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12. Substitutionsforum Sonntag 22. März in Mondsee Umgang mit psychiatrischen Störungen im Rahmen der Behandlung von Hepatitis C Dr. med. R. Sarkar 1,2 1 Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 2 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Charité Mitte, Universitätsmedizin Berlin

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12. Substitutionsforum Sonntag 22. März in Mondsee

Umgang mit psychiatrischen Störungen im Rahmen der Behandlung von Hepatitis C

Dr. med. R. Sarkar1,2

1 Vivantes Humboldt-Klinikum Berlin, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 2 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Charité Mitte, Universitätsmedizin Berlin

•  Weltweit ca. 170 mio HCV-Infizierte.

•  In Deutschland ca. 0,5 mio HCV-Infizierte.

•  Ca. 5000 Neuinfektionen/Jahr in Deutschland.

Chron. Hepatitis C Normalbevölkerung Depression 23-44% bis 12% Angststörungen 15-37% 6% Fatigue* 20-80% 11-45% (*Starke Variation in Abhängigkeit von der Erhebungsmethode)

Neurokognitive Defizite (Konzentration, Gedächtnis)

Reduktion der mit Gesundheit assoziierten Lebensqualität

Prävalenz neuropsychiatrischer Symptome bei unbehandelten Patienten mit chronischer Hepatitis C

Psychiatrische Aspekte der chronischen HCV-Infektion

Psychiatrische Nebenwirkungen unter der Therapie mit Interferon alpha

Leichte Depression • Spontanes Weinen • Stimmungsinstabilitäten • Reduziertes

Selbstbewußtsein

•  Interessenverlust •  Gedankenkreisen

Schwere Depression • Sozialer Rückzug • Emotionale

Gleichgültigkeit • Affektstarre

• Hoffnungslosigkeit • Suizidgedanken • Suizidversuch

Neurokognitive Veränderungen

• Gedächtnisstörung • Konzentrations-

störungen • Delir

Fatique-Symptomatik • Müdigkeit • Antriebsstörungen

• Leistungsverlust

Reizbarkeit • Aggressivität •  Impulsivität

Suchtdruckerhöhung • Alkohol • Andere Drogen

Psychosen • Formale Denkstörungen

• Paranoider Wahn • Halluzinationen

Angst • Unruhe • Panikattacken

Schlafstörungen • Ein- und Durch-schlafstörungen

Psychiatrische Nebenwirkungen unter der Therapie mit Interferon alpha

Faktoren, die die Entwicklung psychischer Probleme beeinflussen

Schaefer M. Hot Topics in Viral Hepatitis. 2008, 9: 11-20

•  Katecholamin-Hypothese •  Noradrenalin und Dopamin vermindert

•  Serotonin-Mangel-Hypothese

•  Sonstige Veränderungen •  Neuroendokrines System dysreguliert

(HPA System) •  Dysfunktion des GABAergen Systems •  Veränderte Expression von

Neuropeptiden (z.B. Substanz P) •  Integrativer Ansatz

•  Resultat eines gestörten Zusammenspiel zahlreicher Transmitter- und endokriner Systeme

Neurobiologische Ursachen der Depression

Häufigkeit psychiatrischer Nebenwirkungen unter Therapie mit Interferon alpha

Schaefer et al., 2004

Häufigkeitsangaben IFN-assoziierter Depressionen

•  Systematic review analyzed 21 clinical trials of HCV-infected patients experiencing interferon-related depression

–  Definition of depression, treatment strategy, and duration differed among trials

Schafer A, et al. Int J Methods Psychiatr Res. 2007;16:186-201.

