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100 NACHWORT Von Klaus Graf Am 14. April 1802 kündigte Stadt- und Kanz- leybuchdrucker Ritter in der von ihm verlegten und von Johann Gottfried Pahl herausgegebenen „Na- tional-Chronik der Teutschen" eine „Kurzgefaßte Geschichte, und Beschreibung der Reichsstadt Schwäb. Gmünd" an. Der ermäßigte Subskrip- tionspreis sollte 30 Kreuzer (also einen halben Gulden) auf gewöhnlichem, 36 Kreuzer auf Schreibpapier betragen. Ritters Werbetext äußert sich auch über die ins Auge gefaßte Käuferschicht: „Die Liebhaber der Geschichte wissen den Werth solcher speciellen Gemählde selbst zu schätzen; und dem redlichen Vaterlandsfreunde wird eine solche Entwicklung des Gangs den die Verfassung, die Kultur und die Sittlichkeit der grossen bürger- lichen Familie, der er angehört, genommen hat, keiner Empfehlung bedürfen". Im Mai 1802 lag das Werk dann vor, es handelte sich um die erste gedruckte Geschichte der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd überhaupt. Nur wenige Monate später sollte sie zum Nachruf werden: mit dem Ein- marsch der württembergischen Truppen im Sep- tember 1802 endete die über sechshundertjährige Reichsstadtzeit Gmünds, und eine neue Epoche brach an. 101 I. Der Autor des Werks, Joseph Alois Rink, der sich auf dem Titelblatt stolz als Rechbergischer Pfarrer zu Böhmenkirch bezeichnet, wurde am 12. März 1756 in Weißenstein, dem kleinen Residenzstädtchen der Reichsfreiherren von Rech- berg, geboren. Sein Vater war der dortige Organist und Schulmeister Joseph Rink. Zusammen mit seinem im Altervon l4Jahren verstorbenen Bruder Bernhard besuchte Joseph Alois Rink das Kloster- gymnasium der Neresheimer Benediktiner. An- schließend studierte er an der bayerischen Landes- universität Ingolstadt katholische Theologie. 1780 wurde er nach dem Besuch des Konstanzer Priester- seminars in Meersburg zum Priester geweiht. Rink, dessen Ausbildung von den Freiherren von Rech- berg finanziert worden war, kehrte in seine Heimat zurück und wurde nach einer kurzen Zeit als rech- bergischer Hauslehrer 1781 mit dem neugeschaf- fenen Amt eines rechbergischen „Landes-Schul- direktors" betraut. 1783 wurde er Pfarrer auf dem Hohenrechberg, 1785 in Weißenstein, 1790 in Böhmenkirch. Ein Jahr später promovierte ihn die Universität Ingolstadt zum Doktor der Philoso- phie. Von 1806 bis zu seinemTod am 19. März 1825 war Rink Pfarrer in Donzdorf, seit 1815 auch Dekan des Landkapitels Geißlingen.

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NACHWORTVon Klaus Graf

Am 14. April 1802 kündigte Stadt- und Kanz-leybuchdrucker Ritter in der von ihm verlegten undvon Johann Gottfried Pahl herausgegebenen „Na-tional-Chronik der Teutschen" eine „KurzgefaßteGeschichte, und Beschreibung der ReichsstadtSchwäb. Gmünd" an. Der ermäßigte Subskrip-tionspreis sollte 30 Kreuzer (also einen halbenGulden) auf gewöhnlichem, 36 Kreuzer aufSchreibpapier betragen. Ritters Werbetext äußertsich auch über die ins Auge gefaßte Käuferschicht:„Die Liebhaber der Geschichte wissen den Werthsolcher speciellen Gemählde selbst zu schätzen;und dem redlichen Vaterlandsfreunde wird einesolche Entwicklung des Gangs den die Verfassung,die Kultur und die Sittlichkeit der grossen bürger-lichen Familie, der er angehört, genommen hat,keiner Empfehlung bedürfen". Im Mai 1802 lagdas Werk dann vor, es handelte sich um die erstegedruckte Geschichte der Reichsstadt SchwäbischGmünd überhaupt. Nur wenige Monate spätersollte sie zum Nachruf werden: mit dem Ein-marsch der württembergischen Truppen im Sep-tember 1802 endete die über sechshundertjährigeReichsstadtzeit Gmünds, und eine neue Epochebrach an.

