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#10 - OPUS 4 · 2015. 1. 6. · 10 zu gast Jekyll & Hyde vorschau Iris Berben 11 nachtboulevard Highlights September-Oktober 12 hinter den ... Sehnsuchtsorte. Eine Reise, die Victoire

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herausgeber Hans Otto Theater GmbH Potsdam | Schiffbauergasse 11 | 14467 Potsdamintendant Tobias Wellemeyer geschäftsführender direktor Volkmar RabackKuratoriumsvorsitzende Dr. Iris Jana MagdowskiAmtsgericht Potsdam, HRB 7741Redaktion Dramaturgie Layout Thomas Matauschek fotografie HL Böhme, Marlies Kross (Jekyll & Hyde), Manuel Nagel (Porträt Dennis Herrmann) Druck Buch- und Offsetdruckerei H. Heenemann GmbH & Co. KG BerlinTheaterkasse Telefon (0331) 98 11-8 / Fax (0331) 98 11-900 | kasse@hansottotheater. de www.hansottotheater. deEin Unternehmen der Landeshauptstadt Potsdam, gefördert mit Mitteln der Landeshauptstadt Potsdam und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg.

2 inhalt intro impressum

Liebe Gäste des Hans Otto Theaters, liebe Theaterfreunde,herzlich willkommen zu unserer neuen Spielzeit!

Wir haben auch im neuen Jahr viel vor. Zur Eröffnung zeigen wir eine der schönsten Novellen Theodor Fontanes in einer Bühnenuraufführung: »Schach von Wuthenow«. Wie wenige andere hat Fontane, der Schöpfer der »Effi Briest«, in seinen Romanen und Erzählungen preußische Charaktere studiert und in ihren Widersprüchen ab-gebildet, darunter eine große Zahl moderner Frauenfiguren. In »Schach von Wuthenow« bestimmen gleich zwei Frauen das Geschehen: Die schöne Witwe Josephine von Carayon und ihre Tochter Victoire, deren junges Gesicht von den Blattern verwüstet ist, verlieben sich in Schach, Rittmeister im Berliner Eliteregiment Gensdarmes. Zwi-schen den dreien entspinnt sich einen Sommer lang eine geheimnisvolle, ja rätselhafte Geschichte. Markus Dietz hat mit den Proben zu Tennessee Williams’ komplexem Seelendrama »Endstation Sehnsucht« be-gonnen. Nach ihrem Premierenerfolg als Barbara in »Eine Familie«, ab sofort wieder zu sehen, erleben Sie Melanie Straub in der Rolle der Blanche Dubois. Wieder zurück ist auch unsere Erfolgsproduktion »Der Turm« mit Holger Bülow.Für die jungen Zuschauer und ihre Familien beginnt die Spielzeit gleich im September mit zwei Premieren. Wir zeigen »Moritz in der Litfaßsäule« von Christa Kożik und die sensible Jungengeschichte »Am Horizont«.

Ich freue mich auf Ihren Besuch!

Ihr

Tobias Wellemeyer Intendant

3 im spielplan

tracy letts Eine Familie August: Osage Countyregie Barbara Bürk bühne und kostüme Anke Grot mit Tina Engel, Meike Finck, Juliane Götz, Franziska Melzer, Melanie Straub, Andrea Thelemann, Elzemarieke de Vos; Simon Brusis, Christoph Hohmann, Jon-Kaare Koppe, Peter Pagel Spielort Neues Theater

Was nach todtrauriger Melancholie und Wut klingt, überrascht mit intellektuellem Witz und scharfzün-gigem Humor. Märkische Allgemeine Zeitung

Es könnte ein Publikumsrenner werden. Am Premi-erenabend jedenfalls wurden die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Regisseurin und die Ausstat-terin mit langem, lautstarkem Applaus sowie zahl-reichen Bravorufen gefeiert. Potsdamer Neueste Nachrichten

Hans Otto hat mit diesem tollen Braten von Stück einen Unterhaltungs-Knaller in petto. Ein Stück für die ganze Familie, selbst wenn sie schon geschieden ist, und sich alle längst die Wahrheit gesagt haben. rbb-kulturradio

Das dreizehnköpfige Ensemble überzeugt mit ber-herzter Spielfreude und macht den dreistündigen Theaterabend zu einem kurzweilig-berührenden Ereignis. Berliner Zeitung

3 im spielplan Eine Familie 4-5 premiere Schach von Wuthenow 6-7 premiere Endstation Sehnsucht 8 pre-

mieren für junge zuschauer Am Horizont / Moritz in der Litfaßsäule 9 rückblick »Stadt für eine Nacht«

10 zu gast Jekyll & Hyde vorschau Iris Berben 11 nachtboulevard Highlights September-Oktober 12 hinter den

kulissen Matthias Müller 13 potsdamer porträt Christa Kożik 14-15 wieder im spielplan Der Turm | Volpone |

Iwanow | Potsdam-Kundus | Adams Äpfel 16 fragebogen Raphael Rubino und Dennis Herrmann

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theodor fontane Schach von Wuthenow UABühnenbearbeitung von Jaksch/Scharfenberg und Tobias Wellemeyerregie Tobias Wellemeyer bühne Alexander Wolf kostüme Antje Sternberg musik Gundolf Nandico mit Patrizia Carlucci, An-nemone Haase, Marianna Linden; Carlo Degen, Bernd Geiling, Eddie Irle, Roland Kuchenbuch, Philipp Mauritz, Michael Schrodt, René Schwittay, Wolfgang Vogler premiere 9. September 2011 Spielort Neues Theater

Ein anderes Leuchten Regisseur Tobias Wellemeyer im Gespräch

4-5 premiere

Woher stammt das Interesse, Fontanes Novelle für das Theater zu adaptieren?In den Ferienmonaten des vergangenen Jahres hatte ich viel Fontane gelesen. Besonders diese auf den ersten Blick etwas merkwürdige und skandalöse preußische Sommer-liebesgeschichte traf mich tief und berührte mich sofort. Ich empfand sie aus ihrem Inneren heraus als äußerst span-nungsreich und dramatisch, denn im Zentrum der histori-schen Novelle »Schach von Wuthenow« verbirgt sich eine universelle, zeitlose Geschichte. Im Kern beschreibt die Er-zählung den Freitod eines preußischen Offiziers, der sich mit Leib und Seele seiner Karriere und Preußen verschrie-ben hat. In einem Moment, sagen wir, der Schwäche, ver-fällt er Victoire, der gehandicapten Tochter seiner Freundin Josephine von Carayon. Ein Mädchen, das aber über eine geheimnisvolle Form von Emanzipation und ein starkes inneres Leuchten verfügt. Die Konsequenzen dieser Nacht kann er vor der Welt und sich selber lange nicht eingeste-hen, er verliert seine Souveränität und wählt schlussend-lich den Freitod. Fontane beschreibt die Figur unglaublich differenziert und auf feine Weise gegenläufig. Er spiegelt sehr raffiniert ein persönliches Untergangsdrama in ei-nem umfassenden gesellschaftlichen Untergangsmuster, in diesem Fall dem Untergang des friderizianischen Preu-ßen. Das Interessante an der Technik Fontanes ist, dass er dem Leser in einer multiperspektivischen Erzählweise keinen »objektiven« Autorenblick aufzwingt, sondern die Vielstimmigkeit der Erzählung bis zu ihrem bitteren Ende aufrechterhält und uns eine Bewertung der Ereignisse im-mer wieder erschwert. Obwohl Schach und das Mädchen Victoire nicht zusammenkommen, liefert ihre Beziehung die geheime innere Spannung der Novelle. Eine Spannung, die man auch als das Träumen zweier Königskinder lesen kann. Eine solche in der Realität uneingelöste Beziehung empfinde ich als etwas sehr Modernes, Joachim Kaiser nennt sie »eine Zweierbeziehung des Alleinseins«.

Was bewog dich, Victoire als Erzählerin zu etablieren, das ist eine besondere Lesart der Novelle.So wie ich die Geschichte verstehe, liegt das eigentlich auf der Hand. Obwohl die Ereignisse in jenem Sommer an Vic-toire vorbeiziehen und eine unheilvolle Eigendynamik ent-wickeln, behält sie dennoch in Fontanes retrospektiver An-ordnung das letzte Wort – ihre Augen blicken uns stets aus dem dunklen Hintergrund der Novelle heraus an. Sie ist die einzige Figur, die Schachs Handlungsweise und seine Konsequenzen komplex erfasst und ihn vor einer schnellen Verurteilung schützen kann. Bei Victoire fühle ich mich an die Figuren von Kleist erinnert, z. B. an das Käthchen von Heilbronn, hier entfalten die Agierenden eine ganz ähnli-che Traumspielspannung. Victoires Positivität und Zuver-sicht, die sie paradoxerweise aus dem Einzelgängerdasein

zu ziehen scheint, das ihr durch ihre kleine körperliche Entstellung von der Gesellschaft aufgezwungen wurde, er-lauben ihr erstaunlicherweise auch den kraftvollsten und heitersten Blick auf die Welt. Es ist der Blick einer lebens-zugewandten jungen Mutter, die einerseits die Ideologie der machohaften preußischen Offizierswelt ironisiert und die sich andererseits allen pessimistischen Weltuntergangs-fantasien entgegengestellt.

Entwirft Fontane damit vor dem Hintergrund des Untergangs Preußens in der Figur der Victoire eine optimistische Utopie?Nicht in der Figur, aber in der geträumten Zweierbezie-hung. Der Offizier Schach und das gehandicapte Mädchen Victoire sind eine Allianz, die in der Wirklichkeit nicht zusammen kommen kann. Vor ihrer Hochzeit planen die beiden eine Reise nach Italien, dem romantischsten aller Sehnsuchtsorte. Eine Reise, die Victoire später allein an-treten wird, während die preußische Armee bei Jena und Auerstedt untergeht. Es bleibt die Frage, wie man eine sol-che Liebe gegen die Welt verteidigen kann. Dabei scheitert Schach nicht nur tragisch an der Gesellschaft und ihren entmündigenden Zwängen, in die ihn vor allem die ent-täuschte Josephine von Carayon treibt, sondern er schei-tert vornehmlich auch an sich selbst und seinem fehlen-dem Mut. Fontane beschreibt das ganz schonungslos und humorvoll, aber sein kritischer Blick auf Menschen ist im-mer auch ein liebevoller. In diesem Menschenbild fühle ich mich Fontane sehr nah.

Warum entscheidet sich Fontane für eine retrospektive Er-zählweise? Er wählt als Ausgangsbasis eine reale Geschichte, die ihm zugetragen worden ist, und siedelt sie im Sommer 1806 an. Zugleich kommentiert er damit aber auch seine un-mittelbare Gegenwart von 1883.Fontane zeigt, dass wir aus der Zeit kommende Wesen sind. Unser Verhalten wurzelt in der Vergangenheit, und es gibt keine Zukunft ohne die Beschäftigung mit dem Raum, aus dem wir kommen. Zudem beschreibt Fontane in die-ser Novelle das Klima einer Zeitenwende, wie es sie immer wieder geben wird und in der sich die Muster wiederho-len. Wir wissen nicht, was Preußen war, aber wir sehen in Schachs Schicksal unseren eigenen Mut und unser eigenes Versagen gespiegelt. Zeitverschiebungen erlauben es oft, Dinge klarer als aus der Nähe zu sehen. Man sieht dadurch das Wesentliche und die Konstanten besser. Darüber hin-aus entdecken wir auf den Proben einen Autor, der gro-ße gesellschaftliche Themen mit einer ganz irdischen und herzlichen Beschreibung der Menschen und der branden-burgischen Landschaft verbindet.

Aufgezeichnet vom Dramaturgen Helge Hübner.

Als Bühnenuraufführung feiert am 9. September 2011 »Schach von Wuthenow« nach der gleichnamigen Novelle von Theodor Fontane Premiere am Hans Otto Theater. Regie führt Tobias Wellemeyer. Fontanes Novelle zeigt vor dem Hin-tergrund des Untergangs des friderizianischen Preußen das Drama des Rittmeisters Schach von Wuthenow, der sich in einer Sommernacht Victoire, der pockengesichtigen Tochter seiner langjährigen Geliebten Josephine, hingibt – eine Affäre mit tragischen Konsequenzen.

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6-7 premiere

Nicht nur mit diesem Bekenntnis von Blanche Dubois in »Endstation Sehnsucht« hat Tennessee Williams eine der be-rühmtesten Frauenfiguren der modernen Theaterliteratur geschaffen. Vor allem die Frage nach dem Sinn und den Folgen von Lebenslügen, die Williams in seinem preisgekröntem Stück zuspitzt, hat den Regisseur Markus Dietz interessiert: »Blanche Dubois lebt lieber in Illusionen, die ihr sinnvoll erscheinen, als in einer sinnentleerten Realität. Sie ist aber nicht die einzige im Stück, die sich etwas vormacht, alle Figuren sind durch ihre Lebenslügen charakterisiert. Die Schwester wird verprügelt und redet sich die Dinge schön. Der Nachbar prügelt ebenfalls seine Frau und alle finden es normal. Mitch, der Freund des Hauses, in dem Blanche für einen kurzen Moment ihren Retter vermutet, hat eine auffällige Bezie-hung zu seiner Mutter. Auch das kommentiert niemand.« Die Lebenslüge ist eine Erfindung des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, glaubt man einschlägigen ideengeschichtlichen Un-tersuchungen, und hat mit Henrik Ibsens Stücke ihren Weg auf die Bühne gefunden. Tennessee Williams hat von seinem Vorbild Ibsen die Frage übernommen, ob es besser ist, mit tröstenden Lügen oder mit schonungsloser Wahrheit zu leben. Die Figuren in Endstation Sehnsucht sind aus dem Paradies Vertriebene, die sich in einer modernen Welt ohne Rück-versicherung an eine höhere Ordnung, an Gott und Religion, ihren Wert und ihre Daseinsberechtigung selbst verleihen müssen. Seit der Französischen Revolution, die Gott abgeschafft und das Individuum endgültig auf sich selbst gestellt hat, genügt es nicht mehr, einfach nur Mensch und ein Kind Gottes zu sein, die Verantwortung für ein sinnvolles Leben liegt bei jedem Einzelnen. Trotz aller Verheißungen modernen Fortschritts scheint dieser Weg nicht ohne Probleme gangbar zu sein, ist doch das Verlorene Paradies ein immer wiederkehrender literarischer Topos. Die Lebenslüge wird in diesem Zusammenhang als eine Strategie beschreibbar, um die eigene Besonderheit gegen drohende Bedeutungslosigkeit zu behaupten und den Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen.Und so erscheint Blanche Dubois auf der Bühne, nur im Besitz eines einzigen Koffers voller Erinnerungen und mit dem Bedürfnis, sich mit Lampions vor dem grellen Licht des Lebens zu schützen. Ist Blanche eine geisteskranke, nympho-manische Südstaatendiva oder die heilige Bewahrerin alles Schönen in einer unwirtlich gewordenen kapitalistischen Welt? »Diese Entscheidung darf man so nicht treffen«, so Markus Dietz. »Keine Bühnenfigur hat nur eine Motivation für ihre Handlungen. Tennessee Williams wird oft unterschätzt. Es ist weniger die literarische Qualität seiner Werke als die komplexe, facettenreiche Ausarbeitung seiner Figuren in all ihren Widersprüchen, die ihresgleichen sucht. Williams unterläuft unser Bedürfnis nach Einordnung, z. B. zwischen Gut und Böse, oder Schuldig und Unschuldig. Er weist uns darauf hin, dass Urteile so einfach nicht zu fällen sein sollten. Nicht nur dadurch schafft er außergewöhnlich starke thea- tralische Situationen. Wie Turner in der Bildenden Kunst, ist Williams ein Meister der Atmosphären, mit denen er die Vorgänge der Figuren unterstützt. Mit Blanche Dubois betritt eine gut gekleidete Frau im Bewusstsein ihrer quasi-aris-