0 16 17 17 20 20 23 24 24 26

33 34 35 36 37 41 44

82

0

20

40

60

80

100

Pat

ient

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depr

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on, %

Zeitlicher Verlauf der Psych. NW von IFN-alpha

Incidence

16 12 8 4 0 20 24

IFN treatment (weeks)

2 6 10 14 18 22

Fatigue Depression Flu-like

symptoms

Neutropenia Anemia

Schaefer M. Hot Topics in Viral Hepatitis. 2008, 9: 11-20

Diagnose Depression

•  3 Kernsymptome (mindestens 2 für Diagnose gefordert):

•  1. Depressive Verstimmung (die meiste Zeit des Tages) •  2. Interessenverlust und/oder Freudlosigkeit an Aktivitäten, •  die sonst angenehm waren •  3. Verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit

•  7 Nebensymptome (je nach Schwere mindestens 1 bis 5 gefordert):

Diagnose der Depression nach dem ICD-10

1. Konzentrations- und Entscheidungsprobleme

2. Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf

3. Vermindertes Selbstwertgefühl 4. Appetitstörungen

5. Schuldgefühle 6. Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit

7. Gedanken an Tod, Suizidgedanken oder Handlungen

Die Symptome sollen 2 Wochen

bestehen!

Wenn sie in der Summe 13 oder weniger Punkte erreichen, liegt möglicher Weise eine Depression vor.

Diagnose der Depression

In den letzten 2 Wochen…..

Die ganze Zeit

Meistens Etwas mehr als die Hälfte der Zeit

Etwas weniger als die Hälfte der Zeit

Ab und zu

nie

….war ich froh und guter Laune? 5 4 3 2 1 0

….habe ich mich ruhig und entspannt gefühlt 5 4 3 2 1 0

….habe ich mich energisch und aktiv gefühlt

5 4 3 2 1 0

….habe ich mich beim Aufwachen frisch/ausgeglichen gefühlt 5 4 3 2 1 0

….war mein Alltag voller Dinge, die mich interessieren

5 4 3 2 1 0

Die 5 Fragen zur Depression – Depressions-Screening nach WHO

Ursachen der Interferon alpha assoziierten Depression

modifiziert nach Valentine et al. (1998) Semin Oncology 25: 39 - 47

IFN-α

Blut-Hirn-Schranke

direkt

indirekt

Neuroendokrines System; HPA-Achse; Kortisol

Neurotransmitter System Dopamin Noradrenalin Opiat Rezeptoren Serotonin Glutamat IL-1, INF-γ

Zytokin System

(IL-1, IL-2, IL-6, IL-8, IL-1- r, TNF, TNF-r, INF-γ )

Verstärkte Passage von Zytokinen unter pathologischen Bedingungen (z.B Infektion) möglich

PegIFN-α durch Induktion weiterer Zytokine

Psychiatrisches Nebenwirkungsmanagement der Interferontherapie

Psychiatrische Exploration vor und während einer Therapie mit Interferon-alpha

•  Exploration der psychiatrischen Vorgeschichte

•  persönliche Ressourcen des Patienten erfragen (Coping Strategien)

•  Psychosoziale Situation des Patienten berücksichtigen

(Kontaktpersonen, berufliche Situation,...)

• Aufklärung über mögliche psychische Veränderungen bzw.

Psychoedukation

Was tun vor der Therapie mit Interferon-alpha ?

Psychiatrische Exploration vor einer Therapie mit Interferon-alpha

Vorgehen:

1.  Welche Beschwerden liegen vor?

•  Genaue Exploration

•  Depressions-Screening (WHO, BDI, MADRS,...)

2. Wie lautet die diagnostische Einschätzung?

3. Welche psychiatrische Therapie ist geeignet?

Psychiatrische Exploration während einer Interferon Therapie beim Auftreten psychiatrischer Nebenwirkungen

Therapie der Depression: Allgemeine Grundsätze

•  Psychotherapie (Verhaltenstherapie)   Aktivitätsaufbau   Psychoedukation (Aufklärung und Beratung über

psychiatrische NW)   Nebenwirkungsmanagement   kognitive Umstrukturierung (dysfunktionale Denkmuster)   Schlafberatung/-regulation/-hygiene

•  Pharmakologische Therapie

•  Dosisreduktion, Behandlungspause (Interferon)