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I.

Der Autor des Werks, Joseph Alois Rink, dersich auf dem Titelblatt stolz als RechbergischerPfarrer zu Böhmenkirch bezeichnet, wurde am12. März 1756 in Weißenstein, dem kleinenResidenzstädtchen der Reichsfreiherren von Rech-berg, geboren. Sein Vater war der dortige Organistund Schulmeister Joseph Rink. Zusammen mitseinem im Altervon l4 Jahren verstorbenen BruderBernhard besuchte Joseph Alois Rink das Kloster-gymnasium der Neresheimer Benediktiner. An-schließend studierte er an der bayerischen Landes-universität Ingolstadt katholische Theologie. 1780wurde er nach dem Besuch des Konstanzer Priester-seminars in Meersburg zum Priester geweiht. Rink,dessen Ausbildung von den Freiherren von Rech-berg finanziert worden war, kehrte in seine Heimatzurück und wurde nach einer kurzen Zeit als rech-bergischer Hauslehrer 1781 mit dem neugeschaf-fenen Amt eines rechbergischen „Landes-Schul-direktors" betraut. 1783 wurde er Pfarrer auf demHohenrechberg, 1785 in Weißenstein, 1790 inBöhmenkirch. Ein Jahr später promovierte ihn dieUniversität Ingolstadt zum Doktor der Philoso-phie. Von 1806 bis zu seinemTod am 19. März 1825war Rink Pfarrer in Donzdorf, seit 1815 auch Dekandes Landkapitels Geißlingen.

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Rink war ein typischer Vertreter der Aufklä-rung. Diese geistesgeschichtliche Bewegung, dieauch in den Reihen der katholischen Geistlichkeitzahlreiche Anhänger fand, hatte die Befreiung desVolkes aus Unmündigkeit und Aberglauben durchdie Vernunft auf ihre Fahnen geschrieben. Dereingangs schon genannte evangelische Publizistund Prälat Johann Gottfried Pahl (1768-1839)zählte Rink in einem Nachruf zu dem Kreis vonMännern, die auf katholischer Seite „mit eben soviel Eifer als Erfolg, dem Obscurantismus und demUltramontanismus entgegen wirkten und dieSache des Lichts und der geistigen Freiheit för-derten". In seinen kirchenpolitischen Schriftensprach Rink sich unter anderem für die Mutter-sprache im Gottesdienst und die Aufhebung desZölibats aus.

Als aufgeklärter Priester war Rink ein ent-schiedener Gegner des spätbarocken Wallfahrts-wesens. Auf ihn gehen der Abbruch der Kolomans-kapelle bei Böhmenkirch (1799) und die Auf-hebung der vielbesuchten Bernhardus-Wallfahrt(1806) zurück. In einem 1806 erstellten Gutachtenüber die Bernhardus-Wallfahrt und den Abbruchder barocken Wallfahrtskirche führte Rink aus:„1. Des wahrhaft Guten, was hier geschieht, istwenig. 2. Des Bösen geschieht viel, mittel- undunmittelbar. 3. Durch Aufhebung der Wallfahrtgeschieht viel Gutes". Und: Jede Aufhebung einer

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Wallfahrt ist nach meiner innigsten Überzeugungdie größte Wohltat für die reine und heilige Got-tesverehrung".

II.

