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Phänomenologische Forschungen Meiner BEITRÄGE Klaus-Michael Kodalle Verzeihen und Responsivität. Zum Gespräch mit Bernhard Waldenfels Jörg Zimmer Differenzierungen im Begriff ‚Gegenwart‘ bei Husserl und Merleau-Ponty Christophe Perrin La dette: réalité de sa crise et crise de son concept Alexander Kozin The Generative Dimension of Translation Ronny Miron The Ontological Exclusivity of the I Wei Zhang An introduction to Scheler’s Phenomenology of Intersubjectivity. From „Self-deception“ to „Inner Perception of the Other“ Nikita Stefa Husserls aïsthetisch-ästhetischer Begriff des Sprachleibes. Zwischen Sprachgemeinschaft und lebensweltlicher Symbolik Buchbesprechungen 2017 | 1

1 Phänomenologischen Forschungen …mit Bernhard Waldenfels Jörg Zimmer Differenzierungen im Begriff ‚Gegenwart‘ bei Husserl und Merleau Ponty Christophe Perrin La dette: réalité

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PhänomenologischeForschungen

Meiner

Die Phänomenologischen Forschungen sind ein international offenes Forum

für die Publikation aller im weitesten Sinne phänomenologisch orientier­

ten Arbeiten. Aufgenommen werden Beiträge in deutscher, englischer

und französischer Sprache, die Begutachtung erfolgt nach dem Verfahren

des Peer­Review.

BEITRÄGE

Klaus­Michael Kodalle Verzeihen und Responsivität. Zum Gespräch mit Bernhard Waldenfels

Jörg Zimmer Differenzierungen im Begriff ‚Gegenwart‘ bei Husserl und Merleau­Ponty

Christophe Perrin La dette: réalité de sa crise et crise de son concept

Alexander Kozin The Generative Dimension of Translation

Ronny Miron The Ontological Exclusivity of the I

Wei Zhang An introduction to Scheler’s Phenomenology of Intersubjectivity. From „Self­deception“ to „Inner Perception of the Other“

Nikita Stefa Husserls aïsthetisch­ästhetischer Begriff des Sprachleibes. Zwischen Sprachgemeinschaft und lebensweltlicher Symbolik

Buchbesprechungen

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Phänomenologische Forschungen

Herausgegeben von Karl­Heinz Lembeck, Karl Mertens

und Ernst Wolfgang Orth

2017 | 1

ISSN 0342­8117

20171

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Ph&nomenologische ForschungenPhenomenological Studies

Recherches Ph/nom/nologiques

ImAuftrage derDeutschenGesellschaft f%r ph&nomenologische Forschung

herausgegeben von

KARL -HE INZ L EMBECK , KARL MERT EN S

UND ERN S T WOLFGANG ORTH

unterMitwirkung vonJ U L I A JONA S

Jahrgang 2017Heft 1

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FELIX MEINER VERLAGHAMBURG

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Ph&nomenologische Forschungen · ISSN 0342–8117

# Felix Meiner Verlag, Hamburg 2017. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nach-drucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der *bersetzung, vorbehalten. Dies be-trifft auch die Vervielf&ltigung und*bertragung einzelner Textabschnitte durch alle Ver-fahren wie Speicherung und *bertragung auf Papier, Film, B&nder, Platten und andereMedien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdr%cklich gestatten. Druck und Bindung:Druckhaus Beltz, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbest&ndig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtemZellstoff.

Printed inGermany. www.meiner.de/phaefo

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INHALT

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EditorischeNotiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Alexander Schnell:Nachruf auf Marc Richir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Klaus Held:Gedenkwort f%r HeinrichH%ni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

BEITR"GE

Klaus-Michael Kodalle:Verzeihen und Responsivit&t. ZumGespr&chmit BernhardWaldenfels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Jçrg Zimmer:Differenzierungen im Begriff ,Gegenwart‘ bei HusserlundMerleau-Ponty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Christophe Perrin:La dette: r/alit/ de sa crise et crise de son concept . . . . . 55

Alexander Kozin:TheGenerative Dimension of Translation . . . . . . . . . . . 77

RonnyMiron:TheOntological Exclusivity of the I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Wei Zhang:An introduction to Scheler’s Phenomenology ofIntersubjectivity. From „Self-deception“ to „Inner Perceptionof theOther“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Nikita Stefa:Husserls a2sthetisch-&sthetischer Begriff des Sprachleibes.Zwischen Sprachgemeinschaft und lebensweltlicher Symbolik . . . . . . . . . . 135

BUCHBESPRECHUNGEN

WilhelmDilthey:Briefwechsel Band II 1882–1895 (ErnstWolfgangOrth). 157

Giovanni Tidona:Ding und Begegnung. Sprach- undDingauffassung imdialogischen und existentialenDenken (Florian Salzberger) . . . . . . . . . . . . . 159

Emmanuel Alloa/Miriam Fischer (Hg.):Leib und Sprache. Zur Reflexivit&tverkçrperter Ausdrucksformen (Bettina Zehetner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

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EditorischeNotiz

Um die Bandz&hlung der Ph"nomenologischen Forschungen dem aktuellen Er-scheinungsjahr anzugleichen, wird der Jahrgang 2016 %bersprungen. Ab diesemHeft (2017/1) sollen nunmehr j&hrlich 2 Halbb&nde mit einem Umfang von je-weils 160 Seiten erscheinen. Einer der Jahres-Halbb&nde soll k%nftig einem spe-zifischen Thema gewidmet und von einem oder mehreren Gastherausgebernediert werden. Der zweiteHalbbandwirdwie bisher ein offenes Publikationsfo-rum bleiben, f%r das gerne Artikelvorschl&ge entgegen genommen werden, %berderen Publikation im peer-review-Verfahren entschieden wird. Im Rahmen die-ses offenen Heftes sind auch weiterhin Buchbesprechungen mçglich, wenn-gleich in geringeremUmfang als bisher. Auf eine aktuelle Bibliographie einschl&-giger ph&nomenologischer Verçffentlichungen wird angesichts zunehmendverl&sslicher und besser zug&nglicher bibliographischer Quellen im Internetk%nftig verzichtet.

