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101 FRAGEN ZUR EUROPÄISCHEN UNION Photo: Europäisches Parlament Stand: März 2006

101 FRAGEN ZUR EUROPÄISCHEN UNION · 3 23. was sagt der vertrag Über das verfahren zur eu-erweiterung aus?.....35 24. welche voraussetzungen muss ein land erfÜllen, um eu-mitglied

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101 FRAGEN ZUR EUROPÄISCHEN UNION

Photo: Europäisches Parlament

Stand: März 2006

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INHALTSVERZEICHNIS

DIE GESCHICHTE DER EU1. WELCHE ZIELE UND AUFGABEN HAT DIE EU? ..................................................................... 7

2. WIE ENTSTAND DIE EUROPÄISCHE UNION? ........................................................................ 8

3. WELCHE INTERNATIONALEN ORGANISATIONEN GAB ES IN EUROPA VOR DER EU? .........................10

4. WAS IST DIE SCHUMAN-ERKLÄRUNG?..............................................................................11

DIE ZUKUNFT DER EU5. WAS IST DER EUROPÄISCHE KONVENT? ...........................................................................13

6. WANN TRITT DER VERFASSUNGSVERTRAG IN KRAFT? ..........................................................14

7. WAS BEINHALTET DER NEUE VERFASSUNGSVERTRAG? .........................................................15

DIE VERTRAGSBESTIMMUNGEN8. WAS IST EIN VERTRAG? ..............................................................................................22

9. AUF WIE VIELEN VERTRÄGEN BERUHT DIE ZUSAMMENARBEIT IN DER EU? ..................................22

10. WANN WURDE FÜR DIE EG DIE BEZEICHNUNG EU EINGEFÜHRT?............................................23

11. WAS IST DER UNTERSCHIED ZWISCHEN ZWISCHENSTAATLICHER UND SUPRANATIONALER ZUSAMMENARBEIT? ......................................................................................................23

12. WAS SIND DIE DREI SÄULEN DER EU?.............................................................................24

13. WAS BEDEUTET RATIFIZIERUNG? .................................................................................25

DIE MITGLIEDSTAATEN / ERWEITERUNG14. WELCHE LÄNDER SIND MITGLIED DER EU UND SEIT WANN? ..................................................27

15. WANN BEGANNEN DIE VERHANDLUNGEN ZUR JÜNGSTEN EU-ERWEITERUNG? ............................27

16. GEHÖRT GRAN CANARIA ZUR EU? ................................................................................29

17. IN WELCHER BEZIEHUNG STEHT GRÖNLAND ZUR EU?.........................................................29

18. IST NORWEGEN MITGLIED DER EU?...............................................................................30

19. WAS HABEN DIE BERMUDAS MIT DER EU ZU TUN? .............................................................30

20. KANN EIN LAND AUS DER EU AUSTRETEN ODER AUSGESCHLOSSEN WERDEN? ............................32

21. WELCHE REFERENDEN ZUR EU GAB ES BISHER IN DEN EU-MITGLIEDSTAATEN?...........................32

22. WELCHE ÜBERGANGSREGELUNGEN GELTEN FÜR DIE NEUEN EU-MITGLIEDSTAATEN? ...................34

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23. WAS SAGT DER VERTRAG ÜBER DAS VERFAHREN ZUR EU-ERWEITERUNG AUS?...........................35

24. WELCHE VORAUSSETZUNGEN MUSS EIN LAND ERFÜLLEN, UM EU-MITGLIED WERDEN ZU KÖNNEN? ..35

25. WELCHE LÄNDER HABEN SICH UM EINE EU-MITGLIEDSCHAFT BEWORBEN?................................37

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT26. WAS HAT MICKY MAUS MIT DEM EUROPÄISCHEN PARLAMENT ZU TUN? ....................................39

27. WO BEFINDET SICH DER SITZ DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS?...........................................40

28. WIE VIELE FRAKTIONEN GIBT ES IM EUROPÄISCHEN PARLAMENT? ..........................................40

29. WIE VIELE ABGEORDNETE HABEN DIE EINZELNEN LÄNDER IM EUROPÄISCHEN PARLAMENT? ...........41

30. WIE VIELE EUROPÄER BETEILIGTEN SICH 2004 AN DER EUROPAWAHL? ....................................42

31. KANN EIN MITGLIED DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS GLEICHZEITIG ABGEORDNETER EINES NATIONALEN PARLAMENTS SEIN?......................................................................................44

32. WIE VIEL VERDIENEN DIE MITGLIEDER DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS? ................................44

DER RAT33. WAS IST DER UNTERSCHIED ZWISCHEN DEM „RAT“ UND DEM „EUROPÄISCHEN RAT“?..................46

34. WAS GESCHIEHT AUF DEN TAGUNGEN DES EUROPÄISCHEN RATES? ........................................47

35. GEHÖRT DER EUROPARAT ZUR EU? ..............................................................................47

36. WAS IST EINE REGIERUNGSKONFERENZ? ........................................................................48

37. WAS GESCHIEHT AUF RATSTAGUNGEN, WENN DIE MINISTER DER MITGLIEDSTAATEN NICHT EIN UND DIESELBEN RESSORTS HABEN? .........................................................................................49

38. WAS BEDEUTET ES, WENN EIN LAND DIE „PRÄSIDENTSCHAFT“ INNEHAT? ................................50

39. IN WELCHER REIHENFOLGE HABEN DIE MITGLIEDSTAATEN DEN VORSITZ IM RAT INNE? ................52

40. WAS IST DIE „TROIKA“? ............................................................................................53

41. WER IST „HERR/FRAU GASP“? ....................................................................................54

42. WAS IST DER COREPER? ............................................................................................55

43. WAS BEDEUTET „QUALIFIZIERTE MEHRHEIT“? .................................................................56

44. WIE SIEHT DIE STIMMENGEWICHTUNG IM RAT AUS?...........................................................58

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION45. WIE NENNT MAN DIE MITGLIEDER DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION?......................................59

46. KANN DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION RECHTSVORSCHRIFTEN ERLASSEN? ................................60

47. WAS IST EIN „KABINETT DES KOMMISSARS“?....................................................................61

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48. WIE VIELE MENSCHEN SIND BEI DER KOMMISSION BESCHÄFTIGT?...........................................61

DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF49. KANN ICH BEIM EUROPÄISCHEN GERICHTSHOF KLAGEN?.....................................................62

50. WELCHE ARTEN VON VERFAHREN GIBT ES AM EUROPÄISCHEN GERICHTSHOF?...........................62

51. WAS IST EIN GENERALANWALT? .......................................................................................................... 64

52. GEHÖRT DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE ZUM EU-SYSTEM?..................65

ALLGEMEINES53. WER WAR EUROPA? .................................................................................................66

54. GIBT ES EINE OFFIZIELLE HYMNE DER EU? ......................................................................66

55. WAS STELLT DIE EU-FLAGGE DAR? ...............................................................................66

56. WANN IST DER EUROPATAG? ......................................................................................67

57. WIE VIELE SPRACHEN WERDEN IN DER EU VERWENDET? .....................................................67

58. IST DAS AMTSBLATT DER EU EINE ZEITUNG?....................................................................68

59. WAS HAT DIE EU MIT DER SOMMERZEIT ZU TUN? ..............................................................68

60. WAS IST DIE COSAC? ................................................................................................68

REGELUNGEN61. WAS IST DAS SUBSIDIARITÄTSPRINZIP? ..........................................................................70

62. WAS IST EINE VERORDNUNG?......................................................................................71

63. WAS IST EINE RICHTLINIE? .........................................................................................73

64. WAS IST EIN GEMEINSAMER STANDPUNKT?......................................................................74

65. WO KANN ICH DIE RECHTSVORSCHRIFTEN DER EU FINDEN? .................................................75

66. WAS BEDEUTET NOTIFIZIERUNG?.................................................................................75

67. WELCHE ENTSCHEIDUNGSVERFAHREN GIBT ES IN DER EU? ..................................................77

68. WIE FUNKTIONIERT DAS ANHÖRUNGSVERFAHREN?............................................................78

69. WIE FUNKTIONIERT DAS MITENTSCHEIDUNGSVERFAHREN?...................................................78

70. WAS IST DER „ACQUIS COMMUNAUTAIRE“? .....................................................................80

DER EURO

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71. IN WELCHEN LÄNDERN DIENT DER EURO ALS ZAHLUNGSMITTEL?...........................................82

72. FÜHREN DIE NEUEN MITGLIEDSTAATEN DEN EURO EIN? ......................................................82

73. WAS „KOSTET“ EIN EURO UND WIE SIEHT ER AUS?............................................................83

74. WAS IST DIE WWU?..................................................................................................84

75. WIE LAUTEN DIE KONVERGENZKRITERIEN?......................................................................85

76. IST WKM II EINE NEUE FIGUR AUS „KRIEG DER STERNE“? ....................................................86

77. WAS IST DER STABILITÄTS- UND WACHSTUMSPAKT? ..........................................................87

78. WIE GROß IST DER EU-HAUSHALT UND WELCHEN BEITRAG LEISTEN DIE MITGLIEDSTAATEN?..........88

79. WELCHE LÄNDER SIND NETTOBEITRAGSZAHLER ZUM EU-HAUSHALT?......................................89

80. WIE WIRD DER EU-HAUSHALT VERABSCHIEDET? ...............................................................91

SCHENGEN81. WAS IST DIE SCHENGEN-ZUSAMMENARBEIT UND WARUM HEIßT SIE SO? ...................................95

82. WELCHE LÄNDER BETEILIGEN SICH AN DER SCHENGEN-ZUSAMMENARBEIT? ..............................95

83. MUSS ICH MEINEN PASS MITNEHMEN, WENN ICH IN EIN ANDERES EU-LAND REISE? ......................96

84. WAS IST EIN SCHENGEN-VISUM? ..................................................................................97

85. WELCHE INFORMATIONEN WERDEN IM RAHMEN DER SCHENGEN-ZUSAMMENARBEIT ERFASST? ........97

POLITIKBEREICHE86. WAS IST DIE GAP? ...................................................................................................99

87. WAS IST DIE LISSABON-STRATEGIE? ............................................................................ 101

88. WAS IST DER BINNENMARKT?.................................................................................... 102

89. WAS HAT KIR ROYAL MIT DEM BINNENMARKT ZU TUN? (WAREN) ......................................... 103

90. WAS HAT DER BINNENMARKT MIT DEN TRANSFERREGELN IM FUßBALL ZU TUN? (PERSONEN) ....... 105

91. WAS HABEN WETTBÜROS MIT DEM BINNENMARKT ZU TUN? (DIENSTLEISTUNGEN)..................... 106

92. WAS HAT DIE FUßBALL-WELTMEISTERSCHAFT MIT EU-WETTBEWERBSREGELN ZU TUN?(WETTBEWERB) ........................................................................................................ 107

93. KÖNNEN FÜR DIE HERSTELLUNG VON KONDOMEN STAATLICHE BEIHILFEN GEWÄHRT WERDEN?(STAATLICHE BEIHILFEN) ............................................................................................. 107

94. WAS IST DIE UMWELTGARANTIE (ABWEICHUNGSREGELUNG FÜR DEN UMWELTSCHUTZ)? ............ 108

DIE EU UND DRITTSTAATEN

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95. WAS BEINHALTET DIE GEMEINSAME AUßEN- UND SICHERHEITSPOLITIK DER EU? ....................... 110

96. WAS SIND DIE EFTA UND DER EWR? ............................................................................ 112

97. WAS SIND DIE LOMÉ-ABKOMMEN UND DAS ABKOMMEN VON COTONOU? ................................. 113

DIE EU IN ZAHLEN98. WIE VIELE MENSCHEN LEBEN IN DER EU?...................................................................... 117

99. WIE GROß IST DIE FLÄCHE DER EU? ............................................................................ 117

100. WIE HOCH IST DIE BEVÖLKERUNGSDICHTE IN DER EU?.................................................... 118

101. WIE HOCH IST DIE LEBENSERWARTUNG IN DER EU?........................................................ 119

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DIE GESCHICHTE DER EU

1. Welche Ziele und Aufgaben hat die EU?

Eine Schilderung der Ziele der EU ist vermutlich immer subjektiv, je nachdem, ob der Betreffende die EU in positivem oder negativem Licht sieht. Um diese Frage daher möglichst neutral zu beantworten, sollen hier einfach diejenigen Bestimmungen der Verträge angeführt werden, in denen auf diese Frage eingegangen wird.

Die Ziele der EU sind in Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) und Artikel 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) festgelegt.

Artikel 2 – Vertrag über die Europäische Union„Die Union setzt sich folgende Ziele: die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und eines hohen Beschäftigungsniveaus sowie die Herbeiführung einer ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung, insbesondere durch Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen, durch Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und durch Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion, die auf längere Sicht auch eine einheitliche Währung nach Maßgabe dieses Vertrags umfasst; die Behauptung ihrer Identität auf internationaler Ebene, insbesondere durch eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, wozu nach Maßgabe des Artikels 17 auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte; die Stärkung des Schutzes der Rechte und Interessen der Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten durch Einführung einer Unionsbürgerschaft; die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität der freie Personenverkehr gewährleistet ist; die volle Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstands und seine Weiterentwicklung, wobei geprüft wird, inwieweit die durch diesen Vertrag eingeführten Politiken und Formen der Zusammenarbeit mit dem Ziel zu revidieren sind, die Wirksamkeit der Mechanismen und Organe der Gemeinschaft sicherzustellen.Die Ziele der Union werden nach Maßgabe dieses Vertrags entsprechend den darin enthaltenen Bedingungen und der darin vorgesehenen Zeitfolge unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, wie es in Artikel 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft bestimmt ist, verwirklicht.“

Artikel 2 – Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft:„Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von

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Männern und Frauen, ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.“

Anmerkungen zu den Artikeln:Nichtinflationäres Wachstum bedeutet, dass Lohn- und Preissteigerungen nicht zulasten der realen Kaufkraft gehen dürfen.Konvergenz der Wirtschaftsleistungen bedeutet, dass sich die EU um die Angleichung der Wirtschaftsleistungen der Mitgliedstaaten bemühen muss.

2. Wie entstand die Europäische Union?

Die heutige EU baut auf einer Zusammenarbeit auf, die bereits 1952 mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) begann (siehe auch Frage 4). Diese auch als Montanunion bezeichnete Gemeinschaft existiert heute nicht mehr. Der Vertrag, auf dem sie beruhte, wurde auf fünfzig Jahre abgeschlossen und lief am 23. Juli 2002 aus. Allerdings hat dies für die heutige EU keine gravierenden Folgen. Die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedern wurde im Laufe der Jahre weit über die Bereiche Kohle und Stahl hinaus vertieft.

Gegründet wurde die EGKS von sechs Ländern – Frankreich, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Bundesrepublik Deutschland und Italien. Sie förderte die Zusammenarbeit bei der Produktion von Kohle und Stahl. Diese zwei Erzeugnisse spielten sowohl in der Rüstungsindustrie als auch im Handel zwischen diesen Ländern eine wichtige Rolle. Ziel war es, eine stärkere gegenseitige Abhängigkeit im Bereich Kohle und Stahl zu schaffen, um den Zusammenhalt in Europa zu stärken, zwischenstaatliche Konflikte zu vermeiden und einen dauerhaften Frieden auf dem europäischen Kontinent zu gewährleisten.

Fünf Jahre später wurde die Zusammenarbeit zwischen den sechs Ländern auf weitere Bereiche ausgedehnt. Es kamen zwei neue Gemeinschaften zur EGKS hinzu: die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) (gegründet mit dem Vertrag von Rom, siehe Frage 9) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom), die beide am 1. Januar 1958 ihre Tätigkeit aufnahmen.

Von Messina nach Rom oder: Von der EGKS zur EWGIm Jahr 1955 fand in Messina auf Sizilien eine Konferenz der Außenminister der sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) statt, auf der der Rahmen für die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen diesen Ländern beschlossen wurde. Der belgische Außenminister Paul-Henri Spaak wurde mit der Erarbeitung eines konkreten Planes beauftragt. Am 6. Mai 1956 legte er den anderen EGKS-Außenministern Entwürfe für Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Euratom vor.

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Seine Entwürfe wurden gebilligt und am 26. Juni 1956 begannen die Außenminister mit den Verhandlungen zu den beiden Verträgen. Am 25. März 1957 schließlich konnten die EGKS-Mitgliedstaaten den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) unterzeichnen.

Euratom hat die Aufgabe, „durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen“.

An vorderster Stelle unter den drei Gemeinschaften stand die EWG, deren Ziele die Schaffung einer Zollunion und eines gemeinsamen Marktes mit freiem Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr beinhaltete. Im Laufe der Zeit kamen Wettbewerbsregeln, eine gemeinsame Landwirtschafts- und Fischereipolitik, Maßnahmen zur regionalen Entwicklung usw. hinzu.

Der FusionsvertragDie ursprünglichen drei Gemeinschaften hatten früher jeweils eigene Institutionen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Durch den Fusionsvertrag, der am 1. Juli 1967 in Kraft trat, wurden die Institutionen der drei Gemeinschaften zu einheitlichen EG-Organen zusammengelegt. Wenn also im EG-Vertrag, im Euratom-Vertrag und im EU-Vertrag von der „Europäischen Kommission“ gesprochen wird, ist ein und dieselbe Institution gemeint.

Später wurde die EWG in EG umbenannt. Aus der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ wurden die „Europäischen Gemeinschaften“. Dies geschah mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht am 1. November 1993. Die Namensänderung war Ausdruck des veränderten Charakters der Zusammenarbeit, die inzwischen nicht mehr nur wirtschaftlicher Art war. Sie umfasste schrittweise auch Bereiche wie Verkehr, Steuern und Abgaben, Soziales, Beschäftigung, Bildung, Kultur, Gesundheit und Konsumentenschutz, Forschung, Umwelt und Entwicklungshilfe (siehe Frage 10).

Die Europäischen Gemeinschaften – Grundpfeiler der EUDie Bezeichnung EU (Europäische Union) wird umgangssprachlich für die Zusammenarbeit im Rahmen des EG-Vertrags, des Euratom-Vertrags und des Vertrages über die Europäische Union verwendet.

Der Vertrag von Maastricht begründete die Europäische Union und erweiterte die Kooperation durch Beschlüsse über die Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion, einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, einer sozialpolitischen Komponente usw.

In den mehr als fünfzig Jahren seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl haben sich Umfang und Form der Zusammenarbeit in der EU rapide verändert. Das jüngste Projekt der europäischen Integration ist der neue Verfassungsvertrag, der im Herbst 2004 von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet wurde und sich gerade im Ratifikationsprozess befindet. (siehe Fragen 6 und 7).

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Zweiteilung DeutschlandsAls die EGKS gegründet wurde, war Deutschland in die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland geteilt. Nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 unterzeichneten die beiden Staaten einen Einigungsvertrag, der am 3 Oktober 1990 in Kraft trat. Dieser regelte alle durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland notwendigen Veränderungen. Damit wurden die neuen deutschen Bundesländer Teil der EG.

3. Welche internationalen Organisationen gab es in Europa vor der EU?

Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (siehe Fragen 2 und 4) war nicht der erste Versuch einer stärker strukturierten Zusammenarbeit zwischen europäischen Ländern. Insbesondere nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde der Gedanke eines vereinten Europas ernsthaft diskutiert. Angestrebt wurde ein geeintes, friedliches Europa, das einen Krieg zwischen seinen Staaten von vornherein verhindern würde.

Der VölkerbundUnmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wurde durch den Versailler Vertrag der Völkerbund gegründet. Er war der erste Versuch zur Schaffung einer internationalen Organisation, die den Frieden gewährleisten und die Zusammenarbeit zwischen den Nationen fördern sollte.

Der Völkerbund stand jedoch nicht nur europäischen Ländern offen, sondern gilt als Vorläufer der Vereinten Nationen. Seine Grundlagen waren die Anerkennung der Souveränität der Mitgliedstaaten und der Gedanke, Streitfragen zwischen ihnen durch Vermittlung und Schlichtung friedlich zu lösen. Dabei gab es die Möglichkeit wirtschaftlicher Sanktionen. Dem Völkerbund gelang es jedoch nie, seine erhoffte Wirkung zu erzielen und alle Großmächte in seine Arbeit einzubeziehen. Die USA traten ihm gar nicht erst bei; die UdSSR wurde zwar Mitglied, aber dafür schied das damalige Nazideutschlandaus; und letztlich zog sich auch Japan zurück. Als der Völkerbund 1946 offiziell aufgelöst wurde, hatte er seine Funktion faktisch schon seit Jahren nicht mehr erfüllt.

Die Vereinten NationenNach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konzentrierten sich die Bemühungen um die Gründung einer Friedensorganisation zunächst auf die bereits seit 1945 bestehenden Vereinten Nationen (VN). Ihre Charta verbot die Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen. Der UN-Sicherheitsrat wurde ermächtigt, die Einhaltung dieses Verbots sicherzustellen.

Die OEECEine der ersten Initiativen im Bereich der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit war die Gründung der Organisation for European Economic Cooperation (OEEC) im Jahr 1948. Sie stand in der Tradition der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit (siehe Frage 11) unabhängiger Staaten. Ihre Hauptaufgabe war die Verwaltung der Finanzhilfe im Rahmen des Marshall-Plans, eines groß angelegten amerikanischen Programms zur Unterstützung des Wiederaufbaus im kriegszerstörten Europa. Im Jahre 1961 wurde die OEEC in die OECD umgewandelt und nahm von da an auch nichteuropäische Länder auf, darunter die USA und Japan.

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Der Haager Kongress, die Europäische Bewegung und der EuroparatNeben der Gründung der OEEC wurden noch weitere Schritte zur Förderung der europäischen Zusammenarbeit unternommen. Im Mai 1948 kamen die verschiedensten Organisationen, die sich für eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen den Ländern Westeuropas einsetzten, in Den Haag zu einem Kongress zusammen.

Als wichtigste Ziele wurden auf dem Kongress die Einrichtung einer Europäischen Versammlung, die Erarbeitung einer Charta der Menschenrechte und die Schaffung eines Gerichtshofs zum Schutz dieser Rechte proklamiert. Den Vorsitz führte der damalige britische Premier Winston Churchill. Unter den Teilnehmern befanden sich eine Reihe von Politikern, die später eine wichtige Rolle bei der Gründung der EGKS und der EWG spielten, so beispielsweise Robert Schuman (siehe Frage 4).

Im Anschluss an den Haager Kongress setzte sich die neu geschaffene Europäische Bewegung für diese Ziele ein. 1949 schließlich wurde der Europarat als Forum für eine breitere Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten gegründet (siehe Frage 35).

In den meisten westeuropäischen Ländern gab es jedoch starke Bewegungen, die sich für ein noch intensiveres Miteinander in Europa einsetzten. Ihrer Ansicht nach bot die herkömmliche internationale Zusammenarbeit keine ausreichende Grundlage für die Lösung der gravierenden wirtschaftlichen, sozialen und Sicherheitsprobleme, mit denen Europa zu jener Zeit konfrontiert war. Die Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950 und die anschließende Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (siehe Frage 4) waren das erste sichtbare Ergebnis dieser Suche nach neuen Formen der internationalen Kooperation.

4. Was ist die Schuman-Erklärung?

Die Schuman-Erklärung ist ein Text, der am 9. Mai 1950 vom damaligen französischen Außenminister Robert Schuman vorgelegt wurde. Sie gilt als „Geburtsurkunde“ der heutigen EU, da sie zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führte (siehe Frage 2). Im Wesentlichen handelte es sich dabei um einen Vorschlag zur Schaffung eines vereinten Europas, in dem enge wirtschaftliche Verbindungen friedliche Beziehungen zwischen den Ländern gewährleisten.

Hintergrund der Schuman-Erklärung waren die angespannte Atmosphäre nach dem Zweiten Weltkrieg, der Kalte Krieg und die Furcht vor einem Dritten Weltkrieg. Zu den politischen Spannungen kamen wirtschaftliche Probleme, die europäische Industrie stand wegen der Überproduktion von Stahl vor einer Krise. Es war eine weithin verbreitete Auffassung, dass Westeuropa zu neuen Kooperationsmustern übergehen müsste, um die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen meistern zu können. Der Zusammenhalt zwischen Westdeutschland und den anderen Ländern Westeuropas galt dabei als besonders wichtig.

In der Schuman-Erklärung schlug die französische Regierung vor, die französisch-deutsche Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde (Vorläuferin der Europäischen Kommission) zu unterstellen. Auch die anderen europäischen Länder sollten dieser Organisation beitreten können. Die Schuman-Erklärung brachte Bewegung in die Situation, auf einer Konferenz in Paris wurde über eine

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neue Form der internationalen Zusammenarbeit verhandelt. Am 18. April 1951 wurde schließlich in Paris der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag) unterzeichnet.

Die sechs Unterzeichnerstaaten waren Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Italien. Mit dem Inkrafttreten des EGKS-Vertrags am 23. Juli 1952 wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Realität.

Aus der Schuman-ErklärungEuropa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung : Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen. Die Vereinigung der europäischen Nationen erfordert, dass der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird. Das begonnene Werk muss in erster Linie Deutschland und Frankreich erfassen.Zu diesem Zweck schlägt die französische Regierung vor, in einem begrenzten, doch entscheidenden Punkt sofort zur Tat zu schreiten. Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offen steht.

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DIE ZUKUNFT DER EU

5. Was ist der Europäische Konvent?

Der Europäische Konvent war eine Versammlung von Vertretern der Regierungen, von Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie der nationalen Parlamente und von Vertretern aller EU-Organe. Sowohl die EU-Mitgliedstaaten als auch die Kandidatenländer waren im Konvent vertreten. Sie erarbeiteten den Entwurf einer „Verfassung für Europa“.

Die 105 Mitglieder des KonventsDer Konvent hatte 105 Mitglieder, die von den Regierungen und Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten und der Kandidatenländer sowie von den EU-Organen entsandt wurden. Außerdem waren Stellvertreter und Beobachter zugegen.

1 Vorsitzender: Valéry Giscard d’Estaing (ehemaliger französischer Staatspräsident)2 Stellvertretende Vorsitzendeje 2 Vertreter der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten (2 x 15)je 1 Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (15)je 2 Vertreter der nationalen Parlamente der Kandidatenländer (2 x 13)je 1 Vertreter der Regierungen der Kandidatenländer (13)16 Mitglieder des Europäischen Parlaments2 Vertreter der Kommission+ Stellvertreter für alle MitgliederBeobachter3 Vertreter des Wirtschafts- und Sozialausschusses3 Vertreter der Sozialpartner6 Vertreter des Ausschusses der RegionenDer Europäische Bürgerbeauftragte

Namentlich sind die Mitglieder des Konvents auf der Konvents-Website aufgeführt:http://european-convention.eu.int/Static.asp?lang=DE&Content=Composition

Der Konvent begann seine Arbeit am 28. Februar 2002 und legte seinen Entwurf für einen Verfassungsvertrag am 18. Juli 2003 dem Europäischen Rat vor. Das Dokument diente als Vorlage für eine Regierungskonferenz. Diese begann im Oktober 2003, auf der Tagung des Europäischen Rates vom 17./18. Juni 2004 nahmen die Staats- und Regierungschefs den „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ an. Allerdings ist der Verfassungsvertrag noch nicht in Kraft getreten (siehe Fragen 6 und 13).

Der Konvent befasste sich mit Problembereichen, die laut einer Erklärung im Nizza Vertrag auf einer Regierungskonferenz im Jahre 2004 zur Sprache kommen sollten, nahm sich aber auch eine Reihe anderer Themen vor. Im Grunde waren der Themenauswahl der Konventsmitglieder keine Grenzen gesetzt. Allein die Erklärung von Laeken (2001) enthielt mehr als 64 Themenbereiche für den Konvent, darunter die Rolle Europas in einer globalisierten Welt; mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz in der EU; usw.

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Die Erklärung von Laeken

Die Erklärung von Laeken ist ein zentrales Dokument für den Europäischen Konvent, da sie konkrete Vorgaben für den Konvent und seine Diskussionsthemen enthält. Sie wurde auf der Tagung des Europäischen Rates in Laeken (Belgien) am 14./15. Dezember 2001 verabschiedet.

Die Mitglieder des Konvents bildeten Arbeitsgruppen, die sich folgenden Themen detailliert widmeten: Subsidiaritätsprinzip, EU-Charta der Grundrechte, Rechtspersönlichkeit der EU, Rolle der nationalen Parlamente in der EU, Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, Wirtschaftspolitik der EU, Außenpolitik der EU, Verteidigungspolitik der EU, Vereinfachung der europäischen Rechtsetzungsverfahren, EU-Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, Soziales Europa. Hinzu kamen Arbeitskreise, die sich mit der Arbeitsweise und den Zuständigkeiten des Europäischen Gerichtshofs, dem Haushaltsverfahren und den Eigenmitteln der EU befassten.

Die Konventsmethode im neuen VerfassungsvertragDer neue Verfassungsvertrag führt die „Konventsmethode“ für Vertragsänderungen ein. Die Regierungen der Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament oder die Europäische Kommission können Vorschläge zur Änderung bestimmter Teile des Verfassungsvertrages vorlegen. Der Vorschlag darf nicht zu zusätzlichen Zuständigkeiten der EU führen.

Der Konvent prüft die Änderungsvorschläge und nimmt im Konsensverfahren eine Empfehlung an, die an eine nachfolgende Regierungskonferenz gerichtet ist. Jedoch kann der Europäische Rat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig beschließen, keinen Konvent einzuberufen, wenn dies aufgrund des Umfangs der geplanten Änderungen nicht gerechtfertigt ist. Wie bei allen Vertragsänderungen gilt, dass die Änderung erst nach Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten in Kraft tritt.

Mehr erfahren Sie auf der Website des Europäischen Konvents: http://european-convention.eu.int/

6. Wann tritt der Verfassungsvertrag in Kraft?

Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 17./18. Juni 2004 einigten sich die Mitgliedstaaten auf den neuen Verfassungsvertrag, der offiziell „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ heißt. Er wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet, ist jedoch noch nicht in Kraft getreten, da er zuvor von allen EU-Mitgliedsländern ratifiziert werden muss (siehe Frage 13).

Auch im Fall einer erfolgreichen Ratifizierung werden Teile des Vertrags erst später in Kraft treten: die neuen Regelungen zur qualifizierten Mehrheit gelten ab 1. November 2009 (siehe Frage 44) und die neuen Regelungen zur Zusammensetzung der Kommission ab 1. November 2014 (siehe Frage 45).

Einen Überblick über den Stand der Ratifizierung des Verfassungsvertrags durch die EU-Mitgliedstaaten bietet die Website des Informationsbüros des Europäischen Parlaments für Österreich www.europarl.at.

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7. Was beinhaltet der neue Verfassungsvertrag?

Der neue Verfassungsvertrag ist noch nicht in Kraft getreten, derzeit befindet er sich im Ratifikationsprozess. Im Folgenden werden die wichtigsten Fragen rund um den Verfassungsvertrag erklärt, in anderen Antworten wird auf die verschiedenen Teile des Verfassungsvertrags ausführlicher eingegangen.

Ein Vertrag in vier TeilenDie der EU zugrunde liegenden Verträge, der EG-Vertrag und der EU-Vertrag, wurden in einem einheitlichen Vertragswerk zusammengefasst – im Vertrag über eine Verfassung für Europa. Der Euratom-Vertrag wird unabhängig davon beibehalten. Der Verfassungsvertrag besteht aus einer Präambel und vier Hauptteilen. Hinzu kommen 36 Protokolle (siehe Frage 8).

Durch die Verschmelzung der Verträge wird die „Säulenstruktur“ abgeschafft; außerdem findet die Zusammenarbeit im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und im justiziellen Bereich nicht mehr auf der zwischenstaatlichen Ebene statt (siehe Fragen 11 und 12).

Die Präambel zum VerfassungsvertragDie Präambel ist sozusagen eine einleitende Erklärung zum Vertrag. Sie weist auf die universellen Werte der EU und ihre Rolle im globalen Kontext hin. Sie besagt, dass diese Werte – die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen, Demokratie, Gleichheit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit – aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas schöpfen. Die Präambel und der Verfassungsvertrag enthalten keine konkrete Bezugnahme auf das christliche Erbe Europas.

Teil I: In Teil I des Verfassungsvertrags geht es um die allgemeinen Werte der EU, ihren institutionellen Rahmen und die Aufteilung von Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten - also sozusagen um die zukünftige "Architektur" der Europäischen Union.

Teil I enthält einen Abschnitt über das demokratische Leben der Union, der unter anderem besagt, dass der Rat öffentlich tagt, wenn er über Gesetzgebungsentwürfe berät oder abstimmt (siehe Frage 38).

Eine weitere Neuerung ist die sogenannte Bürgerinitiative. Mindestens eine Million Unionsbürger aus verschiedenen Mitgliedstaaten können dadurch die Europäische Kommission auffordern, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zu machen.

Teil II: Teil II des Verfassungsvertrags besteht aus der Charta der Grundrechte der EU, die somit bei Inkrafttreten des Vertrags rechtsverbindlichen Charakter erlangt.

Die Charta wurde 1999-2000 von einem Konvent erarbeitet und vom Europäischen Rat in Nizza (Dezember 2000) in Form einer politischen Erklärung angenommen. In dieser Form ist die Charta momentan noch nicht rechtsverbindlich, d. h. EU-Bürger können auf ihrer Grundlage keine rechtlichen Schritte gegen Organe und Einrichtungen der EU oder Mitgliedstaaten setzen.

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Mit der Verfassung wird die Charta jedoch rechtlich bindender Teil der Europäischen Rechtsgrundlage. Der Verfassungsvertrag und damit auch die Charta führen aber zu keiner neuen europäischen Gesetzgebung, die über die festgelegten Zuständigkeiten der Union hinausgeht. Sie begründen daher keine neuen Zuständigkeiten und Aufgaben der EU und ändern nichts an den bestehenden.

Die Charta garantiert EU-Bürgern Grundrechte wie das Recht auf Leben, auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, das Recht auf Bildung, faire Arbeitsbedingungen usw.

Die EU und die Europäische MenschenrechtskonventionMit dem Verfassungsvertrag erhält die EU eine eigenständige Rechtspersönlichkeit neben derjenigen ihrer Mitgliedstaaten. Derzeit hat nur die EG einen solchen Status. Künftig wird die EU also in den Bereichen, in denen der Verfassungsvertrag dies vorsieht, internationale Abkommen schließen können. Sie könnte daher zum Beispiel in absehbarer Zeit der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte beitreten (siehe Frage 52).

Teil III: Teil III des Verfassungsvertrags ist sehr umfangreich, da er detaillierte Bestimmungen zu den Politikbereichen und zur Arbeitsweise der EU enthält. Dies betrifft unter anderem die Bereiche Binnenmarkt, Wirtschafts- und Währungspolitik, Steuern, Sozial- und Beschäftigungspolitik, Landwirtschaft und Fischerei, Umwelt, Konsumentenschutz und Verkehr.

Teil IV: Teil IV des Verfassungsvertrags enthält allgemeine und Schlussbestimmungen, die unter anderem das Verfahren zur Vertragsänderung regeln. So wird z. B. bei umfassenderen Änderungen standardmäßig die Konventsmethode angewandt (siehe Frage 5). Es ist aber auch ein vereinfachtes Änderungsverfahren vorgesehen, sodass nicht unbedingt eine Regierungskonferenz einberufen werden muss (siehe Frage 36).

Aufteilung von Zuständigkeiten zwischen der EU und den MitgliedstaatenDer Verfassungsvertrag überlässt es weiterhin den Mitgliedstaaten, einstimmig der EU bestimmte Kompetenzen zu übertragen. Bei der Ausübung der der Union übertragenen Zuständigkeiten gilt der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts. Die Politikbereiche der Union werden je nach Zuständigkeiten in drei Kategorien unterteilt:

1. Bereiche mit ausschließlicher ZuständigkeitIn diesen Bereichen kann die EU allein gesetzgeberisch tätig werden und rechtsverbindliche Beschlüsse fassen. Das Subsidiaritätsprinzip gilt in diesen Bereichen nicht.

Bereiche mit ausschließlicher Zuständigkeit– Zollunion– Wettbewerbsregeln, die für das Funktionieren des Binnenmarktes notwendig sind– Währungspolitik für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist– Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik– gemeinsame Handelspolitik.

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Unter bestimmten Bedingungen hat die EU auch eine ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss internationaler Übereinkünfte, zum Beispiel, wenn der Abschluss notwendig ist, damit die EU ihre interne Zuständigkeit ausüben kann.