Rinks historisches Hauptwerk ist die unge-druckt gebliebene „Familien Geschichte derSchwäbischen Dynasten von Rechberg und rothenLöwen", bestehend aus fünf Teilen in zwei Bänden(1112 und 154 Seiten). Die Handschrift ist zwarauf dem Titelblatt 1806 datiert, doch muß manden Abschluß der Arbeit mit Sicherheit später an-setzen, da im fortlaufenden Text auf Seite 246 überdie Überführung rechbergischer Grabsteine vonFaurndau nach Donzdorf berichtet wird, die 1812erfolgte. Im rechbergischen Archiv in Donzdorffindet man neben der Reinschrift von 1806 ff. aucheine Vorstufe dieser Arbeit in Form einer „Ge-nealogischen Geschichte" aus dem Jahr 1785 sowieeine spätere, konzeptartige Fassung von 1821.

Im Vorwort seines Hauptwerks nennt Rink dasMotiv für seine so eingehende Beschäftigung mitder Geschichte seiner Dienstherren: „Ich wurdein der Herrschaft gebohren, erzogen, und bin nunschon über drey Dezennien als öffentlicher christ-licher Religions Lehrer in selber angestellt. Deß-wegen erwachte in mir schon früh die Lust, die

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Geschichte unserer regierenden Familie undmeines kleinen Vaterlandes aus der Dunkelheitund der Genealogistischen Verwirrung hervorzu-ziehen". Über seine Vorgänger, die Genealogendes 16. bis 18. Jahrhunderts, urteilt Rink dennauch, ihre Ausführungen seien „samt und sondersdurch hundert Widersprüche entweder entstellt,oder gar falsch und noch dazu einem ausgedorrten,magern Gerippe ähnlich".

Darüber, daß Rinks Geschichte der Herren vonRechberg eine „für ihre Zeit treffliche" und höchstverdienstvolle Arbeit war, so das Urteil des sonstsehr kritischen Weinsberger Dekans HermannBauer im Jahr 1870, sind sich Rinks Zeitgenossenund die späteren Benutzer des Werks einig. So be-merkt der bereits genannte Publizist Pahl in einem1813 erschienenen Essay über das obere Remstal:„Ein kenntnißreicher und fleißiger Forscher, Hr.Dekan Rink in Donzdorf, hat eine Chronik desHauses Rechberg, größtentheils aus archivalischenQuellen verfaßt, die für die Geschichte desdeutschen Adels und dieser Gegenden viele sehrwichtige Notizen enthält. Es ist zu bedauern, daßuns die Lage der Zeit keine Hoffnung gibt, diesesschätzbare Werk bald in den Händen des Pu-blikums zu sehen". Auch für den Geschichts-schreiber des Hauses Limpurg, den protestan-tischen Pfarrer von Gschwend Heinrich Prescher(1749-1827) - Rink zitiert ihn oben Seite 60-ist

, 105

Rink „ein einsichtsvoller und fleißiger Alterthums-und Geschichtsforscher, wie seine Geschichte undBeschreibung der Stadt Gmünd und seine noch inder Handschrift liegende Beschreibung der altenDynastie von Rechberg beweisen". Prescherschreibt dies 1818 anläßlich derBeschreibungeinerMünze des römischen Kaisers Domitian, die manan der Burg Rechberg gefunden hatte und die überRink in Preschers Hände gelangt war. (Für die nord-ostschwäbische Geistesgeschichte der Aufklärungwird man die Bedeutung des „Dreigestirns" Pahl,Prescher, Rink nicht zu gering zu veranschlagenhaben.)

III.

Ein Nebenprodukt der Beschäftigung Rinksmit der rechbergischen Geschichte ist seine kleineGmünder Geschichte von 1802. Sein GmünderVerleger Johann Georg Ritter aus Spalt, der 1791eine Gmünder Buchhandlung übernommen hatte,sich nach dem Übergang an Württemberg zeit-weilig in Ellwangen niederließ und 1824 — wohlauch aus Enttäuschung über die politische Ent-wicklung in Deutschland — nach Nordamerikaauswanderte, dürfte den Böhmenkircher Pfarr-herrn nachdrücklich zur Abfassung ermunterthaben. Ritter wird von Pahl, der seit 1801 beiRitter sein politisch-aufklärerisches Blatt „Na-

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tional-Chronik der Teutschen" herausgab, inseinen Erinnerungen als „jung, thätig, verständigund strebsam" charakterisiert.