DieHerausgeber

Ph&nomenologische Forschungen 2017 ·# FelixMeiner Verlag 2017 · ISSN 0342-8117

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Klaus-Michael Kodalle

Verzeihen undResponsivit&t

ZumGespr&chmit BernhardWaldenfels

Dieser Text wurde verfasst f%r einen Workshop, der im September 2015 an der TU Darmstadtunter Leitung von Petra Gehring stattfand und der Theorie von Bernhard Waldenfels gewid-met war. Im Zentrum stand das komplexe Werk Antwortregister von 1994. Dem Verfasser ob-lag es, ausgehend von seinem Buch Verzeihung denken. Die verkannte Grundlage humanerVerh"ltnisse,1 dasNetzwerk der Verbindungen zu BernhardWaldenfels’ Theorie der Responsi-vit&t herauszuarbeiten.

Teil IVerzeihen als extraordin"reGabe

1. Einkreisung des Ph&nomens

Das Verzeihen ist, so wie Schuld und Verfehlung, ja so wie das kleine oder auchgroße Bçse, allgegenw&rtig. G&be es nicht immer und immer wieder das Verzei-hen, br&che das anNormen ausgerichtete Leben zusammen.

Von klein an erlebt jeder Mensch immer erneut die Gnade des Neuanfangs.Mal bin ich derjenige, dem ein Fehltritt nachgesehenwird, mal %be ich dieNach-sicht, ohne die es zu endg%ltigen Br%chen k&me. So hat eigentlich jeder Menschschon in ganz wichtigen Zusammenh&ngen und Krisen die Macht der Verzei-hung erfahren.

Mehr und mehr erobert der Verzeihungsdiskurs auch die Welt des çffentli-chen Raums. Nach politischen Umbr%chen, nach der *berwindung barbari-scher Regime, bilden oftmals Amnestie und Begnadigung Bausteine eines Neu-beginns.

Angesichts dieser Omnipr&senz der Macht des Verzeihens ist es erstaunlich,dass das Nachdenken %ber den Stellenwert, %ber das Profil dieses fundamentalethischen Begriffs, lange Zeit in der Philosophie vernachl&ssigt worden ist. Zwarkçnnenwir feststellen, dass seit der Antike, seit Platon, Xenophon undAristote-

1 M%nchen 2013; siehe die Besprechung von PeterWelsen in den Ph"nomenologischen For-schungen 2014, 319–324. Hinweis zu den Abk%rzungen im folgenden Text: BW = BernhardWaldenfels; A=Waldenfels: Antwortregister. Frankfurt a.M. 1994; SCH=Waldenfels: Schat-tenrisse derMoral. Frankfurt a.M. 2006.

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les, die Schuldbew&ltigung durch diverse Konzepte der Entschuldung, der Reueund Verzeihung Beachtung gefunden hat; bei Jacobi, Hegel und vor allem beiKierkegaard (der wesentliche Aspekte, die wir bei Derrida aufnehmen kçnnen,vorgekl&rt hat) kçnnenwir in der neuzeitlichen Philosophie (beginnendmit But-ler) durchaus eine gewisse Ausdifferenzierung der Kommunikationsgestalt ,Ver-zeihung‘ registrieren.

Aber un%berhçrbar sind auch solche Stimmen in der Philosophie, die ent-schieden Einspruch anmelden gegen eine zu starke R%ckbindung des Ethos andas Verzeihen. Da sind zum einen Klassiker wie Fichte, die das Vernunft- undMoral-Konzept regelrecht abgeschottet haben gegen die Annahme der Fehlbar-keit des Menschen, so dass ein ungeheuer rechthaberischer Denktyp resultiert:Fichte kann als Prototyp eines gnadenlosenDenkens gelten.

Zum anderen trifft man auf Philosophen wie Nicolai Hartmann, der im An-schluss an Kant vor einer zu starken Ber%cksichtigung des Verzeihens gewarnthat, weil dadurch die Verantwortung eines T&ters nicht mehr ernst genommenwerde; das stelle dessenW%rde als freier Urheber seiner Tat in Frage.

Allerdings hatte Kant seinerseits, anders als Hartmann, Folgendes nicht %ber-sehen: Jede einzelne Schuld-Last ist zwar der Verantwortung des Freiheitssub-jekts zuzurechnen (sie w&re also vermeidbar gewesen), die Verschuldung des Le-bens insgesamt aber hielt er f%r unaufhebbar und sprach deshalb davon, derMensch unterliege einem „Hang“ zum Bçsen und sei insofern eben auch radikalverzeihungsbed!rftig.

In meinem Buch2 habe ich dargestellt, wie in der 2. H&lfte des 20. Jahrhun-derts das Verzeihen ins Zentrum der philosophischen Aufmerksamkeit r%ckte:bei Arendt sowieso, aber auch bei Jank/l/vitch, Derrida,3 Levinas, Ricœur4 –und bei BernhardWaldenfels (BW).

2. Das Verzeihen – in der Sprache der Responsiven Ethik

Das Konzept der responsiven Ethik von BW kommt mir vor wie ein riesigesGeh&use aus philosophischen und kulturtheoretischen Reflexionsmodulen, indem sich auch ein zentral gelegenes Modul mit der Aufschrift „Verzeihen“ fin-

2 Klaus-Michael Kodalle: Verzeihung denken. Die verkannte Grundlage humaner Verh&lt-nisse.M%nchen 2013.

3 Derrida ließ sich gar auf das Paradox ein: wenn es das Unverzeihliche gebe, sei auch dasVerzeihen desUnverzeihlichen eine Aufgabe.

4 Es ist bemerkenswert, dass es vorwiegendDenker j!discherHerkunft sind, die in der Zeitnach dem Holocaust den fundamentalen Stellenwert des komplexen Ereignisses ,Verzeihung‘untersuchten.

