12
10. Jahrgang Dezember 2006

10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

10. Jahrgang Dezember 2006

Page 2: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

2

Die 1. Nummer der »Mitteilungen« wird von Maria Brigitte Hanke (l.) und Dr. Ina Iske für den Postversand vorbereitet

10 Jahre »Mitteilungen« des Kurt-Schwaen-Archivs

Es war im Herbst 1996. In Rheinsberg fand die Uraufführung der Nachtszenen für Streichquartett von Kurt Schwaen statt. Bei einem gemeinsamen Spaziergang Schwaens mit Freunden entstand der Gedanke, ein Informationsblatt über den Komponisten herauszugeben, das Musikfachleute ebenso ansprechen sollte wie Freunde und Liebhaber seiner Musik. Mitarbeit und ideelle Unterstützung dafür wurde von verschiedenen Seiten zugesichert. Die Redaktionsleitung würde Dr. Ina Iske übernehmen, Ehefrau des Komponisten, die seit 1980 auch das Schwaen-Archiv leitete.

Die 1. Nummer erschien im Januar 1997, voll mit Informationen über die Aktivitäten der vergangenen Zeit. Axel Bertram gestaltete das Titelblatt mit dem musikalischen Namenszug des Komponisten – bis zum heutigen Tage blieb es das Markenzeichen der kleinen Schrift. Die Auflagenhöhe wurde auf 500 festgelegt. In der Datenbank finden sich vorrangig Adressen von Musikbibliotheken, Musik-archiven, Musikern, Pädagogen und Journalisten im In- und Ausland. Dreimal pro Jahr erschienen die Mitteilungen in den ersten sechs Jahren. Nach der Erstellung einer umfangreichen Homepage des Kurt-Schwaen-Archivs im März 2001 wurde die Herausgabe auf ein Heft pro Jahr beschränkt.

Und nun erscheinen die Mitteilungen schon im 10. Jahr! Glückwunsch dazu und Dank an alle, die mit dazu beigetragen haben, das Heft informativ, dokumentarisch wertvoll und interessant zu gestalten. Ausdauer, Einfälle und Standhaftigkeit hatte der Komponist vor 10 Jahren den Mitarbeitern gewünscht. Seine Wünsche sind in Erfüllung gegangen. Möge das auch im nächsten Jahrzehnt so bleiben. Wenn Sie dazu beitragen könnten, würde uns das freuen. Schreiben Sie uns, wenn Sie Fragen haben oder wenn Sie eine Komposition kennenlernen wollen, von der Sie weder Noten noch eine CD finden. Schreiben Sie uns auch, wenn Sie gern selber in den Mitteilungen zu Wort kommen möchten.

Page 3: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

3

Neue Kompositionen

• Duo semiserioso für Fagott und Kontrabaß (KSV 664) • Trip, trip, trop. Sieben Lieder nach Gedichten von Peter Hacks

für Gesang und Klavier (KSV 665) Der Herbst steht auf der Leiter / Der Winter / Detektivlied / Vogelweihnacht / Trip, trip, trop / Die kleine Lokomotive / Die Wildgänse

• (3) Fontane-Lieder (Text: Theodor Fontane) für Gesang und Klavier (KSV 666)

Frühling / Rangstreitigkeiten / Berliner Republikaner

Neue Noten • Capriccio. Hommage à Strawinsky für Violine und Klavier,

Verlag Neue Musik, NM 818 • Vier slawische Tänze für Violoncello und Klavier,

Verlag Neue Musik, NM 820 • Freundliches Duell. 3 Kompositionen für 2 Mandolinen oder 2 Violinen,

Joachim-Trekel-Musikverlag, T 6193 bzw. T 1037

Notenpublikationen des Kurt-Schwaen-Archivs

Folgende Kompositionen sind 2006 als Publikationen im Kurt-Schwaen-Archiv Berlin erschienen und stehen als Aufführungsmaterial über das Archiv zur Verfügung:

