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Schulerfolg Warum ist das finnische Schulsystem so gut? Masterarbeit eingereicht an der Pädagogischen Hochschule Bern Institut Sekundarstufe I eingereicht bei: Prof. Dr. Jürg Schüpbach verfasst von: Irini Gasparis Dammweg 6 3714 Frutigen 07-593-908 Frutigen, 19. Februar 2013

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Schulerfolg Warum ist das finnische Schulsystem so gut?

Masterarbeit eingereicht an der Pädagogischen Hochschule Bern

Institut Sekundarstufe I eingereicht bei: Prof. Dr. Jürg Schüpbach

verfasst von: Irini Gasparis

Dammweg 6

3714 Frutigen

07-593-908

Frutigen, 19. Februar 2013

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Abstract

Bei der internationalen OECD-Vergleichsstudie PISA schnitten die finnischen Schülerin-

nen und Schüler sehr gut ab. Im Rahmen der Masterarbeit „Schulerfolg – made in Fin-land. Warum ist das finnische Schulsystem so gut?“ wird den Gründen für Finnlands

Schulerfolg nachgegangen. Dabei stellt sich heraus, dass das schulische Gelingen teil-weise auf eine grundlegende und gesellschaftlich tief verankerte Einstellung zurückge-führt werden kann: nämlich auf Chancengleichheit in der Bildung für alle. Dieses Para-digma widerspiegelt sich im Modell Gesamtschule, wie es heute in Finnland vorzufinden

ist. Dabei kommt den Strukturprinzipien „innere und äussere Differenzierung“ eine sehr

wichtige Rolle zu. Finnlands integrative Schulen zeichnen sich durch eine gezielte För-derung in einer möglichst frühen Lebensphase aus und verfügen über ein komplexes sonderpädagogisches Förderprogramm. Dabei fällt auf, dass die schulpolitischen Ten-denzen sukzessive in Richtung Inklusion führen. Weiter hat die Auseinandersetzung mit Differenzierungsformen auf der Unterrichtsebene gezeigt, dass der Unterricht eine signi-fikante Rolle für die guten Leistungen der Schülerinnen und Schüler spielt. Zusammen-fassend deutet der Trend darauf hin, dass in Finnland eher der klassische lehrerzentrier-te Unterricht stattfindet und Einzel-, Gruppen- und Partnerarbeiten weniger zum Tragen kommen als in der Schweiz und in Deutschland. Gründe für den Schulerfolg finden sich folglich weniger in didaktisch ausgefeilten Unterrichtseinheiten, sondern eher im basis-demokratischen Denken der Finnen, welches in Form von Gleichheitsdenken die suomi-

sche Pädagogik durchdringt.

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Inhaltsverzeichnis Abstract ........................................................................................................................ 2

1. Einleitung ............................................................................................................... 5 1.1 Einführung und Fragestellung ....................................................................................... 5 1.2 Motivation und Berufsfeldrelevanz ................................................................................ 6 1.3 Aufbau der Arbeit ......................................................................................................... 7

2 Einbettung der Thematik ......................................................................................... 8 2.1 Die PISA-Studie ............................................................................................................ 8

2.1.1 Ernüchterung über Schweizer Leistungen .............................................................. 8 2.1.2 Finnland im Rampenlicht ...................................................................................... 11

3 Die Geschichte des finnischen Schulsystems ........................................................ 13 3.1 Finnlands Schule im 19. und 20. Jahrhundert ............................................................. 13 3.2 Die Jahrhundertreform: Gemeinschaftsschule ............................................................ 16 3.3 Das heutige finnische Bildungssystem im Überblick .................................................... 18

4 Fokus I: Ebene Schulsystem ................................................................................. 22 4.1 Differenzierung ........................................................................................................... 23 4.2 Selektion .................................................................................................................... 26 4.3 Entwicklungsstufen schulischer Integration ................................................................. 30

4.3.1 Begriffsklärung Integration und Inklusion ................................................................. 31 4.4 Integration und Inklusion im finnischen Schulsystem ................................................... 34

5 Fokus II: Ebene Unterricht ..................................................................................... 37 5.1 Innere Differenzierung ................................................................................................. 37 5.2 Quality of Instruction in Physics (QuIP) ........................................................................ 40

5.2.1 Projektüberblick: Modell ....................................................................................... 41 5.2.2 Projektüberblick: Design und Stichprobe .............................................................. 43 5.2.3 Auswertung des Projekts: Zuwachs an Fachwissen ............................................. 44 5.2.4 Analyse der videographierten Unterrichtseinheiten ................................................ 46

6 Schlussteil ............................................................................................................. 53 6.1 Diskussion .................................................................................................................. 53 6.2 Persönliches Fazit ...................................................................................................... 57

7 Quellenverzeichnis ................................................................................................. 59 7.1 Literatur ...................................................................................................................... 59

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7.2 Internet ....................................................................................................................... 61

8 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................... 64

9 Anhang ................................................................................................................. 65 9.1 Fragebogen leer ......................................................................................................... 65 9.2 Fragebogen P.R. (8.10.2012) ..................................................................................... 67 9.3 Fragebogen A.Y. (08.10.2012) ................................................................................... 70 9.4 Fragebogen O.L. (11.10.2012) ................................................................................... 73 9.5 Fragebogen J.K. (27.12.2012) .................................................................................... 75

10 Selbständigkeitserklärung ................................................................................... 78

11 Erklärung zur Öffentlichmachung und Ausleihe .................................................... 79

 

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1. Einleitung

1.1 Einführung und Fragestellung

Regentropfen prasseln an die Scheibe des Zugs und verlaufen in wässrigen Fäden eben in die Richtung, aus der ich gerade komme. Draussen ist es noch stockdunkel. Ich nip-

pe an meinem lauwarmen Schwarztee und weiss, dass sich der Herbst nun definitiv ankündet. Der Schnellzug bringt mich nach Zürich-Kloten, wo mich um 10.55 Uhr der

Flug AY858 nach Helsinki-Vantaa erwartet. Müde schliesse ich die Augen und versuche mich zu entspannen. Meine Gedanken reisen nach Jyväskylä und ich frage mich, was dieses Abenteuer in mir auslösen wird. In zwei Tagen werde ich in einem finnischen Klassenzimmer sitzen und mich von den Eindrücken überraschen lassen, die mir das pädagogische Ausland zu bieten hat. Was wird finnische Schulen von den hiesigen un-terscheiden? Wie werden deren Lektionen wohl gestaltet sein? Was hat es mit dem offenen Unterricht auf sich? Werden die Schülerinnen und Schüler ständig alleine oder in Gruppen arbeiten? Und wie wird wohl die Integration schwacher Schülerinnen und Schüler in der Praxis aussehen? Mit diesen Gedanken im Hinterkopf und mit viel Schweizer Schokolade im Gepäck trete ich also meine zweiwöchige Reise an. Die oben

genannten Fragen stellen gleichzeitig die Grundlage der vorliegenden Arbeit dar und werden im Folgenden besprochen und beantwortet. Motiviert durch die Lektüre ver-schiedener Literatur habe ich mich entschlossen, Finnlands Schulerfolg genauer auf den

Grund zu gehen. Spätestens seit der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse im Dezember 2001 sind al-

ternative Schulsysteme in bildungspolitischen Debatten in aller Munde. Die unterschied-lichen Resultate haben die Frage auftreten lassen, welche Merkmale von Bildungssys-

temen für die unterschiedlichen Leistungen der einzelnen Staaten verantwortlich sind. Stets wird dabei Bezug auf die Schulsysteme nordischer Länder genommen. In diesem Zusammenhang wird oft auch von "innerer und äusserer Differenzierung" und "integrati-vem bzw. inklusivem Unterricht" als wichtigen Elementen für den Schulerfolg gespro-

chen.

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Diese Aspekte sind Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit: Mich interessiert am Bei-

spiel Finnland wie der konkrete Unterricht eines in den PISA-Tests erfolgreich abschnei-denden Schulsystems in Bezug auf Inklusion und Differenzierung in der Praxis aussieht. Fallen Dinge wie alternative Unterrichtsformen, methodische und didaktische Konzepte auf, welche für den eigenen Schulalltag übernommen werden können?

Der Fragestellung liegt die Hypothese zugrunde, dass Finnlands Schulen deshalb so

erfolgreich sind, weil die innere Differenzierung des Unterrichts eine besonders wichtige Rolle spielt. Es wird erwartet, dass der offene Unterricht als Form der inneren Differen-zierung in Finnland vermehrt anzutreffen ist. Konkret werden kooperative Lernanlässe, schülerzentrierte Aufgabenstellungen und differenzierte Unterrichtsarrangements antizi-

piert. Die Kapitel 1.3 und 1.4 verschaffen einen genaueren Überblick über das gesamte Unterfangen und zeigen auf, wie an die Beantwortung der Fragestellung und Hypothese herangegangen wird.

1.2 Motivation und Berufsfeldrelevanz

«Education is the most powerful weapon we can use to change the world.» Nelson Mandela 2003

Nelson Mandelas Zitat widerspiegelt eine der wichtigsten Überzeugungen, die mich in meinem Beruf als Lehrerin begleiten. Die Ausübung der Aufgaben erfordert viel Kreativi-tät, Entschlossenheit, Flexibilität, Empathie, Durchhaltewillen und auch Kraft. Wir haben die anspruchsvolle Aufgabe, die Generation von morgen auszubilden und sie auf ihr Leben und ihre Zukunft vorzubereiten. Dabei spielt die Bildung eine zentrale Rolle. Sie

ist die Grundlage des Denkens, Beurteilens und Begründens. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Bildung sich verändert von neuen Einflüssen, Einstellungen und Aufga-benstellungen geprägt. Genauso sind die involvierten Akteure ständig in Bewegung und

von Veränderung betroffen. Als Lehrerin habe ich den Anspruch an mich selbst, diesem

Prozess reflektiert zu begegnen. Ich bin bemüht, mein Wissen, Überzeugungen und Handlungen zu hinterfragen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit dem eige-nen und fremden Schulsystemen. Das Durchlaufen eines Bildungssystems und einer

Ausbildungsstätte in ein und demselben Kanton widerspiegelt das ganze schulische

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Gebilde nicht ausreichend. Das Kennenlernen von neuen Gedanken, Positionen und

Grundsätzen in seiner ganzen Vielfalt ermöglicht mir neue Herangehensweisen in mei-nem Schulalltag und öffnet mir den Blick für jetziges und künftiges Handeln.

1.3 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Literaturarbeit besteht aus fünf Teilen. In nachfolgender Übersicht sollen diese kurz beschrieben werden:

Einleitend wird zuerst das Abschneiden Schweizer Schülerinnen und Schüler in

den PISA-Studien besprochen. Darauf basierend wird erörtert, welche Reaktionen die PISA international auslöste und warum Finnlands Schulen in den bildungspolitischen

Diskussionen einen wichtigen Stellenwert einnahm. Daran anknüpfend wird zweitens die Fragestellung der vorliegenden Arbeit präsentiert. Nun widmet sich ein dritter Teil den geschichtlichen Hintergründen des finni-schen Schulsystems und gewährt dem Leser einen Einblick in die Entwicklungen von der Zeit der Schulreform bis hin zum aktuellen Schulmodell. Das Kernstück der Arbeit gliedert sich viertens in zwei Schwerpunkte, und disku-tiert die Strukturprinzipien „innere und äussere Differenzierung“. Kapitel Fokus I legt ei-nen Schwerpunkt auf die Ebene des Schulsystems und setzt sich mit der äusseren Dif-ferenzierung auseinander. In diesem Zusammenhang wird näher auf die Selektion als einen Teil äusserer Differenzierung eingegangen. In Bezug auf das finnische Schulsys-tem werden zudem die sonderpädagogischen Begriffe Inklusion und Integration geklärt und in den schulischen Kontext gesetzt. In Fokus II wird der Blick auf Differenzierungs-

formen innerhalb des Klassenunterrichts gerichtet. Diesbezüglich wird die Studie „Quali-ty of Instruction in Physics“ (QuIP), welche Merkmale gelingenden Physikunterrichts in Finnland, Deutschland und der Schweiz untersucht, vorgestellt.

Die Arbeit wird im Schlussteil mit einer Zusammenfassung, einer kurzen Diskus-

sion und einem Ausblick auf Anknüpfungsmöglichkeiten geschlossen.

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«Nicht das Kind soll sich der Umgebung anpassen,

sondern wir sollten die Umgebung dem Kind anpassen.» Maria Montessori

2 Einbettung der Thematik

2.1 Die PISA-Studie

2.1.1 Ernüchterung über Schweizer Leistungen

Die im Dezember 2001 erstmals vorgestellten Ergebnisse des internationalen Schulleis-tungsvergleichs PISA1 haben gezeigt, dass Schüler und Schülerinnen in der Schweiz

nur über durchschnittliche Lesefähigkeiten verfügten. Der nüchterne Titel „Für das Leben gerüstet?“ der Pressemitteilung des Bundes-

amtes für Statistik vom Dezember 2001 artikulierte das, was die Bildungspolitik, Lehr-

1 Das Forschungsprojekt PISA (Programme for International Student Assesment) wurde von der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) mit dem Ziel lanciert, regelmässig das Schulwesen der Mitgliedstaaten und den teilnehmenden Partnerstaaten zu evaluieren. Im Dreijahreszyklus werden ausgewählte Grundkompetenzen von Jugendlichen im Alter von 15 Jah-ren der Mitglieds- und Partnerstaaten in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften geprüft. Alle drei Jahre wech-selt der Schwerpunkt auf einen der oben genannten Bereiche. Im Jahr 2000 stand die Lesefähigkeit im Zentrum der internationalen Erhebungen. Eine wiederholte Überprüfung der verschiedenen Bereiche und Kompetenzen ist die Voraussetzung, um Tendenzen zu verfolgen und allfällige bildungspolitische Massnahmen auf ihre Wirkung hin zu überprüfen. Vgl. Overesch 2007: 13 und vgl. Pressemitteilung Bundesamt für Statistik 2001: 3. Bundesamt für Statistik OECD PISA 2008 URL: http://www.pisa.admin.ch/bfs/pisa/de/index/01/01/02.html (Stand 25.10.2012, 11.53 Uhr)

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personen und Autoren noch lange beschäftigen würde.2 Demnach konnte jede fünfte

getestete Person am Ende der Schulzeit „höchstens einen einfachen Text verstehen“3 und war für den bevorstehenden Berufseinstieg schlecht vorbereitet. Ebenfalls durch-schnittliche Leistungen erbrachten die schweizerischen Jugendlichen in den Naturwis-senschaften. Überdurchschnittlich gute Resultate wurden hingegen in der Mathematik

erreicht.4

Nach den Messungen in den Jahren 2000 und 2003 schloss sich der erste Zyklus des mehrjährigen OECD Programms im Jahr 2006. Anschliessend zur Lesekompetenz standen im Jahr 2003 die Mathematik und 2006 die Naturwissenschaften im Fokus der internationalen Erhebungen. 5 In diesen Testreihen schlossen die schweizerischen

Neuntklässler und Neuntklässlerinnen gut bis sehr gut ab. In den Naturwissenschaften wurde das gute und in der Mathematik die sehr gute Ergebnis von PISA 2000 und 2003 bestätigt.

Seit 2009 ist nun die zweite Projektserie am Laufen. Das vom Bund und den Kantonen ko-finanzierte OECD-Programm begann wiederum mit dem Schwerpunkt Lesen. Bei den Erhebungen von PISA 2012 bildete Mathematik den Schwerpunkt. Die

nachfolgende Tabelle zeigt eine Übersicht der im Fokus stehenden Kompetenzen von PISA 2000-2012.

2000 Lesen Mathematik Naturwissenschaft 2003 Lesen Mathematik Naturwissenschaft 2006 Lesen Mathematik Naturwissenschaft 2009 Lesen Mathematik Naturwissenschaft 2012 Lesen Mathematik Naturwissenschaft

Abbildung 1: Übersicht Kompetenzbereiche (vgl. www.pisa2012.ch)

2 Pressemitteilung BFS 2001: 1 3 Pressemitteilung BFS 2001: 1 4 Pressemitteilung BFS 2001: 1 5 Während den langjährigen Untersuchungen der drei Kompetenzbereiche bildet das Konzept „des lebenslangen Lernens“ das gemeinsame Element. Nebst den fachlichen Fähigkeiten wird also auch die „literacy“ der Lernenden gemessen. Dies umfasst einen Begriff, „der nicht nur die Kenntnisse in den einzelnen Fächern umfasst, sondern auch die Fähigkeit, über eigene Kenntnisse und Erfahrungen zu reflektieren und dieses Wissen bei der Bewältigung alltäglicher Herausforderungen anzuwenden.“ Vgl. Konsortium PISA (2010, 2011): PISA 2012 !. Kompetenzmessung bei 15-Jährigen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. URL: www.pisa2012.ch (Stand 15.11.2012, 11.27 Uhr)

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Versucht man eine Gesamtbilanz aus den verschiedenen PISA-Studien zu gewinnen,

bekräftigt sich zwar die Wichtigkeit, sich international in den drei ausgewählten Fachbe-reichen positionieren zu können, gleichzeitig zeichnen sich aber auch Grenzen des OECD-Programms ab. So unterschieden sich die Länder zum Zeitpunkt der Erhebun-gen beispielsweise in der Anzahl erteilter Wochenlektionen im getesteten Bereich, was

die Vergleichbarkeit beeinträchtigt. Andere Kritiken richten sich an die unterschiedlichen demographischen und soziokulturellen Verhältnisse der Länder, welche bei den Tests

nicht berücksichtigt wurden.6 Es ist jedoch nicht das Ziel dieser Arbeit, die Grenzen, Erhebungen und Ergebnisse des OECD-Programms im Detail zu diskutieren. Die PISA-Studie hat in dieser Arbeit nur einen kleinen Stellenwert. Vielmehr geht es um das gros-se öffentliche und mediale Interesse, das international durch PISA ausgelöst wurde.

Denn offenbar herrschte auch in der Schweiz Nachholbedarf in verschiedenen Berei-chen der Bildung, wie oben am Beispiel der Lesekompetenz gezeigt wurde.

Das Schulwesen wurde zu einem öffentlich diskutierten Thema gemacht, alterna-tive Bildungssysteme und deren Qualität rückten ins Zentrum der Debatten und Fragen zu Massnahmen betreffend Weiterentwicklung unseres Schulsystems wurden verfolgt. In diesen Ausführungen rückten Finnlands Schulen ins Interesse vieler Studien und bil-

dungspolitischen Auseinandersetzungen. Das nordeuropäische Land scheint einen Weg gefunden zu haben, Bildungsdefizite auszugleichen und ein gutes Bildungsniveau zu erreichen.

Die sich daraus ergebende Motivation dieser Arbeit besteht darin, Gründe für den finnischen Schulerfolg zu finden und an konkreten Beispielen aus dem Schulalltag zu begründen. Der direkte Vergleich zwischen dem finnischen und dem schweizeri-

schen Schulsystem wird im Folgenden unumgänglich sein. Es soll jedoch darauf hinge-wiesen sein, dass diese Gegenüberstellungen keine Bewertungen im Sinne von „bes-

ser“ oder „schlechter“ darstellen. Das Hervorheben von gemeinsamen und unterschied-lichen Faktoren bietet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit für Anknüpfungspunk-te für die im Folgenden diskutierten Aspekte.