2. Bereiche mit geteilter ZuständigkeitHier haben sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten Gesetzgebungsbefugnis, die Europäische Union wird nur ergänzend zur nationalen Rechtsetzung tätig. Die EU muss in diesen Bereichen das Subsidiaritätsprinzip gebührend berücksichtigen.

Bereiche mit geteilter Zuständigkeit– Binnenmarkt– Sozial- und Beschäftigungspolitik hinsichtlich der in Teil III genannten Aspekte– Landwirtschaft und Fischerei exkl. Erhaltung der biologischen Meeresschätze– Umwelt– Konsumentenschutz– Verkehr und transeuropäische Netze– Energie– Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts– Sicherheitsanliegen im Bereich der öffentlichen Gesundheit hinsichtlich der in Teil III genannten Aspekte

3. Bereiche für Unterstützungs-, Koordinierungs- und ErgänzungsmaßnahmenIn diesen Bereichen hat die EU lediglich die Befugnis, Rechtsvorschriften zu billigen und die Aktionen der Mitgliedstaaten zu unterstützen oder zu ergänzen. Sie kann keine Harmonisierung von Rechtsvorschriften fordern.

Bereiche für Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen– Schutz und Verbesserung der menschlichen Gesundheit– Industrie– Kultur– Tourismus– allgemeine Bildung, Jugend, Sport und berufliche Bildung– Katastrophenschutz– Verwaltungszusammenarbeit

Die Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik sowie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik fallen in keine der drei Kategorien, sondern bilden gesonderte Bereiche.

Der Verfassungsvertrag enthält eine „Flexibilitätsklausel“, die der betreffenden Klausel im EG-Vertrag entspricht (Artikel 308). Danach kann der Ministerrat einstimmig Maßnahmen erlassen, die zur Verwirklichung eines der Ziele der Verfassung erforderlich sind, auch wenn der Verfassungsvertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorsieht. In solchen Fällen macht die Europäische Kommission die nationalen Parlamente auf die betreffenden Vorschläge aufmerksam.

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Die nationalen ParlamenteDer Verfassungsvertrag ermöglicht es den nationalen Parlamenten, durch ein „Frühwarnsystem“ die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu überwachen (siehe Frage 61).

Die EU-Institutionen

Das Europäische ParlamentDas Europäische Parlament ist dem Rat im Gesetzgebungsverfahren generell gleichgestellt, da das Verfahren der Mitentscheidung zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren wird (siehe Frage 69). Überdies erhält das Europäische Parlament ein noch größeren Einfluss auf die Beschlussfassung des EU-Haushalts. Es hat jedoch keine vollständige Kontrolle über die Gesetzgebung im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Justiz. Im Justizbereich unterscheidet sich die Einflussnahme des Europäischen Parlaments je nach Themengebiet. Auf einigen Gebieten hat es lediglich ein Recht auf Anhörung, auf anderen können Rechtsakte nur mit seiner Zustimmung angenommen werden. Die Höchstgrenze für die Anzahl von Europaabgeordneten steigt von 732 auf 750 (siehe Frage 29).

Der Europäische RatLaut Verfassungsvertrag wird der Präsident des Europäischen Rates von diesem für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren gewählt. Bisher wechselte er jedes halbe Jahr (siehe Frage 38).

Der RatDas bisherige Präsidentschaftsmodell wird durch eine "Teampräsidentschaft" von drei Mitgliedstaaten für 18 Monate ersetzt. Sie führen abwechselnd den Vorsitz bei sämtlichen Ratsformationen, ausgenommen ist dabei nur der Rat „Auswärtige Angelegenheiten“. Im Prinzip ist dieses Modell somit ähnlich den geltenden Regelungen, doch es eröffnet dem Dreierteam die Möglichkeit, untereinander alternative Regelungen zu beschließen, so beispielsweise für den Fall, dass ein kleineres beteiligtes Land administrative Unterstützung benötigt.

Die KommissionGegenwärtig stellt jeder Mitgliedstaat ein Kommissionsmitglied, doch ab 2014 wird die Anzahl der Kommissare auf zwei Drittel der Anzahl der Mitgliedstaaten reduziert, außer der Europäische Rat beschließt einstimmig eine Änderung dieser Anzahl (siehe Frage 45).

Der Kommissionspräsident wird vom Europäischen Parlament gewählt. Die Liste der übrigen Kommissionsmitglieder wird vom Rat im Einvernehmen mit dem Kommissionspräsidenten angenommen. Anschließend muss die gesamte Kommission vom Europäischen Parlament in einer Abstimmung bestätigt werden.

Der EU-AußenministerDurch den Verfassungsvertrag wird das Amt eines EU-Außenministers geschaffen. Dieser trägt „zwei Hüte“: Er ist in der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten zuständig und gleichzeitig außenpolitischer Vertreter der EU. Unter anderem ist er für die bessere Koordinierung der diplomatischen Aktivitäten und für die EU-Entwicklungshilfe zuständig. Der EU-Außenminister arbeitet

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an der Festlegung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union mit und führt sie im Auftrag des Rates durch (siehe Frage 41).

Der Europäische GerichtshofDurch den neuen Verfassungsvertrag hat der Europäische Gerichtshof die allgemeine Zuständigkeit für den gesamten Vertrag, wenn nicht ausdrücklich anders festgelegt. Von seiner Zuständigkeit ausgenommen sind die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und ein Großteil der polizeilichen Zusammenarbeit. So kann der Gerichtshof beispielsweise nicht die Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von nationalen Polizeimaßnahmen, die unter das nationale Recht fallen, prüfen.

Vorschriften und Beschlussfassungsverfahren

Die Grundsätze der Subsidiarität und der VerhältnismäßigkeitDie Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gelten unverändert weiter. Neu ist ein Verfahren zur Einbeziehung der nationalen Parlamente, damit die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips gewährleistet wird (siehe Frage 61).

Das ordentliche GesetzgebungsverfahrenDas ordentliche Gesetzgebungsverfahren, das dem bisherigen Mitentscheidungsverfahren entspricht, kommt immer zur Anwendung, ausser der Vertrag sieht das anders vor, z. B. im Bereich der GASP (siehe Frage 95). In einigen Bereichen erfolgt ein Übergang von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit. In mehreren Politikbereichen erhält das Europäische Parlament ein größeres Mitspracherecht.

Ausweitung der Abstimmung mit qualifizierter MehrheitDie qualifizierte Mehrheit wird durch den Verfassungsvertrag zum wichtigsten Beschlussfassungsverfahren im Rat. Sie ist verbindlich vorgeschrieben, ausser der Vertrag sieht ausdrücklich eine andere Bestimmung vor, zum Beispiel Einstimmigkeit. Eine Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit wird in ca. 80 % aller Politikbereiche erfolgen, dies ist gegenüber heute eine erhebliche Zunahme.

Mit Wirkung vom 1. November 2009 wird laut Verfassungsvertrag auch eine neue Definition der „qualifizierten Mehrheit“ gelten (siehe Frage 43).

„Übergangsklauseln“Der Verfassungsvertrag enthält zwei sogenannte Übergangsklauseln. Erstens kann der Europäische Rat in Fällen, in denen normalerweise Einstimmigkeit erforderlich ist, einstimmig die Anwendung der qualifizierten Mehrheit beschließen. Zweitens kann er in Bereichen, in denen das besondere Gesetzgebungsverfahren vorgeschrieben ist, die Anwendung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beschließen.

Neue BestimmungenDer Verfassungsvertrag ändert das geltende Legislativsystem und führt sechs neue Arten von Rechtsakten ein: Europäische Gesetze und Europäische Rahmengesetze als Rechtsakte mit

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Gesetzescharakter sowie Europäische Verordnungen und Europäische Beschlüsse als Rechtsakte ohne Gesetzescharakter. Hinzu kommen Empfehlungen und Stellungnahmen (siehe Frage 62).

Die Finanzen der EUDer mehrjährige Finanzrahmen der EU wird derzeit gemeinsam von der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat erstellt. Der Verfassungsvertrag sieht ein neues Verfahren zur Aufstellung des jährlichen Haushaltsplans vor, bei dem der Rat und das Europäische Parlament gleichberechtigt entscheiden und die Trennung nach obligatorischen und nicht obligatorischen Ausgaben wegfällt (siehe Frage 80).

Gemeinsame Außen- und SicherheitspolitikDer Verfassungsvertrag ändert nichts daran, dass Europäische Beschlüsse zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik vom Europäischen Rat und vom Ministerrat einstimmig getroffen werden müssen (siehe Frage 95).

JustizpolitikDie im Verfassungsvertrag vorgesehene Abschaffung der Säulenstruktur betrifft auch die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Diese findet bisher im Rahmen der dritten Säule statt (siehe Fragen 11 und 12). Die Kooperation im Bereich Justiz wird sich dadurch grundlegend ändern.

Allerdings werden spezielle Formen der Zusammenarbeit in diesem Bereich in einigen Fällen fortgesetzt. Dort werden die Beschlussfassungsverfahren vom ordentlichen Gesetzgebungsverfahren abweichen. Ebenso bleibt das Einstimmigkeitsprinzip in bestimmten Bereichen aufrecht, zum Beispiel bei grenzüberschreitenden Maßnahmen.

Der Verfassungsvertrag bildet die Basis für eine einheitliche Politik in Asyl- und Einwanderungsfragen, weshalb im Asylbereich keine „Mindestvorschriften“ mehr vorgesehen sind. Stattdessen sollen Europäische Gesetze oder Rahmengesetze erlassen werden.

Europäische StaatsanwaltschaftLaut Verfassungsvertrag kann der Rat einstimmig die Einsetzung einer Europäischen Staatsanwaltschaft beschließen. Deren Hauptaufgabe ist die Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union. Die Staatsanwaltschaft soll zuständig sein für die strafrechtliche Untersuchung und Verfolgung sowie Anklageerhebung in Bezug auf Personen, die derartige Straftaten begangen haben. Dabei wird sie vor den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahrnehmen.

Neue SolidaritätsklauselDer Verfassungsvertrag enthält eine neue Solidaritätsklausel Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten und die EU, gemeinsam solidarisch zu handeln, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag oder von

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einer Naturkatastrophe oder von einer von Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Die EU mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, auch militärische Mittel, um beispielsweise terroristische Bedrohungen abzuwenden und die Zivilbevölkerung vor etwaigen Terroranschlägen zu schützen. Allerdings entscheidet jeder Mitgliedstaat selbst, welche Art von Mitteln er bereitstellt.

Verstärkte ZusammenarbeitDer Verfassungsvertrag behält die derzeit geltenden Prinzipien bei, die für die Gründung einer Verstärkten Zusammenarbeit zwischen mehreren Mitgliedstaaten im Rahmen der EU gelten. Eine solche Zusammenarbeit muss immer im Sinne der Ziele der Europäischen Union sein, daher soll sie allen Mitgliedstaaten offen stehen. Sie soll nur als letztes Mittel angewandt werden, mindestens ein Drittel der Mitgliedstaaten muss daran beteiligt sein.

Verfahren für den freiwilligen Austritt aus der EUIm Verfassungsvertrag ist ein Verfahren für den freiwilligen Austritt aus der EU festgelegt (siehe Frage 20).

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DIE VERTRAGSBESTIMMUNGEN

8. Was ist ein Vertrag? Nicht nur Privatpersonen und Unternehmen schließen Verträge. Ein Vertrag ist auch eine rechtsverbindliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Ländern. In den Verträgen, die zwischen den EU-Mitgliedstaaten geschlossen wurden, sind unter anderem die Ziele, Zuständigkeiten, politischen und rechtlichen Instrumente der EU dargelegt. Die Verträge sind die Basis für das gesamte EU-Recht. Alle EU-Rechtsvorschriften – Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Beschlüsse usw. –müssen inhaltlich und vom Entscheidungsprozess her den Verträgen entsprechen.

Einem Vertrag wird oft eine Präambel vorangestellt, die Sinn und Zweck der Vereinbarung darlegt. Die eigentlichen Vertragsbestimmungen sind in numerierten Abschnitten angeordnet, den Artikeln.

Häufig ergänzen Protokolle und Erklärungen den eigentlichen Vertrag. Erklärungen sind politisch, aber nicht rechtlich bindende Dokumente. Daher handelt es sich bei Erklärungen normalerweise um Stellungnahmen oder Erläuterungen zu konkreten Fragen. Eine Erklärung kann von allen EU-Mitgliedern gemeinsam getragen werden, aber auch ein einzelnes Land kann eine Erklärung zu einer bestimmten Angelegenheit abgeben.

Protokolle sind im Gegensatz zu Erklärungen auch rechtsverbindlich. Sie können nur durch eine Vertragsänderung geändert werden. So sind beispielsweise die Sitze der Organe und Einrichtungen der EU in einem Protokoll festgelegt (siehe auch Frage 27).

9. Auf wie vielen Verträgen beruht die Zusammenarbeit in der EU?

Die Zusammenarbeit in der EU beruht auf mehreren Verträgen:

1. Der EG-Vertrag - Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Vertrag von Rom)Dieser Vertrag wurde von den sechs Gründungsmitgliedstaaten am 25. März 1957 in Rom unterzeichnet und ist daher auch als Vertrag von Rom bekannt. Er trat am 1. Jänner 1958 in Kraft. Ursprünglich trug dieser Vertrag die Bezeichnung EWG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft). Mit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht wurde er in EG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) umbenannt. Der EG-Vertrag enthält Bestimmungen zur supranationalen Zusammenarbeit in der EU (siehe Frage 11).

2. Der EU-Vertrag - Vertrag über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht)Dieser Vertrag wurde am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnet und ist daher auch als Vertrag von Maastricht bekannt. Er trat am 1. November 1993 in Kraft und enthält Bestimmungen zur zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in der EU (siehe Frage 11).

3. Der Euratom-Vertrag - Vertrag zur Gründung der Europäischen AtomgemeinschaftAm 25. März 1957 in Rom unterzeichnet, trat er am 1. Januar 1958 in Kraft.

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Diese „alten“ Verträge wurden mehrmals geändert oder ergänzt, doch die Vertragsnovellen zählen selbst nicht zu den Grundverträgen. So sind beispielsweise die Einheitliche Europäische Akte und die Verträge von Amsterdam und Nizza keine Grundverträge. Sie ändern oder ergänzen lediglich die Bestimmungen des EG- bzw. EU-Vertrags. Außerdem werden zwischen alten und neuen EU-Mitgliedstaaten Beitrittsverträge geschlossen.

Der EGKS-VertragZu den grundlegenden Verträgen zählte auch der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die Vorläuferin der EU. Dieser Vertrag wurde am 18. April 1951 in Paris unterzeichnet und trat am 25. Juli 1952 in Kraft. Da er jedoch nur auf 50 Jahre geschlossen wurde, lief er am 23. Juli 2002 aus.

Im neuen Verfassungsvertrag1 (siehe Fragen 6 und 7) wurden die verschiedenen Verträge zu einem einheitlichen Vertragswerk zusammengefasst, um die Vertragsbestimmungen der EU transparenter zu machen. Der Euratom-Vertrag wurde jedoch als unabhängiger Vertrag beibehalten.

10. Wann wurde für die EG die Bezeichnung EU eingeführt?

Die EG (Europäische Gemeinschaft) wurde in EU (Europäische Union) umbenannt, als am 1. November 1993 der Vertrag über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht) in Kraft trat.

In Maastricht schlug die Geburtsstunde der EU. Der Vertrag über die Europäische Union bildet zusammen mit dem Euratom-Vertrag die Grundlage für die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene (siehe Frage 9). „EU-Zusammenarbeit“ ist ein Sammelbegriff für alle Tätigkeiten im Rahmen dieser Verträge.

11. Was ist der Unterschied zwischen zwischenstaatlicher und supranationaler Zusammenarbeit?

Die EU-Mitgliedstaaten arbeiten auf unterschiedliche Art und Weise zusammen. In der EU gibt es prinzipiell zwei Kooperationsformen, die unterschiedliche Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten mit sich bringen. Die Art der Zusammenarbeit hängt davon ab, welcher Vertrag die Ausgangsbasis bildet.

Ein charakteristisches Merkmal der EU ist die supranationale Zusammenarbeit. „Supranational“ bedeutet, dass die EU Rechtsvorschriften erlassen kann, die für die Mitgliedstaaten und damit auch für deren Bürger unmittelbar bindend sind. Eine solche supranationale Kooperation auf EU-Ebene gibt es beispielsweise in den Bereichen Binnenmarkt, Landwirtschaft und Fischerei. Für diese Form der Zusammenarbeit ist der EG-Vertrag maßgebend (siehe Frage 9).

1 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Daneben besteht die zwischenstaatliche Zusammenarbeit als traditionelle Form der internationalen Kooperation. Zwischenstaatlich gefasste Beschlüsse gelten nur für die jeweils beteiligten Länder. Sie müssen von den nationalen Parlamenten - in Österreich vom Nationalrat - bestätigt werden, bevor sie unmittelbar bindend sind.

Die Zusammenarbeit auf der zwischenstaatlichen Ebene gilt in Politikbereichen, in denen es Ländern schwer fallen könnte, so enge Bindungen einzugehen wie bei der supranationalen Zusammenarbeit. Beispiele sind die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Für diese Form der Zusammenarbeit ist der EU-Vertrag maßgebend (siehe Frage 9).

12. Was sind die drei Säulen der EU?

Der Ausdruck „drei Säulen“ soll verdeutlichen, in welchen Bereichen die verschiedenen Kooperationsformen der EU zur Anwendung kommen und welche Vertragsbestimmungen dafür jeweils gelten. Um dies zu demonstrieren, wurde das Bild eines typischen griechischen Tempels gewählt, dessen drei Säulen die einzelnen Politikbereiche symbolisieren. Die drei Säulen haben ein gemeinsames Dach und ein gemeinsames Fundament.

Die erste Säule steht für die supranationale Zusammenarbeit (siehe Frage 11). Grundlage für diese Form der Zusammenarbeit ist der EG-Vertrag. Es werden EU Rechtsvorschriften (siehe Frage 62) erlassen, die für die EU-Bürger unmittelbar bindend sind. Die zweite und die dritte Säule symbolisieren die Bereiche der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit (siehe Frage 11). Dabei steht die zweite Säule für die Außen- und Sicherheitspolitik und die dritte Säule für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen.

Das „Dach“ besteht aus den Rechtsvorschriften, die allen drei Politikbereichen gemeinsam sind. Diese übergreifenden Bestimmungen betreffen beispielsweise die Organe und Einrichtungen der EU wie Rat, Kommission usw. Das gemeinsame „Fundament“ für die drei Säulen bilden die Bestimmungen zur Änderung der Verträge, zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten usw.

Der Verfassungsvertrag schafft die Säulenstruktur abDer neue Verfassungsvertrag2 (siehe Fragen 6 und 7) schafft die Säulenstruktur ab. Es gelten jedoch spezielle Bestimmungen für Bereiche der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Dies betrifft die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

1. Säule: Die Europäischen GemeinschaftenZollunion, WWU und Binnenmarkt, Agrarpolitik und Handelspolitik- Verkehr- Bildung und Kultur- Verbraucherschutz

2 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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- Gesundheit- Forschung und Umwelt- Beschäftigung- Sozialpolitik- Asylpolitik- Grenzkontrollen- EinwanderungspolitikSupranationale Zusammenarbeit

2. SäuleGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (siehe Frage 11)Zwischenstaatliche Zusammenarbeit

3. SäulePolizeiliche Zusammenarbeit und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen- Zusammenarbeit in Strafsachen- Polizeiliche Zusammenarbeit- Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit- Bekämpfung von Drogen- und Waffenhandel- Bekämpfung der organisierten Kriminalität- Bekämpfung des Terrorismus- Bekämpfung des Menschenhandels und der Straftaten gegenüber Kindern

Zwischenstaatliche Zusammenarbeit

13. Was bedeutet Ratifizierung?

Ratifizierung bedeutet, dass ein Land einem internationalen Abkommen unwiderruflich beitritt. Dies geschieht durch Hinterlegung eines besonderen Dokuments an einem von den betreffenden Ländern vereinbarten Ort. Mit der sogenannten Ratifikationsurkunde bestätigt eine Regierung, dass sie den Vertrag einhalten wird. Die Ratifikationsurkunden für die EU-Verträge müssen in Rom hinterlegt werden.

Bei der Verhandlung internationaler Verträge bemühen sich die Regierungen zunächst um eine politische Einigung über den Text. Dieser kann zwar in gewissem Maße bindend sein, Rechtskraft erhält das Abkommen aber erst durch die Ratifizierung. Die beteiligten Länder müssen den Vertrag nochmals bestätigen, je nach nationaler Verfassung geben beispielsweise die nationalen Parlamente ihre Zustimmung oder es werden Volksabstimmungen abgehalten.

Der neue Verfassungsvertrag (siehe Fragen 6 und 7) wird nur rechtsgültig, wenn er von allen EU-Mitgliedsländern ratifiziert wird.

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Ratifikation des Vertrags von NizzaAls die Iren in einem Referendum den Vertrag von Nizza ablehnten, war dessen Existenz gefährdet. Er konnte ja nur nach der Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten in Kraft treten. Bei einem nochmaligen Referendum in Irland stimmte jedoch die Mehrheit der Bevölkerung für den Vertrag (siehe Frage 21).

Im Vertrag von Nizza war als Termin für das Inkrafttreten der erste Tag des zweiten Monats nach Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde angegeben. Die irische Regierung hinterlegte ihre Ratifikationsurkunde als letzter Mitgliedstaat am 18. Dezember 2002, womit der Vertrag von Nizza am 1. Februar 2003 in Kraft treten konnte.

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DIE MITGLIEDSTAATEN / ERWEITERUNG

14. Welche Länder sind Mitglied der EU und seit wann?

Die EU besteht derzeit aus siebenundzwanzig Mitgliedstaaten.

EU-Mitgliedstaat Jahr des EU-Beitritts

Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg

(1952)

Dänemark, Irland und Vereinigtes Königreich (1973)

Griechenland (1981)

Spanien und Portugal (1986)

Österreich, Finnland und Schweden (1995)

Tschechische Republik, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien und Slowakei

(2004)

Bulgarien und Rumänien (2007)

Kroatien und die Türkei sind Beitrittskandidaten, die Beitrittsverhandlungen mit ihnen wurden am 3. Oktober 2005 eröffnet. Im Dezember 2005 hat die Europäische Kommission der ehemaligen

jugoslawischen Republik Mazedonien den Status eines Beitrittslandes verliehen, die Beitrittsverhandlungen haben aber noch nicht begonnen.

Alle anderen westlichen Balkanländer sind potenzielle Bewerber: Albanien , Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Serbien einschließlich des Kosovo im Sinne der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats. Die EU hat sich wiederholt auf höchster politischer Ebene zur EU-Mitgliedschaft der westlichen Balkanländer bekannt, sofern diese die Beitrittskriterien erfüllen. (siehe Frage 25).

15. Wann begannen die Verhandlungen zu den EU-Erweiterungen 2004/2007?

Am 1. Mai 2004 nahm die EU zehn neue Mitgliedstaaten auf (siehe Frage 14), am 1. Jänner 2007 kamen Bulgarien und Rumänien dazu. Die Zahl der Mitgliedstaaten stieg von 15 auf 27 und die Zahl der EU-Bürger von rund 380 Mio. auf rund 495 Mio. (siehe auch Frage 98). Neue Erweiterungen sind geplant (siehe Frage 25).

Der erste offizielle Schritt zu diesen Erweiterungsrunden erfolgte 1993 beim Europäischen Rat in Kopenhagen. Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten eine Reihe von politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, die von allen künftigen EU-Mitgliedern zu erfüllen waren – die so genannten Kopenhagener Kriterien (siehe Frage 24).

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Der nächste große Schritt erfolgte im Dezember 1997 beim Europäischen Rat in Luxemburg, dort wurden elf von dreizehn Bewerber als Kandidaten akzeptiert. Auch wurde die Einleitung des Beitrittsverfahrens für diese Länder beschlossen. Türkei und Malta wurden nicht als Kandidatenländer bestätigt. Die Türkei erfüllte nach Ansicht der EU noch nicht alle notwendigen Kriterien, Malta hatte seinen Beitrittsantrag 1996 ausgesetzt.

Beschlossen wurde die Aufnahme konkreter Beitrittsverhandlungen mit sechs Kandidatenländern, nämlich Zypern, Estland, Ungarn, Polen, Tschechische Republik und Slowenien. Mit Bulgarien, Lettland, Litauen, der Slowakei und Rumänien waren zwar noch keine Verhandlungen vorgesehen, doch der Luxemburger Gipfel entschied sich für eine Festigung der Beziehungen zu diesen Ländern. Damit sollten möglichst baldige Verhandlungen vorbereitet werden. Im Dezember 1999 beschloss dann der Europäische Rat in Helsinki die Aufnahme konkreter Verhandlungen auch mit diesen fünf Ländern sowie mit Malta. Malta hatte inzwischen seine Bewerbung erneuert.

Auf dem Gipfel von Helsinki wurde 1999 auch die Türkei als Kandidatenland anerkannt, doch kam es nicht zu konkreten Beitrittsverhandlungen, da die Türkei die Kopenhagener Kriterien nicht erfüllte. Die Voraussetzungen für den Beginn von Verhandlungen waren daher nicht gegeben.

Von Kopenhagen nach KopenhagenDie Kopenhagener Tagung des Europäischen Rates am 12./13. Dezember 2002 markierte den Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Zypern, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik und Ungarn. Am 1. Mai 2004 wurden diese Länder Mitgliedstaaten der EU, nachdem die meisten von ihnen Referenden durchgeführt hatten (siehe Frage 21). Als Ziel für Rumänien und Bulgarien beschloss der Europäische Rat in Kopenhagen die voraussichtliche Aufnahme in die EU im Jahre 2007. Und der Rat der Europäischen Union hat im Dezember 2006 auf Basis einer Empfehlung der Europäischen Kommission dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens mit 1. Jänner 2007 zugestimmt.

Türkei – ein Termin für einen TerminDer Europäische Rat entschied im Dezember 2002 in Kopenhagen, dass die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ohne Verzug eröffnen werde, wenn der Europäische Rat im Dezember 2004 entscheiden würde, dass die Türkei die Kriterien von Kopenhagen erfüllt. Diese Entscheidung basiert auf der Grundlage eines Berichts und einer Empfehlung der Europäischen Kommission.

Die Europäische Kommission veröffentlichte ihren Bericht am 6. Oktober 2004 und empfahl darin Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Allerdings enthielt der Bericht auch Empfehlungen für Kontrollmechanismen und für eine Klausel, die den Abbruch der Verhandlungen für den Fall ermöglicht, dass die Türkei die Menschenrechte missachtet. Auf der Grundlage der Empfehlung der Europäischen Kommission beschloss der Europäische Rat im Dezember 2004, am 3. Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu eröffnen (siehe Frage 24).

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ZypernZypern ist seit 1974 in einen griechischen und einen türkischen Teil gespalten. Nur der griechisch-zypriotische Teil der Insel ist international als Republik Zypern anerkannt. Im Norden der Insel wurde 1983 die Türkische Republik Nordzypern als unabhängiger Staat ausgerufen. Diese wird jedoch nur von der Türkei anerkannt.Die Republik Zypern bewarb sich 1990 um die EU-Mitgliedschaft. Der Europäische Rat beschloss im Dezember 2002 in Kopenhagen, dass die EU-Rechtsvorschriften im türkisch-zypriotischen Teil keine Anwendung finden würden, falls bis 1. Mai 2004 keine Lösung für das Zypernproblem gefunden werde. Diese Festlegung sollte solange gelten, bis der Europäische Rat einstimmig einen neuen Beschluss fasst.In einem von UN-Generalsekretär Kofi Annan Ende März 2004 vorgelegten Friedensplan wurde die Schaffung einer Vereinigten Republik Zypern vorgeschlagen, in der Nord- und Südzypern als zwei autonome Staaten eine Föderation bilden sollten. Am 24. April 2004 wurden im Nord- und Südteil der Insel separate Volksbefragungen zur Wiedervereinigung Zyperns durchgeführt. Zur Annahme des UN-Plans war bei beiden Referenden eine Mehrheit erforderlich. In Nordzypern stimmte eine Mehrheit von 65 % dafür, während rund 75 % der griechischen Zyprioten den Plan ablehnten. So ist Zypern nach wie vor geteilt und nur der Südteil der Insel gehört der EU an. Türkische Zyprioten können jedoch einen EU-Pass beantragen.

16. Gehört Gran Canaria zur EU?

Ja – Gran Canaria gehört zur EU, weil Spanien EU-Mitglied ist. Im Art. 299 des EG-Vertrages heißt es: „Dieser Vertrag gilt für die französischen überseeischen Departements, die Azoren, Madeira und die Kanarischen Inseln.“

Die EU in der KaribikBei den französischen überseeischen Departements handelt es sich um die Inseln Réunion, Guadeloupe und Martinique sowie Französisch-Guayana; es gehören also auch Teile des karibischen Archipels zum Gebiet der EU.

Allerdings besagt dieser Artikel auch, dass der Rat für diese Regionen spezifische Maßnahmen in Bereichen wie Zoll- und Handelspolitik und Steuerpolitik beschließen kann. So sollen die geographischen Besonderheiten dieser Gebiete berücksichtigt werden. Daher gelten für Gran Canaria besondere Zollbestimmungen. Dort ist zollfreier Handel noch möglich, obwohl der zollfreie Einkauf bei Reisen zwischen den EU-Staaten grundsätzlich abgeschafft wurde.

17. In welcher Beziehung steht Grönland zur EU?

Grönland und die Färöer-Inseln gehören zum Königreich Dänemark. Aufgrund ihrer nationalen, kulturellen und geografischen Besonderheiten genießen sie ein hohes Maß an Selbstbestimmung.

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Dänemark wurde am 1. Januar 1973 EU-Mitglied.

Seit 1948 sind die Färöer autonom, und als Dänemark dem EWR beitrat, beschloss die färöische Regierung, sich dem nicht anzuschließen. Die Färöer haben mit der EU ein Fischereiabkommen und ein Handelsabkommen abgeschlossen, obwohl sie nicht Mitglied des EWR sind.

Grönland erlangte die Selbstverwaltung erst 1979 und wurde daher Mitglied der EG, als Dänemark ihr beitrat. 1982 fand im autonomen Grönland ein Referendum über die EG-Mitgliedschaft statt. An dem Referendum beteiligten sich 74,9 % der Wähler. 53 % befürworteten einen Austritt aus der EG. Nach seinem Austritt erreichte Grönland eine Sonderregelung in der Fischerei und gehört zu den so genannten Überseeischen Ländern und Gebieten, die mit der EU assoziiert sind, d. h. zu ihr in einer Sonderbeziehung stehen (siehe Frage 19).

18. Ist Norwegen Mitglied der EU?

Norwegen ist nicht Mitglied der EU, arbeitet jedoch im Rahmen des EWR (siehe Frage 96) eng mit ihr zusammen.

Ursprünglich hatte Norwegen bereits 1962 die EG-Mitgliedschaft angestrebt. Aufgrund der ablehnenden Haltung des damaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle gegenüber einer britischen EG-Mitgliedschaft waren aber die Verhandlungen mit sämtlichen Bewerbern (Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen) zum Erliegen gekommen. Später führte Norwegen zweimal Beitrittsverhandlungen mit der EU und unterzeichnete Beitrittsverträge, die jedoch von der norwegischen Regierung nicht ratifiziert werden konnten (siehe Frage 13). Bei den Referenden zum EU-Beitritt stimmte die Mehrheit der Wähler jedes Mal dagegen.

Norwegen bewarb sich 1972 zusammen mit Dänemark, Großbritannien und Irland und dann noch einmal 1994 im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung, bei der Schweden, Finnland und Österreich beitraten.

Norwegische Referenden zum EU-Beitritt

Datum Ja Nein Beteiligung

25. September 1972 46,7 % 53,3 % 79,2 %

28. November 1994 47,8 % 52,2 % 89 %

19. Was haben die Bermudas mit der EU zu tun?

Die Bermudainseln sind eines der „assoziierten Gebiete“, zu denen die EU besondere Beziehungen unterhält. Dies gilt übrigens auch für Grönland (siehe Frage 17). Zugleich zählen die Bermudas zu den so genannten überseeischen Ländern und Gebieten (abgekürzt ÜLG). Zu diesen Ländern und Gebieten bestehen schon seit Gründung der EG besondere Beziehungen. Ihr besonderer Status ist im EG-Vertrag

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verankert. Die ÜLG sind nicht Teil der EU, gehören jedoch verfassungsmäßig zu vier EU-Mitgliedstaaten, Dänemark, Frankreich, Vereinigtes Königreich und Niederlande.

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Mit der Assoziation wird das Ziel verfolgt, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in diesen Ländern und Gebieten zu fördern und enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen ihnen und den EU-Ländern aufzubauen.

Die überseeischen Länder und Gebiete sind nicht mit den AKP-Staaten (siehe Frage 97) zu verwechseln.

Überseeische Länder und Gebiete— Grönland— Neukaledonien und Nebengebiete— Französisch-Polynesien— Französische Süd- und Antarktisgebiete—Wallis und Futuna— Mayotte— St. Pierre und Miquelon— Aruba— Niederländische Antillen: Bonaire, Curaçao, Saba, Sint Eustatius, Sint Maarten— Anguilla— Kaymaninseln— Falklandinseln— Südgeorgische und Südliche Sandwichinseln— Montserrat— Pitcairn— St. Helena und Nebengebiete— Britisches Antarktis-Territorium— Britisches Territorium im Indischen Ozean— Turks- und Caicosinseln— Britische Jungferninseln— Bermudas

20. Kann ein Land aus der EU austreten oder ausgeschlossen werden?

Ein Austritt aus der EU ist tatsächlich möglich, erfordert jedoch grundsätzlich die Zustimmung aller Mitgliedstaaten.

Die derzeitigen Vertragsbestimmungen sehen zwar kein konkretes Austrittsverfahren vor, doch hat Grönland ein Beispiel gesetzt, als es 1985 die EU verließ (siehe Frage 17). Der neue Verfassungsvertrag3 enthält eine für alle Mitgliedstaaten geltende Austrittsregelung (siehe Fragen 6 und 7) und sieht ein entsprechendes Verfahren vor.

Kein Land kann aus der EU ausgeschlossen werden. Möglich ist jedoch die Aussetzung bestimmter Rechte eines Landes in der EU einschließlich seines Stimmrechts im Rat. Dies kann geschehen, wenn eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der grundlegenden Werte der EU vorliegt: Freiheit, Demokratie, Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit. Auf diese Weise wird die Anwendung und Befolgung der EU-Vorschriften sichergestellt.21. Welche Referenden zur EU gab es bisher in den EU-Mitgliedstaaten?

3 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Irland und Dänemark sind Spitzenreiter, wenn es um Referenden zur EU geht. Diese beiden Länder haben insgesamt jeweils sechs Volksabstimmungen zu Europäischen Themen abgehalten. Auch in den übrigen EU-Mitgliedstaaten fanden Volksbefragungen zu verschiedenen Themen statt.