Wenn notwendig: engmaschige psychiatrische Betreuung

Therapie der Depression

Therapie der Depression

Noradrenalin Serotonin

Dopamin Antrieb

Interesse Energie

Impulsivität

Ängstlichkeit Reizbarkeit

Stimmung Emotion Kognition

Motivation Appetit Aggression Sexualität

Healy D et al., 1997

Therapie der Depression

Antidepressiva-Klassen Beispielpräparate SSNRI (Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren)

•  Venlafaxin (Trevilor) •  Duloxetin (Cymbalta)

NSSNRI (Nichtselektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren)

•  Amitriptylin (z.B. Saroten) •  Trimipramin (z.B. Stangyl) •  Clomipramin (z.B. Anafranil)

SSRI (Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren)

•  Citalopram •  Escitalopram (Cipralex) •  Paroxetin (z.B. Seroxat) u.a.

SNDRI (Selektive Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahme-Inhibitoren)

•  Bupropion (Elontril)

SNRI (Selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitor)

•  Reboxetin (Edronax)

NaSSA, α2-Antagonisten (Noradrenerg und spezifisch serotonerg wirksame AD)

•  Mirtazapin (Remergil)

Anmerkung – NSSNRI oder auch trizyklische Antidepressiva wie…

•  Amitriptylin (z.B. Saroten) •  Trimipramin (z.B. Stangyl) •  Clomipramin (z.B. Anafranil)

…sind zwar wirksam und verhältnismäßig billig, haben aber leider auch die häufigsten Nebenwirkungen

•  Anstieg d. Leberenzymaktivitäten •  Müdigkeit •  Herzrhythmusstörungen •  Harnsperre •  Häufig Hyponatriämie •  Glaukomanfall •  b. hirnorganisches Psychosyndrom pharmakologisches Delir möglich •  Verlängerung des QT-Intervalls im EKG

Therapie der Depression

Therapie der Depression

•  Eine 30 jährige Frau berichtet 8 Wochen nach Behandlungsbeginn mit

Interferon-alpha von einer zunehmenden Antriebs-, Motivations- und

Energielosigkeit. Tagsüber fühle sie sich nicht mehr leistungsfähig und könne

nur noch die einfachsten alltäglichen Dinge erledigen.

•  Seit längerem sei sie nicht mehr arbeitsfähig (als Bäckerin) und bereits seit 4

Wochen krankgeschrieben.

•  Die Stimmung sei leicht gedrückt, der Schlaf sei etwas vermehrt, jedoch nicht

gestört.

•  Konzentrationsstörungen oder weitere vegetative Symptome werden nicht

angegeben

•  Fazit: Eine neg. Betonung von Antriebs-, Motivations- und Energielosigkeit

Psychiatrisches Nebenwirkungsmanagement der Interferontherapie –

Kasuistik 1

Noradrenalin Serotonin

Dopamin Antrieb

Interesse Energie

Impulsivität

Ängstlichkeit Reizbarkeit

Stimmung Emotion Kognition

Motivation Appetit Aggression Sexualität

Healy D et al., 1997

Behandlungsoption:

•  Bei Antriebs-, Motivations- und Energielosigkeit: zum Beispiel mit einem

- SNDRI: z.B. Bupropion (Elontril®); 150-300 mg/die

oder

- Reboxetin (Solvex®, Edronax®); bis 12mg/die, ein Selektiver Noradrenalin-

Wiederaufnahmehemmer (NARI)

•  Psychotherapeutische Interventionenen wie Ressourcenaktivierung und

Aktivitätsaufbau

Psychiatrisches Nebenwirkungsmanagement der Interferontherapie

•  Eine 35 jährige Frau berichtet 6 Wochen nach Behandlungsbeginn mit

Interferon-alpha von einer zunehmenden Müdigkeit, Mattigkeit,

Antriebslosigkeit, Gefühl der Schwere, Abgeschlagenheit und

Erschöpfung

•  Tagsüber fühle sie sich müde, sei nicht leistungsfähig, gereizt und

unkonzentriert. Trotz eines ausgedehnten Mittagsschlafs, müsse sie

durch immer währende Müdigkeit früh zu Bett gehen (ca. 20:30 Uhr)