• Dialog aus zwei Monologen für Flöte und Fagott • Silbervogel. Szenen für Piccoloflöte und Klavier • Rotkäppchen. Szenen für Violine und Kontrabaß • Serenata facile für Holzbläser-Trio • Auf dem Karussell für zwei Akkordeons • Episoden und Tänze für Klavier • Katze, Schnee und Dudelsack. Klavierstücke für Kinder • Toccata appassionata. Klavierstücke aus den späten Jahren • Trip, trip, trop. Sieben Lieder nach Gedichten von Peter Hacks

für Gesang und Klavier • (3) Fontane-Lieder für Gesang und Klavier (Text: Theodor Fontane)

Page 4: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

4

Uraufführungen und bemerkenswerte Wiederaufführungen

• Es kribbelt und wibbelt weiter für Männerchor. Text: Theodor Fontane. Uraufführung 21.06.2006 Berlin. Mahlsdorfer Männerchor Eintracht. Leitung: Johannes Lucchesi

• Detektivlied. Aus: »Trip, trip trop«. Sieben Lieder nach Gedichten von Peter Hacks für Gesang und Klavier. Uraufführung 17.09.2006 Leipzig. Stefanie Wüst – Gesang, Reinhard Schmiedel – Klavier

• Der Herbst steht auf der Leiter / Der Winter / Vogelweihnacht / Trip, trip, trop. Aus: »Trip, trip trop«. Sieben Lieder nach Gedichten von Peter Hacks für Gesang und Klavier, Uraufführung 26.11. 2006 Berlin Heidi Abrahamsen – Gesang, Carola Intemann – Klavier

• Vergnügt. Aus: »Tanzbüchlein«. Zyklus für Klavier. Uraufführung 26.11.2006 Berlin. Ailsa Mackinnon – Klavier

• (20) Deutsche Volksdichtungen für Singstimme und Klavier (vollständiger Zyklus, einschließlich der nahezu unbekannten Lieder aus dem Siebenjährigen Krieg). Textbearbeitung: Wera und Claus Küchenmeister. 14.05.2006 Buckow. Jana Reh – Gesang, Andreas Florczak – Klavier

• Drehtanz / Ostinato / Aufruf / Beschwörung. Aus: »Tanzbilder« für Klavier. 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7)

• Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera und Claus Küchenmeister Premiere 08.12.2006 Rosenheim (siehe S. 10-11)

Veröffentlichungen mit Beiträgen von und über Kurt Schwaen

• Kurt Schwaen: Die Horatier und die Kuriatier. Begegnungen mit Brecht und dem Berliner Ensemble. Sonderheft des Kurt-Schwaen-Archivs anläßlich des 50. Todestages von Bertolt Brecht 2006

• Kurt Schwaen: Erinnerungen an die Tänzerin Mary Wigman. Tagebuchaufzeichnungen, Erlebnisse, Briefwechsel. Sonderheft des Kurt-Schwaen-Archivs anläßlich des 120. Geburtstages von Mary Wigman 2006

*** • Gurevich, Vladimir: »I v 96 let moshno pisat choroschuju musiky«

»Auch mit 96 Jahren kann man noch gute Musik schreiben«. In: Musikalnaja akademia No. 1/2006. Moskva, S. 209-214 (Deutsche Übersetzung von Ljuba Fey. Im Kurt-Schwaen-Archiv vorhanden.)

• Andresen, Geertje: Oda Schottmüller. Die Tänzerin, Bildhauerin und Nazigegnerin 1905-1943. Hrg.im Auftrag des Deutschen Tanzarchivs Köln und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin. Lukas Verlag 2005 (Anmerkung: mit vielen Dokumenten aus dem Kurt-Schwaen-Archiv über die Zusammenarbeit zwischen Oda Schottmüller und Kurt Schwaen.)

• Gering, Hartmut: Kurt Schwaen. Meister der modernen Klassik. In: Kulturkalender Marzahn-Hellersdorf April/Juni 2006, S. 30-31, Abb.