Klaus-Michael Kodalle14

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det. Doch das im Anschluss u.a. an Marcel Mauss entwickelte Geflecht von Ge-ben-und-Nehmen reicht viel weiter. Verzeihen als ein Vorgang neben vielen an-deren? Z.B. neben der komplexen Struktur des Schenkens?5

Das Verzeihen ist nach meinem Verst&ndnis insofern Gabe im ausgezeichne-ten Sinne, als esmomentan „[…] die Zeit anh&lt und denKreislauf der Reziprozi-t&t durchbricht“.6

Nach BW gibt es niemals nur eine richtige Antwort auf eine herausforderndeVor-Gabe. Mit dem Aufweis der unausschçpfbaren Reichweite des Antwortre-gisters stemmt sich BW dem zwanghaften Insistieren der Eindeutigkeitserwar-tung entgegen.7Das gilt erst recht, wenn man nicht von einem „stimmigen Gan-zen“ ausgehen kann, welches vorstrukturierend wirkt. Im Diskurs %berVerzeihen haben wir davon auszugehen, dass dieser Rahmen selbst im abgr%ndi-gen Kommunikationsdesaster mit-unterhçhlt ist. Gestçrt ist ja gerade die Mçg-lichkeit einer „Spiegelung des Ich im Anderen“ und insofern versteht sich eine„Entsprechung“ nicht mehr von selbst.8 Wenn sich dann dennoch wider Erwar-ten eine zukunftsf&hige Entsprechung einstellt, liegt demwomçglich – so BW inA 578 – „eine geheime F%gung zugrunde“. – Ich habe an dieser Stelle gewagt,diese untergr%ndige Dynamik denGeist der Verzeihung zu nennen (Joseph But-ler: „spirit of forgiveness“), der sich als die geheime Gegenkraft zu jenem dieGattungmitreißenden Sog herauskristallisieren l&sst, den Kant den „Hang“ zumradikal Bçsen nannte. In diesem Geist „passiert“ es, dass „dem fremden An-spruch der Stachel der Fremdheit genommen“wird.9

Der Empfangende des Verzeihens kann dem Verzeihung-Gebenden nichtsAd&quates zur%ckerstatten. Ihm w&chst die Pflicht zu, auf anderen Ebenen desMitseins sich zu bew&hren. BW: „Wer nichts Gleichwertiges zur%ckerstattenkann, ist gehalten, zumindest seineDankbarkeit zu zeigen und damit auf symbo-lische Weise die Schuld abzutragen.“10 Mit dem Verzeihen wird der Person desT&ters als moralisch-rechtliches Wesen wieder Kredit einger&umt.11 Der Verzei-hende – oder eine Gesellschaft, die bereit ist, Nachsicht walten zu lassen – ge-w&hrt einenVorschuss an Vertrauen.12

5 Freilich vermeide ich es in meinen Darlegungen, die verletzende oder gar Tod bringendeTat selbst als „Gabe“ zu bezeichnen, wie es – konsequent – bei Waldenfels geschieht (vgl. A590 f.).

6 A 596. – Die allt&glichen Formen des Sich-Entschuldigens und Um-Verzeihung-Bittensnach Caramboulagen lasse ich hier außer Betracht.

7 A 576.8 Vgl. A 578.9 A 578.10 A 598.11 Vgl. A 599.12 Vgl. A 601.

Verzeihen und Responsivit&t 15

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Auch wenn es eine absolut reineGabe so wenig gibt wie eine reine Liebe (BWmit Merleau-Ponty) und ebenso die extraordin&re Verzeihungsmitteilung nichtrein ist, weil doch in ihr vonmehreren Seiten Erwartungenmitschwingen, ist diekonstitutive Asymmetrie doch hervorzukehren; BW spricht von einer „ur-spr%nglichen Irreziprozit&t“.13 Hier gilt n&mlich exemplarisch: „Die GleichungzwischenGeben undNehmen geht niemals auf […]“.14F%r den sich aller Berech-nung und allen Pressionen vonAußen entziehenden Ereignis-Charakter des Ver-zeihens und seine Abgr%ndigkeit finde ich bei BW die passenden Worte: „DieAbgr%ndigkeit verweist auf ein Geben im außerordentlichen Sinne, wo das, wassich gibt, sich erst im Ereignis des Gebens ergibt. Dieses Sichgeben gleicht demSichsagen darin, daß es sich niemals auf bloß Gesagtem ausruhen kann. Das au-ßerordentliche Geben gibt, was im Geben erst zu erfinden ist.“15 Was in dieserzugespitzten Formulierung zum Verst&ndnis gebracht werden soll, verdeutlichtBW mit dem Hinweis auf das Schenken. Aber ist nicht das Verzeihen insoferndie bessere Exemplifizierung des außerordentlichen Gebens, als hier ein Ich sichwirklich als ganze Person exponiert und zudem der andere Mensch, der zumFremden geworden war, die schlechthin unverdiente Mçglichkeit erh&lt, sichgleichsam als anerkennungsw%rdiges Subjekt neu zu erfinden? Immerhinkommt BW genau in diesem Zusammenhang auch auf Gratia, Gnade, zu spre-chen. Allemal ist von demAkt der Verzeihung (Wort oder Geste) zu sagen, „daßer sich der Berechnung und Vergewisserung entzieht“16 – vielversprechend unddoch wie „in denWind gesprochen“.17Wenn Vergeben nicht als reinesGeben zuerfassen ist,18 dann wohl deshalb, weil – wie bereits gesagt – in diesemAkt Hoff-nungen undErwartungenmitschwingen, die durchaus bedr&ngendeZ%ge anneh-men kçnnen.

3. Verharmlosungsverdacht

Verzeihen setzt sich allerdings geradezu zwangsl&ufig demGeneralverdacht aus,es befçrdere mittels Verharmlosung das stillschweigende oder explizite Einver-st&ndnis mit erheblicher Schuld. Zu diesem Vorwurf ist zu sagen – er trifft einenneuralgischen Punkt. Denn es stimmt ja: Sofern wir als Betroffene uns dazudurchringen, das Verzeihen der Anklage vorzuziehen, entschuldigen wir die

13 A 616.14 A 617.15 A 620.16 A 623.17 Vgl. A 623.Weitere Bemerkungen zu „Irreziprozit&t undVergebung“: A 624.18 A 625.

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Handlungsweise des*belt&ters, indem wir sie so interpretieren, dass eine unge-heuerlicheTat auf menschenmçgliches Versagen herabgestuft wird.

EinMittel dabei ist, den Unrechtscharakter der Tat kompromisslos zu dekla-rieren, der Person aber Nachsicht entgegenzubringen. Dermoralische Blick frei-lich, der per se unnachsichtig ist, wird hier „Verharmlosung“ vorwerfen und un-erbittlich auf der „Unverzeihlichkeit“ bestehen.

Wenn man also Nachsicht walten l&sst, gibt man einer Handlung ganz be-wusst ein geringeres moralisches Gewicht, als es in der Perspektive unbeteiligterbzw. unparteiischerDritter angezeigt w&re.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch: Die Erz"hlung %ber das ge-schichtlicheEreignis unterliegt auf allen Seiten –Opfer, T&ter;Gesellschaft,Wis-senschaft – einem st&ndigen Ver&nderungsprozess. Man kçnnte von einem„Kampf umsNarrativ“ sprechen (einiges dazu in Teil II).