6 vgl. Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektion (EDK) 2007: 1f

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2.1.2 Finnland im Rampenlicht

Mit den exzellenten Resultaten seiner Schüler und Schülerinnen hatte Finnland bei den PISA-Folgestudien Schlagzeilen gemacht. Mit der auffällig hohen Schreib- und Lese-

kompetenz der finnischen Jugendlichen in den Jahren 2000 und 2003 wurde vor zwölf Jahren die Reflexion über Bildung und ihr Kerngeschäft angestossen – und dauert bis heute an. Etliche Publikationen, „zahlreiche Besuche von Experten in Finnland sowie Seminare und Konferenzen auch ausserhalb Finnlands“7 zeugen vom internationalen

Interesse am finnischen Schulsystem. In diesem Zusammenhang lag es nahe, selbst nach Finnland zu fahren, und ei-

gene Eindrücke, Erfahrungen und Antworten auf meine Fragen zu sammeln. So reiste ich im September 2012 für zwei Wochen nach Jyväskylä. Ich hatte die einmalige Gele-genheit, dem Unterricht verschiedener Lehrpersonen und Fächer der zentralfinnischen Sekundarschule Viitaniemen beizuwohnen. Daraus ergaben sich viele Möglichkeiten, mit

Lehrpersonen, die gegenwärtig den Unterrichtsalltag mit ihren Schülern bestreiten, ins Gespräch zu kommen. Auf die Frage nach der Ursache des guten Abschneidens in den

PISA-Studien bekam ich von einer Lehrperson folgende exemplarische Antwort:

„Finnish society has a rather flat hierarchy. There are no obvious societal classes. The school system reflects this, and there is very little formality between students and teachers, which makes the atmosphere relaxed. Everyone learns a little bit of everything. (We often use the term "yleissivistys" or Allgemeinbildung.) In some countries, students specialize very early, so it is no wonder they will lack some of the skills measured in PISA.“8

Die Lehrperson, welche Mathematik und Physik an der Sekundarschule Viitaniemen in Jyväskylä unterrichtet, verweist auf die „flache Hierarchie“, welche typisch für die finni-

sche Gesellschaft ist. Auch O.L., der Schulleiter, sieht den Grund für den finnischen Schulerfolg im demokratischen Umgang zwischen Schülern/Schülerinnen und Lehrper-sonen. Er meint: „For learning it is good that we have certain democracy between tea-cher and his [sic!] pupils. That helps the pupils to discuss and even argue with the tea-

cher”.9 Die persönlichen Aussagen der beiden Lehrpersonen artikulieren indirekt ein Para-

digma, welches tief in der finnischen Gesellschaft und der Schulstruktur verankert zu

7 Sarjala/Häkli 2008: 5 8 P.R. Fragebogen vom 8. Oktober 2012 (siehe Anhang) 9 O.L. Fragebogen vom 11. Oktober 2012 (siehe Anhang)

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sein scheint und an dieser Stelle auch mit wissenschaftlicher Literatur belegt werden

soll. Aho beispielsweise beschreibt die Ansicht, dass

„[...] alle Mitglieder der Gesellschaft in der Zukunft eine gleich lange und mit hauptsächlich gleichen Lerninhalten besetze Grundbildung benötigen werden, unabhängig davon, in wel-chen Teilen des Landes sie wohnen, aus welcher Art von Elternhaus und Umfeld sie kom-men und in welchen Aufgaben sie später ihren Platz in der Gesellschaft finden werden.“10

Dieses demokratische Grundprinzip der finnischen Bildungsphilosophie lässt vermuten, dass kulturelle und geschichtliche Faktoren eine wesentliche Rolle für das Verstehen des finnischen Schulsystems spielen. Um erfassen zu können, wo dieses zentrale Cre-

do des finnischen Bildungswesens seine Wurzeln hat, lohnt es sich, einen Blick zurück in die Geschichte des Schulwesens zu werfen.

10 Aho 1974: 197. In: Erkki Merimaa 2009: 138

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«We take care of the weak students but the problem is how to support the

talented pupils at the same time. That leads me and perhaps many other teachers to ponder some better ways of supporting the talented.»

J.K., Sonderschullehrer an der Sekundarschule Viitaniemi, Jyväskylä

3 Die Geschichte des finnischen Schulsystems

3.1 Finnlands Schule im 19. und 20. Jahrhundert

Das finnische Volk gehört zu den herausragenden Völkern Europas gemessen an der hohen Lesekompetenz, die man in unserem Volk finden soll. Als ich vor 18 Jahren den Mut auf-brachte, einigen Zweifel an der rechten Qualität und Quantität dieser ach so ausgezeichne-ten Lesekompetenz anzubringen, erhob sich grosses Geschrei gegen mich und man be-schuldigte mich, mit Absicht sowohl die Pfarrer als das ganze Volk zu beschämen.11

Dieses Zitat stammt von Uno Cygnäus (1810-1888), der noch heute gerne als „Vater der finnischen Volksbildung“12 bezeichnet wird. Die Geschichte des finnischen Schulwe-sens kann als ein „Ringen verschiedener gesellschaftlicher Mächte“13 beschrieben wer-

den, welches sich zwischen Kirche, Zentralstaat und den regional wirkenden Kommu- 11 Uno Cygnäus Brief vom 29. September 1876. Übersetzt von Rainer Domisch. In: Domisch, Rainer 2012: 51f 12 Domisch 2012: 50 13 Skiera/Matthies 2009: 13

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nen abspielte. Bis ins frühe 20. Jahrhundert war Finnlands Geschichte geprägt von

Fremdherrschaften und Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarstaaten Schweden und Russland. Nach der russischen Oktoberrevolution erklärte Finnland seine Unab-hängigkeit, welche 1917 von Russland akzeptiert wurde. Demzufolge ist es kaum ver-wunderlich, dass in der Zeit „als Finnland Teil des schwedischen und des russischen

Königreiches war, die eigene Sprache ein besonders wichtiges Symbol der finnischen Kultur war“.14 Konsequenterweise war die Schule während ihrer Reform in der zweiten

Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Ort, „in dem das eigene finnische Erbe entwickelt, ge-pflegt und [...] zur Bildung einer nationalen Gesinnung fruchtbar gemacht werden konn-te und sollte“.15 Finnlands wirtschaftliche Unterlegenheit gegenüber seinen Nachbar-staaten muss den Wunsch nach Unabhängigkeit umso mehr verstärkt „und den Aufbau

eines professionellen Bildungssystems“ 16 vorangetrieben haben. Die „politisch-emanzipatorische Dimension der Schule [...] hat historisch tief verankerte Wurzeln“,17 so Skiera und Matthies. Dieser emanzipatorische Grundgedanke kann unter anderem auch auf Cygnäus’ Zeit-genosse und Gesprächspartner Johann Vilhelm Snellman (1806-1881) zurückgeführt

werden. Er vertrat nämlich das Hauptanliegen, ein aufgeklärtes und demokratisches gesellschafts- und Politikverständnis im Bewusstsein der finnischen Bevölkerung zu verankern. Aufgrund der anstehenden politischen und wirtschaftlichen Veränderungs-

prozesse plädierte Snellman dafür, dass der allgemeine Bildungsstand der Bevölkerung angehoben werden müsse.18 Ein gutes Bildungssystem war ebenfalls hilfreich, damit die wenigen wirtschaftlichen Ressourcen mittels hochqualifizierter Fachkräfte effizient ge-

nutzt werden konnten.19 „Zudem konnten durch das professionelle Bildungssystem die Qualität der Bildung und damit die sprachliche Fähigkeiten aller Bürger verbessert wer-

den, was wiederum zur Festigung kultureller Identität beitrug“.20 Die nationalpolitische Orientierung im Bildungswesen hielt die finnischen Päda-

gogen jedoch nicht davon ab, den Blick auch auf die Nachbarländer und Mitteleuropa zu werfen. Cygnäus’ Vorstellung, der sich für „ein möglichst langes gemeinsames Ler-

14 Pfeifer 2006: 20 15 Skiera/Matthies 2009: 15 16 Pfeifer 2006: 20 17 Skiera/Matthies 2009: 15 18 vgl. Domisch 2012: 54 19 vgl. Pfeifer 2006: 20 20 Pfeifer 2006: 20

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nen aller Kinder und Jugendlichen eines Jahrgangs“21 ausgesprochen hatte, konnte sich

damals jedoch noch nicht etablieren. In der Realität setzte sich zunächst die „alte Schule“22 durch, welche einen Schülerjahr-gang in zwei Bildungsgänge teilte. In den Ausführungen von Domisch sind die Merkma-

le der autoritären und hierarchischen Schule des frühen Finnlands folgendermassen beschrieben:

„Nach vier gemeinsamen Schuljahren wechselte eine kleine Minderheit der Kinder an die Oberschule, während die meisten Schülerinnen und Schüler die oberen Klassen der Volks-schule absolvierten. Die Oberschulen hatten acht Klassen und waren in der Regel schwe-dischsprachig. Nach einer Schulreform kam 1891 eine fünfklassige sogenannte Mittelschule hinzu, die in den ländlichen Regionen die einzige Alternative zur Volksschule blieb, denn fast alle achtklassigen Oberschulen befanden sich damals in den Städten.“23

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann ein entscheidender Grundstein für die spätere finnische Bildungspolitik gelegt: Die Schulen und die kommunale Schulpolitik trugen nämlich einen erheblichen Anteil „an der Überwindung der finnischen Ständege-

sellschaft“ bei, indem durch die Zusammenarbeit verschiedener gesellschaftlicher Gruppen die Trennung der ökonomischen Klassen im sozialen Leben der Gemeinde verringert werden konnte.24 Sarjala bezeichnet die Zeit von der Unabhängigkeit Finn-lands 1917 bis zur Schulreform der 1970er-Jahre als „Wachstumsphase“,25 da in der Mitte des 20. Jahrhunderts grundlegende Bewegungen in der Bildungsdiskussion ein-setzten.

21 Domisch 2012: 55 22 vgl. Skiera/Matthies 2009: 15 23 Doisch 2012: 54 24 vgl. Skiera/Matthies 2009: 15 25 vgl. Sarjala 2008: 49

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3.2 Die Jahrhundertreform: Gemeinschaftsschule

Nahezu fünfzig Jahre nach der Demokratisierung der Bildung wurde in den Jahren 1962

bis 1968 über eine Schulstrukturreform debattiert, welche letztendlich „in der Einführung von Gemeinschaftsschulen im ganzen Land“ endete.26 Inspirationen und Informationen zur Umstellung vom Parallel- zum Gesamtschulsystem holten sich die finnischen Exper-

ten unter anderem auf Reisen in die DDR, wie die Professorin für Pädagogik Pirjo Linna-kylä sagt.27

Man war sich einig, dass Teilreformen nicht zum gewünschten Ziel führen wür-

den und man sich radikal von dem bestehenden parallelen Schulsystem trennen muss-te.28Die Kritiken am damals gültige Schulsystem richteten sich teils gegen philoso-

phisch-ideologische Aspekte, teils gegen praktische Probleme. Die hierarchischen Schulstufen wurden als Relikt der Ständegesellschaft des 19. Jahrhunderts betrachtet und gerieten unter Legitimationsdruck. Wie sollte ein Schülerjahrgang in zwei „Kasten“ aufgeteilt werden, dem das Schulwesen verschiedene Fähigkeiten für das Leben, des-sen Weiterbildung und Berufsausübung vermittelte? Die Zweiteilung in eine theoretische und eine handwerkliche Ausbildung mochte in einer agrarisch geprägten Gesellschaft begründet sein, hielt aber den steigenden Anforderungen bedingt durch den Struktur-wandel der letzten Jahrzehnte nicht stand. Die im damaligen politischen Denken veran-kerten Forderungen nach Teilhabe und Gleichheit verlangten nach einem Neubeginn im schulpolitischen Gebilde. Das hinter dem hierarchischen Schulsystem stehende Men-schenbild wurde als wirklichkeitsfremd und zufällig betrachtet. Zudem verlangte die zu-nehmende Internationalisierung mehr Fremdsprachenkenntnisse und den Ausbau von

Kompetenzen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Die gesellschaftliche Notwendigkeit für eine Umstrukturierung des Schulsystems war also gegeben. Nach langwierigen Diskussionen wurde die umfassende Strukturierungsreform endgültig im

Jahr 1962 unter Zustimmung aller grossen Parteien mit einer überwältigenden Mehrheit

im Parlament verabschiedet. 29

26 vgl. Domisch 2012: 55 27 vgl. Fuchs 2007: 1 28 Domisch 2012: 56 29 vgl. Domisch 2012: 56 und Sarjala 2008: 52

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Die Strukturreform hatte folgende drei Motive:30

- Es wurde für wichtig erachtet, Kindern und Jugendlichen eine kostenfreie und gleiche

schulische Grundausbildung zu ermöglichen, unabhängig von Wohnort, sozialer Herkunft und finanzieller Lage der Familie.

- Man hatte erkannt, dass die Gesellschaft durch den Wirtschaftsaufschwung und den hö-heren Lebensstandard dringend ein neues Ausbildungssystem benötigte.

- Das Bildungsniveau der gesamten Bevölkerung sollte nachhaltig angehoben werden, insbesondere im Bereich der politischen Bildung.

Der zentrale Bezugspunkt der Schulreform war die Umsetzung der Gleichberechtigung in der Bildung. Alle sollten die Möglichkeit haben, in dem Gemeinschaftsschulsystem weiterzukommen, von der Grundschule bis zur universitären Bildung. Die Grundlage sollte durch die Grundschule, welche zugleich die Lernpflichtschule ist, gebildet werden.

Wie die Volksschule sollte die Grundschule eine kommunale Schule sein.31

Bevor die Gesamtschulreform jedoch ganz umgesetzt werden konnte, vergingen vier weitere Jahre. Die Durchführung der Neuorganisation wurde durch Unstimmigkeiten auf verschiedenen Seiten erschwert. Reformgegner befürchteten eine Leistungsnivellierung

und damit eine Senkung des gesamten Leistungsniveaus. Gemäss Sarjala entsprang diese Angst dem Gedanken, dass die „Lerngruppen zu heterogen würden und der Un-terricht entsprechend den Fähigkeiten der langsam lernenden Schüler angelegt werden

müsse“.32 Eine weitere Gruppe von Reformkritikern, welche aus Gymnasiallehrer be-

stand, befürchtete eine Herabsetzung ihres Berufsstandes. Der Widerstand gegen die anstehende Reform zeigte sich je nach Ort unter-

schiedlich. So wurden vor allem in grösseren Städten Protestveranstaltungen durchge-

führt, welche teilweise sogar in Schulstreiks mündeten. Die Angestellten des Bildungs-

ministeriums entschlossen sich darauf hin, verstärkt vor Ort präsent zu sein, um „Fragen aus der Bevölkerung zu beantworten und vor allem den Eltern die geplante Umstellung des Schulsystems nahezubringen“.33 Das oben erwähnte Differenzierungsproblem wur-

de so gelöst, „dass die Schüler der Sekundarstufe I ihre Fächer zum Teil wählen konn-ten (Pflichtfächer und Wahlfächer) und dass sie andererseits bei als schwierig empfun-

30 vgl. Domisch 2012: 56f 31 vgl. Kuikka 2009: 75f 32 Sarjala 2008: 55 33 Domisch 2012: 57

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denen Fächern – Fremdsprachen und Mathematik – berechtigt waren, zwischen Kursen

in zwei oder drei verschiedenen Anforderungsstufen zu wählen“.34 Der Übergang in das Gemeinschaftsschulsystem geschah nach Bezirken. Da die

Schulreform bemüht war, Ungleichheiten in den Zugangsvoraussetzungen für Jugendli-che auf dem Land auszugleichen, fand das Gemeinschaftsschulsystem hier die meisten

Fürsprecher. Nordfinnische Kommunen und Lappland begannen als erste mit der Um-stellung, andere Verwaltungsbezirke folgten und schliesslich führten 1977-78 die letzten

Schulen in Helsinki und der Hauptstadtregion die Reform durch.35 Die bereits weiter oben zitierte Pirjo Linnankylä, heute Professorin an der Universität Jyväskylä, war in den 1970er Jahren als junge Lehrerin an einem Gymnasium tätig. Im

Gespräch mit Rainer Domisch berichtet Linnankylä:36

[...] sie sei damals allein von der Vorstellung schockiert gewesen, nicht mehr nur ausgewählte Schüler zu unterrichten, sondern im Klassenzimmer heterogene Gruppen vor sich zu haben. Sie erinnert sich: „Es dauerte fast ein ganzes Jahr, bis ich verstanden hatte, dass nicht die Schüler für mich, sondern ich für die Schüler da bin. Und von da an ging es bergauf.“ Heutzu-tage würde sie nicht mehr zu einem parallelen System zurückkehren wollen. Grund für diesen Einstellungswandel sei die positive Erfahrung, dass tatsächlich alle Schülerinnen und Schüler egal welcher Kategorie von dem gemeinsamen Unterricht profitierten. Das neue System be-deute nicht weniger Bildung für gute Schüler, sondern mehr Bildung für den gesamten Schü-lerjahrgang. Tatsächlich führe eine Schule für alle keineswegs zu einer Nivellierung des Bil-dungsstandes [...], sondern bringe alle Schülerinnen und Schüler zu besseren Leistungen.

Die Tatsache, dass ein derartiger struktureller Wechsel grosse Mühe bereitete, erstaunt

wenig. Schliesslich wurde damalige Schule komplett neu gedacht. Wie diese Neuerun-gen aussahen beziehungsweise bis heute den finnischen Schulalltag bestimmen, soll im nächsten Abschnitt erläutert werden.

3.3 Das heutige finnische Bildungssystem im Überblick

Die folgenden acht Merkmale die Gemeinschaftsschulen betreffend, stützen sich auf die

Ausführungen von Domisch und Sarjala:37

34 Sarjala 2008: 55 35 vgl. Domisch 2012: 58 und Kuikka 2009: 76 36 Domisch 2012: 58f 37 vgl. Domisch 2012: 59ff und Sarjala 2008: 54f

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1. Grundgerüst des Schulsystems ist die neunjährige Gemeinschaftsschule, ihre

Lerninhalte sind im Kernbereich gleich für die gesamte Altersstufe. 2. Die Gemeinschaftsschule gliedert sich in eine sechsjährige Unterstufe (Primarstu-

fe) und eine dreijährige Oberstufe (Sekundarstufe I). Den Unterricht in der Unter-stufe erteilen spezifisch ausgebildete Primarstufenlehrer, in der Sekundarstufe I

Lehrer mit einem Fachlehrstudium (wie an den gymnasialen Oberstufen finni-scher Schulen).

3. Die Verantwortung für die Organisation der Gemeinschaftsschule wird auf die Kommunen übertragen. Allen in der Kommune wohnhaften schulpflichtigen Kin-dern muss ein Schulplatz zur Verfügung stehen. Private Anbieter von Oberschu-len dürfen ihre Schüler nicht mehr aussuchen, sondern müssen alle Schüler ohne

Aufnahmeverfahren aufnehmen. Die Lehrpläne der einzelnen Schulen müssen dem kommunalen Lehrplan entsprechen.

4. Die Gemeinschaftsschule ist kostenfrei und muss soziale Förderung bieten: kos-tenlose Lehrbücher, Schulmahlzeiten, Schülertransport, bei Bedarf Unterbrin-gung für Schüler mit weiten Anfahrtswegen, Gesundheitsversorgung und Schü-lerberatung.

5. In der Unterstufe sind die Unterrichtsfächer für alle gleich, in der Sekundarstufe I gibt es obligatorische Fächer und Wahlfächer.