Page 5: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

5

• Iske, Ina: Kurt Schwaen. In: Kürschners Musiker-Handbuch 2006. Solisten, Dirigenten, Komponisten, Hochschullehrer. 5. Ausgabe. Redaktion: Axel Schniederjürgen. K G Saur München 2006, S. 431, Abb. (Betrifft nur lebende Musiker, hieß früher Kürschners Musikkalender.)

• Rinderspacher, Alfred: Kurt Schwaen: Sonatine für Fagott und Klavier. In: Üben & Musizieren, Zeitschrift für Musikschule, Studium und Berufspraxis, Schott Mainz, 5/2006, S. 69

• Berger, Thomas: Von Sinnlichkeit und Soldatenleid, in: Märkischer Markt 24./25.05.2006 (ausführlich über die (20) Deutschen Volksdichtungen für Gesang und Klavier von Schwaen/Küchenmeister)

Besondere Veranstaltungen

Anläßlich des 50. Todestages von Bertolt Brecht entschloß sich der Komponist, seine Erinnerungen an die Begegnungen mit dem Dichter und dem Berliner Ensemble in einem Sonderheft zu veröffentlichen. Kaum verschickt, kam vom Literaturforum im Brechthaus Berlin die Anfrage, ob Schwaen nicht darüber bei ihnen berichten würde. Als Gesprächspartner konnte Dr. Fritz Hennenberg gewonnen werden. Der Herausgeber des Großen Brecht-Liederbuches hatte Schwaen 1977 gebeten, neben Originalliedern auf Brecht-Texte auch Sätze zu den kaum entzifferbaren eigenen Melodien Brechts zu schreiben. Der Komponist erzählte konzentriert und anrührend von der Zusammenarbeit mit dem Dichter, man spürte die tiefe Verehrung, die er bis heute für Brecht empfindet. Volker Herden (Gesang) und Kanako Nakagawa (Klavier) brachten Lieder von Schwaen eindrucksvoll zu Gehör und es wurden Filmausschnitte von einer Aufführung des Lehrstückes Die Horatier und die Kuriatier gezeigt. »Dem Brecht war ich das noch schuldig«, erklärte der 97jährige Komponist nach der Veranstaltung, »aber in Zukunft sollen die Leute zu mir nach Mahlsdorf kommen, wenn sie etwas wissen wollen.« Leider waren unter den Besuchern keine Vertreter des Brecht-Archivs oder des Berliner Ensembles.

Kurt Schwaen im Gespräch mit

Dr. Fritz Hennenberg (l.) am 14.09.2006

beim »Literaturforum im Brechthaus«

Page 6: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

6

Maßgeschneidertes für den Tanz erklang an der Palucca-Schule

Anläßlich des 120. Geburtstages der Tänzerin Mary Wigman fanden an der Palucca-Schule in Dresden zahlreiche Veranstaltungen statt, die unter dem Motto standen: Helle Schwingungen. Mary Wigman und die Tanzpläne von heute.

Am Eröffnungsabend in der ehemaligen Wigman Schule und jetzigen kleinen szene gab es ein anspruchsvolles Programm mit Filmausschnitten, Lesungen, Musik und eindrucksvollem Tanz. Angela Rannow las aus dem gemeinsamen Buch von ihr und Ralf Stabel Mary Wigman. Eine Künstlerin in der Zeitenwende. In einem Gespräch mit Jason Beechey, dem Rektor der Palucca-Schule, Angela Rannow, Ralf Stabel und Konrad Hirsch – Filmemacher und Pressesprecher der Palucca-Schule – wurde auf die Tradition und auf die enormen Chancen für die Ausbildung in der Gegenwart hingewiesen. Die Dresdner Pianistin Antje Ladstätter spielte an diesem Abend mit großer Intensität und feinem Klangempfinden Tanzbilder von Kurt Schwaen, die um 1940 speziell für den modernen Ausdruckstanz entstanden sind.

»...Besonders aber prägten sich Musik und Tanz in dieser Begegnung ein; Antje Ladstätter stellte beeindruckend intensiv Werke für Klavier von Kurt Schwaen vor; der Komponist war 1942 in Leipzig Korrepetitor im Unterricht der Wigman. Als er den Einberufungs-befehl erhielt, schrieb sie ihm etwas unsensibel, dass sein Fortbleiben »...nun auch für uns einer Katastrophe gleichkommt...«

Gabriele Gorgas, Dresdner Neueste Nachrichten vom 19.11.2006

Als Korrepetitor begleitete Schwaen in den Jahren 1939-43 u.a. Gertrud Wienecke, Ilse Meudtner, Oda Schottmüller, Eva Schaube, das Tanzpaar Manon Ehrfur/Rolf Jahnke und später auch Mary Wigman. Seine Erfahrungen zu der Wechselbeziehung zwischen Musik und Tanz stellte Schwaen den Tanzbildern in einem Vorwort voran. Dieses verlas Antje Ladstätter vor ihrem Spiel und lenkte damit bewußt die Fantasie des fachkundigen Publikums auf mögliche tänzerische Umsetzungen der Musik. Als geübte Tanzbegleiterin – sie begleitete schon als 22jährige Gret Palucca – weiß sie um die Wichtigkeit der Einheit von Tanz und Musik im lebendigen Miteinander. Allzu oft wird die Musik nur als Krücke für den Tänzer benutzt, nicht aber als inspirierender Partner. Zu seinen Tanzbildern schreibt Schwaen u.a.:

»Der Titel dieser fünf Klavierstücke ist nicht willkürlich gewählt; die Tanzbilder sind für den Tanz komponiert. Ich könnte genauer sagen: für den modernen Ausdruckstanz, aber diese Feststellung ist unnötig, denn die Tanzgestaltung sollte mit dem Inhalt und dem Stil der Musik übereinstimmen. Wer von feststehenden Formen und Schrittarten ausgeht, degradiert diese Musik zu einer nebensächlichen Geräuschkulisse. Das will sie nicht sein. Wenn es zu der notwendigen Einheit von Musik und Tanz kommen soll, darf die Musik nichts enthalten, was der Tanz nicht ausdrücken kann, und der Tanz nichts ausdrücken, was in der Musik nicht enthalten ist. [...] Diese Tanzbilder folgen den Gesetzen des Tanzes, sie gehen vom Rhythmus aus, von der fließenden, nicht der gestellten Bewegung, und sie vermeiden alles, was den Tänzer beengen und ablenken müßte«.

Kurt Schwaen: Tanzbilder für Klavier, Verlag Neue Musik, NM 2041

Page 7: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

7

Kurt Schwaen im Gedankenaustausch mit der Pianistin Antje Ladstätter (Mitte) und Angela Rannow, Buchautorin und Organisatorin der Wigman-Ehrung 2006 in Dresden

Die Tagebuchaufzeichnungen von Kurt Schwaen sowie alte Programme und Rezensionen, aus dem Kurt-Schwaen-Archiv geben Auskunft über Tanzabende und Tanz-Tourneen, an denen Schwaen mitgewirkt hat. Bisher war über Schwaens Zusammenarbeit mit Mary Wigman in ihrer Leipziger Zeit offiziell nichts bekannt. Durch den Krieg wurden vermutlich sämtliche Unterlagen darüber vernichtet. Auch in Mary Wigmans persönlichen Aufzeichnungen finden sich keine Angaben dazu. Aufgrund seiner Unterlagen schilderte Schwaen jetzt in einer kleinen Publikation seine Zusammenarbeit mit der Tänzerin und seine Erlebnisse aus dieser Zeit; auch fügte er den gesamten Briefwechsel mit Mary Wigman bei. Einige Briefe von ihr sind als Faksimile abgedruckt. Kaum war die Schrift fertiggestellt, wurde der Komponist als Zeitzeuge für einen Dokumentarfilm über Mary Wigman gewonnen. Im Auftrag von ARTE und ZDF gedreht, wird dieser voraussichtlich Ende nächsten Jahres zu sehen sein (Produktion: filmhouse). Die Dreharbeiten haben bereits begonnen.

Mary Wigman hat viele Spuren hinterlassen. Nicht nur in den heutigen Tanzplänen, sondern auch im Leben und Werk des Komponisten Kurt Schwaen.