Wenn Pahl in Rinks Nachruf über dessenGmünder Geschichte schreibt, sie sei „in ihremInhalte zu dürftig und in ihrer Bearbeitung zu un-vollkommen", so weist er auf die entscheidendeSchwäche des Bändchens hin, das oft nur ein un-verbundenes Nebeneinander von Einzelnach-richten unterschiedlichster Qualität bietet. Rinkwar sich dieses Mangels durchaus bewußt, wie mander Vorrede unschwer entnehmen kann. Da ihmder Zutritt zum reichsstädtischen Archiv versagtgeblieben war, mußte er notgedrungen auf dasWenige zurückgreifen, was gedruckte Werke überSchwäbisch Gmünd enthielten oder was ihmGmünder Freunde mitteilen konnten. Einzelnewertvolle Nachrichten bot das von ihm selbst neugeordnete „Rechbergische Universalarchiv".

Die von Rink in der Vorrede angeführten ge-druckten Quellen des Werks spiegeln also in etwadas Wissen, das man sich um 1800 in der gelehrtenWelt über die Vergangenheit Gmünds verschaffenkonnte. Der erste Griff galt meist den 1595/96 er-schienenen „Annales Suevici" des Tübinger Pro-fessors Martin Crusius, die eine Fülle von Notizenzur Gmünder Geschichte enthalten. Sie warenCrusius teils durch Gmünder Handschriften, teils

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durch die Werke des Schorndorfer ChronistenDavid Wolleber (gest. 1597) vermittelt worden.Wenige Ergänzungen bot der von dem UlmerAutor Martin Zeiller bearbeitete Textteil der 1643erschienenen „Topographia Sueviae" des be-kannten Kupferstechers Matthäus Merian und derArtikel „Gmünd" in dem 1722 in Leipzig er-schienenen vierbändigen „Allgemeinen Histo-rischen Lexicon" (der zweiten Auflage eines 1709publizierten Werks). Über die Beziehungen derReichsstadt zu Württemberg konnte man einigeNachrichten in der vielbändigen Württember-gischen Geschichte des Stuttgarter Archivars undGelehrten Christian Friedrich Sattler aus den1770er und 1780er Jahren finden, sowie in JohannUlrich Steinhofers vierbändiger „Neuen wirten-bergischen Chronik" von 1744/5 5, die in Wirklich-keit die Bearbeitung eines Werks des württem-bergischen Historikers Oswald Gabelkover (gest.1616) darstellt.

IV.

Der Versuch, auf diesem überaus magerenFundament eine abgerundete Darstellung vonsieben Jahrhunderten Gmünder Geschichte zu ent-wickeln, mußte scheitern — das Ergebnis ist trotz-dem achtbar (und immer noch lesenswert) alsZeugnis einer aufgeklärt gesinnten Geschichts-

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Schreibung, die nicht wie die meisten der — Rinkunzugänglichen — Gmünder Chroniken immerwieder nur das Überkommene abschreibt oder imStil der Zeit bearbeitet, sondern die in kritischerAuseinandersetzung mit dem Überlieferten einwahrheitsgetreues Bild der vergangenen Wirklich-keit entwerfen will. Bezeichnend hierfür ist, daßRink von einer Begebenheit aus grauer Frühzeitbemerkt, ihre Überlieferung sei „nach ChronikenWeise mit so vielem Fabelhaften vermischt" (diesgilt nach heutigem Kenntnisstand aber leider auchfür seine eigenen Ausführungen zur städtischenFrühgeschichte!). Auf die chroniküblichen Re-tuschen an der Vergangenheit „zum Lobe derStadt" konnte er verzichten. Seine aufklärerischeGrundeinstellung bleibt an keiner Stelle seinesBuches verborgen: dies zeigt sich an seinenscharfen Bemerkungen zu den Gmünder Hexen-verfolgungen, bei der Einschätzung der Hinrich-tung von sieben Protestanten (richtig: Wieder-täufer) 1529 als „schauervolle Handlung", aberauch daran, daß er die Ringsage der Johanniskircheunter die „Volksmärchen" verweist und die Bau-meistersage als Posse des Pöbels abtut, der „andergleichen abergläubischen Histörchen Ge-schmack findet".

Auch wenn die historische Kritik bei Rink nochnicht voll ausgebildet ist (wie übrigens bei den

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wenigsten seiner gelehrten Zeitgenossen), so ist erdoch sichtlich bemüht, die Glaubwürdigkeit dereinzelnen Nachrichten jeweils kritisch abzuwägen.Dies wird vor allem bei seinen Ausführungenüber den Gmünder Ursprung deutlich, dem seitdem 16. Jahrhundert die besondere Liebe derhiesigen Chroniken galt. Die seit dem 15. Jahr-hundert übliche Herleitung des Namens Gmünd(Gamundia) von Gaudia mundi (Freuden der Welt)lehnt er beispielsweise nicht völlig ab, meint aber,Gmünd sei eher von „Mündung" abzuleiten (wasrichtig ist). Einerseits kritisiert Rink die NachrichtCrusius' über die Absetzung Heinrichs des Löwenin Gmünd, andererseits erscheinen ihm staufischeRitterspiele am Turniergraben und die Stadtrechts-begabung durch Barbarossa glaubwürdig. DieStaufer sind für Rink das große Herrscherge-schlecht des Mittelalters und Barbarossa das Bei-spiel eines Idealherrschers schlechthin. RinksStaufer-Begeisterung wurzelt aber weniger in derGmünder Staufer-Tradition, die hier seit dem14. Jahrhundert mit großem Eifer gepflegt wurdeund zum Teil recht kuriose Blüten hervorgebrachthat, als vielmehr in einem um 1800 verbreitetenaufgeklärt-patriotischem Geschichtsbild von denStaufern. 1803 schlug der gleichgesinnte Pahl einStaufer-Denkmal auf dem Hohenstaufen vor, dasden „muthigen Verfechtern der teutschen Frey-heit und ersten Aufklärern des wesentlichenEuropa" gewidmet sein sollte.

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In der abschließenden Beschreibung des gegen-wärtigen Zustands der Reichsstadt um 1800 ver-mied Rink dagegen aus naheliegenden Gründenjegliche wertende Äußerung. Dabei hätten dieGmünder Verhältnisse einem kritischen Be-trachter Stoff genug geboten: das Regiment ruhtein den Händen einer mit „korrupt" nicht unzu-treffend beschriebenen „Schwägerschaft", die Ver-waltung war heillos zerrüttet, der Schuldenbergimmens. Ein im Frühjahr 1802 in Gmünd spio-nierender bayerischer Major notierte sich: „derBürger ist so mißvergnügt, daß er nicht zur Redestehen, nichts von der Verfassung reden will". Auchmit der Arbeitsmoral und den religiösen Verhält-nissen war es um 1800 in den Augen aufgeklärterBeobachter überhaupt nicht zum Besten bestellt.Noch 1804, also nach dem Übergang an Württem-berg, wettert der protestantische Schriftsteller undPfarrer Roeder gegen die vielen Bettler, die über-triebene Religiosität und den fehlenden Wirt-schaftsgeist in Gmünd: „Die verderblichste Artdes Luxus hat eingerissen, nemlich die, wenig zuarbeiten, und dann den Verdienst schnell wieder zuverzehren. Die meisten Handwerker arbeiten nurden Vormittag, des Nachmittags sind sie beimbraunen Bier oder auf Wallfahrten".