Jahr Thema Ja Nein Beteiligung

Dänemark1972 EU-Beitritt Dänemarks 63,4 % 36,6 % 90,1 %1986 Einheitliche Europäische

Akte56,2 % 43,8 % 75,4 %

1992 Vertrag von Maastricht 49,3 % 50,7 % 83,1 %1993 Vertrag von Maastricht 56,7 % 43,3 % 86,5 %1998 Vertrag von Amsterdam 55,1 % 44,9 % 76,2 %2000 Euro Einführung in

Dänemark46,8 % 53,2 % 87,6 %

Finnland1994 EU-Mitgliedschaft Finnlands 56,9 % 43,1 % 74,0 %

1994 EU-Beitritt der Åland-Inseln 73,6 % 26,4 % 49,1 %Frankreich1972 EG-Erweiterung durch

Beitritt Dänemarks, Irlands und des Vereinigten Königreichs

68,32%

31,68%

60,24 %

1992 Vertrag von Maastricht 51,05%

48,95%

69,70 %

Irland1972 EG-Mitgliedschaft Irlands 83,1 % 16,9 % 70,9 %1987 Einheitliche Europäische

Akte69,9 % 30,1 % 43,9 %

1992 Vertrag von Maastricht 69,1 % 30,9 % 57,3 %1998 Vertrag von Amsterdam 61,7 % 38,3 % 56,2 %2001 Vertrag von Nizza 46,1 % 53,9 % 34,8 %2002 Vertrag von Nizza 62,89

%37,11%

49,47 %

Schweden1994 EU-Mitgliedschaft

Schwedens52,8 % 47,2 % 83,3 %

2003 Euro Einführung 42,0 % 55,9 % 82,6 %Vereinigtes Königreich1975 Verbleib in der EG 67,2 % 32,8 % 64 %Österreich1994 EU-Mitgliedschaft

Österreichs66,6 % 33,4 % 81,3 %

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Referenden zum EU-Beitritt in den Ländern, die am 1. Mai 2004 beitraten

Land Datum Ja Nein Beteiligung

Tschechische

Republik

13./14. Juni 2003 77,33 % 22,67 % 55,21 %

Estland 14. September 2003 66,83 % 33,17 % 64,06 %

Lettland* 20. September 2003 67 % 32,30 % 72,53 %

Litauen 10./11. Mai 2003 91,07 % 8,93 % 63,37 %

Ungarn 12. April 2003 83,76 % 16,24 % 45,62 %

Malta 8. März 2003 53,65 % 46,35 % 91 %

Polen 7./8. Juni 2003 77,45 % 22,55 % 58,85 %

Slowenien 23. März 2003 89,61 % 10,39 % 60,29 %

Slowakei 16./17. Mai 2003 92,46 % 6,20 % 52,15 %

* In Lettland waren 0,8 % der abgegebenen Stimmen ungültig.Zum Referendum in Zypern siehe Kasten bei Frage 14.

22. Welche Übergangsregelungen gelten für die neuen EU-Mitgliedstaaten?

Eine Voraussetzung für den EU-Beitritt ist die Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus der Gesamtheit der Gesetze und Verordnungen der EU ergeben, dem so genannten „gemeinschaftlichen Besitzstand“ (siehe auch Frage 70). Im Prinzip müssen also die neuen Mitgliedstaaten von Anfang an sämtliche EU-Rechtsvorschriften anwenden. Nach einer gemeinsamen Untersuchung mit der Kommission und anschließenden Verhandlungen legten die neuen Mitgliedstaaten und die EU jedoch Bereiche fest, in denen eine vollständige Anwendung des vorhandenen EU-Rechtsbestands ab 1. Mai 2004 noch nicht möglich war. Dabei wurden zwischen den einzelnen Ländern und der EU bestimmte Übergangsregelungen vereinbart.

Die Übergangsregelungen befinden sich im Anhang der jeweiligen Beitrittsverträge. Alle Dokumente (insgesamt 988 Seiten) zum Beitritt der neuen EU-Mitgliedstaaten am 1. Mai 2004 wurden im Amtsblatt L 236 vom 23. September 2003 veröffentlicht. Dort können die jeweiligen Übergangsbestimmungen für alle zehn Länder nachgelesen werden.

Freizügigkeit der ArbeitnehmerFür die Arbeitnehmer-Freizügigkeit gelten spezielle Übergangsregelungen. Es wurde den Ländern selbst überlassen, die entsprechenden EU-Regelungen entweder sofort anzuwenden oder von Übergangsregelungen Gebrauch zu machen. Die maximale Anwendungsdauer der Übergangsregeln beträgt sieben Jahre. Die einzelnen Länder haben sehr unterschiedliche Regelungen gewählt.

Dabei wird die Formel "2+3+2" eingesetzt, von der Malta und Zypern allerdings ausgenommen sind. Die fünfzehn alten EU-Länder und die neuen EU-Mitgliedstaaten können in den ersten beiden Jahren nach dem Beitritt ihre nationalen Vorschriften

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beibehalten, die zum Zeitpunkt des Beitritts galten. Die EU-Bestimmungen über die Arbeitnehmer-Freizügigkeit müssen nicht sofort angewendet werden.

Nach diesen zwei Jahren muss jedes Land der Kommission mitteilen, ob es die Übergangsregelungen für maximal drei weitere Jahre weiter anwenden will. Wenn in einem Land nach diesen drei Jahren erhebliche Störungen auf dem Arbeitsmarkt bestehen oder drohen, kann die Kommission eine nochmalige zweijährige Anwendung der nationalen Bestimmungen genehmigen.

23. Was sagt der Vertrag über das Verfahren zur EU-Erweiterung aus?

Vertrag über die Europäische Union, Artikel 49: „Jeder europäische Staat, der die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätze achtet, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden. Er richtet seinen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder beschließt.Die Aufnahmebedingungen und die durch eine Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht, werden durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt. Das Abkommen bedarf der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften.“

Vertrag über die Europäische Union, Artikel 6 Absatz 1: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.“

24. Welche Voraussetzungen muss ein Land erfüllen, um EU-Mitglied werden zu können?

Es gibt keine "Checkliste", in der die Bedingungen für einen EU-Beitritt einzeln aufgeführt sind. Nach Artikel 49 des Vertrages über die Europäische Union kann jeder europäische Staat, der die Grundsätze der EU achtet, die EU-Mitgliedschaft beantragen (siehe Frage 23). Der Begriff „europäischer Staat“ wird dabei nicht näher definiert. Als sich Marokko 1987 um die EU-Mitgliedschaft bewarb, lehnte die Kommission aber den Antrag mit der Begründung ab, dass Marokko kein europäisches Land sei.

Die EU-Erweiterung, die am 1. Mai 2004 abgeschlossen wurde, war Anlass für die Formulierung der „Kopenhagener Kriterien“. Dies sind konkrete Bedingungen, welche die Bewerberländer erfüllen müssen.

Aus den Schlussfolgerungen der Präsidentschaft, Kopenhagen, 21.-22. Juni 1993 – die Kopenhagener KriterienDer Europäische Rat hat heute beschlossen, dass die assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder, die dies wünschen, Mitglieder der Europäischen Union werden können. Der Beitritt kann erfolgen, sobald ein assoziiertes Land in der Lage ist, den mit

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einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachzukommen und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu erfüllen.

Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben; sie erfordert ferner eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten. Die Mitgliedschaft setzt außerdem voraus, dass die einzelnen Beitrittskandidaten die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen und sich auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu Eigen machen können.

Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar.

Der Europäische Rat wird weiterhin genau verfolgen, welche Fortschritte die einzelnen assoziierten Länder bei der Erfüllung der Voraussetzungen für einen Beitritt zur Union erzielen werden, und wird die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen.

Bei den Kopenhagener Kriterien handelt es sich um politische und wirtschaftliche Bedingungen, die die EU-Staats- und Regierungschefs 1993 beim Europäischen Rat in Kopenhagen festlegten. Am Ende des Beitrittsprozesses ist es der Rat, der über den Beitritt eines Landes entscheidet. Diese Entscheidung wird einstimmig nach Anhörung der Kommission und Zustimmung des Europäischen Parlaments getroffen. Das Europäische Parlament muss also den Beschluss des Rates billigen (siehe Frage 67).

Ehe eine Entscheidung über die EU-Mitgliedschaft getroffen werden kann, muss das betreffende Land die Kopenhagener Kriterien erfüllen. Diese sind im Wesentlichen in drei Kategorien untergliedert:

1. Das politische Kriterium: Das Land muss über stabile Institutionen verfügen, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten gewährleisten.2. Das wirtschaftliche Kriterium: Das Land muss über eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit verfügen, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der Europäischen Union standzuhalten.3. Das „Acquis-Kriterium“, die Fähigkeit zur Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes, des „acquis communautaire“: Das Land muss in der Lage sein, sämtliche aus der EU-Mitgliedschaft entstehenden Verpflichtungen zu übernehmen, darunter auch das Ziel der politischen, Wirtschafts-und Währungsunion.

Die konkretesten Anforderungen an die Bewerberländer ergeben sich aus dem dritten Kriterium, wonach sie in der Lage sein müssen, sämtliche Gesetze und Vorschriften der EU umzusetzen (siehe Frage 70).

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25. Welche Länder haben sich um eine EU-Mitgliedschaft beworben?

Die EU besteht nunmehr aus 25 Mitgliedstaaten (siehe Frage 14). Vor der letzten Erweiterung hatten dreizehn Länder aus Süd- und Osteuropa den EU-Beitritt beantragt. Zehn von ihnen wurden am 1. Mai 2004 als Mitglieder aufgenommen.

Zu den nicht aufgenommenen Ländern ist Folgendes zu sagen: Bei Rumänien und Bulgarien wird damit gerechnet, dass der Beitritt am 1. Januar 2007 erfolgt (siehe Frage 24). Außerdem wurde auf der Tagung des Europäischen Rates vom Dezember 2004 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei am 3. Oktober 2005 beschlossen (siehe Frage 15).

Kroatien wurde auf der Tagung des Europäischen Rates vom Juni 2004 als Kandidatenland bestätigt, und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wurde für Anfang 2005 geplant. Als Letztes bewarb sich Mazedonien (EJRM) am 22. März 2004.

In der Erklärung des Gipfeltreffens EU–Westlicher Balkan, das am 21. Juni 2003 in Thessaloniki stattfand, wird die „Agenda von Thessaloniki“ als gemeinsames Programm der EU und der Länder des westlichen Balkan bezeichnet. In ihr kommt klar zum Ausdruck, dass die Zukunft des Westlichen Balkan in der EU liegt. Zum Westlichen Balkan gehören – neben Kroatien und Mazedonien (EJRM) –Albanien, Bosnien und Herzegowina sowie Serbien und Montenegro.

Aus der Agenda von Thessaloniki„Die westlichen Balkanstaaten und die Unterstützung dieser Länder bei ihren Vorbereitungen auf eine künftige Integration in die europäischen Strukturen und letztlich den Beitritt zur Union haben für die EU hohe Priorität. Die Balkanstaaten werden integraler Bestandteil eines vereinigten Europas sein. Die derzeitige Erweiterung und die Unterzeichung des Vertrags von Athen im April 2003 sollten den westlichen Balkanstaaten als Ansporn und Ermutigung dienen, denselben erfolgreichen Reformweg zu beschreiten und ihre Anstrengungen dahingehend zu verstärken.Die EU betont, dass es die westlichen Balkanstaaten selbst in der Hand haben, wie schnell sie sich an die EU weiter annähern; ausschlaggebend wird dabei sein, inwieweit sie jeweils in der Lage sind, Reformen durchzuführen und damit die vom Europäischen Rat 1993 in Kopenhagen festgelegten Kriterien sowie die Auflagen des SAP zu erfüllen. Die EU erinnert in diesem Zusammenhang auch an den Inhalt der Abschlusserklärung des Gipfeltreffens vom November 2000 in Zagreb. Auch künftig gilt der Grundsatz, dass die beitrittswilligen Länder für sich genommen beurteilt werden und die Chance haben, gegenüber anderen Ländern aufzuholen; gleichzeitig wird die EU am regionalen Ansatz als wesentlichem Bestandteil ihrer Politik gegenüber diesen Ländern festhalten.“

Nach den dramatischen Präsidentschaftswahlen in der Ukraine ist es durchaus möglich, dass auch dieses Land in den nächsten Jahren einen Antrag auf EU-Beitritt stellt. In seiner Ansprache nach der Vereidigung als neuer Präsident der Ukraine am 23. Januar 2005 erklärte Viktor Juschtschenko, dass die EU-Mitgliedschaft ein langfristiges Ziel der Ukraine sei.

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Bewerbungen im Vorfeld der jüngsten EU-Erweiterung

(einschließlich Länder, die der EU am 1. Mai 2004 beitraten)

Kandidatenland Antrag auf MitgliedschaftTürkei 14. April 1987Polen 5. April 1990Zypern 3. Juli 1990Malta 16. Juli 1990*Ungarn 31. März 1994Rumänien 22. Juni 1995Slowakei 27. Juni 1996Lettland 13. Oktober1995Estland 24. November 1995Litauen 8. Dezember 1995Bulgarien 14. Dezember 1995Tschechische Republik 17. Januar 1996Slowenien 10. Juni 1996Kroatien 21. Februar 2003Mazedonien (EJRM) 22. März 2004

* Malta setzte seine Bewerbung 1996 aus, erneuerte sie jedoch 1998.

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DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT4

26. Was hat Micky Maus mit dem Europäischen Parlament zu tun?

In den achtziger Jahren bezeichnete die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher das Europäische Parlament als „Micky Maus Parlament“.

Seit den ersten zaghaften Ansätzen hat das Europäische Parlament erheblich an Profil und Einfluss gewonnen. 1952 trug es noch die Bezeichnung „Versammlung“ und sämtliche Mitglieder gehörten zugleich den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten an. Es war lediglich eine demokratische Versammlung mit beratender Funktion. Die ersten Bemühungen, dem Europäischen Parlament wirkliche Geltung zu verschaffen, passierten 1975: Das Europaparlament erhielt das Recht, den vom Rat aufgestellten Entwurf des EU-Haushaltsplans zu ändern oder abzulehnen.

Die „Einheitliche Europäische Akte“, eine Vertragsänderung im Jahr 1986, war der nächste wichtige Schritt beim Ausbau seines Einflusses. Das Europäische Parlament konnte sich nun am allgemeinen Gesetzgebungsverfahren (siehe Frage 67) beteiligen. Das so genannte Verfahren der Zusammenarbeit wurde insbesondere bei Rechtsvorschriften für den Binnenmarkt angewandt (siehe Frage 88). Auch mussten die Europaabgeordneten ab nun Beitrittsverträgen mit neuen Mitgliedstaaten zustimmen. Das Europaparlament billigt also die Verträge, die der Rat mit künftigen Mitgliedstaaten über ihre Aufnahme in die EU abschließt (siehe Frage 23).

Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht am 1. November 1993 wurden die Befugnisse des Europäischen Parlaments dann ganz entscheidend erweitert. Durch den Maastricht-Vertrag wurde das Parlament in einer Reihe von Politikbereichen zum Mitgesetzgeber neben dem Rat. Die Grundlage für diese wichtige Einflussmöglichkeit bildet das Verfahren der Mitentscheidung (siehe Frage 69). Wie schon aus der Bezeichnung hervorgeht, können EU-Rechtsakte bei diesem Verfahren nur angenommen werden, wenn sich der Rat und das Europäische Parlament darüber einig sind.

Der neue Verfassungsvertrag5 (siehe Fragen 6 und 7) verleiht dem Europaparlament nochmals stärkeren Einfluss. Unter anderem steht das Europäische Parlament als Mitgesetzgeber auf gleicher Stufe wie der Rat, wenn das ordentliche Gesetzgebungsverfahren zur Anwendung kommt. Dieses entspricht in seinem Ablauf dem derzeit geltenden Mitentscheidungsverfahren. Im Haushaltsverfahren sind Rat und Europäisches Parlament gleichberechtigt (siehe Frage 80); und das Europaparlament wählt den Präsidenten der Kommission.

4 Dieses Kapitel wurde redaktionell überarbeitet und weicht daher vom Originaltext ab. (siehe Impressum).5 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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27. Wo befindet sich der Sitz des Europäischen Parlaments?

Obwohl die meisten Menschen beim Europäischen Parlament sofort an Brüssel denken, ist das Europaparlament offiziell in der französischen Stadt Straßburg beheimatet. Außerdem befindet sich ein Teil seiner Verwaltung in Luxemburg. Somit hat das Europäische Parlament drei Arbeitsorte.

Da Straßburg der offizielle Sitz des Europaparlaments ist, finden dort die zwölf einwöchigen Plenarsitzungen im Jahr sowie die Sitzungen zum EU-Haushaltsplan statt. Weitere Plenarsitzungen sowie Ausschuss- und Fraktionssitzungen werden in Brüssel abgehalten.

Obwohl das monatliche Pendeln zwischen Straßburg und Brüssel extra Kosten und Unannehmlichkeiten für die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter verursacht, kann diese Regelung nicht einfach umgestoßen werden. Dem EG-Vertrag zufolge bestimmen die Mitgliedstaaten den Sitz der Organe in gegenseitigem Einvernehmen. Der Sitz des Europäischen Parlaments ist in einem Protokoll zum Vertrag von Amsterdam festgelegt. Um den monatlichen Wechsel der Tagungsorte zu beenden, wäre eine Vertragsänderung erforderlich, der alle Mitgliedstaaten - auch Frankreich - zustimmen müssten.

Das betreffende Protokoll wird durch den neuen Verfassungsvertrag6 nicht geändert (siehe Fragen 6 und 7). Die Sitzfrage ist politisch heikel, da es zum Prestige eines EU-Mitgliedes beiträgt, eine EU-Institution im Lande zu haben.

28. Wie viele Fraktionen gibt es im Europäischen Parlament?

Obwohl die Mitglieder des Europäischen Parlaments in ihren Ländern gewählt werden, arbeiten sie nicht nach nationaler, sondern nach politischer Zugehörigkeit in den Fraktionen des Europaparlaments.

Die Fraktionsbildung erfolgt auf der ersten Plenartagung nach der Europawahl. Die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments besagt, dass es zur Bildung einer Fraktion mindestens 19 Mitgliedern aus mindestens einem Fünftel der Mitgliedstaaten bedarf. Derzeit gibt es sieben Fraktionen und etliche fraktionslose Abgeordnete.

In den sieben Fraktionen sind über 100 nationale Parteien vertreten. Zusammen mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments bilden die Fraktionsvorsitzenden die „Konferenz der Präsidenten“, die unter anderem die Tagesordnungen für das Europäische Parlament erstellt.

6 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Fraktionen im Europäischen Parlament

EVP-ED Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten

SPE Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen ParlamentALDE/ADLE Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für EuropaGRÜNE/EFA Fraktion der Grünen / Freie Europäische AllianzKVEL/NGL Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne LinkeIND/DEM Fraktion Unabhängigkeit und DemokratieUEN Fraktion Union für das Europa der NationenFL Fraktionslos

Eine nach Fraktionen geordnete Liste aller 732 Europaabgeordneten und Informationen über die österreichischen Europaabgeordneten befinden sich auf www.europarl.at, der Website des Informationsbüros des Europäischen Parlaments für Österreich.

29. Wie viele Abgeordnete haben die einzelnen Länder im Europäischen Parlament?

Das Europäische Parlament hat 732 Mitglieder. Die Anzahl der Abgeordneten je Mitgliedstaat ist der untenstehenden Tabelle zu entnehmen. Die meisten Abgeordneten stellt Deutschland (99), die wenigsten Malta (5).

Seit 20. Juli 2004 sind folgende 18 österreichische Europaabgeordnete im Europäischen Parlament tätig:

Dr. Maria Berger (SPÖ - SPE)Mag. Herbert Bösch (SPÖ - SPE)Ing. Harald Ettl (SPÖ - SPE)Mag. Othmar Karas (ÖVP - EVP-ED)Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ - SPE)Dr. Eva Lichtenberger (Grüne - Grüne/EFA)Dr. Hans-Peter Martin (Liste Martin - FL)Andreas Mölzer (FPÖ - FL)Christa Prets (SPÖ - SPE)Univ.-Prof. Dr. Reinhard Rack (ÖVP - EVP-ED)Karin Resetarits (Liste Martin - ALDE)Dr. Paul Rübig (ÖVP - EVP-ED)Mag. Karin Scheele (SPÖ - SPE)Agnes Schierhuber (ÖVP - EVP-ED)Dr. Richard Seeber (ÖVP - EVP-ED)Ursula Stenzel (ÖVP - EVP-ED) – seit 01.02.2006: Dr. Hubert Pirker (ÖVP - EVP-ED)Dr. Hannes Swoboda (SPÖ - SPE)Johannes Voggenhuber (Grüne - Grüne/EFA)

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Der neue Verfassungsvertrag7 (siehe Fragen 6 und 7) hebt die Höchstgrenze für die Zahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments von 732 auf 750. Zugleich legt er fest, dass jeder Mitgliedstaat mindestens sechs Abgeordnete (derzeit mindestens drei) haben muss. Außerdem darf kein Mitgliedstaat mehr als 96 Sitze erhalten. Demnach muss Deutschland mit seinen 99 Abgeordneten drei Sitze aufgeben, während Malta mit derzeit fünf Abgeordneten einen Sitz dazu erhält. Unter diesen Voraussetzungen wird der Europäische Rat einen Beschluss über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments verabschieden, in dem die Bürger Europas im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ihrer Länder vertreten sind.

Mitglieder im Europäischen Parlament 2004-2009Deutschland 99Vereinigtes Königreich 78Frankreich 78Italien 78Spanien 54Polen 54Niederlande 27Griechenland 24Belgien 24Portugal 24Ungarn 24Tschechische Republik 24Schweden 19Österreich 18Slowakei 14Dänemark 14Finnland 14Irland 13Litauen 13Lettland 9Slowenien 7Estland 6Zypern 6Luxemburg 6Malta 5Gesamt 732

30. Wie viele Europäer beteiligten sich 2004 an der Europawahl?

Bei den Europawahlen 2004 lag die durchschnittliche Wahlbeteiligung in der EU insgesamt bei 45,7 %. Dabei wies die Slowakei mit 16,96 % den niedrigsten Wert auf, während Belgien mit 90,81 % die höchste Wahlbeteiligung erreichte (in Belgien besteht Wahlpflicht). In Österreich waren 6.049.129 Bürgerinnen und Bürger am Sonntag, 13. Juni, aufgerufen, ihre Vertreter im Europäischen Parlament zu bestimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 42,43 %.

7 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Die österreichischen Ergebnisse im Detail:

Parteien % der Stimmen Sitze im Europäischen ParlamentSPÖ* 33,33 7ÖVP* 32,70 6MARTIN, Liste Dr. Hans-Peter Martin -Für echte Kontrolle in Brüssel

13,98 2

Die Grünen* 12,89 2FPÖ* 6,31 1LINKE - Opposition für ein solidarisches Europa

0,78 0

TOTAL 100 18

* Parteien, die bereits im Europäischen Parlament vertreten waren.

Bei den Regeln für die Wahlen zum Europäischen Parlament handelt es sich um eine Kombination aus nationalen Bestimmungen und EU-Vorschriften, die im "Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments" von 1976 festgelegt sind. Die zuletzt vorgenommenen Änderungen dieses Akts galten ab den Wahlen im Jahre 2004 (siehe u. a. Frage 32 zum Doppelmandat).

Land Beteiligung an den Europawahlen 2004Belgien 90,8 %Tschechische Republik 28,3 %

Dänemark 47,89 %Deutschland 43 %Estland 26,83 %Griechenland 63,4 %Spanien 54,1 %Frankreich 42,76 %Irland 58,8 %Zypern 71,19 %Lettland 41,34 %Litauen 48,38 %Ungarn 38,5 %Malta 82,37 %Niederlande 39,3 %Österreich 42,43 %Polen 20,87 %Portugal 38,6 %Slowenien 28,3 %Slowakei 16,96 %Finnland 39,4 %Schweden 37,8 %Italien 73,1 %Luxemburg 89 %Vereinigtes Königreich 38,83 %

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31. Kann ein Mitglied des Europäischen Parlaments gleichzeitig Abgeordneter eines nationalen Parlaments sein?

Nein, seit den Europawahlen 2004 ist es Mitgliedern des Europäischen Parlaments untersagt, während ihres Mandats auch einem nationalen Parlament anzugehören.

In seiner Anfangszeit bestand das Europäische Parlament aus Politikern, die gleichzeitig Mandate in den Parlamenten ihrer Mitgliedstaaten wahrnahmen. Das Doppelmandat war bei Europaabgeordneten lange Zeit üblich. Doch nach und nach erreichten die Aufgaben des Europäischen Parlaments einen solchen Umfang, dass die Ausübung eines Doppelmandats problematisch wurde. Daher wurde der „Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments“ mit Wirkung ab den Europawahlen 2004 geändert. Mitglieder des Europäischen Parlaments dürfen nun nicht mehr gleichzeitig nationale Abgeordnete sein.

Untersagt ist es den Abgeordneten des Europäischen Parlaments auch, gleichzeitig Mitglied einer Regierung oder anderer EU-Organe wie der Kommission zu sein.

32. Wie viel verdienen die Mitglieder des Europäischen Parlaments?

Die Mitglieder des Europäischen Parlaments erhalten derzeit dasselbe Grundgehalt wie die gewählten Vertreter in den Parlamenten ihrer Heimatländer. Diese Grundvergütung wird von dem Land gezahlt, in dem sie gewählt wurden, und nach den dortigen Gesetzen besteuert. Darüber hinaus gewährt das Europäische Parlament steuerfreie Aufwandsentschädigungen, so z. B. für Reise- und Aufenthaltskosten und für die Beschäftigung von Assistenten.

Ein gemeinsames Statut für die Mitglieder des Europäischen ParlamentsDa die Vergütung und Besteuerung der Mitglieder des Europäischen Parlaments auf nationaler Ebene erfolgt, unterscheiden sich ihre Gehälter je nach Land, in dem sie gewählt wurden. Die Verhandlungen über ein gemeinsames Statut für die Mitglieder des Europäischen Parlaments wurden vor kurzem abgeschlossen. Ab 2009 sollen die Europaabgeordneten aller Länder dann prinzipiell eine einheitliche Vergütung erhalten.

Die nachstehende Übersichtstabelle zeigt das monatliche Grundgehalt (in Euro) der Mitglieder des Europäischen Parlaments für das Jahr 2003/2004.

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Land Monatlicher Grundbetrag in €Österreich 7 538Belgien 5 884Dänemark 5 652Finnland 4 970Frankreich 5 232Deutschland 7 009Griechenland 5 275Irland 6 705Italien 12 007Luxemburg 4 907Niederlande 5 565Portugal 3 449Spanien 2 724Schweden 4 985Vereinigtes Königreich 6 823Estland 1 922Lettland 1 075Litauen 1 183Malta 1 314Polen 2 075 Slowakei 888Slowenien 4 155Tschechische Republik 1 300 Ungarn 761Zypern 4 080

Dieses Kapitel wurde redaktionell überarbeitet und weicht daher vom Originaltext ab (siehe Impressum).

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DER RAT

33. Was ist der Unterschied zwischen dem „Rat“ und dem „Europäischen Rat“?

Der „Rat der Europäischen Union“ und der „Europäische Rat“ sind leicht zu verwechseln, und doch besteht ein großer Unterschied zwischen ihnen.

Der Rat der Europäischen Union wird oft auch nur als Rat oder Ministerrat bezeichnet. Er ist das neben dem Europäischen Parlament das zentrale Gesetzgebungs- und Entscheidungsorgan der EU. Der Rat besteht aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene. Dieser ist befugt, für die Regierung des Mitgliedstaats verbindlich zu handeln. Welche Regierungsvertreter im Rat zusammenkommen, hängt vom Thema der Ratstagung ab (siehe Frage 37 und Allgemeines zum Rat in Abschnitt 2.2).

Der Europäische Rat hingegen besteht aus den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten und dem Präsidenten der Europäischen Kommission. Auch die Außenminister der Mitgliedstaaten und ein weiteres Kommissionsmitglied nehmen an den EU-Gipfeln teil. Der Europäische Rat gibt die allgemeinen politischen Leitlinien der EU vor (siehe Frage 34). In Artikel 4 EUV heißt es: „Der Europäische Rat gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwicklung fest.“

Seit 2002 ist der Europäische Rat während jeder Präsidentschaft mindestens zweimal zusammengetreten, d. h. viermal jährlich. Außerdem finden Sondertagungen statt. In den Medien werden die Tagungen des Europäischen Rates oft als „EU-Gipfel“ bezeichnet. Der Europäische Rat tagt in der Regel im Land der amtierenden Ratspräsidentschaft. Allerdings wurde im Zusammenhang mit dem Vertrag von Nizza eine Erklärung zum Tagungsort des Europäischen Rates verabschiedet (siehe Frage 8). Sie besagt, dass ab dem Jahr 2002 zumindest die Hälfte der Tagungen des Europäischen Rates in Brüssel abzuhalten sind. Sobald die Union 18 Mitglieder zählt, sollen alle seine Tagungen dort stattfinden.

Siehe auch Frage 38 zum Verfassungsvertrag und zum Amtierenden Präsidenten des Europäischen Rates.

Die Entwicklung des Europäischen RatesDer Europäische Rat entstand infolge des Pariser Gipfeltreffens vom Dezember 1974. Die Staatschefs und Außenminister der damaligen neun Mitgliedstaaten sowie der Präsident der Europäischen Kommission hielten es für erforderlich, die Tätigkeiten der Gemeinschaften und die politische Zusammenarbeit weiterzuentwickeln und ihren Gesamtzusammenhang zu gewährleisten. Daher wurde beschlossen, dass die Regierungschefs und die Außenminister künftig dreimal jährlich und so oft wie nötig als „Rat der Gemeinschaft“ zusammentreten würden.

In die Verträge fand der Europäische Rat erstmals 1987 mit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte Eingang. Im Vertrag von Maastricht und im Vertrag von Amsterdam (siehe Frage 9) wurden seine Aufgaben konkreter festgelegt.

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34. Was geschieht auf den Tagungen des Europäischen Rates?

Der Europäische Rat legt die allgemeinen politischen Leitlinien der EU fest. Außerdem trifft er grundlegende Entscheidungen zur Zukunft der EU, nimmt Änderungen der Verträge an und erörtert Problemfragen.

Die vom Europäischen Rat vereinbarten politischen Leitlinien werden in den sogenannten Schlussfolgerungen widergegeben. Diese sind eine politische Vereinbarung und nicht rechtsverbindlich. Sie bilden aber dennoch oft die Grundlage für die praktische Verwirklichung von Maßnahmen durch den Rat, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission.

Da der Europäische Rat sowohl die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten als auch den Präsidenten der Europäischen Kommission umfasst, ist er oft maßgeblich an der Lösungsfindung bei Fragen beteiligt, zu denen die Fachminister bei den Ratstagungen keine Übereinstimmung erzielten.

35. Gehört der Europarat zur EU?

Nein, der Europarat ist kein Organ der EU, doch besteht eine große Verwechslungsgefahr zwischen „Europarat“ und „Europäischer Rat“ bzw. „Ministerrat/Rat“ (siehe Frage 33).

Der Europarat ist eine internationale Organisation, die 1949 mit dem Ziel gegründet wurde, Werte wie Demokratie, Menschenrechte und rechtsstaatliche Entwicklung zu fördern. Die zehn Gründungsmitglieder waren Frankreich, das Vereinigte Königreich, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Italien, Irland, Norwegen, Schweden und Dänemark. Am 1. Februar 2005 zählte der Europarat 46 Mitgliedstaaten. Sein Sitz befindet sich in der französischen Stadt Straßburg.

Der Europarat besteht aus dem Ministerkomitee, der Parlamentarischen Versammlung und dem Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates. Das Ministerkomitee ist das Entscheidungsorgan. Ihm gehören die Außenminister der Mitgliedstaaten oder deren Ständige diplomatische Vertreter beim Europarat an. Die Parlamentarische Versammlung besteht aus Vertretern der nationalen Parlamente und gilt als Initiativorgan des Europarates. Sie befasst sich mit aktuellen politischen und sozialen Fragen und kann dem Ministerkomitee Empfehlungen unterbreiten. Außerdem muss sie der Aufnahme neuer Mitglieder in den Europarat zustimmen. Im Kongress der Gemeinden und Regionen arbeiten Vertreter lokaler und regionaler Behörden der Mitgliedstaaten zusammen. Seine Aufgabe ist die Stärkung der Basisdemokratie insbesondere in den jungen demokratischen Staaten. Der Europarat legt Verträge zur Unterzeichnung durch die Mitgliedstaaten auf, die nach der Ratifizierung (siehe Frage 13) rechtsverbindlich sind, d. h. in nationales Recht übernommen werden müssen.

Das wohl bekannteste Dokument des Europarates ist die 1950 verabschiedete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Jede Person, die der Ansicht ist, dass ihre durch die Konvention garantierten Rechte verletzt wurden, kann sich nach Ausschöpfung der nationalen Rechtsmittel mit einer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (siehe Frage 52) in Straßburg wenden.

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Mehr über den Europarat und die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte ist auf der Website des Europarates www.coe.int nachzulesen.

Der neue Verfassungsvertrag (siehe Fragen 6 und 7) sieht vor, dass die EU der Europäischen Menschenrechtskonvention beitritt.

36. Was ist eine Regierungskonferenz?

Regierungskonferenzen sind Zusammenkünfte von Regierungsvertretern der Mitgliedstaaten, bei denen eine Änderung der Verträge oder die Lösung anderer EU-Fragen verhandelt werden. Eine Regierungskonferenz dauert oft mehrere Monate und besteht aus einer Reihe von Sitzungen, deren Höhepunkt ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ist. Wird bei der Regierungskonferenz eine politische Einigung über eine Vertragsänderung erzielt, so tritt diese Änderung erst nach Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten in Kraft (siehe Frage 13).

Die Einberufung einer Regierungskonferenz ist notwendig, wenn die Staats- und Regierungschefs eine Änderung der EU-Verträge überlegen. Einberufen wird die Konferenz von dem Mitgliedstaat, der die Ratspräsidentschaft innehat (siehe Frage 38). Notwendig dafür ist auch eine Anhörung des Europäischen Parlaments und die positive Stellungnahme des Rates.

Die Verhandlungen zum Vertrag von Nizza begannen so auch mit einer Regierungskonferenz, die am 14. Februar 2000 einberufen wurde. Im Rahmen der Tagung des Europäischen Rates (siehe Frage 33) in Nizza vom 7.-10. Dezember 2000 kam es zu einer politischen Einigung über den Vertrag von Nizza. Als letzter der damals 15 EU-Mitgliedstaaten ratifizierte Irland den Vertrag von Nizza, der dann am 1. Februar 2003 in Kraft trat.

Auf der Tagung von Nizza wurde die Einberufung einer neuen Regierungskonferenz im Jahr 2004 beschlossen (siehe Frage 5). Der Termin wurde jedoch vorverlegt, und die italienische Präsidentschaft berief die Regierungskonferenz bereits am 4. Oktober 2003 ein. Nachdem die Verhandlungen zunächst zum Stillstand gekommen waren, wurde die Konferenz auf der Tagung des Europäischen Rates vom 17./18. Juni 2004 mit dem „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ (siehe Fragen 6 und 7) abgeschlossen.

Verfassungsvertrag: Möglichkeit von Vertragsänderungen ohne RegierungskonferenzDer neue Verfassungsvertrag8 führt die „Konventsmethode“ (siehe Frage 5) für Vertragsänderungen ein. Danach sind Vertragsänderungen auch ohne Einberufung einer Regierungskonferenz möglich. Die Regierungen der Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament oder die Europäische Kommission können Vorschläge zur Änderung bestimmter Teile des Verfassungsvertrages vorlegen. Dies betrifft die internen Politikbereiche und Maßnahmen der EU. Der Vorschlag darf nicht zu zusätzlichen Zuständigkeiten der EU führen. Der Europäische Rat kann die vorgeschlagenen Änderungen nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission sowie gegebenenfalls der Europäischen Zentralbank einstimmig beschließen.

8 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Wie bei allen Vertragsänderungen gilt, dass die Änderung erst nach Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten in Kraft tritt.

37. Was geschieht auf Ratstagungen, wenn die Minister der Mitgliedstaaten nicht ein und dieselben Ressorts haben?

Der Rat besteht aus „je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene, der befugt ist, für die Regierung des Mitgliedstaats verbindlich zu handeln“ (Artikel 203 EG-Vertrag).

Somit fällt der unterschiedliche Regierungsaufbau in den Mitgliedstaaten nicht ins Gewicht, denn die Länder selbst entscheiden, wer sie im Rat vertreten soll. Maßgeblich ist, dass die zu den Ratstagungen entsandten Vertreter der Mitgliedstaaten die Kompetenz haben, für ihre Regierungen verbindlich zu handeln.

Der eigentliche Sinn dieser Bestimmung besteht darin, dass die Länder zu Ratstagungen nicht nur Minister der nationalen Ebene, sondern auch Minister aus Regionalregierungen entsenden können. Dies ist beispielsweise für Deutschland von Bedeutung, wo neben dem Bundesministerium 16 Landesministerien existieren. Ein Minister kann sich bei einer Ratstagung auch durch einen Staatssekretär vertreten lassen.

Entsprechend seiner Geschäftsordnung tagt der Rat je nach Thema der Tagesordnung in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Die unterschiedlichen Ratsformationen definiert der Rat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“.

