FRITZ WAGNER

Sonderdruck

Im Buchhandel

nicht erhältlich

ANNA-DOROTHEE VON DEN BRINCKEN, Eine christliche Welt-

chronik- von Qara Qorum. Wilhelm von Rubruck OFM und der Nestorianismus

JOHANNES ZAIiLTEN, Die �Hippiatria"

des Jordanus Ruffus. Ein Beitrag zur Naturwissenschaft am Hof Kaiser Friedrichs II.

DIETER BREUER, Die Auseinandersetzung mit dem ober- deutschen Literaturprogramm im 17. Jahrhundert. Zum Ver- hältnis von sprachlicher und gesellschaftlicher Programmatik

GUSTAF KLE. \SENS SCHMELZEISEN, Staatsrechtliches in den Trauerspielen des Andreas Gryphius

KLAUS GERTEIS, Bildung und Revolution. Die deutschen Lesegesellschaften am Ende des 18. Jahrhunderts

HANS SCHJIIDT, Francis Park-man als Historiker

FRANZ FLAsKAaiP, Eine Begegnung mit Georg Steinhausen

KARL-HEINZ GÖTTERT, Literaturgeschichte als germanische Philologie. Bemerkungen zu einer neuen Fachenzyklopädie

KULTURGESCHICHTLICHE UMSCHAU. Besprechungen - Einge-

sandte Bücher - Mitteilungen

53. BAND 1971 HEFT 1

BOHLAU VERLAG KÖLN WIEN

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Aus dem Inhalt der künftigen Hefte

Peter Berg1ar, Die kirchliche und politische Bedeutung des Pontifikats Ha- drians VI.

Urs Bitterli, Der Eingeborene im Weltbild der Aufklärungszeit

'Alexander Dem andt, Politische Aspekte im Alexanderbild der Neuzeit. Ein Beitrag zur historischen Methodenkritik

W. Theodor E1wert, Die Entdeckung Japans für die europäische Literatur

Hans K1oft, Marginalien zur Apocolocyntosis und zum Prinzipat des Nero

Ernst Laubach, Wahlpropaganda im Wahlkampf um die deutsche Königs-

würde 1519

Hans Liebeschütz, Meister Eilhart und Moses Maimondes

Klaus 0ettinger, Vergegenwärtigung und Konstruktion. Bemerkungen über Möglichkeiten historischer Darstellung

Michael Salcwski, �Neujahr 1900" - Die Säkular-wende in zeitgenössischer

' Sicht

Wolff A. vonSch in- idt, Heine und Marx

Alfred Stücke 1berger, Lucrctius reviviscens. Von der antiken zur neuzeit- lichen Atomphysik

Hans Tümmler, Der Minister Goethe und die Hochschulreform

Ernst Zieg1er, Ferdinand Vetter, ein Schüler Jacob Burckhardts in Selbst- zeugnissen seiner Jugendzeit

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Eine christliche Weltchronik von Qara Qorum

Wilhelm von Rubruck OFM und der Nestorianismusl

von Anna-Dorothee v. den Brincken

Professor DDr. Alexander v. Randa

zum 22.11.1971

Venit vigilia pentecostes. Nestorini scripserunt cronica a creatione mundi usque ad passionem Christi; et pertrauseuntes passionein tetigerunt de ascen- sione ei resurrectione mortuorum et adventu ad iudiciunz, in quibus aliqua fuerunt reprehensibilia, que docui cos. Nos autem simpliciter scripsimus sim- bolum misse Credo in unum Deum".

Es kam der Pfingstsamstag. Die Nestorianer schrieben an einer Chronik von Erschaffung der Welt an bis zur Passion Christi; und während sie über die Passion hinweggingen, berührten sie die Himmelfahrt und die Auferstehung der Toten sowie die Wiederkunft zum Gericht. Daran war einiges auszusetzen, worüber ich sie belehrte. Wir hingegen schrieben einfach das Glaubensbekenntnis der Messe nieder: Ich glaube an den einen Gott" 2.

Mit diesem knappen Bericht schildert der Minorit Wilhelm von Rubrudc in seinem �Itinerarium", das mit seinen genauen Daten schon fast Tage- buch-Charakter hat, seine gemeinschaftliche Arbeit mit den Nestorianern an der Erstellung einer Universalgeschichte am 30. Mai 1254 zu Qara

1 Für die Umschrift orientalischer Namen wurden zugrunde gelegt: P. Ludger Bernhard, Die Universalgeschichtsschreibung des christlichen Orients, in: Mensch und Weltgeschichte. Zur Geschichte der Universalgeschichtsschreibung. Siebentes Forschungsgespräch des Internationalen Forschungszentrums für Grund- fragen der Wissenschaften, Salzburg, hrsg. von Alexander Randa (Salzburg/Mün- chen 1969) S. 111 ff.; Bertold Spu1er, Die Mongolen in Iran (Berlin 2. Aufl. 1955 und S. Aufl. 1968).

Die Verfasserin dankt den Herren Prof. Dr. Julius Aßfalg, München, Prof. DDr. P. Ludger Bernhard, Salzburg, Prof. Dr. Walther Heissig, Bonn, und Prof. Dr. Karl Jahn, Leiden/Utrecht, für mannigfadhe Hinweise. Sie hofft, in abseh- barer Zeit eine umfangreichere Untersuchung über den christlichen Orient im Weltbild der Lateiner des 12. -14. Jahrhunderts vorlegen zu können.

s Wilhelm von Rubruck, Itinerarium c. XXXIII, 10, cd. Anastasius van d en Wyngaert, Sinica Franciscana I (Quaracchi 1929), S. 293; nach dieser Aus- gabe wird des weiteren zitiert; zur Obersetzung siehe auch Friedrich Risch, Wilhelm von Rubrudc, Reise zu den Mongolen 1253-1255, Veröffentlgn. des Forschungsinstituts für vergleichd. Religionsgeschichte, II. Reihe, Heft 13 (Leip- zig 1934), S. 267.

1 ArcLiti" für Kulturgeschichte 53/1

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2 Anna-Dorothee v. den Brindcen

Qorum. Der Autor verfaßte sein Werk auf Veranlassung des franzö-

sischen Königs Ludwigs des Heiligen, der von ihm bereits vor dem Auf- bruch eine möglichst ausführliche Reisebeschreibung erbeten hatte3.

Wilhelm, beheimatet im einst flandrischen Raum um St. -Omer*, befand

sich auf Missionsreise am Hof Möngke Khans zu Qara Qorum, dem Regierungssitz der Mongolen, im Auftrage Ludwigs IX. von Frankreich,

um die Möglichkeiten für eine christliche Mission daselbst zu erkundens. Die

�Hauptstadt" der Mongolen hatte für Wilhelm ein ungewöhnliches

Aussehen', denn ohne den Palast des Khans wäre sie - wie er mitteilt

- nicht einmal so groß wie die Vorstadt (burgus) von St. -Denis, und das Klostergebäude dieser Abtei wäre zehnmal größer als der Palast des Khans. Als erster Europäer lieferte Wilhelm dem Abendland einen ein- gehenderen Bericht über Qara Qorum nach den nur knappen Mitteilungen Johanns del Piano Carpini.

Wilhelm weilte seit dem 28. Dezember 1253 7 am Hoflager des Groß- khans, nur zehn Tagereisen von Qara Qorum entfernte, und erreichte die Hauptstadt selbst im Gefolge des Herrschers am 5. April 1254 °. Er

war am Montag vor Pfingsten, nämlich am 25. Mai, vom Khan aufge- fordert worden, an einem Religionsgespräch teilzunehmen, das zwischen Christen, Sarazenen und Tuinen, d. h. Buddhisten, veranstaltet werden sollte. Jede Teilnehmergruppe hatte zuvor ihre Argumente niederzu- schreiben, der Khan wollte dann für sich eine Entscheidung über die Wahrheit fällen 10. An die Nestorianer war die gleiche Einladung ergan- gen, nicht hingegen offenbar an die übrigen, vermutlich gleichfalls zu Qara Qorum anwesenden, im Mongolenreich lebenden Christen wie Griechen, Russen, Alanen, Bulgaren, Tscherkessen und Walachen 11 noch an die Armenier. Anscheinend genossen Nestorianer und Lateiner bei den Mongolen ein besonderes Ansehen, die im übrigen wenig Verständ-

nis hatten für die Aufspaltung der Christen in verschiedene. Bekennt-

5 Widmungsschreiben c. 2 cd. Wyngaert, S. 164- 4 Vgl. Wyngaert, S. 147, in den Prolegomena zur Ausgabe nach Achatius

Batton OFM, Wilhelm von Rubruk, ein Weltreisender aus dem Franziskaner- orden und seine Sendung in das Land der Tataren, Franzisk. Studien Beiheft 6 (Münster 1921), S. '24f.

5 Vgl. zur Betonung des missionarischen Anliegens Chrysologus Scho 11- meyer, Die missionarische Sendung des Fraters Wilhelm von Rubrudc, in- Ostkirchliche Studien 4 (1955), S. 188-146.

o C. XXXII, 1 cd. Wyngaert, S. 285 f. 7 C. XXVII, 10, S. 243. 8 C. XXVIII, 20, S. 251. s C. XXX, 6, S. 278.

ho C. XXXIII, 7, S. 292. ih C. XVIII, 1, S. 209 erwähnt Wilhelm, daß er sie alle unterwegs traf.

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Eine diristliche Weltdironik von Qara Qorum 3

nisse und deren Rivalitäten l=. Trotz seiner wohlwollenden Einschätzung der Lateiner hatte Möngke zudem Wilhelm soeben wissen lassen, daß

er ihm die Genehmigung für einen dauernden Aufenthalt bei den Mon-

golen und für die freie Entfaltung einer Missionstätigkeit nicht zu geben beabsichtige 1s.

Am Vorabend der Pfingsten wird Wilhelm die Nestorianer aufgesucht haben, um mit ihnen das gemeinsame Vorgehen bei dem Religionsge-

spräch zu vereinbaren und die geforderte Niederschrift zu erarbeiten. Sie saßen noch im Bethaus der Nestorianer zusammen, als sie anschlie- ßend vor den Khan gerufen wurden t'. Dieses Bethaus oder die Kirche

war nicht etwa eines der bei den Mongolen üblichen Zelte, sondern eine feststehende Kirche, wie sie die Nestorianer sogar am Hoflager außer- halb der Stadt besaßen 15, zwei Steinwurf weit von diesem selbst entfernt und durch ein kleines Kreuz gekennzeichnet 16. Innen war die

�Lager- kapelle" in ansprechender Weise geschmückt, desgleichen wohl das Ora-

torium von Qara Qorum. Letzteres hatte am Chor eine Backstube, um ganz frisches Brot für die Eucharistie zu gewährleisten I7.

In diesem Raum fand Wilhelm die Nestorianer bei der Niederschrift ihrer Weltchronik vom Anbeginn der Zeiten und will festgestellt haben, daß sie in der Darstellung schnell über die Passion Christi hinweggegan-

gen wären, während sie nun Himmelfahrt, Auferweckung der Toten und die Wiederkehr zum Gericht behandelten. Wilhelm beanstandete die Fehler in der Darstellung, die ihn offenbar als Grundlage für das bevor-

stehende Religionsgespräch nicht hinreichend befriedigte; er belehrte die Nestorianer darüber, ohne damit auf den geringsten Widerstand zu stoßen. Darüber hinaus beschränkte er seinen eigenen Beitrag zu dieser

universalhistorischen Produktion auf die Niederschrift des Nizäischen Glaubensbekenntnisses, das für ihn Anfang und Ende der Geschichte

umschloß. Um seine Erzählung recht zu deuten, müssen folgende Fragen betrachtet

werden: 1. Wie hat man sich diese

�Weltchronik" von Qara Qorum vorzu- stellen?

12 Vgl. den Brief Algigidäis, aus Persien an König Ludwig von Frankreich gesandt, vom 7. Febr. 1248/49, bei Risch (wie Anm. 2), S. 4 f.; lat. Text in Ann. S. Rudberti Salisburgenses cd. Wilhelm Wattenbach, MG SS 9 (1851), S. 790.

13 C. XXXIII, 8-9 cd. Wyngaert, S. 292 f. 14 C. XXXIII, 12, S. 294. 15 C. XXIX, 19 f., S. 259. 10 C. XXVIII, 5 f., S. 245. 17 C. XXX, 11, S. 280.

1"

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4 Anna-Dorothee v. den Brincken

2. Welche Kenntnisse hatte Wilhelm von der Christologie der Nesto-

rianer? 3. Welche Beweise aus der erhaltenen nestorianischen Universalhisto-

riographie können für oder gegen Wilhelms Behauptungen herangezogen

werden? 4. Wie war Wilhelms Einstellung und sein Umgang mit Christen, die

außerhalb des lateinischen Ritus' standen? 5. War eine interkonfessionelle christliche Universalhistoriographie

überhaupt möglich, und inwieweit ist sie belegt?

1. Die Beschaffenheit der Weltchronik" von Qara Qorum

Wilhelms Aussagen über die Chronik der Nestorianer sind mager. Verloren ist uns nicht nur diese Chronik, es gibt auch kein paralleles Werk, das erhalten wäre. Als 1368 in China die Ming-Dynastie die Mon-

golen vertrieb, hat die Volkswut deren Spuren nahezu ausgelöscht und damit auch weitgehend die der Christen in Ost-Asien, während für Zentral-Asien der Aufstieg des Timer Lenk den fast gleichzeitigen, ent- sprechenden Einschnitt bedeutete. Nur reichhaltiges inschriftliches Mate-

rial hat überdauert Is. Vermutlich war die Chronik in mongolischer Sprache verfaßt; allen-

falls könnte man noch an Turksprachen denken. Das Syrische, das bei den Nestorianern auch in Zentral-Asien Kirchensprache war, wurde im Grunde nicht mehr von ihnen verstanden, war zumeist eine tote Liturgie-

sprache19; Wilhelm will wissen, daß es von Nestorianern so fehlerhaft

gehandhabt wurde wie das Lateinische von Mönchen des Abendlandes, die keine Grammatik gelernt haben. Der um seiner hohen Bildung von Wilhelm sehr geachtete nestorianische Priester und als Archidiakon betrachtete Jonas 20 war kurz zuvor verstorben 2h. Er hätte vielleicht Zu-

gang zur syrischen Literatur gehabt, denn z. B. aus den Grabsteinen aus Semirjetschie weiß man, daß es in Zentral-Asien hochgebildete Nesto-

rianer gab 22. Die mongolische Sprache pflegte damals mit uigurischen Zeichen ge-

schrieben zu werden, da die Mongolen keine eigene Schrift besaßen. Erst 1269 veranlaßte Qubilai Khan mit Rücksicht auf die Einnahme Chinas

1e Vgl. u. a. D. Chwolson, Syrisch-nestorianiscbe Grabinsdiriften aus Semirjetsdiie, M6moires dc 1'Acadimie Imperiale des Sciences dc St: P6ters- bourg, VIIe s6r., Tom. 37, Nr. 8 (lu 1888, Paris 1890); P. Y. Saeki, The Nestorian Documents and Relics in China (Tokio 1937).

1D C. XXVI, 12 ed. Wyngaert, S. 238. 20 C. XXIX, 56, S. 273f. 21 C. XXXI, 2 if., S. 283 if. 22 ChwoIson (wie Anm. 18) 11, S. 124.

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Eine duistlithe Weltdironik von Qara Qorum 5

die Schaffung der , P`ags-pa-schrift, die durch

, P`ags-pa bLo-gros rgyal-

mts`an, einen tibetanischen Mönch, entwickelt worden war 21. Im Uigu-

rischen schrieb man von oben nach unten, aber von links nach rechts im Gegensatz zu den Chinesen21, weshalb man die ursprüngliche syrische Schreibrichtung von rechts nach links 23 und eine nachträgliche Drehung

um 900 annimmt. Die uigurische Schrift basiert auf der sogdischen und hat mit der syrischen eine aramäische Basis gemein 211.