6. Kinder, die aufgrund von Behinderungen, wegen Krankheit oder sonstiger Grün-

de anders lernen, müssen Förderung erhalten. Dabei hat sich der Unterricht an den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler zu orientieren. Der sonderpäda-gogische Unterricht kann so erfolgen, dass die Schüler am allgemeinen Unter-

richt teilnehmen, aber eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten in einer eigenen Grup-pe unterrichtet werden. Es können auch an einer Schule Sonderklassen gebildet

werden oder diese Schüler können in besonderen Situationen auch an einer Schule mit speziellem Förderschwerpunkt zusammengefasst werden.

7. Bei vorübergehendem Zurückbleiben muss mit individuellem Förderunterricht eingegriffen und geholfen werden.

8. Alle Kinder und Jugendliche im Land müssen an der Schulbildung teilnehmen können. Um zu lange Schulwege vor allem für kleine Schülerinnen und Schüler zu vermeiden, wurden viele kleine Grundstufen 1 bis 6 geschaffen, von denen

die Schülerinnen und Schüler dann in die 7. Klasse der Oberstufe des Schulzent-

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rums in der nächstgelegenen Gemeinde übertreten. Dort befindet sich mittlerwei-

le meist eine gymnasiale Oberstufe. Das Bildungssystem in Finnland ist in drei Stufen unterteilt: Grundlegender Unterricht, Sekundarstufe II und Hochschulausbildung. Überdies gibt es drei weitere Formen der

Schulausbildung: Die frühkindliche Erziehung, d.h. die Tagesbetreuung der Kinder, die ausserschulische Kunsterziehung für Kinder und Jugendliche sowie die breit gefächerte

Erwachsenenbildung. Im Schema auf der nächsten Seite werden die zentralen Teile des Bildungssystems vorgestellt. Vereinfacht kann das finnische Bildungssystem folgendermassen beschrie-

ben werden:38

- Freiwillige frühkindliche Erziehung (Tagesbetreuung): Der Vorschulunterricht wird den Kindern im letzten Jahr vor dem Beginn des regulären Unterrichts erteilt.

- Einheitliche Schulausbildung im Rahmen der Lernpflicht: Der gemeinsame grundlegende Unterricht dauert neun Jahre.

- Zweigliedrige Ausbildung der Sekundarstufe II: Die Sekundarstufe II umfasst die gymnasiale sowie die berufsqualifizierende Ausbildung.

- Zweigliedrige Hochschulausbildung: Die höhere Bildung wird an Fachhochschu-

len und Universitäten erteilt. - Ein vielfältiges Angebot der Erwachsenenbildung.

38 vgl. Juva 2008a: 58f und finnisches Unterrichtsministerium 2006: 2f

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Abbildung 2: das Bildungssystem in Finnland (vgl. Bildungsministerium Finnland)

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«Kinder gleich zu behandeln heisst darum, sie nicht gleich zu behandeln» Dr. A. von der Groeben, Pädagogik 55. Jahrgang Heft 9/Sept. 2003

4 Fokus I: Ebene Schulsystem

Differenzierung, Integration, Inklusion und Selektion – Dies sind wichtige Schlagwörter, die bei der Betrachtung des heutigen Schulsystems in Finnland unumgänglich sind. Der

folgende Teil gliedert sich in zwei Schwerpunkte und analysiert genauer, was durch die oben erwähnte Jahrhundertreform ausgelöst wurde.

Im Fokus I werden die eingangs genannten Fachausdrücke zunächst auf der übergeordneten Ebene – der Systemebene – betrachtet. Dabei werden die Begriffe Dif-ferenzierung, Integration, Inklusion und Selektion geklärt und einander gegenüber ge-stellt. Anschliessend folgt eine Betrachtung dieser Termini, wie das finnische Schulsys-

tem diese behandelt. Im Fokus II wandert der Blick vom Grossen ins Kleine und widmet sich einer klei-

neren Einheit: Dem konkreten Unterricht. Nach der Klärung des Begriffs „innere Diffe-renzierung“ wird eine tri-nationale Studie vorgestellt, welche Merkmale gelingenden Physikunterrichts in den Ländern Deutschland, Finnland und Schweiz untersucht.

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4.1 Differenzierung

Im schulischen Zusammenhang wird bei der „Differenzierung“ zwischen innerer und

äusserer Differenzierung unterschieden. Das untenstehende Gliederungsschema orien-tiert sich an Bönsch39 und gibt Aufschluss über die verschiedenen Unterformen der in-neren und äusseren Differenzierung.

Abbildung 3: Gliederungsschema Differenzierung (vgl. Bösch 1995)

Zu den Fachbegriffen der Differenzierungstabelle:40 - Setting: fachspezifische Leistungsdifferenzierung. Es werden fachspezifische Leis-

tungskurse eingerichtet. Ein Schüler kann in verschiedenen Fächern verschiedenen Ni-veaugruppen angehören.

- Streaming: fachübergreifende Differenzierung. Ein Schüler befindet sich in allen Fächern in der gleichen Niveaugruppe.

- Soziale Differenzierung (leistungsorientiert/interessensorientiert): orientiert sich an der Zusammensetzung der Lerngruppe (Gruppenarbeit, Partnerarbeit, Einzelarbeit). Die Zu-sammensetzung der Lerngruppe kann nach dem Leistungsniveau oder den Interessen der Schüler erfolgen.

- Methodische Differenzierung: Variation in der Art der Hilfe durch die Lehrperson, z.B. durch Hilfsmittel oder unterschiedliche Zeitvorgaben.

39 Bönsch 1995: 25. In: Pfeifer 2006: 34 40 Bönsch 1995: 25. In: Pfeifer 2006: 34

Unterrichtsdifferenzierung

äussere Differenzierung

Leistungsdifferenzierung

Setting

Fachleistungs-klassen

flexible Differenzierung

Streaming

Interessens-differenzierung

Fächerwahl Kurswahl Themenwahl

innere Differenzierung

methodische Differenzierung

mediale Differenzierung

thematisch-intentionale

Differenzierung soziale

Differenzierung

interessens-orientiert

leistungs-orientiert

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- Mediale Differenzierung: Arbeit mit verschiedenen Medien (Audio, Video, Bilder, Ar-beitsblätter etc.)

- Thematisch-intentionale Differenzierung: inhaltlich unterschiedliche Aufgaben; kann im Schwierigkeitsgrad variieren, muss aber nicht.

Die äussere Differenzierung fasst Schüler und Schülerinnen mit bestimmten Eigenschaf-ten zu möglichst homogenen Lerngruppen zusammen und trennt diese räumlich und

zeitlich von anderen Lerngruppen. Gemäss Hopf41 gibt es eine Reihe leicht erkennbarer Merkmale oder „Differenzierungskriterien“, nach denen gruppiert wird:

- das Alter des Kindes, das den Zeitpunkt seines Schuleintritts und, bis zu einem gewis-sen Grade, seine Klassenzugehörigkeit bestimmt;

- das Geschlecht, sofern am Schulort neben Koedukationsschulen auch reine Jungen- oder Mädchenschulen existieren;

- die Religionszugehörigkeit, nach der, abgesehen von den Konfessionsschulen, gele-gentlich die Aufteilung in verschiedene Klassen innerhalb derselben Schule erfolgt.

Kennzeichnend für die oben aufgeführten Merkmale sind leichte Erkennbar- und Mess-barkeit. Dies gilt jedoch in einem viel geringeren Masse für andere Merkmale, nach de-nen „Schüler in unserem Schulsystem gruppiert werden, wie zum Beispiel für Schulleis-tung, Begabung, Interessen, Neigungen“.42 Die schulische Leistung ist in vielen Schul-systemen das Differenzierungskriterium par excellence.

Der Fachausdruck „äussere Differenzierung“ steht für „Massnahmen, die lern-gruppenübergreifend (klassenübergreifend) Unterricht differenziert organisieren.“43 Be-fürworter der äusseren Differenzierung sind der Ansicht, leistungsstarke sowie leis-

tungsschwache Schüler und Schülerinnen besonders gut zu fördern, wenn sie jeweils in gesonderten Klassen in homogenen Gruppen unterrichtet werden.

Im allgemeinen Sinn lässt sich dieses Prinzip in selektionierenden Schulsystemen

als gröbste Form äusserer Differenzierung finden. Beispiele solcher selektiven Schulty-pen wären der Unterricht im Kanton Bern ab der Sekundarstufe I, wo die Schüler und

Schülerinnen vom 7.-9. Schuljahr in den Niveaustufen Real-, Sekundar- und spezielle Sekundarklassen unterrichtet werden oder die Aufteilung in Realschule, Hauptschule und Gymnasium ebenfalls ab der Sekundarstufe I in Deutschland.

41 Hopf 1976: 13 42 Hopf 1976: 13 43 Bönsch 1995: 25. In: Pfeifer 2006: 42

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Über die Mittel der äusseren Differenzierung ist man sich jedoch nicht einig. Zum einen

ist die Definition und Festlegung der Merkmale, nach welchen die Schüler und Schüle-rinnen sinnvoll in Lerngruppen eingeteilt werden sollen, mit Schwierigkeiten verbunden. Diesem Problem wird mit der milden Differenzierung Rechnung getragen und kann Fehldiagnosen durch Umgruppierung etwas nivellieren. Je nach Durchlässigkeit des

Schulmodells44 können die Schüler und Schülerinnen in den Kernfächern das Niveau wechseln, was die äussere Differenzierung etwas abschwächt.

Zum anderen ist die Wirksamkeit des „besseren Lernens“ in homogenen Grup-pen wissenschaftlich umstritten. Passow kritisierte 1972 die Wirksamkeit der Leistungs-differenzierung und bezog sich dabei auf Untersuchungen der 1930er Jahre. Er fasste zusammen: „Was die Leistung betrifft, so gibt es keine klaren Beweise, dass die homo-

gene Differenzierung entweder vorteilhaft oder nachteilig wäre. Aus den Untersuchun-gen scheint hervorzugehen, dass eine homogene Klassifizierung wirksam sein kann, wenn sie zusammen mit einer entsprechenden Ausrichtung der Mittel und Methoden einhergeht“.45

Jahre später ergänzte Klafki die Befunde von Passow und stellte fest, dass es sich bei Passows resümierten Untersuchungen zum Teil um widersprüchliche Ergebnis-

se handelte. Diese wurden fast durchweg an Streamingsystemen durchgeführt, das heisst an Schulsystemen mit fächerübergreifender Differenzierung mit besonders leis-tungsstarken Schülergruppen. Diese Schüler mussten fächerübergreifend in allen Berei-

chen das höhere Niveau erreichen, was die Forschungsergebnisse verfälscht haben könnte.46

44 1992 gab der Kanton [Bern] den Gemeinden die Möglichkeit, auf dieser Stufe [Sekundarstufe I] teilweise oder durchwegs ge-meinsamen Unterricht anzubieten (Art. 46 Abs. 3 VSG). Hauptzielsetzung der Einführung dieser verschiedenen „Zusammenarbeits-formen“ war es, die Durchlässigkeit zwischen dem Sekundar- und dem Realniveau zu erhöhen, d. h. den Entscheid betreffend den Übertritt von der Primar- zur Sekundarstufe I zu entschärfen. Im Modell 1 folgen Sekundar- und Realschülerinnen und -schüler dem Unterricht in getrennten Klassen, wie es vor der Einführung der Zusammenarbeitsformen üblich war. Im Modell 2 besuchen Real- und Sekundarschülerinnen und -schüler getrennte Klassen. Allerdings können sie in diesem Modell in einem oder mehreren Fächern gemeinsam unterrichtet werden (ausgenommen sind die Niveaufächer Deutsch, Französisch und Mathematik). Das Modell 3a oder „Modell Manuel“ sieht eine grundsätzliche Trennung in Real- und Sekundarklassen – so genannte Stammklas-sen – vor. Eine Schülerin oder ein Schüler kann jedoch maximal eines der drei Niveaufächer auf dem jeweils anderen Niveau besu-chen. Im Modell 3b oder „Model Spiegel“ werden alle Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs in „Stammklassen“ zusammen unterrich-tet. In den Niveaufächern besuchen sie den Unterricht entsprechend ihren Leistungen getrennt in Real- und Sekundarniveau. Im Model 4 oder „Modell Twann“ werden alle Schülerinnen und Schüler in allen Fächern gemeinsam unterrichtet. Die Lehrperson unterscheidet die Leistungsniveaus in den Niveaufächern klassenintern, also ohne zeitliche oder räumliche Trennung. Vgl. Hunger-bühler et al. 2007: 15f 45 Passow 1972. In: Pfeifer 2006: 46f 46 vgl. Pfeifer 2006: 47

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Hingegen stellte Teschner bei seinen Untersuchungen im Jahr 1971 an einer Berliner

Gesamtschule fest, dass während der zweijährigen Untersuchungszeit eine „relativ hohe Durchlässigkeit und Flexibilität zwischen den Kursen gewährleistet blieb“.47 Seine Er-kenntnisse relativieren die Kritik gegen die Einteilung in homogene Lerngruppen ein weinig.

Zuletzt sollen an dieser Stelle noch die zwar umstrittenen, aber in Hinblick auf die Forschungsergebnisse relevanten Thesen von Hurrelmann aufgeführt werden. Er stellte

nämlich fest, dass „sich die Bildung von homogenen Gruppen für schwächere und mit-telmässige Schüler ungünstig auswirkt“. Hurrelmann konnte nachweisen, dass keine Leistungssteigerungen zu erkennen waren oder sich die Leistungen gar verschlechter-ten. Ausserdem habe der Lerngewinn bei den leistungsstärkeren Schülern in homoge-

nen Klassen nicht wesentlich höher gelegen als in heterogenen Klassen.48

4.2 Selektion

Die Selektion ist das grundlegende Element der äusseren Differenzierung und bringt Schulen sowie Lehrpersonen in ein Spannungsfeld zwischen „Fördern“ und „Auslesen“. Streckeisen et al. diskutieren in ihrer Studie die Kontroversen, denen Lehrpersonen durch die doppelte Aufgabe des individuellen Förderns und Selektionierens ausgesetzt sind und analysieren Hintergrundüberzeugungen – s.g. „Deutungsmustertypen“ 49 – auf welche die Lehrpersonen zurückgreifen, wenn sie der widersprüchlichen Aufgabenstel-lung nachkommen müssen. Schulpolitische Debatten kreisen in Bezug auf die Selektion auch immer um die Frage der Chancengleichheit. So schreiben Streckeisen et al. zu

den Diskussionen über die Gestaltung des Bildungswesens, vor allem aber auch der Volksschule: „[...] ob genung und ‚richtig’ gefördert beziehungswiese ob genug (oder allenfalls: zu viel) und ‚richtig’ selegiert wird. Die in der Aufbruchstimmung der 1960er

und 1970er Jahre ausgelösten Debatten waren von der Irritation gespeist, dass die

schulische Praxis dem Selbstverständnis der modernen Gesellschaft widerspreche, wonach alle Menschen dieselben Bildungschancen haben und soziale Ungleichheit durch die Schule abgebaut wird.“

47 Pfeifer 2006: 47 48 Pfeifer 2006: 47 49 Streckeisen et al. 2007: 9

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Mit Blick auf die finnische Schulgeschichte in Kapitel 3 erstaunt der hier zitierte An-

spruch auf gleiche Bildungschancen wenig. Auch in der Schweiz erstarkte zur gleichen Zeit wie in Finnland der politische Wille, „die hierarchische und hierarchisierende Struk-tur der Schule zu überdenken und die qua Selektion erfolgende Aufteilung der Schüle-rinnen und Schüler auf die verschiedenen Schultypen neu zu gestalten, um so die

Chancengleichheit zu erhöhen beziehungsweise ein ‚Funktionieren’ des Leistungsprin-zips zu ermöglichen.“50 Die in den 1980er und 1990er Jahren eingeführten Schulstruk-

turen, welche noch heute in der Schweiz vorhanden sind, weisen jedoch nach wie vor eine „vertikale Gliederung“ auf, welche die Selektion der Schüler und Schülerinnen er-fordert.

Im Folgenden werden die insgesamt fünf Deutungsmustertypen von Lehrpersonen,

die mit dem Handlungsproblem „Fördern“ und „Auslesen“ umzugehen haben, zusam-menfassend vorgestellt.

- Typ 1 „Auslese der Besten“: Lehrpersonen des Typ 1 verstehen sich als „Voll-strecker“ einer „quasi natürlich verlaufenden schulischen Auslese“. Sie haben besonders die starken Schüler und Schülerinnen im Blick und fokussieren deren

Positivselektion, weil sie davon ausgehen, „frühzeitig und intuitiv richtig einschät-zen zu können, welche Schüler und Schülerinnen zu den ‚wirklich Guten’ gehö-ren und (dereinst) entsprechend positiv zu selegieren sind.“ Die „Elite“ und die

übrigen Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich in den Augen dieser Lehr-personen „fundamental hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit, ihres Arbeits- und Lernverhaltens sowie ihres Verhaltens generell.“ 51

- Typ 2 „Selektion als Platzanweisung“: Lehrkräfte dieses Deutungsmustertyps konnotieren die Selektion positiv, als „im Dienste der bestmöglichen Förderung

aller Schülerinnen und Schüler stehend“. Sie betrachten die Selektion als Vo-raussetzung dafür, dass die Schüler und Schülerinnen nach „ihrer Art“ gefördert werden können und ihren Fähigkeiten entsprechend den „richtigen Platz“ im Schulsystem zugewiesen bekommen. Dies trifft ihrer Ansicht nach auch für die

Negativselektion zu, da sie „der Motivation der Schülerinnen und Schüler zur Leistungserbringung keinen Abbruch tue bzw. die ‚Kränkung’ bloss von vo-

50 Streckeisen et al. 2007: 10 51 vgl. Streckeisen et al. 2007: 109 und 289

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rübergehender Dauer sei“. Die Lehrkräfte denken überwiegend in den organisa-

torisch-institutionellen Kategorien der schulischen Selektion und glauben an die Legitimität, Verlässlichkeit und Richtigkeit dieses Schulsystems.52

- Typ 3 „Disziplinierung“: Lehrerinnen und Lehrer des Typ 3 begegnen dem Prob-lem von „Fördern und Auslesen“ mit der Deutung, dass Selektion in Form eines

„Disziplinierungsinstruments“ auftritt. Je nachdem wie der Selektionsdruck als Hilfsmittel eingesetzt werden soll, lassen sich in diesem Deutungsmuster zwei

Deutungsmuster-Varianten definieren: Einerseits die Disziplinierung im „Dienste der Ordnung“ und andererseits die Disziplinierung „im Dienste der Leistungser-bringung“. Gemäss Lehrpersonen der Variante 1 besteht die Gefahr, dass in der Schule jene „Bedingungen der Ordnung“ fehlen, die einem „normalen Schulehal-

ten“ vorausgesetzt sind und es den Schüler und Schülerinnen an „Halt“ und „Orientierung“ fehle. Die Untersuchungen zeigten, dass sich vor allem habituell wenig gefestigte Lehrpersonen auf diese „kontrollierende Disziplinierung“ beru-fen. Auf die zweite – leistungsorientierte – Variante greifen hingegen habituell si-cherer Lehrpersonen zurück. Sie stellen bei den Schüler und Schülerinnen eine „mangelnde Leistungsmotivation sowie fehlende Bereitschaft zu Triebverzicht“

fest und halten den Druck – oder das „Ausüben eines ‚Fremdzwangs’ (Elias)“ – für notwendig, damit die Lernenden Leistung erbringen.53

- Typ 4 „Ringen um das Arbeitsbündnis“: Anders als die oben vorgestellten Typen

ist bei den Lehrpersonen des Typ 4 eine Auffassung festzustellen, wonach Se-lektion „problematisch und das Verhältnis zwischen Fördern und Auslesen ein widersprüchliches ist.“ Sie führen ihre Aufgabe mit der Überzeugung aus, dass

sie den Lernenden durch das Treffen von negativen Selektionsentscheiden pä-dagogisch sinnlosen Schmerz zufügen. Ausserdem sehen sie das selektive