tokratischen Herkunft eine heruntergekommene Bude, in der ihre Schwester mit Stanley Kowalski, einem Macho mit Migrationshintergrund, zusammenlebt. Blanche hat das Familiengut ›Belle Rêve‹ verloren, und trägt es dennoch mit sich. Zwei Welten treffen aufeinander – die Belle-Rêve-Welt und das Mietskasernenprekariat. Das Stück könnte in dieser Hinsicht auch in Potsdam spielen, wo der Kontrast zwischen Reich und Arm auf engem Raum sehr präsent und sichtbar ist. In ›Endstation Sehnsucht‹ sind die beiden Welten aber von Williams schon in ihrer Auflösung bzw. Veränderung beschrieben: Blanches Südstaatenadel exis-tiert nicht mehr, das Gut wurde schon vor Generationen verspielt. Belle Rêve war also schon immer, wie der Name sagt, nur ein ›schöner Traum‹. Der Proletarier Stan hinge-gen strebt auf. Er ist der Vertreter einer Gesellschaft, die nur den Gewinner gelten lässt. Und wenn Blanche für seine Interessen geopfert werden muss, dann ist das ein Kollate-ralschaden, den er hinnimmt. Diese kritische Sicht auf die Gewinnergesellschaft und den westlichen Way-of-Life wird von Tennessee Williams nicht vordergründig verhandelt. Im Zentrum stehen komplexe Figurenerzählungen, ausdif-ferenzierte Machtverhältnisse und Widersprüche, die auf-einander treffen.«Tennessee Williams hatte zuerst den Titel »Poker Night«, der die dritte Szene überschreibt, für das ganze Stück vor-gesehen. Das Pokerspiel, in dem Stanley sich hervortut und als Chef geriert, ist beherrschendes Prinzip einer neuen Zeit. Eine Ordnung, in der der Stärkere überlebt und die im Gegensatz zu Blanches Kultur der Verfeinerung einen Rückfall in die Barbarei bedeutet. In der spannungsgelade-nen Beziehung zwischen Blanche und Stanley sieht Markus Dietz einen unauflösbaren Kern: »Obwohl Blanche ihn ab-lehnt, gibt es eine erotische Anziehung zwischen beiden. Über weite Strecken des Stückes bleibt die Täter-Opfer-Zuschreibung kompliziert, ihre Beziehung beunruhigend und verstörend. Dennoch ist das Ergebnis am Ende fraglos grausam, Stanley zerrt ihre Abgründe ans Licht, ihre Ob-sessionen, Ängste, Schuldgefühle und – er vergewaltigt sie. Am Ende wird Blanche weggesperrt. Obwohl alle wissen, dass das nicht passieren dürfte, schauen sie weg. Selbst die eigene Schwester entschließt sich, lieber dem Mann und nicht an die Vergewaltigung zu glauben, ›weil es ja weiter gehen muss‹, – daran kann man irre werden.« Wie fast alle Stücke von Tennessee Williams wurde auch »Endstation Sehnsucht« in Hollywood mit großem Erfolg verfilmt. Und fast alle diese Verfilmungen liefern eine ab-gemilderte Version der Williamsschen Stücke. Ein Auf-begehren des Autors ist nicht überliefert. »Es ist wichtig, die psychologischen und atmosphärischen Verzweigungen des Stücks so zu zeigen, dass man weiß, warum Blanche am Ende so extrem beschädigt ist. Hölderlin hat in den Anmerkungen zur Antigonae geschrieben: ›Es ist ein gro-ßer Behelf der geheim arbeitenden Seele, dass sie auf dem höchsten Bewusstsein dem Bewusstsein ausweicht.‹ Ten-nessee Williams zeigte, dass wir nicht alles ohne Weiteres ans Tageslicht zerren können.«

Remsi Al Khalisi

tennessee williams Endstation Sehnsuchtregie Markus Dietz bühne Mayke Hegger kostüme Veronika Bleffert mit Nele Jung, Meike Finck, Melanie Straub, Elzemarieke de Vos; Jan Dose, Dennis Herr-mann, Raphael Rubino, Michael Schrodt, René Schwittay premiere 14. Oktober 2011 Spielort Neues Theater

Ich will keinen Realismus, ich will Zauber!

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für junge zuschauer

petra wüllenweber

Am Horizont (9+)regie Jens Heuwinkel bühne und Kostüme Agnes Treplin es spielen Nora Wiel; Hanns-Jörn Weber, Felix Steinhardtpremiere 8. September 2011 spielort Reithalle

christa koŻik/ rolf losansky/

Moritz in der Litfaßsäule (6+)regie Kersin Kusch bühne Matthias Müller Kostüme Vera Krisch choreografie Anja Kożik es spielen Sinja-Kristina Dieks, Charlotte Sieglin; Jan Dose, Friedemann Eckert, Florian Schmidtke premiere 22. September 2011 spielort ReithalleKoproduktion mit der Waschhaus gGmbH

Der neunjährige Moritz Zack sieht Dinge, die andere nicht sehen, und stellt Fragen, die andere nicht stellen, deshalb braucht er für alles entschieden mehr Zeit. »Schneckenkönig« und »Trantüte« wird er gerufen. Weil seine Eltern viel zu beschäftigt sind, um sich mit seinen Sorgen zu befassen, packt Moritz eines Tages seinen Ruck-sack und haut ab. Sein Unterschlupf in der großen Litfaßsäule auf dem Markt ist allerdings wider Erwarten schon besetzt – von einer sprechenden Katze. Diese ungewöhnliche Katze, ein welterfahrener Straßenfeger und das Zirkusmädchen Bella helfen ihm, die Welt mit neuen Augen zu sehen.

Wenn Janek nicht in der Schule ist, verbringt er die Zeit mit seinem Opa, der ihm als ehemaliger Leistungssportler das Delfinschwim-men beibringt. Zunehmend wird der Junge mit den Auswirkungen der Alzheimererkrankung seines Opas konfrontiert. Er muss Ver-antwortung übernehmen und vernachlässigt die Schule. Anna, eine neue Klassenkameradin, wird für Janek im gleichen Maße wichtig, wie der Großvater ihn verlässt und in seiner eigenen Welt versinkt.

9 rückblick

Stadt für eine Nacht 9./10. Juli 2011, 24 Stunden

Wie im vergangenen Jahr war das Gedränge groß. Mehrere Tausend Gäste nutzten die Gelegenheit, rund 80 Gratis-Kultur-Angebote zu nutzen. Märkische Allgemeine Zeitung

Kostenlose Lesungen, kostenlose Theatervorstellungen und etliche Programme für Kinder lockten natürlich Besucher in Scharen. Potsdamer Neueste Nachrichten

Eine Miniaturstadt aus phantasievoll ausgestalteten Erlebnisräumen, die das Gefühl aufkommen lassen, dass hier Kunst, Kreativität und Spontaneität förmlich in der Luft liegen. Potsdamer Neueste Nachrichten

fotos Nitya Ramchandran

8 premieren

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Jekyll & Hyde Musical Buch und Liedtexte von Leslie Bricusse/Musik von Frank Wildhorn

Nach der berühmten Novelle von Robert Louis Stevenson wird die tragische Lebensgeschichte des Dr. Jekyll erzählt, der eine Droge ent-wickelt, um die bösen Seiten im Menschen von den guten zu trennen. Im Selbstversuch beginnt er ein Doppelleben zu führen: tagsüber ist er der engagierte Arzt, nachts lebt er als Hyde Gewalt, Mordlust und verdrängte Sexualität aus. Stark emotionale, fast filmische Musik lässt Situationen, Stimmungen und Zustände dieser spannenden Schauergeschichte genussvoll unter die Haut gehen. Das Erfolgsmusical wurde 1990 in Houston uraufgeführt und erreichte 1997 den Broadway, wo es über 1500 Mal gespielt wurde.Musikalische Leitung Marc Niemann Regie Martin Schüler bühne Gundula Martin kostüme Nicole Lorenz choreografie Christian Möbius Es spielen Solisten, Opernchor und Philharmonisches Orchester des Staatstheaters Cottbus aufführungen 1. Oktober um 19:30 und 2. Oktober um 17:00 spielort Neues Theater

Staatstheater Cottbus

10 zu gast 11 nachtboulevard

Highlights September-Oktober

Musikalisch begleitet vom Südwestdeutschen Kammerorchester PforzheimDie vielfach ausgezeichnete Film- und TV-Schauspielerin Iris Berben stellt Texte vor, die 1933 verbrannt und auf die Schwarze Liste des Reichspropagandaminsteriums gesetzt wurden: Texte von Karl Kraus, Stefan Zweig, Kurt Tucholsky, Joseph Roth und vielen anderen. Das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim begleitet den Abend mit Musik verfemter Komponisten. Die nationalsozialistische Künst-lerverfolgung trieb unzählige deutsche Romanciers, Komponisten, Musiker und Theaterleute ins Exil oder in die physische Vernichtung. Iris Berben bestreitet seit rund 30 Jahren Lesungen und Programme zur deutschen Geschichte. Für ihr demokratisches Engagement wurde sie u. a. mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland geehrt. »Ich habe mich ent-schlossen, meine Popularität pragmatisch zu nutzen, auch wenn das Anliegen ein sehr privates ist, vielleicht mein privatestes als Bürger dieses Landes, nicht als Schauspielerin oder öffentlicher Mensch.« (Iris Berben)aufführung 4. November um 19:30 spielort Neues Theater Der Vorverkauf läuft!

Iris Berben»Verbrannte Bücher – Verfemte Komponisten«

vorschau

16. 9. 21:00 spezial »AUSENCIA« Ein Abend gesungener und gesprochener Tangos. – Sie sind nicht mehr: die Liebe, der Hafen, die Küsse, die Straßenecken, und doch erwachen sie in der Erinnerung zu neuem Leben. Argentinische Tangos, die Geschichten erzählen von Männern und Frauen, Gestern und Heute, verlorener Heimat und großer Liebe. Sinnlich, melancholisch, intensiv und mit einem Augenzwinkern. Texte und Musik von Homero Manzi, Luis Jorge Borges, Carlos Gardel und einigen anderen. Mit und von Angnes (Gesang, Idee und Konzept), Justus Beckmann (Schauspiel), Javier Tucat Moreno (Klavier) und Annette Pullen (Regie). Anschließend Tango Argentino mit den DJs Steven & Heiko. In Zusammenarbeit mit tanguito Potsdam.

17. 9. 22:00 live »2KILOSANDMORE« Visuelles Elektrospektakel aus Paris. Zwischen Electronica, Ambient und Post-Rock be-wegt sich die Musik des Pariser Duos »2kilosandmore« (Séverine Krouch und Hugues Villette). Zusammen mit der Video-Künstlerin Lisa May (Magnet) und Black Sifichi (spoken word, bekannt u. a. aus seiner Zusammenarbeit mit Ezekiel, Rodolphe Burger & Simon Fisher Turner) stellen sie ihr neues Projekt vor, das außer mit aufregender Musik mit spektakulären Visuals aufwartet. Produziert wurde die Show vom legendären französischen Underground-Pionier Norscq.

23. 9. 22:30 late show »LIVEHöRSPIEL FILM SPEZIAL« Florian Schmidtke, Peter Wagner und ein Überraschungsgast knüpfen sich einen Filmklassiker vor und vertonen ihn live, ohne Netz und doppelten Boden. Künstlerische Einrichtung: Jens Heuwinkel. Im Rahmen von 2011 Potsdam – Stadt des Films.

24. 9. 20:00 live »DIE BOGARTS« Das A-Capella-Quartett aus Berlin. Den Sängern Tom Heiß, Nico Brazda, Klas Yngborn und Philipp Neumann gelingt mit charakteristischen Solo-Stimmen ein phantastischer Zusammenklang – das ist der Bogarts-Sound. Die Mischung aus einzigartigem Sound, langjähriger Bühnenerfahrung und schrägem Humor ergibt den unverwechselbaren Charme der vier Sänger. Ihr Repertoire reicht von deutschem Schlager über Elvis Presley bis hin zu aktueller Popmusik, und in Potsdam sind sie spätestens seit ihren Auftritten in »My Fair Lady« ein Begriff.

23. 10. 20:00 live SUSAN JAMES DUO Susan James kommt aus Kalifornien und hat im Alter von acht Jahren erstmals eine Gitarre in die Hand genommen. Ihre vielseitige Stimme und ihre virtuose Gitarrenarbeit begeistern Musikkritik und Fans. In ihrer amerikanischen Heimat ist sie als Solokünstlerin mit Musikern wie Lindsay Buckingham, Bob Weir, Ratdog und Richard Buckner aufgetreten und hat auch Konzerte für Solo Volt, Rufus Wainwright, Billy Bragg und viele andere eröffnet. Nun kehrt sie endlich mit ihrem neuen Album »Highways, Ghosts, Hearts & Home« zurück nach Europa.

susan james

ausencia

die bogarts

2kilosandmore

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12 hinter den kulissen

Matthias MüllerTechnischer Direktor

Was sind die Aufgaben eines Technischen Direktors?Ich bin für den gesamten technischen Betrieb am Hans Otto Thea- ter zuständig. Erst einmal betrifft das alle Produktionsabläufe, wie Aufbau und Abbau, Organisation der Abteilungen, die ge-samte Planung. Wenn eine Theaterproduktion entsteht, werden als erstes die Dekorationen gebaut. Ich muss dafür sorgen, dass die Ausstattungsbudgets eingehalten werden. Der Bühnenbild-ner kommt mit den Ideen, die er gemeinsam mit dem Regisseur entwickelt hat, auch zu mir. Meine Abteilung errechnet, ob und wie das Ausstattungsbudget einer Produktion mit dem Entwurf in Einklang zu bringen ist. Außerdem bin ich verantwortlich für alle sicherheitstechnischen Fragen. Gemeinsam mit dem Büh-nenmeister sorge ich dafür, dass alle Bestimmungen zur Arbeits-sicherheit eingehalten werden.

Ein Bühnenbildner kommt also mit einem Entwurf zu Ihnen. Wie geht es nun für Sie weiter?Ich erläutere ihm die technischen Bedingungen unserer Bühne. Sie bilden die Voraussetzungen für seinen Entwurf. Den fertigen Entwurf prüfen wir auf seine Realisierbarkeit: Liegen die Kosten im Etat? Sind die zu erwartenden Auf- und Abbauzeiten für das Bühnenbild praktikabel oder zu lang? Innerhalb der vom Spiel-plan gesetzten Vorgaben muss alles so passen, dass wir auf- und abbauen, proben und Vorstellungen spielen können. Wir haben für die Herstellung des Bühnenbildes und die Einrichtung der Vorstellungen nur begrenzt Personal zu Verfügung.

Das heißt: Wenn ein Bühnenbildentwurf zu Ihnen kommt, setzen Sie sich an den Computer und beginnen zu rechnen?Nein, das macht der Werkstättenleiter. Theater ist Teamwork. Eine Person allein kann hier gar nicht viel bewegen. Es funktio-niert nur, wenn alle dafür kämpfen, dass abends der Vorhang auf-geht. Das Theater ist ein großer Apparat. Für jede Inszenierung setzt man diesen Apparat in Bewegung. Alle Abteilungen sind in ihrer Weise in das Stattfinden der abendlichen Vorstellung invol-viert. Für den gesamten technischen Bereich des Apparates ist der Technische Direktor verantwortlich. Dieser ist, gemessen an den Personalzahlen, der größte Teil des Theaters.

Welche Abteilungen sind Ihnen zugeordnet?Das sind die Bühnentechnik, Beleuchtung, Tonabteilung und Re-quisite, Schneiderei und Maske. Dazu kommen die sogenannten Gewerke, wie Tischlerei, Schlosserei, Malsaal, Dekorationsab-teilung und Betriebstechnik. Sich um alle diese Abteilungen im Detail zu kümmern, wäre für eine Person gar nicht zu stemmen.

13 potsdamer porträt

Christa KożikSchriftstellerin und Filmautorin

Am 22. September 2011 feiert am Hans Otto Theater

ihr Kinderstück »Moritz in der Litfaßsäule« Premiere

Erzählen Sie bitte ein wenig von Ihrer Arbeit als Autorin!Ich habe immer für zwei bis drei Sparten gearbeitet. In erster Linie fühle ich mich als Schriftstellerin. Ich schreibe für Kin-der Bücher. Ich habe auch Hörspiele, Geschichten und Gedich-te verfasst. Außerdem Drehbücher für Kinderfilme. Aber mehr und mehr hat mich das Kindertheater interessiert. Und das ganz besonders seit Rolf Losansky [der Ko-Autor der Bühnenfassung von »Moritz in der Litfaßsäule; Anm. d. Red.] zu mir kam und sagte: »Christa, lass uns doch für das Kindertheater schreiben!« Wir haben im Moment einen sehr guten Kontakt zum Hans Otto Theater und werden zu allen Premieren eingeladen. Ich habe jede der Kinder- und Jugendtheaterpremieren als große Bereicherung erlebt. Gerne habe ich die Inszenierungen mit meinen Enkeln noch ein zweites Mal besucht.

Gibt es für Sie in Potsdam einen Lieblingsort?Wahrscheinlich meine Barrikade für und gegen die Welt: mei-nen Balkon. Hier kann ich meiner Arbeit nachgehen. Hier habe ich bezaubernde Nachbarn. Auf beiden Seiten gibt es auch kleine Kinder. Und natürlich liebe ich meine zweite Heimat: das Film-museum.

Schreiben Sie auch auf Ihrem Balkon?Da ich die erste Fassung immer mit der Hand niederschreibe, kann ich an jedem Ort arbeiten. Es ist auf meinem Balkon wie im Paradies. Es herrscht eine wunderbare Ruhe.

Ist es das, was Sie sich von einem Lieblingsort wünschen: Ruhe?Ja, aber er soll auch dicht an der Welt dran sein. Eine Einsam-keitsfanatikerin bin ich nicht. Ich brauche Inspiration, die ich nur durch andere Menschen bekommen kann. Ich gebe auch sehr gerne und oft Lesungen. Sie bieten mir die Möglichkeit, Kontak-te mit Kindern zu bekommen, ihnen vorzulesen und mit ihnen zu sprechen. Wir sind in Potsdam aber auch gesegnet mit einer reichen Natur und einer wunderschönen Land-schaft. Für mich ist ein geliebter Ort Sanssouci. Dort ganz besonders die Römischen Bäder. Sie sind weit ab vom großen Getümmel.

Wo finden Sie Ihre Inspiration?Ich sage immer, in »Moritz in der Litfaßsäule« spielt das »Drit-te Auge« eine Rolle. Der Straßenfeger sagt zu Moritz: »Sei doch froh, noch ein Kind zu sein. Kinder sind noch glücklich. Sie ha-ben drei Augen.« Dieses Dritte Auge als Sinnbild der Phantasie, das die Kinder bei meinen Lesungen auch sofort erraten, ist für mich der ewig kreative Punkt. Es braucht das Bewusstwerden, dass man sein Drittes Auge nicht verlieren darf, trotz der vielen Probleme, trotz des vielen Rechnen-Müssens. Das ist mir sehr wichtig. Ich arbeite immer »zweischichtig«. Ständig bei mir habe ich auf der Oberfläche die »Kurzzeit-Geschichte«, und in meinem Hinterkopf die »Langzeitgeschichte«. Sie ist noch unausgereift, so dass ich sie ständig variiere. Das Thema habe ich mir vorher genau festgelegt. Zum Beispiel ist ein wichtiges Thema in »Moritz in der Litfaßsäule«: die Langsamkeit. Moritz ist ein langsames Kind; seine Langsamkeit kollidiert ständig mit dem Tempo sei-ner Umwelt. Es gibt Themen, über die ich sehr lange nachdenke und über die ich schreiben möchte. Ich habe ein Notizbuch, in das ich monatelang Aufzeichnungen im Sinne meines Themas mache. Schließlich gehe ich an einen stillen Ort – zum Beispiel nach Sassnitz. Dort kann ich die Geschichte aufschreiben – mit Hilfe der vielen Notizen und des Kopfcomputers, denn der hat das kommende Buch schon von Anfang bis Ende fertig durch-dacht. Was dabei entsteht, ist die Langzeitgeschichte. Daneben gibt es die Kurzzeitgeschichte: Rolf Losansky und ich wollen na-türlich ein neues Theaterstück schreiben. Daran arbeiten wir ge-meinsam und entzünden uns gegenseitig, jeder an der Kreativität des anderen. Gerne auch auf meinem Balkon. Einen bestimmten Ort brauche ich nur, um in aller Stille aufschreiben zu können.

Das Gespräch führte Christine Elbel.

Dafür gibt es Abteilungsleiter. Sie sind alle mir unterstellt, arbei-ten aber weitestgehend selbständig. Es gibt immer sehr, sehr viel zu tun. Wir arbeiten nicht selten an vier Produktionen gleich-zeitig. Die einen stehen kurz vor der Premiere, während die an-deren mit den Proben auf den Probebühnen beginnen und die Ausstattungen hergestellt werden müssen. Dann sind vielleicht noch völlig überraschend, z. B. wegen eines Krankheitsfalls, die Proben für eine Umbesetzung zu organisieren. Die Bühne muss dann früher als geplant aufgebaut und das Licht und der Ton frü-her eingerichtet werden. Ich kann natürlich nicht überall gleich-zeitig sein; meine Kollegen und ich sprechen uns ab und teilen uns auf die verschiedenen »Baustellen« auf.

Wie war Ihr Weg zu Ihrem jetzigen Beruf? Ich habe eine Ausbildung als Möbelschreiner absolviert. In dieser Zeit war ich ein leidenschaftlicher Windsurfer. Mir hat der Beruf Spaß gemacht, aber wir hatten im Sommer – in der Windsurf-Saison – nur zwei Wochen Urlaub. Das war für das Windsurfen zu kurz. Der Vater eines Freundes war Bühnenmeister am Staats-theater Darmstadt und hatte im Sommer, während der Spiel-zeitpause, sieben Wochen Urlaub. Ich dachte mir: »Da musst du hin!« In der Tischlerei am Staatstheater Darmstadt hatten sie keine Stelle für einen Möbelschreiner. So bin ich bei der Bühnen-technik gelandet. Weil man in der Bühnentechnik im Schichtsys-tem arbeitet, hatte ich manchmal auch in der Woche zwei oder drei Tage frei und konnte nach ab und zu spontan nach Holland zum Surfen fahren; dazu kamen die sieben freien Wochen im Sommer. Es war toll. So bin ich zum Theater gekommen.Ich habe mich schnell hochgearbeitet. Als der dortige Bühnen-meister plötzlich und unerwartet erkrankte, fragte man mich, ob ich nicht die Bühnenmeisterprüfung ablegen wollte. Das habe ich getan. Anschließend bin ich relativ schnell Leiter der Büh-nentechnik an der Oper Darmstadt geworden. Dort habe ich für Regisseure und Bühnenbildner einige Aufgaben umsetzen kön-nen, die vorher als nicht lösbar galten. Ich habe Michael Simon und den, leider inzwischen verstorbenen, Werner Schroeter ken-nengelernt und war durch beide endgültig vom Theater fasziniert und angesteckt. Ich fing an, alles Mögliche über das Theater zu lesen, insbesondere Bücher zum Thema Bühnenbild. Als dann ein neuer Intendant an das Staatstheater Darmstadt kam, hatte ich mir ein paar Opern rausgesucht und – nur für mich – Bühnenbilder dazu entworfen. Ein Dramaturg hat den neuen Intendanten wissen lassen, dass es im technischen Bereich jemanden gäbe, der tolle Bühnenbilder entwirft. Der neue Inten-dant wollte die Modelle sehen. Ich habe mich zum ausgemachten Termin mit den zugehängten Entwürfen über den Innenhof zu ihm geschlichen. Zwei Wochen später hat er mich angerufen. Es folgte mein erstes Bühnenbild, an der Oper in Darmstadt. Dann ging alles recht schnell. Auf einmal war ich freier Bühnenbildner und bin durch die Lande gereist. 2007 verbrachte ich schließlich nur 32 Tage zu Hause. Es wurde mir langsam zu viel. Eine ehema-lige Assistentin von mir – Eva-Maria Westerveld (Bühnenbilder für »Eye of the Storm« und »Drachenreiter« am HOT) – hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, mit der neuen Intendanz von Tobias Wellemeyer nach Potsdam zu kommen, in eine feste Anstellung in der Technischen Leitung. So hat es sich ergeben, dass ich hier am Hans Otto Theater wieder in meinem alten Arbeitsbereich tätig bin.

Das Gespräch führte Christine Elbel.

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anton tschechow

Iwanowregie Markus Dietz bühne Ines Nadler kostüme Monika Bleffert

Potsdam-Kundus UA Der schwierige Weg zum Frieden in Afghanistan

Buch und Regie Clemens Bechtel bühne und kostüme Till Kuhnert video Steffen Lozanski, Till Kuhnert Spielort Reithalle

anders thomas jensen

Adams Äpfelregie Lukas Langhoff bühne Lukas Langhoff/Regina Fraas kostüme Ale-xander Wolf mit Friederike Walke; Simon Brusis, Roland Kuchenbuch, Philipp Mauritz, Oktay Özdemir, Florian Schmidtke Spielort Reithalle

Der Potsdamer »Iwanow« ist unterhaltsame Gesellschaftsbetrachtung mit Tiefe. Märkische Allgemeine Zeitung

Volpone komödie von ben jonsonregie Tobias Wellemeyer bühne Harald Thor kostüme Ines Burisch musik Marc Eisenschink choreografie Marita Erxlebenspielort Neues Theater

Sie spielen nicht nur uns, sondern auch sich selbst dauernd etwas vor – und es verschafft nicht nur uns, son-dern auch ihnen großen Spaß, wie sie da in ihren teils heutigen, teils historischen Kostümen von Ines Burisch schwindeln, schleimen, greinen, straucheln. … So wird in der Inszenierung Tobias Wellemeyers alles gut – und zu erfreulich kraftvollem Theater. Frankfurter Allgemeine Zeitung

Und schauspielerisch ist jede Rolle ein Treffer. … Langhoff und seine Spieler verdichten dieses kuriose Märchen aus dem Pfarrhaus zu einem prima grotesken Vergnügen. kulturradio

So simpel und gleichzeitig so wuchtig, packend und erschütternd. Potsdamer Neueste Nachtrichten

uwe tellkamp

Der Turm Bearbeitung von John von Düffelregie Tobias Wellemeyer bühne Alexander Wolf kostüme Ines Burisch musik Gundolf Nandico

14-15 wieder im spielplan

Ein großer Roman ist in Potsdam zu einem großen Theaterabend geworden, der mehr über die Gründe des Volksaufstands von 1989 erzählt als die meisten Fernsehdokumentatio-nen zum 20. Mauerfalljubiläum. Tagesspiegel

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RAPHAEL RUBINOWorauf freust Du Dich am Hans Otto Theater am meisten? Auf meine neuen Kollegen!!! Und auf ein neues Publikum. Und darauf, dass ich nach der Arbeit meinen Hintern von der Probebühne direkt in den See befördern kann. Welches Kostüm hast immer gern getragen? Was gefiel Dir daran? Ach, eigentlich hab ich kein Lieblingskostüm. Ich verlasse mich ger-ne auf die Kostümbildner. Die inspirieren mich durch ihre Vorschläge und haben dabei die Gesamtästhetik vor Augen, was wichtig ist. Und die Abwechslung ist ja gerade schön. Aber einem gut geschnittenen Anzug kann ich nicht widerstehen. Der versteckt auch ein bisschen den Wohlstandsspeck. Die Kombination Unterhose mit Socken offenbart dagegen fast alles und sieht an mir unfassbar dämlich aus – das macht mir dann auch Spaß … Was macht Dir am Theaterspielen besonders viel Spaß? Theater ist ein Ort, an dem Lebensmodelle nachge-spielt werden. Mich interessiert es, an den Abgründen der Seele zu kratzen. Das macht Spaß. Man wird aber mit dem, was man leistet, nie glücklich, es sei denn, die Menschen freuen sich darüber – besonders viel Spaß hab ich also, wenn sich das Publikum über mich freut. Welcher Theatertext geht Dir nicht mehr aus dem Kopf? »Kopf hoch, das dicke Ende kommt noch.«, aus »Kaiser Jones« von Eugene O'Neill.

DENNIS HERRMANNWas willst Du in Potsdam unbedingt ganz schnell besuchen? Und warum? Das Schloss, um meinen Touri-Status bald ablegen zu dürfen, und alle Vorstellungen meiner neuen Kol-legen, weil ich zu beidem bisher keine Gelegenheit hatte. Was bringst Du den Potsdamern mit? Einen 7,5-Tonner voller Kartons, Schmackes aus dem Rheinland (ich sehe gerade, René Schwittay kommt aus derselben Ecke ), neugierige Augen und Ohren. Wenn die Potsdamer irgendwann das Gefühl haben, dass ich Ihnen durch mein Mitwirken am HOT etwas mitge-bracht habe, hätte ich doch schon viel geschafft. Was willst Du nicht missen? So manchen Augenblick, Musik, gutes Essen, Familie, Freunde im Sinne von »Freunde«, den 1. FC Köln, die Möglichkeit, es dann doch anders zu machen, das Meer, reale Ansprechpartner statt Ton-bänder bei Dienstleistungsfirmen, Nachtisch.

16 fragebogen

#10

18. Internationales Theaterfestival Potsdam

02. - 06. November 2011

unidram11

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Tickets unter Tel.: 0331-719139 oder www.unidram.de & www.t-werk.de