4. Das souver&ne Verzeihen. Das Problemmit der Reue

Im Folgenden versuche ich nun, einige weitere Aspekte der komplexen Strukturdes Verzeihens auseinander zu legen.

Man stellt sich ja den Vorgang normalerweise so vor: Jemand ist sich seinerSchuld bewusst, er geht in sich, erkennt die Schwere seiner Tat oder Unterlas-sung und bittet die gesch&digte Person um Verzeihung. Das, so scheint es, ist dernormale Vorgang. Doch das Leben ist viel komplizierter. Es gibt ein Verzeihen,welches der Reue ebenso wie der Bitte um Verzeihung sogar zuvorkommt: einvorlaufendes Verzeihen. Was genau ist hier gemeint? Stellt das nicht die Verh&lt-nisse vçllig auf den Kopf? Hat nicht ein *belt&ter gef&lligst vorab um Verzei-hung zu bitten?

Wenn sich ein Opfer dazu durchringt, einem T&ter zu verzeihen, noch ehedieser um Verzeihung gebeten hat, kann dies dazu f%hren, dass bei dem T&ter,durch dieses Entgegenkommen ausgelçst, %berhaupt erst ein Prozess in Ganggesetzt wird, sich der eigenen Vergangenheit und damit denAbgr%nden der eige-nen Seele zu stellen. Die Schichten der Selbstrechtfertigung und der passend aus-gelegten Entlastungsgr%nde sind so dicht und kompakt, dass es zuweilen jenervorlaufendenVerzeihung bedarf, umdenT&ter dazu zu bewegen, jenen Selbstbe-trug aufzugeben und sich der Verwerflichkeit des eigenen Tuns zu stellen.

Dabei hat es der Verzeihung Gew&hrende keineswegs in der Hand, ob dasVerzeihen %berhaupt sein Ziel erreicht, ob n&mlich der andere dazu gebrachtwird, Reue angesichts seiner Taten zu empfinden. Das vorlaufende Verzeihenkann mithin auch ins Leere gehen, also: vergeblich sein. Aus dieser Ungewiss-

Verzeihen und Responsivit&t 17

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heit, ob das Verzeihen gelingt, gibt es kein Entkommen: vorauslaufendes Verzei-hen ist einWagnis.

Das verzeihende Subjekt hat keine Herrschaft %ber die kommunikative Situa-tion; nat%rlich hofft es darauf, dass die Verzeihung gelingt – anders gesagt: dassder Verzeihung imAkt der Reue entsprochenwird.19

Aber dies gerade verstehe ich als die Souver"nit"t des Verzeihens: dass es sichnicht abh&ngig macht von der Korrespondenz der Reue; scharf und %berspitztgesagt: Der Verzeihende tut gut daran, sich daf%r gar nicht zu interessieren, obder andere bereut oder nicht.

Damit ist nicht behauptet, die Reue sei unwesentlich! Reue und Verzeihungbilden ein untrennbares Ensemble. Die Reue ist wie das Bitten um Verzeihungein Element des vollst&ndigen Begriffs der Verzeihung.

Wir m%ssen also sagen: Wenn es auf Seiten des T&ters nicht zu einem Akt derSelbstpr%fung, des schmerzlichen Bedauerns kommt, so hat sich der Sinn desVerzeihens nicht erf%llt – das ist begriffslogisch klar. Aber die existenzielle Seiteder Angelegenheit sieht anders aus. Da es in diesem Bereich des Ethischen kei-nerlei Zwang geben darf – nach dem Schema: Du musst jetzt verzeihen / Dumusst jetzt bereuen / Dumusst jetzt deine Schuld eingestehen –, bricht hier eineSpannung auf, denn imZentrum derMoral steht ja der Begriff der Pflicht.Versu-che, das Verzeihen als Pflicht zu rechtfertigen, sind von vornherein zum Schei-tern verurteilt. Als absolut frei gew&hrter Akt ist das Verzeihen durch allgemeineGr%nde nicht erzwingbar oder in das Schema moralischer Forderungen zu pres-sen. – In diesen Erw&gungen weiß ich mich ganz einig mit der von BW vorge-brachten Kritik an ,g&ngigen‘ Konzeptionen derMoral.

Daraus folgt auch: Kein einzelner – und sei es der Verzeihende selbst – darfsich dazu aufschwingen, den Vorgang des Verzeihens kontrollieren und beherr-schen zu wollen. Was wir allerdings doch wechselseitig voneinander erwartend%rfen, ist eine „Haltung“ der prinzipiellen Verzeihensbereitschaft.

Um das Authentische im Verzeihungsvorgang zu wahren, darf man sich vomInteresse am Gelingen oder Misslingen dieses Prozesses nicht abh&ngig machen.

Wenn eine in ihrer physischen oder psychischen Integrit&t schwer verletztePerson sich zum Verzeihen durchringt, so hat diese *berwindung des Rachege-f%hls, des Hasses, des Ressentiments einen Sinn in sich selbst. Auf diese Weisebefreit sich dasOpfer von seiner inneren Fixierung auf seine Opfer-Existenz. ImVerzeihen wird es wieder frei. Diese Selbst-*berwindung, die eine *berwin-dung des Geistes der Rache ist, um mit Nietzsche zu sprechen, ist nicht abh&n-gig von den Reaktionen der T&ter, deren Glaubw%rdigkeit, selbst wenn sie Reue

19 *ber das „Entsprechen“ finden sich bei BWinAntwortregister die tiefgr%ndigstenDarle-gungen.

Klaus-Michael Kodalle18

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bekunden, niemand zu beurteilen weiß – außer Gott (falls wir mit ImmanuelKant an eine solche absolute Gewissensinstanz eines „Herzenskundigen“ glau-ben).