Schulsystem als mitverantwortlich für die Reproduktion sozialer Ungleichheit. Wegen der Widersprüchlichkeit ihrer pädagogischen Praxis bemühen sich diese Lehrkräfte um eine „möglichst ‚verträgliche’ Ausgestaltung des Zustandekom-mens der Selektionsentscheide“. Dies zeigt sich vor allem auf der Interaktionse-

bene mit ihren Schülerinnen und Schülern, „[...] im Wissen darum, dass dies ei-

52 vgl. Streckeisen et al. 2007: 142f und 289f 53 vgl. Streckeisen et al. 2007: 178f und 290

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nen praktisch aussichtslosen Unterfangen gleichkommt, ‚ringen’ sie [...] um das

Arbeitsbündnis mit ihrer Klientel“.54 - Typ 5 „Fördern jenseits der Selektion“: Lehrpersonen dieses Typs sehen das

Problem der Selektion auf der Ebene der Organisationsform des Bildungswe-sens, was eine innerliche Abgrenzung gegenüber dem Schulsystem zur Folge

hat. Mit dem negativen Selektionsentscheid für leistungsschwache und sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler konnotieren sie ein schädigendes Übel

und einen pädagogisch sinnlosen Schmerz für die Schülerinnen und Schüler. Daher tendieren sie zu einer möglichst späten Selektion oder gar zu einer völlig selektionslosen Schule. Sie „identifizieren sich mit den ‚Selektionsopfern’ und haben den Anspruch, diese jenseits der Selektion [...] möglichst individuell zu

fördern“.55 Beim Vergleich der oben aufgeführten Typologie sollen hier die zwei „extremsten“ Pole – das heisst die Deutungsmuster Typ 1 „Auslese der Besten“ und Typ 5 „Fördern jenseits der Selektion“ – herausgegriffen werden. Bei beiden Typen kann eine fast vollständig „reibungslose“ Handhabung des Selektionsproblems konstatiert werden. Beide Deu-

tungsmustertypen verschliessen sich nämlich gänzlich vor dem Handlungsproblem. Während sich die Lehrkräfte des Typ 1 auf die einseitige Auslese der Besten konzentrie-ren und eine Selektion in der Schule vehement befürworten, verschliessen bzw. distan-

ziert sich Typ 5 innerlich von der selektiven Organisationsform des Schulsystems und nimmt eine „fundamental kritische“ Position ein.56

Ausgehend von der letzten Position soll an dieser Stelle auf das Kapitel 3.2 verwiesen werden. Der oben beschriebene Konflikt, welcher von Lehrpersonen des Typ 5 durch-

laufen wird, könnte zu einem gewissen Teil die Motivation der bildungspolitischen Aus-einandersetzungen in Finnland gewesen sein. Sicher ist jedoch, dass die skeptische Einstellung gegenüber der Selektion die Ausganslage für deren Überwindung war. In einem mehrjährigen Prozess wurde mit den unmessbaren und viel kritisierten Merkma-

len der äusseren Differenzierung gebrochen und eine „Schule für alle“ geschaffen. Es war ein ausgesprochen hohes Ziel, allen Mitglieder der Gesellschaft eine gleich lange 54 vgl. Streckeisen et al. 2007: 212 und 290f 55 vgl. Streckeisen et al. 2007: 242 und 291 56 vgl. Streckeisen et al. 291f

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und mit hauptsächlich gleichen Lerninhalten besetzte Grundbildung zu ermöglichen.

Dies sollte weder von der sozialen oder geografischen Herkunft noch von der berufli-chen Zukunft abhängig sein. Chancengleichheit, Demokratieerziehung im Klassenzimmer, eine „Schule für alle“ –

alles Grundsätze, welche die aktuellen schulpolitischen Diskussionen prägen. Im Zuge solcher Überlegungen rückt die Erkenntnis, dass der Zugang von Min-

derheiten zu wichtigen Positionen in der Gesellschaft durch Hindernisse erschwert wird, immer mehr in den Fokus. Die Teilhabe bzw. Teilnahme (Partizipation) oder eben Aus-grenzung (Exklusion) geistig sowie körperlich behinderter Menschen in sozialen Zu-sammenhängen prägt die gegenwärtige Schulpolitik. Die Forderung nach Chancen-

gleichheit in der Bildung erfordert die Integration bzw. Inklusion der „anderen“ oder wie Domisch formuliert: „Nicht mehr die Individuen sollen sich assimilieren, sondern Schule soll sich an Vielheit anpassen und Verschiedenheit Rechnung tragen.“57 Der Grundge-danke dahinter ist, jedem Individuum in einer heterogenen Lerngruppe gezielt und ge-recht zu fördern.

An dieser Stelle lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die sonderpädagogi-

schen Begriffe Inklusion, Integration, Segregation und Exklusion zu werfen und diese im Bezug auf das finnische Schulsystem näher zu betrachten.

4.3 Entwicklungsstufen schulischer Integration

Richtet man den Fokus auf die schulische Situation von Kindern und Jugendlichen mit

Behinderung, lassen sich die Begriffe Inklusion, Integration, Segregation und Exklusion differenziert darlegen. Dabei wird von Bürlis „Entwicklungsphasen der Sonderpädago-gik“ ausgegangen. In seinem Modell sind qualitative Veränderungen des Systems

„Schule“ enthalten. Es reicht von einem auf Homogenität ausgerichteten Schulmodell

hin zu einem die Heterogenität und die Individualität des Schülers bejahenden System.58

57 Domisch 2012: 159 58 vgl. Häberlein-Klumpner 2009: 42

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Abbildung 4: Entwicklung der Sonderpädagogik nach Bürli59 (links) Abbildung 5: Schema der Entwicklungsstufen schulischer Integration60 (rechts)

4.3.1 Begriffsklärung Integration und Inklusion

Hinsichtlich der Begriffe Integration und Inklusion soll dieses Modell genauer betrachtet

werden. In der Literatur werden die beiden Fachausdrücke nicht differenziert genug ge-handhabt und teilweise miteinander vertauscht.

Für das Verständnis bzw. die Abgrenzung der beiden Termini soll zunächst eine

etymologische Klärung herbeigezogen werden. Beide Worte stammen ursprünglich aus

dem Lateinischen. Includere bedeutet übersetzt „einschliessen“ (auch: einlassen, hin-eingeben). Inclusus ist das Partizip Perfekt Passiv von includo. Inclusio ist „das Einsper-ren“ oder „die Einschliessung“ und „inklusiv“ heisst eingeschlossen bzw. einschliesslich.

Anders verhält es sich bei der Herkunft des Wortes „Integration“. Es bezieht sich näm-lich auf das lateinische Wort integer, was mit „unversehrt“ oder „unberührt“ übersetzt

werden kann. Anders als beim Inklusionsbegriff wird der Fokus bei der Integration auf das „Ganz-Sein“ resp. „Unverletzt-Sein“ gelegt.61

Gemäss Kasztantowicz bedeutet Integration „die Vervollständigung eines unvoll-ständigen Ganzen, die Einbeziehung und Eingliederung von etwas, durch welches das 59 Bürli 1997. In: Wohlhart 2010: 13 60 Gemeinsam leben, gemeinsam Lernen – Olpe plus e.V. (2013). URL: http://www.inklusion-olpe.de/inklusion.php (Stand: 14. Februar 2013. 21.03 Uhr) 61 vgl. Kastl 2012: 7

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Ganze erst seine eigentliche Vollständigkeit erhält“.62 Eine differenziertere Definition des

Integrationsbegriffs ist bei Boban und Hinz zu finden, sie kontrastieren die „Andersartig-keit“ viel mehr in dem sie sagen: „ [Integration bedeutet, I.G] Einbeziehung einiger Schü-lerInnen mit Beeinträchtigung und/oder mit Migrationshintergrund, die eigentlich zum Ganzen gehören, aber bisher davon ausgeschlossen waren oder von Ausschluss be-

droht sind; in der Praxis zuweilen mit einer Vorstellung zweier Gruppen verbunden, von denen die mehrheitliche 'die Eigentlichen' sei.“63

Demgegenüber schreiben Hollenbach und Kober zur schulischen Inklusion: „Eine inklusive Schule zeichnet sich dadurch aus, dass sie allen Kindern offen steht. Sie ist eine Schule, in der Kinder und Jugendliche gemeinsam lernen, ohne dass sie aufgrund ihrer individuellen Besonderheiten voneinander getrennt werden“.64 Weitere Aspekte zur

Inklusion werden bei Boban und Hinz genannt. Bei ihnen geht es darum, „alle Barrieren in Bildung und Erziehung für alle SchülerInnen auf ein Minimum zu reduzieren.“65 Auf dieser Basis wird, unabhängig von Stärken und Schwächen des Einzelnen anerkannt:66

- die Vollwertigkeit eines jeden Menschen - das Recht auf Gleichberechtigung aller bei gleichzeitiger Pflicht, andere Menschen als

gleichberechtigt anzuerkennen, - das Bedürfnis aller auf Entwicklung in der dialogischen, kooperativen und kommunikati-

ven Gemeinschaft, - das Bedürfnis und das Recht eines jeden Menschen, als Subjekt seines Lebens und Ler-

nens von sich aus kompetent zu handeln, - das Recht aller auf prinzipielle Teilhabe und Nicht-Aussonderung.

Hier zeigt sich, dass nach der Auffassung der Inklusion „selektive Massnahmen zu kei-ner Zeit der Entwicklung einer Person gerechtfertigt sind und dass keine Person, unab-hängig vom Grad des Andersseins, von der Zugehörigkeit zur allgemeinen Gruppe aus-geschlossen werden darf.“67 In Hinblick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wird bald klar, dass der inklusive Gedanke nicht vorausgesetzt werden kann. Es bedarf

vorher eines grundlegenden Bewusstseinswandels oder wie Domisch dies formuliert: „Es scheint nicht ganz einfach zu sein, Behinderung neu zu denken, weil damit ja Ge-

62 Kasztantowicz 1982. In: Rüegg, Roland, Catrin Maler 2010: 12 63 Boban und Hinz 2003: 116 64 Hollenbach und Kober 2011: 11 65 Boban und Hinz 2003: 11 66 Bintinger und Wilhelm 2001. In: Häberlein Klumpner 67 Häberlein-Klumpner 2009: 41

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sellschaft insgesamt neu gedacht werden muss.“68 Nach Boban und Hinz muss der

Wandel auf drei Ebenen erfolgen:69

- Inklusive Kulturen schaffen: Gemeinschaft bilden, inklusive Werte verankern, - Inklusive Strukturen etablieren: Eine Schule für allen entwickeln, Unterstützung für Viel-

falt organisieren; - Inklusive Praktiken entwickeln: Lernarrangements organisieren, Ressourcen mobilisie-

ren.

Auf der eidgenössisch unterstützen Internetplattform zum Thema „Integration und Schule“ lässt sich eine hilfreiche Gegenüberstellung der Begriffe „Inklusion“ und „In-tegration“ finden. Die Begriffsdefinition dieser Projektgruppe70 soll den Unterschied ab-

schliessend noch einmal erläutern:

[...] unter dem Begriff Integration [wird, I.G.] die möglichst weitgehende gemeinsame und wohnortnahe Schulung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne besonderen Bildungs-bedarf in der Regelschule verstanden. Dazu werden entsprechende pädagogische und son-derpädagogische Angebote und Ressourcen innerhalb der Regelschule bereitgestellt. ! Inklu-sion geht einen Schritt weiter. Inklusion bezeichnet die Vision einer gemeinsamen Schule für alle Kinder und Jugendlichen. Der gemeinsame Unterricht in heterogenen Klassen ist Selbstverständlichkeit. Die Lehrpersonen gestalten gemeinsam mit ihren vielfältigen Kompe-tenzen anregende und an die Lernvoraussetzungen der Kinder angepasste Lernumfelder und kompetenzorientierten Unterricht. Eine inklusive Schule nimmt alle Lernenden ihres Ein-zugsgebietes – unabhängig ihrer körperlichen, geistigen, emotionalen und sozialen Entwick-lung; unabhängig ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihres religiösen Hintergrunds oder ihrer familiären Situation – in ihren Unterricht auf.

Vor dem Hintergrund der Ausführungen zu den Begriffen Integration und Inklusion lässt

sich nun die Frage stellen, wie das finnische Schulsystem diesbezüglich aussieht. Die folgenden Angaben beziehen sich auf die Aussagen der finnischen Professorin Alia-Leena Matthies. Sie setzt sich mit dem Thema „Von der Integration zur Inklusion im fin-nischen Schulsystem“ auseinander.

68 Domisch 2012: 161 69 Boban und Hinz 2003: 15f 70 Diese Webseite wurde erstellt durch eine Projektgruppe: insieme Schweiz, Pro Infirmis Schweiz, Netzwerk Integrative Schulungs-formen (koordiniert vom Institut für Schule und Heterogenität ISH der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz PHZ Lu-zern), Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH, Hochschule für Heilpädagogik HfH Zürich, Vereinigung Cerebral, vpod und pulsmesser mit finanzieller Unterstützung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung URL: http://www.integrationundschule.ch (Stand 08.02.2013, 09.24 Uhr)

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4.4 Integration und Inklusion im finnischen Schulsystem

Geht man dem Erfolg finnischer Schulen nach, stösst man bald auf die These, dass

unter anderem der integrative Unterricht an den Gesamtschulen dafür verantwortlich sein soll. „Integration“ an sich ist jedoch noch keine Erklärung, vielmehr wirft dieses Konzept Fragen auf. Wie können Schüler und Schülerinnen in Finnland mit unterschied-lichen Leistungsniveaus in eine Klasse integriert werden? Wie und wo werden finnische

Kinder mit Behinderung unterrichtet? Wie wird mit Lernverzögerung umgegangen? Matthies’ grundlegende These zum strukturellen Rahmen des Sonderunterrichts be-

sagt: „[...] dass durch gezielte Förderung in einer möglichst frühen Phase unnötige und kostenintensive Sonderwege der schulischen Biographie vermieden werden können.“71 Dass die finnischen Schüler und Schülerinnen die einheitliche Schulform, wo die Differenzierung erst nach der neunten Klasse stattfindet, passieren können, ist gemäss Matthies den „umfangreichen und systematischen Formen des Förder- und Sonderun-terrichts“ zu verdanken.72 Die spezifische Förderung finnischer Kinder beginnt jedoch nicht erst nach dem Schuleintritt, sondern bereits im Säuglingsalter. Das Vorsorgesys-tem „neuvola“ enthält regelmässige vorbeugende und multiprofessionelle Beratungs- und Untersuchungstermine für Kinder und deren Eltern. Ziel dieser kinderärztlichen Vor- und Einschulungsuntersuchungen ist es, „eine möglichst frühe Intervention und syste-matische Zusammenarbeit aller professionellen Stellen mit der Familie bei auftretenden Problemen der Entwicklung des Kindes [...]“ zu schaffen.73 Die „neuvola“ ist jedoch nicht das einzige vorschulische Angebot für finnische Kinder. Es bestehen ausserdem zahl-reiche Möglichkeiten für Kinder ab sechs Jahren, eine freiwillige Vorschule zu besuchen, wo das soziale Verhalten und das Konzentrationsvermögen geübt werden.

Nach der Einschulung kommen vor allem drei präventive und fördernde Angebote zur Geltung: Das Schülerfürsorge-Team, die Lernberatung/das Coaching und der Förder- bzw. Sonderunterricht. Auf das letztgenannte Angebot wird im Folgenden näher einge-

gangen. Die Trennung zwischen den Stufen des allgemeinen Unterrichts, zeitweisen För-derunterrichts, teilweisen Sonderunterrichts und umfassenden Sonderunterrichts ist 71 Matthies 2003: 1 72 Matthies 2003: 1 73 Matthies 2003: 2

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fliessend. Der in Gruppen oder dem Klassenverband stattfindende „allgemeine Unter-

richt“ (yleisopetus) ist der „normale“ Unterricht. Die Inanspruchnahme des sonderpäda-gogischen Unterrichts ist allerdings genauso verbreitet und „normal“. Schüler und Schülerinnen der neunjährigen Grundschule, die geringe und vorüberge-

hende Lern- und Anpassungsschwierigkeiten haben, besuchen den zeitweisen Förder-unterricht (osa-aikainen ertyisopetus). In den meisten Fällen machen die Kinder vor al-

lem in den ersten Monaten und Jahren ihrer Schulkarriere von diesem Angebot Ge-brauch. Der zeitweise Förderunterricht findet in diversen Formen im Rahmen des allge-meinen Unterrichts statt, so zum Beispiel in individuellen oder kleingruppenförmigen Förderstunden während, vor oder nach dem Unterricht. Häufigste Gründe für den Be-

such des zeitweisen Förderunterrichts sind Lese- und Schreibschwächen oder Sprech-probleme.74 Schüler und Schülerinnen, bei denen man feststellt, dass die erste Stufe der För-dermassnahmen nicht ausreichend ist, werden in den umfangreichen Sonderunterricht (kokoaikainen erityisopetus) verlegt. Je nach Lernschwierigkeiten wird individuell ent-schieden, ob das Kind nur in einem oder in mehreren Fächern Sonderunterricht

braucht. Diese sonderpädagogischen Massnahmen werden bei Kindern mit Behinde-rung, Krankheit, Entwicklungsverzögerung oder emotionaler Störung, die im allgemei-nen Unterricht und dem zeitweisen Förderunterricht Schwierigkeiten haben, ergriffen. Je

nach Lernkapazität lernen die Sonderschüler und Sonderschülerinnen nach einem mo-difizierten Lernplan und erbringen individuell reduzierte Leistungen. Zur Zeit entscheiden die Kommunen selber, ob der Sonderunterricht im Rahmen des allgemeinen Unter-

richts, in getrennten Sondergruppen oder –klassen oder in einer Sonderschule stattfin-det.75

Bis zum heutigen Zeitpunkt wurde es in Finnland weitestgehend erreicht, dass praktisch kein Kind wegen Leistungsunterschieden, Lernverzögerungen oder wegen emotionaler und sozialer Auffälligkeit in eine gesonderte Schule verlegt wurde. Auf Grund integrie-

render Fördermöglichkeiten können solche Schwierigkeiten aufgefangen werden. Ten-denzen zeigen, dass der Sonderunterricht immer mehr an allgemeinen Schulen stattfin-

74 vgl. Matthies 2003: 2f 75 vgl. Matthies 2003: 3

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det, was bewirkt, dass die Anzahl der Sonderschulen zurückgegangen ist.76 Um jedoch

das Ziel der Chancengleichheit – einer „Schule für alle“ – zu erreichen, zielen aktuellste Bemühungen Richtung Inklusion, insbesondere von schwerbehinderten Kindern oder von Kindern mit schweren Verhaltensstörungen. Man sieht es als wichtig an, „[...] dass die Familie, die Schule und die ganze Gesellschaft diese Lernprozesse unterstützen und

als gleichberechtigten Bestandteil der gemeinsamen Schule wertschätzen.“77

Dass es sich bei der Integration in Richtung Inklusion nicht um ein idealistisches Bild handelt, zeigt sich bei der Schule Viitaniemen in Jyväskylä. Die Schule besteht aus ca. 21 Klassen, zählt rund 500 Schüler und Schülerinnen und 50 Lehrpersonen. Dazu ver-fügt sie über fünf festangestellte schulische Heilpädagogen, welche Schülerinnen und

Schüler mit Lernschwierigkeiten im Einzel- oder Kleingruppenunterricht unterstützen. Diese Lektionen finden meist parallel zum regulären Unterricht statt und erinnern stark an die ILF-Lektionen, wie sie beispielsweise an Schulen im Kanton Bern angeboten werden. Jedoch sind die Gruppen (bestehend aus ca. 3-4 Lernenden) Alters- und Inte-ressensdurchmischt. Jedes Kind löst Übungen in dem Fach, wo es Lernschwierigkeiten hat und wird dabei von der heilpädagogischen Lehrperson unterstützt. Ferner verfügt

die Sekundarschule über eine Spezialklasse für autistische Kinder. Diese befinden sich räumlich im gleichen Schulhaus wie alle anderen Kinder, lernen jedoch nach einem ei-genen Plan, verfügen über ein eigenes Klassenzimmer mit spezieller Infrastruktur und

werden von einer eigens für sie angestellten Heilpädagogin betreut. Hier bestätigt sich dann auch das Bild der Integration: eine in sich geschlossene Gruppe ist in einem Gros eingebettet, funktioniert aber für sich selbst. Schliesslich fielen die insgesamt zehn Leh-

rerassistenten auf, welche auch einen wichtigen Beitrag zur Integration leisten. Je nach Bedarf begleitet ein Assistent / eine Assistentin die Lehrperson und unterstützt sie im

Unterricht, indem sie sich beispielsweise um eine Gruppe oder einzelne Schüler und Schülerinnen kümmert. Dies ist jedoch nicht zu verwechseln mit dem Teamteaching, weil es sich bei den Assistenten nicht um ausgebildete Lehrpersonen handelt.