Für den Dokumentarfilm über Mary Wigman spielte der Komponist aus seinen »Tanzbildern« Regisseur: Christof Debler (r.) Kameramann: Norbert Busè

Page 8: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

8

Altersweisheit schließt Esprit nicht aus Zwei neue Liedzyklen von Kurt Schwaen nach Texten von Peter Hacks

Es ist stiller geworden um Peter Hacks, der noch bis in die 80er Jahre als der meistgespielte deutschsprachige Gegenwartsdramatiker galt. Nicht erst, seit er nicht mehr lebt, werden nur noch wenige seiner Stücke gespielt. Auch die Kontroversen, die er mit seiner unangepassten Haltung in Ost und West auslöste, sind längst Geschichte und interessieren heute nur noch als Zeitzeugnisse. Kurt Schwaen kannte Hacks seit seiner Übersiedlung aus der Alt-Bundesrepublik in die DDR 1955 und schätzte ihn als geist- und ideenreichen Autor wie als eigenwillige Persönlichkeit, stand aber wohl doch in einer gewissen Distanz zu ihm, denn er fühlte sich lange Zeit nicht zur Vertonung eines seiner zahlreichen Gedichte angeregt. Um so überraschender erscheint, dass er sich im vergangenen Jahr veranlasst sah, den wenige Monate zuvor verstorbenen Dichter mit einem gestandenen Zyklus von sieben »Liedern für Leierkastenmänner« zu ehren, der noch im gleichen Jahre in einer der Hellersdorfer Serenaden im Kurt-Schwaen-Archiv von Franziska Weiß und Ishlar Smolny uraufgeführt wurde.

Auf die Texte war Schwaen in der kurz zuvor neu erschienenen Hacks-Gesamtausgabe gestoßen. Sie hatten ihn sogleich gefesselt und zum Schaffen inspiriert. Doch nicht nur das. Sie führten ihn zugleich auf überraschend neue Pfade der Verknüpfung von Wort und Ton und lassen ihn ein überzeugendes Äquivalent finden zu dem doppelbödigen Humor der Texte. Ähnliches geschieht, vielleicht sogar noch eine Spur hintersinniger, in einem weiteren Hacks-Zyklus von sieben Gesängen, Trip, trip, trop, der in diesem Jahre entstand. Auch hier hat der Komponist, ohne je sich selbst zu verleugnen, Töne angeschlagen, die imstande sind, den doppelten Boden von Hacks' Texten zu öffnen, und ihren Witz, ihren Esprit ungeschmälert genießen lassen: Wahrhaft ein Phänomen, wenn man weiss, dass ein Siebenundneunzigjähriger diese aparten Miniaturen geschaffen hat.

Die jüngste Hellersdorfer Serenade stellte beide Hacks-Zyklen gegenüber und gab zugleich einer aus Norwegen stammenden Sängerin, Heidi Abrahamsen, Gelegenheit, sich – von Carola Intemann am Flügel begleitet – erstmals an diesen zwar leicht wirkenden, aber nichts weniger als leicht zu bewältigenden Kreationen reifster Altersweisheit zu erproben. Auch die schottische Pianistin Ailsa Mackinnon war neu im Kreis der Schwaen-Interpreten. Sie setzte mit vor fünf bis sechs Jahren entstandenen Kompositionen aus dem Tanzbüchlein und den Lyrischen Stücken einen einprägsamen Kontrapunkt zu den Hacks-Liedern und ließ damit bewusst werden, dass sich auch in Schwaens jüngster Schaffensphase eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen hat. Eine wertvolle Bereicherung des Programms bot Peter Gugisch mit ausgewählten Leseproben aus dem unlängst erschienenen Briefband Verehrte Kollegen, der aufschlussreiche Einblicke gibt in die ebenso geist- wie widerspruchsvolle, nichtsdestoweniger aber sehr liebenswerte Persönlichkeit und Wesensart von Peter Hacks.

Wolfgang Hanke

Page 9: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

9

Hörspielmusik nach einem Text von Günter Kunert Ein fast verschollenes Stück – aktuell wie vor 50 Jahren

Vor knapp fünfzig Jahren beteiligte sich der Textautor Günter Kunert 1957 an einem Literaturwettbewerb des Deutschlandsenders (Sender der DDR), der unter dem Motto stand: Menschen, rettet das Leben! Ein maschineschriftliches Textbuch, das er 1958 an Kurt Schwaen schickte, trug den Titel Die Ballade vom Bussard. Als Denkmal für einen Flieger wurde es in der Zeitschrift Neue deutsche Literatur Heft 5 (Mai) 1958 von Kunert erstmals veröffentlicht.

Schwaen vertonte den Text in kurzer Zeit (22.04.-10.05.1958) für mehrere Sprecher (gleichzeitig Chor), zwei Klarinetten, Fagott, Akkordeon und Klavier. Die Original-noten gingen verloren, im Kurt-Schwaen-Archiv liegt jedoch eine Fotokopie des Autographs der Komposition vor. Darauf steht als Titel: Das Denkmal des unbekannten Fliegers. Unter diesem Titel ist es im Kurt-Schwaen-Verzeichnis als Hörspielmusik in 11 Teilen unter der Werknummer KSV 146 registriert. Die jetzt vorliegende Partitur wurde 2005 nach dieser Fotokopie erstellt.

Der Rundfunk produzierte das Hörspiel am 19.06.1958. Das genaue Datum und Einzelheiten zu der Rundfunkproduktion sind aus dem Tagebuch von Schwaen und dem Briefwechsel mit Kunert bekannt. Der Sendetermin und andere wichtige Informationen zu diesem Stück wurden erst 2005 durch Dr. Ingrid Pietrzynski ermittelt und veröffentlicht.1 Die Interpreten waren zum größten Teil Mitglieder des Berliner Ensembles (u.a. Ekkehard Schall, Günter Naumann, Martin Flörchinger, Peter Kalisch). Auch der Regisseur Carl M. Weber kam vom BE. Die Ursendung am 30.01.1959 im Deutschlandsender trug den Titel: Das Denkmal des Fliegers. Musikballade. Von dieser Sendung befindet sich ein Mitschnitt im Kurt-Schwaen-Archiv, vermutlich als einziges noch erhaltenes Ton-Dokument des Stückes, von dem noch nicht einmal das Deutsche Rundfunkarchiv eine Aufzeichnung hat. Allerdings ist die technische Qualität dieser historischen Aufnahme trotz professioneller Aufbereitung des Mitschnitts nicht gut. Die vollständige Partitur kann als PDF-Datei aus dem Internet unter www.kurtschwaen.de/Werk/Noten/Denkmal herunter-geladen werden.

Fast fünfzig Jahre nach seiner Entstehung hat das Stück nichts an Aussagekraft verloren. Die Bedrohung unzähliger Menschenleben durch den Abwurf einer Atombombe ist nicht gebannt.

Ein Werk wie dieses sollte neu produziert und wieder gesendet werden!

1 Pietrzynski, Ingrid: »Im Orkus verschwunden?«. Günter Kunerts frühe Hörfunkarbeiten (1953-1962), in: Ingrid Scheffler (Hg.): Literatur im DDR-Hörfunk. Günter Kunert – Bitterfelder Weg – Radio Feature. Jahrbuch Medien und Geschichte 2005. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2005

Page 10: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

10

Pinocchios Abenteuer – eine echte Oper für Kinder von Kurt Schwaen Premiere in Rosenheim – nach 36 Jahren erstmals auch in den alten Bundesländern

Nein, es ist keine Kinderoper und es gibt darin auch keine Kinderlieder. Es ist eine abendfüllende Oper mit allen Merkmalen, die diese Gattung auszeichnet und sie wird getragen von der Musik. Es gibt eine Ouvertüre und zehn Bilder, unterteilt in 51 Nummern. Wir finden Lieder, Arien, Rezitative, Duette, Terzette, dramatische Chorszenen und Balletteinlagen. In der Originalbesetzung begleitet ein durchsichtig instrumentiertes Orchester. Alles ist genauso wie in einer »normalen« Oper. Die Partien der sieben Hauptpersonen sind mit Berufssängern zu besetzen, nur die Nebenpartien (Chor) können von Laien – oder wie jüngst in Rosenheim erstmals sehr erfolgreich praktiziert – sogar von Kindern gesungen und gespielt werden.

Für die Komposition gelten Brechts Worte »vom Einfachen, das schwer zu machen ist«. Welch große und wichtige Aufgabe: Für Kinder neue, anspruchsvolle Musik zu schreiben, die kindgemäß, nicht aber kindertümlich ist, die ihren Geschmack bildet und dabei Spaß macht. Das gelingt dem Komponisten Kurt Schwaen glänzend. Seine Tonsprache ist modern und einprägsam, nie geschwätzig, immer maßvoll. Die musikalischen Mittel reichen vom tonalen Lied bis zur freien Aleatorik. Er vermeidet extreme Stimmlagen, die Textverständlichkeit ist für ihn von großer Wichtigkeit. Lyrisches wechselt mit Dramatischem, Liedhaftes mit Artifiziellem (Grillenfee). In Wera und Claus Küchenmeister hatte er poetische, einfühlsame und erfahrene Librettisten, die genau wissen, wie Fabeln spannend aufbereitet werden. Collodis berühmtes Buch läßt viel Auswahl zu. Manche Parodien und witzige musikalische Anzüglichkeiten können Kinder sicher noch nicht verstehen – es sei an Meister Feuerfressers Künstlerallüren erinnert, der selbst im Bauch des Haies nur an seine neue große Oper denkt. Doch das schadet nichts, so haben auch die Erwachsenen ihren Spaß. In Südfrankreich, wo die Oper 1997/98 zahlreiche Aufführungen in französischer Sprache erlebte, wurde sie angekündigt als »Opéra pour grands et petits«.

Ein origineller Aufführungsort für Pinocchios Abenteuer:

Das Kathrein-Kulturzelt des Opernfestivals

Gut Immling. Chiemgau mit seinem Winterstandort vor dem

Lokschuppen in Rosenheim

Page 11: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

11

Und wie kommt die Oper nach Rosenheim? Der Intendant Ludwig Baumann vom Opernfestival Gut Immling. Chiemgau ist immer auf der Suche nach neuen, wirkungsvollen Stücken für Kinder. Die musikalische Leiterin des Opernfestivals, Cornelia von Kerssenbrock, lernte durch Zufall Thomas Böttcher, stellvertretender Konzertmeister vom Konzerthausorchester Berlin, kennen. Der schwärmte von Pinocchio und kannte jede Melodie daraus (sein Vater hatte früher die Partie vom Feuerfressser gesungen). Nachdem Baumann die ersten Takte der Oper von einer CD abgehört hatte, war er sofort davon begeistert. Über die glanzvolle Premiere berichteten viele Zeitungen und waren des Lobes voll.

Westdeutsche Uraufführung von Pinocchios Abenteuer in Rosenheim: Begeisterte Kinder im Zirkuszelt – begeisternde Kinder auf der Bühne Lausebengel mit Lügennase, titelte die Süddeutsche Zeitung, Ein Holzkopf macht Musik, schrieb die Münchner Tageszeitung tz, Nasedrehen und dazu Arien, so lautete die Überschrift der Kritik im Oberbayerischen Volksblatt Rosenheim. Gemeint ist die Kinderoper Pinocchios Abenteuer von Kurt Schwaen nach dem berühmten Roman von Carlo Collodi, die am 8. Dezember 2006 ihre furiose Premiere im Kathrein-Kulturzelt in Rosenheim erlebte. Produziert hat die gelungene Aufführung das Opernfestival Gut Immling. Chiemgau mit seinem Intendanten, dem Opernsänger Ludwig Baumann, Spezialist für Kinderopern wie Mozarts Zauberflöte für Kinder oder Rossinis Aschenputtel. Mit Pinocchios Abenteuer gelang ihm und der musikalischen Leiterin des Festivals, Cornelia von Kerssenbrock, eine echte Entdeckung. Denn nach der Uraufführung 1970 in Zwickau, über 800 Aufführungen in der ehemaligen DDR und mehreren Aufführungen in Frankreich war Kurt Schwaens Werk lange nicht an einem Theater zu sehen – und überhaupt noch nicht in den alten Bundesländern. Somit war die Rosenheimer Aufführung eine westdeutsche Uraufführung! Gut Immling verschlankte das sonst 10-köpfige Orchester auf den Pianisten Frank Obermair, der diese Aufgabe mit großem Einfühlungsvermögen bewältigte. Regisseurin Verena von Kerssenbrock ließ insgesamt 12 Kinder auf der Bühne mitsingen und als Mäuse und Marionetten spielen. Extra aus Berlin war die Frau des 97-jährigen Komponisten zur Premiere angereist: Dr. Ina Iske gefiel die Immling-Fassung außerordentlich gut, und auch die jungen und älteren Zuschauer waren begeistert: »Kurzweilig und spaßig«, »pfiffig und abwechslungsreich« – so lauteten die Stimmen aus dem Publikum. Die zahlreichen Ohrwurm-Lieder von Kurt Schwaen verbreiteten beschwingte Stimmung: »Laut und lustig sei das Leben. Was ihr wollt, sei euch gegeben. Nehmt vom Tage nur das Beste – tanzt und singt und feiert Feste.« Das Libretto von Wera und Claus Küchenmeister lässt zudem viel Raum für gesprochene Texte. Regisseurin Verena von Kerssenbrock, die auch das farbenfrohe Collodi-Bilderbuch-Bühnenbild und die bunten Kostüme geschaffen hat, spornt ihre fünf Sängerinnen und Sänger zu vielen turbulenten Szenen an, lässt aber auch Raum für Nachdenkliches, ja Poetisches wie zum Beispiel in der Waldszene. Tanja Maria Froidl könnte als Pinocchio mit der wachsenden Lügen-Nase nicht besser besetzt sein: Schlank und schlaksig, mit Lausbuben-Mimik und hellem Sopran bewältigt sie die Partie mit großer Spielfreude und mitreißendem Temperament. Felicitas Fuchs spielt ihre Fee eher streng, aber mit verständnisvoll-abgeklärtem Lächeln; Peter Kellner verkörpert einen gemütlichen und gütigen Vater Geppetto, Winfried Hofinger und Stefan Kastner schlüpfen voller Verve in die Rollen von Käufer, Feuerfresser und Fuchs bzw. Kater und Fischer. Ein Großteil des Erfolgs gebührt auch den phantasievollen Masken von Irina Roloff sowie der Licht-gestaltung von Arndt Sellentin. Heidi Rauch Infos unter www.gut-immling.de, Karten-Tel. 0180/5046654

Page 12: 10. Jahrgang Dezember 200 · Verlag Neue Musik, NM 818 ... 10.11.2006, Dresden. Antje Ladstätter – Klavier (siehe S. 6-7) • Pinocchios Abenteuer. Oper für Kinder. Text: Wera

12

IMPRESSUM Herausgegeben vom Kurt-Schwaen-Archiv Berlin, Wacholderheide 31, D-12623 Berlin, Tel. 030/5626331, Fax 030/56294818, E-Mail: [email protected], www.kurtschwaen.de Redaktion: Dr. Ina Iske. Titelblattgestaltung: Prof. Axel Bertram. Fotos: Anselm H.-W. Müller (S. 5), alle anderen: Kurt-Schwaen-Archiv. Nicht gekennzeichnete Beiträge stammen von der Redaktion. Die Mitteilungen des Kurt-Schwaen-Archivs Berlin erscheinen ab 2002 einmal jährlich. Der Bezug ist kostenlos. Bestellungen sind an die Redaktion zu richten. Der Nachdruck aus den Mitteilungen ist mit Angabe der Quelle gestattet. Redaktionsschluss: 15.12.2006