Die neun Ratsformationen:1. Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen2. Wirtschaft und Finanzen3. Justiz und Inneres4. Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz5. Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie und Forschung)6. Verkehr, Telekommunikation und Energie7. Landwirtschaft und Fischerei8. Umwelt9. Bildung, Jugend und Kultur

Ursprünglich versammelten sich im Rat normalerweise die Außenminister der EU-Mitglieder, doch im Zuge der Ausweitung und Entwicklung der Zusammenarbeit kam es zu einer gewissen Spezialisierung. In der Folge trafen sich im Rat die für das jeweilige Gebiet zuständigen Fachminister, die große Zahl der dadurch entstehenden unterschiedlichen Ratsformationen (1999 etwa 20) beeinträchtigte aber die Kontinuität der Arbeit des Rates. Daher beschlossen die EU-Gipfel von Helsinki (1999) und Sevilla (2002) jeweils eine Verringerung der Zahl der Ratsformationen. Dies führte unter anderem zur Zusammenlegung des Landwirtschafts- und des Fischereirates. Durch diese neue Organisation konnte die Effektivität der Arbeit im Rat sicher gestellt werden.

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Die drei bedeutendsten Ratsformationen sind derzeit „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, „Wirtschaft und Finanzen“ sowie „Landwirtschaft und Fischerei“. In diesen Zusammensetzungen tagt der Rat etwa einmal pro Monat mit Ausnahme der EU-Sommerpause im August. Die übrigen Ratsformationen treten drei- bis viermal pro Halbjahr zusammen. Insgesamt finden jährlich ca. 80-90 Ratstagungen statt.

Informelle RatstagungenErgänzend zu den regulären Ratstagungen finden informelle Ratstagungen ohne offizielle Tagesordnung im kleinstmöglichen Teilnehmerkreis statt. Sie finden in der Regel in dem Land statt, das die Präsidentschaft innehat. Sie sollen den Ministern der verschiedenen Länder Gelegenheit geben, gegebenenfalls Fragen in ungezwungenem Rahmen zu erörtern.

Die Ratsformationen im VerfassungsvertragDer neue Verfassungsvertrag9 (siehe Fragen 6 und 7) besagt, dass der Rat in verschiedenen Zusammensetzungen tagt, wobei Folgende konkret genannt sind:

1. Der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ sorgt für die Kohärenz der Arbeiten des Rates in seinen verschiedenen Zusammensetzungen. In Verbindung mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und mit der Europäischen Kommission bereitet er außerdem die Tagungen des Europäischen Rates vor.2. Der Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ gestaltet entsprechend den strategischen Vorgaben des Europäischen Rates die Außenpolitik der EU und sorgt für deren Kohärenz.

Neu im Verfassungsvertrag ist die Bestimmung, dass der Rat öffentlich tagt, wenn er über Gesetzesentwürfe berät oder abstimmt. Zu diesem Zweck wird jede Ratstagung in zwei Teile untergliedert. In dem einen wird über Gesetzgebungsakte der Union beraten, der andere ist Tätigkeiten gewidmet, die nicht die europäische Gesetzgebung betreffen (siehe Frage 62 zu den Neuerungen im Verfassungsvertrag).

38. Was bedeutet es, wenn ein Land die „Präsidentschaft“ innehat?

Die Präsidentschaft - der Vorsitz im Rat - wechselt halbjährlich zwischen den Mitgliedstaaten in einer vom Rat festgelegten Reihenfolge.

Die Ratspräsidentschaft hat großen Einfluss auf die Gestaltung der Arbeit des Rates. Der jeweils amtierende Mitgliedstaat ist zuständig für die Organisation sämtlicher Ratstagungen und übernimmt deren Vorsitz. Jedes Land hat eigene Schwerpunktanliegen und –bereiche, für die es sich während seiner Präsidentschaft einsetzen möchte. Welches Land also den Vorsitz ausübt, ist von ausschlaggebender politischer Bedeutung, da die Präsidentschaft Motor der Zusammenarbeit in der EU ist als auch die Agenda aufstellt und die Schwerpunktthemen auswählt. Absolute Priorität der

9 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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dänischen Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2002 war beispielsweise der Abschluss der Erweiterungsverhandlungen mit bis zu zehn neuen Mitgliedstaaten.

Eine weitere Aufgabe der Präsidentschaft besteht in der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen für den Fall, dass Verhandlungen in eine Sackgasse geraten. Es kommt also darauf an, dass das betreffende Land die Präsidentschaft nicht ausnutzt, um „die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen“. Der Vorsitz sollte auf neutrale und unparteiische Weise ausgeübt werden. Oft muss das Präsidentschaftsland seine eigenen Interessen zugunsten einer Einigung zwischen den Mitgliedstaaten zurückstellen.

Ferner vertritt die Präsidentschaft die EU in Angelegenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik nach außen. Das betreffende Land tritt außerdem im Namen der EU auf internationalem Parkett auf, so z. B. bei Tagungen und Konferenzen internationaler Organisationen wie UNO und WTO. In bestimmten Fällen handelt die Präsidentschaft im Auftrag der Union auch Abkommen aus.

Der Vertrag enthält spezifische Aufgabenstellungen für das Präsidentschaftsland, definiert jedoch nicht genau, was es bedeutet, die Präsidentschaft innezuhaben. Die generelle Rolle der Präsidentschaft entwickelte sich aus der Praxis, die Geschäftsordnung des Rates bietet eine Grundlage für die Bestimmung ihrer spezifischen Aufgaben.

Die Präsidentschaft und der VerfassungsvertragDas System der halbjährlich wechselnden Präsidentschaft wurde häufig als Mitursache für eine mangelnde Kontinuität der Zusammenarbeit in der EU kritisiert. Außerdem ist der Vorsitz für die Mitgliedstaaten mit einem großen Verwaltungsaufwand verbunden. Im Zusammenhang mit dem neuen Verfassungsvertrag wurde ausführlich darüber diskutiert, ob die sechsmonatige Rotation beibehalten werden sollte.

Wenn heute ein Land den Vorsitz ausübt, tut es dies auf sämtlichen Ebenen – von den Tagungen des Europäischen Rates bis hin zu den Tagungen der Arbeitsgruppen im Rat (siehe Frage 42). Der neue Verfassungsvertrag10 (siehe Fragen 6 und 7) sieht dagegen vor, dass der Europäische Rat seinen Präsidenten mit qualifizierter Mehrheit für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren wählt. Der Präsident führt den Vorsitz bei den Tagungen und sorgt für Kontinuität und Kohärenz im Europäischen Rat. Der Verfassungsvertrag schafft ausserdem das Amt eines EU-Außenministers (siehe Frage 41), der den ständigen Vorsitz im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ führt.

Den Vorsitz bei den anderen Zusammensetzungen des Rates sollen die Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Europäischen Rates durch gleichberechtigte Rotation ausüben. Mit einer Erklärung zum Verfassungsvertrag (siehe Frage 8) wird das Modell einer Gruppenpräsidentschaft vorgestellt, bei dem drei Länder nacheinander für insgesamt 18 Monate die Präsidentschaft innehaben. Jedes Land übt den Vorsitz für sechs Monate aus. Es wird dabei von den beiden anderen Ländern auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms unterstützt. Dieses Modell weicht nicht wesentlich von der geltenden Regelung ab, doch hat das Dreierteam einen grösseren Handlungsspielraum bei der Aufgabenteilung, so beispielsweise für den Fall, dass ein kleineres beteiligtes Land administrative Unterstützung benötigt.

10 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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39. In welcher Reihenfolge haben die Mitgliedstaaten den Vorsitz im Rat inne?

Der Rat selbst beschließt, in welcher Reihenfolge die Mitgliedstaaten den Ratsvorsitz innehaben. Die Reihenfolge bis Ende 2006 wurde vom Rat in einem Beschluss aus dem Jahr 1995 festgelegt.

Beschluss des Rates vom 1. Januar 1995 zur Festlegung der Reihenfolge für die Wahrnehmung des Vorsitzes im Rat, Artikel 1:

1. Der Vorsitz im Rat wird wie folgt wahrgenommen:

- im ersten Halbjahr 1995 von Frankreich, im zweiten Halbjahr 1995 von Spanien,

- in den darauf folgenden Halbjahren von den folgenden Mitgliedstaaten nacheinander in folgender Reihenfolge: Italien, Irland, Niederlande, Luxemburg, Vereinigtes Königreich, Österreich, Deutschland, Finnland, Portugal, Frankreich, Schweden, Belgien, Spanien, Dänemark, Griechenland.

2. Der Rat kann auf Vorschlag der betreffenden Mitgliedstaaten einstimmig beschließen, dass ein Mitgliedstaat den Vorsitz in einer anderen als der sich aus obiger Reihenfolge ergebenden Periode ausübt

Laut Beschluss des Rates von 1995 sollte der Vorsitz im zweiten Halbjahr 2006 von Deutschland und im ersten Halbjahr 2007 von Finnland ausgeübt werden. Die beiden Länder baten jedoch um einen Tausch, den der Rat 2002 genehmigte.

Reihenfolge des Vorsitzes bis Ende 2006

1. Halbjahr 2005 - Luxemburg 2. Halbjahr 2005 - Vereinigtes Königreich1. Halbjahr 2006 - Österreich 2. Halbjahr 2006 - Finnland

Im Dezember 2004 stimmte der Rat einem Entwurf der Reihenfolge der Präsidentschaften für die Zeit von 2007 bis 2020 zu. Diese entspricht dem System des Vorsitzes nach dem neuen Verfassungsvertrag11

(siehe Frage 7).

Reihenfolge des Vorsitzes im Rat ab 1. Januar 2007

Deutschland Januar-Juni 2007Portugal Juli-Dezember 2007Slowenien Januar-Juni 2008-----------------------------------------Frankreich Juli-Dezember 2008Tschechische Republik Januar-Juni 2009Schweden Juli-Dezember 2009-------------------------------------------------------------Spanien Januar-Juni 2010Belgien Juli-Dezember 2010

11 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Ungarn Januar-Juni 2011-------------------------------------------------------------Polen Juli-Dezember 2011Dänemark Januar-Juni 2012Zypern Juli-Dezember 2012-------------------------------------------------------------Irland Januar-Juni 2013Litauen Juli-Dezember 2013Griechenland Januar-Juni 2014-------------------------------------------------------------Italien Juli-Dezember 2014Lettland Januar-Juni 2015Luxemburg Juli-Dezember 2015Niederlande Januar-Juni 2016Slowakei Juli-Dezember 2016Malta Januar-Juni 2017-------------------------------------------------------------Vereinigtes Königreich Juli-Dezember 2017Estland Januar-Juni 2018Bulgarien Juli-Dezember 2018-------------------------------------------------------------Österreich Januar-Juni 2019Rumänien Juli-Dezember 2019Finnland Januar-Juni 2020

40. Was ist die „Troika“?

Schlägt man das Stichwort „Troika“ im Lexikon nach, findet sich oft die Erklärung, dass es sich entweder um einen dreispännigen russischen Pferdeschlitten oder aber um eine aus drei Personen bestehende Führungsspitze handelt.

Im Zusammenhang mit der EU wird dieser Begriff für eine besondere Form der Zusammenarbeit zwischen drei Ländern – der amtierenden, der vorhergehenden und der nachfolgenden Präsidentschaft – verwendet. Auch der Generalsekretär des Rates und die Europäische Kommission sind daran beteiligt. Das Troika-System soll Kontinuität in der Arbeit des Rates gewährleisten und verhindern, dass der halbjährliche Wechsel der Ratspräsidentschaft (siehe Frage 38) zu starke inhaltliche Prioritätenänderungen mit sich bringt.

Die klassische TroikaDie „EU-Troika“ im ursprünglichen Sinn besteht aus dem Mitgliedstaat, der die Ratspräsidentschaft innehat, sowie den beiden Ländern, die den Vorsitz in den vorangegangenen bzw. nachfolgenden sechs Monaten wahrgenommen haben bzw. wahrnehmen werden. Die Troika wird von der Europäischen Kommission unterstützt.

Die Troika im Bereich der Gemeinsamen Außen- und SicherheitspolitikDurch den Vertrag von Amsterdam (der am 1. Mai 1999 in Kraft trat) wurde eine weitere Variante des Troika-Modells eingeführt, um die EU im Rahmen ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber Drittländern zu vertreten. Die Troika besteht hier aus der amtierenden und nachfolgenden

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Ratspräsidentschaft sowie dem Generalsekretär des Rates in seiner Funktion als außenpolitischer Vertreter der EU (siehe Frage 41). Die Europäische Kommission leistet Unterstützung.

In abgewandelter Form wird das Troika-Modell auch in den Bereichen Sozial- und Beschäftigungspolitik, Wirtschaft und Finanzen sowie polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit verwendet.

41. Wer ist „Herr/Frau GASP“?

Die Abkürzung GASP steht für Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. „Herr/Frau GASP“ ist der oft in den Medien verwendete Ausdruck für die Person, die die EU zu ihrem höchsten Vertreter und Sprecher der EU im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ernennt (siehe Frage 95).

Was genau verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung? Es handelt sich um das Amt des Generalsekretärs des Rates, der in Personalunion auch Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ist. Der Hohe Vertreter unterstützt den Rat in Fragen der GASP, indem er zur Formulierung, Vorbereitung und Durchführung politischer Entscheidungen beiträgt und gegebenenfalls auf Ersuchen der Präsidentschaft den politischen Dialog mit Drittstaaten führt.Der derzeitige „Herr GASP“ ist der Spanier Javier Solana. Er war ab 18. Oktober 1999 der erste Hohe Vertreter und wurde vom Rat mit Wirkung vom 18. Oktober 2004 als Generalsekretär des Rates und Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wiederernannt.

Die Zusammenarbeit im Rahmen der GASP erfolgt auf zwischenstaatlicher Ebene (siehe Frage 11). GASP-Angelegenheiten werden von den Außenministern der Mitgliedstaaten in der Ratsformation „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ behandelt (siehe Frage 95).

Der Außenminister im neuen VerfassungsvertragDer neue Verfassungsvertrag12 sieht die Schaffung des Amtes eines EU-Außenministers vor (siehe Fragen 6 und 7). Dieser wird den ständigen Vorsitz im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ führen, für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU zuständig sein und Vorschläge für Maßnahmen und deren Durchführung unterbreiten.

Im Zusammenhang mit der Wiederernennung Javier Solanas beschloss der Rat, dass Solana bei Inkrafttreten der Verfassung zum ersten Außenminister der EU ernannt werden soll. Da der EU-Außenminister auch einer der Vizepräsidenten der Europäischen Kommission sein wird, ist Solana dann gleichzeitig das spanische Kommissionsmitglied (siehe Frage 17).

12 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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42. Was ist der COREPER?

Der COREPER ist der Ausschuss der Ständigen Vertreter (deutsche Abkürzung AStV), ein aus zwei Teilen bestehendes Gremium, das die Ratstagungen vorbereitet. COREPER ist ein auch im Deutschen häufig verwendetes Akronym aus den Anfangsbuchstaben der französischen Bezeichnung des Ausschusses, Comité des Représentants Permanents.

Dem COREPER gehören die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten, das heißt ihre Botschafter bei der EU, sowie deren Stellvertreter an. Das Aufgabenspektrum ist sehr breit, der Ausschuss ist daher in COREPER I (die Stellvertreter der EU-Botschafter der Mitgliedstaaten), und COREPER II (die Botschafter selbst) geteilt.

COREPER II spielt die bedeutendere Rolle. Er behandelt Fragen, die im Europäischen Rat zur Sprache kommen, sowie mit Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich der Räte „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, „Wirtschaft und Finanzen“ sowie „Justiz und Inneres“. COREPER I ist für die allgemeine Vorbereitung der Arbeit der anderen Ratsformationen zuständig.

Die Beamten im COREPER behandeln die Tagesordnungspunkte der jeweils bevorstehenden Ratstagung und bemühen sich um eine Einigung in diesen Fragen. Im COREPER wird auch entschieden, ob ein Punkt dem Ministerrat zur Entscheidung vorgelegt werden soll oder als so genannter A-Punkt gekennzeichnet werden kann. A-Punkte werden vom Rat ohne weitere Aussprache verabschiedet.

Darüber hinaus vertreten COREPER I und II den Rat beim Mitentscheidungsverfahren (siehe Frage 69) in Vermittlungsausschüssen mit dem Europäischen Parlament. Die Präsidentschaft ist dort auf politischer Ebene vertreten.

COREPER Arbeitsgruppen Mit Vorschlägen für Rechtsakte des Rates befassen sich zunächst meist die rund 300 ständigen Arbeitsgruppen des COREPER, die es in allen Politikbereichen gibt. Außerdem kann der COREPER ad-hoc-Arbeitsgruppen für spezifische Fragen einberufen, für deren Behandlung sich seiner Ansicht nach keine der ständigen Arbeitsgruppen eignet.

Den Arbeitsgruppen des COREPER gehören Regierungsvertreter der Mitgliedstaaten an, d. h. Beamte aus den nationalen Verwaltungen und/oder Beamte aus den Ständigen Vertretungen der Länder in Brüssel. Auch Kommissionsbeamte nehmen an den Sitzungen teil.

Hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für einen vom Rat zu verabschiedenden Rechtsakt vorgelegt, gelangt dieser über das Generalsekretariat des Rates an die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bei der EU. In der Regel entscheidet dann der COREPER, welche seiner Arbeitsgruppen den Vorschlag für einen Beschluss im Rat vorbereiten soll.

Die Arbeitsgruppen Fassung haben die Aufgabe, die Vorschläge nach Möglichkeit so zu gestalten, dass darüber eine Einigung im Rat erzielt werden kann. Sie prüfen die Sachlage und verhandeln Änderungsvorschläge, um dem Rat schließlich eine akzeptable vorlegen zu können. Hat eine Arbeitsgruppe ihre Arbeit abgeschlossen oder sind die Beratungen zum Stillstand gekommen, befasst sich der COREPER mit der Angelegenheit.

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43. Was bedeutet „qualifizierte Mehrheit“?

Bei bestimmten Abstimmungen im Rat mit „qualifizierter Mehrheit“ haben die Mitgliedstaaten nicht jeweils eine, sondern unterschiedlich viele Stimmen. Dies wird auch als „Stimmengewichtung“ bezeichnet (siehe Frage 44).

Bei einer Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit haben die 25 EU-Mitgliedstaaten insgesamt 321 Stimmen. Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien sind mit je 29 Stimmen am stärksten repräsentiert. Die wenigsten Stimmen hat Malta (3). Das System der qualifizierten Mehrheit bedeutet, dass es für die Annahme eines Vorschlags nicht ausreicht, wenn er mehr als die Hälfte der Stimmen erhält – erforderlich sind mindestens 232 Ja-Stimmen.

Außerdem müssen die Kommissionsvorschläge von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten befürwortet werden, in manchen Fällen ist die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitgliedstaaten erforderlich.Zusätzlich zu diesen beiden Kriterien gilt eine mit dem Vertrag von Nizza eingeführte Regel: jeder Mitgliedstaat kann prüfen lassen kann, ob die qualifizierte Mehrheit mindestens 62 % der Gesamtbevölkerung der EU entspricht. In diesem Zusammenhang wird auch vom Erfordernis der „dreifachen Mehrheit“ gesprochen.

Das grundlegende Entscheidungsverfahren im Rat ist die Abstimmung mit einfacher Mehrheit, bei der jeder Mitgliedstaat über eine Stimme verfügt. Dies ist allerdings eine rein theoretisches Grundprinzip. Die EU- Verträge sehen praktisch immer entweder das Einstimmigkeitsprinzip, also die Zustimmung aller Mitgliedstaaten, oder die qualifizierte Mehrheit vor.

Die qualifizierte Mehrheit im neuen VerfassungsvertragDem neuen Verfassungsvertrag13 zufolge (siehe Fragen 6 und 7) soll ab 1. November 2009 bei Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit die so genannte doppelte Mehrheit an die Stelle des bisherigen Systems der Stimmengewichtung treten.

Die qualifizierte Mehrheit ist dann erreicht, wenn mindestens 55 % der EU-Mitgliedstaaten, gebildet aus mindestens 15 Ländern, für den Vorschlag stimmen. Zusätzlich muss die Gruppe von Ländern, die für den Vorschlag stimmt, mindestens 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren. Für eine Sperrminorität sind mindestens vier Mitgliedstaaten erforderlich. Sonst gilt die qualifizierte Mehrheit als erreicht.

Aufschubmöglichkeit: Der Europäische Rat hat einen Beschlussentwurf erarbeitet, den der Rat am Tag des Inkrafttretens der Verfassung annehmen wird. Danach kann eine kleine Gruppe von Ländern, die für die Bildung einer Sperrminorität nicht ausreicht, beim Rat die weitere Diskussion über einen Vorschlag beantragen, bevor über ihn mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt wird. Der Rat ist verpflichtet, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um eine Lösung für die von dieser Minderheit vorgebrachten Anliegen zu finden.

Ein solcher Aufschub wird nur gewährt, wenn die betreffende Minderheit von Staaten:• mindestens drei Viertel der für die Bildung einer Sperrminorität erforderlichen Bevölkerung oder

13 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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• mindestens drei Viertel der für die Bildung einer Sperrminorität erforderlichen Anzahl der Mitgliedstaaten vertritt (d. h. drei Mitgliedstaaten).

Höhere Schwellenwerte in besonders sensiblen Bereichen: In politisch besonders sensiblen Bereichen gibt es noch strengere Vorgaben für die qualifizierte Mehrheit. Dies gilt für bestimmte Teile des Justizbereichs und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. In diesen Fällen gilt eine Mehrheit von 72 % der Mitgliedstaaten und 65 % der EU-Bevölkerung als qualifizierte Mehrheit.

Von Einstimmigkeit zu qualifizierter Mehrheit, vom besonderen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren: Der Verfassungsvertrag sieht hier zwei „Übergangsmöglichkeiten“ vor. Zum einen kann der Europäische Rat entscheiden, dass der Rat in einem Sachgebiet, für das der Verfassungsvertrag eigentlich Einstimmigkeit vorschreibt, mit qualifizierter Mehrheit beschließen kann. Diese Möglichkeit gilt für Teil III des Vertrags („Die Politikbereiche der Union“) mit Ausnahme von Beschlüssen, die militärische oder verteidigungspolitische Bezüge haben.

Zum zweiten kann der Europäische Rat entscheiden, dass Rechtsakte, die vom Rat eigentlich nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden müssen, nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden können.

Dieser Beschluss kann vom Europäischen Rat nur einstimmig und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt, getroffen werden. Der Europäische Rat muss den Beschlussentwurf den nationalen Parlamenten übermitteln, die die Annahme blockieren können. Wenn nur ein einziges Parlament den Beschluss innerhalb von sechs Monaten ablehnt, wird er nicht erlassen.

Qualifizierte Mehrheit ab 1. November 20041. Mindestens 232 der insgesamt 321 Stimmen.2. a. Eine Mehrheit der Mitgliedstaaten muss zustimmen, wenn der Rat über einen Vorschlag der Kommission beschließt,b. in allen anderen Fällen müssen zwei Drittel der Mitgliedstaaten zustimmen.3. Die qualifizierte Mehrheit gilt als erreicht, wenn sie mindestens 62 % der EU-Bevölkerung repräsentiert.

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44. Wie sieht die Stimmengewichtung im Rat aus?

Ratsmitglieder Zahl der Stimmenab 1. November 2004

Prozentualer Anteil ander EU-Bevölkerung

Deutschland 29 18,02Vereinigtes Königreich 29 13,05Frankreich 29 13,10Italien 29 12,58Spanien 27 9,02Polen 27 8,53Niederlande 13 3,55Griechenland 12 2,43Tschechische Republik 12 2,25Belgien 12 2,28Ungarn 12 2,25Portugal 12 2,28Schweden 10 1,97Österreich 10 1,77Slowakei 7 1,19Dänemark 7 1,18Finnland 7 1,15Irland 7 0,86Litauen 7 0,77Lettland 4 0,52Slowenien 4 0,44Estland 4 0,30Zypern 4 0,16Luxemburg 4 0,10Malta 3 0,09Gesamt 321 100,00

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DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION

45. Wie nennt man die Mitglieder der Europäischen Kommission?

An der Spitze der Europäischen Kommission stehen 25 Kommissare, die jeweils für einen bestimmten Politikbereich zuständig sind. Wenn die Kommission Entscheidungen trifft, tut sie dies gemeinsam – die gesamte Kommission übernimmt also beispielsweise die Verantwortung für einen Richtlinienvorschlag zu Umweltfragen, obwohl innerhalb der Kommission der Umweltkommissar für die Erarbeitung des Vorschlags zuständig ist (allgemeine Informationen zur Kommission siehe Abschnitt 2.3).

Derzeit stellen alle 25 Mitgliedstaaten je einen Kommissar. Die Anzahl der Kommissare ist jedoch ein politisch heikles Thema. Früher hatten alle Mitgliedstaaten je einen Kommissar, und die fünf großen „alten“ EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Spanien, Großbritannien und Italien jeweils zwei. Mit dem Vertrag von Nizza wurde beschlossen, dass es einen Kommissar je Land geben soll. Bei mehr als 27 Mitgliedstaaten wird die Zahl der Kommissare kleiner sein als die Anzahl der Mitgliedstaaten. Die Kommissare werden dann auf der Basis einer gleichberechtigten Rotation zwischen den Mitgliedstaaten ernannt, die der Rat einstimmig zu beschließen hat.

Verringerung der Zahl der Kommissare im VerfassungsvertragBei den Verhandlungen über den neuen Verfassungsvertrag14 (siehe Fragen 6 und 7) kam es zu heftigen Diskussionen darüber, ob jedem Land ein Kommissar zustehen soll. Das Verhandlungsergebnis war, dass der ersten neuen Kommission, die nach dem Inkrafttreten des Verfassungsvertrags ihr Amt antritt (also der Kommission, deren Amtszeit voraussichtlich von 2009 bis 2014 dauert), ein Kommissar aus jedem Land angehören wird.

Nach dem 1. November 2014 wird die Anzahl der Kommissare verringert. Sie wird dann zwei Drittel der Anzahl der Mitgliedstaaten entsprechen. Diese Kommissare werden auf der Basis einer gleichberechtigten Rotation zwischen den Mitgliedstaaten ernannt. Der Europäische Rat kann jedoch die Anzahl der Kommissare durch einstimmigen Beschluss ändern. Er kann zum Beispiel nachweisen, dass die Kommission auch dann gute Arbeit leistet und in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, wenn die Anzahl der Kommissare größer ist als zuvor.

Die Kommission von 2004Die Kommission des Italieners Romano Prodi sollte am 1. November 2004 durch eine neue Kommmission abgelöst werden. Diese Kommission wäre bis 1. November 2009 im Amt gewesen. Allerdings muss in einer Abstimmung des Europäischen Parlaments die gesamte Kommission bestätigt werden, bevor sie ihr Amt antreten kann, und so formierte sich am 27. Oktober 2004, als das Europaparlament über die Kommission von José Manuel Barroso aus Portugal abstimmen sollte, eine Mehrheit dagegen.

Barroso zog deshalb seinen Vorschlag für eine Kommission zurück, und die Abstimmung wurde in der Hoffnung verschoben, dass eine Zusammensetzung und eine Ämterverteilung gefunden werden könnte, welche die Zustimmung des Europäischen Parlaments finden würde. Somit setzte die Kommission von

14 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Romano Prodi ihre Arbeit fort, bis Barroso seinen Vorschlag so geändert hatte, dass das Parlament bereit war, seine Kommission zu akzeptieren, was dann am 17. November 2004 geschah.

Jose Manuel Barroso Portugal Kommissionspräsident

Margot Wallström Schweden Vizepräsidentin der Kommission, Institutionelle Beziehungen

und Kommunikationsstrategie

Günter Verheugen Deutschland Vizepräsident der Kommission, Unternehmen und Industrie

Jacques Barrot Frankreich Vizepräsident der Kommission, Verkehr

Siim Kallas Estland Vizepräsident der Kommission, Verwaltung, Audit und

Betrugsbekämpfung

Franco Frattini Italien Vizepräsident der Kommission, Justiz, Freiheit und Sicherheit

Viviane Reding Luxemburg Informationsgesellschaft und Medien

Stavros Dimas Griechenland Umwelt

Joaquin Almunia Spanien Wirtschaft und Währung

Danuta Hübner Polen Regionalpolitik

Joe Borg Malta Fischerei und maritime Angelegenheiten

Janez Potocnik Slowenien Wissenschaft und Forschung

Jan Figel Slowakei Allgemeine und berufliche Ausbildung, Kultur und

Mehrsprachigkeit

Markos Kyprianou Zypern Gesundheit und Verbraucherschutz

Olli Rehn Finnland Erweiterung

Louis Michel Belgien Entwicklung und Humanitäre Hilfe

Laszlo Kovacs Ungarn Steuer und Zollunion

Neelie Kroes Niederlande Wettbewerb

Mariann Fischer Boel Dänemark Landwirtschaft und ländliche Entwicklung

Benita Ferrero-

Waldner

Österreich Außenbeziehungen und europäische Nachbarschaftspolitik

Charlie McCreevy Irland Binnenmarkt und den Dienstleistungssektor

Vladimir Spidla Tschechien Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und

Chancengleichheit

Peter Mandelson VK Handel

Andris Piebalgs Lettland Energie

Dalia Grybauskaite Litauen Finanzplanung und Haushalt

46. Kann die Europäische Kommission Rechtsvorschriften erlassen?

Ja, die Europäische Kommission kann Rechtsvorschriften erlassen. Das Grundprinzip der europäischen Gesetzgebung besteht eigentlich darin, dass der Rat regulative Bestimmungen erlässt, meistens gemeinsam mit dem Europäischen Parlament. In diesem Prozess spielt die Europäische Kommission eine Schlüsselrolle, da sie mehr oder weniger über ein Monopol für die Vorlage von Vorschlägen verfügt.

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Die Europäische Kommission kann aber auch selbst Rechtsvorschriften erlassen – einerseits, wenn dies in den Verträgen vorgesehen ist, und andererseits, wenn der Rat die Kommission dazu ermächtigt hat. Diese Durchführungsbestimmungen ergänzen Rechtsakte des Rates oder setzen sie um. Dabei muss sich die Europäische Kommission innerhalb der Grenzen bewegen, die in dem Rechtstext des Rates gesetzt sind, aus dem die Europäische Kommission ihre Befugnisse in der betreffenden Angelegenheit bezieht (der Basisrechtsakt).

Um eine gewisse Kontrolle über die Rechtsvorschriften der Europäischen Kommission zu behalten, hat der Rat Leitlinien für den Erlass von Vorschriften durch die Europäische Kommission aufgestellt. Die Europäische Kommission muss die Entwürfe ihrer Rechtsakte Ausschüssen von Vertretern der Mitgliedstaaten vorlegen, bevor sie erlassen werden. Der Begriff „Komitologie“ oder Ausschusswesen bezeichnet die verschiedenen Verfahren in solchen Fällen.

Allgemein gibt es drei Arten von Ausschussverfahren, und zwar mit beratenden Ausschüssen, Verwaltungsausschüssen oder Regelungsausschüssen. Die Europäische Kommission ist nicht verpflichtet, der Stellungnahme des Beratenden Ausschusses zu folgen. Im Verwaltungs- und Regelungsausschuss wird über die Stellungnahme abgestimmt. Wenn die Abstimmung gegen die Europäische Kommission ausfällt, wird die Angelegenheit an den Rat verwiesen, der auf diese Weise am Entscheidungsprozess beteiligt ist.

47. Was ist ein „Kabinett des Kommissars“?

Das „Kabinett des Kommissars“ ist eine kleine Gruppe persönlicher Berater für Kommissare.

Einem Kabinett gehören in der Regel etwa sechs Berater an. Jeder Kommissar verfügt über ein eigenes Kabinett, dessen Aufgabe darin besteht, dem Kommissar bei der Formulierung von politischen Strategien in seinen Fachbereichen zu helfen. Die Kabinettsmitglieder unterstützen den Kommissar generell in seiner Arbeit sowie bei der Erarbeitung von Kommissionsentscheidungen.

Ist ein Kommissar bei einer Sitzung der Kommission verhindert, kann der Leiter des Kabinetts des Kommissars an der Sitzung teilnehmen und auf Ersuchen des Kommissionspräsidenten die Ansichten eines abwesenden Kommissionsmitglieds zu einer Angelegenheit darlegen.

48. Wie viele Menschen sind bei der Kommission beschäftigt?

Aus dem Jahreshaushalt der EU geht auch die Anzahl der Mitarbeiter hervor: Im Jahre 2004 verfügte die Kommission über 22 654 Dauerplanstellen sowie 758 Planstellen auf Zeit.

Das Europäische Parlament hatte 4 591 Dauerplanstellen und 808 Planstellen auf Zeit. Die Zahl der Dauerplanstellen im Rat betrug 3 317, bei 47 Planstellen auf Zeit. Beim Europäischen Gerichtshof gab es 1 248 Dauerplanstellen und 393 Planstellen auf Zeit. Der Europäische Bürgerbeauftragte verfügte über 15 Dauerplanstellen und 23 Planstellen auf Zeit.

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DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF

49. Kann ich beim Europäischen Gerichtshof klagen?

Als EU-Bürger haben Sie zwei Möglichkeiten, um beim Europäischen Gerichtshof oder beim Gericht erster Instanz zu klagen.

VorabentscheidungenDie erste Möglichkeit ist indirekt und kann im Zusammenhang mit Klagen genutzt werden, die vor nationalen Gerichten verhandelt werden.

Wenn ein nationales Gericht Rechtsfragen zu klären hat, die EU-Vorschriften betreffen, kann es diese Fragen an den Europäischen Gerichtshof verweisen. Dieser ist für die Auslegung des EU-Rechts verantwortlich und beantwortet daraufhin die Frage in Form einer sogenannten Vorabentscheidung. Auf diese Weise kann Ihre Rechtssache über eine bei einem nationalen Gericht anhängige Klage vor den Europäischen Gerichtshof gebracht werden (Vorabentscheidungen siehe Frage 50).

EntscheidungenIn begrenztem Umfang ist es auch möglich als Bürger direkt das Gericht erster Instanz anzurufen, um eine Entscheidung eines der Organe der EU überprüfen zu lassen. Dies ist aber kein allgemeines Recht, das jeder uneingeschränkt wahrnehmen kann. Um als Bürger oder Unternehmen gegen eine Entscheidung Beschwerde einlegen zu können, muss die Entscheidung den Kläger unmittelbar und persönlich betreffen.

Es ist Bürgern nicht möglich, vor dem Gerichtshof gegen andere Bürger, Unternehmen oder Mitgliedstaaten zu klagen. In diesen Fällen müssen die nationalen Gerichte angerufen werden.

Bei Rechtssachen, die in letzter Instanz beispielsweise vor österreichischen Gerichten gescheitert sind, kann auch nicht vor dem Europäischen Gerichtshof Berufung eingelegt werden. Der Europäische Gerichtshof ist also kein Berufungsgericht für Entscheidungen der österreichischen Gerichte. Er kann Entscheidungen der nationalen Gerichte nicht aufheben oder ändern.

Wenn alle nationalen Beschwerde- und Rechtsmittelwege erschöpft sind, kann man unter bestimmten Umständen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen (siehe auch Frage 52).

50. Welche Arten von Verfahren gibt es am Europäischen Gerichtshof?

Je nach Gegenstand eines Rechtsstreits gibt es verschiedene Arten von Verfahren:

VertragsverletzungsverfahrenEine Klage wegen Vertragsverletzung wird gegen einen Mitgliedstaat eingereicht, der seine Verpflichtungen mutmaßlich nicht erfüllt hat. Dabei kann die Klage von einem anderen Mitgliedstaat

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oder von der Kommission eingereicht werden. Sie hat als Hüterin der Verträge die Aufgabe, zu überwachen, ob die Mitgliedstaaten ihre aus dem EU-Recht erwachsenden Verpflichtungen erfüllen.

Kommission und Mitgliedstaaten müssen jedoch ein bestimmtes Verfahren einhalten, sodass ein Streitfall unter Umständen noch geregelt werden kann, bevor es zum eigentlichen Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof kommt. Das betreffende Land kann sich entschließen, der Stellungnahme der Kommission zu folgen und bestimmte Rechtsvorschriften ändern, die nach Meinung der Kommission gegen das EU-Recht verstoßen.

Am Anfang des Vertragsverletzungsverfahrens steht das Mahnschreiben der Kommission. Darin analysiert die Kommission, warum das Land seinen Verpflichtungen gemäß dem EU-Recht nicht nachkommt. Dann erhält der Mitgliedstaat die Möglichkeit, auf die Einschätzung zu antworten. Oft endet eine Klage an diesem Punkt, da das Land ohne weitere Umstände dem Standpunkt der Kommission folgt. Es kann beispielsweise sein, dass das Land einfach nicht die Frist für die Umsetzung von Richtlinien eingehalten hat (siehe Frage 63). Die Kommission schickt automatisch Mahnschreiben an Länder, die Umsetzungsfristen nicht einhalten oder die Kommission nicht rechtzeitig in Kenntnissetzen (siehe Frage 66). Diese Fälle werden oft nicht weiterverfolgt, wenn es für die Verzögerungen eine einleuchtende Erklärung gibt und das Land diese zu korrigieren gedenkt.

Vertreten der Mitgliedstaat und die Kommission aber völlig unterschiedliche Auffassungen, kann die Kommission nach Ablauf einer Frist eine Stellungnahme abgeben, in der sie angibt, ob sie noch immer der Ansicht ist, dass das Land gegen den EG-Vertrag verstößt. Dieses Dokument hat an sich keine Rechtswirkung für einen EU-Mitgliedstaat, ist aber dennoch wichtig für den weiteren Verlauf eines Verfahrens. Verstößt das Land nach Meinung der Kommission weiter gegen den Vertrag, wird ihm eine Frist gesetzt, um Abhilfe zu schaffen. Hält das Land die Frist nicht ein, kann die Kommission ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof einleiten.

Kommt der Mitgliedstaat innerhalb der gesetzten Frist den Anweisungen der Kommission nach, kann diese kein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof einleiten. Sie kann dies jedoch tun, wenn das Land nicht vor Ablauf der Frist entsprechend handelt. Die Kommission ist aber in solchen Fällen nicht verpflichtet, eine Klage gegen Länder einzubringen, und wenn sie doch ein Verfahren einleitet, muss sie das nicht innerhalb einer bestimmten Frist tun. Wenn ein Land während des Verfahrens seine Rechtsvorschriften ändert, kann die Kommission die Klage auch zurücknehmen.

Entscheidet der Europäische Gerichtshof, dass eine Vertragsverletzung vorliegt, muss der betreffende Mitgliedstaat unverzüglich dafür sorgen, dass er seine Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllt. Geschieht dies nicht, ruft die Kommission erneut den Europäischen Gerichtshof an, nachdem der Mitgliedstaat wieder Stellung genommen hat. Der Europäische Gerichtshof kann dann wegen Nichtbefolgung des Urteils gegen den Mitgliedstaat eine feste oder periodisch zu zahlende Geldstrafe verhängen.

NichtigkeitsklagenBei einer Nichtigkeitsklage untersucht der Europäische Gerichtshof die Rechtmäßigkeit einer EU-Maßnahme. Stellt er fest, dass eine Maßnahme rechtswidrig ist, wird diese für nichtig erklärt. Die Mitgliedstaaten, der Rat, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament können die Nichtigerklärung von allgemeinen EU-Rechtsvorschriften beantragen.

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Das geschah beispielsweise bei der Richtlinie über Tabakwerbung von 1998. Die Richtlinie wurde vom Europäischen Gerichtshof für nichtig erklärt, weil sie auf der Basis der falschen Vertragsbestimmung erlassen worden war.

Darüber hinaus können Privatpersonen und Unternehmen auf Nichtigerklärung einer Maßnahme klagen, wenn sie von dieser Maßnahme unmittelbar und persönlich betroffen sind (siehe Frage 49).

VorabentscheidungenBeim Vorabentscheidungsverfahren beantwortet der Europäische Gerichtshof Fragen nationaler Gerichte, wenn es um die Auslegung von EU-Recht geht. In Fällen, die das EU-Recht betreffen, können nationale Gerichte beim Europäische Gerichtshof eine Vorabentscheidung beantragen, wenn Zweifel hinsichtlich der Auslegung oder Gültigkeit von EU-Rechtsvorschriften bestehen.

Gibt es gegen die Entscheidung des nationalen Gerichts kein Rechtsmittel, ist das nationale Gericht sogar verpflichtet, den Fall dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen, wenn Zweifel hinsichtlich der Auslegung von EU-Rechtsvorschriften bestehen. Daraufhin stellt der Gerichtshof den Inhalt der vorgelegten Rechtsvorschriften klar. Das nationale Gericht, an das die Antwort gerichtet ist, wendet die Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof dann auf den speziellen Fall an, ohne diese zu ändern oder zu verzerren. Darüber hinaus kann das Urteil anderen Gerichten, die mit gleichartigen Problemen befasst sind, als Orientierungshilfe dienen.

UntätigkeitsklagenBei einer Untätigkeitsklage wird untersucht, ob es rechtmäßig war, dass der Rat, das Europäische Parlament oder die Kommission in einer bestimmten Situation keine Entscheidung getroffen haben. Untätigkeitsklagen können nur eingebracht werden, nachdem ein Organ aufgefordert wurde, tätig zu werden. Hat das Organ zwei Monate nach dem Antrag nicht Stellung bezogen, kann die Beschwerde innerhalb einer Frist von weiteren zwei Monaten vor den Europäischen Gerichtshof gebracht werden. Entscheidet der Europäische Gerichtshof, dass die Untätigkeit unrechtmäßig war, sind die Organe verpflichtet, dem Urteil nachzukommen.

SchadensersatzanträgeBei Schadensersatzanträgen entscheidet der Europäische Gerichtshof darüber, ob die EU für Schäden aufkommen sollte, die von EU-Organen oder ihren Mitarbeitern verursacht wurden. Dies gilt jedoch nur auf der Basis der außervertraglichen Haftung.

51. Was ist ein Generalanwalt?

Den Richtern am Europäischen Gerichtshof stehen acht Generalanwälte zur Seite. Sie haben die gleichen Qualifikationen wie die Richter am Gerichtshof. Ihre Aufgabe besteht darin, unparteilich und unabhängig begründete Schlussanträge zu den Fällen, mit denen der Europäische Gerichtshof befasst ist, zu stellen.

Der Schlussantrag des Generalanwalts befasst sich mit dem Fall, wie er dem Gerichtshof dargelegt wird. Er ist genauso aufgebaut wie ein Urteil, es gibt aber einen wichtigen Unterschied: Der

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Schlussantrag des Generalanwalts ist in keiner Weise bindend, weder für die Verfahrensbeteiligten noch für die Richter des Gerichtshofs, wenn sie anschließend ihr Urteil fällen. Daher ist es möglich, dass sich der Schlussantrag eines Generalanwalts und das anschließende Urteil inhaltlich unterscheiden.

Das System von Generalanwälten, die begründete Schlussanträge stellen, wurde aus der französischen Rechtsordnung übernommen.

52. Gehört der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum EU-System?

Nein, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gehört nicht zum EU-System und darf nicht mit dem Europäischen Gerichtshof verwechselt werden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ist eine Einrichtung des Europarates (siehe Frage 35). Er verhandelt Beschwerden über die Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die vom Europarat erarbeitet wurde und 1953 in Kraft trat.

Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte werden zwei Arten von Beschwerden verhandelt. Zum einen kann ein Mitgliedsland der Europäischen Menschenrechtskonvention Beschwerde einlegen, wenn ein anderes Mitgliedsland vermeintlich gegen die verstoßen hat. (zwischenstaatliche Beschwerden). Zum anderen können Bürger gegen Mitgliedsländer Beschwerde einlegen. (Einzelbeschwerden).

Voraussetzung für die Verhandlung von Einzelbeschwerden ist jedoch, dass in dem Land, in dem der vermeintliche Verstoß stattfand, alle Rechtsmittel ausgeschöpft worden sind. Außerdem muss die Beschwerde spätestens sechs Monate nach der endgültigen Entscheidung der Gerichte oder Behörden in dem betreffenden Land eingelegt werden.

Weitere Informationen zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind auf der Website des Europarates www.coe.int zu finden.

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ALLGEMEINES

53. Wer war Europa?

Der Kontinent Europa ist nach einer Figur aus der griechischen Mythologie benannt.

Europa war eine Prinzessin, und der Sage nach wurde sie eines Tages, als sie am Strand spazieren ging, von Zeus entführt, der sich in einen wunderschönen weißen Stier verwandelt hatte. Indem er als ungewöhnlich sanfter und zahmer Stier erschien, brachte Zeus Europa dazu, auf seinen Rücken zu steigen. Er schwamm daraufhin mit ihr nach Kreta. Auf Kreta hatte Europa drei Söhne mit Zeus. Der bekannteste von ihnen war Minos, der später König von Kreta wurde. Minos erbaute das berühmte Labyrinth, in dem das Ungetüm Minotaurus – halb Mensch und halb Stier – lebte.

54. Gibt es eine offizielle Hymne der EU?

Ja, wenn auch nicht unbedingt eine „Nationalhymne“. Aber seit 1986 verwendet die EU die „Hymne an Europa“ bzw. „Ode an die Freude“ aus dem letzten Satz der 9. Sinfonie von Beethoven als musikalisches Erkennungszeichen. Ursprünglich hatte der Europarat dieses Werk ab 1972 benutzt. Heute verwenden sowohl der Europarat als auch die EU die „Hymne an Europa“, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Organisationen handelt (siehe Frage 35).

Die EU-Hymne ersetzt nicht die Nationalhymnen der EU-Mitgliedstaaten. In ihrer vollständigen Fassung oder als Auszug kann die Hymne an Europa unter folgender Adresse im Internet angehört werden: http://europa.eu.int/abc/symbols/anthem/index_de.htm.

55. Was stellt die EU-Flagge dar?

Die zwölf goldenen Sterne im Kreis auf blauem Hintergrund symbolisieren die Einheit der Völker Europas. Die Europäische Union verwendet die Flagge seit 1986. Obwohl sie damals genau zwölf Mitgliedstaaten hatte, hat die Zahl der Sterne nichts mit der Anzahl der Mitgliedstaaten zu tun. Die Zahl der Sterne ändert sich nicht, egal wie viele Mitgliedstaaten es gibt, da die Zahl zwölf traditionell das Symbol der Vollkommenheit und Einheit ist.

Ursprünglich wählte der Europarat die Flagge 1955 als Symbol. Heute dient sie sowohl der EU als auch dem Europarat als Emblem, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Organisationen handelt (siehe Frage 35).

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Photo: Europäische Kommission

56. Wann ist der Europatag?

In Erinnerung an die Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950 wird jedes Jahr am 9. Mai der „Europatag“ begangen. Die Schuman-Erklärung gilt als „Geburtsurkunde“ der heutigen EU, da sie zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führte (siehe Frage 2). Im Wesentlichen handelte es sich dabei um einen Vorschlag zur Schaffung eines vereinten Europas, in dem enge wirtschaftliche Verbindungen friedliche Beziehungen zwischen den Ländern gewährleisten sollten. Deshalb beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Gipfeltreffen in Mailand im Jahre 1985, den 9. Mai als „Europatag“ zu begehen.

Im neuen Verfassungsvertrag15 werden die Flagge, die Hymne, der Euro und der Europatag als Symbole der EU genannt. Der Leitspruch der Europäischen Union lautet „In Vielfalt geeint“.

57. Wie viele Sprachen werden in der EU verwendet?

Alle Sprachen der Mitgliedstaaten sind „Amtssprachen“ und Arbeitssprachen der EU-Organe. Grundlage ist eine Verordnung des Rates vom 6. Oktober 1958. Bei Erweiterungen der EU wird die Verordnung geändert, sodass sich die Zahl der Amtssprachen allmählich erhöht hat. Dies geschah zuletzt mit der Erweiterung am 1. Mai 2004 (siehe Frage 14).

Vor der EU-Erweiterung am 1. Mai 2004 gab es elf Amtssprachen: Französisch, Deutsch, Italienisch, Niederländisch, Englisch, Dänisch, Griechisch, Spanisch, Portugiesisch, Schwedisch und Finnisch. Mit den neuen Mitgliedstaaten gibt es nunmehr insgesamt 20 Amtssprachen. Hinzugekommen sind Estnisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Polnisch, Slowakisch, Slowenisch, Tschechisch und Ungarisch.

Allerdings gibt es 21 amtliche Sprachfassungen der EU-Verträge. Die Verträge werden nicht nur in die 20 Amtssprachen, sondern auch ins Irische übersetzt.

15 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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58. Ist das Amtsblatt der EU eine Zeitung?

Die Abkürzung "ABl." steht für Amtsblatt der Europäischen Union. Dies ist keine Zeitung, sondern eine amtliche Publikation, in der Rechtsvorschriften, Informationen, Bekanntmachungen und Rechtsetzungsvorarbeiten veröffentlicht werden.

Das Amtsblatt erscheint jeden Tag in den 20 Amtssprachen (siehe Frage 57) in zwei Reihen. Die „Reihe L“ enthält Rechtsvorschriften. Die „Reihe C“ enthält Informationen, Bekanntmachungen und Rechtsetzungsvorarbeiten der EU. Außerdem gibt es eine Ergänzung zum Amtsblatt, die „Reihe S“, in der Ausschreibungen erscheinen. Ausschreibungen finden sich zudem auch in der Datenbank TED.

Seit 1999 bietet EUR-Lex zusammen mit der Datenbank TED einen kostenlosen Zugriff auf die Reihen L und C des Amtsblatts auf der Website europa.eu.int/eur-lex/lex.

59. Was hat die EU mit der Sommerzeit zu tun?

Die Umstellung auf Sommer- bzw. Winterzeit erfolgt in allen Mitgliedstaaten der Union am selben Tag. Das war jedoch nicht immer so. Im Jahre 1980 gab es zwar in allen EU-Ländern die Sommerzeit, jedoch mit unterschiedlichen Umstellungsdaten. Die ersten EU-Sommerzeitregelungen wurden 1981 eingeführt. Daten und Zeitunterschiede für Beginn und Ende der Sommerzeit bis 2006 sind nunmehr in einer Richtlinie festgelegt (siehe Frage 63).

Sommerzeit in den Jahren 2005 und 20062005: Sonntag, 27. März und Sonntag, 30. Oktober2006: Sonntag, 26. März und Sonntag, 29. Oktober

60. Was ist die COSAC?

COSAC ist eine Abkürzung der französischen Bezeichnung „Conférence des Organes Spécialisés dans les Affaires Communautaires“. In der COSAC treffen sich die Ausschüsse der nationalen Parlamente in den EU- und Beitrittsländern, die sich mit Europaangelegenheiten befassen, mit Europaabgeordneten. Ziel der COSAC-Tagungen ist die Verbreitung von Informationen über die Arbeit der EU. Dabei werden aktuelle Fragen der EU und allgemeinere Themen wie die Rolle der nationalen Parlamente in der EU und das Subsidiaritätsprinzip (siehe Frage 72) beraten.

Seit 1989 finden die Tagungen der COSAC zweimal im Jahr statt, und zwar ausgehend davon, dass die COSAC einmal unter jeder Präsidentschaft zusammentreten sollte. Die Tagungen dauern in der Regel eineinhalb Tage. Das Parlament des Mitgliedstaates, das den Ratsvorsitz innehat, ist verantwortlich für die Organisation und den Inhalt der Tagesordnung.

Die Tagungen werden in Zusammenarbeit mit dem COSAC-Sekretariat abgehalten. Dieses hat seinen Sitz im Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel und besteht aus einem ständigen

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Bediensteten, einem Beamten des Europäischen Parlaments sowie aus Bediensteten der Länder der laufenden, der vorangegangenen und der nächstfolgenden Ratspräsidentschaft.

Weitere Informationen auf der COSAC-Homepage: www.cosac.org.

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REGELUNGEN

61. Was ist das Subsidiaritätsprinzip?

Das Subsidiaritätsprinzip ist einer der zentralen Grundsätze der Europäischen Union. In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, kann die Union nur dann handeln, wenn die Mitgliedstaaten ein bestimmtes Problem auf nationaler Ebene nur unzureichend lösen können. Eine Regelung auf EU-Ebene ist in einem solchen Fall wirksamer ist als auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene. Politische Entscheidungen in der Union müssen also stets auf der niedrigstmöglichen administrativen und politischen Ebene getroffen werden.

Bevor die Europäische Kommission einen Vorschlag für einen neuen Rechtsakt vorlegt, muss sie immer prüfen, ob der Vorschlag dem Subsidiaritätsprinzip entspricht, und dies entsprechend begründen. Zwei Voraussetzungen müssen gegeben sein, wenn die EU in Bereichen Rechtsvorschriften erlassen will, in denen sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten zuständig sind:

1. das Ziel eines Vorschlags könnte nicht in angemessenem Umfang erfüllt werden, wenn die Mitgliedstaaten selbst entsprechende Rechtsvorschriften erlassen;2. das Ziel eines Vorschlags lässt sich durch eine Gesetzgebung auf EU-Ebene besser erfüllen als auf nationaler Ebene.

Das Subsidiaritätsprinzip ist eng verbunden mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach EU-Maßnahmen nicht über das zur Verwirklichung der Vertragsziele notwendige Maß hinausgehen dürfen (siehe Frage 1).

Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, Artikel 5 Absätze 1-3 EGVDie Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig.

In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.

Die Maßnahmen der Gemeinschaft gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrags erforderliche Maß hinaus.

Das Subsidiaritätsprinzip wurde durch den Vertrag von Maastricht in den Verträgen verankert. Im Vertrag von Amsterdam wurde ein Protokoll (siehe Frage 8) zur Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit verabschiedet. Jedes Jahr erstellt die Europäische Kommission für das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Rat einen Bericht über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.

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Das Frühwarnsystem im neuen VerfassungsvertragNach dem neuen Verfassungsvertrag16 (siehe Fragen 6 und 7) achten auch die nationalen Parlamente mithilfe eines so genannten Frühwarnsystems auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips.

Die Europäische Kommission übermittelt ihre europäischen Gesetzesentwürfe gleichzeitig an die nationalen Parlamente sowie an den Rat und das Europäische Parlament. Die nationalen Parlamente erhalten auch die Entwürfe und Änderungsanträge des Europäischen Parlaments sowie Entwürfe von Gruppen von Mitgliedstaaten und anderen EU-Institutionen. Jedes Parlament hat dann die Möglichkeit, innerhalb von sechs Wochen in einer Stellungnahme zu begründen, weshalb der betreffende Entwurf seines Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist.

Die Europäische Kommission, der Rat und das Europäische Parlament sind verpflichtet, die Stellungnahme zur berücksichtigen. Falls sich ein Drittel der nationalen Parlamente beschwert, dass ein bestimmter Entwurf dem Subsidiaritätsprinzip widerspricht, muss dieser Entwurf überprüft werden. Die Europäische Kommission kann daraufhin beschließen, an ihrem Vorschlag festzuhalten, ihn zu ändern oder ihn zurückzuziehen. Dieser Beschluss muss begründet werden. Entwürfe im Bereich justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen oder polizeiliche Zusammenarbeit müssen bereits überprüft werden, wenn nur ein Viertel der nationalen Parlamente eine begründete Stellungnahme abgibt.

62. Was ist eine Verordnung?

Die Verordnung ist eine von verschiedenen EU-Rechtsakten, wie sie Artikel 249 EGV auflistet: Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen. Dabei definiert der Vertrag die Rechtswirkung dieser Rechtsakte. Laut Verträgen ist es zunächst dem EU-Gesetzgeber überlassen, welche Art von Rechtsakt verwendet werden soll. Allerdings ist in verschiedenen Bestimmungen der Verträge die zu verwendende Rechtsaktart bereits fix angegeben.

Artikel 249 EGV legt fest: „Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“ Die Verordnung ist also nicht an eine bestimmte Gruppe von Menschen gerichtet ist. Anders eine Entscheidung, die sich beispielsweise an eine bestimmte Einrichtung oder an ein bestimmtes Unternehmen oder an ein kleine, eindeutig definierte Personengruppe wendet.

Verordnungen gelten also mit direkter Wirkung in den Mitgliedstaaten und ziehen unmittelbare Rechte und Pflichten der Bürger in den einzelnen EU-Ländern nach sich. Es sind an sich keine nationalen Rechtsvorschriften erforderlich, damit die Verordnungen in den Mitgliedstaaten rechtlich gültig werden. Unter anderem genau diese direkte Geltung der Verordnungen trägt dazu bei, dass die Kooperation in der EU im Vergleich zur herkömmlichen internationalen Zusammenarbeit zwischen Ländern so einzigartig ist. Den Mitgliedstaaten bleibt es dabei selbst überlassen, ergänzende Bestimmungen festzulegen, beispielsweise für Strafen bei Verstößen.

16 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Die Rechtsakte im VerfassungsvertragIm neuen Verfassungsvertrag17 (siehe Fragen 6 und 7) werden die derzeitigen Formen von Rechtsakten durch sechs neue Arten ersetzt: Europäisches Gesetze, Europäische Rahmengesetze, Europäische Verordnungen, Europäische Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen. Es gibt Gesetzgebungsakte und Rechtsakte ohne Gesetzescharakter.

Europäische Gesetze (die derzeitigen Verordnungen) und Rahmengesetze (die derzeitigen Richtlinien) werden in der Regel im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, also vom Europäischen Parlament und vom Rat gemeinsam erlassen. Verordnungen und Beschlüsse, werden zunächst von einem Organ, in der Regel vom Rat, erlassen. Das Europäische Parlament hat ein Recht auf Anhörung. Es gibt auch Rechtsakte, für deren Erlass die Europäische Kommission die Zuständigkeit erhalten hat.

Die sechs Arten von Rechtsakten laut Verfassungsvertrag

Gesetzgebungsakte Rechtsakte ohne Gesetzescharakter

Nicht verbindliche Rechtsakte

Europäische GesetzeEntsprechen der Rechtswirkung nach den derzeitigen Verordnungen.

Europäische Gesetze sind Gesetzgebungsakte mit allgemeiner Geltung. Sie sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Europäische VerordnungenDienen der Durchführung von Europäischen Gesetzen oder Rahmengesetzen.

Europäische Verordnungen sind Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung; sie dienen der Durchführung der Gesetzgebungsakte und einzelner Bestimmungen der Verfassung. Sie können entweder in allen ihren Teilen verbindlich sein und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten oder für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sein, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlassen.

EmpfehlungenEntsprechen den derzeitigen Empfehlungen.

Sind nicht verbindlich.

Gesetzgebungsakte Rechtsakte ohne Gesetzescharakter

Nicht verbindliche Rechtsakte

17 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Europäische Rahmengesetze

Entsprechen der Rechtswirkung nach den derzeitigen Richtlinien.

Europäische Rahmengesetze sind Gesetzgebungsakte, die für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlassen.

Europäische Beschlüsse

Entsprechen der Rechtswirkung nach den derzeitigen Entscheidungen.

Europäische Beschlüsse sind Rechtsakte ohne Gesetzescharakter, die in allen ihren Teilen verbindlich sind. Sind sie an bestimmte Adressaten gerichtet, so sind sie nur für diese verbindlich.

Stellungnahmen

Entsprechen den derzeitigen Stellungnahmen.

Sind nicht verbindlich.

63. Was ist eine Richtlinie?

Die Richtlinie ist eine von verschiedenen EU-Rechtsakten, wie sie Artikel 249 EGV auflistet. Hier heisst es: „Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.“

Richtlinien gelten somit nicht unmittelbar als nationales Gesetz in den Mitgliedstaaten, doch müssen die Mitgliedstaaten Richtlinien innerhalb einer gesetzten Frist in nationales Recht umsetzen. Wenn ein Mitgliedstaat dies getan hat, setzt er die Kommission davon in Kenntnis (Notifizierung – siehe Frage 66).

Zunächst einmal wird in den Richtlinien ein Ziel gesetzt, das zu erreichen ist. Den Mitgliedstaaten bleibt es überlassen, Form und Mittel für die Durchführung der Richtlinie festzulegen. In der Praxis besteht dabei eine große Bandbreite bei der Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten. Einige Richtlinien stecken nur einen sehr breiten Rahmen innerhalb eines Politikbereichs ab oder geben nur Mindestvorschriften in einem Bereich vor. Auf dieser Grundlage können die Mitgliedstaaten dann strengere Anforderungen festlegen. Andere Richtlinien enthalten ausführliche Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten in der Praxis keinen Spielraum bei der nationalen Umsetzung lassen.

Auch wenn ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht rechtzeitig umsetzt, können sich die Bürger nach Ablauf der Umsetzungsfrist auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen. Dazu müssen die Bestimmungen jedoch präzise und implizit gefasst sein. Man nennt das den „Grundsatz der unmittelbaren Wirksamkeit“ einer Richtlinie. Dieser Grundsatz ist durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs festgeschrieben.

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64. Was ist ein gemeinsamer Standpunkt?

Der „gemeinsame Standpunkt“ ist eine Art von Rechtsakt, die in den Bereichen Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik sowie polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen verwendet wird.

Darüber hinaus kann der Rat im Rahmen der europäischen Gesetzgebungsverfahren gemeinsame Standpunkte verabschieden (sieh Frage 80 zum Mitentscheidungsverfahren).

Rechtsakte im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik (Artikel 12 EUV)Grundsätze und allgemeine Leitlinien: sind politische Akte, die vom Europäischen Rat verabschiedet werden (siehe Frage 33).

Gemeinsame Strategien: enthalten Ziele, Dauer und Mittel in Bereichen von gemeinsamem Interesse für die Mitgliedstaaten. Gemeinsame Strategien können entweder geografische Bereiche oder ein spezifisches Thema betreffen. Die gemeinsamen Strategien werden vom Rat erarbeitet und anschließend vom Europäischen Rat einstimmig angenommen. Gemeinsame Aktionen: werden in konkreten Situationen verwendet, wenn die EU Beschlüsse zu Maßnahmen und zur Durchführung von Maßnahmen fassen muss. In gemeinsamen Aktionen werden die Bedingungen für ihre Durchführung festgelegt. Sie sind für die Mitgliedstaaten verbindlich und sind das wichtigste Instrument innerhalb der GASP.Gemeinsame Standpunkte: Darin legt die EU ihr Konzept für bestimmte Fragen geografischer Art oder ein bestimmtes Thema betreffend fest. Die Mitgliedstaaten müssen ihre nationale Politik und ihre diplomatische Position an die gemeinsamen Standpunkte anpassen. Beispielsweise werden Sanktionen der EU gegen Drittstaaten durch Annahme eines gemeinsamen Standpunkts umgesetzt.Ausbau der regelmäßigen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Führung ihrer Politik: ist eine Art von Aktion ohne spezifische Form. Die Mitgliedstaaten müssen sich mit dem Thema vertraut machen und sich untereinander zu allen Fragen der Außen- undSicherheitspolitik konsultieren, um sicherzustellen, dass sie eine einheitliche Politik verfolgen.

Im Maastricht Vertrag entsprachen die Regeln in der dritten Säule Justiz und Inneres im Großen und Ganzen den Regeln im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik. Mit dem Vertrag von Amsterdam wurden einige Politikbereiche (z.b. die Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik) in die erste – supranationale -Säule verlagert. Gleichzeitig erfolgte eine Änderung der Regeln in dem Bereich, der im dritten Pfeiler verblieb, d. h. bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.

Rechtsakte im Bereich polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Artikel 34 EUV)

Gemeinsame Standpunkte: bringen die Position der EU zu einer konkreten Frage zum Ausdruck. Über die verbindliche Wirkung gemeinsamer Standpunkte wird nichts ausgesagt.

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Rahmenbeschlüsse: dienen der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. Rahmenbeschlüsse sind für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Sie ähneln so den Richtlinien (siehe Frage 63), aber sind ausdrücklich nicht unmittelbar wirksam.Beschlüsse: sind verbindliche Entscheidungen, die jedoch nicht dazu genutzt werden können, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einander anzunähren. Auch Beschlüsse sind nicht unmittelbar wirksam.Übereinkommen: sind Rechtsakte, die von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden müssen (siehe Frage 13). Im Amsterdamer Vertrag ist festgelegt, dass Übereinkommen in Kraft treten können, sobald sie von mindestens der Hälfte der Mitgliedstaaten ratifiziert worden sind. Das entsprechende Übereinkommen tritt dann für die Länder in Kraft, die es ratifiziert haben.

65. Wo kann ich die Rechtsvorschriften der EU finden?

Die Datenbank der Europäischen Kommission EUR-Lex ermöglicht einen kostenlosen Zugriff auf elektronische Fassungen der geltenden EU-Rechtsvorschriften: http://europa.eu.int/eur-lex.

Über EUR-Lex erhält man zudem kostenlos Zugriff auf elektronische Versionen des Amtsblatts ab 1999 (siehe Frage 58), die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, parlamentarische Anfragen, vorbereitende Rechtsakte usw.

66. Was bedeutet Notifizierung?

„Notifizierung“ heißt Mitteilung. In drei Fällen sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Europäischen Kommission mitzuteilen, dass sie nationale Rechtsvorschriften erlassen haben.

Erstens müssen die Mitgliedstaaten die Europäische Kommission informieren, dass sie Vorschriften zur Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht verabschiedet haben (siehe Frage 63).

Zweitens muss ein Mitgliedstaat die Europäische Kommission über neue nationale Gesetze informieren, die ein Handelshemmnis darstellen, also den freien Warenverkehr zwischen den EU-Ländern behindern könnten. Die Europäische Kommission hat dann drei Monate, um zu bewerten, ob die geplanten nationalen Vorschriften die Waren anderer Mitgliedstaaten diskriminieren. Erhält das Land innerhalb von drei Monaten keine Nachricht von der Europäischen Kommission, können die nationalen Vorschriften in Kraft treten.

Wenn jedoch die Europäische Kommission befindet, dass die neuen nationalen Gesetze zu Problemen führen können, beginnt ein langwieriges Verfahren. Der Mitgliedstaat muss dann mit der Inkraftsetzung der Vorschriften warten, bis die Untersuchung abgeschlossen ist. Als letztes Mittel kann die Europäische Kommission gegebenenfalls die Inkraftsetzung der Vorschriften verbieten.

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Drittens sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Europäische Kommission über staatliche Beihilfen zu informieren (siehe Frage 93).

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67. Welche Entscheidungsverfahren gibt es in der EU?

Je nach Bereich der Zusammenarbeit verfügt die Europäische Union über verschiedene Verfahren der Entscheidungsfindung.

In aller Kürze besteht das Gesetzgebungsverfahren der EU generell darin, dass die Europäische Kommission Vorschläge für Rechtsvorschriften erarbeitet und die Gesetze entweder gemeinsam vom Rat und vom Europäischen Parlament oder vom Rat allein verabschiedet werden (siehe aber auch Frage 46 zum Recht der Kommission, Vorschriften zu erlassen).

Der EG-Vertrag enthält mehr als 22 verschiedene Rechtsetzungsverfahren. Die vier wichtigsten davon sind das Mitentscheidungsverfahren, das Anhörungsverfahren, das Verfahren der Zusammenarbeit und das Zustimmungsverfahren. Die Unterschiede zwischen den genannten Verfahren ergeben sich in erster Linie aus der unterschiedlichen Rolle des Europäischen Parlaments.

Das Mitentscheidungsverfahren ist eines der wichtigsten und macht den Rechtsetzungsprozess der EU zu einer gemeinsamen Angelegenheit des Europäischen Parlaments und des Rates. Es wurde 1993 durch den Vertrag von Maastricht eingeführt (siehe Frage 69).

Das Zustimmungsverfahren wurde 1987 durch die Einheitliche Europäische Akte eingeführt, und sein Anwendungsbereich wurde durch den Maastricht-Vertrag ausgedehnt. Beim Zustimmungsverfahren müssen sich Rat und Europäisches Parlament auf den zu verabschiedenden Text einigen. Der Rat kann einen Rechtsakt nicht ohne eine zustimmende Stellungnahme des Europäischen Parlaments dazu erlassen. Zwar kann das Parlament den Vorschlag nicht ablehnen, wenn es aber eine negative Stellungnahme abgibt, ist die Annahme des Rechtsakts durch den Rat nicht möglich. Das Verfahren findet beispielsweise im Zusammenhang mit dem Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur EU Anwendung (siehe Frage 24).

Das Verfahren der Zusammenarbeit (Artikel 252 EGV) wurde 1987 durch die Einheitliche Europäische Akte eingeführt und stellte damals für das Europäische Parlament einen Durchbruch dar, erhielt es doch mehr Einfluss. Inzwischen kommt das Verfahren der Zusammenarbeit so gut wie gar nicht mehr zur Anwendung, da es weitgehend vom Mitentscheidungsverfahren (siehe Frage 69) abgelöst wurde. Das Verfahren der Zusammenarbeit ist nunmehr auf bestimmte Aspekte der WWU beschränkt (siehe Frage 74 zur WWU).

Das Anhörungsverfahren ist historisch das klassische Entscheidungsverfahren und ist noch immer relevant, obwohl es bereit 1958 mit der Verabschiedung des Vertrags von Rom (siehe Frage 9) eingeführt wurde. Hierbei wird das Europäische Parlament angehört und hat Gelegenheit, eine Stellungnahme zu den Vorschlägen der Kommission abzugeben, bevor der Rat dazu einen Beschluss fasst (siehe auch Frage 68).

Weitere VerfahrenNeben diesen vier Verfahren enthält der Vertrag noch eine Vielzahl von Bestimmungen zu weiteren Verfahren. Diese können außerordentlich speziell sein, wie z. B. das Verfahren für die Annahme des Haushaltsplans (siehe Frage 80). Es kann sich aber auch um ganz einfache Verfahren handeln, bei denen der Rat formell allein Beschlüsse fasst. Dies gilt für Beschlüsse darüber, ob die staatlichen

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Beihilfen eines Mitgliedstaates akzeptiert werden sollten, obwohl grundsätzlich ein Verbot staatlicher Beihilfen in der Europäischen Union besteht (siehe Frage 93).

Vereinfachung im VerfassungsvertragEine der zentralen Fragen in Zusammenhang mit der Entstehung des neuen Verfassungsvertrags18 war die Vereinfachung des derzeitigen Systems von Vorschriften und Rechtsetzungsverfahren. Gesetze und Rahmengesetze werden künftig im „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ beschlossen, das dem Mitentscheidungsverfahren entspricht. Allerdings gibt es eine Reihe von Ausnahmen.

68. Wie funktioniert das Anhörungsverfahren?

Beim Anhörungsverfahren gibt das Europäische Parlament seine Stellungnahme zu einem Vorschlag der Europäischen Kommission ab, bevor der Rat einen Beschluss fasst. Der Rat ist verpflichtet, die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zur Kenntnis zu nehmen, muss ihr aber nicht folgen. Das Anhörungsverfahren wird in keinem bestimmten Artikel der Verträge beschrieben, sondern stattdessen in den konkreten Bestimmungen, welche die Rechtsgrundlage für den Erlass von Vorschriften bilden.

Das Anhörungsverfahren wird in stark regulierten Bereichen wie der Agrarpolitik und der Zollunion sowie bei Themen wie der Harmonisierung der indirekten Steuern und Verbrauchsteuern, der Regelungen zur EU-Bürgerschaft, der verbindlichen Vorschriften zur Bewältigung von Diskriminierung usw. verwendet.

VerfahrensablaufDie Europäische Kommission legt einen Vorschlag vor, der dem Rat zugesendet wird, und der Rat bittet das Europäische Parlament um Stellungnahme. Das Europäische Parlament gibt seine Stellungnahme mit Mehrheit der anwesenden Abgeordneten ab. Es gibt dafür keine Frist. In der Regel nimmt das Europaparlament dabei eine Reihe von Änderungen für den Kommissionsvorschlag an. Die Europäische Kommission kann beschließen, auf Grundlage der Stellungnahme des Europäischen Parlaments einen geänderten Vorschlag vorzulegen. Der Rat nimmt den Rechtsakt je nach Politikbereich mit qualifizierter Mehrheit oder einstimmig an. Auch hier gibt es keine Frist. Ändern darf der Rat die Kommissionsvorschläge nur einstimmig.

69. Wie funktioniert das Mitentscheidungsverfahren?

Das Mitentscheidungsverfahren ist eines der wichtigsten Rechtsetzungsverfahren in der EU. Es wurde 1993 durch den Vertrag von Maastricht eingeführt und später durch den Vertrag von Amsterdam gestrafft.

Das Mitentscheidungsverfahren hat dazu beigetragen, den Einfluss des Europäischen Parlaments erheblich zu stärken. Rat und Europäisches Parlament sind gleichberechtigt: Beide Organe müssen

18 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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einem Vorschlag zustimmen, damit er verabschiedet werden kann. Bei Meinungsverschiedenheiten zu einem Vorschlag verhandelt das Europäische Parlament zudem in einem Vermittlungsausschuss direkt mit dem Rat.

Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Nizza kommt das Mitentscheidungsverfahren in etwa 45 Politikbereichen zur Anwendung. Nicht dazu gehören Landwirtschaft, Fischereiwirtschaft, Handelspolitik und indirekte Steuern und Abgaben. Hier folgt die Gesetzgebung dem Anhörungsverfahren (siehe Frage 68).

Das Mitentscheidungsverfahren ist in drei Phasen unterteilt. Dabei kann ein Vorschlag bis zu drei Lesungen durchlaufen. Ob die Annahme nach erster oder zweiter Lesung erfolgt oder der Vorschlag auch in einer dritten Lesung behandelt werden muss, hängt von der Verhandlungsbereitschaft der Beteiligten ab. Die drei Phasen des Mitentscheidungsverfahrens laufen wie folgt ab:

Erste Lesung (ohne Frist):Die Europäische Kommission legt einen Vorschlag zur Gesetzgebung vor. Das Europäische Parlament nimmt eine Stellungnahme an, dies passiert durch einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Diese Stellungnahme enthält in der Regel Abänderungen des Parlaments.

Daraufhin kann der Rat den Vorschlag mit qualifizierter Mehrheit annehmen und ihn Gesetz werden lassen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn der Rat und das Europäische Parlament den Kommissionsvorschlag in der vorgelegten Form akzeptieren oder wenn der Rat alle Abänderungen des Europäischen Parlaments unterstützt.

Der Rat kann aber auch einen abgeänderten Text als so genannten gemeinsamen Standpunkt annehmen. Dies ist der Fall, wenn er den Kommissionsvorschlag für noch nicht entscheidungsreif hält. Der gemeinsame Standpunkt wird dem Europäischen Parlament übermittelt. Die Europäische Kommission unterrichtet das Europaparlament ebenfalls über ihre Position.

Zweite Lesung (Frist: 3 Monate +1):In der zweiten Phase gibt es drei Möglichkeiten:

a. Der Rechtsakt gilt als erlassen, wenn das Europäische Parlament dem gemeinsamen Standpunkt des Rates unverändert mit einfacher Mehrheit zustimmt oder sich nicht dazu äußert.

b. Das Europäische Parlament kann den gemeinsamen Standpunkt mit absoluter Mehrheit ablehnen.

c. Das Europäische Parlament kann mit absoluter Mehrheit Abänderungen am gemeinsamen Standpunkt annehmen. Für die absolute Mehrheit sind die Stimmen von mindestens 376 der 732 Abgeordneten notwendig. Die Abänderungen des Europäischen Parlaments werden dem Rat übermittelt, der daraufhin die zweite Lesung einleiten kann. Die Europäische Kommission gibt ihre Stellungnahme zu den Abänderungen des Parlaments ab. Daraufhin kann der Rat binnen drei Monaten, diese Frist kann um höchstens einen Monat verlängert werden, nach Eingang der Änderungen des Europäischen Parlaments den Vorschlag mit qualifizierter Mehrheit annehmen. Er tut dies, wenn alle Abänderungen des Parlaments gebilligt werden. Lehnt die Kommission die Abänderungen des Europäischen Parlaments ab, muss der Rat einstimmig entscheiden.

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Der VermittlungsausschussMöchte der Rat nicht alle Abänderungen des Europäischen Parlaments akzeptieren, so beruft der die Präsidentschaft innehabende Minister binnen sechs Wochen einen Vermittlungsausschuss ein. Dies geschieht im Einvernehmen mit dem Europaparlament.

Der Vermittlungsausschuss bemüht sich, einen Kompromiss zwischen Rat und Europäischen Parlament zu erreichen. Er besteht aus 25 Vertretern der Mitgliedstaaten – in der Regel sind dies die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten (siehe Frage 42) – und aus 25 Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie dem für den Bereich zuständigen Kommissar.

Dritte Lesung (Frist: 6 Wochen + 2):Der Vermittlungsausschuss hat sechs Wochen Zeit, um sich auf einen Kompromisstext zu einigen, dem anschließend sowohl der Rat als auch das Europäische Parlament zustimmen müssen. Dafür ist eine Frist von sechs Wochen vorgesehen. Diese Frist kann um höchstens zwei Wochen verlängert werden.

Der Ministerrat entscheidet mit qualifizierter Mehrheit, das Europäische Parlament mit einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Wenn der Vorschlag jedoch innerhalb der Frist von sechs Wochen nicht die notwendigen Mehrheiten bekommt, ist er automatisch gescheitert.

Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren im VerfassungsvertragDer neue Verfassungsvertrag19 (siehe Fragen 6 und 7) ändert die Bezeichnung des Mitentscheidungsverfahrens in „ordentliches Gesetzgebungsverfahren“. Sofern die Verträge nichts anderes vorsehen, wird das ordentliche Gesetzgebungsverfahren das Standardverfahren für die Gesetzgebung. Gemäß Verfassungsvertrag sind die beiden gesetzgebenden Organe Europäisches Parlament und Rat also künftig gleichberechtigt.

70. Was ist der „acquis communautaire“?

Der französische Begriff „acquis communitaire“ bedeutet „gemeinschaftlicher Besitzstand“. Er bezeichnet den gesamten Bestand des Gemeinschaftsrechts, d. h. alles von den Verträgen bis hin zu Richtlinien, der Rechtsprechung des Gerichtshofs, Erklärungen und internationalen Abkommen usw.

Wenn ein neuer Mitgliedstaat in die EU aufgenommen werden soll, muss er vom ersten Tag der Mitgliedschaft an sämtliche Vorschriften und Regelungen der EU, also den „gemeinschaftlichen Besitzstand“ bzw. „Acquis“, wie er auch genannt wird, einhalten (siehe Frage 24).

Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung am 1. Mai 2004 nahm die Europäische Union gemeinsam mit den Beitrittswerbern eine eingehende Überprüfung des Besitzstands vor, das so genannte Acquis-Screening. Im Rahmen dieser Überprüfung führte die Kommission eine Art fachliche Schulung in Sachen EU-Recht durch, um den Beitrittsländern umfassendere Einblicke in Umfang und Inhalt zu vermitteln. Dabei erhielten die Kandidatenländer Gelegenheit, den Bedarf an Übergangsfristen für Bereiche

19 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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abzuschätzen, in denen sie nach eigener Auffassung die Anforderungen des Acquis nicht gleich vom ersten Tag der Mitgliedschaft an erfüllen können (siehe Frage 22 zu Übergangsregelungen).

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DER EURO

71. In welchen Ländern dient der Euro als Zahlungsmittel?

Am 1. Januar 2002 wurde der Euro in zwölf der damals 15 EU-Länder als Währung eingeführt: Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande, Irland, Griechenland, Spanien, Portugal, Österreich und Finnland.

Dänemark und der EuroBei einem Referendum am 28. September 2000 sprach sich die Mehrheit der dänischen Bevölkerung gegen eine Beteiligung Dänemarks an der dritten Stufe der WWU und gegen die Einführung des Euro aus (siehe Frage 21). In Schweden fand eine solche Volksabstimmung am 14. September 2003 statt. Auch hier stimmte eine Mehrheit mit Nein (siehe Frage 21).

Das Vereinigte Königreich, Schweden und Dänemark haben Pfund und Krone behalten, doch in den zwölf Euro-Ländern wurden D-Mark, Franc, Lira, Peseta, Drachme usw. durch den Euro als Zahlungsmittel abgelöst. Nach einem Übergangszeitraum ist nun der Euro das einzige gesetzliche Zahlungsmittel in den Euro-Ländern.

Verwendet wird der Euro auch in Monaco, San Marino und Vatikanstadt, die nicht der EU angehören. Diese Kleinstaaten erhielten die Genehmigung, Euro-Münzen mit eigener nationaler Seite auszugeben. Somit gibt es insgesamt 15 verschiedene nationale Versionen der Euro-Münzen, die in allen Euro-Ländern genutzt werden können (siehe Frage 73).

Die zehn neuen Länder, die der EU am 1. Mai 2004 beigetreten sind, sind verpflichtet, langfristig den Euro einzuführen, was jedoch nicht vor 2006 erfolgen kann (siehe Frage 72).

72. Führen die neuen Mitgliedstaaten den Euro ein?

Am 1. Mai 2004 traten zehn neue Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern.

Die neuen Länder sind verpflichtet, langfristig den Euro einzuführen. Allerdings können sie sich nicht einfach so am Euro-System beteiligen, sie müssen dazu bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Jedes Land muss die Konvergenzkriterien (siehe Frage 75) erfüllen. Das bedeutet, dass das Land vor dem Beitritt zum Euro-System mindestens zwei Jahre lang ohne stärkere Wechselkursschwankungen am europäischen Wechselkursmechanismus (WKM II) teilgenommen haben muss (siehe Frage 76).

Die ersten neuen Länder, die dem WKM II beigetreten sind, waren Estland, Litauen und Slowenien. Diese drei Länder beteiligen sich seit dem 28. Juni 2004 mit einer normalen Schwankungsbreite von +/-15 %. Einige Jahre lang war Dänemark einziger Teilnehmer am WKM II mit einer Schwankungsbreite von 2,25 %.

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Somit können die ersten der neuen EU-Länder den Euro frühestens 2006 einführen, vorausgesetzt, sie erfüllen auch die anderen Konvergenzkriterien. (siehe Frage 75)

73. Was „kostet“ ein Euro und wie sieht er aus?

Abbildung: Europäische Zentralbank

Die offizielle Abkürzung für den Euro lautet „EUR“. Ein Euro hat 100 Cent. Wie die Abbildung zeigt, gibt es acht verschiedene Euro-Münzen zu 1, 2, 5, 10, 20 und 50 Cent sowie 1 EUR und 2 EUR.

Eine Seite der Münzen ist in allen Euro-Ländern gleich, die Gestaltung der anderen Seite ist den einzelnen Ländern überlassen. Die Gestaltung der nationalen Seite hat keinen Einfluss auf die Verwendungsfähigkeit des Euro. Somit kann eine Euro-Münze mit deutscher Seite problemlos in einem anderen Euro-Land, z. B. Italien, zum Bezahlen genutzt werden. Insgesamt gibt es 15 verschiedene Ausführungen der Euro-Münzen (siehe Frage 71).

Euro-Banknoten sind dagegen überall einheitlich, ohne nationale Varianten. Es gibt sieben verschiedene Euro-Banknoten in der Stückelung 5, 10, 20, 50, 100, 200 und 500 EUR. Die Abmessungen der Banknoten hängen vom Wert ab und werden beginnend mit dem 5-Euro-Schein als der kleinsten Note bis zum 500-Euro-Schein immer größer.

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Das Euro-Signet – €

Das grafische Zeichen für den Euro – € – wurde von der Kommission entworfen. Pate gestanden hat der griechische Buchstabe Epsilon, der für den ersten Buchstaben im Wort „Europa“ steht. Die beiden parallelen Striche symbolisieren die Stabilität des Euro.

Der Wechselkurs des Euro kann ebenso schwanken wie die Kurse anderer Währungen, und der aktuelle Wechselkurs kann auf der offiziellen Website der Europäischen Zentralbank eingesehen werden: http://www.ecb.int/stats/exchange/eurofxref/html/index.en.html

74. Was ist die WWU?

WWU ist die Abkürzung für „Wirtschafts- und Währungsunion“. Dieser Begriff beinhaltet die Kooperation innerhalb der EU in Wirtschafts- und Währungsfragen, d. h. die Zusammenarbeit bei der Wirtschaftspolitik, bei der gemeinsamen Währung (dem Euro) und bei der Errichtung der Europäischen Zentralbank.

Die WWU umfasst drei Stufen. Dänemark, das Vereinigte Königreich und Schweden nehmen nicht an der dritten Stufe der WWU teil. Diese Länder haben den Euro nicht eingeführt. Für Dänemark und das Vereinigte Königreich gilt eine Ausnahmeregelung, sie sind nicht zur Einführung des Euro verpflichtet. Schweden erfüllt nicht alle Voraussetzungen für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU. Dazu gehört unter anderem ein stabiler Wechselkurs (siehe Frage 76). Das schwedische Parlament beschloss 1997, dass das Land sich nicht von Anfang an am Euro beteiligen soll. Somit hat Schweden sich nicht um den notwendigen stabilen Wechselkurs bemüht.

Die WWU geht auf den Europäischen Rat von Hannover im Jahre 1988 zurück. Dort wurde ein Ausschuss eingesetzt, der einen Bericht über die Einführung einer Wirtschafts- und Währungsunion mit einer gemeinsamen Währung erarbeiten sollte. Der Ausschuss bestand aus Jacques Delors, dem damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, den zwölf Zentralbankpräsidenten sowie drei unabhängigen Sachverständigen.

Der daraus resultierende Delors-Bericht schlug 1989 eine Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen vor. Er beinhaltete auch Vorschläge für eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik, für Regelungen zum Umfang der nationalen Haushaltsdefizite sowie zur Schaffung einer unabhängigen Einrichtung. Diese sollte für die Währungspolitik der EU zuständig sein. Beim Europäischen Rat von Madrid im Juni 1989 wurde auf der Grundlage des Delors-Berichts beschlossen, die erste Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990 umzusetzen.

Erste Stufe der WWUDie erste Stufe der WWU beinhaltete eine engere wirtschaftspolitische Abstimmung. Dabei sollten die Länder ihre Volkswirtschaften gegenseitig beaufsichtigen, um für eine einheitlichere Entwicklung zu sorgen. Die Zentralbanken konsultierten sich zu währungspolitischen Fragen, und die Länder nahmen an der Währungskooperation im Europäischen Währungssystem (EWS) teil. Es war 1979 errichtet worden und wurde nun zum WKM II umgewandelt (siehe Frage 76).

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Am 1. November 1993 trat der Maastricht Vertrag in Kraft. Er enthielt die Rechtsgrundlage für die zweite und dritte Stufe der WWU. Seine Bestimmungen orientierten sich stark an den Vorschlägen des Delors-Berichts.

Zweite Stufe der WWUDer Übergang zur zweiten Stufe der WWU erfolgte am 1. Jänner 1994. Ziel dieser Stufe war eine stabilere und einheitlichere Entwicklung in der EU. Dazu mussten die teilnehmenden Länder die sogenannten Konvergenzkriterien (siehe Frage 75) erfüllen. Zur Vorbereitung der Einführung der gemeinsamen Währung wurde das Europäische Währungsinstitut (EWI) gegründet. Dort arbeiteten die Zentralbanken der Mitgliedstaaten verstärkt zusammen, um die Währungspolitik zu koordinieren.

Auf dem EU-Gipfel in Madrid (1995) wurde der 1. Jänner 1999 als Starttermin für die dritte Stufe der WWU festgelegt. Es wurde beschlossen, dass die gemeinsame Währung den Namen Euro tragen sollte und dass Euro-Banknoten und -Münzen spätestens 2002 eingeführt werden sollten. Anfang 1999 wurde die dritte Stufe der WWU in elf Mitgliedstaaten eingeleitet: Belgien, Finnland, Frankreich, Niederlande, Irland, Italien, Luxemburg, Portugal, Spanien, Deutschland und Österreich.

Dritte Stufe der WWUSomit begann die dritte Stufe der WWU am 1. Jänner 1999 für elf Länder, Griechenland wurde erst am 1. Jänner 2001 zugelassen. Die teilnehmenden Staaten legten ihre Wechselkurse unwiderruflich fest und führten den Euro ein.

Gleichzeitig wurden das Europäische System der Zentralbanken sowie die Europäische Zentralbank, die das Europäische Währungsinstitut (EWI) ablöste, errichtet. Die gemeinsame Währungs- und Wechselkurspolitik der Länder wird durch die Verpflichtung ergänzt, ihre Wirtschaftspolitiken als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu koordinieren. Die an der dritten Stufe teilnehmenden Länder sind verpflichtet, die Bestimmungen des Vertrags und des Statuts des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) einzuhalten. Sie müssen außerdem ein hohes Maß an dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz erzielen (siehe Frage 75).

75. Wie lauten die Konvergenzkriterien?

Die Konvergenzkriterien sind die wirtschaftlichen Anforderungen, die von den EU-Ländern zu erfüllen sind, um an der dritten Stufe der WWU teilnehmen und somit den Euro einführen zu können. Ausgehend von einer Bewertung der Erfüllung der Konvergenzkriterien entscheiden die Euroländer, ob sich ein Land am Euro beteiligen kann.

Die Konvergenzkriterien sind in Artikel 121 des Vertrags aufgeführt und werden in einem Protokoll zum Vertrag (Protokoll Nr. 21 über die Konvergenzkriterien - siehe Frage 8 zu Protokollen) ausführlicher behandelt. Mit dem wichtigsten Kriterium beginnend, lassen sich die Kriterien wie folgt beschreiben:

1. Preisstabilität: Die Inflationsrate eines Mitgliedstaates darf nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über der Inflationsrate der drei Mitgliedstaaten mit der geringsten Inflation liegen.

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2. Gesunde öffentliche Finanzen: Es darf kein übermäßiges Defizit im öffentlichen Haushalt geben. In der Regel darf das öffentliche Defizit 3 % des Bruttoinlandsprodukts20 nicht überschreiten. Ausnahmsweise ist dies erlaubt, wenn das Defizit erheblich und kontinuierlich verringert worden ist und ein Niveau erreicht hat, das 3 % nahe kommt. Gleiches gilt, wenn die geringfügige Überschreitung der Drei-Prozent-Grenze eine vorübergehende Ausnahme ist.

3. Öffentlicher Schuldenstand: Das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstandes zum Bruttoinlandsprodukt darf am Ende des vorausgehenden Haushaltsjahres in der Regel 60 % nicht überschreiten. Eine Ausnahme ist möglich, wenn das Verhältnis ausreichend rückläufig ist und sich den 60 % rasch genug nähert.

4. Teilnahme am WKM II in den letzten zwei Jahren: Der betreffende Mitgliedstaat muss in den letzten zwei Jahren ohne starke Schwankungen am Wechselkursmechanismus (WKM II) des Europäischen Währungssystems teilgenommen haben. Er darf seine Währung in diesem Zeitraum nicht abgewertet haben.

5. Langfristige Zinssätze: Der langfristige Nominalzinssatz eines Mitgliedstaates darf um nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem entsprechenden Satz in den drei Mitgliedstaaten liegen, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben.

76. Ist WKM II eine neue Figur aus „Krieg der Sterne“?

WKM II ist die wenig bekannte Abkürzung für den europäischen Wechselkursmechanismus II. Er begrenzt die Schwankung der teilnehmenden Währungen gegenüber dem Euro. Auf diese Weise werden die Währungen eng an den Euro gebunden.

Beim WKM II müssen die teilnehmenden Länder ihre Wechselkurse zum Euro stabilisieren. Dabei wird ein Leitkurs festgelegt. Um diesen Leitkurs herum wird eine Schwankungsbreite vereinbart, die den teilnehmenden Währungen etwas Bewegungsfreiheit bietet.

Länder, die den Euro nicht einführen, können auf freiwilliger Basis am WKM II teilnehmen. Nach dem Beitritt Griechenlands zum Euro am 1. Jänner 2001 war Dänemark für einige Jahre der einzige Teilnehmer am WKM II. Im Jänner 2004 traten drei neue EU-Mitgliedstaaten – Estland, Litauen und Slowenien – bei. Die Standardschwankungsbreite im WKM II beträgt +/-15 %. Estland, Litauen und Slowenien halten sich an diese Bandbreite. Dänemark hat eine Vereinbarung über eine engereSchwankungsbreite von +/-2,25 % abgeschlossen.

Wie funktioniert der europäische Wechselkursmechanismus II in der Praxis, zum Beispiel in Dänemark? Die Europäische Zentralbank und die dänische Nationalbank sind verpflichtet, den Kurs innerhalb der Schwankungsbreite zu halten. Bewegt sich der Wechselkurs der dänischen Krone auf eine der Schwankungsgrenzen zu, kommt es zu Interventionen in Form von Stützungskäufen oder -verkäufen von dänischen Kronen. Bei akutem Spekulationsdruck auf die dänische Krone kann die Europäische

20 Das Bruttoinlandsprodukt ist der Wert der Gesamtwirtschaftsleistung eines Landes (Waren, Dienstleistungen und Investitionen) abzüglich des Wertes der verwendeten Rohstoffe und etwaiger staatlicher Beihilfen.

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Zentralbank unterstützend eingreifen: mit einem kurzfristigen Kredit in Euro können die dänischen Devisenreserven ergänzt werden.

77. Was ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt?

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist mit der WWU (siehe Frage 74) verknüpft und soll dafür sorgen, dass sich die Mitgliedstaaten um Haushaltsdisziplin bemühen. Ziel ist größere Stabilität und stärkeres Wachstum in der EU. Durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt verpflichten sich die EU-Mitglieder zur Haushaltsdisziplin bei den öffentlichen Finanzen. Die öffentlichen Haushalte der Mitgliedstaaten sollen bei normalem Wirtschaftsgeschehen einen Überschuss aufweisen oder nahezu ausgeglichen sein.

Jedes Jahr müssen die Mitgliedstaaten der Kommission und dem Rat wirtschaftliche Schlüsseldaten übermitteln. So wird die Einhaltung des Paktes überwacht. Dazu gehören unter anderem Informationen über die Zielvorgaben der Mitgliedstaaten für die künftigen öffentlichen Haushalte über mehrere Jahre und eine Prognose der Wirtschaftsentwicklung. Auch wirtschaftspolitische Maßnahmen, mit denen die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes umgesetzt werden sollen, zählen dazu.

Diese Wirtschaftsdaten der Euro-Länder werden als Stabilitätsprogramme vorgelegt, während die nicht am Euro beteiligten Länder Konvergenzprogramme aufstellen müssen. Anhand der Wirtschaftsdaten bewertet die Kommission, ob ein Land ein übermäßiges Defizit haben wird.

Verfahren im Fall eines übermäßigen DefizitsIst die Kommission der Auffassung, dass ein übermäßiges Defizit besteht oder droht, teilt sie dies dem Rat mit. Der Rat entscheidet mit qualifizierter Mehrheit, ob ein übermäßiges Defizit besteht. Ist dies der Fall, empfiehlt er dem betreffenden Mitgliedstaat, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Leistet das Land diesen Empfehlungen nicht Folge, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit das Land in einem Bescheid auffordern, die erforderlichen wirtschaftlichen Maßnahmen zu treffen, um den Haushalt in Ordnung zu bringen. Handelt das Land nicht, hat der Rat mehrere Sanktionsmöglichkeiten. So kann er von dem Mitgliedstaat verlangen, dass er eine unverzinsliche Einlage bei der Europäischen Zentralbank hinterlegt. Ist ein übermäßiges Defizit nach zwei Jahren immer noch nicht abgebaut, wird der Betrag als Geldstrafe einbehalten.

In Bezug auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt gelten die Sanktionen jedoch nur für Länder, die sich am Euro beteiligen. Es nehmen auch nur die Euro-Länder an der Abstimmung im Rat in dieser Sache teil.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Krise?Im Jahre 2004 gab es viele Kontroversen um den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Die Frage lautet, ob das Kontrollverfahren auch in der Praxis funktioniert, wenn die im Rat versammelten Länder politisch heikle Beschlüsse fassen sollen. Dies betrifft vor allem mögliche Sanktionen gegenüber einem anderen Mitgliedstaat.Der Hintergrund dazu: Im November 2003 empfahl die Kommission dem Rat, zwei Dinge zu beschließen. Erstens, dass Frankreich der Empfehlung des Rates nicht Folge geleistet hatte. Zweitens, dass die deutschen Wirtschaftsmaßnahmen nicht ausreichten, um der

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schlechten Wirtschaftslage des Landes abzuhelfen. Beide Länder sollten angewiesen werden, konkrete Maßnahmen zum Abbau ihrer Defizite zu ergreifen.

Für die von der Kommission vorgeschlagenen Beschlüsse kam keine qualifizierte Mehrheit zustande. Stattdessen nahm der Rat Schlussfolgerungen an, die zwar in gewisser Weise die Empfehlungen der Kommission zum Ausdruck brachten, andererseits aber das Verfahren aussetzten. In einer Erklärung beklagte sich die Kommission, dass Vertrag sowie Stabilitäts- und Wachstumspakt vom Rat nicht nach Geist und Buchstaben erfüllt worden seien. Sie rief daher den Europäischen Gerichtshof an, der 2004 sein Urteil verkündete.

Der Europäische Gerichtshof stimmte der Kommission nicht zu, wonach der Rat die Empfehlungen der Kommission hätte annehmen müssen. Er wies jedoch darauf hin, dass der Rat die Pflicht hat, womöglich irgendwann in dem Verfahren eine Empfehlung gegenüber einem Mitgliedstaat auszusprechen, der wiederholt gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstößt. Diese Frage könne gegebenenfalls durch eine Untätigkeitsklage (siehe Frage 52) entschieden werden. Andererseits gelangte der Gerichtshof aber auch zu dem Schluss, dass der Rat gegen EU-Recht verstieß, indem er das Defizitverfahren aussetzte und als er versuchte, bereits angenommene Empfehlungen abzuändern.

Im Juni 2004 bat der Europäische Rat die Kommission, einen Vorschlag zu unterbreiten, mit dem die Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts gestärkt werden könnte. Im September 2004 legte die Kommission dann eine Mitteilung zu möglichen Maßnahmen für eine Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspakts vor.

78. Wie groß ist der EU-Haushalt und welchen Beitrag leisten die Mitgliedstaaten?

Die EU hat keine Finanzhoheit, der Haushalt der Europäischen Union wird daher ausschließlich aus Eigenmitteln finanziert. Eigenmittel der EU sind Beträge, über deren Höhe die Mitgliedstaaten regelmäßig einstimmig entscheiden.

Die EU-Eigenmittel werden aus vier Quellen aufgebracht:1. Einnahmen aus Zöllen, die an den Außengrenzen der Union erhoben werden2. Agrarabschöpfungen auf Erzeugnisse, die aus Drittländern eingeführt werden3. Einen Anteil an der in den Mitgliedstaaten eingehobenen Mehrwertsteuer 4. Anteil des Bruttonationeinkommens der Mitgliedstaaten (höchstens 1,24 %)

Im Jahre 2004 beliefen sich die Haushaltseinnahmen für die 25 Mitgliedstaaten auf insgesamt 99 724,39 Millionen EUR. Der EU-Haushalt für 2004 betrug 111 300,26 Millionen EUR für Verpflichtungsermächtigungen und 99 724,39 Millionen EUR für Zahlungsermächtigungen.

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Aufschlüsselung der EU-Ausgaben für 2004 (in Mio. EUR)

1. Landwirtschaft 45 6932. Strukturpolitische Maßnahmen 30 8223. Interne Politikbereiche 7 5104. Externe Politikbereiche 4 9505. Verwaltung 6 0396. Reserven 4427. Hilfe zur Vorbereitung auf den Beitritt 2 8568. Ausgleichszahlungen 1 409

Gesamt 99 724

Verpflichtungsermächtigungen sind Ermächtigungen, die in einem Haushaltsjahr die Gesamtkosten der Verpflichtungen umfassen, die im Zusammenhang mit der Umsetzung von über mehr als ein Haushaltsjahr durchgeführten Initiativen eingegangen werden. Die Verpflichtungsermächtigungen sind die Obergrenze der Ausgaben, für die im Laufe des betreffenden Haushaltsjahres Verpflichtungen eingegangen werden können.

Zahlungsermächtigungen sind Ermächtigungen, welche die Ausgaben für die tatsächlichen Zahlungen in dem betreffenden Haushaltsjahr umfassen.

79. Welche Länder sind Nettobeitragszahler zum EU-Haushalt?

Die untenstehende Tabelle der Europäischen Kommission zeigt die Nettobeiträge der Mitgliedstaaten zum Jahreshaushalt der EU für den Zeitraum 1997 bis 2003. Es sei darauf hingewiesen, dass ein Verzeichnis der Nettobeitragszahler auf unterschiedliche Weise mit jeweils anderen Ergebnissen berechnet werden kann. Für diese Kommissionsberechnung wurden die Beiträge der einzelnen Länder in Form von Eigenmitteln wie MWSt und BSP für die Berechnung herangezogen. Agrarabschöpfungen und Zölle sind nicht enthalten, weil sie nicht länderspezifisch sind. In der Liste sind auf der Ausgabenseite keine Verwaltungskosten enthalten.

Der britische BeitragsrabattDas Grundprinzip der Haushaltsfinanzierung besteht darin, dass alle Mitgliedstaaten gemeinsam zum EU-Haushalt beitragen, und zwar unabhängig davon, ob die Länder insgesamt EU Nettobeitragszahler oder Nettobegünstigte sind (siehe Frage 79).

Im Jahre 1984 setzte die britische Premierministerin Margaret Thatcher jedoch für das Vereinigte Königreich einen Sonderrabatt bei der Finanzierung des EU-Haushalts durch. Die Briten waren unzufrieden, weil sie wesentlich größere Beträge in den EU-Haushalt einzahlten als sie in Form von Agrarbeihilfen usw. zurückerhielten. Nach der Rabattregelung wird dem Vereinigten Königreich ein bestimmter Prozentsatz vom Nettobeitrag des Landes zurückerstattet. Die Regelung wurde später ausgedehnt, sodass die großen Nettobeitragszahler Deutschland, Niederlande, Österreich und Schweden Rabatte auf die Finanzierung des britischen Beitragsrabatts erhalten. Im Jahre 2004 legte

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die Kommission einen Vorschlag zur Reformierung des Finanzierungssystems vor, wonach der britische Rabatt durch ein allgemeines Rabattsystem abgelöst werden soll.

Zunächst wird der Umfang des MWSt- und BSP-Beitrags des einzelnen Landes als prozentualer Anteil am Gesamt-MWSt- und BSP-Beitrag errechnet. Anhand dieses Anteils wird errechnet, welchen Betrag der Mitgliedstaat von der EU erhalten müsste, wenn ein Gleichgewicht zwischen Zahlungen und Eingängen zwischen dem Mitgliedstaat und der EU bestehen würde. Beläuft sich beispielsweise der Beitrag eines Landes auf 7 % der Gesamtbeiträge, müsste das Land auch einen Betrag erhalten, der 7 % der Gesamtzahlungen der EU entspricht. Anschließend wird der Nettobeitrag wie folgt errechnet: Von dem Betrag, den das Land von der EU tatsächlich erhält, wird der Betrag abgezogen, den der Mitgliedstaat entsprechend der obigen Berechnung erhalten müsste. Abgezogen wird außerdem der Beitrag des Landes zur Finanzierung des britischen Rabatts (siehe Frage 78).

Es sei darauf hingewiesen, dass ein negatives Ergebnis bei der obigen Berechnung bedeutet, dass das Land weniger Zahlungen von der EU erhalten hat, als es hätte erhalten müssen, und nach dem genannten Modell daher ein Nettobeitragszahler zum EU-Haushalt ist.

Nettobeiträge in Mio. EUR(Negative Beträge bedeuten, dass das Land nach den Berechnungen der Kommission mehr in den EU-Haushalt eingezahlt hat als es müsste, wenn zwischen EU und Mitgliedstaat ein Gleichgewicht zwischen Einzahlungen und erhaltenen Zahlungen bestehen sollte.)

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003Belgien -395,7 -406,5 -314,6 -214,1 -629,5 -373,2 -775,1Dänemark 131,0 7,1 122,6 240,5 -229,0 -162,7 -213,7

Deutschland -10 552,9 -8 044,2 -8 494,0 -8 280,2 -6 953,3 -5 041,0 -7 651,8

Griechenland 4 360,5 4 735,7 3 818,0 4 433,3 4 513,2 3 389,8 3 368,2

Spanien 5 782,8 7 141,1 7 382,4 5 346,8 7 738,3 8 880,0 8 733,2Frankreich -1 284,3 -864,5 30,0 -739,4 -2 035,4 -2 163,6 -1 910,9Irland 2 814,4 2 379,2 1 978,7 1 720,8 1 203,1 1 578,2 1 564,6

Italien -229,6 -1 410,6 -753,9 1 210,1 -1 977,9 -2 868,5 -793,6Luxemburg -54,3 -76,6 -85,0 -56,6 -144,1 -48,6 -56,2

Niederlande -1 087,5 -1 539,8 -1 827,0 -1 540,3 -2 256,8 -2 181,7 -1 956,1

Österreich -779,8 -629,2 -628,8 -447,8 -536,4 -223,5 -336,2Portugal 2 717,3 3 018,9 2 858,2 2 168,5 1 794,2 2 694,0 3 482,0

Finnland 39,8 -102,4 -194,8 274,5 -150,4 -4,1 -20,7

Schweden -1 097,7 -779,9 -897,3 -1 059,5 -973,3 -743,4 -950,4

Vereinigtes Königreich

-242,6 -3 489,3 -2 826,7 -2 985,9 707,5 -2 880,0 -2 763,3

EU 121,4 -60,9 167,8 70,8 70,3 -148,2 -280,1

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80. Wie wird der EU-Haushalt verabschiedet?

Jedes Jahr erarbeitet die Europäische Kommission einen Vorentwurf des Haushaltsplans. Europäisches Parlament und Rat legen dann den Ausgabenumfang für die einzelnen Posten fest. Anschließend wird der endgültige Haushaltsplan vom Europäischen Parlament verabschiedet. Der Kommissionsentwurf wird vor der Verabschiedung in der Regel zweimal sowohl im Rat als auch im Parlament debattiert. Während dieser Lesungen werden Änderungen bei den Mittelzuweisungen insgesamt vorgeschlagen oder die vorgesehenen Mittel anders zugewiesen. Im Laufe des Verfahrens bemühen sich Kommission, Rat und Europäisches Parlament um eine Einigung über den Haushaltsplan.

Der Haushaltsplan der EU wird jeweils für ein Jahr vom 1. Januar bis 31. Dezember aufgestellt. Der Finanzrahmen für den EU-Haushalt, die sogenannte Finanzielle Vorausschau wird von der Kommission, vom Rat und vom Europäischen Parlament in interinstitutionellen Vereinbarungen für mehrere Jahre festgelegt. Die einzelnen Jahresbudgets basieren auf diesen Vereinbarungen, die mehrjährige Ausgabenobergrenzen für die einzelnen Ausgabenkategorien im EU-Haushalt enthalten (siehe Frage 78). Zurzeit laufen die Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau für 2007-2013.

Grundlage für die Verabschiedung des EU-Haushalts ist Artikel 272 des EG-Vertrags. Die Haushaltsordnung sowie einige Vereinbarungen zwischen der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament regeln dann die Feststellung und Umsetzung des Haushaltsplanes im Detail.

Die Europäische Kommission legt einen Haushaltsvorentwurf vor: Die Kommission erarbeitet auf der Basis von Haushaltsvoranschlägen der einzelnen EU-Organe den Vorentwurf des Haushaltsplans. Nach Artikel 272 EGV muss die Kommission dem Rat diesen Vorentwurf spätestens am 1. September jedes Jahres für das kommende Kalenderjahr vorlegen. Die Organe haben vereinbart, dass der Vorentwurf spätestens am 15. Juni vorzulegen ist. In der Praxis präsentiert ihn die Kommission jedoch bereits Anfang Mai. Die Kommission hat dabei die Möglichkeit, den Vorentwurf bis spätestens 30 Tage vor der ersten Lesung im Europäischen Parlament abzuändern.

Erste Lesung im Rat: Die erste Lesung im Rat findet in der Regel im Juli statt. Anschließend wird der Haushaltsentwurf bis spätestens 5. Oktober dem Europäischen Parlament unterbreitet. Erst nach der ersten Lesung im Rat wird der Vorschlag „Entwurf des Haushaltsplans“ genannt.

Während seiner ersten Lesung und nach Rücksprache mit einer Delegation des Europäischen Parlaments nimmt der Rat den Vorschlag und etwaige Änderungsvorschläge mit qualifizierter Mehrheit an. Möchte der Rat den Vorschlag abändern, muss er eine Stellungnahme der Kommission und der anderen betroffenen Institutionen einholen.

Erste Lesung im Europäischen Parlament: Der Rat nimmt in der Regel eine Reihe von Änderungen an. Anschließend geht der Haushaltsentwurf an das Europäische Parlament, das 45 Tage Zeit für seine Stellungnahme hat. Der Haushaltsplan gilt endgültig, wenn das Parlament seine Zustimmung erteilt oder sich in dem oben genannten Zeitraum nicht geäußert hat.