76 vgl. Matthies 2003: 4 77 Juva 2008b: 125

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«I’d like them to learn how to behave themselves, how to cope with difficulties in life,

how to learn to trust oneself, how to make friends and be sociable.» A.Y., Schulleiterin der Sekundarschule Viitaniemi, Jyväskylä

5 Fokus II: Ebene Unterricht

5.1 Innere Differenzierung

Eine grundlegende Definition für innere Differenzierung oder Binnendifferenzierung bietet

Klafki: „Innere Differenzierung meint all jene Differenzierungsformen, die innerhalb einer gemeinsam unterrichteten Klasse vorgenommen werden [...]“.78 Sie ist meist fachbezo-gen und betrifft didaktisch-methodische Massnahmen innerhalb des Klassenunterrichts,

die darauf abzielen, „den individuellen Begabungen, Fähigkeiten und Interessen der Schüler gerecht zu werden.“79 Bönsch spricht im gleichen Zusammenhang der inneren Differenzierung von einem „variierenden Vorgehen in der Darbietung von Lerninhalten.“80

Betrachtet man den Unterricht mit innerer Differenzierung als ein Gegenstück zum Fron-talunterricht, „so liegt der ausschlaggebende Unterschied in der Planung der Lernstra-

tegien“ 81 , meint Patschkowski. Der lehrerzentrierte Frontalunterricht zeichnet sich dadurch aus, dass er den Lernenden die Lernstrategie vorgibt und alle zur selben Zeit

78 Klafki 1993: 173. In: Pfeiffer 2006: 34f 79 Sitte und Wohlschlägl 2001: 199 80 Bönsch 1995: 21. In: Patschkowski 2003: 3 81 Patschkowski 2003: 3

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mit dem gleichen Unterrichtsmaterial die gleichen Bedingungen erfüllen. Demgegenüber

werden die Lernenden im Unterricht mit innerer Differenzierung nicht als homogene Gruppe betrachtet.82 Die innere Differenzierung verfolgt gemäss Pfeiffer das Ziel, „eine optimale Förderung aller Schüler bei der Aneignung von Erkenntnissen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erreichen.“83 Weiter wird die Selbständigkeit der Schüler

und Schülerinnen gefördert mit dem Ziel, „das Lernen lernen zu lassen“. Die Fähigkeit des sozialen Lernens und in diesem Rahmen die Kooperationsfähigkeit zu entwickeln,

ist ein weiteres Ziel der inneren Differenzierung.84 Die Organisation und Umsetzung des Unterrichts mit innerer Differenzierung stellt

daher hohe Ansprüche an alle Beteiligte. Realisierungswege, wie in differenzierender Weise an die individuellen Ausgangslagen der Lernenden angeknüpft werden kann, gibt

es viele. Wie das Modell von Bönsch auf Seite 23 zeigt, variiert die innere Differenzie-rung im Einsatz von Medien und Methoden sowie in den Sozialformen und dem stoffli-chen Umfang. Diese Aspekte orientieren sich an denjenigen Aufgaben, die im Unterricht zu bewältigen sind. Eine Lerngruppe kann sich also mit einer Thematik in Form von Partner-, Gruppen- oder Klassenarbeit befassen und nach verschiedenen Kriterien zu-sammengesetzt sein (soziale Nähe oder Distanz, Schulleistung, Pultnachbarschaft u.Ä.).

Bei lernschwachen Schülerinnen und Schüler kann mit einer Vereinfachung der Sachverhalte (d.h. Anpassung der Lernziele) und mit der Verwendung geeigneter Lern-materialien gearbeitet werden. Zu deren Bearbeitung individuell viel Zeit zur Verfügung

steht. Zusätzlich kann durch vorübergehende Einzelbetreuung (sei es durch die Lehr-person oder leistungsstarke Klassenkameraden) und vertieftem Üben viel erreicht wer-den. Lernstärkere Schülerinnen und Schüler sollen hingegen nicht nur mehr Stoff ver-

mittelt bekommen, sondern diesen auf einem kognitiv höheren Niveau (d.h. komplexere Inhaltskomponente oder vertiefte bzw. erweiterte Auseinandersetzung mit dem Thema)

bearbeiten können. Dabei können je nach Möglichkeiten der Lernenden schwierigere oder einfachere Lernmaterialien (kompliziertere thematische Karten, komplexere Bilder, anspruchsvollere Texte usw.) herbeigezogen werden.85

82 vgl. Pfeiffer 2006: 36 83 Pfeiffer 2006: 39 84 vgl. Pfeiffer 2006: 39 85 vgl. Sitte/Wohlschlägl 2001: 201f

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Im Zuge der Diskussionen über innere Differenzierung ist die Synopsis mit dem Unter-

richtsprinzip „offener Unterricht – geschlossener Unterricht“ unumgänglich. Der ge-schlossene, lehrerzentrierte Unterricht wird dabei offenen Lernformen gegenüberge-stellt. Das Lernen wird „vielmehr arrangiert, d.h. die Schülerinnen und Schüler sollen angeregt werden, mit vorhandenen Aufträgen und Lerngegenständen eigene Lernwege

zu gehen. Lehrpersonen helfen ihnen dabei.“86 Es wird also ersichtlich, dass bestimmte Formen der inneren Differenzierung im offenen Unterricht umgesetzt werden können. In

diesem Zusammenhang kommt dem „kooperativen Lernen“ als Form des offenen Un-terrichts eine wichtige Bedeutung zu. Das kooperative Lernen entspricht dem Bedürfnis nach Kommunikation und Kooperation junger Menschen. Gemäss Niggli ist es „not-wendig, im Kontakt mit anderen zu lernen“, da dies der Forderung nach Teamfähigkeit

in der Wirtschaft und am Arbeitsplatz entspreche. Lehrpersonen sind darum herausge-fordert, „soziales Lernen und inhaltliche Fragen (die Aneignung von Kenntnissen, Fähig-keiten und Fertigkeiten) didaktisch angemessen zu arrangieren.“87 Damit kooperatives Lernen stattfinden kann, muss ein „gemeinsames Ziel“ vorhanden sein. Das Vorhaben der Gruppe steht dadurch im Zentrum des kooperativen Unterrichts. Zur „positiven In-terdependenz“ (positive gegenseitige Abhängigkeit) kommt es, wenn jedes Gruppen-

mitglied das Gefühl hat, gemeinsam mit den anderen zu profitieren. An dieser Stelle wird vermutet, dass Finnlands Schulen deshalb erfolgreich sind, weil in den Schulen der offene Unterricht in Form von kooperativen Lernanlässen, schü-

lerzentrierten Aufgabenstellungen und differenzierten Unterrichtsarrangements prakti-ziert wird.

86 Niggli 200: 17 87 vgl. Niggli 2000: 222

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5.2 Quality of Instruction in Physics (QuIP)

Dieses Kapitel widmet sich dem konkreten Unterricht finnischer Schulen und erklärt de-

ren Erfolg auf einer anschaulichen – gar alltäglichen – Ebene. Dabei wird grösstenteils Bezug auf die Dissertationsarbeit von Johannes Börlin „Das Experiment als Lerngele-genheit. Vom interkulturellen Vergleich des Physikunterrichts zu Merkmalen seiner Quali-

tät“ genommen. Seine Arbeit ist Teil der tri-nationalen Videostudie „Quality of Instruction in Physics“ (QuIP)88, welche Merkmale gelingenden Physikunterrichts in den Ländern

Deutschland, Finnland und der Schweiz untersucht. Insgesamt wurden 99 Doppelstun-

den in Klassen des 9. und 10. Schuljahres aller Schultypen zum Thema „Zusammen-hang zwischen elektrischer Energie und Leistung“ gefilmt. Börlin legte bei seiner Arbeit

den Schwerpunkt auf den Aspekt des experimentellen Handelns, welches ein charakte-ristisches Merkmal des Physikunterrichts bildet. Bei der Besprechung von Börlins Er-gebnissen als Teilaspekt der QuIP-Studie, liegt der Fokus lediglich auf den Befunden des Gesamtprojekts.

QuIP verfolgte zwei Hauptziele: 1. Die Identifikation von Qualitätsaspekten des Physikunterrichts sowie 2. Die Erklärung der Leistungsunterschiede zwischen deut-schen, finnischen und schweizerischen Schülerinnen und Schüler auf der Unterrichts-ebene.89

Auslöser für die Videountersuchung waren die Testergebnisse der PISA-Studien, in denen die finnischen Schüler und Schülerinnen bei den Leistungstests in den Natur-wissenschaften signifikant besser abschnitten als die deutschen und schweizerischen Probanden und Probandinnen, wie die folgende Grafik anschaulich vor Augen führt:90

88 Hinter dem Projekt „Quality of Instruction in Physics“ und ihren Parnterorganisationen stehen: die Universität Duisburg-Essen (Deutschland), die Universität Jyväskylä (Finnland) und die Pädagogische Hochschule Bern und Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (Schweiz). Vgl. Börlin 2012: 2 89 vgl. Börlin 2012: 2 90 vgl. Labudde 2012: Folie 4

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Abbildung 6: Übersicht der PISA-Ergebnisse 2000-2006 im Bereich der Naturwissenschaften91

Neben all den anderen Forschungsarbeiten zum finnischen Schulsystem setzte die QuIP-Studie mit ihren Untersuchungen genau dort ein, wo bisher eine Lücke klaffte, nämlich die systematische Untersuchung, die das konkrete finnische Unterrichtsge-schehen analysieren. Dazu wurden drei Hauptforschungsfragen aufgestellt: 92

1) Welche Charakteristika des Physikunterrichts machen Unterrichtsqualität aus? 2) Bestehen zwischen den Ländern bezüglich dieser Qualität Unterschiede? 3) Lassen sich länderspezifische Differenzen beim Zuwachs an Schülerleistung auf

Unterschiede der Unterrichtsqualität zurückführen?

5.2.1 Projektüberblick: Modell

Die Studie baut auf einem systematischen Modell für Unterrichtsqualität93 auf. Grundle-gende Elemente bilden das Unterrichtsgeschehen und die darin enthaltenen Lernange-bote, welche von der Lehrperson sowie den Schülern und Schülerinnen beeinflusst

werden. Beide Akteure werden durch Konstrukte wie Motivation, Ausbildung (Lehrper-son) und familiärem Hintergrund (Schüler und Schülerinnen) u.a. charakterisiert. Der

91 Das Diagramm zeigt die PISA-Ergebnisse der ersten drei Jahre (2000, 2003 und 2006) im Bereich der Naturwissenschaften. Gegenüber der Schweiz und Deutschland hat Finnland in allen drei Erhebungsjahren besser abgeschnitten, wie das Ranking der OECD veranschaulicht. Im Jahr 2006 erreichte Finnland einen Mittelwert von 563 Punkten und führte damit die Tabelle an. Deutsch-land erreichte 516 Punkte und die Schweiz folgte mit 512 Punkten. Vgl. OECD Kurzzusammenfassung 2007: 24. URL: http://www.oecd.org/pisa/39731064.pdf (Stand 14. Februar 2013, 22.17 Uhr) 92 Börlin 2012: 7 93 vgl. Lipowsky et al 2005. In: Börlin 2012: 42

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Output des Unterrichtsgeschehens wird durch Veränderungen der Schülerkompetenz

und -motivation erfasst.94

Abbildung 7: Systematisches Modell für Unterrichtsqualität (vgl. Lipowsky 2005)

Das QuIP-Projekt berücksichtigte bei der Erhebung alle Variablen des obigen Modells. Bei der Diskussion der Forschungsergebnisse werden hier einzelne Aspekte dieses

Modells exemplarisch besprochen. Es wird dabei auf den Leistungszuwachs, die Unter-richtsmethoden, das Sozialverhalten und das experimentelle Handeln eingegangen.

94 vgl. Börlin 2012: 42

LEHRER Ausbildung

Professionelles Wissen

Einstellungen

Enthusiasmus

Arbeits-bedingungen

UNTERRICHT

Klassen-management

Kognitive Aktivierung

Experimentelles Handeln

Klassenklima

Motivationale Unterstützung

Nicht-verbales Lehrerverhalten

SCHÜLER

Familiärer Hintergrund

Kognitive Fähigkeiten

Kompetenz

Interesse, Motivation

OUTPUT Kompetenz

Interesse, Motivation

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5.2.2 Projektüberblick: Design und Stichprobe

Die Datenerhebung dauerte ungefähr ein halbes Jahr. Sie erfolgte bei den meisten Klas-

sen im Wintersemester 2008/2009 und wurde im Sommersemester 2009 abgeschlos-sen. Damit die QuIP-Studie möglichst mit den Ergebnissen von PISA vergleichbar war, wurden bei den nationalen Stichproben Klassen gewählt, die dem Alter und dem sozio-ökonomischen Hintergrund von PISA entsprachen. In Finnland und der Schweiz wurden

die Probanden und Probandinnen im 9. und in Deutschland im 10. Schuljahr getestet. Der Klarheit halber soll hier erwähnt sein, dass pro Land nur eine bestimmte Re-

gion am Projekt beteiligt war. Aufgrund des grossen Aufwandes, die mit der Erhebung einer für ganz Deutschland repräsentativen Stichprobe verbunden gewesen wäre, wur-de die Untersuchung auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen eingeschränkt. Auch in der Schweiz wurden nur bestimmte Klassen untersucht, nämlich solche aus dem deutschsprachigen Teil des Landes. Für die Erfassung in Finnland wurden Schulen aus Mittelfinnland (Region im Umkreis von 200 km um Jyväskylä) berücksichtigt.

Die Erhebungen gliederten sich in eine Eingangserhebung (Pretest), die Video-graphierung einer Doppelstunde zum Thema „Zusammenhang zwischen Elektrischer Energie und Leistung“ und eine Nacherhebung (Posttest).

Abbildung 8: Zeitlicher Ablauf der Datenerhebung: Pretest, Videoaufnahme einer Doppelstunde und Posttest

(vgl. Börlin 2012: 44/Labudde 2012: 11)

Halbjahr

Pretest Posttest Videoaufnahme: I Doppelstunde

LP SuS

LP SuS

LP SuS

Tests & Fragebogen o Hintergrund o Einstellungen o Fachwissen

kurzer Fragebogen o Motivation o Typikalität

Unterricht

Tests & Fragebogen o Fachwissen o Motivation

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Die Vorerhebungen erfolgten unmittelbar vor Beginn der Unterrichtseinheit zur Elektrizi-

tät in Form von Fragebögen und Tests. Befragt wurden sowohl Lehrpersonen wie auch die Schüler und Schülerinnen.

Im Fokus der Erhebungen stand die Physik-Doppellektion zum Thema „Zusam-menhang zwischen elektrischer Energie und Leistung“, die in jeder teilnehmenden Klas-

se gefilmt wurde. Den Lehrpersonen stand es frei, wie sie die Unterrichtssequenz ge-stalteten. Direkt nach der Videographierung der Doppellektion wurde eine Kurzerhe-

bung durchgeführt. Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schüler wurden befragt, ob es sich bei der gefilmten Sequenz um eine typische Doppellektion gehandelt hatte.

Mindestens einen Monat nach der videographierten Doppellektion wurde schliesslich der Posttest durchgeführt. Üblicherweise verstrich zwischen dem Pre- und

Posttest ein Halbjahr. Dieses Pre-Posttest-Design umfasste einerseits Fachwissen, In-telligenz, Motivation und Interesse sowie den sozioökonomischen Status aller Schüle-rinnen und Schüler. Andererseits Fachwissen, fachdidaktisches Wissen sowie Motivati-on aller beteiligten Lehrpersonen.95

5.2.3 Auswertung des Projekts: Zuwachs an Fachwissen

Die Auswertung der Pre- und Posttests hatte gezeigt, dass die Stichprobe in allen drei Ländern denjenigen von PISA sehr ähnlich war. Wie weiter oben bereits erwähnt wurde, handelte es sich bei den Pre- und Posttests um Wissenstests. Dieser war aus PISA-

ähnlichen Aufgaben konzipiert.

Von besonderer Bedeutung ist die Gegenüberstellung der Testergebnisse: sie zeigen, „dass sich bei den finnischen und Schweizer Schülerinnen und Schülern ein signifikanter Leistungszuwachs [nach Erarbeitung des Themas, I.G.] ergibt, wobei erste-

re am besten abschneiden“.96 Des Weiteren kann aus dem untenstehenden Diagramm

entnommen werden, dass bei den deutschen Probanden kein signifikanter Leistungs-zuwachs zu verzeichnen war.

95 vgl. Börlin 2012: 42f, Labudde 2012: 11f, Börlin et al. 2011: 23 96 Börlin 2012: 149

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Abbildung 9: Diagramm zeigt das Fachwissen der Schüler und Schülerinnen im Pre- und Posttest nach Ländern

(vgl. Geller et al. In: Börlin 2012: 149)

Das bessere Abschneiden der deutschen Schüler und Schülerinnen beim Eingangstest kann mit dem Curriculum erklärt werden. Die Lernenden starteten bereits mit einem grösseren Fachwissen, da die Elektrizitätslehre teilweise bereits im 7. Schuljahr themati-siert wird, wie im Kernlehrplan Physik für die Realschule in Nordrhein-Westfalen nachge-lesen werden kann. Demnach müssen die westfälischen Schüler und Schülerinnen am Ende der ersten Progressionsstufe, welche „in der Regel nach etwa einem Drittel der bis Ende des Jg. 10 vorgesehenen Unterrichtszeit erreicht wird“97 bestimmte Kompetenzen im Bereich Physik beherrschen. Gemäss einem Beispiel für einen schulinternen Lehr-plan des Schulministeriums NRW wird in der ersten Hälfte des 8. Schuljahres auf das Thema „Stromkreis“ mit dem inhaltlichen Schwerpunkt „elektrische Energie“ eingegan-

gen.98

97 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2011: 20 98 vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2011): Übersichtsraster Unterrichtsvorhaben

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Die Betrachtung des Lernzuwachses zwischen den Pre- und Posttests lässt zweierlei

Annahmen für die drei Länder zu:99

1. Der Unterricht spielt eine Rolle. 2. Die Qualität des Unterrichts bezogen auf den Erwerb des Fachwissens unter-

scheidet sich zwischen den Vergleichsländern.

Die Testergebnisse und das Projektdesign bieten demzufolge eine ideale Grundlage, um „Merkmale des gelingenden Unterrichts“100 zu identifizieren. Diese werden im fol-genden Kapitel näher besprochen.

5.2.4 Analyse der videographierten Unterrichtseinheiten

a) Oberflächenstruktur: Arbeitsformen

Die Analyse der Doppellektionen bezüglich der Interaktionsformen – sprich den Oberflä-chen- resp. Sichtstrukturen101 – wurde in 20-Sekunden Intervallen durchgeführt. Dabei zeigten sich länderspezifische Unterschiede, welche zur Übersicht im untenstehenden Säulendiagramm dargestellt sind. Es konnte festgestellt werden, dass in Finnland ten-denziell mehr Unterricht stattfindet. Von den 90 Minuten Unterrichtszeit wird in Finnland effektiv 90 Minuten unterrichtet.102 In Deutschland und in der Schweiz fiel diese Zeit fak-tisch etwas kürzer aus. Des Weiteren wurde zwischen den Ländern ein signifikanter

Unterschied in Bezug auf den Lehrervortrag beobachtet: Gegenüber Deutschland ist der Anteil der Unterrichtszeit mit Lehrervortrag in Finnland und in der Schweiz signifikant höher.103 Betrachtet man hingegen den Anteil an Unterrichtszeit, welcher für Gruppen-,

Partner- und Einzelarbeit eingesetzt wird, fällt auf, dass der entsprechende Wert in Finn- 99 vgl. Labudde 2012: 16, Börlin et al. 2011: 24 100 vgl. Börlin et al. 2011: 24 101 Der Begriff Oberflächen- resp. Sichtstruktur wurde von Oser in seiner Theorie „Basismodelle des Unterrichts“ geprägt. Es geht um die sichtbaren Lehr- und Lernhandlungen, welche er folgendermassen definiert: „Wenn ein Kind lernt, dann sind zwei Ebenen des inneren Handelns unmittelbar auffallend. Die erste Ebene bezieht sich auf die Sichtstrukturen, auf das, was eine Lehrperson als Bedingung der Möglichkeit von Lernen arrangieren kann. Sichtstrukturen haben mit der Aufteilung des Materials bzw. des Stoffes, mit den Anordnungen, wie gelernt wird, z.B. Einzelunterricht, Gruppenunterricht, Partnerunterricht etc., mit den Methoden des Unterrichts, z.B. darbietender Unterricht versus entwickelnder Unterricht, auch mit den Freiheitsgraden, mit denen Kinder ihr eige-nes Lernen gestalten, zu tun. Man kann als Sichtstruktur also alles bezeichnen, was unmittelbar zum Unterricht von außen beitragen kann.“ Vgl. Oser/Sarasin 1995: 1. URL: http://info.ub.uni-potsdam.de/zsr/llf/LLF_PDF/LLF_11/OSERSARA.PDF (Stand 28.12.2012, 14.55Uhr) 102 vgl. Labudde 2012: 17 und Börlin et al. 2011: 24 103 vgl. Börlin et al. 20121: 24

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land gegenüber Deutschland signifikant tiefer liegt. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen,

dass die Schweiz bezüglich Quantität104 stets zwischen Finnland und Deutschland liegt. Börlin betont, dass es sich bei den genannten Unterschieden nicht um Qualitätsmerk-male handelt. Er schreibt, „ob viel oder wenig Zeit für gewisse Aktivitäten oder Arbeits-phasen verwendet wird, ist nicht allein entscheidend. Vielmehr sind die Art und Weise,

die gesamte Orchestrierung und die Passung des Unterrichts insgesamt für die Qualität ausschlaggebend.“105

Abbildung 10: Das Säulendiagramm zeigt die Oberflächenstruktur der videographierten Doppellektionen in Bezug auf die Arbeits-form nach Ländern (vgl. Labudde 2012: 17)

b) Oberflächenstruktur: Unterrichtsmethoden

Die QuiP-Studie zeigt auch statistisch signifikante Ergebnisse in Bezug auf den Lern-prozess auf. Das in verschiedene Sequenzen oder Phasen eingeteilte Sich-Aneignen

von einem neuen Lerninhalt unterscheidet sich pro Land teilweise wesentlich.

An dieser Stelle ist die Erwähnung des in der Schuldidaktik gern zitierten PADUA-Modells unumgänglich. Der Begründer des 5-Schritte Modells, Hans Aebli, verstand

104 Börlin et al. 2011: 24 105 Börlin et al. 2011: 25

Deutschland Schweiz Finnland

Lehrervortrag

Diktat

Plenumsdiskussion

Still-/Einzelarbeit

Partnerarbeit

Gruppenarbeit

Mehrere Arbeitsformen gleichzeitig Übergang

Andere

Zeit [min] 90

0

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unter dem Akronym PADUA folgende Lernphasen: Problemstellung, Aufbauen, Durch-

arbeiten, Ueben und Anwenden. Damit ist aber nicht ein fachlicher Inhalt gemeint. Viel-

mehr geht es im PADUA-Modell um die Form und Funktion des betreffenden Lern-

schrittes.106 Die folgende gekürzte Darstellung lehnt sich an Schüpbach an und fasst die

Funktion der fünf Schritte zusammen.107 Der Autor weist darauf hin, dass das schulisch-systematische Lernen allerdings kaum so modellhaft und linear verläuft, wie es präsen-

tiert wird.

P Problemstel lung/Präsentat ion Genaues Formulieren des Problems,

Erfassen der einzelnen Teile

A Aufbauen Schrittweises Zusammenfügen von Ele-menten zu einer neuen Struktur

D Durcharbeiten Bewusstes Anders-Anschauen und in neuen Zusammenhängen kennenlernen

U Ueben Erhalten, Konsolidieren, Automatisieren und Perfektionieren

A Anwenden Einsetzen des Verfügbaren in neuen Situa-tionen

Abbildung 11: Vereinfachte Darstellung des PADUA-Modells (vgl. Schüpbach 2007: 164)

Stellt man nun das PADUA-Modell den Forschungsergebnissen aus der QuIP-Studie

gegenüber, fallen wiederum länderspezifische Unterschiede auf. Typischerweise wird der Schwerpunkt in den naturwissenschaftlichen Fächern

auf die Teilschritte Problemstellung, Aufbauen und Durcharbeiten gelegt. Die Studie konnte diese Annahme bestätigen, indem sie zeigte, dass das Üben und Anwenden kaum seinen Platz im Unterricht findet. Und doch weist der Physikunterricht in Finnland

diesbezüglich einige besondere Merkmale auf. Verglichen mit Deutschland wird der

Lernstoff im finnischen Physikunterricht signifikant mehr wiederholt. Ähnlich verhält es

106 vgl. Aebli 1983: 275-382 in: Schüpbach 2007: 164ff 107 Schüpbach 2007: 164

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sich mit den Unterrichtsphasen „Zusammenfassen“ und „Prüfen/Leistungs-

/Hausaufgabenkontrolle“. Während in Finnland zwar nur ein kleiner Bruchteil des Unter-richts dafür eingesetzt wird, werden diesen Sequenzen in der Schweiz kaum und in Deutschland gar keine Zeit beigemessen.

Das heisst konkret, dass in Bezug zum restlichen Unterrichtsgeschehen die oben

aufgeführten Unterschiede nur einen kleinen aber sehr bedeutsamen Platz einnehmen. Zugleich beweisen sie, dass in Finnland den zwei letzten Teilschritten des PADUA-

Lernmodells, Üben und Anwenden, mehr Wichtigkeit beigemessen wird.

Abbildung 12: Das Säulendiagramm zeigt die Oberflächenstruktur der videographierten Doppellektionen in Bezug auf den Lernpro-zess nach Ländern (vgl. Labudde 2012: 17)

Das Vernachlässigen des Übens im Unterricht wirft Fragen auf. Wie kann es dazu kommen, dass alle drei Länder – besonders aber die Schweiz und Deutschland – die-

sem wichtigen Element des Lernens so wenig Aufmerksamkeit schenken? Didaktiker und Praktiker denken schon lange über dieses Phänomen nach.

Schüpbach beispielsweise geht der Frage nach, wie es zum Ungleichgewicht zwischen Einführen/Aufbauen und Üben kommt. Er schreibt:108

108 Schüpbach 2007: 171

Deutschland Schweiz Finnland

Wiederholung

Einstieg/Einführung

Erarbeiten neuer Inhalte

Üben/Anwenden

Zusammenfassen

Prüfen/Leistungs-/Hausaufgabenkontrolle

Andere

Zeit [min] 90

0

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„Eigentlich sollte man meinen, Üben sei derart wichtig, dass dieser Phase im Lernprozess die nötige Gewichtung selbstverständlich zukomme. Aber vom Vorbereitungsaufwand her gesehen, den die meisten Lehrerinnen und Lehrer betreiben, und von der Realisierung im Schulalltag her, kommt man eher zum Schluss, die Einführung oder das Aufbauen sei viel wichtiger, denn da wird üblicherweise (und nicht a priori fälschlicherweise) viel Aufwand ge-trieben und viel Zeit investiert. Das Verarbeiten und Üben erscheint dann oft als Nebensache oder etwas, das man vernachlässigen zu können glaubt...“

Den Grund, dass das Verarbeiten und Üben im Schulalltag oft kürzer treten muss, sieht

der Autor bei den Lehrpersonen. Im Gegensatz zu den Schülern und Schülerinnen ken-

nen und können die Lehrenden den zu behandelnden Stoff bereits und verweilen ent-sprechend ungerne lange daran. Sie vergessen, dass die Lernenden „dieses Wegstück des Lernens auch gehen müssen“.109

Weiter bezieht sich Schüpbach auf Aebli, der das „Finden und Herstellen von Sachbeziehungen zwischen bisher unverbundenen Elementen des Handelns und Den-kens“ und „das Problemlösen, Forschen, Entdecken“ als „höheres Lernen“ bezeich-net.110 Konsequenterweise zieht Schüpbach den Schluss, dass das Üben dementspre-chend als „niedrieges [...] und daher weniger wichtiges Lernen“111 erscheint. Seine Er-klärung leuchtet ein: „[...] denn mit dem Üben meinen viele Lehrende sich in didakti-schen Niederungen zu bewegen. Und so kommt es, dass das Verhältnis von Aufneh-men und Verarbeiten häufig nicht im Gleichgewicht ist.“112

c) Experimentelles Handeln

Ein wichtiger Teil des Physikunterrichts wird durch das experimentelle Handeln be-

stimmt. Das Experiment ist eine praktische Lerngelegenheit, welche dabei hilft, physika-

lische Gesetze und Regeln zu verstehen. Neben die Verständnisförderung treten Aspek-te wie „[physikalische] Phänomene kennen lernen“ und „den Austausch zwischen Ler-nenden zu fördern“.113 Gemäss Börlin können durch das experimentelle Handeln „meh-

rere unterrichtliche Dimensionen verbunden werden: Als wichtiger Teil im Methodenre-pertoire des Physikunterrichts haben Experimente eine fachdidaktische Dimension“.

Das Experiment, ein Kernstück der wissenschaftlichen Forschung, weckt bei den Schülern und Schülerinnen „Neugierde und Motivation“ im Physikunterricht. Es bietet 109 Schüpbach 2007: 171 110 Aebli 1983: 328f in: Schüpbach 2007: 171 111 Schüpbach 2007: 171 112 Schüpbach 2007: 171 113 Börlin 2012: 11

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die Gelegenheit, „Themen aus Natur, Technik, Umwelt und der nachhaltigen Entwick-

lung auf originale, authentische, handelnde und erkundende Art zu erforschen.“114 Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hat im Juni 2011 einen Katalog mit Grundkompetenzen für die Naturwissenschaften herausgegeben. Die Grundkompetenzen sind die „ersten nationalen Bildungsstandards für die obligatorische

Schule“ und „stellen einen wichtigen Beitrag zur gesamtschweizerischen Harmonisie-rung der Ziele der Bildungsstufen dar.“115

Gemäss ihrem Modell müssen die Schüler und Schülerinnen bis zum Ende der Sekundarstufe I über folgende Kompetenzen des Handlungsaspekts „Fragen und Un-tersuchen“ – ergo experimentelles Handeln – verfügen:116

- Situationen und Phänomene mit mehreren Sinnen wahrnehmen, beobachten und be-schreiben und dazu verschiedenartige Fragen, Problemstellungen und einfache Hypo-thesen formulieren sowie Variablen für deren Überprüfung bestimmen (insbesondere im Zusammenhang mit Kraft und Gegenkraft, Energieerhaltung und -umwandlung, Strom-kreisen, Stoffumwandlungen, dem Aufbau von Zellen, dem Verhalten von Tieren, Bio-diversität);

- angeleitet Erkundungen, Untersuchungen und Experimente planen, durchführen und da-bei gezielt Schätzungen und Messungen vornehmen, Daten sammeln und auswerten und dabei zu Fragen und Hypothesen sachgemäss Stellung nehmen (insbesondere Kraftumwandlungen, mechanische und elektrische Leistung, chemische Reaktionen, Körperfunktionen, Bestimmung von Tieren und Pflanzen in Lebensräumen);

- beim Erkunden, Untersuchen und Experimentieren sowie beim technischen Konstruieren geeignete Werkzeuge, Instrumente und Materialien auswählen und einsetzen (insbeson-dere Instrumente zum Messen von Kraft, Stromstärke und Spannung; Instrumente zum Beobachten wie Mikroskop und Stereolupe);

- Ergebnisse aus Erkundungen, Untersuchungen und Experimenten in verschiedenen Formen darstellen (insbesondere als Skizze, Bericht, Protokoll, Tabelle, Diagramm, Graph, Plan);

- Erfolge und Mängel ihrer Planung, Durchführung und Auswertung einschätzen und Ver-besserungen vorschlagen.

Ein Teilprojekt der QuIP-Studie, Johannes Börlins Doktorarbeit, untersuchte spezifisch

die Qualität des experimentellen Handelns im Physikunterricht. Die Analyse der Experi-mente im Unterricht erfolgte wiederum anhand der Videoaufnahmen. Das „experimen-telle Handlungsmuster“ wurde mithilfe eines Kategoriesystems untersucht.

Die Ergebnisse zeigten, dass das Experimentieren im deutschen und schweizeri-schen Unterricht signifikant mehr Unterrichtszeit in Anspruch nimmt als in Finnland.

114 EDK 2011: 13 115 EDK 2011: 2 116 EDK 2011: 33

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Konkret heisst dies, dass „rund die Hälfte der Unterrichtszeit (49min) im Kontext des

experimentellen Handelns stattfindet.“117 Diese Zeit umfasst jedoch drei verschiedene Experimentierphasen: die Zeit für die Durchführung der Experimente sowie deren Vor- und Nachbereitung.

Die signifikanten Unterschiede zwischen den drei Ländern haben sich wie folgt

gezeigt: in Deutschland und der Schweiz dominierte das experimentelle Handeln im Unterricht. Beziffert bedeutet dies konkret, dass in Deutschland über zwei Drittel der

Unterrichtszeit (65min) für das Experimentieren eingesetzt wurde. In Finnland hingegen wurde für das Experimentieren durchschnittlich 28 Minuten eingesetzt. Der Schweizer Physikunterricht liegt mit 42 Minuten deutlich zwischen den beiden anderen Ländern.118

Betrachtet man die Phasen des experimentellen Handelns während des Unter-

richts, so fällt auf, dass in der Schweiz und in Finnland wenig Zeit für die Vor- und Nachbereitung des Experiments eingesetzt wird. Zudem wird im finnischen Unterricht dem qualitativen – im Gegensatz zum quantitativen – Experiment eine grössere Bedeu-tung beigemessen. In Deutschland und teilweise in der Schweiz konnten primär quanti-tative Experimente nachgewiesen werden. Die grosse Anzahl an Versuchen kann auf das veraltete physikdidaktische Credo „jede Stunde ein Experiment!“ zurückgeführt

werden.119 Nach aktueller wissenschaftstheoretischer Auffassung wird die Bedeutung des Experiments in der Physik geringer eingeschätzt, als dies meist noch im herkömm-lichen Physikunterricht (und auch in den Schulbüchern) dargestellt wird.

Börlin erstaunt dieser Befund ganz und gar nicht. Er vermutet, dass das Über-wiegen des qualitativen Experimentierens in Finnland mit dem Lehrmittel begründet werden kann. Die Analysen haben nämlich gezeigt, dass sich der Physikunterricht in

Finnland stark am Lehrmittel orientiert. Die starke Bindung der Lehrenden an das Schulbuch beeinflusst logischerweise deren Planung. Beide Physiklehrmittel bieten zum

Thema „Elektrizität“ ein qualitatives Experiment an.120

117 Börlin 2012: 158 118 vgl. Börlin 2012: 158f und Labudde 2012: 29 119 vgl. Labudde 2012: 29 120 vgl. Börlin 2012: 164

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6 Schlussteil

6.1 Diskussion

In diesem Kapitel wird die Arbeit abgerundet, indem die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammengefasst und auf die Fragestellung bezogen diskutiert werden. Das persönli-

che Fazit mit einem Ausblick bildet schliesslich den Schluss.

Um eine Basis zu schaffen, wurde zuerst kurz auf die Ergebnisse Schweizer Schülerin-nen und Schüler in den PISA-Studien eingegangen. Dabei floss fortlaufend die Erkennt-nis mit ein, dass die Resultate der OECD-Vergleichsstudie grosse Auswirkungen auf die bildungspolitischen Auseinandersetzungen hatten und Finnlands Schulen dabei einen wichtigen Platz einnahmen. Es folgte die Feststellung, dass der schulische Erfolg in Finnland teilweise auf eine grundlegende und gesellschaftlich tief verankerte Einstellung, nämlich der Chancengleichheit in der Bildung für alle, zurückgeführt werden kann. Da-raufhin wurden die geschichtlichen Entwicklungen des finnischen Schulsystems seit Ende des 19. Jahrhunderts bis heute betrachtet, wo der Schwerpunkt vor allem bei der radikalen Umstellung vom Parallel- hin zum Gesamtschulsystem in den 1970er Jahren

gesetzt wurde. In Verbindung mit dem Gesamtschulsystem in Finnland wurden die Strukturprinzipien „innere und äussere Differenzierung“ umfassend betrachtet. Es wurde festgestellt, dass eine integrative Schule, wie sie in Finnland vorzufinden ist, die äussere

Differenzierung weitestgehend überwunden hat. Des Weiteren lieferten die Befunde zur Selektion und den fünf Deutungsmustertypen wichtige Inputs für das Verständnis dieser umfassenden Reform. Die Erkenntnis, dass die finnische Schulpolitik trotz ihres integra-

tiven Charakters bestrebt ist, die Ausgrenzung geistig sowie körperlich behinderter Menschen ganz zu minimieren, führte zur Klärung der sonderpädagogischen Begriffe

Inklusion, Integration, Segregation und Exklusion. Um dem Erfolg des finnischen Schul-systems auf den Grund zu gehen, wurden die Begriffe Integration und Inklusion näher betrachtet. Es stellte sich dabei heraus, dass sich die finnischen Schulen durch gezielte Förderung in einer möglichst frühen Phase auszeichnen und über ein komplexes son-

derpädagogisches Förderprogramm verfügen. Bei der Auseinandersetzung mit Diffe-renzierungsformen auf der Unterrichtsebene wurde die Hypothese aufgestellt, dass der

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schulische Erfolg mit dem offenen, schülerzentrierten und individualisierten Unterricht

begründet werden kann. Um dieser Annahme nachzugehen, wurden die Ergebnisse der Studie „Quality of Instruction in Physics“ (QuIP), welche Merkmale gelingenden Physik-unterrichts in Finnland, Deutschland und der Schweiz untersucht, herbeigezogen. Die Auswertung der Studie konnte zwar belegen, dass der Unterricht an den finnischen

Schulen eine signifikante Rolle für gute Leistungen spielt, widerlegte jedoch gleichzeitig die der Arbeit vorangegangene Annahme. Die Hypothese wurde darum falsifiziert, weil

belegt werden konnte, dass der Anteil der Unterrichtszeit mit Lehrervortrag in Finnland signifikant höher liegt als in den Vergleichsländern. Ähnlich markant waren die Befunde in Bezug auf Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit: für diese Sozialformen wird im finni-schen Physikunterricht merklich weniger Unterrichtszeit eingesetzt.