•  Affektive, kognitive und sonstige psychische Symptome sind nicht

nachzuweisen

•  Das Labor zeigt eine Anämie mit einem Hb von 10,8 g/dl, eine leichte

Thrombozytopenie von 140.00 pro µL Blut, sonst keine Auffälligkeiten

Psychiatrisches Nebenwirkungsmanagement der Interferontherapie –

Kasuistik 2

Fatigue-Syndrom

•  Ursachen häufig Anämie, aber auch andere Stoffwechselstörungen wie

eine Schilddrüsenfehlfunktion. Behandlungsoptionen z.B.

Erythropoietin oder L-Thyroxin

•  Körperlichen Ausdauertraining als Behandlung kann die Leistungs-

fähigkeit der Patienten verbessern und damit die Ausprägung

insbesondere von körperlicher Fatigue effektiv mindern. Wichtig ist,

möglichst frühzeitig - am besten mit Therapiebeginn

•  Wenn affektive und kognitive Symptome hinzukommen und der Schlaf

weiter schlecht ist, dann sind Hypnotika, Schlafhygiene oder

aktivierende Antidepressiva (SSRI, Bupropion, Edronax u.a.) indiziert

Psychiatrisches Nebenwirkungsmanagement der Interferontherapie

•  Einhalten der individuellen Schlafmenge und regelmäßiger Schlafzeiten

•  Verzicht auf Tagesschlaf

•  Angenehme Schlafbedingungen

•  Ausgeglichene Ernährung (nicht 4h vorm zu Bett gehen essen)

•  Koffein-, Alkohol- und Nikotinkarenz

•  Entspannende Abendgestaltung (4h vorm zu Bett gehen)

•  Körperliches Training

•  Beim nächtlichen Aufwachen nicht auf die Uhr gucken

Hypnotika

Sedierende Antidepressiva

Sedierende Neuroleptika

Antihistaminika

Benzodiazepin-Hypnotika

Zaleplon 5-10 mg (Sonata®) Zolpidem 10-20 mg (Bikalm®, Stilnox®, u.a.) Chloralhydrat 500-1000mg

Doxepin 25 – 75 mg (Aponal®, u.a.) Trimipramin 25 – 75 mg (Stangyl®, u.a.) Mirtazapin 15 – 30 mg (Remergil®, u.a.)

Melperon 25 – 75 mg (Eunerpan®, u.a.) Pipamperon 40 – 80 mg (Dipiperon®) Quetiapin 25-200mg (Seroquel®, u.a.)

Promethazin 25 – 75 mg (Atosil®, u.a.)

Lormetazepam, Lorazepam u.a.

•  Ein 42 jähriger Mann bekommt seit 8 Wochen Interferon alpha aufgrund einer

Hepatitis B und D

•  Nach etwas 4 Wochen Entwicklung ausgeprägter Reizbarkeit,

Antriebssteigerung und Impulsivität

•  Nach ca. 7 Wochen aggressives Verhalten mit körperlicher Gewalt gegen

Dritte und vermehrter Cannabiskonsum

•  Nach 9 Wochen nicht mehr zu den internistischen Terminen und auch nicht

mehr zu den seit ca. 2 Wochen bestehenden psychiatrischen Terminen

erschienen

Psychiatrisches Nebenwirkungsmanagement der Interferontherapie –

Kasuistik 3

•  Nach der 9. Behandlungswoche Abbruch der Interferontherapie durch die

Internisten

•  In der 10. Wochen psychiatrische Einweisung durch die Polizei nach PsychKG

•  Diagnose: Manie (dysphorischer Typ)

•  Behandlung mit Valproat und Lorazepam

•  Nach 3 Wochen zunehmende Remission der Symptomatik

•  Nach 5 Wochen Vollremmission und Entlassung

•  Cave: Organische Manie unter Interferon sind möglich

Psychiatrisches Nebenwirkungsmanagement der Interferontherapie –

Kasuistik 3

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit