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Guten Tag, Oliver Sturm, vielen Dank für Ihre Artikelbestellung. Sie haben folgende Artikel ausgewählt: 13. Februar 2007 1. Titel: "Zeit für eine Revolution" vom 12.02.2007 - 15933 Zeichen DER SPIEGEL Seite 86 2. Die beste Energie: Sparen vom 12.02.2007 - 39641 Zeichen DER SPIEGEL Seite 90 3. Titel: Märchen aus 1001 PS vom 12.02.2007 - 6353 Zeichen DER SPIEGEL Seite 98 4. Titel: Aktiv passiv vom 12.02.2007 - 5898 Zeichen DER SPIEGEL Seite 102

13. Februar 2007 1. Titel: Zeit für eine Revolution vom 12

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Page 1: 13. Februar 2007 1. Titel: Zeit für eine Revolution vom 12

Guten Tag, Oliver Sturm,

vielen Dank für Ihre Artikelbestellung. Sie haben folgende Artikelausgewählt:

13. Februar 2007

1. Titel: "Zeit für eine Revolution" vom 12.02.2007 - 15933 Zeichen

DER SPIEGEL Seite 86

2. Die beste Energie: Sparen vom 12.02.2007 - 39641 Zeichen

DER SPIEGEL Seite 90

3. Titel: Märchen aus 1001 PS vom 12.02.2007 - 6353 Zeichen

DER SPIEGEL Seite 98

4. Titel: Aktiv passiv vom 12.02.2007 - 5898 Zeichen

DER SPIEGEL Seite 102

Page 2: 13. Februar 2007 1. Titel: Zeit für eine Revolution vom 12

Heute schon geduscht? HeißenKaffee getrunken, die warme Woh-nung verlassen, mit dem Auto zur

Arbeit gefahren? Schon den Flug in dennächsten Urlaub gebucht?

Noch nie ging es so vielen Menschen sogut. Über ein Zehntel der Weltbevölke-rung hat ein Auto, vier Milliarden habeneinen Stromanschluss. Seit Menschen dieErde bevölkern, ist wachsender Wohlstanddas Ziel der Zivilisation; und Wohlstand istmessbar: Seine Währung heißt Energie.

Zehn Millionen Tonnen Erdöl verfeuertdie Menschheit am Tag, außerdem 12,5Millionen Tonnen Steinkohle und 7,5 Milli-arden Kubikmeter Erdgas – begleitet vonder schleichenden Gewissheit, dass dieVorräte in einigen Jahrzehnten zur Neigegehen werden. Spätestens seit dem Berichtdes Weltklimarats IPCC vom zweiten Fe-bruar ist zudem die Indizienlage übermäch-tig: Der Energiehunger der Menschheit ver-ändert das Raumschiff Erde auf eine Weise,die in der Geschichte ohne Beispiel ist.

Um bis zu 6,4 Grad könnte die Tempe-ratur auf der Erde bis zum Jahr 2100 stei-gen, das Meer um bis zu 59 Zentimeter an-schwellen, prognostizieren die Klima-experten. Die Brisanz des Reports liegtnicht in den Prognosen selbst, die sichkaum von jenen des letzten IPCC-Berichtsvon 2001 unterscheiden. Sprengstoff birgtdie Gewissheit, mit der die Forscher denSchuldigen der Misere dingfest machen.

„Der zweite Februar wird als jenes Da-tum in die Geschichte eingehen, an dem

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„Zeit für eine Revolution“Der rasche Wandel des Klimas und das Schwinden der Öl- und Gasvorräte

erzwingen eine radikale Energiewende. Der Verfall des Wohlstands scheint unausweichlich, sollte die Weltgemeinschaft keinen nachhaltigen Energiepfad einschlagen.

Erneuerbare Energien Windkraft, Biomasse, Fotovoltaik: Will der Mensch seinen Siegeszug auf der Erde fortsetzen, steht eine Abkehr von

Titel

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Weltweiter Energieverbrauchin Exajoule = 34,12 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten

Quelle: Deutsche Shell

20502030201020001990198019701960195019401930192019101900

Kohle

Erdöl

Kernkraft

Biomasseelektrisch

Solar-thermie

Geo-thermie

Prognose ab 2000

bei Annahme eines Welt-wirtschaftswachstumsvon drei Prozent jährlichund einer Erdbevölkerungvon neun MilliardenMenschen im Jahr 2050

BiomasseKraftstoffe

Wind

Wasser-kraft

Wellen-undGezeiten-Kraft-werke

Biomassetraditionell

Foto-voltaik

nicht erneuerbareEnergien

Erdgas

erneuerbareEnergien

800

600

400

200

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die Unsicherheit darüber beseitigt wurde,ob Menschen etwas mit dem Klimawandelauf diesem Planeten zu tun haben“, sagtAchim Steiner, Chef des Umweltpro-gramms der Vereinten Nationen. Die Dia-gnose der Gelehrten: Der Globus über-hitzt, weil Kohlendioxid aus 800 MillionenAutoauspuffen quillt, weil Kraftwerke welt-weit weitere Milliarden Tonnen des Treib-

hausgases in die Luft blasen und weilstündlich über tausend Hektar Regenwaldabgefackelt werden, um Platz für Soja-oder Palmölplantagen zu schaffen. Wie dasDach eines Treibhauses legt sich das bei

* Jürgen Petermann (Hg.): „Sichere Energie im 21. Jahr-hundert“. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg; 408 Seiten; 25 Euro.

der Verbrennung frei werdende Kohlen-dioxid um die Erde.

Schmelzende Gletscher und Eiskappensind die Folge, verheerende Dürren, Seu-chen und Stürme drohen. Schon werdenNaturkatastrophen wie jene in Jakarta, beider 340000 Menschen nach starken Mon-sunregen ihre Häuser an braune Wasser-fluten verloren, als Vorzeichen der Kata-strophe gewertet.

„Jetzt ist nicht Zeit für halbherzige Ak-tionen. Es ist Zeit für eine Revolution“, be-eilte sich der scheidende französische Prä-sident Jacques Chirac nach der Ver-öffentlichung der IPCC-Studie zu erklären.Eine „große internationale Mobilisierunggegen die ökologische Krise und für ein um-weltverträgliches Wachstum“ forderte Chi-rac – und er untertrieb wohl noch. Denn dieKonsequenz aus der steigenden Fieberkur-ve des Planeten muss fraglos einschneiden-der sein als politische Absichtserklärungenund der Ruf nach neuen Uno-Gremien.

Radikal wird sich vor allem je-ner Wirtschaftszweig ändern müs-sen, der Grundlage jeder Indu-striegesellschaft ist: Nur eine um-fassende Energiewende wird denKlimawandel bremsen kön-nen. „Die politische Führungder Welt hat erkannt, dass diegegenwärtige Energiepolitiknicht in der Lage ist, unsereEnergiezukunft nachhaltigzu sichern“, notiert ClaudeMandil, Chef der Interna-tionalen Energieagenturin Paris, in einem kürzlicherschienenen Buch zumThema*.

Vor über anderthalbMillionen Jahren star-tete der Mensch dasenergetische Großex-periment mit der Zäh-mung des Feuers.In der Antikeschmiedetendann mus-

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fossilen Energieträgern auf der Agenda

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kelbepackte Menschen über KohlefeuernSchwerter und Pflugscharen. Im 19. Jahr-hundert begann Öl, den menschlichenZivilisationsprozess rasant zu befeuern.

Nun geht es wieder ums große Ganze:Will der Mensch seinen Siegeszug auf derErde fortsetzen, steht die Abkehr von fossi-len Energieträgern auf der Agenda. DieRunderneuerung der Energieversorgunghin zu einer nachhaltigen Energiewirtschaftist überfällig. Dazu zwingt nicht nur dieglobale Erwärmung. Längst verschränktsich der Klimawandel mit der Verknap-pung der Welterdöl- und Erdgasreservenzur wahrhaft epochalen Herausforderung.

Und der Umbau hat bereits begonnen:Schon rotieren vor der Küste der däni-schen Insel Lolland Windräder mit einerLeistung von insgesamt fast 170 Megawatt.In Südspanien baut ein Konsortium mitdeutscher Beteiligung derzeit das welt-größte Solarthermiekraftwerk. Mit HilfeTausender glänzender Parabolspiegel sollAndasol 1 schon 2008 genug Strom für200000 Menschen liefern. Und manchenFarmer im mittleren Westen der USAmacht bereits heute die sprunghaft ange-stiegene Nachfrage nach Biosprit reich.

„Die weltweite Energiewirtschaft ist aneiner Wegscheide angelangt“, konstatiertPeter Hennicke, Präsident des WuppertalInstituts für Klima, Umwelt, Energie. Machtdie Welt weiter wie bisher, prognostiziertauch EU-Forschungskommissar JanezPoto‡nik, so werden bis 2050 die Kohlen-dioxid-Emissionen nochmals um über zweiDrittel anwachsen. Annähernd mit einerVerdoppelung des Rohölpreises auf dann110 US-Dollar pro Barrel rechnen die EU-Experten. Der Grund: 6,5 Milliarden Men-schen leben gegenwärtig auf der Erde; 2030werden es voraussichtlich 8,2 Milliardensein. 53 Prozent mehr Energie als heutewird die Menschheit dann brauchen, schätztdie OECD. Der Strombedarf sollsich bis dahin gar verdoppeln.

Andererseits ist der Zeitpunktfür den Umbau günstig: In vielenIndustrieländern ist eine Er-neuerung der Kapazitäten über-fällig. 5,2 Billionen Dollar müs-sen weltweit bis zum Jahr 2030investiert werden, um Kraftwer-ke zu modernisieren und neuezu bauen.

Doch welche Energieformen kommenin Frage, um die globale Kraftmeierei mitden Klimaschutzzielen zu versöhnen? Wieist der gewaltige Energiehunger vonSchwellenländern wie China oder Indienzu befriedigen, ohne die Ökosphäre weiterzu belasten? Letztlich: Wird es möglichsein, am Ende allen alles zu bescheren,oder ist eine neue Diskussion über dieGrenzen des Wachstums fällig?

Seit Jahrzehnten gehen vor allem dieBewohner der westlichen Welt sorglos undverschwenderisch mit den Ressourcen um.Eine Änderung ihres Verhaltens ist nicht in

Sicht. Warum auch? Trotz Preissteigerun-gen hat Energie nach wie vor den Nimbusder Unerschöpflichkeit. Der Strom kommtaus der Steckdose, das Benzin aus derZapfpistole. Als Goldenes Zeitalter könntedas 20. Jahrhundert am Ende in die Ge-schichtsbücher eingehen, als jenes Zeitalter,in dem Energie im Überfluss zur Verfügungstand und den Menschen zumindest in den Industrienationen einen historisch bei-spiellosen Wohlstand bescherte.

Der Anfang des 21. Jahrhundert dagegenwird als Epoche der Weichenstellung in

Erinnerung bleiben. Scheitert dieEnergiewende jetzt, ist der Verfalldes Wohlstands fast unausweich-lich. Drei Lager stehen einanderim Streit um die Zukunft ge-genüber: Die Hardliner, die Ener-gie wie bisher aus Öl, Gas undUran gewinnen wollen; dieGemäßigten, die auf keine Op-tion verzichten wollen; und eineSchule des „sanften Pfades“, die

sich von den fossil-nuklearen Konzeptenabwendet und die Zukunft in erneuerbarenEnergien und mehr Energieeffizienz sieht.

Kompromisslos grün geben sich bislangnur wenige Staaten, in denen sich ein ho-her Entwicklungsstand mit niedriger Be-völkerungsdichte paart. So will das wald-reiche Schweden nicht zuletzt dank ge-schickter Holzverwertung vom Jahr 2020an ganz ohne Erdöl auskommen.

Profiliertester Vertreter der fossilenHardliner dagegen ist Russland, schon we-gen seines enormen Ressourcenreichtums.Die Ölproduktion liegt dort etwa auf dem

Niveau Saudi-Arabiens; hinzu kommen diemit Abstand größten Erdgasreserven derErde. Der sauberste und klimafreundlichs-te aller fossilen Rohstoffe schafft demKreml eine Machtstellung, die das auto-ritäre Putin-Regime immer selbstbewussternutzt. Milliarden fließen in die Pipeline-Infrastruktur. An regenerativer Öko-Tech-nik hingegen hat niemand Interesse.

Den mittleren Weg des Nebeneinandersvon fossilen und regenerativen Energieträ-gern schlagen die meisten europäischenLänder ein. Kaum etwas aber wird für dieZukunft des Planeten von tiefgreifendererBedeutung sein als die Frage, ob bald auchder Wachstumsriese China in dieses Lagerwechselt.

Schiere Not nämlich könnte das Landder Mitte zum nachhaltigen Energiemixzwingen. Die explosive Industrialisierunghat dort einen Energiehunger ausgelöst,der mit konventionellen Mitteln nur nochum den Preis akuter Öko-Katastrophen zustillen ist. Einstweilen nutzt China als Nah-rung des Wachstums vorwiegend die Koh-le. Allein im vergangenen Jahr gingen dortneue Kohlekraftwerke ans Netz, die mehrals der gesamten Kapazität Großbritan-niens entsprechen. Der weitere Ausbau imgleichen Tempo wäre ein Vernichtungs-schlag gegen Klima und Atemluft. Selbstüber Kalifornien und Europa sind dieRußschwaden aus chinesischen Großfeue-rungsanlagen messbar.

Vorerst fühlt sich China, obgleich ein Un-terzeichner des Kyoto-Protokolls, nicht ver-pflichtet, sich an die dort festgeschriebeneSenkung der Kohlendioxid-Emissionen zu

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Schiere Notkönnte China schonbald zumnachhaltigenEnergiemixzwingen.

OKAPIA

Dürre in Indien (2003), Überschwemmung in Jakarta (2007): „Ist eine Krise notwendig, um die

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halten. Doch wenn nicht die Sorge umsWeltklima, so könnte schon bald der Lei-densdruck durch heimische Umweltdebakel– 16 der 20 schmutzigsten Städte der Weltliegen in China – den Strategiewechsel derRegierung in Peking beschleunigen: Schonin wenigen Jahren sollen zehn Prozent deschinesischen Stroms aus erneuerbaren Ener-giequellen stammen. Mehr als 150 Milli-arden Dollar dürften nach Schätzungen derDeutschen Bank in diesen Ausbau fließen.

China würde damit einer globalen Ent-wicklung folgen, die bereits enorm an Fahrtgewonnen hat: Derzeit halten die erneuer-baren Energien einen Anteil von 18 Pro-zent an der weltweiten Stromerzeugung –das ist mehr als die Atomkraft. Schon 2003überstiegen die weltweiten Investitionen imregenerativen Bereich die Marke von 20Milliarden Dollar. In einigen Jahren könn-te der Markt ein jährliches Umsatzvolumenvon 85 Milliarden Dollar erreichen.

Und Deutschland? Bei Investitionen inerneuerbare Energien ist die Bundesrepu-blik weltweit führend. Kein Land gewinntso viel Strom aus Wind wie Deutschland.Fast jedes fünfte Windrad weltweit stammtaus einer deutschen Werkshalle. Für dieHamburger Windkraftfirma Repower bie-ten ausländische Investoren sogar schonum die Wette: Nicht nur der französischeNuklearkonzern Areva, sondern auch dasindische Unternehmen Suzlon sind inter-essiert (siehe Seite 109).

Experten wie der US-Ökonom AdamPosen glauben daher, dass Deutschland„durch Innovationen und die Kraft desBeispiels“ eine wichtige Rolle dabei spie-

len könnte, die Weltgemeinschaft in einneues, klimaschonendes Energiezeitalterzu führen.

Das Problem jedoch: In ihrem Verhaltengebärden sich die Deutschen weit wenigervorbildhaft. Die Bundesrepublik sei kei-neswegs ein Vorreiter in Sachen Klima-politik, wettert EU-Kommissar Stavros Dimas. Es sei dringend geboten, „denschönen Reden Taten folgen“ zu lassen.

Dimas hat recht. Die deutsche Energie-wende hat bislang trotz Erneuerbare-Energien-Gesetz und Dreifachverglasungbis ins Gäste-WC etwas Wesentliches ver-säumt: die Optimierung der Effizienz. Je-der einzelne Deutsche verbraucht immernoch viel zu viel Energie.

Die Wohlstandssause eines jeden Bun-desbürgers ruiniert die Biosphäre in einemUmfang, der den Ruf der Deutschen alsÖko-Weltmeister absurd erscheinen lässt.Fast tausend Liter Benzin pro Jahr verfährtjeder Führerscheinbesitzer in Deutschland.Energiesparbirnen und Drei-Liter-Autosgehören hierzulande bis heute zu denbelächelten Auswüchsen der Moderne.Und Bundeskanzlerin Merkel scheint daranauch nur verbal etwas ändern zu wollen.Tempolimit auf den Autobahnen? Nicht mitMerkel. Ein einheitlicher CO2-Grenzwertfür Neuwagen, wie jetzt von Brüssel gefor-dert? Auf Druck der Kanzlerin entschärft.

Damit offenbart sich ein Grunddilemmader Energiedebatte: Ohne ein Umdenkender Verbraucher in den Industrienationenwird keine noch so ausgefuchste Energie-form die Fieberkurve des Planeten we-sentlich nach unten korrigieren können.

Die Welt ächzt unter den Folgen eines ver-schwenderischen westlichen Lebensstils,der längst droht zum globalen Vorbild zuwerden.

„Milliarden Menschen, die heute nochüberhaupt keinen Zugang zu Elektrizitäthaben, wollen alle so zivilisiert leben wiewir“, sagt der Umwelt- und EnergieexperteFritz Vahrenholt, Chef von Repower. Por-sche fahren, einen beheizten Swimming-pool im Garten haben und regelmäßig aufdie Malediven fliegen: Das sind die Insigni-en des Kapitalismus westlicher Prägung. Obdie Erdenbürger bereit sind, sich zu be-schränken, nur weil Wissenschaftler eineKlimaapokalypse in ferner Zukunft herauf-beschwören, ist eine der größten Unbe-kannten in der globalen Energierechnung.

Was also ist zu tun, um die längst über-fällige Energiewende endlich einzuleiten?„Ist eine Krise notwendig, um die Men-schen auf einen neuen Pfad zu bringen,oder können sie auf einen schrittweisenWissenszuwachs reagieren?“, fragte RalphCicerone, Präsident der US-amerikani-schen National Academy of Sciences, nachder Vorstellung des neuen IPCC-Berichts.

Viel Zeit bleibt nicht – schon deshalb,weil jede Entscheidung für ein Großkraft-werk neues Milliardenkapital für 30 bis 60Jahre festlegt; das sind die Zeiträume, indenen die Energieversorger kalkulieren.Zum einen wird es darum gehen, die heu-tige Energiestruktur mit ihren Megakraft-werken und Überlandleitungen vielerortsumzustellen auf eine nachhaltige, effizien-te und dezentral ausgerichtete Versorgung.

Zum anderen aber, darin sind sich dieExperten einig, braucht die Welt ein neuesBewusstsein dafür, wie viel Energie tag-täglich vergeudet wird und ungenutzt ver-pufft. „Energiesparen durch effiziente Nut-zung ist für fast alle energiebedingten Pro-bleme die schnellste und wirtschaftlichsteLösung“, sagt der Wuppertaler ForscherHennicke. Schon mit heute existierendenTechniken sei es möglich, den Primär-energiebedarf in Deutschland um bis zu 40 Prozent zu reduzieren, „und das beiweiter ansteigender Wirtschaftsleistung“.

„Der Klimawandel ist auch eine Chan-ce“, sagt der Energieexperte. Deutschlandsieht er dabei als „Innovationsmotor“.Neue Technologien zur Effizienzsteigerungund für die umweltfreundliche Strompro-duktion könnten den Anteil von Öl, Kohleund Gas am Energiemix schon bis Mittedes Jahrhunderts entscheidend verringern.

Ein Drittel Einsparungen, ein Drittel er-neuerbare, ein Drittel fossile Energien lau-tet Hennickes Faustformel für den „sanftenPfad“ in die Zukunft. Schöne neue Ener-giewelt – und vielleicht die letzte Chance,sich nicht wieder zum Affen zu machen.

„Mit Energie können wir alles bewerk-stelligen“, meint der britische Umwelt-experte Euan Nisbet, „ohne sie sind wireine Art große Schimpansen.“

Philip Bethge, Christian Wüst

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Menschen auf einen neuen Pfad zu bringen?“

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Die Suche nach der täglichen Ver-schwendung beginnt für PeterLentz im Keller. Dort wird der

Energieexperte auch an diesem Morgenfündig. Er spürt es schon, als er den Hei-zungsraum betritt. Es ist warm hier unten,viel zu warm.

Das Thermometer zeigt 29 Grad Celsius.Gleich zwei Heizkessel versorgen dasMehrfamilienhaus mit Wärme. Beide sind

in Betrieb, obwohl draußen Plus-Gradeherrschen. „Einer würde völlig reichen“,meint Lentz. Was den Ingenieur vollendsverblüfft, sind die beiden Wasserspeicher,die jeweils 2500 Liter fassen. „Absolutunsinnig“, so das Urteil des Fachmanns.

Lentz ist Abteilungsleiter der WGB Wär-me GmbH, eines Berliner Energiedienst-leisters, der ein besonderes Geschäftsmo-dell verfolgt: Die Mitarbeiter untersuchen

zunächst die Gebäude ihrer Auftraggebernach Sparmöglichkeiten. Dann installierensie moderne neue Heizsysteme, die sie perDatenfernleitung kontrollieren. So versor-gen sie die Verbraucher über eine festeLaufzeit, etwa zehn Jahre, mit Öl oderGas. Der Kunde zahlt für die Investitionkeinen Cent: Die neue Anlage wie auchdas WGB-Geschäft finanzieren sich aus dereingesparten Energie.

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Die beste Energie: SparenDie Warnungen vor einer drohenden Klimakatastrophe durch wachsende Emissionen werden immer

lauter. Zugleich befeuert der globale Wachstumshunger die Preise für Öl und Gas. DieLösung wäre einfach: Energie sparen, indem man sie effizienter nutzt. Warum nur tun das so wenige?

Titel

Satellitenaufnahme des nächtlichen Europa, Stau auf Autobahn (zwischen Frankfurt am Main und Köln), Wärmebild eines Gebäudes: Wie kann

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STROM

Wärme-bedarf

vonGebäuden

(ohneStrom)

VERKEHR

–5Prozent

–19Prozent–8

Prozent

Energieverbrauchund Einsparzielbis 2020 gegenüber 2003,Szenario der DeutschenEnergie-Agentur

950

600500

WÄRME

2003 inTerawatt-stunden

„Contracting“ heißt das Konzept, vondem beide Seiten profitieren – und außer-dem die Umwelt. Im Schnitt lassen sich 15bis 20 Prozent Energie einsparen, teilwei-se auch noch mehr.

Das raffinierte Prinzip findet Anklangin Deutschland: Schon gibt es rund 500solcher Contractoren, die Immobilienver-waltungen, Supermärkte oder Gefängnisseunter Vertrag nehmen. Ihr Geschäft legtjährlich um fast 15 Prozent zu.

Energiesparen wird zur Wachstums-branche. Es schafft Tausende neuer Jobs inneuen Industriezweigen, in denen deut-sche Firmen durchaus führend sind: Werhätte vor 20 Jahren gedacht, dass hiesigeTechnik für Wind- oder Sonnenenergiemal zum Exportschlager taugt? Oder dasssolche Unternehmen gar an der Börse ge-handelt werden?

Das Potential ist bemerkenswert. Denndie Menschheit vergeudet gigantische Men-gen an Öl, Gas und Kohle: zum Heizen von

Gebäuden, zum Betreiben von Maschinen,als Antriebskraft im Verkehr. Innerhalb ei-ner Generation hat sich der Verbrauch anfossilen Brennstoffen weltweit um zweiDrittel erhöht. Seit dem Eintritt Ostasiensund der GUS-Staaten in den globalen Wett-bewerb ist der Hunger noch mal gewach-sen: Die Welt giert förmlich nach Energie.

Und die Zukunft von Wirtschaftsmäch-ten wie China oder Indien hängt davon ab,dass der Energiefluss stetig wächst. Dochwo die Technik mit dem Aufstiegswillennoch nicht mithalten kann, werden Un-mengen von Rohstoffen sinnlos in die At-mosphäre geblasen. Das ist ökonomischunsinnig, ökologisch schierer Wahnsinn.

Gerade erst kam der Uno-Klimaberichtzu besorgniserregenden Ergebnissen, wasdie weltweiten Emissionen und die globa-le Erwärmung angeht. Gerade erst beeiltensich Politiker aller Länder und Couleur mit der Beteuerung, nun endlich Ernst zumachen mit dem Umweltschutz. Gerade

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dieser ungeheure Energiehunger gestillt werden?

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USA

Quelle: IEA, IWF

EnergieeffizienzPrimärenergieverbrauchje einer Milliarde Dollar

Bruttoinlandsproduktin Millionen Tonnen

Steinkohle-Einheiten 2004

CHINA

RUSSLAND

INDIEN

JAPAN

DEUTSCHLAND

FRANKREICH

GROSSBRITANNIEN

BRASILIEN

1,09

Primärenergie-verbrauchin Millionen TonnenSteinkohle-Einheiten2004

0,86

0,83

0,20 2325,9

1609,4

533,2

348,0

275,2

233,7

204,9

0,12

0,13

0,13

0,11

0,34

641,5

572,9

erst mahnte die deutsche Bundeskanzle-rin Angela Merkel angesichts der alarmie-renden Prognosen: „Es ist fünf vor zwölf.“Aber wie kann gegengesteuert werden?

Allein die neue Supermacht Chinanimmt unter den größten Erdölkonsumen-ten der Welt heute nach den USA denzweiten Platz ein, obwohl das Land nochkaum motorisiert ist: Erst 19 von 1000 Ein-wohnern fahren Auto, in den VereinigtenStaaten sind es 780. Und dennoch ist dasReich der Mitte schon jetzt hinter den USAin Sachen Treibhausgasen auch die größteDreckschleuder der Erde.

Hunderte Millionen Menschen eiferndem westlichen Konsummodell nach – undrasen geradewegs Richtung Öko-Katastro-phe. Wie lange, fragen sich die Bürger inden klassischen Industriestaaten besorgt,geht das noch gut? Wie kann dieser unge-heure Energiehunger gestillt werden, inFernost ebenso wie im Westen?

Früher genügte es, in immer entlegene-ren Gebieten nach Öl und Gas zu bohren,immer größere Mengen an Kohle zu ver-feuern, immer mehr Atomkraftwerke zubauen. Mittlerweile zeigen sich auch demkühnsten Wachstumsoptimisten die Gren-zen dieser Strategie auf: zu teuer, zu ge-fährlich, vor allem aber viel zu dreckig.

Nur eine Energiequelle existiert noch,die bei weitem nicht ausgeschöpft ist. IhrPotential scheint beinahe grenzenlos: Kon-sequentes Sparen ist die sicherste und sau-berste aller Energien. Und die einzige, diesogar Gewinn abwirft.

Ohne große Anstrengungen könnten diefast 500 Millionen EU-Bürger ihren Ener-

* Mit Umweltminister Sigmar Gabriel und Wirtschafts-minister Michael Glos beim Energiegipfel am 3. April 2006in Berlin.

gieverbrauch um ein Fünftel reduzieren,haben Studien ergeben: Dies entspräche60 Milliarden Euro – pro Jahr.

Solch gewaltige Zahlen verlieren schnellihr abstraktes Niveau, wenn man sie run-terbricht auf jeden einzelnen Haushalt:Eine durchschnittliche Familie könnte ihreHaushaltskasse um jährlich 200 bis 1000Euro schonen, wenn sie bewusster mitEnergie umgehen würde.

Weniger könnte durchaus mehr sein.Und dabei ist nicht an alberne Appelle ge-dacht, jeden Kaffeefilter dreimal zu ver-wenden. Sparen bedeutet nicht, auf Le-bensqualität zu verzichten.

Eine Energiesparlampe etwa benötigtnur ein Fünftel der Leistung, die eine kon-ventionelle Glühbirne verbraucht, und siehält zehnmal länger. Ihre Anschaffung sei„wesentlich rentabler als jede Geldanlage“,versichert Hans Weinreuther von der Ver-braucherzentrale Rheinland-Pfalz.

Würden die Europäer auf innovative Be-leuchtungstechnik umstellen, könnten siepro Jahr rund 4,3 Milliarden Euro sparenund für sinnvollere Dinge verwenden. Unddoch machen sich nur wenige Verbrauchersolche Möglichkeiten zunutze. Was hin-dert sie bloß daran?

So manches in der aktuellen Energie-debatte mutet paradox an: Da fürchten dieDeutschen eine allzu große Abhängigkeitvon russischem Öl und Gas. Viele sympa-

thisieren schonwieder mit derKernkraft. Undselbst die Förde-rung der heimi-

schen Steinkohle bringen einigeernsthaft wieder ins Gespräch.Gleichzeitig wird die bedeu-tendste Energiequelle „nicht

mal ansatzweise ausgeschöpft“, moniertder Umweltverband BUND.

Von der gesamten Energie, die weltweiterzeugt wird, nutzt der Konsument amEnde gerade mal ein Drittel. Der Rest ver-schwindet in die Luft oder ins Wasser, bei-spielsweise weil Leitungen undicht sindoder es an Dämmmaterial mangelt.

Peter Hennicke, Präsident des Wupper-taler Instituts für Klima, Umwelt, Energie,vergleicht die heutigen Energiesysteme mitBadewannen, die ständig mehr Wasserverbrauchen, weil ihnen der Stöpsel fehlt.Ein solcher Zustand sei „eine intellektuel-le Provokation für jeden kreativen Ingeni-eur und Planer“, ärgert sich Hennicke.

Selbst ein scheinbar so ausgefeiltes Pro-dukt wie ein Auto weist unter Effizienz-gesichtspunkten katastrophale Werte auf.70 bis 80 Prozent der Energie, die derMotor erzeugt, gehen dem eigentlichenZweck, der Fortbewegung, verloren. Statt-dessen wird das Kühlwasser erwärmt oderheiße Luft durch den Auspuff geblasen.

Natürlich könnte man die Abwärmeauch für den Antrieb nutzen, die Idee istnicht neu. Doch der Bau eines solchen

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Bundeskanzlerin Merkel*: „Es ist fünf vor zwölf“

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Dampfautos scheiterte bislang daran, dassder technische Aufwand zu groß ist – undBenzin schlicht zu billig.

Wie die Menschen mit Energie umgehenund den Produkten, die von ihr abhängen– es ist eine Geschichte voller Widersprü-che. Dabei sollte doch klar sein: Jeder LiterÖl, jeder Kubikmeter Gas, jede Kilowatt-stunde Strom weniger spart nicht nur Geldund schont die Umwelt, sondern macht dieEnergieversorgung auch sicherer.

Allmählich setzt sich die Erkenntnisdurch. US-Präsident George W. Bush riefunlängst seine Landsleute dazu auf, wenigerÖl zu konsumieren. Der hohe Verbrauchmache die USA „verwundbarer gegenüberfeindlichen Regimen und Terroristen“,mahnte Bush. Erstmals räumte der Texanerein, dass es so etwas wie den globalen Kli-mawandel überhaupt gibt und dass dieser„eine ernste Herausforderung“ darstelle.

Das sind neue Töne aus Washington.Aus Brüssel hört man sie seit längerem.

Die EU-Kommission hat bereits zahlrei-che Aktionspläne formuliert, Studien vor-gelegt und Effizienzkampagnen angescho-ben. Jedes Jahr sollen die Mitgliedsländermindestens ein Prozent weniger Energieverbrauchen, lautet das Ziel.

Wie ernst es der Kommission damit ist,demonstrierte sie, als sie die Autoindustriezu schärferen Abgasgrenzwerten zwingenwollte. Zwar hat der zuständige Kommissar

nommen. Je stärker der Leidensdruck,umso ausgeprägter ist der Sparwille.

Manche Energieberater sind auf Wochenausgebucht. Die Verbraucherzentralen re-gistrieren mehr Terminanfragen denn je.In den Baumärkten sind Heizöfen die Ver-kaufsschlager, die Installateure kommenmit dem Einbau kaum nach. Die Wärme-quelle Holz, so stellen viele fest, ist trotzsteigender Rohstoffpreise noch immergünstiger, als mit Gas zu heizen.

Noch rentabler sind Heizun-gen die mit Pellets betriebenwerden, zu Röllchen gepresstenHolzabfällen. 70000 sind es be-reits, 30000 mehr als vor Jahres-frist. Die Pellets verbrennengleichmäßig, der Wirkungsgradist mit teilweise über 90 Prozentaußergewöhnlich hoch.

Der Nachfrageboom nach ener-giesparenden Artikeln treibt die

Preise in die Höhe; Dämmstoffe wie Stein-wolle, Polystyrol, Kork- oder Kokosplat-ten haben sich im Vergleich zum Vorjahrzum Teil um mehr als zehn Prozent ver-teuert. Trotzdem sind sie oft auf Monateausverkauft – das weckt Erinnerungen aneine andere Zeit großer Sparschocks.

Schon einmal stand der effiziente Um-gang mit Energie bei den Bürgern hoch im Kurs: In den siebziger Jahren verän-derten die Ölpreiskrisen den Alltag der

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Stavros Dimas seine ursprünglichen Vor-stellungen abgeschwächt. Nun nimmt ernicht allein die Hersteller in die Pflicht,sondern ebenso die Treibstoffproduzenten,die sauberen Biosprit liefern sollen. Auchist die Königsfrage nicht geklärt: Geltendie neuen Grenzwerte für die gesamte Autoindustrie? Oder für jeden einzelnenHersteller, für Fiat also wie für Porsche?Doch die Fahrzeugbauer sind gewarnt, ins-besondere die deutschen (siehe Kasten Sei-te 98). Noch einmal wird sich dieEU nicht abspeisen lassen mitdem simplen Versprechen derKonzerne, sich bessern zu wol-len. Der Einwand, Tausende Jobsgerieten in Gefahr, war ohnehineher fadenscheinig. Schließlichwerden nur jene Unternehmenim Wettbewerb bestehen undsichere Arbeitsplätze bieten, diedas Auto des nächsten Jahr-zehnts entwickeln. Und diese Modellewerden mit Sicherheit weniger Sprit ver-brauchen.

Kein Zweifel, da kommt etwas ins Rollen.Mit den immer dramatischeren Klimapro-gnosen ändert sich auch das Bewusstseinder Bevölkerung – von Politikern, Mana-gern und Verbrauchern. Und spätestens seitdie Konsumenten spüren, wie die Preise fürBenzin, Heizöl, Erdgas und Strom ihr Bud-get schmälern, wird das Thema ernst ge-

Mit den Klima-prognosen ändert sichauch dasBewusstseinderBevölkerung.

Schwerindustrie in Donezk (Ukraine): Millionen Menschen eifern dem westlichen Konsummodell nachCARLOS CAZALIS / CORBIS

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60¤

WärmeguthabenMögliche Einsparungen durch dieSanierung eines Einfamilienhauses*

Quelle: Dena*bei einem Heizenergieverbrauch

von 44000 Kilowattstunden im Jahr

verbleibendeHeizkosten

700¤

Heizkosten vor der Sanierung: 2660¤ pro Jahr

Dämmung Nutzer-verhalten

Austausch der Fenster Austausch der Heizung

260¤

270¤420¤

950¤

optimierteHydraulik

60¤

möglicheEinsparungen

1960¤ pro Jahr

Menschen. 1979 kostete der Liter Benzinerstmals mehr als eine Mark. Der ADACverteilte damals millionenfach „Ich bin Ener-giesparer“-Aufkleber. Und der US-Phy-siker Amory Lovins veranschaulichte mitseiner Wortschöpfung der „Negawatts“,den nicht verbrauchten Megawatt, dassEnergiesparen durchaus als ökonomischerWert zu verstehen ist: Die Wirtschaft kön-ne selbst dann wachsen, so Lovins’ Credo,wenn sie ihren Energiebedarf reduziere.

Bürger und Industrie strengten sich an.Tatsächlich schafften sie es, den Anteil derEnergiekosten an ihrem Budget zu redu-zieren. Die Energie-Intensität, das Verhält-nis von Energieverbrauch zu Wirtschafts-leistung, verringerte sich seitdem um 40Prozent. Doch in dem Maße, wie die Öl-preise in der Folge wieder sanken, schwandauch das ökologische Bewusstsein.

Es ist wie bei Bandscheibenproblemen:Wer keine Rückenschmerzen hat, machtauch keine Gymnastik mehr.

Inzwischen, eine Generation später,kehrt der alte Geist in neuer Form zurück– mit weniger Weltverbesserer-Attitüdeund mehr ökonomischer Vernunft. Unddiesmal könnte das Umdenken durchausnachhaltig wirken, wenn selbst die im Kon-sens erstarrte schwarz-rote Koalition denAufbruch versucht.

In Berlin bemüht sich die Regierung, dieEnergiepolitik auf den neuen Sparkurs zubringen. Dass dies nicht leichtfällt, hatschon der letzte Energiegipfel im Oktobervorigen Jahres demonstriert: KanzlerinMerkel wollte die Effizienz zum Topthemamachen. Doch damals überlagerte nochder Streit um die Atomkraft alles andere.Immerhin wurde vereinbart, dass eine Ar-beitsgruppe bis zum nächsten Treffen vor-aussichtlich im Juni ein Aktionsprogrammentwerfen soll, eine detaillierte Strategiefür die nächste Dekade.

Das Minimalziel steht fest: Deutschlandsoll bis zum Jahr 2020 gegenüber 2003 denStromkonsum um 8 Prozent senken, den

Wärmebedarf von Gebäuden um 19 undden Verbrauch im Verkehr um 5 Prozent.So sieht es ein Szenario der DeutschenEnergieagentur (Dena) vor. Über den Wegdorthin scheiden sich freilich die Geister.

Die Schwierigkeiten beginnen bereitsbeim Image: Energiesparen galt bislangnicht gerade als schick. Das Wort klingtunbehaglich, nach Verzicht, nach Frieren.„Wer spart schon gern?“, fragt Dena-Ge-schäftsführer Stephan Kohler: „Ich nicht.“

Kohler spricht lieber von Effizienz, vonzusätzlichem Gewinn und von all den Vor-teilen, die sich dem Verbraucher böten.Das ist sein Job: Die Dena, vor sechs Jah-ren von der damaligen rot-grünen Regie-rung und der Kreditanstalt für Wiederauf-bau (KfW) in Berlin gegründet, soll denEffizienzgedanken hinaustragen ins Land.Denn, und das ist ein weiteres Hindernis:Es mangelt vielfach schlicht an Wissen.

Wer hat schon eine Ahnung, wie viel erim Monat für den Betrieb seiner Gefrier-truhe bezahlt? Wem ist wirklich bewusst,dass er und seine Mitreisenden bei einemFlug in die USA rund 4000 KilogrammKohlendioxid in die Stratosphäre blasen?Wer weiß denn, dass er nur halb so vielStrom verbrauchte, wenn er die Hemdenstatt mit 60 Grad mit 40 Grad wüsche?

Der Durchschnittskunde von RWE undVattenfall, von Ruhrgas, Shell und BP istahnungslos – und irrational obendrein.

„Die Leute fahren durch die ganzeStadt, um Fleisch für 99 Cent zu kaufen“,wundert sich Kohler – und sie ignorier-ten zugleich, wie sehr sie davon profi-tieren könnten, wenn sie sich nur einbisschen energiebewusster verhielten.Der Strom komme aus der Steckdose undmüsse billig sein, sei die weitverbreiteteEinstellung, ärgert sich der Dena-Chef:„Davon müssen wir weg.“

Nur wenige ticken schon anders. Bar-bara Schweer und Martin Hoyer zum Bei-spiel sind vor gut einem Jahr mit ihrerTochter in Freiburg an den Schlierberg ge-

zogen, in die sogenannte Solarsiedlung. 47Häuser stehen dort, die ganz auf Effizienzgetrimmt sind.

Die Wärme, die die Familie für ihr Pent-house bezieht, kommt aus einem nahegelegenen Holzkraftwerk. „Wir hattenHeizkosten von nur 300 Euro“, berichtetSchweer – im ganzen Jahr, auf 167 Qua-dratmeter Wohnfläche.

Das Geheimnis solcher Traumwerte: DasHaus ist aufwendig gedämmt. Selbst jetzt,an kalten Februar-Tagen, sind die Ther-mostate der Heizung oft runtergedreht. Diesüdliche Glasfront fängt die flache, win-terliche Sonne ein, während die hohe Som-mersonne die Räume nicht aufheizt.

Das Gebäude ist ein sogenanntes Plus-energiehaus und ähnelt einem kleinenKraftwerk: Es erzeugt mehr Energie, alsdie Bewohner verbrauchen (siehe KastenSeite 102).

96

Titel

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Wärmedämmung eines Plattenbaus, Waschmaschinenmontage (bei Miele in Gütersloh), Fertigung von Hightech-Lampen (bei Osram in Berlin):

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Page 13: 13. Februar 2007 1. Titel: Zeit für eine Revolution vom 12

Kommunikation undUnterhaltungs-elektronikVerzicht aufStand-By-Funktion

GeldströmeMögliche Einsparungen bei Stromkostenin einem Vier-Personen-Haushalt*

möglicheEinsparungen

232¤ pro Jahr

verbleibendeStromkosten

533¤

Kommunikation undUnterhaltungs-elektronikVerzicht aufStand-By-Funktion

moderne Heizungspumpeeffizientere HaushaltsgroßgeräteBeleuchtung Energiesparlampen

45¤

53¤

60¤74¤

Quelle: Dena*bei einem Verbrauch von 4500

Kilowattstunden im Jahr

Stromkosten ohne Einsparung: 765¤ pro Jahr

Die Solarstromanlage auf dem Dach hatim ersten Jahr fast 9000 KilowattstundenStrom ins Netz gespeist. Zieht man davonden eigenen Stromverbrauch sowie dieHeizwärme ab, bleibt ein jährlicher Über-schuss von rund 2000 Kilowattstunden.Den Ausgaben von monatlich knapp 100Euro für Strom und Wärme stehen Ein-nahmen von fast 400 Euro aus der Solar-anlage gegenüber.

Die Familie, das ist der Clou, kann mitihrer effizienten Wohnweise Geld verdie-nen. Und dazu muss sie weder die Winter-abende bei Kerzenschein überdauern,noch darf nur einmal pro Woche geduschtwerden.

Bislang sind solche Häuser die Ausnah-me. Rund 17 Millionen Wohngebäude ste-hen in Deutschland, rund 30 Prozent derEnergie wird in den vier Wänden ver-braucht, meist für kuschelige Raumtempe-

raturen und warmes Wasser. Hier verber-gen sich die größten Sparmöglichkeiten.

Eine normale Ölheizung benötigt lauteiner Studie des Energiedienstleisters Te-chem im Schnitt 15,7 Liter Heizöl pro Qua-dratmeter und Jahr. Niedrigenergiehäuserkommen mit bis zu 7 Liter aus. Viele Mo-delle wie das Haus der Familie Hoyer-Schweer sogar mit erheblich weniger. Undinzwischen sehen sie auch nicht mehr wieüberdimensionale Jutetaschen aus.

Das Problem sind die wirklich altenGemäuer: Sie verheizen schon mal 50 Li-ter oder mehr. Genau diese Objekte aberstellen die Mehrheit der Gebäude zwischenFüssen und Flensburg: Drei Viertel derWohnimmobilien in Deutschland wurdenvor 1977 errichtet, bevor die erste Wärme-schutzverordnung in Kraft trat. Insgesamtsind das mehr als zwölf Millionen Objekte.

Andreas Troge, Chef des Umweltbun-desamtes, sagt: „Bei den Altbauten habenwir einen Stau bei der energetischenSanierung.“ Und dieser Stau wird sich sobald kaum auflösen. Nur gut ein Prozentdes Immobilienbestands wird pro Jahrneu errichtet.

Wenn die Hausbesitzer die Handwerkerrufen, dann meist nur für kosmetischeReparaturen. Da wird mal das Bad ver-schönert, mal das Treppenhaus gestrichenoder die Küche modernisiert. Aber auf dieunspektakulären Sanierungsarbeiten imHeizungskeller und auf dem Dachboden

wird lieber verzichtet. Da guckt ja nie-mand hin.

Erst wenn die Heizkostenabrechnungkommt, werden einige aktiv. Sie holen

sich Rat bei Fachleuten wie Peter Hirt,Energieberater der Verbraucherzentrale inKiel. Der gelernte Versorgungsingenieurgeht auf die Suche nach den Wärme-brücken im Haus, den Stellen also, woEnergie im wörtlichen Sinne verheizt wird.

Das können unisolierte Kellerdeckensein, dünnwandige Jalousienkästen oderauch Heizkörper, die in Nischen vor dem

ungedämmten Mauerwerk plaziert sind –eine typische Erscheinung der sechzigerJahre: „Die produzieren dann schöne rote Flecken auf der Wärmebildkamera“,sagt Hirt.

Jeder Farbtupfer auf dem Monitor be-deutet Geld. Bis zu zwei Drittel der Heiz-kosten könnten Hausbesitzer sparen, so-fern sie alles unternähmen, was technischmöglich ist: von der Installation einerBrennwertheizung, die auch die Wärmeder Abgase nutzt, kombiniert mit Solar-kollektoren oder Wärmepumpen, bis zurAbdichtung von Dächern, Wänden undFenstern.

Ein neuer Energiepass soll dafür einenAnreiz bieten. Der Ausweis, ausgestelltvon einem Energieberater, stuft künftig je-des Gebäude nach seiner Effizienz ein. DasErgebnis ist für jeden Laien leicht ver-ständlich: Es reicht vom Optimalwert Grünbis zum mangelhaften Rot.

Schon vor Jahren hatte die EU die Ein-führung des bunten Dokuments verlangt.Lange wurde in Berlin gerungen, zwischenWirtschafts- und Umweltministerium, zwi-schen Mieterverbänden und Immobilien-wirtschaft. Herausgekommen ist ein selt-samer Kompromiss.

Wer sein Haus selbst bewohnt, benötigtkeinen Pass. Ihm bleibt es weiter selbstüberlassen, ob er Energie sparen oder ver-schleudern möchte. Nur wenn bei einerImmobilie der Nutzer wechselt, wenn siealso verkauft, vermietet oder verpachtetwird, muss das Dokument vom Jahr 2008an vorgelegt werden.

Allerdings sind zwei sehr unterschiedli-che Pässe vorgesehen: einer für unsanier-te Gebäude mit bis zu vier Wohnungen,die älter als 30 Jahre sind. Er dokumentiertden Energiebedarf anhand von Kriterienwie Dämmstandard oder Heizungstyp.Dieser bedarfsorientierte Ausweis kann ei-nige hundert Euro kosten.

Bei allen anderen Gebäuden reicht auchein Energiepass, der lediglich den Ver-

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Ohne große Anstrengungen könnte jede Familie die Haushaltskasse um 200 bis 1000 Euro schonen

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Page 14: 13. Februar 2007 1. Titel: Zeit für eine Revolution vom 12

Kohlendioxid-Emissionvon Autoflotten und ausgewählten Markenin Gramm pro Kilometer

3001000 200

geplante Beschränkung bis 2012: 130 g/km

Porsche 297

BMW-Gruppe 190,1

BMWMini

DaimlerChrysler 183,6

MercedesSmart

Chrysler

Ford-Gruppe

FordJaguar

VolvoLand Rover

165,1

VW-Gruppe

VWAudiSeat

µkoda

162,5

GM Europe

Opel/VauxhallChevrolet

Saab

158,3

PSA

PeugeotCitroën

149,9

Renault-DaciaRenault

152

Fiat-Gruppe

Alfa RomeoLancia

146,4Fiat

Quelle: FH-Gelsenkirchen

Kinder sind von mitunter schmerz-hafter Ehrlichkeit: Wenn sie Quar-tett spielen, geht es nur um eine

Frage: Welches Auto ist am stärksten,welches am schnellsten? „Meiner hat 255PS“. – „Meiner 278.“ – „Null auf hundertin 7,1 Sekunden.“

Später dann, wenn aus den Kindern er-wachsene Konsumenten geworden sind,ist die Wahrheitsliebe beim Thema Auto-mobil nicht mehr ganz so ausgeprägt. Diemeisten sagen in Umfragen, ein neuesAuto solle möglichst wenig Benzin ver-brauchen. Doch welche Karossen kaufendie Menschen? Welche Fahrzeuge ent-wickeln die Ingenieure? Und wie steuernPolitiker den hiesigen Verkehr?

In Deutschland kaufen die Kunden be-sonders gern Geländewagen. Ihr Anteilan den Zulassungen stieg von 2003 bis2006 um mehr als 45 Prozent. Der Marktbrummt, als hätten sich die Straßen inden vergangenen Jahren in Schlamm-und Geröllwüsten verwandelt.

Dass die oft über zwei Tonnen schwe-ren Fahrzeuge mehr Benzin oder Dieselschlucken als gewöhnliche Pkw, könnendie Hersteller auch mit modernster Mo-torentechnologie nicht verhindern. DieKunden scheint dies, trotz gestiegenerSpritpreise, aber nicht zu stören.

Sie kaufen auch sonst vor allem Autosmit starken Motoren. Seit dem Jahr 2000hat sich der Anteil der Fahrzeuge mit 136bis 190 PS bei den Neuzulassungen fastverdoppelt.

Im Übrigen bestellen die Käufer immermehr Wagen mit Allradantrieb, mit Auto-matikgetriebe, mit Klimaanlage, mit Pan-oramaglasdach und vielen kleinen Extra-motoren, die Scheiben bewegen, Sitzevor- und zurückschieben oder Außen-spiegel verstellen. All dies erhöht das Ge-wicht, den Verbrauch und also die Kosten– aber was soll’s?!

Nur eines mag der gemeine Autofahrernicht: Benzinsparautos. Der Drei-Liter-Lupo von VW war kein Wagen fürs Volk,sondern eher einer für Gutmenschen.Doch davon gibt es weniger, als selbst der Wolfsburger Konzern dachte. DieNachfrage nach dem Spar-Mobil war zugering. Die Produktion wurde eingestellt.

So liefern die Kunden den Herstellernein scheinbar perfektes Alibi. Was sollenwir denn machen, fragen die Autobossevon Mercedes-Benz, BMW, Porsche und

VW. Wie sollen sie die fest zugesagte Ver-ringerung des CO2-Ausstoßes erreichen,wenn die Käufer – leider, leider – dochvor allem die großen und schweren Ka-rossen kaufen?

DaimlerChrysler-Chef Dieter Zetschehat bei vielen deshalb eine neue Krank-heit diagnostiziert, die „Öko-Schizophre-nie“. Sie ist gefährlich und offenbar leichtübertragbar.

Die Krankheit erfasst Journalisten, diein Artikeln Sparautos fordern, als Test-wagen aber gern die Turboversion be-stellen. Doch auch in den Führungsetagen

der Autoindustrie sind die Symptomeweitverbreitet.

Konzernchefs lassen besonders effizien-te Motoren entwickeln, nutzen die neueTechnik aber vor allem, um die Leistungzu steigern. BMW lag 2005 beispielswei-se bei den Acht-Zylinder-Diesel-Motorenmit 300 PS vorn, bis Mercedes-Benz denRivalen mit 314 PS überbot und Audi sichschließlich mit 326 PS an die Spitze setz-te. Jetzt hat BMW nachgerüstet und führtwieder mit 329 PS. Nicht nur die „Frank-furter Allgemeine Sonntagszeitung“ frag-te: „Wo soll das enden?“

Die Antwort: Bei einem Märchen aus1001 PS. So viel Kraft hat der Bugatti Vey-ron, dessen Entwicklung dem VW-Kon-zern mehrere hundert Millionen Eurowert war. Der Supersportwagen löst dieFrage ausreichender Spritversorgung aufseine Art: Er verfügt über die schnellsteBenzineinspritzpumpe der Welt.

Nun sitzen in den Vorständen der Autokonzerne nicht nur groß geworde-ne Jungs, die weiter Auto-Quartett spie-len wollen. Aber Autobosse müssen mit Widersprüchen leben, von denen sichPolitiker oder Investoren kaum irritierenlassen.

Beispiel eins: In Europa müssen Autosjetzt so konstruiert sein, dass Fußgängerbei einem Unfall besser geschützt sind.Eine sinnvolle Vorschrift, die aber dazuführt, dass die neugeformten Motorhau-ben höher stehen. Der Luftwiderstandwird größer, der Benzinverbrauch steigt.

Beispiel zwei: Manche Topmanager se-hen ein, dass das Wettrüsten mit immergrößeren, immer schwereren Fahrzeugenso nicht weitergehen kann. Aber ihre Ak-tionäre verlangen schnelle Profite undnicht die Aussicht auf Gewinne in fünfJahren. Derzeit fährt das Geschäft mitGeländewagen zumindest in Europa mitdie höchsten Renditen ein.

Die Politik könnte viele Widersprücheauflösen. Sie könnte mit Ge- und Ver-boten, mit Steuern und Subventionen die Entwicklung des Automobils beein-flussen. Derzeit aber agiert sie wie einGeisterfahrer: Sie steuert in die falscheRichtung.

In Deutschland werden Vielfahrerdurch die Pendlerpauschale belohnt. DieKraftfahrzeugsteuer orientiert sich amHubraum statt am CO2-Ausstoß. Undzudem subventioniert der Staat den Kauf

Märchen aus 1001 PSWarum Autofahrern, Industrie und Politikern das Spritsparen so schwer fällt

Titel

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UMFRAGE: TEMPOLIMIT

„Sind Sie für ein generellesTempolimit auf deutschen Auto-bahnen, um den Ausstoß vonklimaschädlichen Treibhausgasenzu verringern?“

TNS Forschung für den SPIEGEL vom 6. und 7. Februar;rund 1000 Befragte; an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“

NEIN

JA

39 %

60 %

FRAUEN

51 68

MÄNNER

48 31

brauch berücksichtigt. Dieser Ausweis istbilliger zu haben, doch über die Energie-effizienz eines Gebäudes gibt das Papierkaum mehr Aufschluss als die jährlicheBrennstoffrechnung. Und die ist abhängigvon den Gewohnheiten der letzten Nutzer.

„Die Aussagekraft ist fast gleich null“,kritisiert der BUND-Energieexperte Thor-ben Becker. Dennoch erwartet die Immo-bilienwirtschaft, dass der Energiepass ihrGeschäft verändert. Denn die neue Trans-parenz dürfte Konsequenzen haben fürden Marktwert von Häusern und Woh-nungen, aber auch für die Miete, die einEigentümer verlangen kann.

Je „grüner“ ein Objekt bewertet wird,umso eher setzt er eine höhere Kaltmietedurch. Auch der störrischste Hausbesitzerwird dann wohl begreifen, dass die Sanie-rung ihm letztlich nutzt und nicht nurKosten verursacht.

So könnte die Bereitschaft wachsen, inEffizienz zu investieren, zumal der Staateine Menge Geld zur Verfügung stellt.Rund 5,6 Milliarden Euro hält die KfW bis2009 zur Förderung von Umbauten bereit,viermal mehr als in den Vorjahren. Dasstaatliche Geldinstitut vergibt zinsgünstigeDarlehen bis zu 50000 Euro pro Wohnung,aber auch Zuschüsse von maximal 8750Euro. Die Offensive gleicht einem kleinenKonjunkturprogramm. Es verschafft vorallem regionalen Betrieben zusätzliche Auf-träge: Architekten, Schreinern, Installateu-ren. „Jede Milliarde Euro, die in die ener-getische Sanierung des Gebäudebestandsinvestiert wird, sichert oder schafft 25000Arbeitsplätze im Bauhandwerk und Bau-gewerken“, verspricht der jüngste Umwelt-bericht der Bundesregierung.

Allerdings ist das unfreiwillige Heizender Umgebung nicht die einzige Ver-

schwendung, die sich Hausbewohner leis-ten: Auch für den Betrieb ihrer Elektro-geräte verbrauchen sie weitaus mehr Ener-gie als nötig. Das gilt für Kühlschränke undGefriertruhen ebenso wie für Computer,Herde und Lampen. Ohne allzu großeMühe ließe sich in jedem Haushalt derStromverbrauch um ein Drittel drosseln.

Es beginnt damit, abschaltbare Steck-dosenleisten zu installieren, um Elektro-geräte vollständig vom Netz abklemmenzu können, also auch jene Modelle, die garkeinen Aus-Schalter mehr besitzen. In ei-nem normalen Haushalt verursacht derStand-by-Betrieb Stromkosten von im-merhin mehr als 90 Euro im Jahr.

Allein der Computer samt Bildschirmund Drucker schlägt mit 24 Euro zu Buche.Zwei größere Kraftwerke könnten abge-schaltet werden, wenn die Verbraucherdiesen unnötigen Leerlauf abstellten.

Unterschätzt wird häufig auch, wie vielStrom die Umwälzpumpen der heimischenHeizungsanlage verschlingen. Neue Mo-

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Luxusautos (in Kampen auf Sylt): Die Kunden liefern den Herstellern ein perfektes Alibi

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PS-starker Boliden noch dadurch, dassUnternehmen ihre Dienstwagen steuer-lich absetzen können.

Bundesumweltminister Sigmar Gabrielbeklagt derlei – geändert hat er nochnichts. Immerhin fährt er persönlich gern mit der Bahn. Sein Fahrer chauffiertderweil den Dienstwagen zum Zielort.Dort steigt Gabriel dann zu, um die letz-ten Kilometer in der gepanzerten Limou-sine zurückzulegen. Aus Sicherheitsgrün-den, wie er sagt. Man könnte auch sa-gen: Der Umweltminister ist auch nur ein Mensch, sein Verhältnis zum Auto-mobil ähnlich gespalten wie bei vielenanderen.

Dabei sind auch Autofahrer lernfähig.Mitunter ändern sie ihre Einstellung sogarschneller, als das der Industrie recht ist.Ausgerechnet in den USA, dem Land derspritschluckenden Monster-Mobile, istdies derzeit zu beobachten.

Seit der Benzinpreis steigt, geht derAbsatz schwerer Geländewagen undPick-ups drastisch zurück. Weil Ford undGeneral Motors nicht schnell genug ben-zinsparende Modelle anbieten können,schreiben sie Milliardenverluste und strei-chen Zehntausende Arbeitsplätze.

Toyota dagegen profitiert vom neuenUmweltbewusstsein der Amerikaner. To-yota-Manager denken langfristig. Sie sinddie erfolgreichsten Autobauer der Welt.Sie haben Hybridmodelle auf den Marktgebracht, obwohl mit denen erst mal kei-ne Gewinne zu holen sind. Aber Toyotagewinnt an Image. Die Hybridmodellesind begehrt und gelten als schick – auchwenn sie im klassischen Auto-Quartettnoch nicht vertreten sind.

Dietmar Hawranek

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delle, die das Warmwasser nach Zeit undTemperatur geregelt zirkulieren lassen,benötigen nur einen Bruchteil und drückendie Kosten erheblich. Würden sämtlicheHeizpumpen in Ein- oder Zweifamilien-häusern erneuert, könnte theoretisch einweiteres Kraftwerk vom Netz gehen. DasProblem: 60 Prozent der Bürger ist garnicht bewusst, dass ihre Öl- oder Gashei-zungen überhaupt Strom verbrauchen.

Besonders eindrucksvoll sind die Er-sparnisse, die auf dem Feld der Beleuch-tung möglich wären. HerkömmlicheGlühlampen arbeiten seit mehr als hun-dert Jahren nach demselben primitivenPrinzip: Eine Drahtwendel, meist aus Wolf-ram, wird in einem luftleeren Glaskolbenzum Glühen gebracht.

Der Wirkungsgrad dieser Methode istein Witz ohne Pointe: Nur fünf Prozent desStroms wird in Licht umgewandelt, der Restverpufft nutzlos als Wärme. Trotzdem ver-kaufen die Elektromärkte in Europa weiterjedes Jahr zwei Milliarden Glühbirnen.

Die Beleuchtung ist der größte Postenauf der Stromrechnung von Bürogebäu-den. Auch die Lampen und Laternen, dieStraßen und Wege mit Licht versorgen,benötigen Unmengen Energie, vielfachsind es uralte Modelle, ausgestattet mit derTechnik der sechziger Jahre. Würden dieBaudezernate in Europa auf moderneLeuchtmittel setzen, könnten sie 600 bis700 Millionen Euro im Jahr sparen.

Wie solche Technologien aussehen,lässt sich in einem Forschungslabor inAachen besichtigen. Dort tüfteln einige der260 Physiker, Informatiker und Ingenieuredes niederländischen Elektrokonzerns Phi-lips an der Lichtquelle der Zukunft.

* Klaus Rauscher (Vattenfall), Utz Claassen (EnBW),Harry Roels (RWE) und Wulf Bernotat (E.on) am 3. April2006 in Berlin.

OLED heißt sie, das Kürzel steht für„Organic Light Emitting Diodes“: Es sinddünne, großflächige Lichtkacheln aus Glas,auf denen Schichten von Polymeren auf-gedampft werden. Sie lassen sich in Wän-de oder Möbel integrieren, können ihreFarbe verändern und sind besondersstromsparend.

„Es ergeben sich ganz neue Anwen-dungsmöglichkeiten“, schwärmt DietrichBertram, Leiter der OLED-Entwicklungbei Philips Licht. In einigen Jahren, so dieVision, können solche Lichtkörper die klas-sische Neonröhre ersetzen.

Schon die herkömmlichen Leuchtdiodenzeichnen sich dadurch aus, dass sie sogarlänger halten als Energiespar-lampen, zugleich aber robustersind und unempfindlich gegen-über Vibrationen. Und sie rea-gieren blitzschnell auf Impulse.Deshalb verwendet sie die Auto-industrie immer häufiger auchals Bremsleuchten.

Solche Beispiele zeigen, welchimmense Wachstumschancen imGeschäft mit grünen Technolo-gien stecken. Das globale Marktvolumenfür Effizienztechnik liegt Schätzungen desBundesumweltministeriums zufolge der-zeit bei 400 Milliarden Euro. Bis 2030 solles auf rund eine Billion Euro steigen. Unddie deutsche Wirtschaft hat gute Chancen,ein großes Stück davon abzubekommen.

In erneuerbaren Energien wie Wasser-kraft, Fotovoltaik und Windkraft ist sieweltweit vorn dabei, auch dank üppigerSubventionen, die noch in der rot-grünenÄra geflossen sind. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz oder das 100000-Dächer-Programm haben ihren Beitrag dazu ge-leistet, dass sich deutsche Hersteller mitihren Innovationen auch international ei-nen Namen machen konnten.

Die Windkraft habe nun das Zeug, „denWeltmarkt zu erobern“, meint Fritz Vah-renholt, Chef des Hamburger Windkraft-anlagenbauers Repower.

In der Tat sind die Exportchancen fürhiesige Hightech viel versprechend. 19 Pro-zent aller Umwelttechnologien kämen heu-te schon aus Deutschland, stellte Bundes-kanzlerin Merkel im vergangenen Novem-ber vor dem Bundestag fest. „Es könnenruhig noch mehr werden“, spornte sie an.

China beispielsweise zeigt großes Inter-esse an Öko-Technik „Made in Germany“.Der Führung in Peking ist durchaus be-wusst, dass sie die teuren Ressourceneffizienter einsetzen muss, wenn sie denÖko-Kollaps vermeiden möchte. JedesJahr, so der Plan, soll die Energieeffizienzim Reich der Mitte um vier Prozent stei-gen, ein äußerst ambitioniertes Ziel.

Dabei können nicht nur Windräder oderSonnenkollektoren helfen, sondern auchdie Produkte ganz traditioneller Branchenwie Regel- und Verfahrenstechnik, Mate-rialwissenschaft und Kraftwerkbau. All dassind Domänen der deutschen Industrie.

Hierzulande entwickeln Ingenieure Tur-binen, die einen höheren Wirkungsgrad er-reichen. Sie erfinden Reifen, die einen ge-ringeren Rollwiderstand haben. Und siezaubern Werkstoffe, die besser isolieren.

Burkhard Schwenker, Chef der Bera-tungsgesellschaft Roland Berger, sieht diedeutsche Umweltindustrie bereits auf demWeg zu einer Art „neuen Leitbranche“.Die Wettbewerbsposition der Hersteller sei„hervorragend“. Jedes Jahr könne sie umacht Prozent wachsen. Die Zahl der Ar-beitsplätze, so die Prognose des Beraters,werde sich vervierfachen: von heute 170000auf mehr als 700000 Stellen.

Die Technik ist also da, nurwird sie zu selten auch ange-wendet. Industriebetriebe undDienstleister zeigen sich noch im-mer erstaunlich ignorant gegen-über dem Kostenfaktor Energie,obwohl sie sonst doch stets dar-auf bedacht sind, jeden Leerlaufaufzuspüren.

Ernst Ulrich von Weizsäcker,Mitbegründer des Wuppertaler

Instituts und heute Dekan einer Manage-mentschule im kalifornischen Santa Bar-bara, ist es ein Rätsel, dass Unternehmennicht systematischer die brachliegendenEffizienzreserven aufspüren: „Ich kennekeine Branche, in welcher nicht eine Ver-vierfachung der Energieproduktivität er-reichbar wäre.“

Würden die Betriebe etwa sämtlicheElektromotoren mit moderner Regeltech-nik ausstatten, könnte die Volkswirtschaftso viel Energie sparen, wie drei bis vierGroßkraftwerke leisten. In der Praxis aberentscheiden sich die Einkäufer oft für dasGewohnte, die billigen Modelle. Ihnen istes offensichtlich entgangen, dass langfristig90 Prozent der Kosten eines Aggregats auf

Titel

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Topmanager bei Energiegipfel*: Langsam gewinnt die Wirtschaft ein Gefühl für Effizienz

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EffizienteEnergie-technik istein Marktvon 400MilliardenEuro.

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185 kWh 57 kWh

vorher: saniert :

Quelle: IWU

Sanierenund sparen

Energiebedarf für Heizungund Warmwasser pro

Quadratmeter im Jahr*

MöglicheSanierungen:

ThermischeSolaranlagemit Erdgas-

brennwertgerät

Abluftanlage

Dach-dämmung

Zwei-Scheiben-Wärmeschutz-

verglasung

Außenwand-isolierung

Dämmungder Kellerdecke

Energieverlustedurch:

FehlendeDachdämmung

Fensterlüftung

EinfacheIsolierverglasung

FehlendeAußenwand-dämmung

Fehlende Keller-deckendämmung

Konstant-temperatur-Kessel

*in einemEinfamilienhaus

Baujahr 1979 bis 1983

Titel

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Auf den ersten Blick ist der Häu-serblock im Mannheimer StadtteilGartenstadt völlig unspektakulär:

In klassischer Vorkriegsarchitektur ziehter sich zweistöckig entlang der Freya-straße. 24 Wohnungen mit 1300 Quadrat-meter Wohnfläche wurden hier Anfangder dreißiger Jahre des vergangenenJahrhunderts geschaffen. Inzwischenwurde der Komplex saniert – allerdingsweniger optisch als technisch: Das Ge-bäude ist zum Sparwunder geworden,zum Drei-Liter-Haus.

Zur Beheizung der Wohnungen wirdim Jahr gerade noch das Äquivalent vondrei Litern Heizöl pro Quadratmeterbenötigt. Für einen Altbau eine beacht-liche Effizienz. Selbst aktuelle Neubau-ten dürfen laut Gesetz noch immer dasDoppelte verheizen.

Die Arbeitersiedlung in Mannheim istein Pilotprojekt: Wissenschaftlich beglei-tet von der Universität Stuttgart wolltedie Wohnungsbaugesellschaft GBG malzeigen, was Altbausanierung leisten kann.

An der Fassade, wo das Gesetz nur 12Zentimeter Dämmung vorschreibt, wur-den 20 Zentimeter aufgebracht. Die Kel-lerdecke wurde gar mit einer Dämm-schicht belegt, die viermal so dick ist, wiees die Vorschrift will. Auch die Fenstersind hochwertiger als vom Gesetzgeberverlangt.

Nach Vollendung des Rohbaus wurdedas Gebäude dann sogar mit einem so-genannten Blower-Door-Test auf ausrei-chende Dichtigkeit geprüft. Dabei er-zeugt ein Gebläse im ganzen Haus einenUnterdruck. Anschließend wird gemes-sen, in welchem Maße die Luft durch dieGebäudehülle ins Innere nachströmt. Sowird ermittelt, ob wirklich solide ge-arbeitet wurde oder die gute Wärme-dämmung nur auf dem Papier steht.

Um kaum glaubliche 90 Prozent habeman den Energiebedarf des Hauses durchdie Sanierung reduziert, verkündet dieGBG stolz. Eine solche Effizienz ist beiAltbauten noch selten. Oft liegt dort derVerbrauch zwischen 20 und 25 LiternHeizöl pro Quadratmeter jährlich. SelbstWerte jenseits der 30-Liter-Marke sindnicht ungewöhnlich.

Dabei sind selbst die drei Liter nochnicht das Ende der Fahnenstange, zu-mindest wenn es um Neubauten geht. So

bietet das niedersächsische Bauunter-nehmen Viebrock, das vergangenes Jahrbereits zwei Drittel seiner rund 1300 Neu-bauten als Energiesparhäuser erstellte,inzwischen sogar Objekte an, die nurnoch zwei Liter Heizöl pro Quadratmeterverbrauchen.

Mit unterschiedlichsten Konzepten lie-fern sich kreative Bauplaner und Archi-tekten seit Jahren ein wahres Rennen umdie bestmögliche Unabhängigkeit vonsteigenden Energiepreisen.

Sogenannte Passivhäuser beispiels-weise kommen im Jahr mit umgerechnetweniger als 1,5 Liter Heizöl pro Quadrat-meter aus. Der Name leitet sich davonab, dass ein solches Haus kaum noch eineaktive konventionelle Heizung benötigt.Da reicht mitunter schon die Abwärmevon Kleingeräten und die Körperwärmeder Bewohner aus, die sich pro Kopf und Tag immerhin auf rund zwei Kilo-wattstunden beläuft. Eine automatischeFrischluftzufuhr – natürlich mit Wär-merückgewinnung – stellt zudem sicher,dass stets der notwendige Luftaustauschgewährleistet ist.

Geprägt wurde die Bezeichnung einstvon dem Bauphysiker Wolfgang Feist, derheute in Darmstadt sein eigenes Passiv-haus-Institut leitet. Obwohl mancherBauherr mit der Vorsilbe „passiv“ eherPhlegma als innovative Baukunst verbin-det, hat sich der Begriff in der Branchelängst etabliert.

Das erste Passivhaus in Deutschlandbaute Feist 1991 in Darmstadt-Kranich-stein, ab 1999 folgten Mehrfamilienhäu-ser, später sogar komplette Siedlungendieser Effizienzklasse. Das weltgrößtePassiv-Bürogebäude trägt den NamenEnergon und wurde 2002 in Ulm errich-tet. Heute gibt es in Deutschland, Öster-reich und der Schweiz schon mehr als6000 Passivhäuser – neben Wohnbautenauch Bürogebäude, Fabriken, Kindergär-ten und Schulen.

Während die Kriterien eines Passiv-hauses eindeutig definiert sind, ist derBegriff „Niedrigenergiehaus“ allmählichzu einer diffusen Vokabel verkommen.Je nach Gütezeichen werden Objekte, de-ren Heizenergiebedarf um mindestens 20oder 30 Prozent unter der geltenden Wär-meschutzverordnung liegen, als Niedrig-energiehäuser tituliert. Seit die Energie-

Aktiv passivArchitekten und Planer liefern sich ein Rennen um

besonders energiesparende Häuser.

Passivhaus: Eine konventionelle Heizung ist

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den Strom entfallen. Mit anderen Worten:Die Extraausgabe macht sich irgendwannbezahlt.

Auf diesen Effekt setzt die Lüdenschei-der Freund Drehtechnik GmbH: Sie hat ge-rade 12000 Euro in die Beleuchtungsanlageihrer neuen Fertigungshalle investiert, 4000Euro mehr als nötig. Der Mittelständler ausdem Sauerland ließ sparsame Leucht-stofflampen mit speziellen Reflektoren in-stallieren, die sich abhängig vom Tageslichtregulieren. Nach drei Jahren sollen sich dieMehrkosten amortisiert haben.

Langsam nur entwickelt die Wirtschaftein Gefühl für den effizienten Umgang mit Energie. Für viele Vorstandschefs istes noch immer einfacher, öf-fentlich über die Energiepreisezu räsonieren, als im eigenenHaus nach Umsetzungsmöglich-keiten effizienterer Technik zufahnden. Ein Teil der Unterneh-menswelt immerhin hat mit demUmdenken begonnen – sei es ausImage-Gründen, aus Überzeu-gung oder einfach, um Kosten zu sparen:• Das Logistikunternehmen UPS arbeitet

daran, die elektronische Wegeplanungseiner Fahrzeugflotte zu optimieren. Dasgeht so weit, dass die Computer nunRouten vorschlagen, die unnötigesLinksabbiegen vermeiden, denn daskostet jedes Mal Zeit und Sprit.

• Wal-Mart, der weltgrößte Handelskon-zern und bekannt für seine Knauserig-keit, stattet Supermärkte mit modernerBeleuchtungstechnik und Solaranlagenaus. Damit will das Unternehmen sei-nen Energieverbrauch um fast ein Drit-tel reduzieren.

• Auf sparsameres Fahrverhalten trainiertdie Deutsche Bahn ihre Lokführer, dieseither einen besonderen Ehrgeiz ent-

wickelt haben: Sie lassen ihren Zug solange wie möglich ausrollen. Auf einigenStrecken wurden schon 70 Kilometer ge-schafft, ohne nennenswerten Tempo-verlust. Andere Unternehmen wenden das Con-

tracting-Modell an, um effizienter zuwerden und so Kosten zu sparen. In derZentrale von Microsoft Deutschland beiMünchen konnte ein Contractor ein Spar-potential von 100000 Euro pro Jahr aus-machen, obwohl das Gebäude erst vor fünfJahren errichtet wurde. Der Dienstleisterist eine Tochter von Vattenfall und belegt:Auch die großen Versorger tummeln sichin dem neuen Geschäftsfeld.

Ansonsten aber ist gerade dieBranche, die Energie erzeugt undvertreibt, berüchtigt dafür, ammeisten davon zu vergeuden. Sieholt aus ihren Kraftwerken längstnicht das heraus, was technischmöglich wäre. Noch immer be-treibt sie alte Braunkohlekraft-werke, die einen Wirkungsgradvon nur rund 30 Prozent errei-chen. Jedes andere Gewerbe, das

einen solchen Ausschuss produziert, wärebald erledigt.

In Deutschland teilen sich die vierGroßen – RWE, E.on, EnBW und Vatten-fall – das Terrain. Sie bestimmen dieUsancen des Geschäfts und setzen vor-zugsweise auf Großkraftwerke, die ausge-sprochen viel Wasser für die Kühlungbenötigen und den Strom über ein teuresund anfälliges Fernleitungsnetz transpor-tieren.

Kleinere Anlagen, die in Ballungsräu-men angesiedelt sind, arbeiten wesentlicheffizienter. Solche Blockheizkraftwerkewerden meist mit Gas befeuert und befin-den sich ganz in der Nähe der Abnehmer– oft Krankenhäuser, Schulen oder Indu-

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einsparverordnung im Februar 2002 dasNiedrigenergiehaus quasi zum Standarderhob, fehlen objektive Kriterien. Aus einem einst klar definierten Begriff istein schwammiges Marketingschlagwortgeworden.

Eindeutiger sind die heute im Woh-nungsbau gebräuchlichen Kürzel „KfW60“ und „KfW 40“. Wer ein Haus mit ei-nem Jahresenergiebedarf unter 60, be-ziehungsweise unter 40 Kilowattstundenje Quadratmeter baut, kann von der Kre-ditanstalt für Wiederaufbau Förderkredi-te in Anspruch nehmen.

Ebenfalls exakt definiert und sogar alsMarkenzeichen eingetragen ist das Plus-energiehaus. Der Freiburger Solararchi-tekt Rolf Disch hat es entwickelt. Ge-meint sind Häuser, die sogar noch Ener-gie abgeben.

Natürlich müssen auch diese Häuserim Winter mitunter beheizt werden.Doch das geschieht hocheffizient: DerHeizenergiebedarf liegt übers Jahr sum-miert nur in der Größenordnung von 11bis 14 Kilowattstunden je Quadratmeter.

Gleichzeitig erzeugen Häuser dieserPrägung über Solarzellen auf ihrem Dachauch noch Strom, den sie ins allgemeineNetz einspeisen. Weil sie übers Jahr ge-rechnet mehr abgeben, als sie an Gas,Strom oder anderer Energie von außenbeziehen, verdienen sich diese Häuserdas Plus in ihrem Namen.

Das Ganze sei dann auch finanziell at-traktiv, versichert Architekt Disch: DieBewohner bezögen auf diese Weise ein„monatliches Energieeinkommen“. Dasist zwar nicht sonderlich üppig, aber docheine Verlockung in Zeiten steigenderEnergiepreise: „Aus Nebenkosten werdenNebeneinnahmen.“ Bernward Janzing

kaum mehr nötig

Die deut-schen Ver-sorger laufender inter-nationalen Entwicklung hinterher.

Ehepaar Schweer-Hoyer (in Freiburger Solarsiedlung): Mit Energiesparen Geld verdienen

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striebetriebe. Zudem sind sie in der Lage,Strom und Wärme gleichzeitig zu liefern.

An solchen dezentralen Strukturen frei-lich haben die Stromkonzerne naturgemäßwenig Interesse. Dabei bestünde jetzt eineeinmalige Chance: In den kommendenzwei Jahrzehnten muss die Stromwirtschaftdie Hälfte der Kraftwerkskapazität erset-zen. Das wäre die beste Gelegenheit, bei-spielsweise auf moderne Gas- und Dampf-turbinenkraftwerke zu setzen; sie wandeln60 Prozent der eingesetzten Energie inStrom um. Oder auf Kraft-Wärme-Kopp-lung (KWK), die auch die Prozesswärmeals Heizenergie nutzt: Mit solchen Techni-ken lässt sich der Wirkungsgradauf mehr als 85 Prozent steigern.

Bislang läuft Deutschland hierder internationalen Entwicklunghinterher. Erst elf Prozent desStroms wird in KWK-Anlagenhergestellt. Und nur wenige Städ-te wie Flensburg oder Schwä-bisch Hall erzeugen größere An-teile ihres Stroms auf diese Wei-se. In den Niederlanden liegt dieQuote bei 40 Prozent, in Dänemark sogarbei 50 Prozent.

Ursprünglich hatten die deutschen Ver-sorger als Ziel ausgegeben, ihren KWK-Anteil bis 2010 zu verdoppeln. Das Zieldürfte aller Voraussicht nach verfehltwerden. Umweltminister Sigmar Gabriel(SPD) hat deshalb seinen Kabinettskolle-gen Michael Glos (CSU) aus dem Wirt-schaftsressort aufgefordert, den Schwürennicht mehr zu trauen, sondern der Indus-trie klare Vorgaben zu machen.

Mit freiwilligen Selbstverpflichtungender Wirtschaft ist es eben so eine Sache: Je-der begrüßt sie. Keiner forciert sie. Und amEnde spielen alle nur auf Zeit.

Diese Lehre ließ sich schon aus demStreit um die Grenzwerte für Autoabgaseziehen. 1998 hatte die Industrie zuge-sichert, bis 2008 den Ausstoß an Kohlen-dioxid im Schnitt auf 140 Gramm pro Ki-lometer zu senken, das entspricht einemVerbrauch von 5,9 Litern Benzin und 5,3 Litern Diesel. Davon sind Mercedes,Porsche, BMW und Co. weit entfernt. Da-bei wäre auch das kein Kunststück.

Am Institut für Kraftfahrwesen Aachenarbeiten Wissenschaftler daran, einen VWGolf TSI mit 170 PS bis zum Sommer so zumodifizieren, dass er statt 7,2 Liter wenigerals 5 Liter verbraucht – mit äußerst gerin-

gem Aufwand. Sie haben das Ge-triebe länger übersetzt, Gewichtreduziert, den Luftwiderstandverringert. Alles nichts Spekta-kuläres.

Inzwischen sind die Tüftler bei5,8 Litern angelangt. „Wir wollennoch mehr schaffen“, sagt derIngenieur Markus Espig. Dochwie kann der Staat solchen Ehr-geiz befeuern?

Das Scheitern der freiwilligen Selbst-verpflichtung wirft insgesamt die Frage auf,mit welcher Strategie die Effizienzpoten-tiale am ehesten zu heben wären. Genügtes, finanzielle Anreize zu setzen, etwa dieAuslobung milliardenschwerer Gebäude-sanierungsprogramme, um das Verhaltenzu steuern? Oder sollte der Gesetzgeberdoch besser Zwang ausüben und per Ord-nungsrecht lenkend eingreifen?

Der Staat könnte durchaus mehr tun,meint jedenfalls BUND-Mann Becker. Essei nicht einzusehen, weshalb beispiels-weise der Verbrauch von Kühlgeräten fürjeden Käufer sichtbar gekennzeichnet ist,Elektroherde oder Warmwasserboiler hin-

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In anderenLänderngehen dieRegierungenweitauskonsequentervor.

Im nächsten Heft:

Kann Energie aus Pflanzen künftigdie Brennstoffe Öl, Gas und Kohle ersetzen?Neue Techniken versprechen Erfolg.

gegen kein Etikett tragen müssten. Oderwarum der Staat nicht mehr Druck auf dieVersorger ausübt, Kraftwerke mit KWK-Anlagen auszustatten. „Wir brauchen kla-re gesetzliche Auflagen“, fordert Becker.

In anderen Ländern gehen die Regie-rungen zum Teil weitaus konsequenter vor.

Japan etwa hat ein sogenanntes Top-Runner-Programm eingeführt. Dort wirddas sparsamste Elektrogerät einer Waren-klasse für drei bis zwölf Jahre zum Stan-dard erhoben. Daran müssen sich alleKonkurrenzprodukte messen. Schaffen siees bis dahin nicht aufzuschließen, werdensie als Energieschleudern geoutet, ihnendroht das Verkaufsverbot.

Die Niederlande versuchen es auf char-mantere Art: Sie spendieren Prämien fürKonsumenten, die besonders effizienteProdukte kaufen. Für den QuadratmeterWärmeschutzverglasung gibt es 20 bis 30Euro, die sparsame Waschmaschine wirdmit 100 Euro bezuschusst.

Dänemark wiederum hat 1998 eine ArtStromsparfonds eingeführt. Jeder Kundeentrichtet seitdem eine Abgabe von 0,08Cent pro Kilowattstunde. Daraus finanzie-ren die Dänen Effizienzprojekte, unter an-derem eine Kampagne zur Umstellung vonElektroheizungen auf Fernwärme.

Auch Großbritannien besitzt einen sol-chen Fonds, den „Energy Saving Trust“.

Das Wuppertal-Institut hat einmaldurchgerechnet, wie ein solcher Fonds inDeutschland beschaffen sein könnte: Miteinem Aufschlag von 0,06 Cent je Kilo-wattstunde bei Öl oder Gas und 0,09 Centbeim Strom kämen jährlich bis zu 1,5 Mil-liarden Euro zusammen. Aus diesem Ka-pitalstock würde man Effizienzprogrammefinanzieren. Im Ergebnis könnten dieVerbraucher bis 2015 rund zwölf ProzentEnergie sparen, das entspräche am Endeneun Milliarden Euro jährlich.

Deutschlands oberster Energiesparer,Dena-Chef Kohler, favorisiert einen ande-ren Weg: Der Verbraucher, so seine Philo-sophie, müsse selbst erkennen, wie vor-teilhaft es ist, wenn er sich energieeffizientverhält.

Das geschehe zum Beispiel in dem Mo-ment, wenn er einen neuen Kühlschrankkauft. Die Energieagentur hat deshalbkürzlich die Verkäufer von Elektroeinzel-händlern mit Materialien ausgestattet, dieihnen helfen sollen, die Kunden gezielt zu beraten. Mit einer Drehscheibe könnensie nun herausfinden, wie viel Euro derKunde im Jahr spart, wenn er das ver-brauchsgünstigste Gerät nimmt.

Kohler ist sicher: „Das ist am Ende dieentscheidende Botschaft.“ Alexander Jung

Fertigung von Windkraft-Rotorblättern: Immense Wachstumschancen

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