V.

Nach dem Erscheinen des Werks öffneten sichdem Autor — vielleicht noch vor der Mediatisie-

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rung — nun auch die Tore des städtischen Archivs.Mit Eifer ging Rink daran, anhand der ihm neumitgeteilten Quellen sein Werkchen für einezweite Auflage neu zu bearbeiten. Als Ergebnisdieser Bemühungen ist in Donzdorf eine Hand-schrift erhalten geblieben, betitelt: „Geschichteund Beschreibung der Ehemaligen unmittelbarenReichs Stadt nun aber Churfürstlich-Wirtenber-gischen Amts-Stadt Schwäbisch Gmünd... Zweyteganz neu umgearbeitete und vermehrte Auflage.1803". Leider bricht diese Neubearbeitung nachwenigen Seiten ab. Ausschlaggebend war vermut-lich die Einsicht Rinks, daß er das Buch von Grundauf hätte neu schreiben müssen und daß durch diedabei zu bearbeitende Materialmasse seine Kräfte,die er ja auf die rechbergische Geschichte konzen-trieren wollte, überfordert worden wären. Manspekuliert aber wohl nicht allzusehr, wenn manannimmt, daß Rink bei einer solchen Neube-arbeitung seine ohne Zweifel vorhandene Fähig-keit zu historischer Darstellung und selbständigerVerarbeitung der Überlieferung erst richtig hätteentfalten können.

Über die Wirkung auf das in der Vorrede ange-sprochene „Zielpublikum", die Geschichtslieb-haber und gebildeten Gmünder Bürger und Unter-tanen, ist kaum etwas bekannt. Mustert man aberdie späteren Arbeiten zur Geschichte der Stadt,etwa von Franz Joseph Werfer (1813), Joseph Epple

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(1813/35) und Michael Grimm (1867), so ergibtsich eine faktische Wertschätzung von Rinks Werkaus der Tatsache, daß sie alle eifrig von ihm abge-schrieben haben. Dies gilt auch für den GmünderChronisten Dominikus Debler (1756-1836), dersich über Rinks Werk unqualifiziert abfälligäußerte. Nachdem der mit Rink gleichaltrigeDebler, ein gescheiterter Kaufmann, seit etwa 1780einen riesigen Wust aller möglichen Gamundianaunkritisch angehäuft hatte, war es ihm ein Leichtes,Rink Irrtümer nachzuweisen. Bezugnehmend aufeine entschuldigende Floskel Rinks kommentierter hämisch: „Hier hat der Verfasser vollkommenrecht, das sein Werklein unvollkommen seye, nursolte er noch hinzugesezt haben fehlerhaft". Wiewenig Debler von dem verstand, was die eigent-liche Bedeutung von Rinks Arbeit ausmacht, zeigtseine Anmerkung zu Rinks Ablehnung der beidenJohanniskirchen-Sagen, die zugleich ein Zeugnisfür die Irritation biederer Zeitgenossen durch dieaufklärerische Überlieferungskritik ist: „Der Ver-fasser wirft so geschwind alles über den Hauffen,und bekräftigt so schnell seine Meinung vor Wahr-heit".

VI.

Gewiß, als verläßliche Informationsquelle zurGmünder Stadtgeschichte muß Rinks Buch heuteals längst „überholt" gelten. Was den Nachdruck

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rechtfertigt, ist freilich etwas anderes: als Doku-ment der Geschichtsauffassung um 1800, als Ver-such, historische Urteile unbefangen zu fallen,d. h. frei von der herkömmlichen Sicht der Dinge,und nicht zuletzt als Geschichtswerk, das die — bisheute nicht völlig eingelösten — Forderungen derAufklärung als Ergebnis geschichtlichen Lernenssieht, bietet Rinks Stadtgeschichte dem heutigenLeser mehr als nur nostalgisch-unverbindlichenLesestoff.