5. Korruptionsanf&lligkeit des Verzeihungsvorgangs

Diese total asymmetrische Kommunikation:– hier der Verzeihende in diesemAugenblick unendlich %berlegen, als w&re er

nicht auch anf&llig f%r Schuld;– dort der *belt&ter bis auf die Knochen bloßgestellt, sozusagen der Gnade

einesMenschen ausgeliefert –diese Situation ist vielleicht nur zu bew&ltigen, wenn auf dieVersprachlichung

verzichtet wird. Das Verzeihen bedarf nicht des sprachlichen Ausdrucks.Beim Akt des Gebens lassen sich eben „verschiedene sprachliche und außer-

sprachliche Mittel einsetzen“.20 Statt der Zusage ,ich verzeihe dir!‘, welche dieAsymmetrie womçglich %berdreht, weil aus Besch&mung leicht Trotzwird,wal-tet der Takt: die indirekte bekr&ftigende Geste und eine unmissverst&ndlicheHaltung, die keine Zweifel aufkommen l&sst, dass das*ble gr%ndlich ,vergebenund vergessen‘ ist. BWerw&hnt bei Gelegenheit, „%ber die Antwortbereitschaft,die in einer Gesellschaft herrscht“, kçnne auch die Beachtung von „Umgangs-ton undUmgangsweise“ Aufschluss geben.21

Bereits Kierkegaard war sich der von BW herausgestellten sozialen Dynamikbewusst: „WerWohltaten empf&ngt, ist geringer als jener, der sie erweist.“ Letzt-lich muss es wieder zu einer Art „Gleichgewicht zwischen Geben undNehmen“kommen.22

Am besten w&re es, das Verzeihen t&te seineWirkung – und w%rde sofort ver-gessen. (Denker wie Kierkegaard oder Derrida setzten diesen Akzent.) JederBlick eines unbeteiligtenDrittenwirkt hier verstçrend.Akte derVerzeihung ver-tragen eigentlich kein Publikum.

Nun ist der Mensch aus so krummem Holz geschnitzt, dass aus ihm nichtsGerades werden kann: Diese ber%hmte skeptische Anmerkung Immanuel Kantszur Korruptionsanf&lligkeit des Menschen ist auch auf die Akte des Verzeihens

20 A 593.21 A 625.22 A 601. – F%r die gezielte Aufrechterhaltung der strukturellen Asymmetrie zwischen Ge-

ben und Nehmen ist das Mafia-System das Paradebeispiel: Im Zentrum stehen nicht Rechte,sondern das Prinzip der Gunst. Die Analogie zur Gnade liegt auf der Hand: Lokale KircheundMafia bildeten in ihrem Kampf gegen eine Gesellschaft der individuellen Rechte eine engeKoalition: gegen individuelle Rechtsanspr%che und f!r das Abh&ngigkeit sichernde System desGunsterweisens. (Papst Franziskus hat inzwischen dieser Verbindung eine klare Absage er-teilt.)

Verzeihen und Responsivit&t 19

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auszudehnen. Zu denken ist an Formen eines billigenVerzeihens – zwischen Be-quemlichkeit und Berechnung:

Beispielsweise gibt es Verzeihen aus Feigheit, weil man sich dem starken T&tergegen%ber so schwach f%hlt, dass man es vorzieht, lieber ein Auge zuzudr%ckenund sich einer Auseinandersetzung gar nicht zu stellen, bei der man verlierenkçnnte, oder ein Verzeihen aus &berheblichkeit, weil man den T&ter und seineMotive gar nicht ernst nimmt und damit auch die moralische Dimension seinesFehlverhaltens einfach ignoriert, weilman in!berlegenerUnangefochtenheit sei-ne Ruhe haben will, um sichwichtigerenDingenwidmen zu kçnnen.

Es gibt auch leichtfertige bedenkenloseGroßherzigkeit.

6. Moral, Recht undGnade

Jedes Pl&doyer f!r Verzeihung hat sich der Frage zu stellen, wie es der Aufwei-chung des Geltungsanspruchs moralischer Standards entgegenzuwirken ge-denkt. Also das ist kl&rungsbed%rftig: In welchem Verh&ltnis steht das Verzei-hen zu Moralit&t und Recht? In einer Welt, die von der Unvollkommenheit desMenschen gepr&gt ist, ist das Verzeihen auch bezogen auf Moral und Recht, fun-dierend, denn es stellt nach einem gravierenden Einbruch die Moralf"higkeitund Rechtsf"higkeit in einem emphatischen Sinne erst wieder her. Mit einemBrei der Versçhnlichkeit hat das Verzeihen nichts zu tun. Es ist nur zu verteidi-gen, insofern es stets auf Moral und Recht bezogen bleibt. Da wir uns in beidenDimensionen st&ndig am Rande des Abgrunds bewegen und immer wieder inkleinere Lçcher oder auch in tiefe Abgr%nde fallen, ist es von Interesse f%r dieSysteme von Moral und Recht, wie, auf welchen Wegen, eine Person, die ihreneigenen Anspr%chen nicht gerecht geworden ist, die sozusagen sich selbst verra-ten hat, – wie diese Person wieder in einen Status gelangen kann, in dem sie wie-der als integeresMoral- und Rechtssubjekt anerkanntwird.

Nun haben ja die Systeme von Moral und Recht ihre eigenen Sanktionsmçg-lichkeiten. Auf dem Gebiet der Moral ist es Anklage, "chtung, Verurteilung,gegebenenfalls Ausschluss aus dem kommunikativen Zusammenhang; auf demGebiet des Rechts ist es die çffentliche Anklage und Verurteilung – also einegewisse Form des Prangers – und die Verurteilung zu Strafen.

Eine Gesellschaft wird um ihres Funktionierens willen auf solche Mechanis-men nicht verzichten kçnnen. Aber das sind alles Formen der Exklusion, desAusschlusses auf Zeit, mit denen sich in einer zumeist hilflos pathetischen Formder Gedanke der Resozialisierung verbindet; aber zur wirklich gelingenden Re-sozialisierung kommt es in den seltensten F&llen. Aus solchen Beobachtungenhat man die Konsequenz gezogen, zumindest im Jugendstrafrecht einen so ge-

Klaus-Michael Kodalle20

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nannten T&ter-Opfer-Ausgleich zu inszenieren: Wenn sich Opfer und T&ter aufeinGespr"ch einlassen und sich dem jeweils anderen ,verst&ndlicher‘ machen, sokann es, das ist dieHoffnung, zu einemGesinnungswandel beim T&ter kommenund auch das Opfer der Tat kann sich eventuell dazu durchringen, dem T&terVergebung anzudeuten. Das Strafen kann dann unter dem Gesichtspunkt derMilde weitgehend zu einer symbolischenHandlungwerden.

Exotisches Beispiel aus dem Iran:Ein zum Tode verurteilter Mçrder steht vor dem Galgen. Da tritt die Mutter

des Opfers hervor und versetzt ihm einen Schlag ins Gesicht. Die Prozedur desH&ngens wird sofort abgebrochen: Die mildere Sanktion der von der Mordtatunmittelbar Betroffenen setzt die H&rte des staatlichen Urteils außer Vollzug.23

Ein System von Strafe und Sanktion, das auf den Impuls des Verzeihens sei-tens der Opfer und der Nachsicht seitens der Gesellschaft g&nzlich verzichtenzu kçnnen glaubt, wird letztlich zu einer inhumanenVeranstaltung. (BW sprichtvon „Albtraum“.) Insofern verwundert es auch nicht, dass der Rechtsstaat etwasso Eigent%mliches wie dasRecht der Gnade und Begnadigung kennt – mit regel-rechten ,Gnadenordnungen‘ und der Mçglichkeit, an das Staatsoberhaupt alsGnaden-Instanz zu appellieren.

Erst recht, wenn wir an revolution&re Wende-Zeiten denken, an politischeSystemwechsel, wird das Recht der Gnade akut – zumeist in Gestalt der Verk%n-dung großer Amnestien. (Zu Verzeihung im Kontext des politischen Ethos sieheTeil II.)

7. Ein Vorschlag zur Terminologie Verzeihen-Vergeben

In diesen letzten Bemerkungen hat sich dem Wort Verzeihung das Wort Gnadebeigesellt. Und das nicht ganz zuf&llig. Gnade bezeichnet eine bestimmte Formder Verzeihung. Der Sprachgebrauch l&sst sich wie folgt differenzieren:

W&hrend Verzeihung das Verh&ltnis der einzelnen Person zu einer anderenPerson betrifft, kennzeichnet Gnade ein Verzeihen oder Vergeben, welchesnicht horizontal von Mensch zu Mensch sondern vertikal strukturiert ist: voneiner legitimierten hçherenMacht zum Einzelnen. Also: Der Pr&sident im Na-men des Staates begnadigt einen Einzelnen – so wie der Allm&chtige Gott einemS%nder vergibt. Also: Gnade/Vergebung von oben= vertikal, Verzeihung hinge-gen zwischenmenschlich= horizontal.24

23 Quelle: Bildmit Kommentar in der AusstellungWelt-Photographie 2015.24 Die hier vorgebrachte Differenzierung legte mir Georg Lohmann nahe; vgl. seinen Bei-

trag in der Diskussion: Kodalles Philosophie des Verzeihens im Gespr&ch. In: InformationPhilosophie (2014) 34–41.

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8. „Denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Ein Blick in die Antike

In diesenBemerkungen zuVergebung-Gnade fiel bereits derBegriff „Gott“.Vie-le Nicht-Philosophen (auch: Philosophen …) fragen sich: Hat nicht das Chris-tentum, unsere kulturelle Hintergrundreligion, das Verzeihen von Anfang anund durchg&ngig auf seine Fahnen geschrieben?

Zweifellos verkçrperte Jesus von Nazareth in radikaler Manier einen Geistdes Verzeihens. Gerade mit seinen eigenm&chtigen Verzeihungszusagen zog erdie Aggression der j%dischen Autorit&ten auf sich, die ihn der Gottesl&sterungbezichtigten. Die Gleichnisse Jesu machen deutlich, dass einer Vergebung sei-tens Gottes das zwischenmenschliche Verzeihen vorauszugehen hat. Gottes Ver-gebung ist nicht als Ersatz f%r das umgangene zwischenmenschliche Verzeihenzu haben. Ein S%nder, der sich mit Gott aussçhnen will, hat sich zuvor um dieAussçhnungmit dem verletztenMitmenschen zu bem%hen, und zwar unerm%d-lich – nicht nur sieben mal soll er beim Gesch&digten vorsprechen und um Ver-zeihung bitten, sondern nçtigenfalls 70mal oder 7 mal 70mal.

Ein ganz bestimmter rein philosophischer Aspekt, der mit der Leidensge-schichte des Jesus verbunden ist, ruft in die Zeit der klassischen Philosophie derAntike zur%ck. Im Evangelium des Lukas hat man dem gefolterten Jesus amKreuz die folgenden Worte in den Mund gelegt: „Vater, vergib ihnen, denn siewissen nicht, was sie tun.“ H&tte es nicht ausgereicht, Gott einfach um Verge-bung f%r die Folterknechte und ihre Auftraggeber zu bitten – wenn Jesus dasdenn so wollte? Musste er „argumentieren“, gleichsam einen Grund angebenmit dieser Formel: „denn sie wissen nicht, was sie tun“?

Die Auffassung „Niemand tut willentlich Schlechtes“ ist aus der sokratisch-platonischenDenktradition ganz vertraut. Und die*berzeugung, der Nachweisvon Nichtwissen kçnne, wie im Falle jenes Kreuzeswortes, dazu dienen, Men-schen von der vollen Verantwortung f%r ihre Un-Taten zu entlasten, war in derAntike verbreitet. Man verzieh nicht einfach spontan, sondern suchte nachGr%nden, die von Schuld entlasten kçnnten. Und ein typischesVorgehen bestanddarin, zumBeispiel vorGericht anzuf%hren, was ein T&ter bei der Tat nicht wuss-te oder sogar nicht wissen konnte. (Wer unnachsichtig gesinnt war, suchte nat%r-lich im Gegenzug aufzuweisen, was ein T&ter h&tte wissenm!ssen!) Man unter-stellte also, wenn man nachsichtig sein wollte oder um Nachsicht bat, einbegrenztes Nicht-Wissen.

Xenophon erz&hlt in seiner Kyrup"die eine Geschichte von einem ermorde-ten Lehrer der Weisheit, in der sich die Empfehlungen und Zusagen des Verzei-hens, ausgehend von dem sterbenden Philosophen, in geradezu absurder Weise%berschlagen. Man vermutet, diese Geschichte sei auch an das zerstrittene Volk

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von Athen gerichtet, sich als B%rgerschaft nach der Tçtung des Sokrates wiederauszusçhnen.

Auch bei Aristoteles, der die Epikie so stark bef%rwortete, finden wir bei derKl&rung der Handlungstypen eine deutliche Mitwirkung der Nachsichtigkeitund eine ausdr%ckliche Beachtung des Gewichts glaubw%rdiger Reue. Auf dieBedeutung der „Großsinnigkeit“ hat zudemBWnachdr%cklich hingewiesen.

9. Prospektiv: Ein Ethos des Takts25

DerBlick einesmoralischUrteilenden ist ebensounparteiischwie unnachsich-tig. Damit Lebensverh&ltnisse human bleiben, ist es im Großen wie im Kleinenimmer wieder erforderlich, das moralische Urteil imGeist der Verzeihung abzu-federn. Es gibt keine andere ethische Handlungsweise, in der sich so authentischein interesselosesWohlwollen bekundet. In der hier dargelegten Perspektive wag-te ich zu formulieren: Die geheimeMitte des Ethos ist das Verzeihen. DemRigo-rismus der Eindeutigkeit und der ,reinen‘ Gesinnung widersetzt sich hier eine,gelenkige‘ Haltung der Großz%gigkeit, des Takts, der M&ßigung und der Wah-rung vonDistanzen in nachsichtigerHumanit&t.

Teil IIVerzeihen im Schatten einer Politik der „Aussçhnung“

1.0ffentliche Festlegungen von Schuldlast, Aussçhnungsinteresse– und derWiderspruch des einzelnenOpfers

Die Perspektive des Dritten, des Zeugen, des indifferenten oder betroffenen Pu-blikums war bisher schon im Spiel, denn das ,Unordentliche‘ des Verzeihungs-vorgangs bleibt ja st&ndig auf die Systeme von Moral und Recht bezogen. Dieseaber umgibt der ganze diffuse und doch nicht g&nzlich unstrukturierte Reso-nanzraum der çffentlichen Meinungen, in denen die Antworten zu Schuld/Ver-zeihen in quasi verselbst&ndigter Form zirkulieren und den Einzelnen in seinerUrteilsbildung gleichsam bevormunden.

Dieser Konstellation soll nun – unter st&ndiger Bezugnahme auf historischeBeispiele – nachgegangen werden mit der Unterscheidung von Aussçhnung undVerzeihen.

25 In diesen Bemerkungen spiegeln sich die Anregungen H. Plessners zu einem „Ethos derGrazie“.

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Das Publikum / die 0ffentliche Meinung: Das von Heidegger so genannte„Man“ macht sich jeweils eine bestimmte Perspektive der Moral zu eigen undachtet intervenierend auf die Einhaltung einer Ordnung des Maßes im GebenundNehmen. Das*bersch%ssige einer Gabe evoziert Unbehagen. Der Ausnah-mecharakter soll ja nicht abstrahlen auf dieNormalit&t.

Wenn wir den Perspektivwechsel vornehmen und nach der Eigendynamikder sozialen Resonanzen des Schuld- und Verzeihenskomplexes als historischenProzessen der Ver- oder Aussçhnung fragen und dabei die Spannungen zwi-schen kollektivem Aussçhnungsinteresse bzw. der Fixierung auf ewige Schuld(„Geist der Rache“) einerseits und Kompetenz des nicht-identischen Einzelnenandererseits zu bedenken trachten, geraten wir (oder genauer: gerate ich) insSchwimmen und erhoffe mir von BWeinige aufkl&rende Impulse zur Sache. Erspricht ja von den „Aporien, auf die wir in der dunklen Zone der An-spr%cheimmer wieder stoßen“.26 Ich mçchte diese Aporien hier wenigstens ein St%ckweit ans Licht ziehen.

Gewiss, ich kann an dieser Stelle seine Erw&gungen zu Auschwitz unter denStichworten Singularit"t undVergleichbarkeit27 aufrufen, aber ich habe den Ein-druck, es besteht weiterer Kl&rungsbedarf hinsichtlich dieser Konstellationen.

*ber „Vergessen und Erinnern, in dem die Schreckensereignisse fortwirken“,%ber „Traumatische Ereignisse, die von Gewalt durchtr&nkt sind“, hat BW u.a.auch in Schattenrisse der Moral nachgedacht. Einschneidende Ereignisse zeich-nen sich, so BW, „nicht durch bloße Individualit&t aus, sondern durch eine Sin-gularit"t, eine Einzigartigkeit, die alle normalenRede-,Handlungs- und Lebens-ordnungen sprengt. Sie bekundet sich nicht nur in einem *bermaß an Leid,sondern auch in Ausbr%chen von Haß, die nicht […] als irrational zu gelten ha-ben“; oder anders: Sie sind „ir-rational, weil sie jedes Maß sprengen und einenaffektiven Mehrwert erzeugen“. Das Außerordentliche solcher geschichtlichenEreignisse trete darin zutage, dass es dem Normal- und Normbewusstseinschlechthin fremd bleibt – „ein Fremdes dieser Welt“: „Es findet niemals seinenOrt in der Welt, und es findet niemals seinen Platz in der Geschichte, die […]keineswegs alle Wunden heilt, ohne Narben zu hinterlassen.“ In diesem Sinnesei Auschwitz, „%ber alle Vergleiche erhaben, ein schwarzes Loch im Gewebeder Geschichte“.28

BW hat allerdings f%r die Entstehung dieser Verdichtung der Negativit&t eineHypothese: Im 19. Jh. bereits sei die „Tendenz zur Rechtfertigung der Gewalt“gewachsen, als „die Scheidungslinie zwischen gerechter und ungerechter Gewalt

26 A 582.27 SCH.28 SCH188.

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sich mehr und mehr in die Immanenz der Geschichte verlagert […]“ habe. Diesich aus dieser Ansicht ergebende Folgerung BWsmçchte ich besonders hervor-heben: Er glaubt, dass somit „keine Hintert%r f%r Begnadigung und Verzeihungmehr offen bleibt“.29

Nun ,h&ngt‘ auch nach BW die Humanit&t, ja: die Ertr&glichkeit der Systeme,Moral‘ und ,Recht‘ an der R%ckbez%glichkeit auf Akte der Gnade und Haltun-gen des Verzeihens. („Eine rechtlose Gnade w&re ein ebensolcher Albtraum wieein gnadenloses Recht.“30) Und auch nach dem singul&ren Ereignis ,Auschwitz’ist die Geschichte weitergegangen und andere Vçlker mussten ihr ,Auschwitz’durchleiden.31

Unsicher, wohin das f%hren mag, will ich im Folgenden die Spannung zwi-schen „Aussçhnung“ und „Verzeihung/Vergebung“ weiter durchleuchten – mitder Warnung von BW imHinterkopf: „Das Gebiet, das wir betreten, steckt vol-ler Paradoxien.“32 Gerade „wenn es um den Status von Gabe und Schuld geht“,m%ssen wir der Grenzen auch jeden philosophischen Diskurses gew&rtig sein –ist bei BW zu lesen. „Unterliegt doch auch der Dialog einem Gesetz des MehroderWeniger; man kann zuviel sagen oder zuwenig.“33

Hier kann es nur um eine Ann"herung an die innere Struktur von Prozessender Aussçhnung innerhalb der Kollektive und zwischen den Kollektiven gehen.Mit Derrida kçnnte man sagen: Wir richten die Aufmerksamkeit auf all jene un-reinen Formen des Verzeihens, in denen strategische Instrumentalisierungen im-mer auch eine Rolle spielen und die ich im Unterschied zur personalen Verzei-hung mit dem schw&cheren Begriff der Nachsichtigkeit korreliere (w&hrenddoch „das eigentliche Kapital“ der Gabe auf ihrer „Nutzlosigkeit“ beruht – soBW34).

2. Amnestie – Amnesie – Anamnesis

Damit Aussçhnung stattfinden kann, muss es eine innere Bereitschaft zurNach-sichtigkeit und zur Ausbildung einer Kultur derNachsichtigkeit geben.

29 SCH190.30 SCH308.31 Ich w&hle diese Formulierung, obwohl BW gute Gr%nde hat, davor zu warnen, dass die

Singularit&t von Ereigniskomplexen einem Maßstab unterworfen wird, „der ein ,Gleichsetzendes Nichtgleichen‘ zur Folge hat“. (A 586.) Dieser Gefahr kannman wohl nur durch Pr&zisionder eigenen Rede entgehen.

32 SCH301.33 SCH303.34 SCH304.

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BUCHBESPRECHUNGEN

Wilhelm Dilthey: Briefwechsel Band II 1882–1895. Hg. von Gudrun K%hne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing. Gçttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015.608 Seiten.

Im 2012 erschienen Jahrgang 2011 der ,Ph&nomenologischen Forschungen‘konnten wir den Band I des Dilthey-Briefwechsels von 1852 bis 1882 vorstellen.Der zweite Band, der die Korrespondenz zwischen 1882 und 1895 enth&lt, istnun im Jahre 2015 herausgekommen. Wie uns die bew&hrten Herausgeber imVorwort mitteilen, ist die urspr%nglich auf drei B&nde geplante Edition nunmehrauf vier B&nde ausgelegt. Das heißt: Der Band III wird die Zeit von 1896 bis1905 umfassen, Band IV die Jahre nach der Emeritierung von 1905 bis 1911.Dar-%ber hinaus ist noch ein V. Band vorgesehen, der Dokumente und Materialienzu Diltheys akademischer T&tigkeit enthalten wird sowie Texte, die bisher nichtin denGesammelten Schriften erschienen waren.

Die in dem vorgelegten II. Band gesammelten ann&hernd 400 Briefe zwischenDilthey und seinen Zeitgenossen zeigen uns den Philosophen in einer entschei-dendenPhase seinerEntwicklung, diemit der*bernahmedesBerlinerLehrstuh-les 1882, als Nachfolger Rudolf Hermann Lotzes, beginnt. Vier Themenberei-che kann man besonders hervorheben. Da ist zun&chst (1.) die Selbst-interpretation der eigenen philosophischen Konzeption mit ihren mçglichenEntwicklungen nach dem Erscheinen des (ersten!) Bandes der Einleitung in dieGeisteswissenschaften 1883 – einschließlich derReaktionen darauf, die zu bemer-kenswerten Selbstpr&zisierungen f%hren. Dazu gehçrt auch die große Abhand-lung ,Ideen %ber eine beschreibende und zergliedernde Psychologie‘ (1894).Hier ist z.B. die Korrespondenz mit Wilhelm Wundt und Paul Natorp auf-schlussreich. An n&chster (2.) Stelle sind Diltheys Aktivit&ten f%r die Inangriff-nahme der Akademieausgabe von Kants Werken und Briefen zu nennen, die ab1896 realisiert wird, sowie die Bem%hungen um eine generelle Archivierung derdeutschenLiteratur – einVorhaben, das geradezu auf dieMçglichkeiten der elek-tronischen Datenverarbeitung unserer Zeit zu verweisen scheint. Des Weiteren(3.) wird Diltheys Rolle im Bereich der Universit&ts- und Wissenschaftspolitikseiner Zeit fassbar. Hier ist vor allem die Korrespondenz mit dem preußischenKulturpolitiker Adolf Friedrich Althoff (1839–1908) von besonderem Wert.Dass auf der Seite der staatlichen Kulturpolitik und Kulturverwaltung wissen-schaftlich informierte und gebildete Persçnlichkeiten stehen, ist eine ebenso in-

Ph&nomenologische Forschungen 2017 ·# FelixMeiner Verlag 2017 · ISSN 0342-8117

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teressante Erfahrung wie der Umstand, politisch sensiblen Hochschullehrernund Forschern mit Urteilskraft zu begegnen. Eine geistige Kostbarkeit istschließlich (4.) die Korrespondenz zwischen Dilthey und seinem Freund ausden Breslauer Jahren, Paul Yorck vonWartenburg (1835–1897), die zwar durcheine fr%here Ausgabe aus den 20er Jahren schon bekannt ist, nun aber einige Er-g&nzungen und Emendationen erf&hrt. Es ist eine durch und durch philosophi-sche Korrespondenz, die zugleich in hçchstemMaße persçnlich ist. Der schlesi-sche Gutsbesitzer erweist sich als Stilist und als Denker gleichermaßen, der alsein konservativerModerner Dilthey in besondererWeise anzuregen vermag. Einsinnf&lliges Beispiel daf%r ist, dass Yorck Dilthey in dessen ,Ideen %ber eine be-schreibendeundzergliederndePsychologie‘ eineDefinition f%r ,Erkenntnistheo-rie‘ hineinkorrigiert, die dieser auch im offiziellen Text %bernimmt: Erkenntnis-theorie sei „Psychologie in Bewegung“ (Brief Yorcks vom 15.12.1894, S. 472).

Nach seinem Brief an Wilhelm Wundt vom Nov. 1895 geht es Dilthey umeine ,vom Strukturzusammenhang ausgehende analytische Psychologie‘, die alssolche eben auch deskriptiv sein muss – also deskriptive Analyse resp. analyti-sche Deskription. Von ,Hermeneutik‘ und ,hermeneutisch‘ haben wir bei unse-rer Lekt%re des Briefwechsels expressis verbis nichts gelesen, wohl aber ist unsDilthey als einMenschen- und Literaturversteher begegnet, einMeister derAus-legung.

ErnstWolfgangOrth

Buchbesprechungen158