An literarischen Quellen aus dieser Zeit hat nur die Geheime Ge-

schichte der Mongolen" überdauert, weil sie unter Verschluß aufbewahrt worden war und man sie später zudem in chinesischen Schriftzeichen

niedergeschrieben hatten. Uigurisdhe Schriftzeugnisse dieser Zeit sind sonst nur in wenigen Stücken, wie etwa in den Briefen der Il-Khane

von Persien von 1289 und 1305 an den König von Frankreich 211, erhalten. Wilhelm konnte kein Mongolisch und beklagt laufend und noch im

Epilog zu seinem Werk die Dolmetschermisere; er betont immer wieder die Bedeutung eines guten Übersetzers». Er bewundert auch den arme- nischen Mönch am Hof Möngkes so uneingeschränkt wegen seiner Sprach- kenntnisse31. Dennoch wird man im Falle der Weltchronik annehmen dürfen, daß Wilhelm gut informiert war, da -ihm bei der Vorbereitung für die Diskussion vermutlich der Dolmetscher des Religionsgesprächs

selbst zur Verfügung stand, nämlich der Ziehsohn32 des Pariser Gold-

schmieds am Hof von Qara Qorum Wilhelm Bushier". Dieser muß ver-

23 Vgl. hierzu Erich Haenisch, Die Schriftfrage im mongolischen Ostreich, in: Oriente Poliano, Studi e Conferenze tenute at IsMEO at VII. centenario della nascitä di Marco Polo 1254-1954 (Rom 1957), S. 103-110; Spu1er (wie Anm. 1), S. 452.

24 C. XXV, 5 cd. Wyngaert, S. 231 und XXIX, 50, S. 271. Vgl. Hans J ens e n, Die Schrift in Vergangenheit und Gegenwart (Ber-

lin 3. Aufl. 1969), S. 410 f. 26 Ebd. S. 399 if. 27 Hrsg. und übers. von Erich Haenisch (Leipzig 2. Aufl. 1948); zur mon-

golischen Literatur der Zeit vgl. Walther H eis sig, Die Familien- und Kir- chengeschichtsschreibung der Mongolen I: 16. -18. Jahrhundert. Asiat. Forschun- gen 5 (Wiesbaden 1959), S. 11 ff.

23 Ebd. Vorwort der Ausgabe, S. I ff. so Vgl. Erich Haenisch, Zu den Briefen der mongolischen Il-Khane Argun

und Üljeitn an den König Philipp den Schönen von Frankreich (1289 und 1305), in: Oriens 2 (1949), S. 217.

36 Vgl. c. X, 5 ed. Wyngaert, S. 191; c. XIII, 6, S. 196; c. XXVI I I, 16, S. 250; c. XXIX, 3, S. 253; c. XXIX, 37, S. 265; c. XXXVI, 5, S. 807; Epilogus c. 2, S. 332; Richard Hennig, Tcrrae Incognitae III (Leiden 2. Aufl. 1953), S. 39, beurteilt die Sprachkenntnisse Wilhelms zu positiv.

31 C. XXIX, 43, S. 267 f. 32 Hierzu vgl. c. XXIX, 3, S. 253. s3 Ober diesen vgl. Leonardo Olschki, Guillaume Boucher, a French Artist

at the Court of the Khans (Baltimore 1946).

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siert gewesen sein, freilich war er vielleicht selbst Lateiner und sah das

nestorianisdie Machwerk möglicherweise bereits mit westlichen Augen an.

2. Christologie und Geschichtsauffassung der Ncstorianer

nach Wilhelm von Rubruck

Wilhelms �Itinerarium" ist für die Kenntnisse des Abendlandes vom

Nestorianismus 31 von unschätzbarem Wert und zweifellos die bedeut-

samste Quelle dieser Art, die aus dem Mittelalter erhalten ist, sieht man hier einmal von dem völlig singulär sprachlich und theologisch geschul- ten Dominikaner Ricold von Montecroce ab. Wilhelm wirkte vor wie nach seiner Reise im Heiligen Land, war also mit dem orientalischen Christentum ein wenig vertraut.

Seine literarische Bildung beschränkte sichu im wesentlichen auf die Heilige Schrift, die Regel des hl. Franziskus, die Liturgie, die Sentenzen des Petrus Lombardus sowie hinsichtlich der Geographie auf Solin und Isidor, ferner auf die Berichte seiner Zeitgenossen, die vor ihm zu den Mongolen gezogen waren. Daß er mit der Geschichtsschreibung vertraut war, kann man nicht behaupten, denn nur ein einziges Mal spielt er vage auf die Chronistik an36, in der man finden könne, daß Bulgarien, die Walachei und Slawonien einst byzantinische Provinzen gewesen seien. Aber auch in der Kontroverstheologie war Wilhelm nicht beschlagen. Der Wert seines Werkes liegt vielmehr in der außergewöhnlichen Ursprüng-

lichkeit seiner Darstellung, in seiner Unvoreingenommenheit, ja Freiheit

von überkommenen Vorstellungen, z. B. in der Erdkunde, in seiner scharfen Beobachtungsgabe und seiner lebendigen Schreibweise. Geschickt hat er alle ausgefragt, die ihm Verständnis für den Orient verschaffen konnten.

Für den Theologen unterscheidet sich der Nestorianismus von der

katholischen Lehre vor allem durch seine Christologie: die sogenannte

ostsyrische Kirche, die aus politischen Gründen in Persien übrigens schon

vor dem Konzil von Ephesus 431 ihre eigenen Wege ging und eine Nationalkirche wurde, machte sich später die auf diesem Konzil ver- dammte, angeblich auf Nestorius, 428-31 Erzbischof von Konstantinopel,

zurückgehende Lehre zu eigen, derzufolge in Christus eine göttliche Per-

son neben einer menschlichen subsistiere, verbunden lediglich durch das

3' Vgl. hierzu jean Dauvi 11 ier, Guillaume de Rubroudt et les commu- nautes Chald&ennes d'Asie Centrale au Moyen Age, in: L'Orient Syrien 2 (1957), S. 223-242.

3s Wyngaert, S. 149 ff. in den Prolegomena zur Ausgabe. 36 C. XXI, 5, S. 220.

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Eine duristliche Wcltdironik von Qara Qorum 7

moralische Band der Liebe. Maria war danach nicht Gottesmutter, son- dern nur die Mutter des Menschen Christus.

Von dieser Lehre hatte freilich Wilhelm von Rubrudc wenig Ahnung. Aber auch seine Zeitgenossen im Abendland pflegten alles Mögliche über die Nestorianer mitzuteilen, nur nicht das Wesentliche. Sehr vereinfacht hatte schon Petrus Venerabilis 1144 den Nestorianern vorgeworfen, sie leugneten die Göttlichkeit Christi und hätten diesen Irrtum die Moslems gelehrt". Der sogenannte �Innominatus

V. ", ein anonymer Pilgerbericht um 1200, wiederholte diese Aussagen und erwähnte die Verwerfung der Gottesmutterschaft Mariens, aus der man im Mittelalter zweifellos in totaler Vergröberung den Nestorianern die Leugnung der Göttlichkeit Christi andichtete.

Die bedeutsamste Zusammenstellung der Lehren verschiedener ost- christlicher Nationen vor Wilhelms Zeit bot Jakob von Vitry um 1222 in seiner �Historia Orientalis". Er vermeldete von den Nestorianern zutreffender S°, daß sie in Christus zwei Personen annähmen und in Maria nur die Mutter eines Menschen zugäben. Etwa gleichzeitig ist frei- lich Oliver, damals Kölner Domscholaster, noch exakter in seinen An- gaben insofern, als er mit Nestorianern disputierted0 und aufgrund der ihm immerhin einleuchtenden terminologischen Problematik eingestand, daß er nicht recht wisse, wie man die Nestorianer einstufen solle, weil sie ihn offenbar ihren Aussagen nach orthodox deuchten.

Auch die ältere westliche Literatur war nur durch die �Historia Tri-

partita" Cassiodors aus den griechischen Kirchengeschichten des Sokrates und Theodoret oberflächlich über den Nestorianismus informiert; dort fand sich bereits der sehr vergröberte Vorwurf griechischer Gegner der Nestorianer über das Leugnen der Göttlichkeit Christi nebenbei erwähnt, jedoch als unzutreffend".

Von all dem wußte Wilhelm nichts, seine �Hauptquelle" waren seine Sehorgane und das, was ihm seine Dolmetscher aus syrischen und mongo- lischen Aussagen zu übersetzen vermochten: da sie keine theologische Schulung besaßen, blieben viele Feinheiten verborgen'-.

a. Ed. Giles Cons tab 1 e, The Letters of Peter the Venerable I (Cambridge/ Mass. 1967), Nr. 111, S. 295 ff., an Bernhard von Clairvaux.

se I1,7-8 cd. Wilhelm Anton Neumann , Drei mittelalterliche Pilgerschrif-

ten, in: Osterreich. Vierteljahresschrift für katholische Theologie 5 (1866), S. 261- -111 C. 76 cd. Jac. Bongars, Gesta Dei per Francos I (Hanau 1611), S. 1092 f. 40 Historia Damiatina c. 66 cd. Ho og ew e g, Bibliothek des Literar. Ver-

eins Stuttgart 202 (Tübingen 1594), S. 266. 41 XII, 4 f. cd. Rudolph Hans 1ik, CSEL 71 (Wien 1952), S. 663 ff., bes.

S. 667. 4= Zu dieser Problematik vgl. um 1301 Ricold von Montecroce,

�Libellus ad

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8 Anna-Dorothee v. den Brind: en

Trotz seines emsigen Umgangs mit Nestorianern - die vor der Mon- golenzeit dem Abendland noch wenig bekannt gewesen waren - ist ihm gar nicht klar geworden, worin der Unterschied in der Christologie lag. Aber er hob sich da nicht von seinen Zeitgenossen ab, denn z. B. Alberich von Troisfontaines stufte die Nestorianer einfach als Annex der Melkiten ein ".

Während Wilhelm aufgrund seiner Beobachtungsgabe immerhin eine fast vollständige Sakramentenlehre der Nestorianer liefert", hat er sonst hinsichtlich der Dogmatik nur einen Tadel wegen ihrer Eschatologie anzubringen"-%, weil er bei einem gelehrten Priester Spuren der buddhisti- schen Seelenwanderungslehre entdeckte. Dabei handelt es sich freilich wohl um einen Fall von zentral-asiatischem Synkretismus, nicht um ein nestorianisches Charakteristikum.

Dennoch macht Wilhelm gewissermaßen unbewußt Aussagen über die Christologie der Nestorianer, einmal im Zusammenhang mit der Weltchronik der Nestorianer, zum anderen mit der Mitteilung, daß die Nestorianer keine Kreuze dulden, die einen Kruzifixus haben. Die letztere Eigenart haben sie mit den Armeniern gemeinsam46, und sie geraten sogar in äußerste Erregung über das silberne Kruzifix, das der Pariser Goldschmied für den nestorianischen Staatssekretär Bnlgäi angefertigt hat": Erst nachdem sie das Corpus abgerissen haben, geben sie Ruhe48. Entsprechend bezeugt Johann von Marignola die Ablehnung von Skulp- turen aller Art bei den Christen von Bagdad«.

Wilhelm hat für diese Eigenheiten der Nestorianer in der Christus-

verehrung zwei Erklärungen: Entweder denken sie falsch über die Pas- sion, oder aber sie schämen sich ihrer. In Wirklichkeit freilich liegt eine Besonderheit nur insofern vor, als die Nestorianer einer älteren ikono- graphischen Tradition folgen: Für sie gehört die Passion Christi der Ver-

Nationes Orientales", cd. Antoine Dondaine, Ricoldiana, Archivum FF. Prac- dicatorum 37 (1967), S. 168 f., in seinen regulac genorales.

13 Vgl. Chronicon, cd. Paul Scheffe r- Boichorst, MG SS 23 (1874), S. 985.

" Zur Taufe, Firmung, Eucharistie und zum hl. Ferment vgl. c. XXX, loff. cd. Wyngaert, S. 280 ff.; Beichte und Olung c. XXXI, 4 ff., S. 283 ff.; Weihe c. XXVI, 13 f., S. 238.

'S C. XXXIII, 15, S. 295. C. XV, 7, S. 202 f. und c. XXIX, 34, S. 264. C. XXIX, 62, S. 275 f., dazu 01 schki (wie Anm. 33), S. 33 ff.

'e Vgl. c. XXIV, 1, S. 227: das Abbild Christi sei nicht üblich. OD Cronica Boemorum cd. Jos. Em1er, Fontes Rer. Bohem. III (Prag 1882),

S. 512 a; vielleicht geht auch das Zeugnis Marco Polos über das Verbergen von �Christusfiguren" bei den Tataren auf die gleiche Eigenheit zurüdc, vgl. �11 Milione", cd. Luigi Foscolo Bcnedetto (Florenz 1928) c. 21, S. 14, Varianten- apparat.

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Eine äuistliche Weltchronik von Qara Qorum 9

gangenheit an, sie ehren im Kreuz das Symbol des Sieges und der Paru-

sieS . Hingegen kennen die Nestorianer durchaus gemalte Bilder Christi,

Wilhelm vermeldet sogar gewirkte bzw. gestickte". Der Minorit bezeugt diese Scheu der Nestorianer vor dem leidenden

Herrn auch in der Universalhistoriographie: Sie gingen schnell über Golgatha hinweg zur Himmelfahrt über und fügten ihre Eschatologie an. Woran Wilhelm da Tadelnswertes fand, ist nicht ganz eindeutig. Neben der Geringachtung der Passion dürfte ihn das allen Ostkirchen gemein- same Leugnen des Fegefeuers gestört haben. Ob er auch wußte, daß die Nestorianer nach dem Tod einen Schlaf der Seele lehren, läßt sich nicht ermitteln.

Wilhelm selbst war nicht Historiker, er schrieb nur einen Reisebericht. Er holte dabei nicht aus, um etwa die Vorgeschichte der Mongolen mitzu- teilen, sondern folgte strikt seinem Reiseverlauf und dem, was er gerade erlebte, hat allenfalls bisweilen die Schilderung mit historischen Anmer- kungen angereichert. Sein Vorgänger Johann del Piano Carpini war in

seiner �Ystoria Mongalorum" viel systematischer vorgegangen in der

Behandlung von Brauchtum und Geschehen bei den Tatarenbz. Wilhelm hatte keine besonderen Kenntnisse in der Universalhistorio-

graphie des Abendlandes. Mag er vielleicht Isidors Chroniken gekannt haben, vom aSpeculum

Historiale" des Vincenz von Beauvais, der zu jener Zeit wirkte, hatte der Minorit noch keine Kunde. So legte er nicht etwa eine lateinische Weltchronik als Vergleichsmaßstab an das Werk der Nestorianer an, sondern erwartete von ihnen im Grunde nur ein fehlerfreies Glaubensbekenntnis über die Heilsgeschichte. Ihm schien das Problem viel einfacher lösbar zu sein, indem er ein Credo nieder- schrieb. Die Nestorianer hatten nichts gegen diesen Ausweg einzuwenden.

so Vgl. Jean DauviI1ier, Les croix triomphales dans l'ancienne Eglise Chaldccnne, in: Elcona (Toulouse 1956), S. 12 f.

a' C. XXl'VIII, 6, S. 245 f.; vgl. hierzu richtig Joseph Simonius Assemani, Bibliotheca Orientalis III, 2 (Rom 1728), S. 549 ff.; Laurence E. B row n e, The Eclipse of Christianity in Asia (Cambridge 1933), S. 78; Jean Dauvi 11 ier, Quelques temoignages littcraires et archcologiques sur la presence et sur le culte des images dans l'ancienne Eglise Chaldcenne, in: L'Orient Syrien 1 (1956), S. 297 if. Die gegenteilige Ansicht vertreten George Percy Badger, The Nesto- rians and their Rituals II (London 1852, Rcpr. 1968), S. 132; Donald At t- water, The Christian Churches of the East II (revised Milwaukee 1948, Repr. 1961), S. 195; Aubry Russel Vine, The Nestorian Churches (London 1937), S. 187; Aziz Suryal Atiya, A History of Eastern Christianity (London 1968), S. 297.

U Ed. Anastasius van den IV yngaert, Sinica Franciscana I (Quaracchi 1929), S. 27 ff.

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10 Anna-Dorothee v. den Brindcen

3. Die Universalgeschichtsschreibung der Nestorianer im Mittelalter

Das Zeugnis Wilhelms, die Nestorianer suchten die Passion zu um- gehen, wird von einem anderen lateinischen Missionar völlig unabhängig von unserem Minoriten bestätigt: Ricold von Montecroce berichtet in seinem �Liber peregrinationis" ", daß Nestorianer und Sarazenen ein- ander nahestünden, denn beide ließen für Christus Jungfrauengeburt durch den Heiligen Geist zu. Doch entleerten sie das Geheimnis der Inkarnation, weil sie die Passion des Gottessohnes bestritten. Deshalb hätten sich Nestorianer und Moslems immer gut vertragen und gemein- sam die Jakobiten verfolgt, die Tod und Begräbnis des göttlichen Chri-

stus lehrten. Diese Aussage stammt zwar gleichfalls von einem abendländischen

Christen, wiegt aber ungleich schwerer als die Rubrud: s, weil Ricold fließend die syrische, arabische und griechische Sprache beherrschte und unvoreingenommen von alten Vorurteilen selbst die Theologie der Nesto-

rianer aus der syrischen Literatur studiert hat. Sie könnte aber auch dahin verstanden werden, daß die Nestorianer, die ja in Christus zwei Personen annahmen, nur die Passion des Menschen zugaben, ebenso wie für sie Maria nur die Mutter des Menschen war. Die

�Weltchronik" von Qara Qorum mag tatsächlich Mängel dieser Art aufgezeigt haben.

Wie handhaben die Nestorianer aber die Passion sonst in ihrer Uni-

versalhistoriographie? Sehr viele Vergleichswerke sind nicht bekannt

geworden, und nur wenige hat man bisher ediert-"; vollständig heraus- gegeben und übersetzt liegt nur das

�Buch der Biene" des Salomo von

Basra ss vor, eines aus Allät am Vansee in Groß-Armenien gebürtigen Nestorianers, der seit 1222 Bischof von Basra war. Diese Universal- historie ist also nur eine Generation älter als die Weltchronik aus Qara Qorum. Und hier findet sich mit dem 44. Kapitel eine recht' ausführliche Darstellung der Passion Christi-"', in der das historische Geschehen noch durch apokryphe Zeugnisse zum neutestamentlichen Bericht akzentuiert ist: Sogar die Hüter am Grabe Christi werden namentlich aufgeführt. Demnach kann keineswegs generell gesagt werden, die Nestorianer

schämten sich der Passion und übergingen sie, auch wenn die Feindschaft

63 C. 20 cd. Johann Carl Moritz Laurent ,

Percgrinatores mcdii aevi quat- tuor (Leipzig 2. Aufl. 1873), S. 128.

64 Vgl. zur Universalhistoriographie der Ostchristen Bernhard (wie Anm. I), besonders die Tabelle S. 127 über die ncstorianische Chronographic.

as The Book of the Bee. The Syriac Text with an English Translation by Ernest A. Wallis Budge (Oxford 1886).

50 Ebd., S. 94 ff.

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Eine diristliche Weltchronik von Qara Qorum 11

gegen das Bild des Kruzifixus ähnliches vermuten läßt. Zudem entfiel für die Nestorianer am Mongolenhof eine besondere Rücksichtnahme auf die Moslems.

Von den übrigen Chroniken des hohen und späten Mittelalters ist zu sagen: Das Werk des Elias bar Sinäjä von Nisibis von 1018 berührt die Passion, freilich nur am Randes'. Es ist aber eine Kurzfassung der Chronik des Eusebius, und die lateinischen Weltchroniken des frühen Mittelalters pflegen auf gleicher Basis ebenso knapp zu sein. Haben die Nestorianer zu Qara Qorum eine Vorlage wie Elias benutzt, so folgten

sie nur einer im Osten wie im Westen üblichen Tradition, und Wilhelm

urteilt hier in Unkenntnis der Weltgeschichtsschreibung. Von der Chronik von Seert um 1036 gingen die hier interessierenden

Teile verloren. Die beiden voneinander abhängigen Schriften

�Buch des Turmes"

sind für die Zeit Christi nicht ediert. Assemani SS erwähnt in seiner ziem- lich ausführlichen Inhaltsangabe der Bearbeitung des `Amr ibn Mattä

aus dem 14. Jahrhundert vom Werk des Märi ibn Sulaimän aus dem

12. Jahrhundert die Passion nicht, wohl aber Inkarnation und Auferste- hung. Demnach ist die Passion nicht in einem gesonderten Kapitel, son- dern allenfalls kursorisch abgehandelt worden. Das könnte man sich aber ähnlich denken wie bei Elias, ohne daß endgültige Aussagen gemacht werden können, solange der Text selbst unzugänglich ist.

Man wird angesichts der Chronographie des Salomo von Basra ledig- lich sagen können, daß die Nestorianer von Qara Qorum die Passion

unterspielten, sich damit aber möglicherweise nur an eine Kurzfassung der Weltchronik des Eusebius hielten. Denkbar wäre, daß man in Zen- tral-Asien gewisse Rücksichten auf andere Hochreligionen nahm.

Sehr gut möglich ist aber auch, daß Wilhelm von Rubrudc schon mit einem Vorurteil an die Chronik der Nestorianer heranging und sein Mißtrauen nur bestätigt fand.

Jedenfalls haben die Nestorianer ihre Eschatologie in die Geschichts- darstellung hineingenommen. Das war auch in der lateinischen Historio-

graphie nichts Ungewöhnliches: u. a. arbeiteten Hilarian im 4. Jahrhun- dert, Beda im S., Otto von Freising im 12., Vincenz von Beauvais im 13.

und Hartmann Schedel zu Ende des 15. Jahrhunderts entsprechend. Dieser Typ von Weltgeschichtsschreibung war eine Art dogmatischer Abriß der

Heilsgeschichte, weshalb Wilhelm nicht ohne Grund meint, es sei aus-

W Ed. u. übers. E. W. Brooks CSCO Script. Syri 111/7.8 (1910, Rcpr. 1954 als CSCO 62/63 bzw. Scriptorcs Syri 21 und 23); vgl. lat. Übers. Teil I, S. 37.

as As semani (wie Anm. 31) 111,1 (1723), S. 583f.; vgl. ebd., S. 583 Anm. 6 zur Kreuzverehrung.

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reichend, das Glaubensbekenntnis an die Stelle einer Weltchronik zu setzen: Sehr schön wird an dieser Stelle das Verständnis und die Funktion der mittelalterlichen Chronographie deutlich, gerade auch aus der Sicht der Mendikantenorden. Der Minorit war unbeschwert vom Buchwissen und ganz auf die Essenz des Glaubens ausgerichtet.

4. Wilhelms Einstellung zu den Christen des Orients

Wilhelm von Rubrudc trat den Ostchristen unvorbelastet gegenüber. Sein eigentliches Anliegen war es, bei den Mongolen eine dauernde Aufenthaltsgenehmigung für sich zu erwirken, um ihnen das Christentum

zu predigen S'. Von christlichen Schismatikern und Häretikern hatte er hingegen wenig Ahnung, die Literatur zu diesem Problemkreis war ihm unbekannt. Er war daher im Gegensatz zu vielen seiner ihm nachfolgen- den Ordensbrüder Missionar bei den Heiden und fühlte als Christ primär die Verantwortung, durch beispielhaften Lebenswandel die Mongolen

auf das Christentum aufmerksam zu machen. Darum stößt er sich zunächst einmal an der Trunkenheit der Nestorianer 60 und befürchtet, daß sie als Erzieher am Hofe des Khans durch ihr schlechtes Vorbild der Sache des Christentums schaden könnten 41. Im übrigen aber sucht kaum ein anderer Mongolenmissionar mit so großer Selbstverständlichkeit in den verschie- denen christlichen Bekenntnissen des Orients vorrangig die Brüder in Christo ez.

Über die Griechen verliert Wilhelm kein böses Wort, wie es deren sonst genug in der lateinischen Literatur gab. Er berührt auf der Heim- reise aus der Mongolei Klein-Asien und damit die vormals byzantinischen Gebiete der Türkei, wo Griechen und Armenier mehr als 90 0/o der Be- völkerung ausmachen, die somit noch weitgehend christlich ist°'. Am Mongolenhof findet er schnell nach anfänglichen Schwierigkeiten Unter-

stützung bei den Gesandten des Vatatzes, die bei Möngke zu Fürsprechern für Wilhelm und den Minoritenorden werden". Wilhelm entzieht sich dabei geschickt etwaigen Aussagen vor Möngke über das Verhältnis der

b° Vgl. ScholImeyer (wie Anm. 5), S. I88ff. 60 C. XXIX, 30 cd. Wyngaert, S. 263; auch c. XXIX, 85 u. 40, S. 264

und 266. Oi C. XXVI, 14, S. 238. °! Vgl. Wolfgang Hage, Das Nebeneinander christlicher Konfessionen im

mittelalterlichen Zentral-Asien, in: Zeitschr. d. Dt. Morgenländischen Gesell- schaft Suppl. 1,17. dt. Orientalistentag 1968 in Würzburg, Vorträge, Teil 2 (Wiesbaden 1969), S. 517-25. Diese Beobachtungen gelten aber wohl nur für das 13. Jahrhundert, im 14. Jahrhundert waren die Spannungen wesentlich stiir- kcr spürbar.

es Epilog c. 2 ed. Wyngaert, S. 330. 04 C. XXVIII, 10, S. 247.

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Eine diristlidie Weltchronik von Qara Qorum 13

Franken zu Vatatzes. Er bewundert auch die Standhaftigkeit der Griechen in der Ablehnung des Genusses von Qumys, dem tatarischen National-

getränk aus gegorener Pferdemilch". Gleiche Festigkeit bewiesen in dieser Hinsicht Russen und Alanen sei

die ja demselben Bekenntnis wie die Griechen angehörten. Die Russen hatten sich bis gen China vorgeschoben67 und waren zumeist den Tataren

untertan68. Sie wurden jedoch ebensowenig wie Alanen, Georgier, Arme-

nier und Ungarn von den Nestorianern zu deren Kommunionfeier zu- gelassen 6°.

Von den Alanen i0 sagt Wilhelm sogar, sie seien keine Schismatiker

von der Art der Griechen71, obgleich sie gleichen Ritus' seien, denn sie kämen allen Christen ohne Ansehen der Person gleichermaßen entgegen. Wilhelm läßt damit die Ostchristen sozusagen selbst entscheiden, ob sie als Schismatiker gelten wollen oder nicht, je nach ihrem Verhalten den

anderen Konfessionen gegenüber. Die Alanen lassen sich bereitwillig von Wilhelm über die Pfingstvigil belehren und das für diesen Tag geltende Gebot der Abstinenz t2, bekämpfen also keineswegs bewußt das Sabbat- fasten wie die Byzantiner. Auch lassen sie sich von dem Minoriten gern trösten wegen ihrer vermeintlichen Verfehlungen hinsichtlich Genusses

von Qumys und Fleisch von gefallenem Vieh 73. Bedeutsamer sind Wilhelms Begegnungen mit Armeniern und Nesto-

rianern. Der armenische Mönch Sergius ist Wilhelms Führer und Dol-

metscher bei Möngke7i. Er sucht seinerseits Möngke für das Christentum

zu gewinnen, indem er ihm für den Fall des Obertritts die Weltherr-

schaft71 oder zumindest eine entsprechende Intervention beim Papst76 in Aussicht stellt, und kündet auch einmal fälschlich Möngkes Taufe an 77. Aber Wilhelm bewundert andererseits die strengen Fastengebote der Armenier-". Freilich entdeckt er an ihnen auch manichäische Neigungen"

6s C. X, 5, S. 191; vgl. c. XI, 2, S. 192. 66 C. X, 5, S. 191. 67 Vgl. Jean Dauvi 11 ier, Byzantins d'Asie Centrale et d'Extreme Orient

au Moyen Age, in: Revue des Etudes Byzantines 11 (1958), S. 84. 68 C. XXI, 4cd. Wyngaert, S. 219f. 66 C. XXX, 10, S. 280. 70 Hierzu vgl. Dauvi 11 ier (wie Anm. 67), S. 72 ff. 7c C. X1,1, S. 191 f.

C. XI Q, S. 192. 7: Ezech. 44,31; bei den Tataren üblich, vgl. C. I11,1 cd. Wyngaert, S. 176. 74 C. XXVIII, 6 f., S. 246. 73 C. XXVIII, 8, S. 246. 76 C. XXIX, 55, S. 278. Tf C. XXIX, 14 f., S. 256. 78 C. XXV, 24 u. 26, S. 260 f. und c. XXIX, 59-61, S. 275. 7' C. XXIX, 56, S. 273 f.

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14 Anna-Dorothee v. den Brincken

und stößt sich an den Kurpfuschermethoden, mit denen Sergius die Khan- Gemahlin Coca erfolglos behandeltßl, vor allem aber an der Tatsache, daß dieser einem nestorianischen Geistlichen seine Hilfe versagt". Von

seiner Sprachkenntnis ist er hinwiederum so eingenommen, daß er den Mönch deshalb wie einen Bischof ehrt trotz dessen Eitelkeit und Unge-

pflegtseins 62. Er scheint sogar eine große Sympathie für ihn persönlich zu empfinden 63. Das Land der Groß-Armenier hinterläßt wegen seiner zahlreichen Kirchen einen tiefen Eindruck bei Wilhelme'. Sein Urteil über armenische Christen ist also mehr von allgemeinen ethischen Ge-

sichtspunkten bestimmt und in keiner Weise vom Bekenntnis her. Desgleichen benötigte Wilhelm die Nestorianer als Mittelsmänner. Als

solcher fungierte für ihn ein gewisser Coiac bei Satt-ages, der Wilhelms Segen ausdrücklich begehrte, ihm also ohne Vorbehalte gegenübertrat e6. Seine Gier auf Wilhelms Liturgica darf wohl vor allem als Neugier

gedeutet werdenB7. Doch stößt sich Wilhelm an der Neigung der Nesto-

rianer zur Übertreibung, z. B. hinsichtlich der Bedeutung des Priesters Johannes 96. Er begegnet ihnen allenthalben, denn zu ihnen gehören auch die Uiguren, die den Mongolen die Schrift gaben 69, weshalb die Nesto-

rianer soviele Sekretärs- und Dolmetscherposten dort in ihrer Hand haben 90. In China fand Wilhelm in fünfzehn Städten Nestorianer mit einem Bischof in Segin 91.

Wissensmangel kreidet Wilhelm den Nestorianern zwar in besonderem Maße an 92, aber nur in theologischer Hinsicht. Denn im übrigen lobt er ihre Bildung. Sie feiern die Messe in syrischer Sprache, die sie jedoch selbst gar nicht mehr verstehen. Auch haben sich bei ihnen sarazenische Bräuche eingeschlichen, z. B. die Waschungen und der freitägliche Fleisch- genuß. Da nur alle 50 Jahre ein Bischof zu ihnen zu kommen pflegt, weihen sie gewissermaßen prophylaktisch alle Knaben und genehmigen eine nachfolgende Eheschließung sogar bei denjenigen, die das Priester-

80 C. XXIX, 38 if., S. 265 if. 81 C. XXXI, 2 if., S. 283 ff. 82 C. XXIX, 43, S. 267 f. 83 C. XXVIII, 20, S. 252. 81 C. XXXVIII, 1 if., S. 321 if. 85 C. XV, 1, S. 200; dazu Dauvi 11 i er (wie Anm. 34), S. 224; zum Kreuz

der Nestorianer am Hofe Sartägs vgl. c. XV, 7, S. 202 f. 88 C. XV, 3, S. 201- 87 C. XVI, 1, S. 203 f. und XXXVII, 3 if., S. 313 f. 88 C. XVII, 2 f., S. 206 f. 89 C. XXIII, 7, S. 226 f. und XXVI, 1, S. 233. 90 C. XXVIII, 16, S. 230. 11 C. XXVI, 11, S. 237; nach Anm. 4 Hsian-fu; nach Da uvillier (wie Anm.

84), S. 226, Ta-t'ong-fu (mit Literaturnachweisen). 12 C. XXVI, 12-14, S. 238.

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Eine christliebe Weltchronik von Qara Qorum 15

amt ausüben, was auch nach dem üblichen Recht der Ostkirchen untersagt ist. Für jede priesterliche Amtshandlung lassen sie sich nach Art von Simonisten bezahlen, vernachlässigen aber ihren Dienst wegen Familien- interessen. So sind sie den Mongolen ein schlechtes Vorbild. Für Diaspora-

problematik hat Wilhelm wenig Sinn, auch nicht für die Lebensweise von Steppenvölkern, dagegen kennt er ein wenig vom Ostkirchenrecht. Seinen besonderen Arger erregt die Trunksucht Davids, des Lehrers von Möng- kes ältestem Sohn 9s.

Bülgäi, Möngkes erster Staatssekretär, ist gleichfalls Nestorianer". Am Hoflager vor Qara Qorum muß Wilhelm sich von den Nestorianern

auf sein Christentum prüfen lassen'-', weil er rasiert einhergeht wie die Buddhisten. Aber auch Mitglieder der kaiserlichen Familie wie die Klhan-

tochter Cirina und der Khansohn Aryq Boga D6 sind Nestorianer. So wer- den am Hof feierliche Gottesdienste zelebriert, und Wilhelm ist davon

ebenso beeindruckt wie von dem bildergeschmückten Kirchengebäude o7, ferner von der Strenge des Jonas-Fastens 98. Wie bei dem Armenier

widert ihn jedoch die Zauberpraktik der Nestorianer mit Psalmenversen

an, mit der sie die kranke Coca zu heilen suchen 99: Doch um der Ehre des Kreuzes Christi willen schweigt er 'dazu und schluckt seine Verärgerung

über Armenier und Nestorianer herunter. Die Messen am Gründonners-

tag und an Ostern findet er einwandfrei'", denn die Nestorianer lassen Wilhelm zur Kommunion zu und sind Rom keineswegs abgeneigt - wie sie sagen -, wenn ihnen der Weg dorthin offenstünde 101. Wilhelm pre- digt ihnen und liest eine Messe nach lateinischem Ritus112. Auch mit ihrer Taufpraxis ist er einverstanden 1o3. Der Minorit bewundert aufrichtig die Gelehrsamkeit ihres Oberpriesters Jonas, der zudem auf dem Sterbebett Unionswillen bezeigte 101. Bei dem von Möngke veranstalteten Religions-

gespräch bildet er mit den Nestorianern gewissermaßen eine gesamt- christliche Front, wenn er auch ihre Eschatologie bisweilen vor dem

C. XXIX, 30, S. 263; vgl. zu David c. XXIX, 59, S. 275 und XXX, 9, S. 279. C. XXVIII, 5, S. 245; dazu Dauvi 11 ier (wie Anm. 34), S. 225.

Ps C. XXVIII, 12, S. 248. Pa C. XXX, 9, S. 279. f7 C. XXIX, 19 f., S. 258 f. Pß C. XXIX, 24, S. 260 f. " C. XXIX, 40, S. 266 und XXIX, 43, S. 265: ... tanlen adhereLamlu socie-

tati cilu pro pier honorcrn crucis... 100 C. XXX, 10 if., S. 280 ff. 101 Über ncstorianisdlc Missalia, die den Papst in den Diptydia an erster

Stelle nennen, vgl. Dauvi 11 ier (wie Anm. 34), S. 230 f. let C. XXX, 14, S. 282. 101 Vgl. 'Wilhelm deVriesS. J., Sakramententheologie bei den Nestoria-

nern. Orientalia Christiana Analccta 133 (Rom 1947), S. 168 if. 104 C. XXIX, 36 cd. M' yngaert, S. 273 f. und c. XXXI, 4 ff., S. 283 ff.

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abendländischen Leser tadelt'*: Vor den Mongolen gehen sie gemeinsam nach genauer Absprache vor106.

Insgesamt kommt Wilhelm nicht schlecht mit den Nestorianern zurecht, jedenfalls keineswegs schlechter als mit den Armeniern 107. Er wollte sie auch weder latinisieren noch etwa zur Union zwingen: Sein Ziel waren die Tataren, und in den Nestorianern sah er seine Verbündeten, die einer Union nicht einmal abgeneigt waren. Wilhelm verwirklichte die Ein-

stellung der Missionsbulle �Cum hora undecima" los. Er gewährte co7n-

municatio in sacris allen Christen, die sie ihm gewährten, und war ebenso frei von Ressentiments wie von lateinischer Überheblichkeit, wie sie sein Zeitgenosse Simon von St: Quentin aus dem Predigerorden immerhin

sowohl den Nestorianern als auch den Georgiern und Armeniern gegen- über ausspielte10'. Daß endlich Johann von Montecorvino später so große Schwierigkeiten mit den Nestorianern im Fernen Osten hatte110, wird sicherlich sowohl an seinen Latinisierungsbestrebungen als auch an dem Versuch des Aufbaus einer lateinischen Hierarchie in China gelegen haben.

5. Interkonfessionelle Kontakte in der Universalhistorio-

graphie des Mittelalters

Mag Wilhelms Befähigung für die Universalhistoriographie auch gering und sein Wirken an der nestorianisch-lateinischen Weltchronik

primitiv gewesen sein, so liegt hier doch der wohl im gesamten Mittel-

alter singuläre Fall einer Gemeinschaftsproduktion zweier Konfessionen bei der Darstellung der Weltgeschichte in dem Sinne vor, daß beide Partner gemeinsam daran wirkten, nicht etwa der eine den anderen nachträglich übersetzte oder sogar bearbeitete. Das Zusammengehen

scheint nicht besonders problematisch gewesen zu sein, zumal die Nesto-

rianer einer Union nicht abgeneigt waren. Sie ließen sich offenbar bereit-

willig über die Passion und die letzten Dinge belehren und billigten auch

los Hierzu audi c. XXXIII, 15, S. 295, über buddhistische Einflüsse. toe C. XXXIII, 11, S. 293 f. 107 Die Urteile von H. Ma trod , Le voyage de frere Guillaume de Rubroudc

(1253-55), in: Etudes Franciscaines 19 (1908), S. 353 if., und abgeschwächter ebd. Bd. 20 (1908), S. 250, ferner von Batton (wie Anm. 4), S. 75, und Hen - nig (wie Anm. 30), S. 55 if., über Wilhelms Verhältnis zu deli Nestorianern erscheinen zu negativ.

108 Mit voller Nennung der orientalischen Nationen zuerst 1245 bei Innozenz IV., vgl. cd. Pontificia Commissio ad redigendum Codicem Juris Canonici Orien- talis, Fontes Ser. III Vol. IV, 1 (Rom 1962), Nr. 19, S. 36 if. u 6.

109 Ed. Jean Richard, Documents relatifs ä l'histoire des croisades publ. par 1'Academie des Inscriptions et Bella-Lettres 8 (Paris 1965) lib. 30 c. 70, S. 30; lib. 31 c. 96, S. 57 f.; lib. 31 c. 93, S. 60 ff. und lib. 32 c. 29, S. 86 ff.

110 Vgl. seine Briefe, cd. Wyngaert, Sinica Franciscana I, S. 340 ff.

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Eine christliche Weltchronik von Qara Qorum 17

Wilhelms Gedanken, einer Weltchronik die schlichte Form des Credos zu geben.

Eine Berührung zwischen nestorianischer und lateinischer Universal- historiographie ist sonst nicht bekannt. Beide Literaturen bauen wohl auf einer gemeinsamen Grundlage auf, der Chronik des Eusebius, die im Abendland durch Hieronymus verbreitet wurde, bei den Nestorianern

u. a. durch Simeon Bargäjä und Elias bar Sinäjä von Nisibis 111: Die Werke des Sextus Julius Africanus und Eusebius hatte die gesamte Chri-

stenheit noch gemeinsam. An griechischer Chronographie ist dem Abendland sonst nur im

�Chro- nicon Palatinum" ein Auszug aus Johannes Malalas von Antiochien, übersetzt im B. Jahrhundert'", und in der

�Chronographia Tripertita"

des Anastasius Bibliothecarius eine Bearbeitung der Schriften des Nike-

phoros, Georgios Synkellos und Theophanes Confessor im 9. Jahrhun- dert 115 übermittelt worden. Man könnte hier höchstens noch Cassiodors Übersetzung''' der Kirchengeschichten des Sokrates, Sozomenos und Theodoret, die allerdings keine Weltchroniken sind, erwähnen. Alle diese Werke entstanden vor dem Schisma.

Kontakte mit syrischer Literatur sind für das Abendland in diesem Fachbereich nicht bekannt, ebensowenig mit koptischer oder armenischer. Allenfalls war die in französischer Sprache verfaßte und für abendlän- dische Leser gedachte �Fleur

des , Estoires de la Terre d'Oricnt" des

Armeniers Hethum um 1307, also zwei Generationen nach Wilhelm, Ursache für eine nicht unwesentliche Erweiterung des abendländischen Weltbildes durch einen sich der Union verpflichtet fühlenden christlichen Orientalen.

Umgekehrt hat es nur eine abendländische Weltchronik zur Überset-

zung in wenigstens drei �orientalische"

Sprachen gebracht, und diese war zweifellos teilweise von der Kurie gelenkt im Anschluß an das Unions- konzil von Lyon 1274 bzw. die Tätigkeit der Unitoren in Armenien: die Kaiser- und Papstchronik des Martin von Troppau, entstanden und mehr- fach umgearbeitet zwischen 1265 und 1278115, die in zwei Kolumnen

parallel die Geschehnisse im Bereich des Kaiser- und Papsttums abhan- delte. Dieser Chronikentyp war übrigens keineswegs Martins Erfindung,

111 Bernhard (wie Anm. 1), S. 127. 112 Ed. Theodor 1`I ommsen in: AMG AA 13 (1898), S. 424 ff.; über die Lite-

ratur vgl. Anna-Dorothee v. den Brincken, Studien zur lateinischen Welt- chronistik bis in das Zeitalter Ottos von Freising (Düsseldorf 1957), S. 118 ff.

11s Ed. Carolus dc Boor in: Thcophanis Chronographia II (Leipzig 1885). 11c Historia ecclesiastica tripartita, cd. Rudolphus Hans 1ik, in: CSEL 71

('Wien 1952). 11s Ed. Ludwig Wei1and, MG SS 22 (1872), S. 377-475.

Archiv har Kulturgeschichte 5311

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18 Anna-Dorothee v. den Brindcen

denn er ist schon 1221 bei Gilbertus Romanus 16 belegt, war aber sehr populär im 13. und 14. Jahrhundert und wurde von der Kurie sozusagen kanonisiert. In ihm war jedoch nur Platz für die römische Kirche und das abendländische Kaisertum, er war also rein lateinisch orientiert und hatte weder Raum für nichtrömische Christen noch gar für Ungläubige. Bruchstücke einer griechischen Übersetzung von Martins Chronik 117 finden

sich bereits in einer Handschrift, die die Forschung auf 1299 datiert'". Der persische Universalhistoriker Ras"id od-Din hat seiner Franken-

geschichte119 ebenfalls eine Kurzfassung der Chronik Martins zugrunde- gelegt und diese fortgesetzt etwa gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 14. Jahrhunderts 120.

Das Echo dieser griechischen und persischen Übersetzung - Rasid od-Din war Moslem! - war offenbar relativ gering, trotz Abschriften beider Versionen. Hingegen lassen sich von der armenischen Übersetzung

und Bearbeitung der Chronik, angefertigt 1348 durch Nerses Palianentz, lateinischen Erzbischof von Maläzgird, noch 17 Handschriften nachwei- sen 121, eine Edition aber fehlt bislang. Diese Manuskripte liegen in Etschmiadsin, Täbriz, Rom, Wien und Venedig, sind der Aktivität der armenischen Unitorenbrüder zu verdanken und fanden das besondere Interesse der Mechitharisten.

Eine universalhistorische Zusammenarbeit oder gegenseitige Auswer- tung setzte somit immer Unionsbestrebungen oder aber sogar die Über-

zeugung voraus, daß es nur eine christliche Kirche gebe, der alle Christen

zugehörten. In Qara Qorum darf man um die Mitte des 13. Jahrhunderts die letztere Situation als gegeben voraussetzen.

Der Franziskaner Wilhelm von Rubrud: ist neben dem Dominikaner Ricold von Montecroce der bedeutendste Gewährsmann für die Kennt-

nisse des abendländischen Mittelalters über den Nestorianismus. Wäh-

118 Ed. Oswald Ho1der -Egger in MG SS 24 (1879), S. 122-86. 117 Ed. Angelo Mai in: Spicilegium Romanum VI (Rom 184I), S. 598 if.

(AD. 891-928). 118 Ms. Vat. Gr. 1455, fol. 23. Die Handschrift ist beschrieben und datiert

bei Alexander Turyn, Codices Gracci Vaticani sacculis XIII. et XIV. scripti Codices c Vaticanis selecti 28 (Vatikan 1964), S. 98 f.

111 Ralid al-Din Fadl Allah Abul-Khair, Histoire universelle i: Histoire des Francs. Texte persan avec traduction et annotation par K. Jahn

, in. Orien- talia Rheno-Traiectina 5 (Leiden 1951).

120 Karl Jahn , Universalgesciichte im islamischen Raum, in: Alexander

Randa, Mensch und Weltgeschichte (wie Anm. 1), S. 150 f. 121 Vgl. Marc-Antoine van den Oudenrijn, Linguae Haicanae scrip-

tores ordinis Praedicatorum congregationis fratrum Unitorum ... et Armeno-

rum (Bern 1960), S. 2 10 Of.

Page 21: ý1 Archiv für - MGH-BibliothekJohanns del Piano Carpini. Wilhelm weilte seit dem 28. Dezember 1253 7 am Hoflager des Groß- khans, nur zehn Tagereisen von Qara Qorum entfernte, und

Eine duistlithe Weltchronik von Qara Qorum 19

rend Ricold den Vorderen Orient zum Hintergrund seiner Schilderung hat, sind es bei Wilhelm die Verhältnisse in Zentral-Asien.

Beide Mendikanten waren frei von gewaltsamen Unions- und Latini-

sierungsbestrebungen, sie suchten - jeder in seiner Weise - die Zu-

sammenarbeit aller Christen auf der gemeinsamen zentralen Grundlage.

An einen hierarchischen Oberbau durch die Lateiner ist noch nirgends gedacht. Wilhelm steht mit den Nestorianern gegen Moslems, Buddhisten

und Anhänger des Schamanismus und ringt mit ihnen um eine gemein- same Position, auch hinsichtlich der Weltgeschichte.

Die spärliche Kunde über die verlorene �Weltchronik" von Qara Qorum

offenbart etwas von dem echt franziskanischen Geist der frühen Missio-

nare: duldsam, wohlwollend belehrend, friedliebend um der Ehre des Kreuzes willen, schlicht in Lehre und Bekenntnis; die Universalgeschichte

liegt im Nizäischen Glaubensbekenntnis beschlossen.