Diese Befunde sind zugleich klare Elemente, welche im eigenen Unterricht weit-gehend unabhängig des jeweiligen Fachs übernommen werden können. Auch gibt die unterschiedliche Gewichtung des PADUA-Modells einen Hinweis, in welche Richtung der eigene Unterricht reflektiert und allenfalls modifiziert werden könnte, um dem finni-schen Vorbild näher zu kommen. Dies ist darum umsetzbar, weil die einzelnen Lern-schritte Teil der inneren Unterrichtsdifferenzierung sind und von der Lehrperson relativ

autonom bestimmt bzw. gewichtet werden können. Die Rhythmisierung der Lektionen unterliegt nicht dem Schulsystem per se. Die Befunde zum experimentellen Handeln sind hingegen nur eingeschränkt bzw. lediglich fachweise anwendbar, da das Experi-

ment nicht Teil eines jeden Faches ist. Zusammenfassend sei gesagt, dass die Fragestellung zur Arbeit beantwortet werden

konnte. Es wurde ein umfassendes Bild in Bezug auf Inklusion und Differenzierung im finnischen Schulsystem skizziert. Die These, dass in Finnland vermehrt Formen des of-

fenen Unterrichts eingesetzt werden, konnte mit einschlägigen Beispielen aus der QuiP-Studie widerlegt werden.

Eindeutige Stärke der erstellten Arbeit ist der Einbezug aktueller Studien, die ge-rade erst abgeschlossen wurden oder im Laufe dieses Jahres noch zu Ende geführt

werden. Die im QuIP-Projekt durchgeführten Erhebungen und Stichproben weisen eine hohe Repräsentativität auf und sind daher besonders wertvoll. Ferner sind die persönli-chen Erfahrungen, die während dem zweiwöchigen Aufenthalt in Finnland gesammelt

wurden, für die Qualität der Arbeit unerlässlich. Der Besuch einer finnischen Schule ver-

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leiht der theoretischen und literaturbasierten Arbeit eine zusätzliche Tiefe, die anders

nicht erreicht werden kann. Gleichzeitig zeigen sich in der Arbeit aber auch Grenzen und Lücken auf, die klar

benannt werden müssen. Grundsätzlich ist das Vorhaben, Merkmale eines erfolgreich abschneidenden Schulsystems herauszufiltern und in einem ganz anderen schulischen

Kontext anzuwenden, nur bedingt umsetzbar. Zu gross sind teilweise die kulturellen, politischen oder geschichtlichen Unterschiede, welche die Schullandschaft bestimmen.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Sparmassnahmen und leb(e)haften Diskussi-onen bezüglich der kantonalen Lohnstrukturen. Es reicht nicht, die Adaption nur an der Oberfläche, d.h. im Unterricht, vorzunehmen. Die grundlegenden Unterschiede sind tiefer im Schulsystem verankert. Überdies läuft man bei der Lektüre dieser Arbeit Ge-

fahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen: Die Befunde der QuIP-Studie stützen sich einzig auf Untersuchungen, die im Physikunterricht zu einem einzigen Thema durchgeführt wurden. Diese Ergebnisse lassen sich nur beschränkt verallgemeinern und müssen mit Vorsicht genossen werden. Ebenso wurde die hier aufgestellte Hypothese mit einer Studie widerlegt, was in einer möglichen Weiterarbeit unbedingt beachtet werden müsste.

Die Auseinandersetzung mit diesem Thema hat jedoch auch Fragen aufkommen lassen, welche hier nur noch am Rande und im Sinne eines Ausblicks aufgeführt werden sollen.

Diese Gedanken erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. - Laut dem finnischen Ministerium für Arbeit und Wirtschaft121 lag die Arbeitslosigkeit

bei Jugendlichen unter 25 Jahren letzten August bei 7.0%. In der Schweiz betrug diese Zahl lediglich 3.5%122. Dieser grosse Unterschied wirft viele Fragen auf. In der

Schweiz scheinen die Jugendlichen trotzdem besser auf die berufliche Zukunft vor-bereitet zu sein. Gründe dafür könnten im dualen Berufsausbildungssystem zu fin-den sein, das hierzulande erfolgreich zu sein scheint und in Finnland noch Lücken aufweist und Verbesserungen nötig hat. Ein Zusammenhang besteht allerdings

auch auf konjunktureller Ebene.

121 Ministry of Employment and Economy www.tem.fi/employmentbulletin (Stand: 14.02.2013, 14.56 Uhr) 122 Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, 2012: 5. URL: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/03/22/press.html?pressID=8222 (Stand: 15.2.2013, 17.41 Uhr)

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- Ein wichtiger Schwerpunkt des Schulsystems ist der Beruf der Lehrperson. Es wäre

interessant, dem Professionsgedanken in beiden Ländern nachzugehen und dies auf diversen Ebenen zu betrachten. Einerseits wäre die Stellung des Berufsstandes in der Gesellschaft von Interesse, anderseits die Form der Ausbildung. Ein geeigne-ter Anknüpfungspunkt wäre hier zum Beispiel das im Kapitel 5 zitierte Modell von

Lipowsky. Es zeigt nämlich auf, dass die Ausbildung der Lehrperson deren Einstel-lung und Enthusiasmus in Bezug auf den Unterricht klar beeinflusst.

- Um einen aussagekräftigen Vergleich zwischen den Schulsystemen der Schweiz und Finnland zu erhalten, wäre die Betrachtung der vorhandenen finanziellen Res-sourcen wichtig. Schlussendlich bestimmen die Finanzen über die Möglichkeiten und Grenzen schulischer Entwicklung.

- Weiter könnte genauer gefragt und analysiert werden, welche Aussagekraft und Wichtigkeit den PISA-Studien überhaupt zukommt und inwiefern deren Befunde wirklich relevant sind. Bieten sich den Schülern und Schülerinnen der besser ab-schneidenden Länder auch bessere Perspektiven?

- Interessant wäre zudem die Frage nach der Befindlichkeit finnischer Schüler und Schülerinnen. Hat der Erfolg des Schulsystems eine Auswirkung auf das Sentiment

der Jugendlichen? Welchen Nutzen haben sie von der Bildung? - Schliesslich wären natürlich auch die integrativen Bemühungen (rILZ, DaZ, Begab-

tenförderung etc.), die an Schweizer Schulen betrieben werden, von Interesse. Was

wäre diesbezüglich von HarmoS zu erwarten?

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6.2 Persönliches Fazit

„Thank you! Have a nice journey and enjoy your flight!“. Die Flugbegleiterin streckt mir

lächelnd das Ticket und die ID entgegen und lässt mich passieren. Minuten später sitze ich im Flugzeug und warte auf den Abflug zurück in die Schweiz. Ich freue mich, denn ich habe einen Fensterplatz. Es herrscht bereits reger Betrieb am Flughafen. Nach einer

Weile scheint unser Pilot endlich grünes Licht für den Abflug erhalten zu haben. Wir rol-len übers Flugfeld und machen uns bereit für den Start. Dem lauten Aufheulen der Tur-

binen folgt eine plötzliche Beschleunigung, die mich tief in den Sitz drückt. Der span-

nende Moment des Abhebens dauert einige Sekunden, dann befinden wir uns in der Luft und steigen in die Höhe. Auch wenn ich nicht unter Flugangst leide, merke ich

doch, wie sich eine innere Nervosität langsam löst. Auf meinem Schoss liegt das Buch von Rainer Domisch. Etliche Stellen sind mit

Post-it Klebern markiert. Ich schlage das Buch auf und weiss, dass ich das Geschrie-bene nun besser verstehen werde. Ein kleines Stück des Geheimnisses „finnische Schule“ hat sich mir auf eine schöne Weise offenbart. Ich blicke nochmals aus dem Fenster, die ersten Wolken ziehen bereits vorbei. Helsinki wird immer kleiner. Ich bin gelandet. Angekommen. Die Arbeit ist abgeschlossen. Grundsätzlich darf ich sagen, dass ich mit dem Produkt zufrieden bin. Dies, weil ich sehr viel Zeit investiert und einen grossen Aufwand betrieben habe. Mit bestem Willen habe ich mich ans Lesen, Nachforschen, Schreiben, Revidieren, Korrigieren und Überarbeiten gemacht und dabei alle möglichen Ressourcen eingesetzt.

Was die Organisation und Realisierung dieser Masterarbeit betrifft, musste ich jedoch meine erste Planung nach und nach anpassen. Ich habe es mir leichter vorge-stellt, eine meinen Ansprüchen entsprechende Arbeit neben der Tätigkeit als Lehrerin zu

verfassen. Die Herausforderung bestand darin, mit den zwei aufeinander prallenden

Welten (Schule und Studium) klar zu kommen und diese professionell aneinander vorbei zu bringen. Gleichzeitig war dieser Kontrast eine willkommene Abwechslung zum hekti-schen Schulalltag und ein gelungenes Nachdenken über das Lehren.

Neben dem Wissenszuwachs, der meiner Meinung nach enorm ist, habe ich durch diese Arbeit vor allem auch eines gewonnen: Bekanntschaften in Finnland und

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Deutschland. Während meinem Aufenthalt in Jyväskylä durfte ich eine unglaublich

grosszügige Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft von allen Leuten erfahren. Ich habe nicht nur Neues über Finnlands Schulen gelernt, sondern auch über dessen Menschen und Kultur.

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7 Quellenverzeichnis

7.1 Literatur

- Aebli, Hans (1983): Zwölf Grundformen des Lehrens. Stuttgart: Klett Cotta Ver-lag. In: Schüpbach, Jürg (2007): Nachdenken über das Lehren. Vorder- und Hin-

tergründiges zur Didaktik im Schulalltag. 3. Auflage. Bern, Stuttgart, Wien: Hauptverlag

- Bönsch, Manfred (1995): Differenzierung in Schule und Unterricht. Ansprüche, Formen, Strategien. München. In: Pfeifer, Michael (2006): Bildung auf Finnisch. Anspruch. Wirklichkeit. Ideal – nach PISA. München: P. Kirchenheim Verlag

- Börlin, Johannes (2012): Das Experiment als Lerngelegenheit. Vom interkulturel-len Vergleich des Physikunterrichts zu Merkmalen seiner Qualität. Berlin: Logos Verlag

- Börlin et al. (2011): Qualitätsmerkmale im Physikunterricht – Deutschland, Finn-land und die Schweiz im Vergleich. In: Fachhochschule Nordwestschweiz, Pä-dagogische Hochschule: Unterrichtsqualität und Unterrichtsentwicklung. For-schungsbericht. Basel: Steudler Press. 24-27

- Erkki Merimaa (2009): Die allgemeine Grundschule – Neune Jahre gemeinsames Lernen für alle. In: Matthies, Aila-Leena, Skiera, Ehrenhard (Hrsg.): Das Bil-dungswesen in Finnland. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag. 137-148

- Häberlein-Klumpner, Ramona (2009): Separation – Integration – Inklusion unter problemgeschichtlicher Perspektive. In: Thoma, Pius, Cornelia Rehle: Inklusive Schule. Leben und Lernen mittendrin. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag.

35-44 - Hollenbach, Nicole, Ulrich Kober (2011): Einleitung: Herausforderung Inklusion.

In: Bertelsmann Stiftung, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange be-hinderter Menschen, Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.): Gemeinsam ler-nen – Auf dem Weg zu einer inklusiven Schule. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung. 7-10

- Hopf, Diether (1976): Differenzierung in der Schule. 2. Überarbeitete Auflage. Stuttgart: Ernst Klett Verlag

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60

- Hungerbühler, Andrea et al. (2007): Beiträge für die Praxis – Nr. 1. Das Volks-

schulwesen des Kantons Bern. Politisch-organisatorische Zuständigkeiten. Insti-tutioneller Aufbau. Aufgaben der Lehrperson. Biel: Ediprim AG

- Juva, Simo (2008a): Das finnische Bildungssystem im Überblick. In: Sarjala, Juk-ka, Häkkli Esko (Hrsg.): Jenseits von PISA. Finnlands Schulsystem und seine

neusten Entwicklungen. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag. 58-78 - Juva, Simo (2008b): Förder- und sonderpädagogischer Unterricht in der Ge-

meinschaftsschulle. In: Sarjala, Jukka, Häkkli Esko (Hrsg.): Jenseits von PISA. Finnlands Schulsystem und seine neusten Entwicklungen. Berlin: Berliner Wis-senschafts-Verlag. 123-127

- Kuikka, Martti (2009): Das allgemeinbildende Schulwesen in historischer Sicht.

In: Matthies, Aila-Leena, Skiera, Ehrenhard (Hrsg.): Das Bildungswesen in Finn-land. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag. 57-79

- Labudde, Peter (2012): Was macht Finnland anders? Unterlagen zum Gastvor-trag vom 28. November 2012 an der Universität Zürich

- Matthies, Aila-Leena (2003): Von der Integration zur Inklusion im finnischen Schulsystem. Vortrag an der !Hochschule Magdeburg-Stendal

- Niggli, Alois (2000): Lernarrangements erfolgreich planen. Didaktische Anregun-gen zur Gestaltung offener Unterrichtsformen. Aarau: Pädagogik bei Sauerländer

- Overesch, Anne (2007): Wie die Schulpolitik ihre Probleme (nicht) löst. Deutsch-

land und Finnland im Vergleich. Münster: Waxmann Verlag GmbH - Patschkowski, Mirja (2003): Innere Differenzierung des Unterrichts mit besonde-

rer Beachtung hochbegabter Schülerinnen und Schüler. Examensarbeit. Nor-

derstedt: GRIN Verlag - Pfeifer, Michael (2006): Bildung auf Finnisch. Anspruch. Wirklichkeit. Ideal – nach

PISA. München: P. Kirchenheim Verlag - Rüegg, Roland, Catrin Maler (2010): Umgang mit heterogenen Klassen. Reader

zur Veranstaltung. Pädagogische Hochschule Bern. - Sarjala, Jukka (2008): Zur Geschichte des finnischen Schulwesens. In: Sarjala,

Jukka, Häkli, Esko (Hrsg.) (2008): Jenseits von PISA. Finnlands Schulsystem und seine neusten Entwicklungen. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.

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- Schüpbach, Jürg (2007): Nachdenken über das Lehren. Vorder- und Hinter-

gründiges zur Didaktik im Schulalltag. 3. Auflage. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt-verlag

- Sitte, Wolfgang, Helmut Wohlschlägl (Hrsg.) (2001): Beiträge zur Didaktik des „Geographie und Wirtschaftskunde“-Unterrichts. Wien: Institut für Geografie und

Regionalforschung, Universität Wien (= Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde, Bd. 16)

- Skiera Ehrenhard/Matthies, Aila-Leena (2009): Das Bildungswesen Finnlands in mehrperspektivischer Sicht. In: Matthies, Aila-Leena/Skiera, Ehrenhard (Hrsg.): Das Bildungswesen in Finnland. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag, 13-21

- Streckeisen et al. (2007): Fördern und Auslesen. Deutungsmuster von Lehrper-

sonen zu einem beruflichen Dilemma. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen-schaften

- Uno Cygnäus. Helsingissä suomalaisen Kirjallis. Seuran Kirjapanion Osakeyhtiö 1907, S. 107, veröffentlicht in: Opetushallitus 2008, übersetzt von Rainer Domi-sch. In: Domisch, Rainer/Klein, Anne (2012): Niemand wird zurückgelassen. Eine Schule für alle. München: Hanser Verlag

- Wohlhart, David (2010): Grundlagen der Integration in Österreich. In: Holzinger, Andrea, David Wohlhart (2010): Schulische Integration. Innsbruck, Wien, Bozen: Studien Verlag. 57-100

7.2 Internet

- Boban, Ines, Andreas Hinz (2003): Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln. Halle-Wittenberg. URL: http://www.eenet.org.uk/resources/docs/Index%20German.pdf (Stand:

15.02.2013, 17.55 Uhr)

- Bundesamt für Statistik, Pressemitteilung Januar 2001. Nr. 350-0111-00. URL: http://www.pisa.admin.ch/bfs/pisa/de/index/04/01.html (Stand: 15.02.2013, 18.03 Uhr)

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- Bundesamt für Statistik, OECD PISA. URL:

http://www.pisa.admin.ch/bfs/pisa/de/index/01/01/02.html (Stand 25. Oktober 2012, 11.57 Uhr)

- EDK (2007) Pressemitteilung 4. Januar 2007. PISA: die erste Bilanz zum OECD-Programm. Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren.