Es ist aber viel üblicher, dass das Europaparlament Änderungen am Haushaltsplan vorschlägt, und zwar:

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- Änderungen an den nichtobligatorischen Ausgaben, die mit einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen im Parlament angenommen werden (mindestens 367 der insgesamt 732 Stimmen),- Änderungsvorschläge zu den obligatorischen Ausgaben, die mit einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen angenommen werden.

Nach Annahme der Änderungen bzw. Änderungsvorschläge wird der geänderte Haushaltsentwurf dem Rat zur zweiten Lesung zugeleitet.

Obligatorische/nichtobligatorische AusgabenEin Aspekt, der das Haushaltsverfahren kompliziert, ist die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben. Der Einfluss des Europäischen Parlaments ist nämlich je nach Ausgabenart unterschiedlich: So hat das Parlament das letzte Wort bei nichtobligatorischen Ausgaben, der Rat jedoch bei obligatorischen Ausgaben.

Nach Artikel 272 handelt es sich bei obligatorischen Ausgaben um „Ausgaben …, die sich zwingend aus dem Vertrag oder den aufgrund des Vertrags erlassenen Rechtsakten ergeben“. Obligatorische Ausgaben sind also gesetzliche Ausgaben, auf die z. B. Landwirte Anspruch haben oder zu denen ein Drittland im Rahmen von Verträgen mit der EU berechtigt ist.

Die nichtobligatorischen Ausgaben beziehen sich auf Mittel, die gekürzt werden können. In der Praxis hat die Unterscheidung zwischen den beiden Ausgabenarten immer wieder zu Konflikten zwischen Rat und Europäischem Parlament geführt.

Zweite Lesung im Rat: Der Rat hat nun 15 Tage Zeit, sich zum geänderten Budgetentwurf zu äußern. Die zweite Lesung des Rates findet in der Regel in der dritten Novemberwoche statt. Akzeptiert der Rat alle Änderungen und Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments, ist der Haushaltsplan endgültig festgestellt. Geschieht dies nicht, gilt Folgendes:

Obligatorische Ausgaben- Zieht der Änderungsvorschlag des Europaparlaments keine Erhöhung der Gesamtausgaben eines Organs nach sich, kann der Rat den Vorschlag nur mit qualifizierter Mehrheit ablehnen und anschließend mit qualifizierter Mehrheit einen anderen Betrag einsetzen. Fasst der Rat einen derartigen Beschluss nicht, ist der Haushaltsentwurf endgültig.

- Zieht der Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments eine Erhöhung der Gesamtausgaben eines Organs nach sich, ist für die Annahme des Vorschlags eine qualifizierte Mehrheit im Rat erforderlich. Fasst der Rat einen derartigen Beschluss nicht, gilt der Vorschlag als abgelehnt, und der Rat kann mit qualifizierter Mehrheit einen anderen Betrag einsetzen.

Der Rat hat bei der Annahme obligatorischer Ausgaben das letzte Wort; eine Änderung durch das Europäische Parlament ist nicht mehr möglich.

Bei nichtobligatorischen Ausgaben ist die Situation anders: Der Rat kann die Abänderungen des Europaparlaments an den nichtobligatorischen Ausgaben mit qualifizierter Mehrheit ändern oder

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ablehnen. Die endgültige Entscheidung über Änderungen an den nichtobligatorischen Ausgaben trifft aber das Europäische Parlament.

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Zweite Lesung im Europäischen Parlament: Der Haushaltsentwurf mit den Änderungsvorschlägen des Rates geht zurück an das Europäische Parlament. Es muss dann innerhalb von 15 Tagen seine zweite und letzte Haushaltslesung durchführen. Diese findet in der Regel im Dezember statt. Äußert das Europäische Parlament seinen Standpunkt nicht innerhalb von 15 Tagen, gilt der Haushalt mit den Änderungsvorschlägen des Rates als festgestellt.

Nichtobligatorische Ausgaben: Das Europaparlament kann die Änderungsvorschläge des Rates zu den nichtobligatorischen Ausgaben mit einer Mehrheit der 732 Stimmen ändern oder ablehnen, sofern dies auch drei Fünfteln der abgegebenen Stimmen entspricht. Diese Entscheidung bedeutet, dass der Haushalt endgültig festgestellt ist und das Europäische Parlament das letzte Wort hatte.

In seiner zweiten Lesung kann das Europaparlament die Änderungen des Rates an den obligatorischen Ausgaben nicht mehr debattieren.

Ablehnung des Haushalts: Das Europäische Parlament kann jedoch mit einer Mehrheit der insgesamt 732 Stimmen, sofern dies drei Fünfteln der abgegebenen Stimmen entspricht, den gesamten Haushaltsplanentwurf ablehnen. Dann muss das gesamte Verfahren mit einem neuen Haushaltsentwurf noch einmal von vorn beginnen. Wird dieser Vorschlag nicht angenommen, agiert die EU auf der Basis von monatlichen Mittelzuweisungen in Höhe von jeweils einem Zwölftel des Vorjahreshaushalts (System der „provisorischen Zwölftel“). In der Geschichte der Europäischen Union hat das Europaparlament den Haushalt bisher dreimal abgelehnt.

Der Verfassungsvertrag und das HaushaltsverfahrenDer neue Verfassungsvertrag21 (siehe Fragen 6 und 7) beinhaltet wesentliche Veränderungen im Hinblick auf den Haushalt.

Der Finanzrahmen wird im Vertrag verankert: Bisher war der Finanzrahmen für mehrere Jahre in interinstitutionellen Vereinbarungen zwischen den EU-Organen festgelegt. Im neuen Verfassungsvertrag sind die Regeln für diesen Rahmen erstmalig verfassungsrechtlich festgeschrieben.

Der mehrjährige Finanzrahmen gilt für mindestens fünf Jahren. Der Finanzrahmen wird als Europäisches Gesetz erlassen, wobei der Rat einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließt. Der Europäische Rat kann jedoch beschließen, dass der Rat beim Erlass dieses Gesetzes mit qualifizierter Mehrheit abstimmt.

Rat und Europäisches Parlament werden beim Haushaltsverfahren gleichgestellt: Rat und Europäisches Parlament werden bei den Verhandlungen zum Jahreshaushalt gleichgestellt. Die derzeitige Unterscheidung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben fällt weg. Somit wird das Europäische Parlament künftig zum Beispiel auch Einfluss auf die Agrarausgaben haben, die einen Großteil des EU-Haushalts ausmachen.

21 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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SCHENGEN

81. Was ist die Schengen-Zusammenarbeit und warum heißt sie so?

Namensgeber für die Schengen-Zusammenarbeit ist die Stadt Schengen in Luxemburg, wo das Schengener Abkommen im Jahre 1985 unterzeichnet wurde. Die Schengen-Zusammenarbeit (siehe auch Frage 82) dient der Schaffung eines gemeinsamen Raums ohne Binnengrenzen. Grundlage ist die Abschaffung der Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen innerhalb des Schengen-Raums. Ergänzend gibt es gemeinsame Regeln für den Grenzverkehr an den Außengrenzen des Schengen-Raums und gemeinsame Visaregelungen für Bürger von Drittstaaten. Außerdem kooperieren die teilnehmenden Länder bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, der illegalen Einwanderung usw.

Ursprünglich handelte es sich dabei um eine Zusammenarbeit zwischen EU-Mitgliedstaaten, jedoch ausserhalb der Europäischen Verträge. Mit dem Vertrag von Amsterdam (1999 in Kraft getreten), wurden die Schengen-Regelungen Bestandteil des EU-Systems. Die Bestimmungen zu Visa, Einreise und Aufenthalt haben nunmehr eine Rechtsgrundlage in der supranationalen Zusammenarbeit nach Titel IV des EG-Vertrags.

Unter anderem gehört zur Schengen-Zusammenarbeit die Abschaffung der Personenkontrollen an den Grenzen. Deshalb braucht man nicht mehr seinen Pass vorzuzeigen, wenn man mit dem Auto über die deutsch-französische Grenze fährt. Es gibt auch keine Passkontrolle am Flughafen mehr, wenn man zum Beispiel von Portugal oder Griechenland nach Italien oder Finnland fliegt, weil alle diese Länder zum Schengen-Raum gehören.

KaliningradSeit 1. Mai 2004 liegt die russische Exklave Kaliningrad wie eine Insel in der EU zwischen Litauen und Polen, ohne direkte Verbindung zu Russland. Auf einem Treffen auf höchster Ebene zwischen der EU und Russland im November 2002 wurde eine Lösung gefunden, die Litauen und Polen die Teilnahme an der Schengen-Zusammenarbeit und zugleich russischen Staatsangehörigen die Reise zwischen Kaliningrad und Russland ermöglicht.

Bewohner von Kaliningrad erhalten statt eines Visums ein „Dokument für den erleichterten Transit“, das sie am Bahnhof von Kaliningrad beantragen können. Auch die Möglichkeit einer Hochgeschwindigkeitszugverbindung zwischen Kaliningrad und Russland soll geprüft werden.

82. Welche Länder beteiligen sich an der Schengen-Zusammenarbeit?

Insgesamt 13 EU-Mitgliedstaaten beteiligen sich in vollem Umfang an der Schengen-Zusammenarbeit. Dazu kommen Norwegen und Island (siehe Frage 83). Der praktische Teil der Schengen-Zusammenarbeit, der unter anderem die Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen umfasst, wurde also in 15 Ländern umgesetzt: Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland, Luxemburg,

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Italien, Spanien, Portugal, Österreich, Griechenland, Dänemark, Finnland, Schweden sowie in den Nicht-EU-Ländern Norwegen und Island.

Großbritannien und Irland beteiligen sich nur an bestimmten Aspekten der Schengen-Kooperation. Dies gilt für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, die Bekämpfung der Drogenkriminalität sowie die Errichtung des Schengener Informationssystems SIS.

Die neuen EU-Mitglieder und SchengenDie Schengen Vorschriften waren für die neuen Mitgliedstaaten vom Beitrittstag, dem 1. Mai 2004, an verbindlich. Allerdings gelten nur einige der Vorschriften bereits von diesem Tag an für die neuen Mitgliedstaaten, darunter die Regeln für ein Standardvisum. Die Grenzkontrollen zwischen den alten Schengen-Ländern und den neuen EU-Mitgliedstaaten sind aber noch nicht abgeschafft. Die gemeinsamen Außengrenzkontrollen der EU erfolgen daher vorläufig weiterhin beispielsweise an der deutsch-polnischen und nicht an der polnisch-ukrainischen Grenze.

Der Rat kann die Abschaffung der Grenzkontrollen nur nach Anhörung des Europäischen Parlaments und einstimmig beschliessen. Vorher müssen die neuen Mitgliedstaaten die notwendigen Voraussetzungen für die Umsetzung aller entsprechenden Vorschriften schaffen. Um die Vorbereitungen zu unterstützen, alle Schengen-Vorschriften, auch zu den Kontrollen an den EU-Außengrenzen, umzusetzen, stellt die Europäische Union Finanzmittel bereit. Diese können unter anderem für Investitionen in den Bau, die Erneuerung oder die Verbesserung von Infrastrukturanlagen und Gebäuden an Grenzübergangsstellen, für Ausrüstungen (Labortechnik, Überwachungstechnik, Hardware und Software für das SIS – siehe Frage 85), die Schulung von Grenzschutzbeamten usw. eingesetzt werden.

Grönland, die Färöer und SchengenDie Färöer Inseln und Grönland sind autonome Gebiete des Staates Dänemark, die jedoch nicht von der dänischen EU-Mitgliedschaft und den in diesem Zusammenhang von Dänemark eingegangenen Verpflichtungen erfasst sind (siehe Frage 17). Ebenso wie Norwegen und Island haben auch die Färöer und Grönland keine Schengen Kooperation mit der EU (siehe Frage 83). Das dänische Beitrittsabkommen zur Schengen-Zusammenarbeit enthält jedoch eine spezielle Bestimmung, wonach die dänische Polizei wirksame Grenzkontrollen an den Grenzen der Färöer und Grönlands zu Ländern durchführen kann, die nicht der Schengen-Zusammenarbeit angehören, wie z. B. Kanada. Somit kann die Reisefreiheit zwischen Dänemark und den übrigen Landesteilen aufrecht erhalten werden. Die Färöer und Grönland beteiligen sich also an der skandinavischen Kooperation in Sachen Reise- und Passfreiheit, ohne tatsächlich an der Schengen-Zusammenarbeit teilzunehmen.

83. Muss ich meinen Pass mitnehmen, wenn ich in ein anderes EU-Land reise?

Mit Schengen entfällt zwar die Pflicht, an den Binnengrenzen des Schengen-Raumes den Reisepass vorzuzeigen. Trotzdem kann es manchmal notwendig sein, sich nach der Einreise in ein Schengen-Land ausweisen zu können. Diese Ausweispflicht bedeutet, dass Bürger in einem Schengen-Land in der Lage

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sein müssen, ihre Staatsangehörigkeit nachzuweisen. Daher sollte man bei Reisen zwischen Schengen-Ländern stets seinen Reisepass oder Personalausweis mit sich führen, auch wenn es an der Grenze, auf dem Flughafen usw. keine Passkontrolle gibt. Auch Fluggesellschaften verlangen oft beim Einchecken die Vorlage eines Personaldokuments.

Nicht abgeschafft wurden die Grenzkontrollen in Großbritannien und Irland sowie in den Ländern, die der EU am 1. Mai 2004 beigetreten sind.

Nicht alle EU-Mitgliedstaaten haben Personalausweise; dies gilt zum Beispiel für Dänemark. Ausweispflicht bedeutet daher, dass Dänen bei Reisen in andere Schengen-Länder ihren Reisepass mitführen sollten. Aufgrund der nordischen Passunion brauchen dänische Staatsbürger jedoch keinen Pass bei Reisen in andere skandinavische Länder (nach Schweden und Finnland sowie in die Nicht-EU-Mitgliedstaaten Island und Norwegen).

84. Was ist ein Schengen-Visum?

Ein Schengen-Visum ist ein Dokument, das Bürger einer Reihe von Ländern außerhalb des Schengen-Raumes erwerben müssen, wenn sie in die Schengen-Länder reisen wollen. Wird ein sogenanntes Schengen-Visum in einem der Schengen-Länder ausgestellt, gilt es automatisch in allen diesen Ländern und berechtigt zu Reisen im Schengen-Raum für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten.

Nicht alle Bürger aus Ländern außerhalb des Schengen-Raums benötigen für Reisen in die Schengen-Länder ein Visum. Die EU hat eine Liste von Ländern genehmigt, deren Bürger im Besitz eines Visums sein müssen („Negativliste“), sowie eine Liste der Länder, deren Bürger von der Visumspflicht befreit sind („Positivliste“).

Da Großbritannien und Irland sich nicht an diesem Teil der Schengen-Zusammenarbeit beteiligen, gelten die Visaregelungen der EU für diese beiden Länder nicht.

85. Welche Informationen werden im Rahmen der Schengen-Zusammenarbeit erfasst?

Ein zentraler Bestandteil der Schengen-Zusammenarbeit sind die Bekämpfung der Kriminalität und effiziente Kontrollen an den Außengrenzen der Schengen-Länder. Zur Stärkung der Kooperation wurde ein gemeinsames Informationssystem – das Schengener Informationssystem (SIS) – eingerichtet. Das SIS ermöglicht den Schengen-Ländern einen schnellen Informationsaustausch über erfasste Personen und Gegenstände. So erhält auch die österreichische Polizei mit dem SIS Zugang zu Berichten aus anderen Schengen-Ländern, beispielsweise über ausgewiesene oder gesuchte Personen, gestohlene Fahrzeuge und Waffen usw.

Im SIS gibt es zwei Kategorien von Informationen – erfasste Personen und erfasste Gegenstände. Die von den nationalen Behörden erfassten Personenangaben betreffen:

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- Personen, die ausgewiesen werden sollen- Ausländer, denen die Einreise verweigert wird- Vermisste oder Personen, die zur eigenen Sicherheit usw. vorübergehend in Gewahrsam zu nehmen

sind- Zeugen oder Personen, die vor Gericht geladen sind oder die verurteilt werden sollen oder die eine

Freiheitsstrafe verbüßen sollen- Personen oder Gegenstände, die überwacht oder kontrolliert werden sollen.

Erfasst werden zudem gesuchte Gegenstände, die beschlagnahmt oder als Beweismittel in einem Strafverfahren verwendet werden sollen.

Die nationalen Behörden melden die Informationen und können die im SIS enthaltenen Informationen recherchieren. Bei allen Meldungen und Informationsrecherchen müssen die geltenden nationalen und internationalen Datenschutzvorschriften eingehalten werden. Dafür gibt es in jedem Land entsprechende Kontrollinstanzen sowie eine Gemeinsame Schengen-Kontrollinstanz.

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POLITIKBEREICHE

86. Was ist die GAP?

GAP steht für „Gemeinsame Agrarpolitik“. Sie besteht aus Vorschriften und Mechanismen, welche die Erzeugung, den Absatz und die Verarbeitung von Landwirtschaftsprodukten in der EU regeln. Seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1958 (siehe Frage 2) ist die Agrarpolitik ein zentraler Politikbereich der Gemeinschaft.

Die Grundprinzipien der EU-Agrarpolitik lassen sich wie folgt zusammenfassen:• Einheit des Marktes: Agrarerzeugnisse müssen frei und ungehindert zwischen den EU-Mitgliedstaaten ausgetauscht werden können• Gemeinschaftspräferenz: die in der EU erzeugten Agrarprodukte haben Vorrang vor Erzeugnissen aus Drittstaaten; EU-Agrarprodukte der EU sind vor Schwankungen auf dem Weltmarkt und vor aus Drittländern eingeführten Billigerzeugnissen zu schützen• Finanzielle Solidarität: alle Ausgaben für die Gemeinsame Agrarpolitik werden über den EU-Haushalt finanziert.

Um die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik (siehe Kasten) zu erreichen, mussten gemeinsame Marktorganisationen für Agrarprodukte geschaffen werden. Je nach Erzeugnis gehören dazu gemeinsame Wettbewerbsregeln, eine bindende Koordinierung der verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen oder eine europäische Marktordnung.

Die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik (Artikel 33 Absatz 1 EGV)(1) Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik ist es:a) die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, zu steigern;b) auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten;c) die Märkte zu stabilisieren;d) die Versorgung sicherzustellen;e) für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen.

Von 1962 an wurden Marktorganisationen für eine Reihe von Erzeugnissen eingeführt, zunächst für Getreide, später für Schweinefleisch, Obst und Gemüse. Mittlerweile gibt es Marktorganisationen für die meisten landwirtschaftlichen Erzeugnisse der EU. Das Grundprinzip der Marktorganisationen besteht darin, die Preise für Agrarprodukte auf der Basis politisch festgelegter Preise stabil zu halten. Die Marktorganisationen sollen Hemmnisse für den EU-internen Handel mit Agrarprodukten beseitigen und zugleich die Agrarerzeugnisse der EU-Mitgliedstaaten mithilfe gemeinsamer Zollschranken vor Produkten aus Ländern außerhalb der EU schützen.Die Agrarpolitik der EU wird aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) finanziert, der einen grossen Teil des Gemeinschaftshaushalts (siehe Frage 78) ausmacht. 1962 eingerichtet, wurde er 1964 in zwei Abteilungen untergliedert:

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1. Die Abteilung „Ausrichtung“ ist einer der Strukturfonds und hat zum Ziel, die regionale Entwicklung zu fördern und Disparitäten zwischen den verschiedenen Regionen der EU abzubauen. Sie unterstützt Strukturreformen in der Landwirtschaft und die Entwicklung der ländlichen Gebiete;

2. Die Abteilung „Garantie“ ist die wichtigere der beiden Abteilungen, da sie die Ausgaben für die Marktorganisationen finanziert. Dies geschieht unter anderem durch Ausfuhrerstattungen für Ausfuhren in Drittstaaten, um Agrarexporte zu fördern. Oder durch Interventionen zur Regulierung der Agrarmärkte, also der Ankauf und die Lagerung von Überproduktionen. Ausgaben für die Abteilung „Garantie“ sind obligatorische Ausgaben im Rahmen des EU-Haushalts (siehe Frage 9).

Die GAP trägt in vieler Hinsicht zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Erzeugung und Produktivität in der Union sowie zur Stabilisierung der Märkte bei. Sie garantiert Versorgungssicherheit und schützt die Landwirte vor Schwankungen der Weltmärkte. Sie bringt aber auch unerwünschte Nebenwirkungen und Probleme mit sich. Zu manchen Zeiten bestand ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, was zu riesigen Überschüssen und rapide steigenden Agrarausgaben führte. Daher wurde die Gemeinsame Agrarpolitik mehrfach reformiert. Die Grundzüge der jüngsten Reform wurden im Juni 2003 verabschiedet.

Die EU-Agrarpolitik und die „Juni-Reform“Nach schwierigen Verhandlungen verabschiedete der Rat am 26. Juni 2003 mit qualifizierter Mehrheit eine Reform der EU-Agrarpolitik. Die verschiedenen Bestandteile der Reform treten im Laufe der Jahre 2004 und 2005 in Kraft.Eines der zentralen Elemente dieser Reform ist die allmähliche Abschaffung eines Großteils der Direktbeihilfen. Beihilfen werden also vom Umfang der betreffenden Erzeugung entkoppelt. Ziel ist es, dass die europäischen Landwirte das erzeugen, was der Markt verlangt, und ihre Erzeugung nicht an der dafür zur Verfügung stehenden Förderung ausrichten. Um eine vollständige Aufgabe der Erzeugung zu verhindern, können die Mitgliedstaaten weiterhin eine Verknüpfung zwischen Beihilfen und Produktion unter klar formulierten Auflagen und innerhalb deutlich abgegrenzter Bereiche beibehalten. Diese Beihilfezahlungen sind an die Einhaltung von Standards im Bereich Umwelt, Lebensmittelsicherheit, Gesundheit von Tieren und Pflanzen sowie Tierschutz geknüpft .

Seit den sechziger Jahren ist die Reform der Agrarpolitik nahezu ständig Thema von Diskussionen. Die jüngste Reform steht in engem Zusammenhang mit der EU-Erweiterung. Die Ausgaben für die Agrarpolitik würden nämlich erheblich steigen, wenn die neuen Mitgliedstaaten vom System der Agrarförderung in der Form profitieren sollten, wie es zum Zeitpunkt der Beitrittsverhandlungen bestand. Im Zusammenhang mit dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten wurde eine Obergrenze für die Agrarausgaben bis 2013 festgesetzt.

2002 beschloss der Europäische Rat, dass die jährlichen Ausgaben für die Agrarpolitik im Zeitraum 2007-2013 die Ausgaben für 2006 (1999 in Berlin vereinbart) nicht überschreiten dürfen, die um 1 % pro Jahr erhöht werden. Die Agrarpolitikreform vom Juni 2003 bleibt in diesem Rahmen.

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Der Verfassungsvertrag und die Agrarpolitik

Nach dem neuen Verfassungsvertrag (siehe Fragen 6 und 7) erhält das Europäische Parlament einen wesentlich größeren Einfluss auf die Agrarpolitik. Europäisches Parlament und Rat werden im Haushaltsverfahren gleichgestellt, da die Trennung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben wegfällt. Die Europaabgeordneten entscheiden somit gleichberechtigt über die Agrarausgaben. Außerdem wird für die Verabschiedung der gemeinsamen Marktorganisation und der zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik notwendigen Bestimmungen das ordentliche Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Der Rat behält jedoch seinen entscheidenden Einfluss auf die Festlegung von Preisen, Abgaben, Förderungen und quantitativen Einschränkungen sowie auf die Zuweisung und Verteilung von Fischereirechten.

87. Was ist die Lissabon-Strategie?

Die Lissabon-Strategie ist eine neue strategische Zielsetzung der EU, die der Europäische Rat auf einer Sondertagung in Lissabon im März 2000 beschlossen hat. Demnach soll die EU bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt gemacht werden. Dabei verwenden die EU-Mitgliedstaaten die Methode der offenen Koordinierung, eine Ergänzung zu den traditionellen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften. Die offene Koordinierungsmethode beruht auf nationalen Aktionsplänen, gemeinsamen Zielsetzungen und der gemeinschaftlichen Planung in Politikbereichen.

Die Halbzeitüberprüfung der Lissabon-Strategie fiel nicht zufrieden stellend aus. Auf der Tagung des Europäischen Rates am 22./23. März 2005 wurde daher beschlossen, wie die Strategie künftig ausgestaltet werden sollte.

Auszug aus den Schlussfolgerungen der Sondertagung des Europäischen RatesLissabon am 23./24. März 2000

Die Union hat sich heute ein neues strategisches Ziel für das kommende Jahrzehnt gesetzt: das Ziel, die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.

Zur Erreichung dieses Ziels bedarf es einer globalen Strategie, in deren Rahmen- der Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft durch bessere Politiken für die Informationsgesellschaft und für die Bereiche Forschung und Entwicklung sowie durch die Forcierung des Prozesses der Strukturreform im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovation und durch die Vollendung des Binnenmarktes vorzubereiten ist;- das europäische Gesellschaftsmodell zu modernisieren, in die Menschen zu investieren und die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen ist;

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- für anhaltend gute wirtschaftliche Perspektiven und günstige Wachstumsaussichten Sorge zu tragen ist, indem ein geeigneter makroökonomischer Police-Mix angewandt wird.

Die Methode der offenen KoordinierungBei der offenen Koordinierungsmethode werden auf EU-Ebene gemeinsame Zielsetzungen und Leitlinien definiert, die dann auf nationaler und regionaler Ebene umgesetzt werden. Die Umsetzung bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, die EU nimmt eine ständige Bewertung der Ergebnisse au s den Mitgliedstaaten vor. Die offene Koordinierungsmethode wird im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip angewendet (siehe Frage 61).

So funktioniert die Methode der offenen Koordinierung:1. Die Kommission unterbreitet Vorschläge für Zielsetzungen und Leitlinien in einem bestimmten Politikbereich. Diese werden anschließend vom Rat verabschiedet.2. Es werden Indikatoren aufgestellt, anhand derer sich der jeweilige Stand der Mitgliedstaaten in einem bestimmten Bereich leichter vergleichen lässt.3. Die Mitgliedstaaten setzen die Leitlinien in der regionalen und nationalen Politik um.4. Die EU überwacht und bewertet die Ergebnisse.

88. Was ist der Binnenmarkt?

Der Binnenmarkt ist eine der wesentlichsten Grundlagen der Europäischen Union. Ziel ist die Beseitigung der traditionellen Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten.

Neben dem Grundprinzip des freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs wird der Binnenmarkt von Grundsätzen und Regeln ergänzt, die dafür sorgen, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verzerrt wird. Weitere Regelungen sorgen dafür, dass die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im für das Funktionieren des Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden. Darüber hinaus spielen die so genannten flankierenden Politikbereiche, wie der Umweltschutz und die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, eine wichtige Rolle im Binnenmarkt.

Zollunion/FreihandelszoneEine Zollunion unterscheidet sich dadurch von einer Freihandelszone wie der EFTA (siehe Frage 96), dass Zolltarife zwischen den Mitgliedsländern abgeschafft werden. Zugleich werden ein gemeinsamer Zolltarif für die Einfuhr von Waren aus Ländern außerhalb der Zollunion sowie eine gemeinsame Handelspolitik eingeführt.

Bei der EFTA sind zwar die Zolltarife im Handel zwischen den EFTA-Ländern abgeschafft, es gibt jedoch keinen gemeinsamen Zolltarif und keine gemeinsame Handelspolitik. Im Handel der EFTA-Länder untereinander wird also weiterhin eine Unterscheidung zwischen Waren mit Ursprung in einem EFTA-Land und Waren mit Ursprung in Ländern außerhalb des EFTA-Raumes vorgenommen.

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Geschichte des BinnenmarktesBereits im EWG-Vertrag (auch als „Vertrag von Rom“ bezeichnet – siehe Frage 9) hieß es, dass ein „Gemeinsamer Markt“ errichtet werden soll. Allerdings wurde nicht genau ausgeführt, was dazu erforderlich ist.

Die Errichtung einer Zollunion zwischen den EWG-Ländern bildete jedoch einen der Grundsteine des Gemeinsamen Marktes. Die Zollunion trat am 1. Juli 1968 in Kraft, und die verbliebenen Zölle im innergemeinschaftlichen Handel wurden abgeschafft. Statt nationaler Zölle der EWG-Länder im Handel mit Drittstaaten gab es nun einen einheitlichen Zolltarif. Auch eine gemeinsame Handelspolitik wurde eingeführt.

Im Europäischen Rat (siehe Frage 33) war man sich Anfang der achtziger Jahre einig, durch einen EG-Binnenmarkt die Wirtschaft der EG-Mitgliedstaaten zu stärken. Daher forderte der Europäische Rat 1985 die Kommission auf, ein detailliertes Programm mit einem konkreten Zeitplan für die Errichtung eines großen EG-Binnenmarktes bis 1992 zu erarbeiten.

Unter Leitung ihres Präsidenten Jacques Delors veröffentlichte die Kommission 1985 ein Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes. Das Weißbuch enthielt 279 gesetzgeberische Maßnahmen, die notwendig waren, um die Hindernisse im innergemeinschaftlichen Handel zu beseitigen. Im Weißbuch wurde der 31. Dezember 1992 als Termin für die Vollendung des Binnenmarktes vorgeschlagen.

WeißbücherEin Weißbuch ist ein Dokument der Kommission mit konkreten und ausführlichen Vorschlägen dazu, wie eine Politik in einem bestimmten Bereich formuliert werden kann. Weißbücher dienen oft als eine Art Aktionsplan, dem dann die eigentlichen Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen folgen.

Die Einheitliche Europäische Akte steckte dann erstmals den eigentlichen Rahmen für den Binnenmarkt ab und folgte dabei inhaltlich dem Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes. Hier wurde die Errichtung eines Binnenmarktes mit freiem Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr festgelegt. Um den Zeitplan (bis Jahresende 1992) einzuhalten, wurde eine neue Bestimmung in den EG-Vertrag (Artikel 95 EGV – siehe Frage 94) eingefügt, wonach der Rat Vorschriften zur Errichtung des Binnenmarktes mit qualifizierter Mehrheit erlassen kann. Damit sollte sichergestellt werden, dass der EU-Entscheidungsprozess nicht durch einstimmige Entscheidungen blockiert wird. Bis zum 1. Januar 1993 wurden jedoch nicht alle Entscheidungen getroffen oder umgesetzt.

In den Antworten zu den Fragen 89-94 wird gezeigt, wie die Hauptprinzipien des Binnenmarktes in der Praxis funktionieren.

89. Was hat Kir Royal mit dem Binnenmarkt zu tun? (Waren)

Kir Royal ist ein Getränk aus Sekt und Crème de Cassis, Schwarzem Johannesbeerlikör. Das Urteil in der Rechtssache „Cassis de Dijon“ im Jahre 1979 war eine der wichtigsten Entscheidungen des

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Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, die zur Annahme der Einheitlichen Europäischen Akte und der Binnenmarktvorschriften führten. In dem Urteil wird das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bekräftigt. Demnach muss ein Produkt, das in einem EU-Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurde, in den anderen Mitgliedstaaten akzeptiert werden.

Die Ausgangslage bei dem Fall „Cassis de Dijon“ war wie folgt: nach deutschem Recht gibt es einen Mindestalkoholgehalt für Fruchtliköre. Daher durfte der französische Schwarze Johannisbeerlikör „Cassis de Dijon“ nicht auf dem deutschen Markt verkauft werden. Nach dem deutschen Branntweinmonopolgesetz müssen Fruchtliköre wie „Cassis de Dijon“ einen Mindestalkoholgehalt von 25 Vol.% aufweisen. Der Gehalt von „Cassis de Dijon“ betrug aber nur 15-20 Vol.%.

Die Sache wurde dem EuGH von einem deutschen Gericht zur Vorabentscheidung (siehe Frage 50) vorgelegt. Die Klägerin, eine Handelskette, hatte die Absicht, „Cassis de Dijon“ aus Frankreich zu importieren und in der Bundesrepublik zu verkaufen. Die deutschen Behörden verweigerten jedoch die Einfuhrgenehmigung mit der Begründung, dass der Alkoholgehalt des Likörs zu niedrig und der Verkauf auf dem deutschen Markt daher nicht zulässig sei.

Die Klägerin machte geltend, dass dieses deutsche Gesetz ein Hindernis für den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten darstellt. Es bedeutet ja, dass bekannte Spirituosen aus den anderen Mitgliedstaaten nicht in Deutschland verkauft werden können.

Der Gerichtshof befand, dass Handelshemmnisse zwischen den Mitgliedstaaten, die sich aus unterschiedlichen nationalen Regelungen über die Vermarktung der betroffenen Produkte ergeben, grundsätzlich akzeptabel sind. Allerdings nur dann, wenn diese Regelungen notwendig sind, zum Beispiel für wirksame steuerliche Kontrolle, den Schutz der öffentlichen Gesundheit und den Konsumentenschutz. Obwohl die deutsche Bundesregierung zu beweisen versuchte, dass die deutsche Rechtsvorschrift notwendig ist, folgte der Gerichtshof dieser Argumentationslinie nicht.

Nach Meinung des Gerichtshofs sicherten solche Bestimmungen praktisch vor allem Getränken mit hohem Alkoholgehalt einen Vorteil, indem sie Erzeugnisse anderer Mitgliedstaaten, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, vom nationalen Markt ausschließen. Daher stelle es ein Handelshemmnis dar, wenn ein Mitgliedstaat durch Gesetze einseitig einen Mindestalkoholgehalt als Voraussetzung für die Verkaufsfähigkeit alkoholischer Getränke festsetzt. Es gebe somit keinen stichhaltigen Grund, zu verhindern, dass in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und in den Verkehr gebrachte alkoholische Getränke in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden. Es dürfe kein gesetzliches Verbot des Vertriebs von Getränken geben, die einen geringeren Alkoholgehalt haben, als im nationalen Recht vorgeschrieben ist.

Mindestalkoholgehalt 25 Vol.% bei Fruchtlikör im Interesse der öffentlichen GesundheitEines der Argumente der deutschen Regierung lautete, die Bestimmungen über den Mindestalkoholgehalt beruhten auf der Sorge um den Schutz der öffentlichen Gesundheit. Die Festsetzung eines Mindestalkoholgehaltes im nationalen Recht solle die Überschwemmung des nationalen Marktes mit alkoholischen Getränken, insbesondere mit solchem mäßigen Alkoholgehalt verhindern. Derartige Erzeugnisse könnten leichter zu

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einer Gewöhnung führen als Getränke mit höherem Alkoholgehalt. Der Gerichtshof wies dieses Argument zurück, da dem deutschen Verbraucher auf dem Markt ein äußerst umfangreiches Angebot unterschiedlicher Erzeugnisse mit geringem oder mittlerem Alkoholgehalt zur Verfügung stehe. Überdies wird ein erheblicher Teil der auf dem deutschen Markt frei gehandelten Getränke mit hohem Alkoholgehalt üblicherweise verdünnt konsumiert.

90. Was hat der Binnenmarkt mit den Transferregeln im Fußball zu tun? (Personen)

Eines der Grundprinzipien des Binnenmarktes (siehe Frage 88) ist der freie Personenverkehr einschließlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Dabei dürfen Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit unterschiedlich behandelt werden, zum Beispiel in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Eine Rolle spielte der Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer unter anderem beim so genannten Bosman-Urteil.

Ausgangslage war, dass der alte Fußballverein des belgischen Profi-Fußballers Jean-Marc Bosman nach Ablauf seines Vertrages eine Ablösesumme fordern konnte, wenn Bosman von einem neuen Verein unter Vertrag genommen würde. Dies entsprach den geltenden Transferregeln. Außerdem betraf der Fall die Frage, ob nationale und internationale Sportvereinigungen oder Sportverbände durch spezielle Bestimmungen den Zugang ausländischer Spieler, die Bürger eines EU-Mitgliedstaates sind, zu den von ihnen veranstalteten Wettbewerben beschränken dürfen.

Bosman beantragte bei einem nationalen Gericht, die Transferregeln und die so genannten Ausländerklauseln für auf ihn nicht anwendbar zu erklären. Seiner Ansicht nach verletzten sie sowohl die EU-Wettbewerbsregeln als auch die Bestimmungen der Union über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Der Europäische Gerichtshof entschied im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (siehe Frage 50).