Literatur und N achweis

Grundlegend ist: Heribert Hummel, Joseph AloisRink. Ein vergessener schwäbischer Heimatforscher,Schwab. Heimat 31 (1980) S. 193-201 (mit Bibliographieder Druckschriften Rinks; dort nachzutragen ein Auf-satz über den Hohenrechberg, in: Schwäbisches Taschen-buch auf das Jahr 1820, S. 139-158). Ergänzend: KlausGraf, Rems-Zeitung Nr. 179 v. 5. 8. 1980 S. 10, Ders.,Gmünder Chronisten im 19. Jahrhundert, einhorn-Jb.1981, S. 179f. (auch zur Benutzung von Rinks Buch).Noch ungesichtet ist Rinks schriftlicher Nachlaß mitManuskripten seiner Werke im Gräfl. RechbergischenArchiv Donzdorf, dessen Benutzung mir freundlicher-weise gestattet wurde: A 698 (Genealog. Geschichte desHauses Rechberg 1785), A 722-723 (Hauptfassung 1806),A 729-732 (Fassung 1821), A 1103 (Ms. der GmünderGeschichte 1802 nebst Material zu ihr), A 704 (Fragmentder Neubearbeitung 1803).

Einzelnachweise (soweit nicht bei Hummel):National-Chronik der Teutschen 13/1802, S. 104 (RittersAnkündigung, vergl. auch ebd. Seite 142-144 HStASt

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J15 Bü3); Paulus Weißenberger, Schwäb. Heimat 14(1963) S. 106 (Neresheimer Matrikel); Neuer Nekrologder Deutschen 3 (1825) S. 1597-1600 (Nachruf Pahls);Joseph Seehofer, Geschichte der Bernharduswallfahrt(1978) S. 30f. (Gutachten Rinks; zur aufklärerischenKritik der Bernharduswallfahrt s. a. K. Graf, GmünderTagespost Nr. 188 v. 17. 8. 1978 S. 8); Beschreibung desOberamts Gmünd (1870) S. 141 Anm. und Württ. Jahr-bücher 1870, S. 509 (Bauers Rink-Würdigung); Samm-lung vermischter Aufsätze zum Nutzen und Vergnügenfür gebildete Leser 2 (1813) S. 37 Anm. (Pahl-Essay);H. Prescher, Histor. Blätter mannichfachen Inhalts,1. Lief. 1818, S. 58 mit Note LL (Domitian-Münze);J. G. Pahl, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben und ausmeiner Zeit (1840) S. 189 (über Ritter). Zur GmünderHistoriographiegeschichte: K. Graf, Untersuchungenzur Geschichtsschreibung der Reichsstadt Schwab.Gmünd im 16. Jh., masch. Mag.arbeit Tübingen 1981(ausführl. zur Staufer-Tradition; S. 250ff. zu Ansätzenaufgeklärter Historiographie in Gmünd um 1800 nebenRink); Ders., Die Geschichtsschreibung der ReichsstadtSchwab. Gmünd im 17. und 18.Jh., in: Barock in Schwäb.Gmünd (1981) S. 193-242. Peter Spranger, Schwäb.Gmünd bis zum Untergang der Staufer (1972) zur städt.Frühgeschichte; Klaus Schreiner, in: Die Zeit derStaufer 3 (1977) S. 320 f. (Pahls Hohenstaufen-Denkmal);Hanns Hubert Hoffmann, . . . sollen bayerisch werden(o. J., 1954) S. 28 (bay. Major); P. Spranger, Der Geigervon Gmünd (1980) S. 58 (Roeder-Zitat; ebd. aufschluß-reiche Belege zur Gmünder „Mentalität" um 1800/1820);Dom. Debler, Chronica (Hs. Stadtarchiv Gmünd) Bd. l,S. 85 (Fragment einer Rink-Kritik), S. 92-104 (kom-mentierter Auszug aus Rink, durch Blattverlust unvoll-ständig).