URL: http://www.pisa.admin.ch/bfs/pisa/de/index/01/01/02.html (Stand 25. Ok-tober 2012, 11.57 Uhr)

- EDK (2011): Grundkompetenzen für die Naturwissenschaften. Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. URL: http://www.pisa.admin.ch/bfs/pisa/de/index/01/01/02.html (Stand 25. Oktober 2012, 11.57 Uhr)

- Finnisches Ministerium für Arbeit und Wirtschaft. Bulletin for Employement. UR: www.tem.fi/employmentbulletin (Stand: 14.02.2013, 14.56 Uhr)

- Fuchs, Cornelia (2007): Wo der Fernseher beim Lesen hilft. URL: http://www.dr-toman.de/HandoutFinnland220507.pdf (Stand 15.11.2012, 14.38 Uhr)

- Kastl, Jörg Michael (2012): Inklusion und Integration – oder: ist „Inklusion“ Men-schenrecht oder eine pädagogische Ideologie? Soziologische Thesen. Berlin:

Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft / Fürst-Donnersmarck-Stiftung zu Ber-lin. Vortrag in der Villa Donnersmarck – ergänzte Lserfassung (6.11.2012). URL: http://www.imew.de/fileadmin/Dokumente/Volltexte/FriedrichshainerKolloquien/

Kastl_Inklusion_und_Integration_IMEW_Okt2012_END.pdf (Stand: 7. 02.2013, 14.22 Uhr)

- Mandela, Nelson (2003): Rede an der Witwatersand Universität in Johannesburg,

Südafrika. Lighting your way to a better future. URL: http://db.nelsonmandela.org/speeches/pub_view.asp?pg=item&ItemID=NMS90

9&txtstr=education%20is%20the%20most%20powerful (Stand: 14.02.2013, 23.30 Uhr)

- Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2011): Kernlehrplan für die Realschule in Nordrhein-Westfalen. Physik. URL:

www.schulministerium.nrw.de (Stand 27.12.2012, 15.15 Uhr) - Montessori, Maria. In: Montessori-Lexikon. URL: http://www.montessori-

lexikon.de/montessori-zitate.php (Stand 15.02.2013, 20.18 Uhr)

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- OECD (2007): PISA 2006. Naturwissenschaftliche Kompetenzen für die Welt von

morgen. Kurzzusammenfassung. URL: http://www.oecd.org/pisa/39731064.pdf (Stand: 14.02.2013, 22.56 Uhr)

- Oser, Fritz, Sarasin, Susanna (1995): Basismodelle des Unterrichts: Von der Se-quenzierung als Lernerleichterung. Exzerpt. URL: http://info.ub.uni-

potsdam.de/zsr/llf/LLF_PDF/LLF_11/OSERSARA.PDF (Stand 28.12.2012, 14.55Uhr)

- Projektgruppe „Integration und Schule“. URL: http://www.integrationundschule.ch (Stand 8.02.2013, 09.26 Uhr)

- Schweizerische Eidgenossenschaft und Schweizerische Konferenz der kantona-len Erziehungsdirektoren (EDK). PISA 2012. !Kompetenzmessung bei 15-

Jährigen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Ein gemeinsames Pro-jekt von Bund und Kantonen. November 2011. URL: www.pisa2012.ch (Stand: 06.11.2012, 15.13 Uhr)

- Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (2012): Die Lage auf dem Arbeitsmarkt. August 2012. Bern. URL: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/03/22/press.html?pressID

=8222 (Stand: 15.02.2013, 17.44 Uhr) - Unterrichtsministerium Finnland (2006): Broschüre Bildung und Wissenschaft in

Finnland. Helsinki: Universitätsverlag (ISBN: 952-485-129-6 (pdf)). URL:

http://www.minedu.fi/export/sites/default/OPM/Julkaisut/2006/liitteet/sak_opm16.pdf

- Von der Groeben, Annemarie. Pädagogik 55. Jahrgang Heft 9/Sept. 2003. URL:

http://www.schulberatung-bs.de/Procedere/Ideen/Differenzierung.pdf (Stand 15.02.2013, 20.21 Uhr)

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8 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Übersicht Kompetenzbereiche (www.pisa2012.ch).............................................. 9

Abbildung 2: Bildungssystem Finnland (Bildungsministerium Finnland).................................... 21

Abbildung 3: Gliederungsschema Differenzierung nach Bösch (Pfeifer 2006: 34).................... 23

Abbildung 4: Entwicklung der Sonderpädagogik nach Bürli (Wohlhart 2010: 13)..................... 31

Abbildung 4: Entwicklungsstufen schulischer Integration (Olpe plus e.V)................................. 31

Abbildung 6: PISA-Ergebnisse (Labudde 2012: 4)................................................................... 41

Abbildung 7: Modell für Unterrichtsqualität nach Lipowsky (Börlin 2012: 42)........................... 42

Abbildung 8: Ablauf der Datenerhebung (Börlin 2012: 44/Labudde 2012: 11)......................... 43

Abbildung 9: Fachwissen der SuS im Pre- & Posttest nach Geller (Börlin 2012: 149).............. 45

Abbildung 10: Oberflächenstruktur in Bezug auf Arbeitsform (Labudde 2012: 17)................... 47

Abbildung 11: PADUA-Modell (Schüpbach 2007: 164)............................................................48

Abbildung 12: Oberflächenstruktur in Bezug auf Lernprozess (Labudde 2012: 17).................. 49

Abbildungen auf den Kapitelseiten Kapitel 2: Wordle (erstellt auf www.wordle.net)......................................................................... 8

Kapitel 3: Suomi Koulou (http://utrechtinsuomikoulu.nl/?page_id=2)....................................... 13

Kapitel 4: Selektion (http://www.unp.me/f98/fair-selection-183153/)....................................... 22

Kapitel 5: Education (http://www.marslearningcenter.com)..................................................... 37

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9 Anhang

9.1 Fragebogen leer

Questionnaire about the Finnish school system This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col-lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies. Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you! Please return your answers to the following email-address: [email protected]

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

2. The Finnish Ministry for Education and Culture123 states that “all children are guaranteed

opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well-being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth-ods/attitudes/goals/...?

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tired support (Kolmi-

portainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy124, the unemployment

rate of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzerland, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at the same time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any elements/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods. As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

123 Ministry for Education and Culture (3.10.2012) http://www.minedu.fi/OPM/Koulutus/koulutusjaerjestelmae/index.html?lang=en 124 Ministry of Employment and Economy (3.10.2012): http://www.tem.fi/files/34204/AUG12.pdf

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6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

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9.2 Fragebogen P.R. (8.10.2012)

This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col-lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies. Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you! Please return your answers to the following email-address: [email protected]

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

Finnish society has a rather flat hierarchy. There are no obvious societal classes. The school system reflects this, and there is very little formality between students and teachers, which makes the atmosphere relaxed. Everyone learns a little bit of everything. (We often use the term "yleissivistys" or Allgemeinbildung.) In some countries, students specialize very early, so it is no wonder they will lack some of the skills measured in PISA.

2. The Finnish Ministry for Education and Culture states that “all children are guaranteed opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well-being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth-ods/attitudes/goals/...?

A little of everything for everyone applies here as well. I try to layer my topics so that everyo-ne gets a good overall picture, while there are deeper insights available for the talented stu-dents.

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tired support (Kolmi-portainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

I only have little experience on it. I think its main idea is that problems are shared early on, and the teacher does not have to decide alone what to do. Thus it helps the inexperienced teacher, and ensures fair participation for everyone involved, such as the parents. 4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy, the unemployment rate

of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzer-land, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at the same time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any ele-

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ments/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

This relates a lot to my answer to 1. Teaching a little of everything to everyone has the be-nefit that students can get some idea of a wide variety of professions, and thus help them find their own calling. On the other hand, it is hard to give a good picture of any single field. For example, in my science lessons I try to remind that this is not only for the future scien-tists, but also beauticians and mechanics. One problem, then, is that science teachers are scientists themselves. It is hard to promote vocational fields equally, when every teacher has a master's degree.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew

up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods. As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

I think the system of periods has mostly benefits, and I would choose it any day. As a tea-cher, I feel confused if I have too many courses going on at the same time. I imagine it is not so different for the students. After all, we highlight the importance of focusing on one thing at a time and doing it well. The general downside seems to be that students forget things sooner. For example, they have one course of physics in each of the 3 years here, so they have about a year between consecutive courses. Personally, I do not feel this is a huge issue; I think it is more important to "learn to learn" than to memorize facts forever. It also gives a nicer feel of starting and fi-nishing projects on time, and moving on with life.

6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

Despite the general Finnish ideals of equality, I would like to see a little more specialization. For example, in a large school you could have 2 or 3 different levels of math teaching. These were around sometime in the past, but now they are basically forbidden. One problem was that they were often too rigid, and higher education was impossible for those in the lowest tier. Of course, the point would be to better match a student's ability and education, than limit their choices. In practice, each group has a different level, because teachers are quite free to adjust their teaching to the overall level of a group. But it feels unfair to have a talented student in a lo-wer-level group, or vice versa, because of the random assignment of students into groups. I still think that it is important to learn a bit of everything, but there should be more flexibility in matching the students' abilities and interests with the teaching.

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This might give some idea for a future scenario. The gap between weak/poor and weal-ty/talented students is widening, and I expect the latter to go more into private education. State schools will try to maintain the ideals of equality, for those that have seen the ideals fail. Meanwhile, those with talent and drive will find knowledge and employment completely outside the school system (at least in younger fields such as IT).

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9.3 Fragebogen A.Y. (08.10.2012)

This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col-lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies. Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you! Please return your answers to the following email-address: [email protected]

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

I believe that the elementary school teachers do the work! They are very professional and lay the ground. I don’t think we can do much in the secondary school. If the pupils have learned to learn at an early age they’ll go on in the same way. If not, we can’t do much. In the first Pisa-tests the Finnish children did well in reading and understanding what they read. It has probably something to do with the Finnish language. It’s not difficult for children to learn to read Finnish because the words are often pronounced the way they are written. The children watch TV with subtitles and they are eager to pick up the words in order to un-derstand what Donald Duck is saying I’ve heard the following kind of explanations, too:

- teachers are well-educated - teacher’s profession is respected (I doubt this) - there are good libraries all over the country - we still have the tradition of reading bed-time stories to our children (well, that’s

true)

2. The Finnish Ministry for Education and Culture states that “all children are guaranteed

opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well-being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth-ods/attitudes/goals/...?

Theory and good ideas are not the same as reality. Of course we try to achieve the aims that are stated but we seldom succeed. Like I already mentioned I tend to teach in a way that the majority is able to follow. I can’t provide the good students with much extra materi-al, nor can I drag the weak students along with the others. The weak students are helped by our special education teachers, the good ones are on their own. If they are independent, motivated and hard-working they can score high, but usually they are content with the con-tents that we go through together.

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This is terrible – I almost sound cynical. But maybe and hopefully I’m just being realistic. But the truth is I’m doubtful about these academic goals. I’m more concerned about what kind of people we educate. I’d like them to learn how to behave themselves, how to cope with difficulties in life, how to learn to trust oneself, how to make friends and be sociable. And when thinking about these aspects I’m not cynical at all. I believe there’s something good in everybody and I believe that the teachers can make a difference. Not all the time but like I said, I’d like to think that later in life our students could agree with this: “Somewhere, at some point, some teachers did something good and that’s why I got this far.”

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tired support (Kolmi-portainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

The only potential I see with this is that it makes the teachers co-operate with the families more. Otherwise I think it means an awfully lot of paperwork and bureaucracy. The basic idea was to ensure the students a fair evaluation of their abilities (so that they wouldn’t be ‘transferred’ to special education class without a good reason) but I’m really not at all con-vinced about this model. For instance, I have a boy in the 7th grade whose school history is very difficult. He has received support from many different professionals over the years. Af-ter a couple of weeks I can see that studying Swedish in a normal class is going to be an obstacle for him but there is not much I can do except contact the parents (who definitely don’t want him to be excluded from the class) and start filling in those endless reports. I guess, a year will pass, before we have reached the top of the triangle and a special educa-tion teacher will start his work with the student. That’s something that happened last year, too, to a boy, who from the very first word test showed having great difficulties. By the way, this three-tiered support is a nation-wide concept. It’s stated in the new law and all school in Finland have to follow it.

4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy, the unemployment rate of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzer-land, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at the same time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any ele-ments/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

I don’t think I can answer this question. It’s very difficult to say but I’ll ask one of our student guidance teachers to write a couple of lines about that.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods. As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

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I see more good than bad sides with this. I think the students can concentrate much better on the subjects, they have maybe less tests and definitely less books to carry. The problem is that if the amount of courses in a particular subject is low (like Swedish) there may be long breaks between the courses (for example if they start studying Swedish in the first period and the second course is studied in the fourth period). Another nice thing is also that the students get four different timetables and four report cards every year. Variety is the spice of life.

6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

I would like to abolish the three-tiered support (!) . The authorities and the parents should trust the teachers more and let them make the judgements. There was a research in Finland (carried out a couple of years ago) which showed that the teachers were the best ones to foresee how a pupil was going to succeed with his studies in the future. The parents of course were not able to be objective enough. And the teachers had a lot of experience and they could kind of tell what was the average or the ‘normal’ way. So with this three-tiered support we feel that we are just asked to motivate our opinions time after time in written form and still it’s not enough. In ten years I hope there will be a completely different syllabus in Finnish schools. I hope that we’ll have a lot more practical subjects and much less theoretical ones. I hope that the basic principle ‘Everyone will learn everything’ is forgotten and that the pupils can concen-trate on studying things that interest them and where they can show their strengths. We need more joy in Finnish schools, more successful experiences for both students and teachers.

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9.4 Fragebogen O.L. (11.10.2012)

This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col-lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies. Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you! Please return your answers to the following email-address: [email protected]

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

There are no easy answers and I have not anything to compare. For learning it is good that we have certain democracy between teacher and his pupils. That helps the pupils to dis-cuss and even argue with the teacher. The teachers have wide academic studies. School and teachers have quite much freedom to make decisions how to carry out the lessons. Special teaching achieves good results.

2. The Finnish Ministry for Education and Culture states that “all children are guaranteed

opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well-being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth-ods/attitudes/goals/...?

In almost every class there are some pupils that have special needs. I try to give attention to his/her needs but it is not easy job. Many times it means that I have to make extra prepara-tions. My teaching methods may be better than before. I also think that the goals may be different: learning to learn instead of learning the facts.

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tiered support (Kol-miportainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

We can see the difficulties when we write them down. After that we can see how we go ahead with them. But this is again more job to the teachers. It is not the main task that the teacher writes papers concerning his pupils.

4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy, the unemployment rate of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzer-

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land, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at the same time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any ele-ments/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

I encourage them to choose vocational school and maybe entrepreneur career. I hope they understand that you can be a good professional even you haven´t been a primus pupil in school.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew

up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods. As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

Good sides: limited time and content of the courses (destination is not so far away), flexibil-ity, rhythm to the learning, not so many subjects going on in same time bad sides: there can be too easy and too heavy periods for pupils

6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

We have too many subjects. Instead we should give different kind of task to the pupils. Not so much sitting in a chair, instead different kind of working and active doing.

The economic crisis may cause damages to our school system. There may be pupils who cannot learn. There may be big differences between poor and rich families. The new curriculum is coming in 5 years but we don´t know what is coming. Just now it is only a plan. I am afraid there might be less freedom for schools.

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9.5 Fragebogen J.K. (27.12.2012)

This questionnaire is part of my master’s thesis, which I am writing at the teacher training col-lege in Bern, Switzerland. I am gathering information about the Finnish school system in order to find out why it is so successful, especially since the PISA studies. Your opinion is a precious contribution to my work. Thank you! Please return your answers to the following email-address: [email protected]

1. At the latest since the publication of the first PISA results in 2001, the Finnish school system is broadly discussed in Europe. In your opinion, what are the reasons for the success of your school system? Please give as many reasons as possible.

Our school system is very democratic. Education is free, school lunch is free. The school is for everybody. Education is highly valued in our society. Teachers have really been educa-tors, important members of different towns and villages. After the world war II we Finns wanted to build a good society and school has been very important place for all of us.

2. The Finnish Ministry for Education and Culture states that “all children are guaranteed opportunities for study and self-development according to their abilities, irrespective of their place of residence, language or financial status. All pupils are entitled to competent and high-quality education and guidance and to a safe learning environment and well-being”. How do you tackle the fact that you are teaching in an inclusive school system? How are the weak students taken care of? How does this affect your teaching meth-ods/attitudes/goals/...?

I find our system mainly rather fair to all citizens. The pupils who need most special support really get it. Special education (special need education) and support teaching reach obvi-ously the biggest part of those who need it. We take care of the weak students but the problem is how to support the talented pupils at the same time. That leads me and perhaps many other teachers to ponder some better ways of supporting the talented. Different kind of tasks, more demanding kind of studying and perhaps more personal guidance outside the lessons for the gifted students. As a special education teacher I´m interested in helping those students who come to my groups whether they are weak or talented, whether they have diagnosis or not. I just need to find the best possible way in that certain situation which makes the pupil to learn how he/she probably could manage to reach the new goals.

3. As a form of differentiation, the city of Jyväskylä has set up a three-tired support (Kolmi-portainen tuki). Please tell about your experiences you have made with this program. Where do you see its potential?

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We are just in the beginning in using this support system. It may help the whole school or-ganization to deal better with all kinds of problems but it causes more work for the teachers who deal with the reality. For a special need teacher this system brings a good help in the form of sharing work for more persons. It used to be a job for the special need teacher to gather all the information and also do the personal learning plan for every special need student. At least in junior high schools where I´ve been working the last 25 years all the coordinating work was actually done by the special need teachers. Now, I hope cooperation among teachers will grow and the school organization will learn as an organization too. So, the potential is in learning how to do our job better together.

4. According to the Finnish Ministry of Employment and Economy, the unemployment rate of Finnish people under the age of 25 years was 7.0% at the end of August. In Switzer-land, however, the rate of unemployed people aged 15-24 was 3.5% at the same time. A possible explanation for this data is the structure of the vocational training. How do you help your students to get ready for their professional future (i.e. are there any ele-ments/topics/etc. in your lessons which support your student’s career choice)? If this is not the case, please give reasons why this is so.

In many discussions I have with my pupils a common way of talking about work is what dads and mums do. Some tell me that they lie on the coach and drink beer. One of those histories happened long time ago. The pupil anyhow showed to her parents that it´s not her way of life and started working as a cleaning worker and searched an own home as soon as possible. Giving attention and being interested in the life of my students is one strong way to support the young people to begin to think the future, potential possibilities at least in our home town or sometimes even some other places. Explaining and telling why to study math, languages is a must every year, in every group. Talking about my own history interests many of the pupils. Giving words and pictures for the possible future is very important.

5. With the national core curriculum as a framework, the local education authorities drew up a local curriculum. Your school has chosen to organise the syllabus in four periods. As a teacher, where do you see the good and bad sides in this setup?

Well, I´ve had six periods and I´ve had one period. Six was too much, too busy. Perhaps this four is a compromise which works. For our students this brings four different timetables, so a little change anyway. One issue is that you don´t have to study everything all the time. Nine weeks this timetable and then a bit different. It is possible to develop our system into direc-tion where it would be more possible choices. I mean it would be good to have more op-tional courses. It is a fact that students really would like to do more their own choices and it would be wise to let them learn to make decisions. In the future they need skills like decision making, they need to be more self-directed and self-imposed. Also it must be said that high school in Finland has also 4-6 periods, so it´s important to be ready for some changes.

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6. Please name the things you would like to change in your school system. Where do you meet problems and why? Also try to describe your school in ten years. What kind of changes will there probably be?

The school system is not going to change much in ten years. There may be e-books and e-this and e-that. But the system is quite slow to change. Anyway I hope the school is going to a direction where possible course-system would be also in junior high schools. That should implicate more possibilities to make own choices in planning one´s studies. There would be perhaps more variation also in what the students actually study in even junior high schools. More options mean usually more motivation, and motivation is what all the pupils need. The talented and gifted students would be happy to take more their own kind of courses, in information technology, in math, in biology, in … Problems? We all would like to be good in what we do. I would like to be even better, I would like to do my job excellently. The truth is we all are not capable to meet young stu-dents as they should be met. Many of us do want to teach but in this kind of system where we have all kind of pupils in the same groups it´s important to be able to handle different learners. So, more guidance and support also to teachers and other stuff we have in the schools.

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10 Selbständigkeitserklärung

Name und Vorname Gasparis Irini

Matrikelnummer 07-593-908

Titel der Arbeit Schulerfolg «made in Finland» - warum ist das finnische Schulsystem so gut?

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbstständig erarbeitet habe. Des Weiteren

bestätige ich, sämtliche Zitate nach bestem Wissen als solche gekennzeichnet und die entsprechenden

Literaturquellen und elektronischen Quellen vollständig angegeben zu haben.

Datum 16. Februar 2013

Unterschrift

Es wird darauf hingewiesen, dass gemäss dem Statut der deutschsprachigen Pädagogischen Hochschu-le vom 19. Oktober 2005 (PHSt, Art. 46 Abs. 2) der Grundsatz der Lauterkeit in der Wissenschaft gilt. Ein Verstoss gegen den Grundsatz der Lauterkeit in der Wissenschaft liegt vor, wenn falsche Angaben ge-macht werden, geistiges Eigentum anderer verletzt wird oder eine Forschungstätigkeit auf andere unlau-tere Weise beeinträchtigt wird. Je nach Schweregrad der Verletzung kann dies einen schriftlichen Verweis durch die Institutsleitung oder den Ausschluss vom Studium an der Pädagogischen Hochschule nach sich ziehen (PHSt, Art. 46 Abs. 3 - 5).

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11 Erklärung zur Öffentlichmachung und Ausleihe