Der Europäische Gerichtshof vertrat im Bosman-Urteil die Auffassung, dass die Transferregeln im Widerspruch zu den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer stehen. Diese Regeln beeinflussen direkt den Zugang der Spieler zum Arbeitsmarkt in den anderen Mitgliedstaaten und können so die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigen. Der Gerichtshof wies die Argumente zurück, Transferregeln würden in erster Linie das finanzielle und sportliche Gleichgewicht zwischen den Vereinen aufrechterhalten und die Suche nach Talenten sowie die Ausbildung der jungen Spieler unterstützen. Der Gerichtshof glaubte, dass diese Ziele auch mit anderen Mitteln erreicht werden könnten, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigen.

Darüber hinaus befand der Gerichtshof, dass es Sportvereinen nach den Bestimmungen des EG-Vertrags zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht erlaubt sei, Regeln aufzustellen, wonach Fußballvereine in den offiziellen Spielen, die die Vereine veranstalten, nur eine begrenzte Zahl von Berufsfußballspielern einsetzen können, die Bürger anderer Mitgliedstaaten sind.

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Außer für die 25 EU-Mitgliedstaaten gilt das Urteil auch in Island, Liechtenstein und Norwegen, die Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) sind (siehe Frage 96). Das EWR-Abkommen räumt unselbständig Beschäftigten und selbständigen Geschäftsleuten das Recht auf Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit in der EU ein. Die Schweiz ist kein Mitglied des EWR, hat jedoch mit der EU ein Abkommen über die Freizügigkeit abgeschlossen.

91. Was haben Wettbüros mit dem Binnenmarkt zu tun? (Dienstleistungen)

Im Gambelli-Urteil aus dem Jahre 2003 ging es um die nationalen Monopole der verschiedenen EU-Länder für Sportwetten. Die Kommission untersucht derzeit, ob die Rechtsvorschriften einer Reihe von Ländern über ihre nationalen Sportwettenmonopole im Widerspruch zu den EU-Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit stehen.

In der Sache ging es darum, dass der italienische Buchmacher Gambelli gemeinsam mit anderen über das Internet Wettdienstleistungen für einen englischen Buchmacher erbracht hatte. Der italienische Staat besaß ein Spiel- und Wettmonopol und leitete daher ein Strafverfahren gegen Gambelli ein. Gambelli machte jedoch vor dem italienischen Gericht geltend, dass sich die italienischen Rechtsvorschriften im Widerspruch zu den Grundsätzen des EU-Rechts zum freien Dienstleistungsverkehr und zur Niederlassungsfreiheit befinden. Das italienische Gericht beantragte daraufhin beim Europäischen Gerichtshof eine Vorabentscheidung (siehe Frage 50).

Der Gerichtshof befand, dass das italienische Spiel- und Wettmonopol der Niederlassungsfreiheit und dem freien Dienstleistungsverkehr in der Europäischen Union widersprach. Es sei Sache des italienischen Gerichts, zu prüfen, ob eine solche Regelung angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten tatsächlich den Zielen - Schutz der Verbraucher und der Gesellschaft -Rechnung trägt, die sie rechtfertigen könnten. Ausserdem sei zu prüfen, ob die auferlegten Beschränkungen nicht unverhältnismässig streng seien. Für diese Prüfung wurde zudem ein Rahmen angegeben.

Nach dem Urteil des Gerichtshofs könnten Beschränkungen gerechtfertigt sein, wenn sie für den Schutz der Konsumenten und der Sozialordnung erforderlich sind. Bei der Bewertung muss man die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft (z. B. Spielsucht) beachten. Darüber hinaus müsse der Hauptzweck der Beschränkungen ein überwiegendes Allgemeininteresse sein, beispielsweise das Interesse an einer Verringerung von Spieleinrichtungen. Die Beschränkungen dürften nicht über das Maß hinausgehen, das für die Wahrung des überwiegenden Allgemeininteresses notwendig ist. Sie dürfen nicht diskriminierend angewendet werden. Die Staatskasse zu füllen, ist laut EuGH kein akzeptabler Zweck.

Wenn ein Mitgliedstaat den Bürgern Anreize schafft, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen, könne sich der betreffende Staat nicht auf die Wahrung der öffentlichen Ordnung als Grund für Beschränkungen berufen. Dies betont der Europäische Gerichtshof.

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92. Was hat die Fußball-Weltmeisterschaft mit EU-Wettbewerbsregeln zu tun? (Wettbewerb)

Nach EU-Recht ist es Unternehmen nicht gestattet, eine beherrschende Stellung zu missbrauchen, wenn dadurch der Handel zwischen den EU-Ländern beeinträchtigt wird. So wird sicher gestellt, dass der Binnenmarkt so effizient wie möglich funktioniert. Zur missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung kommt es beispielsweise, wenn ein Unternehmen ohne Rücksicht auf Mitbewerber, Lieferanten oder Käufer die Käufer zwingen kann, ungerechtfertigte Preise hinzunehmen, sowie Produktion und Absatz beschränken und unterschiedliche Bedingungen für Lieferungen gleichen Wertes anwenden kann.

Ein Fall der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung trat in Zusammenhang mit der Organisation der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich auf. Das französische Organisationskomitee CFO besaß ein Monopol für die Organisation der Weltmeisterschaft und hatte den Verkauf von Eintrittskarten für die Endrundenspiele so organisiert, dass Fans mit Wohnsitz in Frankreich bevorzugt wurden. Insgesamt wurden 1 547 300 Eintrittskarten im freien Verkauf angeboten. Karten konnten 1996 und fast das ganze Jahr 1997 nur direkt vom CFO erworben werden. Voraussetzung für den Erwerb einer Eintrittskarte war, dass die Käufer eine Postanschrift in Frankreich angeben mussten, an die das CFO die Tickets schicken sollte. Das bedeutete, dass eine sehr große Zahl von Fußballfans außerhalb Frankreichs die vom CFO angebotenen Karten nicht kaufen konnte.

Die Europäische Kommission entschied 1999, dass das CFO seine beherrschende Stellung auf dem Markt für den Verkauf von Fußballkarten missbräuchlich ausgenutzt hat. Seine Verkaufsmethoden diskriminierten außerhalb Frankreichs lebende Bürger. Die Pflichtangabe einer Postanschrift in Frankreich sei eine unfaire Handelsbedingung.

Normalerweise verhängt die Kommission in solchen Fällen erhebliche Geldbußen. Da jedoch die diskriminierenden Vorverkaufsregelungen der Praxis früherer Weltmeisterschafts-Endrunden entsprachen und die Regeln nicht hinreichend klar waren, verhängt die Kommission nur eine symbolische Geldbuße von 1 000 Euro gegen das CFO. Dennoch hat die Kommission mit dieser Entscheidung signalisiert, dass die Organisatoren künftig ihren Kartenvorverkauf mit den Wettbewerbsbestimmungen in Einklang bringen müssen, und Bürger anderer EU-Länder nicht mehr diskriminieren.

93. Können für die Herstellung von Kondomen staatliche Beihilfen gewährt werden? (Staatliche Beihilfen)

Grundsätzlich lautet die Antwort „Nein“. Staatliche Beihilfen für gewinnorientierte Unternehmen können den Wettbewerb verzerren und das Funktionieren des Binnenmarktes behindern. Deshalb sind staatliche Beihilfen in der EU im Prinzip verboten. Dennoch gilt dieses Verbot nicht uneingeschränkt.

Die EU-Mitgliedstaaten können in bestimmten Fällen staatliche Beihilfen gewähren, wenn diese positive Auswirkungen auf die EU insgesamt haben und im Interesse der regionalen Entwicklung liegen. Oder politische Ziele in Bereichen wie Umwelt, Bildung, Beschäftigung usw. fördern. Dabei müssen die

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Mitgliedstaaten die Kommission über sämtliche geplante staatliche Beihilfen informieren. (Notifizierung – Frage 66) Die Kommission genehmigt diese Beihilfen dann.

Es gibt jedoch eine Ausnahme, die sogenannte De-minimis-Regelung, bei der die Kommission Beihilfen nicht vorher genehmigen muss. Beihilfen unterhalb einer bestimmten Summe können so einem Unternehmen ohne vorherige Notifizierung der Kommission gewährt werden. Hierbei wird vermutet, dass geringfügige Beihilfen den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten nicht verzerren.

In einer Entscheidung aus dem Jahre 1999 teilte die Kommission Deutschland mit, dass nach ihrer Kenntnis Deutschland eine Beihilfe an einen Kondomhersteller vergeben hat, ohne die Kommission vorher zu informieren, wie es entsprechend den Vorschriften über staatliche Beihilfen notwendig gewesen wäre. Die Kommission entschied aber schließlich, dass die Beihilfe mit den Bedingungen für die Gewährung staatlicher Beihilfen im Einklang stand.

Mögliche Formen staatlicher BeihilfenObwohl staatliche Beihilfen im Prinzip verboten sind, können bestimmte Formen von Beihilfen gewährt werden, die nicht gegen EU-Regelungen verstossen:

• Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher• Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen entstanden sind • Beihilfen– zur Förderung der Entwicklung benachteiligter Regionen– zur Förderung von Vorhaben von gemeinsamen europäischen Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates– zur Förderung der Entwicklung bestimmter Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete– zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes.

Darüber hinaus kann der Rat auf Antrag eines Mitgliedstaates entscheiden, dass eine konkrete Beihilfe zulässig ist, obwohl sie nicht ganz im Einklang mit den EU-Vorschriften zu staatlichen Beihilfen steht.

94. Was ist die Umweltgarantie (Abweichungsregelung für den Umweltschutz)?

Die „Umweltgarantie“ ist ein vor allem in Skandinavien häufig verwendeter Begriff für eine Bestimmung im EG-Vertrag, wonach es den Mitgliedstaaten gestattet ist, unter bestimmten Umständen ihre nationalen Rechtsvorschriften beizubehalten, obwohl es in diesem Bereich EU-Vorschriften für die Harmonisierung des Binnenmarktes gibt. Dieser Bestimmung zufolge ist es auch möglich, dass ein Mitgliedstaat aufgrund eines spezifischen Problems neue nationale Vorschriften zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt einführt, die sich auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse stützen.

Artikel 95 enthält die Rechtsgrundlage für die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften, mit der das Funktionieren des Binnenmarktes sichergestellt werden soll. Darüber hinaus enthält Artikel 95 Absatz 4 eine Abweichungsregelung, wonach ein Land bestimmte einzelstaatliche Bestimmungen zum

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Schutz der Umwelt, der Arbeitsumwelt, der Gesundheit usw. beibehalten kann. Artikel 95 Absatz 5 gestattet einem Land, unter bestimmten Bedingungen nationale Vorschriften einzuführen.

Hat ein Mitgliedstaat die Kommission informiert, dass er nationale Vorschriften in einem Bereich beibehalten oder neue einführen will, so hat die Kommission sechs Monate Zeit, um die betreffenden einzelstaatlichen Bestimmungen zu billigen oder abzulehnen. Davor prüft sie, ob die nationalen Gesetze ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen und ob sie das Funktionieren des Binnenmarkts behindern.

Trifft die Kommission innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung, so gelten die einzelstaatlichen Bestimmungen als gebilligt. Die Kommission kann, sofern dies aufgrund des schwierigen Sachverhalts gerechtfertigt ist und keine Gefahr für die menschliche Gesundheit besteht, den Prüfungszeitraum gegebenenfalls um einen weiteren Zeitraum von bis zu sechs Monaten verlängern.

Wird es einem Mitgliedstaat aufgrund der Abweichungsregelung für den Umweltschutz gestattet, von der Harmonisierungsmaßnahme abweichende einzelstaatliche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen, so prüft die Kommission unverzüglich, ob sie eine Anpassung dieser Maßnahme an die EU-Vorschriften vorschlägt.

Der Umfang der Abweichungsregelung für den Umweltschutz ist Gegenstand von Diskussionen zwischen Gegnern und Befürwortern der EU. Die Kriterien für die Anwendung der Regelung sind durch die Praxis der Kommission und die Rechtsprechung des Gerichtshofs festgelegt. Ein Beispiel für die Debatte um den Umfang der Abweichungsregelung ist die Rechtssache zu Lebensmittelzusatzstoffen.

Die Abweichungsregelung für den Umweltschutz in Artikel 95 Absätze 4 und 5 EG-Vertrag(4) Hält es ein Mitgliedstaat, wenn der Rat oder die Kommission eine Harmonisierungsmaßnahme erlassen hat, für erforderlich, einzelstaatliche Bestimmungen beizubehalten, die durch wichtige Erfordernisse im Sinne des Artikels 30 oder in Bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt sind, so teilt er diese Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Beibehaltung der Kommission mit.(5) Unbeschadet des Absatzes 4 teilt ein Mitgliedstaat, der es nach dem Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme durch den Rat oder die Kommission für erforderlich hält, auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte einzelstaatliche Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt aufgrund eines spezifischen Problems für diesen Mitgliedstaat, das sich nach dem Erlass der Harmonisierungsmaßnahme ergibt, einzuführen, die in Aussicht genommenen Bestimmungen sowie die Gründe für ihre Einführung der Kommission mit.

Wichtige Erfordernisse gemäß Artikel 30: öffentliche Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit,Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalenKulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums.

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DIE EU UND DRITTSTAATEN

95. Was beinhaltet die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU?

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union wird oft als GASP abgekürzt (siehe Frage 41). Seit dem Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) am 1. November 1993 gehört die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zum Vertragsrahmen.

Aber bereits seit 1970 hatten die EG-Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) kooperiert. Hier ging es um eine Angleichung der Positionen zu wichtigen internationalen Fragen. Die EPZ erfolgte in Form der traditionellen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit (siehe Frage 11). Sie wurde 1986 mit der Einheitlichen Europäischen Akte auf eine formale Grundlage gestellt, ohne jedoch ihren Charakter oder die entsprechenden Verfahren zu ändern. Die entscheidende Entwicklung passierte mit dem Vertrag von Maastricht, in dem Ziel und Mittel einer gemeinsamen Außenpolitik erstmals vertraglich verankert wurden. Dabei ist die GASP an die Stelle der Europäischen Politischen Zusammenarbeit getreten. Im Vertrag über die Europäische Union ist auf längere Sicht auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik vorgesehen, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte.

Grundlage für die GASP im Vertrag über die Europäische Union Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bildet den zweiten Pfeiler der Europäischen Union (siehe Frage 12). Die Bestimmungen zur GASP finden sich in den Artikeln 11-28 des Unionsvertrags. Die Ziele der GASP sind in Artikel 11 festgelegt. Zur Erreichung sind besondere Mittel und Verfahren vorgesehen (siehe Frage 64), die im Rat einstimmig verabschiedet werden müssen.

Die Bestimmungen zur GASP wurden auch durch den Vertrag von Amsterdam geändert, der am 1. Mai 1999 in Kraft trat. Unter anderem wurde die Funktion des Hohen Vertreters für die GASP (siehe Frage 41) eingeführt, um die Wirksamkeit und das Profil der EU-Außenpolitik zu verbessern. Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde auch die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gegründet. Sie deckt alle Sicherheitsfragen der Union ab, einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die gemeinsame Verteidigungspolitik kann zu einer gemeinsamen Verteidigung führen, falls der Europäische Rat (siehe Frage 33) einen entsprechenden Beschluss fasst, den alle EU-Mitgliedstaaten annehmen und ratifizieren müssen (siehe Frage 13). Im Vertrag über die Europäische Union heißt es, dass die ESVP nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten (neutrale/blockfreie Staaten) berührt. Sie muss auch mit der im Rahmen der NATO festgelegten Politik vereinbar sein.

WEUWEU steht für Westeuropäische Union, eine Organisation für Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich. Mit der Erklärung von Marseille vom 17. November 2000 wurde die Verteidigungskompetenz der WEU weitgehend reduziert, sodass der Vertrag von Nizza keinerlei Verweise mehr auf die Zusammenarbeit der WEU und der EU im Rahmen der Verträge enthält.

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Mit dem Vertrag von Nizza wurden neue dauerhafte politische und militärische Strukturen innerhalb des Rates eingerichtet, die die politische Kontrolle und das strategische Krisenmanagement sicherstellen sollen. Es handelt sich um ein Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee und einen Militärausschuss. Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee übernimmt seither unter der Verantwortung des Rates die politische Kontrolle und strategische Führung von Aufgaben der Krisenbewältigung. Ebenfalls eingerichtet wurde ein Stab bestehend aus Militärexperten, die von den Mitgliedstaaten zum Sekretariat des Rates abgeordnet sind. Der Militärstab steht unter der militärischen Leitung des Militärausschusses, der von ihm unterstützt wird.

Die EU hat zudem Modalitäten geschaffen, um Drittstaaten (nicht der EU angehörende europäische NATO-Mitglieder sowie EU-Beitrittskandidaten) und anderen potenziellen Partnern die Möglichkeit zu geben, sich an der militärischen Krisenbewältigung der EU zu beteiligen.

Auch für die Konsultation und Kooperation zwischen der EU und der NATO wurden ständige Mechanismen eingerichtet. So treffen EU und NATO regelmäßig zusammen und beraten konkrete Fragen, sodass die EU bei Bedarf die Ressourcen und Fähigkeiten der NATO (insbesondere Planungskapazitäten und Befehlsoptionen) nutzen kann.

Die GASP und der Vertrag über eine Verfassung für EuropaMit dem Verfassungsvertrag22 (siehe Fragen 6 und 7) wird das Amt eines EU-Außenministers geschaffen. Er führt ständig den Vorsitz im Rat „Auswärtige Angelegenheiten“. Seine wichtigste Aufgabe besteht darin, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu leiten (siehe Frage 41).

Obwohl laut Verfassungsvertrag das ordentliche Gesetzgebungsverfahren die Grundlage der europäischen Gesetzgebung bildet, gelten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin spezielle Entscheidungsverfahren. Der Europäische Rat und der Ministerrat werden Beschlüsse weiterhin einstimmig fassen. Es wird nicht möglich sein, im Rahmen der GASP Europäische Gesetze oder Rahmengesetze (siehe Frage 62) zu erlassen. Allerdings wird der Europäische Rat die Möglichkeit haben, eine Beschlussfassung durch den Rat mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen, davon ausgenommen sind militärische oder verteidigungspolitische Beschlüsse (siehe Frage 43).

Der Verfassungsvertrag gestattet Mitgliedstaaten, deren militärische Fähigkeiten bestimmte Kriterien erfüllen, eine so genannte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im EU-Rahmen zu gründen. Nach einer neuen Bestimmung im Verfassungsvertrag müssen im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates die anderen Mitgliedstaaten alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung leisten. Der besondere Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten bleibt davon unberührt.

Laut Verfassungsvertrag wird eine Europäische Verteidigungsagentur für die Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung eingerichtet. Der Europäische Rat beschloss jedoch bereits in den Schlussfolgerungen seiner Tagung vom Juni 2003 die erforderlichen Schritte für die Einrichtung einer derartigen Agentur im Jahre 2004. Ihre Schaffung hängt daher nicht vom Inkrafttreten des Verfassungsvertrags ab.

22 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde am 29. Oktober 2004 in Rom von den EU Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Er tritt erst in Kraft, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

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Die Petersberg-AufgabenDie „Petersberg-Aufgaben“ bilden einen zentralen Bestandteil der GASP. Dabei handelt es sich um Aufgaben der Krisenbewältigung. Sie sind nach dem Ort benannt, an dem im Juni 1992 der Ministerrat der Westeuropäischen Union (WEU) getagt und die Aufgaben festgelegt hat. Zu den Petersberg-Aufgaben zählen humanitäre Aktionen und Evakuierungsmaßnahmen, friedenserhaltende Maßnahmen sowie Kampfgruppeneinsätze für das Krisenmanagement einschließlich Maßnahmen zur Wiederherstellung des Friedens. „Im Hinblick darauf muss die Union“, so der Europäische Rat, „die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gestützt auf glaubwürdige militärische Fähigkeiten, sowie die Mittel und die Bereitschaft besitzen, deren Einsatz zu beschließen, um – unbeschadet von Maßnahmen der NATO – auf internationale Krisensituationen zu reagieren.“

Auf der Tagung des Europäischen Rates in Helsinki im Dezember 1999 wurden die allgemeinen Ziele für die militärischen Möglichkeiten aufgestellt. Die bis 2003 zu realisierenden Ziele: Die EU sollte in der Lage sein, innerhalb von 60 Tagen und für mindestens ein Jahr Streitkräfte im Umfang von bis zu 60 000 Mann einzusetzen, die den Petersberg-Aufgaben in vollem Umfang gerecht werden können. Das bedeutete jedoch nicht die Schaffung einer europäischen Armee. Beschlüsse über die Rekrutierung und den Einsatz nationaler Truppen werden auf der Ebene der Mitgliedstaaten gefasst.

Auf einer Ratstagung der EU-Außenminister im Dezember 2003 wurde erklärt, dass die Helsinki-Ziele erreicht worden seien. Die Minister betonten aber bestimmte Unzulänglichkeiten in Bezug auf die Einsatzfähigkeit und Einsatzgeschwindigkeit. Daher richtet sich der Schwerpunkt der vom Europäischen Rat im Juni 2004 verabschiedeten „Planziele 2010“ auf die Qualität und spezifische Anforderungen an die Fähigkeit und weniger auf die Quantität.

96. Was sind die EFTA und der EWR?

Der Europäischen Freihandelszone EFTA gehören vier Staaten an – Island, Liechtenstein, Norwegen unddie Schweiz.

Mit EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) wird der gemeinsame Wirtschaftsraum bezeichnet, der durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) zwischen drei der EFTA-Länder – Norwegen, Island und Liechtenstein – und der EU gebildet wurde. Nach diesem Abkommen gelten die EU-Binnenmarktvorschriften auch für diese drei Länder (siehe Fragen 102 und 104).

Der Begriff „EWR-Länder“ erstreckt sich somit auf alle EU-Mitgliedstaaten sowie die drei EFTA-Länder Norwegen, Island und Liechtenstein.

Hintergrundinformationen zur EFTADie EFTA entstand 1960 als Freihandelszone zwischen dem Vereinigten Königreich, Dänemark, Norwegen, Schweden, der Schweiz, Österreich und Portugal. Grundlage dieser Zusammenarbeit war und bleibt die EFTA-Konvention, auch Stockholmer Konvention genannt. Mit der EFTA wurde eine

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Freihandelszone als Reaktion auf die 1957 entstandene Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (siehe Frage 2) eingerichtet.

In den sechziger Jahren stellten das Vereinigte Königreich, Dänemark, Norwegen und Irland einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft. Ihre Aufnahme wurde damals jedoch vom französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle verhindert. Nach dem Rücktritt de Gaulles im Jahre 1969 beantragten das Vereinigte Königreich, Dänemark, Norwegen und Irland erneut ihren EG-Beitritt. Das Vereinigte Königreich, Dänemark und Irland traten schließlich am 1. Januar 1973 der Gemeinschaft bei und verließen die EFTA. Bei einer Volksabstimmung in Norwegen sprach sich eine Mehrheit der Bevölkerung jedoch gegen den Beitritt aus. Norwegen wurde nicht EG-Mitglied (siehe Frage 18). Portugal trat 1986 der EG bei und schied damit aus der EFTA aus. Finnland war 1986 EFTA-Vollmitglied geworden, trat aber gemeinsam mit Schweden und Österreich 1995 der EU bei und gab damit seine Mitgliedschaft in der EFTA auf.

Sitz der EFTA ist Genf; zusätzlich unterhält sie Büros in Brüssel und Luxemburg. Mehr zur EFTA auf der Website der Organisation: http://www.efta.int/.

SchweizDas EWR-Abkommen wurde im Mai 1992 von der EU und den damals sechs EFTA-Ländern (Österreich, Finnland, Island, Norwegen, Schweden und Schweiz) unterzeichnet. Bei einem Referendum in der Schweiz 1992 stimmte eine Mehrheit jedoch gegen einen Beitritt zum EWR. Das Ergebnis der Volksabstimmung lautete: 50,3 % dagegen, 49,7 % dafür; Beteiligung 79 %. Das Abkommen trat dann erst 1994 in Kraft, ohne die Schweiz.

Daraufhin wurden Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU für Abkommen in sieben Bereichen aufgenommen. Diese Abkommen wurden in einem Schweizer Referendum am 6. Mai 2000 bestätigt und traten am 1. Juni 2002 in Kraft. Sie bilden ein Paket. Sie traten gleichzeitig in Kraft und werden alle gleichzeitig ungültig, wenn auch nur eines gekündigt wird. Weitere Vereinbarungen zwischen der EU und der Schweiz sind in Arbeit.

Die sieben Abkommen zwischen der EU und der Schweiz betreffen den freien Personenverkehr, den Luft- und Landverkehr, das öffentliche Beschaffungswesen, die wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit, die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (gegenseitige Anerkennung der Konformitätsbewertungsverfahren, die für den Marktzugang zum Hoheitsgebiet der Vertragsparteien erforderlich sind) und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen.

97. Was sind die Lomé-Abkommen und das Abkommen von Cotonou?

Die Lomé-Abkommen sind Vereinbarungen über die entwicklungs- und handelspolitische Zusammenarbeit zwischen der EU und den so genannten AKP-Staaten (Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean – siehe Kasten). Am 23. Juni 2000 wurden die Lomé-Abkommen durch das so genannte Abkommen von Cotonou ersetzt, das am 1. April 2003 in Kraft trat.

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Die Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten ist seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft (siehe Frage 2) ein wichtiger Bestandteil der gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik. Seit 1975 wurde der Rahmen für diese Zusammenarbeit in einer speziellen zwischenstaatlichen Vereinbarung (siehe Frage 11) mit der Bezeichnung „Lomé-Abkommen“ festgelegt. Dieses Abkommen wurde mehrere Male neu ausgehandelt. Das vierte und letzte der Reihe (Lomé IV) wurde 1989 mit einer Laufzeit von zehn Jahren abgeschlossen.

Am 23. Juni 2000 wurden die Lomé-Abkommen durch ein neues Partnerschaftsabkommen mit zwanzigjähriger Laufzeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den AKP-Staaten abgelöst. Es wurde in der Hauptstadt von Benin, Cotonou, unterzeichnet, daher die Bezeichnung Abkommen von Cotonou. Das Cotonou-Abkommen greift die Erfahrungen der Lomé-Abkommen auf, fügt aber auch neue Elemente hinzu. Das Abkommen zielt auf die Eindämmung und Beseitigung der Armut sowie die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und die schrittweise Integration der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft.

Im Mittelpunkt stehen die wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit sowie die Entwicklungszusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den AKP-Staaten. Hinzu kommt eine zusätzliche politische Dimension.

HandelIm Rahmen der Handelszusammenarbeit hat die EU eine Reihe von Exportgütern der AKP-Staaten vom Einfuhrzoll in die EU befreit. AKP-Staaten konnten jedoch ihre Zölle für Waren aus der EU beibehalten. Das Abkommen von Cotonou bringt Veränderungen in der handelspolitischen Zusammenarbeit mit sich. So werden Partnerschaftsverträge für die regionale Wirtschaft zwischen der EU und AKP-Staaten in wechselnden Zusammensetzungen abgeschlossen. So soll der Marktzugang der AKP-Staaten zur EU verbessert und die regionale Kooperation unter den AKP-Staaten gestärkt werden. Diese Partnerschaftsverträge sollen spätestens am 1. Januar 2008 in Kraft treten.

EntwicklungDas Hauptziel der Entwicklungszusammenarbeit ist die Bekämpfung der Armut. Im Abkommen von Cotonou sind neue Grundsätze für die Ressourcenverteilung auf der Basis des Bedarfs und der Realisierung der Ziele der Entwicklungszusammenarbeit festgelegt.

Hauptfinanzierungsquelle für die Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen des Cotonou-Abkommens ist der Europäische Entwicklungsfonds. Für einen Zeitraum von fünf Jahren, beginnend am 1. März 2000, sind hierfür 15,2 Mrd. EUR vorgesehen.

PolitikNeben Entwicklungshilfe und Handel besitzt die Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten auch eine politische Dimension. Beispielsweise findet zwischen den Ländern ein kontinuierlicher politischer Dialog über Menschenrechte, Demokratie und verantwortungsvolle Staatsführung statt. Das Abkommen von Cotonou enthält auch hier einige Neuerungen.

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Bei besonders schweren Fällen von Verletzungen der Menschenrechte oder Verstößen gegen die Grundsätze der Demokratie oder der Rechtsstaatlichkeit kann die Zusammenarbeit mit einem Land nach entsprechenden Konsultationen als letztes Mittel zeitweilig ausgesetzt werden.

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Verwaltung der AKP-ZusammenarbeitFür die Verwaltung der Zusammenarbeit EU-AKP wurden drei Organe eingerichtet: der Ministerrat, der Botschafterausschuss und die Paritätische Parlamentarische Versammlung.Der AKP-Ministerrat setzt sich aus Mitgliedern des Ministerrats der Europäischen Union, einem Mitglied aus jedem AKP-Staat sowie einem Kommissar zusammen. Im Ministerrat finden politische Debatten statt und werden Beschlüsse über die Umsetzung der Abkommen gefasst. Der Botschafterausschuss besteht aus Vertretern, die die Arbeit des Ministerrates unterstützen. Die Paritätische Parlamentarische Versammlung setzt sich aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Mitgliedern der Parlamente der AKP-Staaten zusammen. Sie ist ein beratendes Organ und hat Anteil am Dialog und an Innovationen in diesem Bereich. „Paritätisch“ nennt man Ausschüsse, Gremien usw., denen eine gleiche Anzahl von Vertretern beider Seiten angehören.

AKP-StaatenAls „AKP-Staaten“ werden die Länder Afrikas (südlich der Sahara), des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans bezeichnet, mit denen die EU eine spezielle entwicklungspolitische Zusammenarbeit eingegangen ist.

Als das erste Lomé-Abkommen 1975 unterzeichnet wurde, beteiligten sich 46 Länder Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifik. Seither sind viele neue Teilnehmer hinzugekommen, sodass sich das Cotonou-Abkommen nunmehr auf 78 AKP-Staaten erstreckt, die im Folgenden aufgeführt sind. Darüber hinaus nimmt Kuba an einigen Elementen der Zusammenarbeit teil.

AKP-Staaten (ohne die am wenigsten entwickelten AKP-Staaten)Antigua und Barbuda, Bahamas, Barbados, Belize, Botsuana, Cookinseln, Côte d'Ivoire, Dominica, Dominikanische Republik, Fidschi, Gabun, Ghana, Grenada, Guyana, Jamaika, Kamerun, Kenia, Kongo (Brazzaville), Marshallinseln, Mauritius, (Föderierte Staaten von) Mikronesien, Namibia, Nauru, Nigeria, Niue, Palau, Papua-Neuguinea, St. Christoph und Nevis, St. Lucia, St.Vincent und die Grenadinen, Senegal, Seychellen, Simbabwe, Südafrika (teilweise), Suriname, Swasiland, Timor Tonga, Trinidad und Tobago.

Am wenigsten entwickelte AKP-Staaten (gemäß Anhang 6 des Abkommens von Cotonou)Angola, Äquatorialguinea, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Burundi, Dschibuti, Eritrea, Gambia, Guinea, Guinea-Bissau, Haiti, Republik Kap Verde, Kiribati, Komoren, Demokratische Republik Kongo, Lesotho, Liberia, Madagaskar, Malawi, Mali, Mauretanien, Mosambik, Niger, Ruanda, Salomonen, Sambia, Samoa, São Tomé und Príncipe, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Tansania, Timor Leste, Togo, Tschad, Tuvalu, Uganda, Vanuatu, Zentralafrikanische Republik.

Die am wenigsten entwickelten AKP-Staaten werden im Cotonou-Abkommen besonders behandelt. Einige der Länder haben gerade erst Konflikte beigelegt und haben daher besondere Entwicklungsbedürfnisse. Aus diesem Grund sind hier beispielsweise die Stärkung der regionalen Zusammenarbeit, der Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur sowie die Versorgung mit Lebensmitteln besonders wichtig.

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DIE EU IN ZAHLEN

98. Wie viele Menschen leben in der EU?

Mit der EU-Erweiterung am 1. Mai 2004 erhöhte sich die Bevölkerungszahl der EU von ca. 380 Millionen auf etwa 457 Millionen.

Länder Bevölkerungszahl (in Tausend)EU gesamt 456 448,5Belgien 10 396,0Tschechische Republik 10 211,5Dänemark 5 397,6Deutschland 82 538,6Estland 1 350,6Griechenland 11 041,1Spanien 42 197,9Frankreich 59 900,7Irland 4 024,6Italien 57 804,1Zypern 730,7Lettland 2 319,2Litauen 3 445,9Luxemburg 451,6Ungarn 10 116,7Malta 399,9Niederlande 16 254,9Österreich 8 114,0Polen 38 190,6Portugal 10 474,9Slowenien 1 996,4Slowakei 5 380,1Finnland 5 219,7Schweden 8 975,7Vereinigtes Königreich 59 515,7

Die Angaben entstammen der Website des Statistischen Amts der Kommission, Eurostat:http://europa.eu.int/comm/eurostat.

99. Wie groß ist die Fläche der EU?

Fläche der EU-Mitgliedstaaten in km2 (Jahr: 2000) (in Tausend)

Länder Fläche in km2 (in Tausend)Belgien 31Tschechische Republik 79Dänemark 43Deutschland 357Estland 43Griechenland 132Spanien 505Frankreich 544Irland 70

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Italien 301Zypern 9Lettland 65Litauen 65Luxemburg 3Ungarn 93Malta 0,3Niederlande 34Österreich 84Polen 313Portugal 92Slowenien 20Slowakei 49Finnland 305Schweden 411Vereinigtes Königreich 244

Die Angaben wurden dem Eurostat-Jahrbuch 2002 entnommen.

100. Wie hoch ist die Bevölkerungsdichte in der EU?

Der am dichtesten besiedelte Mitgliedstaat der EU ist Malta mit einer Bevölkerungsdichte von ca. 1 220 Einwohnern/km2. Deutlich mehr Platz gibt es in Finnland: Hier leben durchschnittlich 17 Menschen auf einem Quadratkilometer.

Länder Einwohner/km2 (Jahr: 2001)Belgien 337,1Tschechische Republik 129,7Dänemark 124,3Deutschland 230,6Estland 30,2Griechenland 83,1Spanien 79,8Frankreich 108,8Irland 54,6Italien 192,2Zypern -Lettland 36,5Litauen 53,3Luxemburg 170,9Ungarn 109,5Malta 1 220Niederlande 473,7Österreich 95,8Polen 123,6Portugal 112,1Slowenien 98,3Slowakei 109,7Finnland 17,0Schweden 21,6Vereinigtes Königreich 241,3

Die Angaben stammen aus dem Jahr 2001 und wurden der Website des Statistischen Amts der Kommission, Eurostat, entnommen: http://europa.eu.int/comm/eurostat.

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101. Wie hoch ist die Lebenserwartung in der EU?

Wenn alles gut geht, kann ein neugeborener EU-Bürger heute erwarten, etwa 81 Jahre alt zu werden, wenn es sich um ein Mädchen handelt, und etwa 75 Jahre, wenn er ein Bub ist.

Länder Lebenserwartung in Jahren Frauen / MännerEU gesamt 81,1 / 74,8Belgien 81,1 / 75,1Tschechische Republik 78,7 / 72,1Dänemark 79,5 / 74,8Deutschland 81,2 / 75,4Estland 77,1 / 65,3Griechenland 80,7 / 75,4Spanien 83,5 / 75,8Frankreich 83,0 / 75,8Irland 80,3 / 75,2Italien 82,9 / 76,8Zypern 81,0 / 76,1Lettland 76,0 / 64,8Litauen 77,5 / 66,3Luxemburg 81,5 / 74,9Ungarn 76,7 / 68,4Malta 81,0 / 75,9Niederlande 80,7 / 76,0Österreich 81,7 / 75,8Polen 78,7 / 70,4Portugal 80,5 / 73,8Slowenien 80,5 / 72,7Slowakei 77,8 / 69,9Finnland 81,5 / 74,9Schweden 82,1 / 77,7Vereinigtes Königreich 80,5 / 75,9

Die Angaben wurden der Website des Statistischen Amts der Kommission, Eurostat,http://europa.eu.int/comm/eurostat entnommen und stammen aus dem Jahre 2002, mit Ausnahme Zyperns (2001). Einige Zahlen sind vorläufig oder geschätzt.

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Impressum Herausgeber: Europäisches Parlament, Informationsbüro für Österreich, Kärntnerring 5-7, A-1010 WienDänischer Originaltext: Dänisches Parlament (Folketinget)Redaktion der deutschen Übersetzung: Christine StockhammerStand: Februar 2006