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14. KONGRESS FÜR GESUNDHEITSNETZWERKER 2019 EIN KONGRESS DER BERLIN-CHEMIE AG Schriftenreihe zur Theorie und Praxis in neuen Versorgungsformen PraxisWissen VERSORGUNG DIGITAL: TOTAL NORMAL!

14. KONGRESS FÜR GESUNDHEITSNETZWERKER 2019...Handlungsoptionen für die Versorgungssicherheit 27 Für mehr Miteinander Die Zukunft ist interprofessionell 29 Digitalisierung und Arztnetze

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14. KONGRESSFÜR GESUNDHEITSNETZWERKER 2019EIN KONGRESS DER BERLIN-CHEMIE AG

Schriftenreihe zur Theorie und Praxis in neuen VersorgungsformenPraxisWissen

VERSORGUNG DIGITAL: TOTAL NORMAL!

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  4  Vorwort

  5  AUFTAKT  6  Runter vom narzisstischen Ross: KI als Kollege

Die Keynote zum 14. Kongress für Gesundheitsnetzwerker  9  Digital, virtuell, neuronal

Was kommt im Gehirn an? Eine Podiumsdiskussion

 11  IN ZUKUNFT 12  Digitale Diagnosen mit künstlicher Intelligenz

Daten- und Finanzierungsfragen beschäftigen die neuen Start-ups  14  Digital Drugs – Heilung durch Software? 

Was digitale Medikamente können und wo es hakt 16  Mit Technik zu mehr Menschlichkeit

Roboter und soziale Medien erleichtern den Pflegealltag 18  Virtual Reality in der Medizin

Was schon heute möglich ist 20  Vision und Wirklichkeit

Von Pionieren und Stolpersteinen 22  Value Based Healthcare

Das Patientenwohl als Maßstab für Versorgungsqualität

 24  IM NETZWERK 25  Kommunen unter Druck

Handlungsoptionen für die Versorgungssicherheit  27  Für mehr Miteinander

Die Zukunft ist interprofessionell 29  Digitalisierung und Arztnetze

Chancen und Herausforderungen  31  Arzt und Pflegeheim Hand in Hand

Chancen und Herausforderungen der Kooperation 33  Schwerpunkt MVZ

15 Jahre Medizinisches Versorgungszentrum 35  MVZ: Erfolgreiche Gründung und Betrieb

Gesetzgeber reagiert auf Trends in der MVZ-Arbeitswelt  37  MVZ: Gründung durch Netzwerke 

Ein Plus an Versorgungssicherung

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Inhalt

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 39  IM FOKUS 40  Perfektionismus ade!

Neuer Schwung für die elektronische Patientenakte 45  Die ePA in der Praxis

Diese Lösungen gibt es schon heute

 47  PREIS FÜR GESUNDHEITSNETZWERKER 48  Vernetzte Hilfe bei psychischen Erkrankungen

Das Projekt NPPV sorgt für eine intensivere Begleitung  49  Ein Alien als Therapeut

Sonderpreis für ein besonderes Anliegen  50  Zuhause pflegen lernen

Das Portal Curendo bildet pflegende Privatpersonen digital weiter 51  Sicher, verlässlich, einfach

Sonderpreis für eine technische Lösung 52  Shortlist Umsetzung 54  Preis für Gesundheitsnetzwerker 2020 55  Impressum

 56  REFERENTEN UND MODERATOREN

 62  IM EINSATZ 63  Telemedizin im Einsatz

Erfahrungen mit der Videosprechstunde  65  Erfahrungen mit dem Entlassmanagement

Sinnvolle Neuerung oder bürokratischer Super-GAU? 67  Terminservicestellen

Neue Aufgaben in der Patientensteuerung 69  Innovationsfonds – womit die Projekte kämpfen

Bürokratische Vorgaben und Praxisferne erschweren die Umsetzung 71  Vom Schutz der Daten

Die DSGVO und erste Erfahrungen mit der Umsetzung

 73  IM GESPRÄCH 74  Disruption oder Ergänzung?

Der Start-up-Parcours im Überblick 79  Wir danken unseren Unterstützerinnen und Unterstützern! 80  Versorgung 2035: Vorausdenken und Gestalten

Ein interaktiver Workshop 82  Auf ein Wort: Was meinen Sie?

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Dr. Susanne Eble, M. A. Leiterin Gesundheitsmanagement

der BERLIN-CHEMIE AGVorwort

Versorgung digital: total normal!

Über zwei Jahrzehnte hinweg wurde das Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen als Add-on diskutiert – als Möglichkeit, die klassische Versorgung in einzelnen Bereichen sinnvoll zu ergänzen. Mittler-weile hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Digi-tale Lösungen werden mehr und mehr zur Grundlage von Versorgung, insbesondere dort, wo es um Ver-netzung geht. So waren 2019 beim 14. Kongress für Gesundheitsnetzwerker erstmals nahezu alle Beiträge und Workshops vom Thema Digitalisierung geprägt. Versorgung digital ist inzwischen total normal. Umso wertvoller waren auch in diesem Jahr wieder die Ko-operation und der Austausch mit dem Bundesverband Internetmedizin.

Einen beeindruckenden Einblick, was Künstliche Intelligenz schon heute zu leisten vermag, gab der Neurowissenschaftler Dr. Volker Busch in seiner Keynote. Er zeigte aber auch auf, wie wichtig das gute Zusammenspiel von Mensch und Maschine ist. Maschinen können Daten wesentlich schneller verarbeiten als Menschen. Umgekehrt sind Menschen den Maschinen überlegen, wenn es um Empathie, Fürsorge oder Humor geht – Qualitäten, die in der Gesundheitsversorgung eine wesentliche Rolle spie-len. Entscheidend ist also, dass die jeweiligen Stärken von Mensch und Maschine an der richtigen Stelle zum Einsatz kommen.

Neuen Schub bekommt aktuell auch das Dauerprojekt elektronische Patientenakte (ePA), das in seinen zahl-reichen Facetten Stoff für mehrere Veranstaltungen bot. Zu den Highlights gehörte hier zweifellos die

große Podiumsdiskussion am zweiten Kongresstag, bei der neben Dr. Gottfried Ludewig vom Bundes-ministerium für Gesundheit Vertreterinnen und Vertreter der Ärzteschaft, der Krankenkassen und von weiteren Institutionen zu Wort kamen. Dreh- und Angelpunkt sei, betonte etwa der Vorstandsvor-sitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, die Strukturie-rung der Daten, die auf der ePA abgelegt werden. Nur wenn die Nutzerinnen und Nutzer der ePA sich im zu erwartenden Daten dschungel zurechtfinde, stelle die Akte langfristig einen Gewinn für die Versorgung dar.

Neben diesen Schwerpunkten reichte die Bandbreite der diskutierten Themen von der Videosprechstunde über Diagnosen via Smarthphone bis hin zu Digital Drugs und DSGVO. Workshops wie „Praxis 2025: Visionen und Vordenker“ und „Versorgung 2035: Voraus denken und gestalten“ boten zudem praxis nahe Ausblicke in die vernetzte Zukunft und aktivierten das visionäre Denken der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Erstmals fand der Kongress für Gesundheitsnetz-werker in diesem Jahr im ddb forum berlin statt. Die offene Gestaltung der Räumlichkeiten hat nicht nur örtlich frischen Wind in die Veranstaltung gebracht, sie entspricht auch der inhaltlich innovativen Ausrichtung des Kongresses. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Vergnügen beim Rückblick auf den Kongress 2019 und freuen uns schon jetzt auf ein Wiedersehen am 17. und 18. März 2020 in Berlin.

Dr. Susanne Eble, M.A., Dr. Rainer Kern

Dr. Rainer Kern Mitglied des Vorstands der

BERLIN-CHEMIE AG

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1KAPITEL

WAS MACHT KI MIT UNS?

Smarte Devices und Künstliche Intelligenz werden immer mehr zu normalen Begleitern unserer Gesundheitsversorgung. Doch was macht all das mit uns? Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung für uns als Menschen? Und wie sollten wir damit umgehen? Diese Fragen behandelte der Neurowissenschaftler Dr. Volker Busch zum Kongressauftakt. In der Diskussion traf er mit BiM-Vorstand Dr. Markus Müschenich auf einen Treiber der Digitalisierung – und auf Lisa Schütte, die als bloggende Typ-1-Diabetikerin die Nutzersicht auf digital unterstützte Therapien vertrat.

AUFTAKT

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AUFTAKT

Runter vom narzisstischen Ross: KI als KollegeDie Keynote zum 14. Kongress für Gesundheitsnetzwerker

Wird Künstliche Intelligenz die bessere Medizin schaffen? Und welche Rolle bleibt dann noch den Ärztinnen und Ärzten? Die Digitalisierung der Berufswelt rufe Ängste hervor, die es einzuordnen gelte, empfiehlt der Psychologe Dr. Volker Busch. KI 4.0 bedeute eine narzisstische Kränkung des Menschen – ersetzen könne sie ihn aber nicht.

Die Menschheit hat schon so manche Kränkung ihres Selbstbildes hinnehmen müssen. Dass Künstliche Intelligenz aber inzwischen nicht nur besser Schach spielt, sondern auch zunehmend künstlerisch tätig ist, dass sie Bilder malt, Musik komponiert und Romane schreibt, greift tief in die ureigenen Bereiche des Men-schen hinein: Wer sind wir noch, wenn uns Maschinen in dem Wesensmerkmal des Menschen – nämlich ästhetisch-kreativ zu sein – ununterscheidbar einholen?

„In keinem anderen Gebiet liegen Faszination und Grusel so nahe beieinander wie bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz“, erklärt der Neuro-wissenschaftler und Arbeitspsychologe Dr. Volker Busch in seiner Keynote zum 14. Kongress für

Gesundheitsnetzwerker. Er selbst halte KI für eine phantas-tische Ergänzung der mensch-lichen Leistung. Doch wenn Maschinen in die Berufswelt eindringen und menschliche Aufgaben übernehmen, stelle sich für jeden unweigerlich die

Frage: Bin ich eigentlich noch wichtig? Wo ist meine Rolle in dieser neuen Welt? Diese Frage gelte es zu thematisieren, denn: „Wir können Begeisterung für die Digitalisierung nur erzeugen, wenn wir uns dieser Ängste annehmen.“ Wenn ein Chefarzt sich fragen müsse, ob er in Zukunft nur noch Haken halten dürfe, sei das für diesen eine Bedrohung.

Deshalb sollten die Vorteile der Künstlichen Intelligenz herausgestellt werden, genauso wie ihre Grenzen, rät Busch. Gerade in der Medizin berge die Zusammen-arbeit von Mensch und Maschine riesige Chancen – so wie auch menschliche Schachspieler im Zusammen-spiel mit KI jedem Schachcomputer ohne menschliche Hilfe überlegen seien. „Wenn wir bereit sind, von unserem narzisstischen Ross herabzusteigen, wird Künstliche Intelligenz zum Kollegen, nicht zum Feind.“

„Die Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz wird be-

droht“

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AUFTAKT

Dazu müssten die Menschen sich allerdings ihre Fehlbarkeit eingestehen: „Wir sind weniger rational als wir glauben“, betont Busch. Und: „Wir sind Meister im Löschen von Informationen.“ Das sei sogar so etwas wie das Hauptprinzip des Gehirns. „Deswegen kann Künstliche Intelligenz uns auch in der Medizin wesentliche Vorteile bringen.“ Dabei gehe es weniger um spektakuläre Erfindungen wie Organe aus dem 3D-Drucker, Roboter im Altenheim oder die Genschere. „Das halte ich für Zukunftsmusik.“ Schon längst im Gange seien dagegen ganz andere Anwendungen: alles rund um die Mustererkennung – sozusagen die Kernkompetenz von KI. Und die könne die Medizin entscheidend verbessern, denn mit ihr ließen sich epidemiologische Zusammenhänge in Populationen deutlich besser ergründen, Diagnosen sorgfältiger und früher erstellen und individuellere Therapien zusammenstellen.

All das biete wesentliche Vorteile gegenüber dem menschlichen Gehirn, sagt Busch. Und trotzdem werde eine Maschine den Mensch nie ersetzen können. „Weil Künstliche Intelligenz nur die Brille ist. Aber sehen tut der Mensch, denn wir haben Ver-stand.“ Das Prinzip müsse sein, Mustererkennungen den Maschinen zu überlassen – aber als Menschen für den Feinschliff zu sorgen. Denn eine Software könne

zwar Zusammenhänge finden, aber letztlich nicht bewerten. „Denken ist mehr als Korrelation“, betont Busch und fordert: „Korrelation darf nicht mit Kausali-tät verwechselt werden. Algorithmen denken nicht; sie finden nur Zusammenhänge, die wir überprüfen müssen.“

Denn der Mensch habe gegenüber Maschinen viele Vorteile. So könne er zum Beispiel einen Text ver-stehen, auch wenn in jedem Wort die Buchstaben wild durcheinander gewürfelt sind. Der menschliche Arzt sei im Gegensatz zum „Fachidioten“ KI auch vielseitig und könne oft nicht nur gut operieren, sondern auch gut diagnostizieren und mit den Patienten reden. Der Mensch sei außerdem emotional und unberechenbar und treffe gerade deshalb aus dem Instinkt heraus Entscheidungen, die zwar wider jede Vernunft er-schienen, aber häufig genau die richtigen seien. So wie der US-Flugkapitän Chesley Sullenberger, der im Januar 2009 eine A320 nach dem Ausfall beider Triebwerke auf dem Hudson River notlandete und damit den mehr als 150 Menschen an Bord das Leben

rettete.

Mensch und Maschine könnten sich also hervorragend ergänzen, findet Busch. Der Mensch sollte KI als Assistenz begreifen statt

als Konkurrenz: „Künstliche Intelligenz macht die Vor-arbeit, der Mensch prüft auf Folgerichtigkeit.“ Diese Form der Teamarbeit sei unübertroffen: Im Bereich der Mammographie etwa sei die Trefferquote von Mensch und Maschine besser als jede KI.

„Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen“

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AUFTAKT

Allerdings dürfe sich der Mensch keinesfalls sein Erfahrungswissen nehmen lassen, mahnt Busch. „Ein gesundes Maß an Intuition ist wichtig. Intuition aber braucht Erfahrung.“ Wer sich nur noch auf App und Navi verlasse, verliere dieses Wissen. „Es geht hier auch Expertise verloren.“ Anzeichen für diesen Schwund gebe es bereits in diversen Bereichen. So nehme das Gespür junger Mütter für die Bedürfnisse der Stillkinder ab – vor allem, wenn sie eine App nutzen, die ihnen die Stillzeiten vorgibt. Bei den Inuit häuften sich die Unfälle auf dem riskanten Weg durch die Eiswüste, da man sich aufs Handy statt auf den seit Generationen weitergereichten Erfahrungsschatz verlasse. Auch ein Arzt könne nur durch viel Erfahrung zum Experten werden: Laut einer Studie wachse die ärztliche Intuition im Schnitt alle zwei Jahre um drei Prozent. Weisheit entstehe aus Erfahrung. „Das ist etwas, was wir uns nicht nehmen lassen sollten“, empfiehlt Busch, denn, so sein Fazit: „Hinter jeder Technik steckt – ein Mensch.“

Dr. Volker Busch ist Neurowissenschaftler und Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psycho-therapie. An der Universitätsklinik Regensburg leitet er die Arbeitsgruppe Psychosoziale Stress- und Schmerzforschung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Mit seinem Team erforscht er die psychophysiologischen Zusammenhänge von Stress, Schmerz und Emotionen. Als Therapeut arbeitet er mit Menschen, die unter Stress, De-pression, Erschöpfung und anderen Belastungen stehen. Seit mehreren Jahren hält er Vorträge über die Zusammenhänge zwischen Psyche und Gesundheit und berät Führungskräfte und Mit-arbeiter von Unternehmen.

Dr. Volker BuschUniversitätsklinikum Regensburgdrvolkerbusch.de

„Intuition ist analog“

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AUFTAKT

Digital, virtuell, neuronalWas kommt im Gehirn an? Eine Podiumsdiskussion

Ist KI der bessere Arzt? Um diese Frage ging es im Anschluss an die Keynote, auf dem Podium: Dr. Markus Müschenich, Vorstand des Bundesverbands Internetmedizin; Lisa Schütte, Bloggerin, Keynote-Speaker Dr. Volker Busch und Moderator Stefan Rupp, radioeins.

Lisa Schütte ist Ende 20, Studentin und Bloggerin. Ihr Thema: ihr Leben mit Typ-1-Diabetes. In ihrem Blog „lisabetes“ berichtet sie davon, wie sie als Teenager versuchte, die Krankheit möglichst zu ignorieren, wie sie erst dick wurde, dann anfing zu hungern und das Insulin abzusetzen – bis sie ins ketoazidotische Koma fiel. Das war ihr Weckruf, sich der Krankheit zu stellen und sie in den Griff zu bekommen. Sie wurde – wie so viele Diabetikerinnen und Diabetiker – Profi im Ausbalancieren von Blutzuckerwerten, Essen, Belastung und Insulinspritzen. Gegen ein digitales Diabetesmanagement hat sie sich lange gewehrt: „Ich wollte jahrelang keine Insulinpumpe. Ich fand das ganz schrecklich, so ein Gerät an mir zu haben.“ Inzwischen trage sie drei Geräte mit sich herum: einen Glukose-sensor, eine Insulinpumpe und das Handy. Damit gehe es ihr nun viel besser. „Aber ich sehe es schon kritisch, dass jemand diese Apps sofort zur Verfügung

gestellt bekommt“, sagt sie. Sie sei froh, dass sie noch immer mit Blutzuckermessgerät und Insulinspritze umgehen könne: „Ich finde es wichtig, dass man weiß, wie man damit umgeht, wenn die Technik mal ausfällt.“

Die Fragen, wieviel Verantwortung der Mensch an Künstliche Intelligenz abgeben solle und wieviel digitale Technologie gut für die Gesundheit sei – das waren die zentralen Themen der Eingangsdiskussion. 70.000 Apps in nur einem Play Store seien jedenfalls eine Katastrophe, weil die Gefahr groß sei, dass Patienten sich die falschen heraussuchen, sagt Dr. Markus Müschenich, Vorstand des Bundesverbands Internetmedizin. „Wir brauchen hier eine Qualitäts-

Lisa Schütte

Dr. Markus Müschenich

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AUFTAKT

sicherung.“ Grundsätzlich aber müsse die Ärzteschaft sich eingestehen, dass sie mit der Digitalisierung einen Wettbewerber bekomme, der oft nicht nur besser sei, sondern auch preiswerter.

„Künstliche Intelligenz kann Dinge, die wir nicht kön-nen“, betont Müschenich. Und nur zum Tränen-Trock-nen bei Patienten sei ein Arzt zu teuer. Allerdings biete die Technik auch eine große Chance für die Ärzte-schaft: „Digitalisierung hält uns einfache Sachen vom Hals, so dass wir uns um die Patienten kümmern, die uns wirklich brauchen.“ Es gehe aber zudem um den Umgang mit Fehlern. Maschinen könnten schneller und besser Daten auswerten. „Die Ärzteschaft ver-sucht aber immer noch die Türen zuzumachen“, sagt Müschenich. Das werde sich wohl erst ändern, wenn in den ersten Gerichtsverfahren die Frage gestellt werde, warum in einem medizinischen Ablauf keine Maschine eingeschaltet wurde.

Auch Dr. Volker Busch, Neurowissenschaftler und Psychiater von der Universität Regensburg, plädiert dringend für mehr Kontrolle und staatliche Steuerung: „Es gibt viel Blödsinn auf dem Markt, einfach weil es Geld bringt.“ Es müsse viel mehr unabhängige Forschung geben als Gegengewicht zu den kommer-ziellen Industrieunternehmen. Und zwar unter den Leitfragen: Was bringt die Gesundheit voran und was hilft den Patienten? Da es bisher eher ziellos voran-gehe und wenig Orientierung über die Sinnhaftigkeit von Angeboten gebe, gebe es in der Öffentlichkeit auch wenig Begeisterung für die digitalisierte Medizin.

Er wünsche sich eine Medizin, „wo wir Künstliche Intelligenz als Mitbewerber akzeptieren“. Allerdings

wünsche er sich zugleich, „dass wir trotz aller Daten-gläubigkeit uns darauf besinnen, was den Menschen ausmacht. Wir haben einen brillanten Verstand und können gefühlvoll entscheiden“, betont Busch. Und es gehöre zur medizinischen Behandlung dazu, Menschen mit chronischen Erkrankungen die Hand zu halten.

Lisa Schütte begeht einen Mittelweg zwischen dem Vertrauen auf Digitalisierung und auf das eigene Gefühl. Seit einigen Monaten trage sie ein weiteres Gerät, das funktioniere wie eine künstliche Bauchspeicheldrüse, berichtet sie. „Anfangs war ich begeistert, inzwischen sehe ich das kritischer. Tatsäch-lich vertraue ich nicht immer darauf.“ Der Grund: „Ich merke vor der Technik, dass mein Blutzucker abfällt.“ Ihr Körper sende ihr bereits Signale, während das Ge-rät noch normale Werte anzeige.

BIM-Vorstand Müschenich wünscht sich als Fazit für die Zukunft, „dass jeder Patient Zugang hat zu der Art von Medizin, die er haben will“. Ob er Hilfe suche „bei einem Chatbot, Dr. Google oder einem richtigen Arzt – das alles muss qualitätsgesichert sein.“

Dr. Volker Busch Universitäts klinikum Regensburgdrvolkerbusch.de

Dr. Markus MüschenichBundesverband Internetmedizin, Berlinbundesverbandinternetmedizin.de

Lisa SchütteBloggerin und Autorin, Kassellisabetes.de

v. l.: Dr. Markus Müschenich, Lisa Schütte, Dr. Volker Busch und Moderator Stefan Rupp

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HEALTHCARE VON MORGEN IM HIER UND JETZT

Ist Heilung durch Software möglich? Was kann das Smartphone therapeutisch leisten? Die Erfahrungen von Start-ups und anderen Wegbereitern zeigen: Die neuen digitalen Möglichkeiten sind schon heute immens. Grenzen setzen vor allen Dingen die Strukturen eines Systems, das sich den Innovationen erst schrittweise öffnen muss, damit sie zum Tragen kommen. Künstliche Intelligenz in der Medizin ist keine ferne Vision mehr – schon heute werden Algorithmen erfolgreich eingesetzt, um beispiels-weise Diagnosen zu präzisieren.

IN ZUKUNFT

2KAPITEL

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IN ZUKUNFT2

Dr. Sabrina Reimers-Kipping

Digitale Diagnosen mit künstlicher IntelligenzDaten- und Finanzierungsfragen beschäftigen die neuen Start-ups

Künstliche Intelligenzen (KI) und Deep Learning-Technologien können medizinische Diagnosen erstellen und verbessern. Die digitale Datenverarbeitung ermöglicht neue Präzision beim Erkennen von Krankheiten. Doch der Weg bis zu den Patientinnen und Patienten ist steinig.

Prostatakarzinome sind die häufigste Krebsart bei Männern. „Je nach Erfahrung der diagnostizierenden Person werden auf dem MRT-Scan circa elf Prozent der bösartigen Wucherungen nicht erkannt“, berichtet Ex-pertin und Gründerin Dr. Sabrina Reimers-Kipping. „In 27 Prozent der Fälle kommt es hingegen zu einer Be-handlung, obwohl kein Eingriff notwendig wäre.“ Um diese Raten zu verbessern, hat Reimers-Kipping mit ihrem Team der FUSE-AI UG eine Software entwickelt. Sie analysiert das MRT-Bild mithilfe von künstlichen neuronalen Netzwerken. Dabei erreicht das Programm die gleiche Ergebnisgenauigkeit wie eine Fachkraft. In der Kombination von KI und Ärztin oder Arzt kommt es zu fast 100 Prozent richtigen Befunden.

Auch die PeakProfiling GmbH hat mit über 90 Prozent eine hohe Erfolgsrate, wie klinische Studien mit der Charité zeigen. Hier wird Künstliche Intelligenz ge-

nutzt, um an der Stimme einer Person verschiedene Krankheiten zu erkennen; entsprechende Algorithmen diagnostizieren ADHS und Depressionen. Ein weiteres Beispiel für digitale Diagnoseinstrumente ist die App neotiv. Deren Ziel ist es, Alzheimer frühzeitig zu erkennen. Mithilfe kleiner Tests können Menschen regelmäßig ihre Gedächtnisentwicklung prüfen und verfolgen. So bemerken die Nutzenden selbst, wenn ihre Leistung nachlässt. Das Besondere ist, dass sie zugleich Teilnehmende in dem Forschungsprojekt sind, das die Diagnose-Werkzeuge verbessert. Ihre Ergebnisse fließen als Datenspende direkt in die Weiterentwicklung der digitalen kognitiven Biomarker. „Wir haben in den Evidenzstudien gesehen, dass es ein Jahr dauert, um 80 Versuchspersonen zusammen-zukriegen“, schildert Gründer Dr. Christian Rehse. „Das war mit dem Bürgerprojekt sehr viel einfacher.“

Die Verfügbarkeit von Daten ist eine der größten Heraus forderungen für die Unternehmen. Künstliche Intelligenzen benötigen eine Vielzahl von Informationen, die nicht ohne weiteres vorhanden sind. „Klinische Studien enthalten generell zu wenige Daten für KI – ich kann eigentlich erst genügend Daten generieren, wenn ich im Markt bin“, beschreibt PeakProfiling-Ge-schäftsführer Claudio Hasler das Paradoxon. In China sei es einfacher an Daten zu kommen, da dort die Zulassung unproblematisch sei. Mit PeakProfiling beschreitet er allerdings den umgekehrten Weg: „Über das kleine Sample gehen wir in die Zertifizierung und sammeln dann weiter Daten.“

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IN ZUKUNFT2

Dr. Chris Rehse, Claudio Hasler, Dr. Sabrina Reimers-Kipping, Lina Behrens

Lina Behrens

Die FUSE-AI UG verwendet die MRT-Scans von eigenen Patientinnen und Patienten. „Wenn wir mehr Daten hätten, könnten wir schneller vorangehen und müssten nicht jedes Pixel analysieren“, bedauert Reimers-Kipping. Da die Krankenkassen keine Aus-gaben für das Tool übernehmen, können behandelnde Personen es nicht verwenden, um mehr Daten zu generieren. „Mit einem zu großen Sicherheitsbedürf-nis kann man Innovation verhindern. Es muss ein Weg gefunden werden, die Kosten zu erstatten. Eine Art Innovationsbudget für Krankenkassen würde es für viele leichter machen“, wünscht sich die Wissen-schaftlerin.

Hasler hat mit PeakProfiling einen anderen Weg gefunden, um profitabel zu sein. Die Software kommt in Industriebetrieben zum Einsatz, wo sie die Lebens-zeit von Maschinen prognostiziert. „Wenn sich das für die Unternehmen rechnet, sind die dabei. Unsere Entwicklungskapazitäten sind damit schon voll. Die Medizin läuft derzeit eher im Hintergrund“, so Hasler. Langfristig sei die Frage aber stets, ob ein Geschäfts-modell skalierbar sei oder nicht. Seine Vision ist, die

Technologie so zu gestalten, dass es möglich ist, auf Knopfdruck neue Lösungen zu bauen: „Ob es um eine Herzpumpe oder ein Auto geht, ich brauche nur die Daten einzuspeisen und bekomme ein Ergebnis. Das ist das Ziel.“ Ähnliche Vorstellungen hat Reimers-Kip-ping: „Es ist möglich, unsere Kompetenzen in andere Bereiche zu übertragen. Derzeit werden aber über-wiegend Krankheiten mit hohen Fallzahlen bearbeitet. Eine größere Durchdringung ist wünschenswert, damit seltenere Erkrankungen ebenso diagnostiziert werden können.“

„Unser Ziel ist es, aus der Veränderung der Gedächt-nisfunktionen auf andere Krankheiten zu schließen“, blickt Rehse in die Zukunft seiner Anwendung und formuliert als Wunsch: „Es gibt wenig Wettbewerb im Markt. Es wäre schön, wenn die Digital Health-Szene enger zusammenrücken würde, um Patientinnen und Patienten einen Mehrwert zu bieten.“

Claudio Hasler PeakProfiling GmbH, Berlinpeakprofiling.com

Dr. Chris Rehse neotiv GmbH, Magdeburgneotiv.com

Dr. Sabrina Reimers-KippingFUSE-AI UG, Hamburgfuse-ai.de

Lina Behrens (Moderation)Flying Health, Berlinflyinghealth.com

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IN ZUKUNFT2Digital Drugs – Heilung durch Software? Was digitale Medikamente können und wo es hakt

Die Idee, dass eine Software eine Krankheit behandelt oder gar heilt, wirkt auf den ersten Blick wie eine Utopie. Doch weit gefehlt: „Die digitale Medizin ist schulmedizinfähig“, sagt Dr. Markus Müschenich. Dennoch gibt es Hürden für Start-ups im Gesundheitssektor.

Digitale Medikamente wirken im Gehirn: Durch Training, Stimulation oder Modulation von Teilen des Nervensystems werden die Ursachen einer Er-krankung behandelt. Ein prominentes Beispiel für ein solches Verfahren stammt aus der Beratungspraxis der Flying Health Incubator GmbH. Das von Dr. Markus Müschenich mitgegründete Unternehmen unterstützt Start-ups aus der Gesundheitsbranche bei Entwicklungsfragen und Markteintritt. Mitte der Nuller Jahre habe die Universitätsausgründung Caterna Vision GmbH eine Software zur Therapie funktionaler

Sehschwäche entwickelt. Durch das Betrachten eines wellenförmigen Musters, das in ein Spiel eingebettet ist, verbessere sich die Amblyopie von Kindern: Der optische Reiz löse eine physiologische Reaktion im Gehirn aus, die der Sehschwäche entgegenwirke.

„Doch zunächst“, berichtet Müschenich weiter, „interessierte sich niemand für das Produkt.“ Trotz nachgewiesener Wirksamkeit schien es Caterna nicht zu gelingen, die Software zu verkaufen. Gemeinsam mit Flying Health habe man eine denkbar einfache

Dr. Markus Müschenich

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IN ZUKUNFT2 Ursache dafür gefunden: Viele augenärztliche Praxen besaßen zu der Zeit nicht einmal einen Internetan-schluss. Was die Zuhörenden im Jahr 2019 zum Lachen bringt, bescherte Caterna damals fast die Insolvenz. Der eigenen Zeit voraus zu sein, kann aber auch heute noch ein großes Problem für digitale Start- ups darstellen. Obwohl sich in der Zwischenzeit viel getan habe, ist laut Müschenich der europäische Ge-sundheitssektor kaum bereit für digitale Medikamente.

In den USA hingegen habe die Food and Drug Ad-ministration (FDA) einen Weg gefunden, nicht-traditio-nellen Arzneimitteln den Weg in den Markt zu ebnen. Dort, so berichtet Müschenich, prüfe die FDA das

anbietende Unternehmen, statt Algorithmen wie kon-ventionelle Medikamente in klinischen Studien zu exa-minieren. Ist die Untersuchung erfolgreich, erhalte die Firma die Genehmigung, ihre Software zu vertreiben. Auf diese Weise werde der hohen Veränderlichkeit von digitalen Produkten Rechnung getragen.

In Deutschland fallen die meisten Apps in die Medizin-produkte-Kategorie. Für die Start-ups ist damit oftmals ein Finanzierungsproblem verbunden, da die private Zahlungsbereitschaft für Apps gering ist. Um einen

Selektivvertrag abzuschließen, werden umfangreiche Studien zur Wirksamkeit benötigt. Das kostet Geld. Kapitalgeberinnen oder Investoren für entsprechend hohe Summen zu finden ist schwer. Darüber hinaus dürften die Krankenkassen hierzulande Personen, die keine Ärztinnen oder Ärzte sind, nicht für medizinische Informationen bezahlen. Gibt eine Software einen Rat-schlag oder weist auf ein Problem hin, sei dies bislang nicht mit den Regularien der Kassen vereinbar: „Es ist hier eine gewisse Lernkurve notwendig“, resümiert Müschenich.

Das gelte ebenso für Behandelnde. Im derzeitigen Gesundheitssystem seien es Ärztinnen und Ärzte, die eine Indikation für eine Medikation feststellten. Sie müssten über digitale Optionen ebenso informiert sein wie über chemische Medikamente oder andere therapeutische Maßnahmen. „Der Vertrieb ist schwie-rig“, gibt Müschenich zu. Langfristig prognostiziert er dennoch, dass digitale Angebote große Teile des traditionellen Gesundheitssektors schlucken werden. Die Vorteile der Digital Drugs lägen auf der Hand: „Sie benötigen keine Fabriken und keine Logistik. Sie verbrauchen keine Ressourcen. Eine Umweltver-schmutzung findet nicht statt.“

Die Kolleginnen und Kollegen sollten daher über einen Rollenwechsel nachdenken. Im Endeffekt sei es die Aufgabe der behandelnden Personen, die bestmög-liche Medizin zu finden. Wenn die Betreuung und Medikation über eine Software optimal sichergestellt wäre, sei dies doch zu begrüßen. „Man muss manche Patienten loslassen, aber andere können dafür besser betreut werden. Im Moment läuft es in unserem Sys-tem doch oft nach dem Motto: Mit dem Geld, was ich von den Gesunden kriege, kann ich es mir leisten, die Kranken zu behandeln. Wenn es aber gelingt, diesen Widerspruch zu beheben, können Digital Drugs eine Ergänzung zum Wohle aller sein.“

Dr. Markus MüschenichFlying Health, Berlinflyinghealth.com

Dr. Marina Martini (Moderation) AMEOS Gruppe, Zürich/Schweizameos.eu

Dr. Marina Martini, Dr. Markus Müschenich

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IN ZUKUNFT2Mit Technik zu mehr MenschlichkeitRoboter und soziale Medien erleichtern den Pflegealltag

Zuwendung in der Pflege kostet Zeit. Je schwerer die Krankheit, desto größer wird der Zeitbedarf. Neueste elektronische Anwendungen sorgen dafür, dass kleine Bedürfnisse nicht mehr aus Zeitmangel ignoriert werden. Und sie bringen den Spaß in den Pflegealltag zurück.

Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine grau-same Krankheit. Etwa fünf bis acht unter 100.000 Menschen müssen erleben, wie die Muskeln ihres ganzen Körpers verkümmern, während der Geist wach bleibt. Schließlich liegen sie bewegungsunfähig im Bett und sind für jede kleine Handreichung auf Angehörige und Pflegekräfte angewiesen. Für diese Menschen ist jedes kleine Stück Eigenständigkeit von großer Bedeutung. An der Berliner Charité beschäftigen sich Neurologen und Pflegeexperten schon seit langem mit der unheilbaren Erkrankung. Dort wurde jetzt ein Roboterarm entwickelt, der den Betroffenen die Möglichkeit zurückgibt, einfachste tägliche Verrichtungen ohne fremde Hilfe auszuführen.

Cornelia Eicher von der Forschungsgruppe Ge-riatrie schildert das am Beispiel des Juckreizes. Die ALS-Kranken können den Roboterarm an die Körperstelle dirigieren, die gerade juckt und sich kratzen lassen. „Wir programmieren das mit ein-fachen Drag-and-drop-Programmen“, erklärt Eicher. Der Roboterarm kann auch lernen, ein Getränk, die Zeitung oder einen anderen Gegenstand anzureichen. Eine eingebaute Kamera versetzt ihn in die Lage zu erkennen, was er da gerade hochhebt. Lenken lässt sich der Arm mit einem Joystick, der auch auf kleinste Muskelkontraktionen reagiert. Ebenso gibt es ihn mit Sprach- oder Augensteuerung. In den USA wird bereits an so genannten Brain Interfaces geforscht – Steuerung mittels Gedankenkraft.

Forschung wird auch in Halle an der Saale groß ge-schrieben. Die dortige Stabsstelle für Pflegeforschung des Universitätsklinikums hat mit Geldern aus dem Programm Aufbau Ost einen Roboter entwickelt: Pepper soll Ärzte und Pflegende bei der Vermittlung medizinischer Inhalte unterstützen. „Es gibt ein Programm, mit dem Pepper die Patienten auf eine Magnetresonanztomographie (MRT) vorbereiten kann“, erklärte Dr. Patrick Jahn, der Leiter der Forschungsstelle. Den menschlichen Mitarbeitern bleibt dann mehr Zeit, um auf spezielle Fragen der Patienten einzugehen. Pepper steht jetzt vor dem ersten Praxiseinsatz in Halle.

Mit simpleren Alltags-Anwendungen befasst sich das Berliner Start-up Myosotis. Dessen App soll das Bild des Heimalltags verändern. Die Idee kam Firmengründer Jasper Böckel bei einem Praktikum im

Dr. Patrick Jahn

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IN ZUKUNFT2Pflegeheim. Eines Tages, so berichtet er, sei er dort bei einer Bewohnerin gesessen, als deren Tochter vorbeikam. „Wie schön, dass Du da bist“, sagte die demenzkranke alte Dame. „Es ist so langweilig hier. Wir haben heute noch nichts unternommen.“ Dabei waren die Pflegekräfte am Vormittag desselben Tages mit den Bewohnern in einer Kunstausstellung gewesen, ein Ausflug, den die alte Dame sehr genossen, aber postwendend wieder vergessen hatte.

Dem Praktikanten Böckel war es damals peinlich, die Bewohnerin zu korrigieren. Aber die Begegnung ging ihm nicht aus dem Kopf. Der Firmengründer Böckel möchte mit der App „Myo“ das Bild vom Leben im

Heim ein wenig geraderücken. Die Idee: Pflegende senden Momentaufnahmen aus dem Alltag der Be-wohnerinnen und Bewohner an die Angehörigen. Der Ausstellungsbesuch, der Vormittag am Strand oder die Kaffeestunde kommen in Echtzeit aufs Handy von Enkeln, Söhnen oder Töchtern. Der Firmenname ist Programm: Myosotis heisst „Vergissmeinnicht.“ Die App kann den Angehörigen das schlechte Gewissen nehmen und ihnen zeigen, dass man in gute Pflege-heime nicht kommt, um zu sterben, sondern um zu leben.

Was einfach klingt, erforderte minutiöse Aufbauarbeit. Böckel und sein Partner Felix Kuna haben beide einen MBA-Abschluss und jahrelange Erfahrungen bei internationalen Unternehmen. Ihre Idee klingt wie WhatsApp und soll die WhatsApp-Kommunikation ersetzen. Denn diese ist seit Inkrafttreten der Daten-

schutzgrundverordnung für Heimbetreiber nicht mehr möglich.

Im zweiten Jahr des Bestehens hat Myosotis mit Agaplesion bereits einen der großen Player aus dem Pflegesektor als Partner gewonnen. Das Unternehmen finanziert sich mit kleinen Lizenzgebühren von Heim-trägern, der Bewohnern und Angehörigen, die die App nutzen. Neben dem Imagegewinn haben die Träger noch einen Vorteil: Myo ist darauf ausgerichtet, in der Pflege Zeit zu sparen. Das Heim kann drei oder vier Handys pro Station mit der App ausrüsten und die Informationen zum Schichtwechsel so datensicher organisieren.

Jasper BöckelMyosotis GmbH, Berlinmyo.de

Cornelia EicherForschungsgruppe Geriatrie an der Charité, Berlingeriatrie.charite.de

Dr. Patrick JahnStabsstelle Pflegeforschung am Universitätsklinikum Hallewww.medizin.uni-halle.de

Maxie Lutze (Moderation)VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Berlinwww.vdivde-it.de

Maxie Lutze, Cornelia Eicher, Jasper Böckel, Dr. Patrick Jahn

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IN ZUKUNFT2Virtual Reality in der MedizinWas schon heute möglich ist

Ist es nicht vor allem Spielerei, wenn Patienten die Realität virtuell nachempfinden sollen? Zwei junge Start-ups zeigen: VR kann richtig eingesetzt viel bewirken – zum Beispiel als begleitende Therapie nach einem Schlaganfall oder wenn Menschen ihre Angststörung in den Griff bekommen wollen.

Im November 2018 ging Rehago von der ReHub GmbH der Hochschule Reutlingen an den Markt: eine Virtual Reality App, mit der halbseitig gelähmte Schlaganfall-patienten selbstständig Armübungen machen können. Dafür setzen sich die Patienten eine mobile VR-Brille auf und – spielen. Der Clou dabei: Die App bildet die Spiegeltherapie nach, die in der Ergotherapie schon seit Jahren angewendet wird. Dabei wird ein Spiegel so vor dem Patienten aufgestellt, dass dieser darin nur seine gesunde Seite sieht. Mit dieser macht er Übungen und beobachtet dabei sein Spiegelbild. Dem Gehirn wird dadurch suggeriert, dass auch der gelähmte Teil des Körpers sich bewegt. So wiederum werden Hirnareale stimuliert, die die Bewegung normalerweise anbahnen, und neue Synapsen gebildet.

Das Rehago-Angebot solle die Spiegeltherapie beim Therapeuten nicht ersetzen, sondern ergänzen, betont Philipp Zajac, Geschäftsführer und einer der Gründer

von ReHub. Den Bedarf hält er für groß – und wach-send. Jetzt schon gebe es zu wenige Therapeuten, die Gesellschaft werde aber älter und damit anfälliger für Schlaganfälle. Zudem seien Patienten in der Reha einen großen Teil der Zeit allein gelassen. „In den guten Kliniken haben Sie anderthalb bis drei Stunden am Tag Therapie. Den Rest des Tages hat man nicht viel zu tun“, sagt Zajac. Und in der ambulanten Reha sei es nicht besser: Eine Sitzung beim Therapeuten dauere 45 Minuten – das sei aber oft zu anstrengend, und Übungen alleine zu Hause vorm Spiegel oft zu eintönig, um sie wirklich zu machen.

Rehago soll dem Patienten deshalb ermöglichen, selbstständig in kleineren Einheiten und dafür öfter am Tag zu üben, und das mit Spaß: Die Spiele – etwa Memory- oder Labyrinth-Aufgaben – dauern zehn bis 15 Minuten. Die App zeichnet die Ergebnisse auf und gibt Feedback. Selbst kleinste Fortschritte werden

Christian Angern

Philipp Zajac

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IN ZUKUNFT2

registriert und tragen so zur Motivation des Patienten bei, am Ball zu bleiben. Der Arzt wiederum kann die Statistiken abrufen: Wie viel wurde geübt und wann?

Auch in der Psychotherapie gibt es bekanntermaßen Engpässe. Schätzungen zufolge seien rund zwölf Millionen Menschen in Deutschland von einer Angst-störung betroffen, von denen etwa acht Millionen unbehandelt blieben, erläutert Christian Angern, Gründer und Geschäftsführer der Sympatient GmbH aus Hamburg. Rund 22 Prozent der Unbehandelten wiederum wollten mit ihrer Angststörung lieber selbst umgehen, als einen Therapeuten aufzusuchen. Sym-patient liefert diesen Betroffenen die Möglichkeit, sich mit dem „Goldstandard“ der Behandlung bei Angst-störungen selbst zu befassen: „Wir digitalisieren die Expositionstherapie“, sagt Angern. Dies geschehe auf zwei Ebenen: durch die digitale Psychoedukation und die VR-gestützte Konfrontation. Der Patient werde on-line und leitlinienkonform darüber aufgeklärt, was eine Angststörung ist und wie er damit umgehen kann. Das VR-Headset mit Brille wird nach Hause geschickt, in einer App sind alle Versorgungselemente hinterlegt, so dass es gleich losgehen kann.

Flugangst ist der erste Bereich, für den Sympatient ein Selbst-Therapiepaket mit Hilfe von Piloten und Psychologen entwickelt hat. Die Experten erklären den Usern, wie Flugsicherheit funktioniert, woher Flugangst kommt und was man dagegen tun kann.

Mit Hilfe der VR-Ausrüstung wird dann das Setting im Flugzeug simuliert – wodurch der Patient üben kann, mit seinen Ängsten umzugehen. Bisher muss man sich die Anwendung privat kaufen. Trotzdem werde sie gut angenommen, berichtet Angern: „Im Bereich Flugangst klappt das als Selbstzahlermodell gut. Die Leute haben einen so hohen Leidensdruck, dass sie sich das ein Stück weit gönnen.“ Vom Sommer 2019 an würden auch erste Krankenkassen einsteigen.

Die App sicherfliegen.de werde übrigens von Männern und Frauen etwa gleich oft nachgefragt, sagt Angern. Und das, obwohl Frauen häufiger als Patientinnen diagnostiziert würden – nicht etwa, weil sie häufiger betroffen wären, sondern weil sie sich mehr mit ihrer psychischen Verfasstheit beschäftigten. „Es wäre doch super, wenn Virtual Reality Patienten dazu bringen würde, sich mit ihrer Angst zu befassen und dagegen anzugehen.“

Christian AngernSympatient GmbH, Hamburgsympatient.com

Philipp ZajacReHub GmbH, Reutlingenrehago.eu

Dr. Markus Müschenich (Moderation)Bundesverband Internetmedizin (BIM) , Berlinbundesverbandinternetmedizin.de

Dr. Markus Müschenich

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IN ZUKUNFT2Vision und WirklichkeitVon Pionieren und Stolpersteinen

Überalterung plus Praxisschwund gleich Unterversorgung – seit über zehn Jahren ist Ärztemangel ein Thema und in manch ländlicher Region auch schon bittere Realität. Neue Ideen wie die „Ohnearztpraxis“ oder ein Zahnarztmobil sollen Abhilfe schaffen – haben es in der Realität aber gar nicht so leicht.

„Nicht vor der künstlichen Intelligenz müssen wir uns fürchten, sondern vor der natürlichen Ignoranz“, so das Zwischenfazit von Dr. Tobias Gantner nach einem „zweijährigen Leidensweg“, den er hinter sich habe. Diese Erkenntnis hält den Gründer der Healthcare Futurists GmbH aber nicht davon ab, weiter unermüd-lich für seine Idee zu werben: die „Ohnearztpraxis“, mit der er Versorgungsengpässe überbrücken will – die er aus taktischen Gründen aber so lieber nicht mehr nennt, weil er ohnehin schon auf so viel Skepsis

stößt. Offiziell heißt das Projekt nun TELEmedicon. Die Idee: In einer ländlichen, medizinisch schlecht ver-sorgten Region soll eine Praxis eingerichtet werden, die einem oder mehreren Ärzten zur Verfügung steht, um dort Patienten zu untersuchen und zu behandeln. Dabei sind sie aber nicht selber vor Ort. Stattdessen kümmert sich eine Nicht-ärztliche Praxisassistentin

oder eine Medizinische Fachkraft um die Patienten, etwa indem sie Wunden kontrolliert und nachversorgt und eine Triage-Funktion übernimmt. Die Ärzte können bei Bedarf virtuell zugeschaltet werden. „Diese Praxis soll den Arzt nicht ersetzen“, betont Gantner. „Wir gehen nur dorthin, wo kein Arzt ist. Und der Patient muss dann nicht mehr für eine Verbandkontrolle dutzende Kilometer weit fahren.“

Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung war so überzeugt von dem Projekt, dass sie 200.000 Euro beisteuern wird, sobald es tatsächlich umgesetzt wird. Zusätzlich liegen 130.000 Euro an Eigenkapital aus Gantners Unternehmen bereit. Seit der Zusage klappert er Krankenkassen und Kommunen, Ämter und regionale Delegationen ab – aber irgendwer sagt immer Nein. Das meistgenannte Totschlagargument sei: Delegation von ärztlichen Aufgaben gehe gar

Dr. Tobias D. Ganter

Dr. Christoph Blum

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IN ZUKUNFT2

nicht, berichtet Gantner. Er habe aber auch schon Sätze gehört wie „Telemedizin ist überbewertet, ein Telefon tut es auch“ oder gar „In Schleswig-Holstein haben wir bei der ländlichen Versorgung kein Problem“. Gantner versteht es nicht: „Wir bringen über 300.000 Euro mit, und wir wollen dieses Modell einfach mal ausprobieren, auch damit es von einer Universität, mit der wir bereits kooperieren, wissen-schaftlich evaluiert werden kann. Wie soll denn Innovation in unser System kommen, wenn jeder nur in der eigenen Sandkiste sitzt?“

Totschlagargumente habe auch er viele gehört, berichtet Dr. Christoph Blum, niedergelassener Oralchirurg aus Bad Ems – und einer der ersten Betreiber einer mobilen Zahnarztpraxis in Deutschland, genauer: einer Zweig-stelle seiner Praxis. Seit März 2019 steuert Blum mit dem Zahnmobil Pflegeheime in der Nähe von Koblenz an, um Pflegebedürftige direkt vor Ort zu behandeln. Auch Blum musste dafür etliche Widerstände überwinden. Es ging um juristische und um Abrechnungsfragen, Fahr-erlaubnisse und Mautgebühren. Inzwischen unterstützen sowohl das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium als auch die Kassenzahnärztliche Vereinigung Rhein-land-Pfalz das Projekt – zumindest als regionales Test-projekt. Ob es irgendwann landesweit ausgerollt werden soll, da hält man sich bedeckt.

Dabei stellt sich die Frage nach dem Sinn eigentlich nicht lange: Pflegeheime können in Deutschland mit Zahnärzten Versorgungsverträge abschließen. Der Zahnarzt kommt dann in regelmäßigen Abständen zur Vorsorge ins Heim, sieht sich den Zahnstatus der Bewohner an und kann kleinere Eingriffe mit Stirnlampe

und Grundausrüstung am Pflegebett vornehmen. Für alle komplizierteren Behandlungen müssen die Patienten aber in die Praxis einbestellt werden; für die weniger mobilen heißt das: aufwändiger Kranken-transport und viel Stress für alle Beteiligten.

Blum fährt nun seine Vertragsheime mit einem Lkw an, den er zu einer kleinen OP-Station ausgebaut hat: mit einem OP- und einem Überwachungsbereich, beides über eine Faltwand trennbar, mit drei Absaug-anlagen, einem Narkose-Beatmungsgerät und einem mobilen Röntgengerät. Neben Blum sind jedes Mal auch ein Anästhesist und zwei Assistentinnen an Bord. „Damit können wir das komplette Spektrum der Be-handlung abdecken“, sagt der Zahnarzt. Die Diagnose findet im Heim am Bett statt. Wer behandlungs-bedürftig ist, den rollen Arzt und Assistentinnen im eigenen Pflegebett ins Zahnmobil. Rund 200.000 Euro hat der Ausbau des Lkw gekostet, 25.000 Euro davon seien von Kreis und Land gekommen, den Rest hat Blum selbst bezahlt, wie er erzählt. Aber er findet: Es lohnt sich. „Damit können wir vielen Menschen helfen. Der Bedarf ist gigantisch.“

Dr. Christoph BlumPraxis Dr. Blum und Partner, Bad Emsoc-blum.de

Dr. Tobias D. GanterHealthCare Futurists GmbH, Kölnhealthcarefuturists.com

Holger Trachte (Moderation)BERLIN-CHEMIE AG

Dr. Christoph Blum, Dr. Tobias D. Ganter, Holger Trachte

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IN ZUKUNFT2Value Based HealthcareDas Patientenwohl als Maßstab für Versorgungsqualität

Die Erhebung von Patient Reported Outcomes soll das Patientenerlebnis in den Mittelpunkt der Gesund-heitsversorgung stellen – und letztlich zum Wirtschaftsfaktor machen. Um Wirtschaftlichkeit geht es auch beim Thema Pay-for-Performance, bei dem die Vergütung an den Behandlungserfolg gekoppelt wird. Erste Modelle in dieser Richtung laufen bereits.

„Unsere These ist: In den nächsten fünf bis zehn Jah-ren wird kein Teilnehmer im Gesundheitsmarkt mehr ohne Kenntnisse über den Datenpunkt Lebensqualität existieren könne“, sagt Yannick Schreckenberger, Gründer und Geschäftsführer der Heartbeat Medical GmbH. Dieses Szenario bedeutet einen gewaltigen Wertewandel; Value Based Healthcare ist dabei das große Schlagwort. Dass das reale Befinden der Patien-tinnen und Patienten letztlich eine geldwerte Kompo-nente darstellt, steht hinter diesem Konzept. Es ver-langt, Qualitätsmaßstäbe neu zu definieren und dabei die Patientensicht in den Mittelpunkt zu stellen. „Im deutschen Gesundheitswesen bedeutet gute Qualität die Abwesenheit von Fehlern – niedrige Mortalitäts- und Komplikationsraten. Doch als Patient interessiert

mich mehr als das“, erläutert Schreckenberger. Heart-beat Medical hat ein Softwaresystem entwickelt, das ebendiesen Blick durch die Patientenbrille schärfen soll. Patient Reported Outcomes – also vom Patienten selbst gemachte Angaben zum Behandlungsprozess und -erfolg – werden dabei systematisch erfasst und ausgewertet. Der elektronische Fragebogen wird vor Behandlungsbeginn und bei jeder Neuvorstellung ausgefüllt. Automatisch entstehe so ein permanentes Follow-up. Die Anamnese, die bis heute überwiegend per Klemmbrett abgefragt werde, lasse sich dabei integrieren – ein wichtiger Faktor, denn nur im Alltag praktikable Neuerungen würden nachhaltig akzeptiert. Mitbedacht wurde auch die Kopplung an die bereits vorhandenen EDV-Systeme per Schnitt-

Dr. Barthold Deiters, Yannick Schreckenberger, PD Dr. Aldemar Andres Hegewald, Laura Wamprecht

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IN ZUKUNFT2stelle. „Mehr eingaben oder Doppeldokumentation darf es nicht geben“, betont Schreckenberger. „Die Daten sind jederzeit in der Hand des Krankenhauses und verbleiben im Kontext Arzt-Patient.“ Das große Ziel dieser Erfassung patientenrelevanter Daten sei die Prozessoptimierung. Die reale Lebensqualität des Patienten wird somit zum Gradmesser für die Qualität der ärztlichen Behandlung.

In der Helios Ostseeklinik Damp ist die Software bereits im Einsatz. Jeder Patient füllt den elektroni-schen Fragebogen bei der Erstvorstellung sowie zum Entlassungszeitpunkt aus. PD Dr. Aldemar Andres Hegewald, Chefarzt der Abteilung Wirbelsäulen-chirurgie, sieht in der strukturierten Datenerhebung eine enorme Erleichterung: „Welche Art von Schmerz hat er, wo bestehen Einschränkungen, Angaben zum Lebens stil – das sind wichtige Grunddaten, die ich schon auf dem Bildschirm habe, bevor der Patient durch die Tür kommt. Dieser gut aufbereitete Über-blick spart letztlich auch Zeit.“ Ebenso werde täglich in den Frühbesprechungen geprüft, welche Angaben die zu entlassenden Patienten gemacht hätten. „Hier habe ich die Möglichkeit, direkt auf die Patientenzufrieden-heit zu schauen und kann gegebenenfalls nochmal ins Gespräch gehen – eine Qualitätskontrolle im Kleinen, die ich nicht missen möchte.“ Positive Resonanz gibt es auch von den Patientinnen und Patienten: „Sie er-leben, dass ihre Angaben nicht im Datengrab landen, sondern dass tatsächlich mit ihnen gearbeitet wird“, berichtet Hegewald. Tablet statt Klemmbrett – der Medienwechsel scheint dabei laut einer internen Erhebung kein Problem darzustellen: 85 Prozent der Befragten bevorzugten die elektronische Form sogar im Vergleich zu Papierform. Bei den 14 Prozent, die größere Schwierigkeiten hatten, spielte nicht etwa Alter, Geschlecht oder physische Gesundheit eine Rolle; stattdessen gab es eine Korrelation mit einer schlechten mentalen Verfassung.

Pay-for-Performance ist ein weiteres Schlagwort im Bereich Value Based Healthcare: Hier geht es um die Frage, inwiefern der Faktor Qualität in die Vergütung einfließen kann. Die GWQ ServicePlus AG ist ein Dienstleister für kleine mittelständische Krankenkassen und erprobt entsprechende Modelle in der Praxis.

Im Zentrum stehen dabei individuelle Gentherapien in der Krebsmedizin, die in einem aufwändigen Prozess aus körpereigenen Immunzellen hergestellt werden und äußerst kostenintensiv sind. Für die Kassen stellt dies eine große Herausforderung dar. Insbesondere im Jahr nach der Markteinführung seien die Preise besonders hoch, da die Kosten von den Unternehmen festgelegt werden. „Der Anteil der Kosten für Patien-ten mit hochpreisigen Therapien an den Gesamtkosten liegt bei uns im Schnitt bei 5,32 Prozent mit zum Teil deutlichen Abweichungen nach oben“, erklärt Dr. Barthold Deiters, Leiter des Bereichs Arzneimittel der GWQ. „Damit besteht ein hohes Risiko, diese Kosten nicht aus dem Risikostrukturausgleich refinanzieren zu können.“ Das Medienecho war groß, als GWQ im März dieses Jahres einen Pay-for-Performance-Vertrag mit Novartis geschlossen hatte: Er sieht vor, dass die Kosten für die Gentherapie Kymriah eine in Höhe von derzeit 320.000 Euro vom Pharmaunternehmen anteilig rückerstattet werden, wenn der Patient inner-halb eines gewissen Zeitraums stirbt. Ein solcher harter Endpunkt, so Deiters, sei von grundlegender Bedeutung. In den USA sei ein ähnliches Modell nach kurzer Zeit gescheitert: Hier oblag es der Beurteilung von Ärzten, ob die Therapie nach vier Wochen an-gesprochen habe. „Wir sagen: Dieses Risiko, dass der Patient nicht auf die Therapie anspricht, wollen wir von den Kassen auf die Industrie verlagern, um so halbwegs eine Adjustierung des Preises am tatsäch-lichen Nutzen zu haben.“

Dr. Barthold DeitersGWQ ServicePlus AG, Düsseldorfgwq-serviceplus.de

PD Dr. Aldemar Andres HegewaldHelios Ostseeklinik Damphelios-gesundheit.de

Yannick Schreckenberger Heartbeat Medical GmbH, Berlinheartbeat-med.com

Laura Wamprecht (Moderation)Flying Health, Berlinflyinghealth.com

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3IM NETZWERK

VERNETZTE VERSORGUNG: STARK IM VERBUND

Wie steht es in der heutigen Zeit des digitalen Wandels um die Arztnetze? Viele von ihnen gehören zu den Treibern innovativer Versorgungsmodelle. Eines ist klar: Die Bestrebungen zu mehr Vernetzung und Zusammenarbeit nehmen zu, ob innerhalb einer Berufsgruppe oder interdisziplinär. Auch Zusammenschlüsse ambulanter Anbieter wie Medizinische Versorgungszentren erfreuen sich immer größerer Beliebtheit – was unter anderem auch an entsprechenden gesetzlichen Neuerungen liegt.

KAPITEL

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IM NETZWERK3Kommunen unter DruckHandlungsoptionen für die Versorgungssicherheit

In vielen ländlich strukturierten Gebieten besteht schon heute akuter Ärztemangel. Besonders die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung und die Nachfolgebesetzung bestehender Hausarztpraxen werden zunehmend zum Problem. Zwei Experten zeigen auf, welchen Handlungsspielraum Kommunen für maßgeschneiderte regionale Versorgungslösungen haben.

Thomas Rampoldt, Geschäftsführer der Ärztegenos-senschaft Nord, hat in Sachen kommunale Gesund-heitsversorgung wahre Pionierarbeit geleistet und kennt sich bestens mit den entsprechenden recht-lichen Rahmenbedingungen aus: In begründeten Aus-nahmefällen hätten Kommunen das Recht, eigene Einrichtungen zur unmittelbaren medizinischen Ver-sorgung der Versicherten zu betreiben – zum Beispiel bei drohender Unterversorgung. Maßgeblich für oder gegen Aktivitäten einer Gemeinde sei die Beantwor-tung der Frage: Dient die Aktivität dem öffentlichen Zweck? Wenn das Gemeinwohl gefördert wird, ist der öffentliche Zweck gegeben. Auch wenn es durchaus Gegenstimmen gibt, wie Rampoldt einräumt: Sie kriti-sieren, dass über die Etablierung von Kommunen in der medizinischen Versorgung ein vom Grundsatz her beitragsfinanziertes Gesundheitssystem zu einem zu-mindest in Teilen steuerfinanzierten System wird.

Das wesentliche Thema für die medizinische Versor-gung ist aus Thomas Rampoldts Sicht die Schaffung neuer Strukturen, auch im Hinblick auf die Bedürfnisse der nachrückenden Ärztegeneration. Ganz in diesem Sinne hatten er und seine Mitstreiter vor fünf Jahren in Büsum gemeinsam mit der Stadtverwaltung ein viel beachtetes Projekt auf die Beine gestellt. Trotz knapper Stadtkassen wurden dort 3,6 Millionen Euro investiert, um aus Einzelpraxen ein modernes Ärztehaus zu schaffen. Die kassenärztliche Vereinigung Schleswig- Holstein bezuschusste das Projekt mit 200.000 Euro.

Statt nach Nachfolgern für alteingesessene Praxen konnte nun nach Interessenten für eine „flexible An-stellung in Voll- oder Teilzeit in modernem Ärztehaus“ gesucht werden – ein für jüngere Ärzte wesentlich interessanteres Angebot. Inzwischen ist aus dem Ärztehaus in Büsum ein Gesundheitszentrum ge-worden, zu dem auch eine Praxis für Physiothera pie, ein Kurmittelhaus, eine Heilpraktikerin und eine Apo-theke gehören.

Heute kümmert sich Rampoldt darum, dass das Büsu-mer Beispiel auch anderswo Schule macht. Drei weite-re kommunale Konzepte hat die Ärztegenossenschaft

Thomas Rampoldt

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IM NETZWERK3Nord inzwischen in Schleswig-Holstein realisiert; 22 weitere begleitet sie aktuell. „Die Grundvoraus-setzung für das Engagement unserer Ärztegenossen-schaft ist, dass nicht nur die Hausärzte in der Region einen Zentralisierungsprozess befürworten, sondern auch die Fachärzte, Physiotherapeuten, Apotheker und alle anderen an der Gesundheitsversorgung Be-teiligten“, sagt Rampoldt. „Erst dann entwickeln wir die nächsten Projektschritte. Wenn eine Kommune diesen Weg gehen will, stellen wir unser Know-how bis zur Realisierung und darüber hinaus zur Ver-fügung.“

Dem Vogtland, einer Region im Grenzgebiet von Sachsen, Bayern, Thüringen und Böhmen, droht eine dramatische Überalterung, die sich auch bei der Ärzte-schaft widerspiegelt. Im hausärztlichen Bereich lag der Versorgungsgrad bei 92 Prozent. Zieht man die Haus-ärzte ab, die bereits im Ruhestand sein könnten, läge dieser bei nur noch 80 Prozent. „Bereits 2015 kamen Vertreter des Vogtlandkreises auf uns zu und sagten, sie hätten kommunale Verantwortung für die Gesund-heitsversorgung ihrer Bewohner und müssten etwas tun“, berichtet Prof. Dr. Anke Häber von der West-sächsischen Hochschule Zwickau. In Zusammenarbeit mit der Sächsischen Landesärztekammer und GeriNet wurden regionale Lösungsstrategien entwickelt. Es entstand die Idee der Medizinischen Servicezentren. Dort sind geschulte medizinische Fachangestellte tätig, die vor Ort eigenständig die Grundversorgung

gewährleisten. Hierzu zählen Voruntersuchungen, wie das Aufnehmen von Vitaldaten oder das Wechseln von Verbänden. Wird ein Arzt benötigt, kann dieser mithilfe einer elektronischen Videosprechstunden-Software aus der Ferne zugeschaltet werden.

Das Projekt wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. Mit Wil-denau und Rosenbach wurden zwei optimal gelegene Standorte identifiziert. Im März 2019 konnte das erste Zentrum seine Arbeit aufnehmen. „Die Wahl des Vogtlandes als Testregion war aufgrund der besonders schwierigen Versorgungslage genau richtig“, sagt Lysann Kasprick vom Projektpartner GeriNet. „Damit schaffen wir eine Blaupause, die auch in anderen Regionen funktionieren kann.“

Prof. Dr. Anke HäberWestsächsische Hochschule Zwickaufh-zwickau.de

Lysann KasprickGeriNet Leipziggerinet-leipzig.de

Thomas Rampoldt Ärztezentrum Büsum gGmbH, BüsumÄrztegenossenschaft Nord eG, Bad Segebergaegnord.de

Dr. Susanne Eble (Moderation) BERLIN-CHEMIE AG, Berlinberlin-chemie.de

Dr. Susanne Eble, M.A.

Prof. Dr. Anke Häber,Lysann Kasprick

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IM NETZWERK3Für mehr MiteinanderDie Zukunft ist interprofessionell

Für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung ist die reibungslose Zusammenarbeit der unter-schiedlichen beteiligten Berufsgruppen unabdingbar. Was ziemlich selbstverständlich klingt, ist in der Realität des komplexen Gesundheitssystems mit seinen teils starren Strukturen oftmals nicht einfach. Doch es zeichnet sich ein Umdenken ab.

Prof. Dr. Josef Hilbert, Geschäftsführender Direktor des Instituts Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, sieht in den Heilberufen nicht nur das Rückgrat der ambulanten Versorgung, sondern ein starkes Stück Mittelstand und spricht sich in seiner Anmoderation dringend für ihre Aufwertung aus. Dass die Politik sich dieser Berufsgruppe in der jüngeren Vergangenheit stärker zugewandt hat, sei ein positives Signal. Insbesondere die neuesten therapeutischen technischen Entwicklungen wertet er als große Chance in Hinblick auf eine stärkere inter-professionelle Zusammenarbeit: „Durch Innovations-projekte, in denen wir High-Tech nutzen, können die in den Heilberufen Tätigen ihre Leistungskraft und Effizienz verbessern und gleichzeitig interprofessionell zeigen, dass sie noch viel mehr können, als schon bekannt ist.“

Auch die künftigen Ärztinnen und Ärzte wünschen sich mehrheitlich eine stärkere Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe, wie Constanze Czimmeck von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) ausführt. 68 Prozent der Be-fragten Medizinstudierenden sprachen sich in einer aktuellen Umfrage dafür aus. Allerdings sei für spürbare Veränderungen ein Umdenken nötig: „Wir brauchen dafür einen Paradigmenwechsel in der Arbeitskultur und bei den Versorgungsformen.“ Czimmeck regt an, die interprofessionelle Zusammenarbeit bereits in der Ausbildung der Heilberufe zu verankern. Bislang spielten diese Kompetenzen im Medizinstudium kaum eine Rolle. Der bvmd fördert daher einen der vielversprechendsten Ansätze aktiv mit: die Inter-professionellen Ausbildungsstationen (IPSTA), die unter anderem in Heidelberg und Freiburg etabliert wurden.

Christian Remfert, Jan Hollnecker, Constanze Czimmeck, Prof. Dr. Josef Hilbert, Elke van Alen

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IM NETZWERK3Auf den Stationen übernehmen Medizinstudierende gemeinsam mit Auszubildenden der Pflege und weiterer Berufsgruppen wie Physiotherapie und Pharmazie eigenständig die Betreuung und Versorgung. In steter Unterstützung durch ausgebildete ärztliche und pflegeri-sche Lernbegleiter erhalten sie regelmäßiges Feedback.

Eine Erfolgsgeschichte präsentiert Jan Hollnecker, Geschäftsführer der Theraphysia GmbH aus Berlin: Mit einem Team aus erfahrenen, engagierten und innovativen Logopäden, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten arbeitet Theraphysia in der festen Überzeugung, dass moderne Heilmitteltherapie inter-disziplinär ist. Vor diesem Hintergrund setzt das Unter-nehmen an derzeit fünf Standorten unterschiedliche multimodale Therapiekonzepte um und kombiniert diese mit selbst entwickelten kostenfreien therapeu-tischen Apps. Behandlungsziele und Therapieansätze für einzelne Patientinnen und Patienten werden in Teamsitzungen diskutiert. Das im Sommer 2015 ge-gründete Unternehmen war innerhalb von vier Jahren von einem Mitarbeiter auf 50 gewachsen.

Ein schönes Beispiel dafür, wie der Austausch auf dem Kongress für Gesundheitsnetzwerker Früchte tragen kann, liefert Elke van Alen von der Zukunfts-initiative interprofessionelle Therapie (ZipT). Dieser bundesweite Zusammenschluss von Therapeuten und Gesundheitsberufen hat sich die Förderung der interprofessionellen Zusammenarbeit auf die Fahnen geschrieben. Als Leiterin des Netzwerks Kinder-therapie Hamburg-West weiß van Alen, wie wichtig eine eigene Web-Plattform für ein ehrenamtlich be-triebenes Netzwerk ist. Damit lassen sich eine schnel-lere Kommunikation, ein besserer Datenaustausch und eine reibungslosere Organisation realisieren. Nachdem

sie dieses Thema in ihrer Präsentation auf dem letzt-jährigen Kongress angesprochen hatte, kam die Firma mediQuu auf sie zu. Der Lösungsanbieter im Bereich des interprofessionellen Austausches schlug ihr vor, gemeinsam eine Plattform als Pilotprojekt aufzubauen. Ein Jahr später kann mediQuu-Geschäftsführer Chris-tian Remfert nun erste Ergebnisse präsentieren. Er erläutert die Herausforderungen, vor denen die IT-Ent-wickler standen – wie etwa Datenschutz, unterschied-liche Softwarelösungen der Netzwerkteilnehmer, nicht einheitlich ausgeprägte Technikaffinität. „Unser Ziel ist eine Plattform-Lösung, die sich an gewohnten Design-mustern orientiert und so einfach ist, dass der Nutzer sich nicht an die eigentliche Bedienung erinnern kann.“

Elke van AlenZukunftsinitiative interprofessionelle Therapie, Lübeck Netzwerk Kindertherapie, Hamburgzipt.de, netzwerk-kindertherapie.de

Constanze CzimmeckBundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V., Berlinbvmd.de

Jan HollneckerTheraphysia GmbH, Berlintheraphysia.de

Christian RemfertmediQuu UG & Co. KG, Münstermediquu.de

Prof. Dr. Josef Hilbert (Moderation)Netzwerk Deutsche Gesundheitsregionen e.V., BerlinInstitut Arbeit und Technik der Westfälischen Hoch-schule Gelsenkircheniat.eu

Elke van Alen

Jan Hollnecker

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IM NETZWERK3Digitalisierung und ArztnetzeChancen und Herausforderungen

Was bringt die Digitalisierung für Arztnetze – werden sie möglicherweise überflüssig? Zu dieser provokanten Titelfrage war in der Podiumsdiskussion rasch ein Konsens gefunden. Lebhaft debattiert wurde unter anderem darüber, ob Arztpraxen zu einheitlichen Abrechnungssystemen gezwungen werden sollten.

Moderator Dr. Felix Cornelius setzt auf die Titelfrage bewusst noch einen drauf: „Es gibt Arztnetze, die ma-chen einen Unterschied – zum Beispiel im Portemon-naie des Arztes oder für den Patienten und seine Be-handlung“, sagt er. „Und es gibt Arztnetze, die machen keinen Unterschied. Arztnetze, die einen Unterschied machen, brauchen die Digitalisierung. Den anderen hilft die Digitalisierung auch nicht.“ In die Rolle des Advocatus diaboli kann er sich natürlich auch deshalb begeben, weil alle drei Podiumsteil-nehmer sehr erfolgreiche Arztnetze vertreten – und in diesen digitale Tools nicht nur anwenden, sondern auch selbst entwickeln: „In den Arztnetzen haben wir

in den letzten 13 Jahren die Digitalisierung vorangetrie-ben“, betont Dr. Manfred Klemm, Vorstandsvorsitzen-der der Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG.

„Arztnetze brauchen keine Digitalisierung, weil in ihnen von Mund zu Mund gesprochen wird“, findet Dr. Christian Daxer, Ärztlicher Beirat der Gesundes Kinzigtal GmbH. „Aber wir können mehr als das: Ohne Digitalisierung haben wir keine Optimierungsmöglich-keit.“ Erst durch die Digitalisierung werde der Aus-tausch von Daten und Feedback möglich. Entwickeln müsse sich das jedoch Bottom-up, also aus den Praxen heraus, wodurch auch die Akzeptanz steige.

Dr. Christian Daxer, Claudia Schrewe, Dr. Manfred Klemm, Dr. Felix Cornelius

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IM NETZWERK3Klemm sieht Arztnetzwerke überhaupt nicht in Gefahr, im Gegenteil angesichts einer neuen Generation von Medizinern, die bald ins Gesundheitswesen eintritt: „Die nächste Generation will im Fachverbund, im Austausch arbeiten“, sagte er. „Und dann kommt die Digitalisierung sinnstiftend voran.“ Sinnstiftend heiße, dass Patientendaten nicht nur zwischen den Ärzten, sondern auch mit Pflegenden, Apothekern und Kliniken ausgetauscht würden – und die Arztnetze diese Kommunikationsform zudem zum Patienten tragen. Davon ist Deutschland jedoch weit entfernt. Warum eigentlich?, will Moderator Cornelius wissen. Inzwischen sei es doch sogar möglich, auf dem Weg zum Coffee Shop per App seinen Kaffee zu bestellen und zu bezahlen, so dass er bei Ankunft abholbereit am Tresen stehe. Die Behandlung eines multimorbiden Patienten mit mehreren Ärzten sei eben einen Tick komplexer, als einen Kaffee im Shop zu bestellen, antwortet Klemm. „Der kommt nicht mit einem Medikamentenplan aus, der hat oft sieben. Und dann stellt sich die Frage: Wer hat in der Behandlung den Hut auf?“ Ein weiterer Grund sei die Schnittstellen-problematik zwischen ambulant und stationär, ergänzt Daxer: „Das sind zwei Interessengruppen, die sich nicht verstehen. Selbst innerhalb eines Krankenhauses funktioniert es nicht.“

Ein wunder Punkt, den auch Claudia Schrewe, Frei-berufliche Beraterin und langjährige Geschäftsführerin des Arztnetzes Bünde, betont: „Unsere erste Pflicht ist es, die Mitglieder in unserem Netz von Arbeits-prozessen zu entlasten.“ Für eine Digitalisierung fehlten aber immer noch die Basics – sowohl für das Datenmanagement als auch für die Abbildung von Praxisprozessen: Im Netzwerk gebe es bislang keine Möglichkeit, Daten zu aggregieren, und: „Die Selektiv-verträge sind eine Black Box.“

Daxer plädiert für mehr Eigeninitiative und notfalls auch für Druck auf die Ärzte, ihre Abrechnungs-systeme zu vereinheitlichen. Ein Arztnetz sei ein träges System, das auf Linie gebracht werden müsse. In seinem eigenen Netz würden sechs verschiedene PVS verwendet – und das sei schon besser als früher: „Wir hatten mal 15.“ Fast 80 Prozent der Ärzte hätten sich inzwischen für ein gemeinsames PVS entschieden.

„Wir werden aber nie 100 Prozent hinbekommen – und daran hängt’s.“ Die Gesundes Kinzigtal GmbH habe deshalb eine Plattform entwickelt, auf der unabhängig von den PVS alle Ärzte miteinander kom-munizieren könnten ( → mehr dazu auf Seite 51).

„Wir sind die Kunden der Anbieter. Warum müssen wir ein PVS benutzen?“, widerspricht Claudia Schrewe. „Es gibt einen Markt mit mehreren Anbietern, es muss doch möglich sein, dass es ein gemeinsames Daten-Pooling gibt.“ Ein Zuhörer pflichtet ihr bei: Warum eigentlich die Arztpraxen dieses Problem lösen sollten, nachdem dafür doch Milliarden in die Gematik gesteckt worden seien. Ein anderer Zuhörer berichtet vom Praxisnetz Solimed in Solingen, in dem alle Ärzte auf ein homogenisiertes PVS umgestiegen sind. „Das hat Vorteile im Alltag, war aber nur über Förder-projekte zu finanzieren.“ Er plädiere für die Öffnung der Schnittstellen.

„Wir müssen eine Plattform haben und selber ent-wickeln“, fordert Daxer von den Ärzten. „Es geht um die Globalversorgung.“ Claudia Schrewe hält dagegen: „Ich schätze die Weitergabekultur zwischen Insellösungen sehr. Alleine entwickeln würde ich da nicht, schon gar nicht umsonst.“ Es liege in der Ver-antwortung der Hersteller, entsprechende Lösungen zu entwickeln, und hier hapere es gewaltig: „Dass halbgare Produkte verkauft werden, die im Netzwerk weiterentwickelt werden sollen – das kann es nicht sein.“

Dr. Christian DaxerGesundes Kinzigtal GmbH, Hausachgesundes-kinzigtal.de

Dr. Manfred KlemmRegionales Gesundheitsnetz Leverkusen eGgesundheitsnetz-leverkusen.de

Claudia SchreweFreiberufliche Beraterin, Preußisch Oldendorfclaudia-schrewe.de

Dr. Felix Cornelius (Moderation)Spreeufer Consult GmbH, Berlinspreeufer-consult.de

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IM NETZWERK3Arzt und Pflegeheim Hand in HandChancen und Herausforderungen der Kooperation

Seit Januar 2019 sind Pflegeheime verpflichtet, Kooperationsverträge mit Ärzten zu schließen – laut Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Doch worauf ist bei einer solchen Zusammenarbeit zu achten? Zwei Ärzte, die schon lange auf freiwilliger Basis entsprechende Kooperationen aufgebaut haben, berichten von ihren Erfahrungen.

Sie sind meist hochbetagt und hochgradig multi-morbid; ihr Betreuungsbedarf ist hoch, ebenso wie der Bedarf an Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln: Seniorinnen und Senioren, die im Pflegeheim leben, sind ganz besonders auf kompetente und engmaschige haus-ärztliche Versorgung angewiesen. Doch bei vielen Hausärzten ist die Versorgung von Heimpatienten nicht gerade beliebt. Warum das so ist, schildert der Allgemeinmediziner Dr. Matthias Starrach: Da oftmals eine klare Koordination dieser so wichtigen Zu-sammenarbeit fehle, binde die Betreuung von Pflege-bedürftigen im Heim viel Zeit und Kapazitäten. So werde der Praxisablauf häufig durch Anrufe gestört,

die Weitergabe von Informationen sei oft ungenau. Insgesamt sei der organisatorische Aufwand sehr hoch, gerade wenn mehrere Einrichtungen versorgt werden. Für die Pflegenden wiederum stellten Arzt-visiten eher eine Störung des bewohnerorientierten Tagesablaufes dar und bedeuteten damit zusätzlichen Arbeitsaufwand.

Ganz ähnliche Herausforderungen formuliert Dr. Markus Jäger-Rosiny, Geschäftsführer des Winsener aerztenetzes elan. „Da prallen zwei Welten auf-einander“, bringt er es auf den Punkt und skizziert die weitreichenden Folgen einer unzureichenden

Dr. Matthias Starrach, Dr. Frank Stenhorst, Dr. Markus Jäger-Rosiny

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IM NETZWERK3Kooperation: ungeregelte Hausbesuchsanforderungen „bei Bedarf“, unnötige Notfalleinweisungen mit ge-häuften Durchgangssyndromen bis hin zur Zunahme von multiresistenten Keimen sowie exorbitante Kostensteigerungen. Verschärft werde die Problematik noch von der Kombination aus Hausarztmangel, Pflegebettenüberschuss und Pflegekräftemangel. Als größtes Manko benennt Jäger-Rosiny den Mangel an gemeinsamen Standards und Absprachen sowohl auf ärztlicher Ebene als auch zwischen Arzt und Pflege.

Die gute Nachricht: Es geht auch anders. Beide Mediziner leben seit Jahren vor, wie Arzt und Pflege-heim erfolgreich miteinander arbeiten können. So wurden im aerztenetz elan regelmäßige Visiten durch die Netzärzte eingeführt, was beiden Seiten mehr Planungssicherheit bietet. Sowohl das Pflegeheim als auch der Arzt haben verlässliche Ansprechpersonen. Die ärztliche Versorgung erfolgt dabei gemäß medizinischer Leitlinien und Behandlungspfaden. Für einen gemeinsamen Dokumentations standard sorgt eine Dokumentationsmappe, die neben Diagnosen und Medikationsplan auch einen Notfallplan, ärztliche Befunde und gegebenenfalls Facharztberichte und Patientenverfügung umfasst. Die Etablierung klarer Strukturen hat laut Jäger-Rosiny spürbare positive Folgen: weit weniger Anrufe außer der Reihe, bessere Planbarkeit, weniger ungeregelte Einweisungen. Zu-dem sei dank des Netzwerks kein zusätzlicher Bereit-schaftsdienst notwendig – was ein Plus an Zeit bringe. Im Rahmen von Kooperationsverträgen werden die ärztlichen Leistungen vergütet.

Um Planbarkeit und Koordination zu verbessern, hat auch Dr. Starrach wöchentliche Visiten zu festen Zeiten etabliert und klare Verantwortlichkeiten in der Praxis festgelegt. Für jede Einrichtung sei dabei eine Medizinische Fachangestellte (MFA) zuständig. Zudem empfiehlt er, nichtärztliches Personal intensiv einzusetzen und Routineaufgaben wie zum Beispiel die Wundversorgung zu übertragen. Diese Delegation ärztlicher Leistungen könne durch Telemedizin noch weiter gefördert werden, wie durch den TeleArzt-Ruck-sack: Er ist mit sensorischen Messgeräten für die Be-

stimmung von EKG, Blutzucker oder Lungenfunktion ausgestattet, die digital per Tablet erfasst und in die Praxis-EDV gespielt werden können. Bei Bedarf ist auch die Videotelefonie mit dem Arzt möglich. Empfehlenswert für die optimale Versorgung von Heimbewohnern sei auch die direkte Einbindung von Fachärzten wie Psychiater, HNO-Arzt, Gynäkologe oder Zahnarzt mit regelmäßigen Visiten. Ärzten, die eine Kooperation mit einem Pflegeheim anstreben, empfiehlt Dr. Starrach eine proaktive Herangehens-weise: „Gehen Sie mit Ihrem Versorgungskonzept auf die Pflegeeinrichtung zu und erarbeiten Sie zusammen Abläufe, die zur Win-Win-Situation führen. Quali-fizieren Sie Ihre MFA´s. Nutzen Sie digitale Techniken. Und rechnen Sie vollständig ab“, so sein Appell.

„Entscheidend ist, die Verträge im Konsens zu erarbeiten und relevante Player einzubinden“, findet auch Dr. Jäger-Rosiny. Nur so könne echtes Verständnis für die Situation der anderen Beteiligten aufgebracht werden, was wiederum dafür notwendig sei, praktikable Lösungen zu finden und langfristig verlässlich arbeiten zu können. Dabei gelte es, wirklich alle Beteiligten einzubeziehen: auf Praxisseite Arzt und nichtärztliches Personal, auf Pflegeheimseite neben der Pflegedienstleitung auch Stationsleitung sowie die zuständigen Pflegefachkräfte, und darüber hinaus weitere involvierte Berufsgruppen wie Apotheker, Fachärzte, Physiotherapeuten oder Wundmanager. Für den regelmäßigen Austausch empfiehlt Jäger-Rosiny wöchentliche oder zweiwöchentliche Treffen, bei denen VerAH, Arzt und Pflege den Status der Be-wohnerinnen und Bewohner besprechen.

Dr. Markus Jäger-Rosinyaerztenetz elan, Winsen/Luheaerztenetz-elan.de

Dr. Matthias Starrach Gemeinschaftspraxis Starrach und Kollegen, Bad Sulzagemeinschaftspraxis-starrach.de

Dr. Frank Stenhorst (Moderation)BERLIN-CHEMIE AG, Berlinberlin-chemie.de

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IM NETZWERK3Schwerpunkt MVZ15 Jahre Medizinisches Versorgungszentrum In Kooperation mit dem BMVZ e. V.

Seit 2004 können Medizinische Versorgungszentren an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmen. Damals noch ungeliebt, ist das MVZ heute nicht mehr aus der ambulanten Versorgungslandschaft wegzudenken. Gleich drei Veranstaltungen haben sich mit dem Thema MVZ befasst und sowohl die historische Entwicklung als auch aktuelle Gesetzgebung sowie Hintergründe zu Gründung und Betrieb von MVZ beleuchtet.

MVZ – DIE VORGESCHICHTE

Einen komprimierten Abriss über die Entwicklung der ärztlichen Zusammenarbeit in der ambulanten Versorgung liefert Susanne Müller, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Medizinische Versorgungs-zentren – Gesundheitszentren – Integrierte Versorgung e. V. (BMVZ): von ersten Praxisgemeinschaften von Ehepartnern mit gleicher Fachrichtung in den 1950er Jahren über Gruppenpraxen der 1970er bis hin zur Konfrontation mit dem DDR-System der Polkliniken Anfang der 1990er Jahre. Diese habe man nach der Wende konsequent abgewickelt und gleichzeitig die Niederlassung zum Goldstandard der ambulanten Ver-sorgung erhoben – bis vor 15 Jahren aus materiellen Erwägungen der Wiederaufbau als MVZ begann. Heute stünde die Zusammenarbeit von Ärzten auf drei Säulen: Berufsausübungsgemeinschaft (BAG), Arztnetze und MVZ. Alle drei hätten ihre Berechtigung; Unterschiede bestünden vor allem in der Organisation.

Zum Thema Einzelarzt versus Zusammenschlüsse und Kooperationen werde seit Jahrzehnten eine gleichermaßen rationale wie irrationale Diskussion geführt, ergänzt Franz Knieps vom BKK-Dachverband die historische Einordnung. Nach der Wende sei im Osten manch ein Arzt „geradezu in die Niederlassung gezwungen” worden, während gleichzeitig das Netz

der Polikliniken zusammengebrochen sei. Um die offensichtlichen Koordinierungs- und Versorgungs-schwierigkeiten in den Griff zu bekommen, stünde aber seit 1998 die Forderung nach kooperativen Strukturen wieder auf der Tagesordnung. Das MVZ sei daher eine „Erfolgsgeschichte und zugleich ein Stachel im Fleisch der niedergelassenen Ärzteschaft”.

MVZ HEUTE: MEHR GESETZLICHER SPIELRAUM

Die MVZ-Erfolgsgeschichte lässt sich recht deutlich an Zahlen ablesen: Waren es 2004 rund 70 derartige Einrichtungen, stieg die Zahl 2017 auf über 2.800. Häufigste Rechtsform sei die GmbH, an zweiter Stelle stehe die GbR, und viele der Medizinischen Versorgungszentren seien keines von beidem, sondern eng mit einem einzelnen Unternehmer verbunden. Als Versorgungsform sei das MVZ eher im städtischen Raum mit guter Infrastruktur angesiedelt. Durch-schnittlich würden in einem MVZ 4,5 Ärzte arbeiten, allerdings teilten sich oft mehrere niedergelassene Ärzte eine Stelle.

Das im Mai 2019 in Kraft getretene TSVG wird den Aufschwung von MVZ allem Anschein nach weiter beflügeln, denn es erweitert die Gründungsmöglich-keiten: So könnten nun nicht nur Vertragsärzte,

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IM NETZWERK3sondern auch jahrelang angestellte Ärzte Gründer sein – für das MVZ, in dem sie tätig sind und solange sie dort tätig sind. Dies sei eine gute Lösung für die Übergabe, erklärt Müller, denn viele der ursprüng-lichen Gründer kämen langsam ins Rentenalter. Auch die Kriterien für die Nachfolgervergabe bei freien Arzt-sitzen seien erweitert worden: Ein neuer Sitz müsse nicht mehr zwangsläufig an den MVZ-Hauptstandort gehen, sondern könne als Zweigstelle weiterexistieren. Denn das Kriterium „Verbesserung der Versorgung” sei auch erfüllt, wenn Vorhandenes erhalten bliebe.

Das neue Gesetz habe zudem rechtliche Bevor-zugungen oder Nachteile” zwischen MVZ, BAG, Arztnetz und Praxen mit angestellten Ärzten abgebaut. Nun müsse man darauf achten, „dass der politische Wille nicht in der regionalen Umsetzung durch die Krankenversicherungen oder auf der Honorarebene konterkariert” werde.

KOOPERATIONEN SIND DIE ZUKUNFT

Demographie, zunehmende Bedeutung ambulanter Versorgungsformen sowie der Wunsch junger Ärzte nach Anstellung und kürzeren, familienfreund-lichen Arbeitszeiten erforderten immer stärker „Kooperationen statt Einzelkämpfer”, betont Kieps. Der Arztberuf werde weiblicher, digitalisierter und entwickle sich weg von den „Tante-Emma-Strukturen der Niedergelassenen”. Obwohl das System sehr „be-harrungskräftig” sei, habe sich in den letzten Jahren die politische Debatte gedreht. Nichtsdestotrotz hiel-ten sich hartnäckig Vorurteile wie „sozialisierte Staats-medizin” oder vermeintlich fehlende Unabhängigkeit von MVZ-Ärzten im Vergleich zu Klinikärzten.

Kooperative Behandlungsformen, so wird auch in der Diskussion mit dem Publikum deutlich, sind die Zukunft, egal unter welchen Namen. Das Thema müsse entpolitisiert werden, so der Tenor, denn der niedergelassene Einzelarzt sei ein Auslaufmodell. Effizienz dürfe allerdings nicht mit Selbstausbeutung verwechselt werden, zudem müsse man regional stär-ker ins Gespräch kommen, um Gestaltungsspielräume und Freiheiten für die Ärzte zu schaffen. Letztlich sei

aber immer das oberste Ziel, die Patienten bestmög-lich zu versorgen.

Das neue TSVG setzt die langjährigen Bemühungen um Kooperation und andere Themen fort, wie aus der Analyse von Referent Robin Rüsenberg hervorgeht. Neben Terminvergabe und Versorgung habe der Gesetzgeber noch etliche weitere Themen in dieses „Omnibusgesetz” hineingepackt, beispielsweise Digitalisierung und elektronische Patientenakte, haus-arztzentrierte Versorgung und Selbstverwaltung. Wie genau das Zusammenwirken von Terminservicestellen, mehr Mindestsprechstunden, die als eine Art Über-laufventil gedacht seien, und einer besseren Sprech-stundenvergütung funktionieren werde, sei noch nicht geklärt. Im Wesentlichen, so sein Fazit, folge das TSVG den im Koalitionsvertrag festgelegten Zielen und setze zugleich mit einem Sammelsurium von Regelungen langfristige Trends fort. Zu diesen zählten der Einfluss der Länder, regionale Kollektiverträge oder das Primat der Politik. Zunächst gehe es aber um die Weiterführung eines bereits eingeschlagenen Weges: Dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche” folgend erhöhe das TSVG die finanziellen Ressourcen der ambulanten Versorger – und verstärke gleichzeitig die Detailsteuerung.

Franz KniepsBKK Dachverband e. V., Berlinbkk-dachverband.de

Susanne MüllerBundesverband Medizinische Versorgungszentren – Gesundheitszentren – Integrierte Versorgung (BMZV) e. V., Berlinbmvz.de

Robin RüsenbergDeutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) e. V., Berlindagnae.de

Dr. Peter Velling (Moderation)Bundesverband Medizinische Versorgungszentren – Gesundheitszentren – Integrierte Versorgung (BMZV) e. V., Berlinbmvz.de

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IM NETZWERK3MVZ: Erfolgreiche Gründung und BetriebGesetzgeber reagiert auf Trends in der MVZ-Arbeitswelt

Die Möglichkeiten zur MVZ-Gründung sind in den letzten Jahren immer variabler geworden. Für wen ist diese Versorgungsform interessant und was gilt es zu beachten? Ein Überblick zu den juristischen, steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Aspekten.

Vom ungeliebten Stiefkind zum relevanten Player habe sich die Versorgungsform MVZ entwickelt, betont auch Moderator Moritz Lampert im Workshop zu Gründung und Betrieb von MVZ. Während sich die Zahl der MVZ-Vertragsärzte in den letzten 15 Jahren etwa verzehnfacht und von 144 auf 1.586 gestiegen sei, sei die Anzahl der angestellten MVZ-Ärzte gerade-zu exponentiell gewachsen von 107 auf 16.419. Dieser Zuwachs kommt nicht von ungefähr, sondern reflek-

tiert die gesetzlichen Veränderungen, wie Prof. Bernd Halbe klarstellt. Insbesondere in der Zahnmedizin sei ein sprunghafter Anstieg der MVZ-Gründungen zu verzeichnen, seit die Gesetzeslage auch den fachgleichen Zusammenschluss zulasse. Das TSGV gestatte nun auch zertifizierten Praxisnetzen sowie angestellten Ärzten die MVZ-Gründung. Spezial-regelungen habe der Gesetzgeber mit unterschied-lichen öffentlich-rechtlichen Rechtsformen nun auch

Prof. Dr. Bernd Halbe

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IM NETZWERK3für Kommunen vorgesehen. Bei alldem müsse man jedoch im Auge behalten, welche Konsequenzen sich aus der Erhöhung der Mindestsprechstunden, der extrabudgetären Vergütung sowie der Flexibilisierung der Teilzeitmöglichkeiten ergeben.

Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, Medizinrecht – bei Gründung und Betrieb eines MVZ greifen unterschied-liche steuerliche Rahmenbedingungen ineinander, die sich zum Teil widersprechen oder zumindest schlecht kompatibel sind, stellt Dr. Florian Müller-Krönke von der Doctores Steuerberatungsgesellschaft mbH fest. Sehr viele MVZ seien Personengesellschaften; bei einem Verkauf nach relativ kurzer Zeit gebe es demzufolge steuerliche Risiken. Daher könne die Umwandlung in eine GmbH Sinn machen, sie sei allerdings nur über mehrere Zwischenstufen möglich. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liege darin, dass alte Mietverträge auf die neue GmbH übergingen. Bei Gemeinschaftspraxen müssten hingegen neue Gesellschafterverträge geschlossen werden sowie Nachhaftung und Fristen geklärt werden. Auch bei der GmbH-Gründung durch Kapitalerhöhung aus einer Einzelpraxis heraus seien Nachverhandlungen mit dem Vermieter notwendig. Für Dr. Müller-Krönke besteht das größte Problem der Einzelrechtsnachfolge in den mit sieben Jahren sehr langen Haltefristen, wenn man steuerliche Nachteile vermeiden will. Auch bei doppelstöckigen Kapitalgesellschaften gebe es diese Frist, allerdings könnten finanzielle Mittel dort auch für Reinvestitionen genutzt werden. Um die Risiken und Möglichkeiten der einzelnen Rechtsformen gegen-einander abzuwägen, sei also steuerlicher Beistand angeraten.

Frank Welz von der med.concept GmbH knüpft aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu den Vor- und Nach-teilen unterschiedlicher Rechtsformen an. Hinsichtlich Management und Steuerung des Unternehmens sei die entscheidende Frage, wie viele Personen beteiligt

und wie viele Meinungen es entsprechend gebe. Durch das TSVG würden sich nun betriebswirtschaft-liche Wichtungen verschieben – mit Auswirkungen bis hin zur Honorierung. So werde zurzeit der Ein-heitliche Bewertungsmaßstab (EBM) überarbeitet, um ambulante Leistungen an die Forderungen des TSVG anzupassen, insbesondere durch eine Auf-wertung der Gesprächsleistungen. Aus Sicht des Datenschutzes sei es aber ein Ding der Unmöglichkeit, dass Videosprechstunden auch noch per Skype ab-gewickelt würden. Zudem sei es im Behandlungsfall oft schwierig, die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen: Innerhalb eines MVZ gebe es keine Überweisung, ungeklärt sei die Definition des „Neupatienten” und einige Fachgebiete hätten besonders hohe Fallzahlen bei limitierten Arbeitszeiten, was die Plausibilität bei der Abrechnung erschwere. Denn wer im OP stehe, habe logischerweise weniger Fälle als ein Chirurg mit Kleinverletzungen. Offen sei zudem, was die Budget-umstellung bringen werde. Es bliebe daher schwierig, die Einhaltung des Versorgungsauftrags zu über-prüfen. Weil so vieles am TSVG noch nicht stimmig sei, müsse man die noch ausstehenden Durch- und Umsetzungsrichtlinien genauestens prüfen.

Prof. Dr. Bernd HalbeDr. Halbe und Partner Rechtsanwälte, Köln und Berlinwww.medizin-recht.com

Dr. Florian Müller-KrönckeDOCTORES Steuerberatungsgesellschaft mbH, Berlinwww.mkkd.de

Dipl.-Ing. Frank WelzMCG med.concept GmbH, Frankfurt/Oderwww.bmvz.de/mitglieder/fordermitglieder/med-con-cept-gmbh-frankfurtoder

Simon-Moritz Lampert (Moderation)BERLIN-CHEMIE AG, Berlinwww.berlin-chemie.de

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IM NETZWERK3MVZ: Gründung durch Netzwerke Ein Plus an Versorgungssicherung

Das TSVG ermöglicht nun auch anerkannten Arzt- und Praxisnetzen, ein MVZ zu gründen – und das nicht nur, wie im Kabinettsentwurf noch vorgesehen, in nachweislich unterversorgten Regionen. Vier Praktiker, die in dieser Hinsicht Vorreiter sind, stellen hier ihren persönlichen Weg vor.

Dr. Carsten Jäger ist Geschäftsführer der JGM GmbH und hat schon 2012, also sieben Jahre vor der Gesetzesnovelle, mit seinem Ärztenetz in Süd-brandenburg ein MVZ gegründet. Vielschichtig seien die Erwartungen an so einen Schritt: So wünschten sich die Gesellschafter Rendite oder zumindest eine

„schwarze Null“, die Netzärzte profitierten von at-traktiven Arbeitsbedingungen in Anstellung und auch Nachfolge und Praxisübernahme seien geklärt. Nicht zuletzt jedoch gehe es auch um die Verantwortung für die Patientinnen und Patienten des Arztnetzes und die Versorgungssicherung gerade in strukturschwachen Regionen. Im südbrandenburgischen Landkreis

Elbe-Elster ist die drohende Unterversorgung schon lange deutlich zu spüren. „Das Land Brandenburg hat als einziges Bundesland keine Universitätsklinik. Haus-ärzte bleiben überwiegend am Wohnort, die Fachärzte am Ausbildungsort“, führt Jäger aus. Seit 1990 sei die Einwohnerzahl um 31 Prozent geschrumpft; neben der Bevölkerung sei auch die Ärzteschaft mit einem Anteil von 35 Prozent über 60 Jahren von Überalterung betroffen. Grund genug also, für Ärztinnen und Ärzte attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Die Gründung eines MVZ könne sich für Netze durchaus lohnen, berichtet Jäger, denn damit könne man ihre Reputation in der Region stärken, die Versorgung effizienter gestalten und auch jüngere Ärzte zur Niederlassung bewegen, etwa auch durch eine Art beiderseitiger Probezeit. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zulassung sind laut Jäger die entsprechende Kompetenz, berechtigte Gründer, eine Immobilie, mindestens zwei Ärztinnen oder Ärzte und eine gesicherte Finanzierung. „Eine Gründung ist eine komplexe Sache. Dafür braucht man eine gefestigte Struktur, das ist nichts für neuere Arztnetze“, gibt Jäger zu bedenken. „Dabei sollte man aber nicht vergessen: MVZ von Netzen haben die gleichen wirtschaftlichen und rechtlichen Zwänge wie andere auch.“

Einen anderen Weg ist Dr. Michael Jager, Vorstand der medicus Eifler Ärzte eG, gegangen. „Wir haben uns als Genossenschaft entschieden, ein MVZ zu

Dr. von Meißner

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IM NETZWERK3

gründen. So sind alle Mitglieder gleichberechtigt und können sich selbst verwalten. Außerdem sind Ein- und Austritt in die Genossenschaft einfach, und der einzelne Arzt trägt kein Risiko“, erklärt Jager. „Bei uns handelt es sich um ein dezentrales MVZ, mit neun Standorten. Das bedeutet, das MVZ besteht aus den einzelnen Praxen der Genossen. Die Genossenschaft übernimmt als Träger auch die Bezahlung der Ärzte. Ich bin jetzt in meiner eigenen Praxis angestellt“, sagt Jager. Doch der Weg zur Zulassung des MVZ sei lang gewesen und wäre fast an der Regressabsicherung gescheitert: „Nach eineinhalb Jahren Streit mit der KV Rheinland-Pfalz haben wir endlich die Zulassung bekommen. Ich bin sehr enttäuscht, wie viele Steine uns dabei in den Weg gelegt wurden.“ Doch auch wenn noch viel Arbeit vor ihnen läge, würde es sich lohnen: „Es ist ein einfaches und tolles Konzept, das eine gute medizinische Versorgung der Patienten, mit deutlich weniger Ärzten sicherstellen kann“, ist Jager überzeugt.

Als Freiberufler im MVZ tätig – auch das geht: In Ba-den-Württemberg steht ihnen dabei der Mediverbund, ein Berufsverband für niedergelassene freiberufliche Ärzte, als Gesellschafter zur Seite. „Junge Ärzte wollen heute angestellt sein. Also haben wir uns als Verband von Freiberuflern gefragt, wie man diese Ärzte dennoch zur Freiberuflichkeit bewegen kann“, sagt Wolfgang Fink, Projektleiter MVZ der Mediver-bund AG. „Medi selbst kann kein MVZ gründen, daher sind die Gründer immer freiberuflich tätige Ärzte. Wir übernehmen dafür als Gesellschafter Risiken und Verwaltungsaufgaben, um die Ärzte zu entlasten“, so Fink. Im Zentrum des Modells stehe das Medi-MVZ

mit Angestellten-Strukturen. Im zweiten Schritt erfolgt die Gründung von Zweigpraxen. „In diesen Zweig-praxen sitzen Ärzte mit Interesse an einer späteren Freiberuflichkeit“, erklärt Fink. „Wenn gewünscht, können die Zweigpraxen mit Hilfe von Medi in Einzel-praxen oder Berufsausübungsgemeinschaften um-gewandelt werden. Damit bietet Medi einen Übergang in die Freiberuflichkeit mit kalkulierbarem Risiko“, so Fink. „Genau solche Perspektiven brauchen junge Ärzte, um zukünftig die Versorgung auf dem Land zu übernehmen.“

Dass dieses Modell attraktiv ist, kann Dr. Wolfgang von Meißner bestätigen. Er ist zugleich Gesellschafter der „Ärzte am Reichenbach Medi-MVZ GmbH“ und Arzt in einer Gemeinschaftspraxis. „Wir haben das MVZ Reichenbach innerhalb eines Jahres aufgebaut, inklusive Umbau einer ehemaligen Volksbankfiliale“, so von Meißner. Dank des MVZ konnten sie auch die plötzliche Schließung einer Praxis in einer benach-barten Ortschaft ausgleichen. Dort kam ein Arzt aus dem Ruhestand zurück in seine alte Praxis – allerdings unter der Leitung des MVZ, als Zweigpraxis. „Wir entlasten den Kollegen bei der bürokratischen Arbeit, so kann er sich voll auf seine Tätigkeit als Arzt konzen-trieren. Bei Bedarf kann auch ein Kollege aus der MVZ Reichenbach unterstützen“, so von Meißner.

Wolfgang FinkMEDIVERBUND AG, Stuttgartmediverbund-ag.de

Carsten JägerJGM GmbH, Nuthetaljgm-gmbh.de

Dr. Michael Jagermedicus Eifler Ärzte eG, Bitburgmedicus-eg.de

Dr. Wolfgang C.G. von Meißner, MHBAPraxisgemeinschaft Hausärzte am Spritzenhaus, Baiersbronnhausaerzte-am-spritzenhaus.de

Dr. Peter Voß (Moderation)BERLIN-CHEMIE AG, Berlinwww.berlin-chemie.de

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DIE ELEKTRONISCHE PATIENTENAKTE IM FOKUS

Bis 2021 soll sie für jeden verfügbar sein: die elektronische Patientenakte (ePA). So steht es im Koalitionsvertrag, und so wird es in Gesetzen und Änderungsanträgen umgesetzt. Die Debatte nimmt somit spürbar an Fahrt auf. Grund genug, sie beim Kongress für Gesundheitsnetzwerker besonders ausführlich zu beleuchten: Gleich drei Veranstaltungen befassten sich mit den Plänen und Ideen zur digitalen Akte und gaben Einblicke in die großen Hoffnungen aber auch Befürchtungen rund um die Digitalisierung von Patientendaten.

4KAPITEL

IM FOKUS

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IM FOKUS4Perfektionismus ade!Neuer Schwung für die elektronische Patientenakte

Seit 15 Jahren wird an ihr gearbeitet – jetzt hat die Bundesregierung für die elektronische Patientenakte einen Redaktionsschluss genannt. Spätestens Anfang 2021 sollen alle Krankenkassen sie ihren Versicherten zur Verfügung stellen. Wenn nicht, gibt es Sanktionen. Eine klare Ansage – doch das ePA-Konzert bleibt vielstimmig. Ein Stimmungsbild der verschiedenen Perspektiven, Hoffnungen und Ängste.

DIE POLITIK – NUN ABER TEMPO!

Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ist zu einer besonderen Form des politischen Intervall-trainings geworden. Nach fast 15 Jahren gemütlichen Dahinschlenderns sollen die Akteure die letzten ein bis zwei Jahre plötzlich im Dauersprint zurücklegen. So zumindest hat es ihnen der neue Cheftrainer, Gesundheitsminister Jens Spahn, ins Gesetzbuch ge-schrieben: Im Januar 2021 soll die ePA anlaufen, be-sagt das neue Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Und genauso wird es auch kommen, macht Dr. Gottfried Ludewig, zuständiger Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, beim Kongress für Gesundheits-netzwerker unmissverständlich klar. Ludewig ist das Gesicht der neuen Entschlossenheit. Seine Abteilung gibt es erst seit April 2018. Er ist mit 37 Jahren relativ jung und kennt als Volkswirt und Ex-CDU-Landes-politiker den Medizinbetrieb nur aus der Beobachter-position. Das System vor sich her zu treiben, scheint nun seine Aufgabe zu sein.

Das Thema ePA bewegt die Gemüter und nimmt beim diesjährigen Kongress für Gesundheitsnetz-werker entsprechend viel Raum ein. Ärzte, Patienten, Industrievertreter – alle sollen zu Wort kommen. Und alle haben Bedenken, wie es sich für eine gesund-heitspolitische Entscheidung fast schon gehört. Als erstes sind da die Krankenkassen: Sie sollen die elek-tronische Infrastruktur für den Anschluss von Kliniken

und Arztpraxen bezahlen. Warum eigentlich, will die AOK-Ver-treterin bei der abschließenden Podiumsdiskussion vom Politiker Ludewig wissen. Schließlich sei Infrastruktur eine Staatsaufgabe. Nicht nur an diesem Punkt wird

deutlich, wie man Außenseitertum in einen Vorteil verwandeln kann. Unbekümmert umdribbelt Ludewig die Grundpfeiler des Gesundheitssystems. Die Infra-struktur sei ein geldwerter Vorteil für die Kassen, lässt er den Fragesteller wissen. Und außerdem habe man ja schließlich eine Selbstverwaltung. Dass die Politik diese auch beschneiden könne, muss er nicht mehr aussprechen.

Der lange Stillstand in Sachen ePA hat auch bedeutet, dass manche Akteure am System vorbei gehandelt haben. Es gibt nicht mehr eine, sondern viele Mi-ni-Lösungen, die auf die Interessen und Bedürfnisse ihrer Anbieter zugeschnitten sind. Sie alle, Ärztenetze,

„Die Krankenkassen sollen die elektronische Infrastruktur bezahlen“

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IM FOKUS4Krankenkassen und IT-Unternehmen, müssen ihre bestehenden Konzepte jetzt an die Vorgaben des neuen Gesetzes anpassen und von der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (ge-matik) genehmigen lassen. Dabei konzentrieren sich, wie auf dem Kongress deutlich wurde, die Sorgen der Ärzteschaft auf vier Punkte: Patientenrechte und

Datenschutz, wissenschaftliche Verwertbarkeit der Daten, Arzthaftung und Kompatibilität der bestehenden IT-Systeme.

Dr. Gottfried Ludewigwww.bundesgesundheitsministerium.de

DIE ÄRZTE – DATENSOUVERÄNITÄT UND HAFTUNGSÄNGSTE

Nicht erst seit der Diskussion um die Datenschutz-grundverordnung (DSGVO) ist der Umgang mit den Patientendaten ist ein großes Thema bei der Gestaltung der ePA. Dass Patientinnen und Patienten berechtigt werden, ihre Gesundheitsdaten selbst zu verwalten, löst einige Sorgen aus, ob die zur Ver-fügung stehenden Daten dann auch verlässlich sind. In der Realität ist es mit dem Datenschutz allerdings nicht weit her, wie die persönlichen Erfahrungen von Michael Franz, Compugroup, lebhaft zeigen: Klebe-zettel an der Wand mit wichtigen Informationen sind Realität in deutschen Krankenhäusern. Außerdem sehen die Ärzte unkalkulierbare Haftungsrisiken auf sich zukommen, wenn einzelne Patienten riesige Datenmengen in die Akte stellen, in der Erwartung, dass der Arzt oder die Ärztin sie bei Diagnose- und Behandlungsentscheidungen berücksichtigt.

„Das ist nur das online-Äquivalent zu den Akten-ordnern, die manche Patienten heute schon dabei-haben“, beschwichtigt die Rechtsanwältin Jana Junglas. Wenn der Arzt oder die Ärztin nicht alles anschauten, sei das noch kein Behandlungsfehler. Bestandteil der Anamnese seien solche Unterlagen hingegen schon. Eigentlich, so folgert sie, werde von den Ärzten nichts Unmögliches verlangt. Die ePA verstärke bestehende Haftungsrisiken nicht; die Daten seien elektronisch besser strukturiert und diese Strukturierung könne das Risiko, eine Information zu übersehen und dafür haften zu müssen, sogar senken.

Dr. Michael Bangemann vom Praxisnetzwerk Nürn-berg pflichtet ihr bei. Seit 20 Jahren arbeitet sein Netzwerk mit einer selbst entwickelten ePA-Variante, und Haftungsprobleme habe er noch nie erlebt. Bangemann sieht sein Modell als Lösung für gleich mehrere Probleme der ePA: Zur Datenübertragung nutzen die Nürnberger Praxisverwaltungssysteme (PVS) an den offenen Schnittstellen. Von dort gehen die Daten an ein Datenschutzcenter, wo sie in ge-meinsame Datenbank-Grundlagen konvertiert werden.

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IM FOKUS4Das bedeute zwar doppelte Speicherung, aber dafür sei das System flexibel und könne die PVS von etwa 60 unterschiedlichen Software-Herstellern integrieren; auch Kliniken, Labore oder Apotheken könnten an-geschlossen werden. Am wich-tigsten ist für Bangemann die Möglichkeit zur Auswertung der Datenbanken: Den Ärzten werde automatisch angezeigt, bei wel-chen Patienten Handlungsbedarf bestehe. Die Patienten könnten sich zum Beispiel an fällige Vorsorgetermine erinnern lassen. „Damit haben wir bei der Lungenkrankheit COPD die Zahl der Krankenhaus-Einweisungen um 90 Prozent gesenkt und gleichzeitig die Praxiserlöse verdoppelt“, berichtet Bangemann.

Auf Grundlage der Datenbank läuft in Nürnberg ein anonymisiertes Wissenschaftstool. Dieses Instrument vermissen Kritiker bei der nationalen ePA-Lösung. „Auch wir leiden unter der fehlenden strukturierten Datener hebung“, räumt Bangemann ein. „40 Prozent der Ärzte dokumentieren noch auf Karteikarten.“ Diese Daten seien für immer verloren. In eine ähnliche Rich-tung denkt auch die KV Bayern. Sie fordert neben der ePA eine Gesundheitsplattform für den therapeutischen

Dialog. Fabian Demmelhuber, Leiter des Referats „Ver-sorgungsinnovationen“, erklärt, Patienten sollten dort nur Leserechte bekommen. Nur so könnte die Reform überhaupt die Vorteile ausschöpfen, die auch das Be-

ratungsunternehmen McKinsey in der Digitalisierung des Gesund-heitswesens entdeckt hat. Dazu gehören vor allem die elektroni-sche Vernetzung unter Health Professionals und die neuen Möglichkeiten zu evidenzbasierter

Therapie. Dafür, so der Tenor gleich bei mehreren Re-ferenten, sei die ePA lediglich das Fundament.

Dr. Michael Bangemann Praxisnetzes Nürnberg Süd e. V., Nürnbergpns-nbg.de

Florian DemmelhuberReferat Versorgungsinnovationen der KV Bayerns, Münchenkvb.de

Michael FranzCompuGroup Medical SE, Koblenzcgm.com

Jana JunglasVorberg.law, Hamburgvorberg.law

Philipp Grätzel von Grätz (Moderation)Freier Journalist und Autor, Berlindukla.de

„40 Prozent der Ärzte dokumentieren noch

auf Karteikarten“

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IM FOKUS4„Die ePA muss kompatibel

ausgestaltet werden“

DIE PATIENTEN – EIN ECHTER NUTZEN NOCH NICHT IN SICHT

„Wenn Ärzte und Patienten nicht mitmachen, geht der Nutzen der Akte gegen null“, meint Markus Bönig, Geschäftsführer des niedersächsischen E-Health-An-bieters vitabook. Man müsse die ePA mit Anwendungen verknüpfen, die einen konkreten Patientennutzen bringen. Ein Beispiel sei das elektronische Rezept als Ersatz für die 670 Millionen Papierrezepte, die heute pro Jahr in Deutschland erstellt werden. Und man könne die elektronische Gesundheitskarte mit einem Aufkleber versehen, der den Notfall-Datensatz des Patienten enthält und auch international einsetzbar ist.

Den konkreten Patientennutzen hat auch Marcel Weigand vom Aktionsbündnis Patientensicherheit vor Augen: Die ePA solle als Behandlungsplattform ent-wickelt werden, zum Beispiel ausgestattet mit einem Zweitmeinungstool. Wenn sie außerdem helfen könne, durch Aufzeigen von Wechselwirkungen Medikations-fehler zu vermeiden, ließe sich die nötige Akzeptanz leichter herstellen. Für 2021 ist Weigand allerdings skeptisch. Zum einen gebe es noch keine flächen-deckende Telematik-Infrastruktur, zum anderen sei die Aufklärung lange noch nicht intensiv genug. Dann legt er den Finger auf einen weiteren wunden Punkt, der mehreren Referenten auf den Nägeln brannte: Die ePA müsse kassenübergreifend kompatibel ausgestaltet werden, um überhaupt Versorgungsforschung zu er-möglichen.

Wie sehr die systematische Analyse zusammen-gefasster Daten heute schon schwer kranken Patienten helfen kann, zeigt Prof. Dr. Roland Eils am Beispiel einer Gruppe austherapierter Krebspatienten des Uniklinikums Heidelberg. Eils, heute an der Berliner Charité tätig, hatte in Heidelberg bei 1.000 Patienten eine „daten getriebene Gensequenzierung“ vorgenommen. Die Ärzte suchten die Stecknadel im Heuhaufen – eine genetische Veränderung im Tumor, für die es eine zugelassene Therapie gab. Bei 56 Pro-zent der Patienten fanden sie einen Ansatzpunkt, und zwar binnen Stunden. Bioinformatiker und Onkologen bräuchten bis zur Therapieempfehlung an den Patien-

ten insgesamt elf Stunden Arbeitszeit, rechnet Eils vor. In der konventionellen Krebstherapie lägen je nach Tumorart vier bis sechs Wochen zwischen Proben-

entnahme und Beginn der Therapie. Bei fast der Hälfte ihrer Patienten erreichten Eils und sein Team eine Stabilisierung oder gar Ver-besserung ihres Zustandes,

und das obwohl diese Menschen vorher als unheilbar krank gegolten hatten. Die Möglichkeit, Daten zu sam-meln und zu aggregieren, sei grundlegend für diese Form der Therapie. Eils fordert, die Gesetzgebung zur ePA noch einmal aufzuschnüren. Die elektronische Gesundheitsakte müsse „raus aus dem Datengrab“.

Markus Bönigvitabook GmbH, Jesteburgvitabook.de

Prof. Dr. Roland EilsZentrum für Digitale Gesundheit des Berlin Institute of Health und der Charité – Universitätsmedizin Berlin bihealth.org

Marcel WeigandAktionsbündnis Patientensicherheit e. V., Berlinwww.aps-ev.de

Sebastian Vorberg (Moderation)Bundesverband Internetmedizin, Hamburgvorberg.law

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IM FOKUS4

FAZIT: KLEINE SCHRITTE STATT PERFEKTION

Es ist wie immer bei der Gesundheitsakte: Die Über-zeugten drängen vorwärts, den Skeptikern geht alles viel zu schnell. Aus diesem Dilemma glaubt Gottfried Ludewig einen politischen Ausweg gefunden zu haben. Im letzten Jahr hat die Bundesregierung kom-plett den Takt gewechselt. Sie hat sich vor allem von dem Gedanken verabschiedet, sofort die perfekte ePA zu schaffen. Stattdessen soll eine Modullösung kom-men. Dass die Basisversion, die spätestens für 2021 geplant ist, noch viele Wünsche offen lässt, weiß auch Ludewig. Ab 2025 soll es die wissenschaftskompatible Gesundheitsakte geben, verspricht er. Doch zunächst müsse die Basisversion auf die Beine gestellt werden. Deshalb hat das Ministerium in einem komplizierten Zirkelschluss die Verantwortlichkeiten neu verteilt. „Ein Konstrukt wie die gematik würden wir nicht mehr wählen“, blickt er selbstkritisch auf die vergangenen anderthalb Jahrzehnte zurück. „Das hat kein anderes Land so organisiert.“ Jetzt hat der Bund mit dem TSVG die Mehrheit in der gematik übernommen.

Die Interoperablität der Daten ist einer der Meilen-steine, die für sinnvolle Datennutzung in der ePA erreicht werden müssten. Dafür gibt es internationale Standards, deren Anwendung sich in Deutschland jedoch noch viel zu wenig durchgesetzt hat. Für diese Mission setzt sich Prof. Dr. Sylvia Thun auch bei der Podiumsdiskussion ein. Denn statt einem klaren Bekenntnis zu internationalen Standards und dem Erwerb entsprechender Lizenzen wurde im Gesetz nur eine Zuständigkeit festgelegt: Für diesen Kernbereich ist nun die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zuständig. Sie soll im „Benehmen“ mit den Interessen-verbänden festlegen, wie die Daten interoperabel werden können, so dass die Daten für alle Systeme gleichermaßen verständlich und lesbar werden.

Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, deutet die Schwierigkeit des Unterfangens an. Es gebe einen unterschiedlichen Bedarf an Digitalisierung je nach Fachgruppe und Patientenklientel. Alle müssten sich im Rahmen eines „normerläuternden Gesprächs“ mit der KBV auf internationale Standards einigen. Trotz des Zeitdrucks wolle man alle einbinden. Man könne jedoch nur mit standardisierten, austausch- und durch-suchbaren sowie ärztlich erhobenen Daten arbeiten. Ein heikler Punkt aus Sicht der Praktiker: So klagt ein Klinikgeschäftsführer, er könne im Alltag nicht 700 auf 300 digitale Systeme herunterschrauben. Die Offenheit der Schnittstellen sei nicht da. Ludewig entgegnet, die Kliniken sollten sich auch selbst kritische Fragen stellen, wenn in einzelnen Häusern nicht einmal die Stationen zusammenarbeiteten. Den Softwareunternehmen müsse man wohl „helfen“ ihre Schnittstellen zu öffnen. Dass diese Hilfe auch sehr robust daherkommen kann, zeigt das Beispiel der USA. Dort gibt es Geldstrafen für Fir-men, die ihre Schnittstellen nicht standardisieren. „Die USA haben einen interessanten Ansatz gewählt“, sagt Ludewig dazu. „Sie haben das sehr brutal erzwungen.“

Dr. Andreas GassenKassenärztliche Bundesvereinigung, Berlinkbv.de

Dr. Gottfried Ludewigbundesgesundheitsministerium.de

Prof. Dr. Sylvia ThunHochschule Niederrhein, Krefeldhs-niederrhein.de/gesundheitswesen

Philipp Grätzel von Grätz (Moderation)Freier Journalist und Autor, Berlindukla.de

von links: Susanne Ozegowski, Dr. Andreas Gassen, Prof. Sylvia Thun, Dr. Gottfried Ludewig

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IM FOKUS4Die ePA in der PraxisDiese Lösungen gibt es schon heute

GESUNDHEITSACCOUNT DER COMPUGROUP MEDICAL

Die CompuGroup medical (CGM) ist ein international tätiger Anbieter medizinischer Software mit Sitz in Deutschland. Seit Ende 2016 bietet sie mit CGM life einen lebenslangen Gesundheitsaccount an. CGM life basiert auf einer „medical cloud“, die CGM mit PWC strategy & und der KoCo Connector AG entwickelt hat. CGM life ist über Schnittstellen mit allen Praxen kompatibel, die Praxissoftware des Unternehmens nutzen. Darüber hinaus ist es nach Angaben des Unternehmens möglich, über Sektorgrenzen hinweg mit anderen Systemen in Krankenhäusern, Arztpraxen, Apotheken und Krankenkassen Daten auszutauschen.

Uwe EibichCompuGroup Medical Deutschland AG, Koblenzcgm.com

GESUNDHEITSAKTE DER AOK NORDOST

Die AOK Nordost startete im Oktober 2017 in zwei Pilot regionen mit ihrer Gesundheitsakte. In der länd-lich strukturierten Region am Stettiner Haff steht sie den rund 8.000 AOK-Versicherten des Ärztenetzes Haffnet zur Verfügung. Die Versicherten können medizinische Dokumente wie Organspendeausweis und Mutterpass speichern, selbst erhobene Vitaldaten einpflegen und den Austausch von Dokumenten zwischen den Netzärzten und den beiden beteiligten Kliniken gestatten. Eine zentrale Datenspeicherung erfolgt nicht. Die Versicherten können per Handy auf ihre eigenen Daten zugreifen, wenn die Leistungser-bringer sie freigegeben haben. Die zweite Pilotregion ist Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Sana-Klinikum Lichtenberg und den Vivantes-Kliniken. Per Handy können hier zusätzlich Medikationsplan und Labor-daten abgerufen und Termine vereinbart werden. Die AOK Nordost plant, die Daten auch anderen Leistungserbringern und Krankenkassen zugänglich zu machen. In einem ersten Schritt hat sie eine ge-meinsame Schnittstelle mit TK safe entwickelt.

Daniela TeichertAOK Nordostaok.de/pk/nordost/

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IM FOKUS4

TK safe, DIE ELEKTRONISCHE GESUNDHEITS­AKTE DER TECHNIKER­KRANKENKASSE

Die Techniker-Krankenkasse (TK) hat ihre elektronische Gesundheitsakte gemeinsam mit IBM entwickelt. Sie speichert Informationen zu Impfungen und Arztbesuchen ebenso wie Medikamentendaten. Der Service ist nur für Versicherte der TK zugäng-lich. Deren Vertragspartner ist aber aus rechtlichen Gründen nicht die TK, sondern IBM. Die Informationen für die Akte werden aus den Abrechnungsdaten der TK generiert. Die Kunden können wählen, ob sie nur Daten zu Arzt- und Zahnarztbesuchen, Krankenhaus-aufenthalten, verordneten Medikamenten, Impfungen oder zu allen vier Bereichen speichern möchten. Im Laufe der Zeit speichern die Kunden eine Lang-zeit-Historie ihres gesundheitlichen „Werdegangs“, allerdings nur, solange sie bei der TK sind. Wechseln sie die Kasse, werden die Daten gelöscht. TK safe wurde 2018 von mehr als 100.000 der mehr als 10 Millionen TK-Versicherten getestet. Seit März 2019 ist sie für alle Mitglieder der Kasse bundesweit kostenlos zugänglich.

Susanne OzegowskiTechniker Krankenkasse, HamburgTk.de

VIVY­GESUNDHEITSAPP

Das Berliner Start-up Vivy GmbH listet derzeit ins-gesamt 93 gesetzliche und private Krankenkassen als Unterstützer seiner Gesundheitsakte. Davon ermög-lichen 28 ihren Versicherten den Zugang zur Vivy-App. Per Vivy lassen sich medizinische Daten wie Arztbriefe, Befunde oder Laborwerte auf das Handy laden und an Ärzte oder Labore weiterleiten. Weitere Funktionen sind ein digitaler Impfpass, ein Medikationsplan und ein Terminkalender. Ein aufgeklebter QR-Code als Notfallpass stellt für Rettungskräfte wichtige medizi-nische Daten, Kontakte und die Patientenverfügung bereit. Die Daten lassen sich über eine Schnittstelle mit anderen Systemen austauschen und sind derzeit nicht durch den Patienten veränderbar. Nach eigenen Angaben haben mehr als 100.000 der 17,7 Millionen theoretisch Berechtigten die Vivy-App installiert. Die monatliche Nutzungsgebühr tragen die beteiligten Krankenkassen. Kurz nach der Freischaltung der App im September 2018 gab es Schlagzeilen über schwere Sicherheitsmängel. Das Unternehmen erklärte, die beanstandeten Sicherheitslücken binnen 24 Stunden behoben zu haben. Die Sicherheit der Daten wurde unter anderem vom TÜV Rheinland geprüft.

Christian Rebernik, MScVivy GmbH, BerlinVivy.com

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5KAPITEL

PREIS FÜR GESUNDHEITSNETZWERKER

ALLER GUTEN DINGE SIND VIER

Neun Projekte hatten es auf die Shortlist für die mit insgesamt 20.000 Euro dotierte Auszeichnung geschafft und vier davon setzten sich durch: Der erste Preis ging an die Hamburger IVP GmbH und die KV Nordrhein für ihr Projekt NPPV – Neurolo-gisch-psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung. Daneben wurden drei Sonderpreise verliehen: an die Hamburger Birds and Trees UG für ihre App für Kinder mit Mukoviszidose, an die Töchter & Söhne mbH für ihre Online-Pflegekurse sowie die Gesundes Kinzigtal GmbH für ihre PVS-übergreifende Software DIGITAL IV.

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NETZWERKERPREIS5Vernetzte Hilfe bei psychischen ErkrankungenDas Projekt NPPV sorgt für eine intensivere Begleitung

Bei Depressionen oder nach einem Schlaganfall sind Menschen in höchster seelischer Not – und oft allein. Die KV Nordrhein und die IVP Networks GmbH vernetzen Ärzte und Therapeuten, ermöglichen Therapiegruppen, höhere Termindichte und digitale Hilfe.

Für eine bessere Akutversorgung von Patientinnen und Patienten mit schweren neurologischen und psy-chischen Erkrankungen vernetzt das Projekt NPPV die medizinischen Akteure in einer Region quer zu ihren Disziplinen miteinander. Vier Netzwerkmanager stellen das Projekt in Praxen und Kliniken vor und bringen die teilnehmenden Ärzte und Therapeuten dann in regionalen Netzwerken zusammen.

Die Diagnosen der Patienten, die über die NPPV versorgt werden reichen von schweren Depressionen über bipolare Störungen und Schizophrenie bis hin zu Parkinson, Demenz, Multiple Sklerose oder Schlaganfall. Für all diese Patienten bringt NPPV zahl-reiche Vorteile: Ihr Versorgungsbedarf wird frühzeitig festgestellt und sie werden deutlich umfangreicher versorgt als in der Regelversorgung. Jeder Patient hat einen Bezugsarzt, der ihm eine individuelle, leitlinien-gerechte Therapie ausarbeitet. In Akutphasen erhalten die Betroffenen zeitnah Termine. Zwei Case Manager koordinieren die Zusammenarbeit mit weiteren Thera-peuten und Ärzten oder vermitteln niedrigschwellige Gruppenangebote. IT-Anwendungen unterstützen Pla-nung, Austausch und Koordinierung. Alle Behandler haben über die webbasierte Software IVPnet Zugriff auf eine elektronische Akte und managen darüber Assessment und Behandlungspfade. Auch ergänzende E-Mental-Health-Programme stehen zur Verfügung.

Der Zulauf ist überwältigend: Ende 2017 startete das auf vier Jahre angelegte Projekt zur Neuro-

logisch-psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung (NPPV). Bis September 2019, so die Erwartung, sollten sich dem Netzwerk 250 Psychiater, Neurologen und Psychotherapeuten anschließen – schon ein halbes Jahr vorher waren es fast doppelt so viele. Auch die teilnehmenden Patientinnen und Patienten wissen das Angebot zu schätzen: 86 Prozent fühlen sich laut einer ersten Auswertung nach einem Jahr sehr gut betreut, und 82 Prozent würden die Ver-sorgung im Rahmen von NPPV weiterempfehlen.

NPPV ist ein Gemeinschaftsprojekt der KV Nord-rhein und der IVP Networks GmbH und wird vom Innovationsfonds mit einer Laufzeit von vier Jahren gefördert.

René EngelmannIVP Networks GmbH, Hamburg/Düsseldorfnppv-nordrhein.de

JURYBEGRÜNDUNG

Die Jury hebt an diesem Projekt besonders hervor, dass hier im besten Sinne vernetzt versorgt wird. Alle am Behandlungsprozess Beteiligten sind ein-bezogen, arbeiten mit sinnvoller digitaler Unter-stützung auf der Höhe der Zeit und schaffen somit hoffentlich den Nachweis, dass diese Form der ver-netzten Zusammenarbeit mit digitaler Unterstützung einen messbaren Benefit für die Versorgung bringt.

von links: Prof. Alexander Ehlers, Gabriele Knuth, René Engelmann, Dr. Norbert Paas, Gudrun Schaich-Walch

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NETZWERKERPREIS5Ein Alien als TherapeutSonderpreis für ein besonderes Anliegen

Das kleine außerirdische Wesen Patchie ist Protagonist einer App für Kinder mit Mukoviszidose: Sie finden in ihm einen gewitzten Gefährten, der die gleiche Therapie wie sie durchführen muss. Das Projekt erhält einen Sonderpreis für ein besonderes Anliegen.

Um die angeborene, unheilbare Stoffwechseler-krankung Mukoviszidose in Schach zu halten ist eine Vielzahl von Maßnahmen nötig: Inhalation, Physio-therapie, Medikamenteneinnahme – all das mehrmals am Tag. Der große Nutzen ist oftmals nicht sofort spürbar. Wie also kann man Kinder dazu motivieren, kontinuierlich alle Schritte einzuhalten? Diese Frage beschäftigte Marc Kamps, Geschäftsführer von Birds and Trees UG und Vater eines heute 5-jährigen Jun-gen, der mit Mukoviszidose auf die Welt kam.

Mit der Patchie-App hat er eine Antwort gefunden auf die dringliche Frage nach kindgerechter Motivation. Es handelt sich um ein Handy-Spiel, in dem das kleine Außerirdische Patchie mit seinem Raumschiff im Welt-all gestrandet ist. Schnell bemerken die Kinder, dass Patchie ebenfalls krank ist und sie viele Eigenschaften teilen. Diese Identifikation ist der Clou an der Sache: Wenn sie gemeinsam die Therapie bewältigen, geht es auch Patchie gut.

Das Prinzip funktioniert, wie 2017 eine Pilotstudie mit der Charité gezeigt hat: „Die Studienergebnisse zeigten wie erwartet, dass im frühen Schulalter die Therapiemotivation und das Krankheitsverständnis über eine Identifikationsfigur via Imitationslernen gestärkt werden“, berichtet Kamps. „Als deutlichstes Ergebnis sticht die psychische Entlastung von Kindern und Familien heraus.“

Trotz der positiven Resonanz gibt es Patchie noch nicht im App Store. Noch in diesem Jahr soll gemeinsam mit der Charité und dem Universitäts-

klinikum Hamburg-Eppendorf eine multizentrische Studie erfolgen; dazu muss gewährleistet sein, dass der User zuvor noch keinen Kontakt zur Patchie-App hatte. Teile der Studienergebnisse sollen als klinische Daten für die Zertifizierung der App als Medizin-produkt verwendet werden – eine wichtige Grund-voraussetzung für die Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Denn so hilfreich und willkommen das Alien Patchie ist, so schwierig steht es um die Finan-zierung. Möglich sei die jahrelange Entwicklung nur durch viele Entbehrungen und Querfinanzierung ge-wesen. „Wir bedanken uns für die Auszeichnung und hoffen, dass sie uns dabei hilft, mit neuen Partnern und Unterstützern und Kontakt zu treten“, appelliert Marc Kamps.

Marc KampsBirds and Trees UG, Hamburg birds-and-trees.de

JURYBEGRÜNDUNG

Für die Jury zeigt dieses Projekt einen vielver-sprechenden digitalen Ansatz für mehr Versorgungs-qualität. Die Therapiebegleitung von Mukoviszidose ist herausfordernd und hier erwiesenermaßen mit Erfolg für die Kinder umgesetzt worden. Die Jury hofft mit dem Preisgeld einen Anstoß geben zu kön-nen, um auch die Vernetzungsaspekte der Ver-sorgung weiter zu vertiefen.

Gudrun Schaich-Walch, Marc Kamps, Lena Bohns, Prof. Alexander Ehlers

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NETZWERKERPREIS5Zuhause pflegen lernenDas Portal Curendo bildet pflegende Privatpersonen digital weiter

Das Unternehmen Töchter & Söhne Gesellschaft für digitale Helfer mbH digitale Online-Pflegekurse mit geprüfter Qualität und individueller Beratung durch Expertinnen und Experten.

Wird ein Familienmitglied pflegebedürftig, stehen die Kinder oder Enkelkinder vor großen Heraus-forderungen. Entscheiden sie sich dafür, selbst zu pflegen, müssen sie von jetzt auf gleich zahlreiche Aufgaben bewältigen, mit denen sie zuvor noch nie in Berührung gekommen sind. Thilo Veil hat selbst sol-che Erfahrungen gemacht und dabei erlebt, dass das vorhandene Angebot an Unterstützung nicht seinen Bedürfnissen entsprach. Diese Erfahrung inspirierte ihn zur Gründung der Töchter&Söhne Gesellschaft für digitale Helfer mbH, damit pflegende Angehörige ein möglichst niedrigschwelliges Informations- und Be-gleitangebot erhalten. In Zusammenarbeit mit Partner-kassen wie der DAK, KKH oder der AOK Baden-Würt-temberg bietet das Unternehmen Online-Kurse auf der eigenen Plattform curendo an.

Via Internet könne die bedarfsgerecht aufbereiteten Lernmodule zuhause und im eigenen Tempo durch-laufen werden. Denn neben Familie, Beruf und Pflege haben viele Menschen keine freien Kapazitäten, um regelmäßig einen Präsenz-Kurs inklusive Anfahrt zu besuchen. In den Online-Pflegekursen erhalten die Teilnehmenden die Basis-Informationen, die sie be-nötigen, um ihren Angehörigen zuhause selbstständig zu pflegen. Darüber hinaus können sie sich via E-Mail kontinuierlich von Expertinnen und Experten beraten lassen, um individuelle seelische und körperliche Be-lastungen zu meistern. Ebenfalls thematisiert werden das soziale Umfeld und praktische Probleme des Alltags.

Entwickelt wurden die Kurse in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe Geriatrie der Charité – Uni-versitätsmedizin Berlin und mit der Hochschule Bremen, die auch mit der Evaluation betraut ist. „Fürcirca 92 Prozent der Teilnehmer war der Kurs eine Unterstützung bei der Pflege des Angehörigen“, be-richtet Thilo Veil. Mittlerweile bietet das Unternehmen auf curendo drei Schulungen an: Grundlagen der häuslichen Pflege, Demenz und Alzheimer sowie Wohnen und Pflege im Alter. Das Angebot wird ständig weiterentwickelt. „Wir sind offen für Impulse von außen und für Menschen, die mitdenken und mit-machen wollen, um wirklich neue Dinge auf die Beine zu stellen“, betont Veil.

Thilo Veil Töchter & Söhne Gesellschaft für digitale Helfer mbH, Berlintoechtersoehne.com, pflege.curendo.de

JURYBEGRÜNDUNG

Die Jury hebt vor allem die Bedeutung der häus-lichen Pflege hervor und würdigt das Engagement von Töchter & Söhne für bessere Pflege zuhause. Da das Projekt nicht in dem Sinne vernetzt ist, dass verschiedene Bereiche des Gesundheitswesens ko-operieren, möchte die Jury mit dem Sonderpreis auch zum weiteren Ausbau des Angebots anregen und etwa ärztliche und anderweitige Betreuung für Pflegebedürftige zu integrieren.

Gudrun Schaich-Walch, Florian Kropp, Thilo Veil, Prof. Alexander Ehlers

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NETZWERKERPREIS5Gudrun Schaich-Walch, Dr. Christian Daxer, Prof. Alexander Ehlers

Sicher, verlässlich, einfachSonderpreis für eine technische Lösung

Fast jede Arztpraxis hat ihr eigenes Praxisverwaltungssystem (PVS) – ein großer Hemmschuh für die digitale Kommunikation untereinander. Die Software elpax, entwickelt vom Gesunden Kinzigtal und dem Unternehmen axaris, soll dieses Problem jetzt lösen. Die Jury würdigte das Projekt mit einem Sonderpreis.

Der Arbeitstitel„Digital IV“ verrät, worum es geht: Damit Integrierte Versorgung gelingt, müssen alle am Netzwerk Beteiligten in der Lage sein, schnell und unkompliziert zu kommunizieren. In der heutigen Zeit heißt das vor allem, dass der digitale Datenaustausch laufen muss. Genau hier hakt es allerdings meist, wie Dr. Christian Daxer von der Gesundes Kinzigtal GmbH berichtet: „Jeder hat seine eigene Verwaltungssoft-ware. Wir haben daher nach einer Lösung gesucht, die PVS-übergreifend funktioniert und die den Workflow nicht stört, sondern unterstützt.“

Die Software elpax soll nun Abhilfe schaffen. Sie kann mit den gängigsten Verwaltungssystemen kommu-nizieren und schafft somit die notwendige digitale Brücke. Herzstück ist die intelligente Mitgliederver-waltung. „Unsere Schnittstellentechnologie extrahiert die relevanten medizinischen Informationen aus den unterschiedlichen PVS und stellt sie dem Netzwerk zur Verfügung“, erklärt Markus Müller von der axaris software & systeme GmbH. „Bei Aufruf einer Patientenakte werden über elpax kleine schwebende Kacheln am Monitor angezeigt, über die relevante Behandlungsinformationen abfragbar sind.“

Das können Informationen aus der Patientenakte sein, aber auch passende Angebote innerhalb des Netz-werks wie Gesundheitsprogramme, Sportkurse oder Selbsthilfegruppen. Auch externe Anbieter sollen nach einem Registrierungsprozess in der Lage sein, Daten in diesem Format auszutauschen. Die Patienten willi-gen dem elektronischen Informationsaustausch vorab

digitale über ein Unterschriftenpad ein, auch dies eine Neuentwicklung aus dem Projekt. „elpax ist wie ein Behandlungsassistent, der immer mitdenkt und somit eine echte Erleichterung für Ärztinnen und Ärzte, da sie Entscheidungen oft schneller und sinnvoller treffen können“, erläutert Dr. Daxer.

Damit, so die Hoffnung der Macher und der Jury, werde das System nicht zuletzt auch Anschub geben für das Modell der Integrierten Versorgung, bei dem die Patientinnen und Patienten über die Berufsgruppen und Sektorgrenzen hinweg genau die therapeutischen Angebote wahrnehmen können, die ihnen helfen.

Dr. Christian DaxerGesundes Kinzigtal GmbH, Hausachgesundes-kinzigtal.de

Markus Mülleraxaris software & systeme gmbh, Dornstadtaxaris.de, elpax.de

JURYBEGRÜNDUNG

Mit dieser Lösung wird ein langwieriges, zentrales Thema der Integrierten Versorgung gelöst – die Ein-bindung in das PVS des Arztes, die Organisation eines Vertrages ohne doppelte Buchhaltung, ohne ergänzende Listen, Programme etc. Das Projekt re-gelt auf dieser Ebene die Vernetzung von Versorgern auf eine grundlegend neue Art und ist daher eines Sonderpreises würdig.

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NETZWERKERPREIS5Shortlist Umsetzung

Integrierte Versorgung mit E-Mental-Health Minddistrict GmbH, Berlin

Menschen mit psychischen Erkrankungen brauchen meist schnelle und unkomplizierte Hilfe, doch die Wartezeiten auf Therapieplätze sind oft lang. Online-Interventionen können hier wirksam unter-stützen. Das Unternehmen Minddistrict hat ein Stepped Care Mo-dell für eine patientenorientierte, sektorübergreifende Versorgung implementiert. Die Behandlungsplattform von Minddistrict kom-biniert persönliche Therapiegespräche mit Online-Interventionen und ermöglicht so zeitnah eine individuelle und niedrigschwellige Erstversorgung. In den Niederlanden ist das Projekt bereits Teil der Regelversorgung und für 2,5 Millionen Einwohner der Provinz Nordbrabant frei verfügbar.

Ein vierstufiges Behandlungsmodell leitet die Patientinnen und Patienten auf unkomplizierte Weise zur für sie passenden Behand-lung. Auf allen vier Stufen kommen dabei spezifisch ausgearbeitete Online-Interventionen zum Einsatz, beginnend mit Selbsthilfe-modulen wie Entspannungsübungen oder Problemlösetrainings. Bei weiterem Bedarf kann der Hausarzt die Behandlung begleiten, der auch Psychologen oder Psychotherapeuten hinzuziehen kann. Wer keinen Zugang zum Internet hat oder entsprechende Kennt-nisse fehlen, kann die Programme zum Teil in den Praxen ab-solvieren und sich dabei von medizinischen Fachangestellten hel-fen lassen. Durch die Vernetzung der Versorgungseinrichtungen und Behandler hat der Patient jederzeit den Überblick über alle bisherigen Behandlungsschritte. Auch über seine eigenen Daten behält er die Kontrolle: Der Zugang zu den jeweiligen Patienten-daten muss vom behandelnden Personal beantragt werden.

Minddistrict wurde vor zehn Jahren in den Niederlanden ge-gründet, wo das Gesundheitssystem gegenüber E-Health-Lösungen besonders aufgeschlossen ist. Dort ist die Plattform bereits in die Regelversorgung integriert; es kann jedoch an die Gegebenheiten des deutschen Gesundheitssystems angepasst werden. Die Plattform von Minddistrict erfüllt die Anforderungen der EU-DSGVO und ist als Medizinprodukt CE-zertifiziert.

Die Praxis der Zukunft MuM – Medizin und Mehr eG / KVWL, Bünde

Mit der „multimodal digital unterstützten Netzpraxis“ geht der Ärztebund Medizin und Mehr (MuM) aus Bünde gegen den Ärzte-mangel in strukturschwachen Gegenden an – mit elektronischen Visiten, mehr Verantwortung für Medizinische Fachangestellte und ärztlichem Teamwork in Teilzeit. Die multimodal digital unterstützte Netzpraxis ist eine Kombination mehrerer bereits erfolgreich umgesetzter Projekte des Netzwerks, das vor 23 Jahren als erstes Ärztenetz Deutschlands gegründet wurde, und gibt Antwort auf zwei zentrale Fragen: Was kann man Patientinnen und Patienten anbieten, deren Hausarzt-Praxis mangels Nachfolge geschlossen werden muss? Und was hindert junge Ärztinnen und Ärzte daran, sich selbstständig zu machen?

Die Antwort ist zunächst ziemlich analog: Das Ärztehaus des MuM soll noch 2019 den Betrieb aufnehmen. Dort werden sogenannte Seniorärzte tätig sein, also Medizinerinnen und Mediziner im Ruhe-stand, die noch in geringem Umfang arbeiten möchten. Ihnen zur Seite stehen junge Ärztinnen und Ärzte, die vom MuM in Voll- oder Teilzeit angestellt werden und damit zunächst nicht das Risiko einer Einzelpraxis tragen müssen. Den Kern des Konzepts verkörpern jedoch die Medizinischen Fachangestellten (MFA). Ihre Aufgaben sind wesentlich verantwortungsvoller als in einer herkömmlichen Praxis. Sie empfangen die Patienten und entscheiden nach einer strukturierten Befragung, ob diese dem Arzt vorgestellt werden. Digitale Lösungen ergänzen das Angebot. Dazu gehört elVi, die elektronische Arztvisite. Diese Form der Videokonferenz ist beim MuM Bünde schon seit 2013 fester Bestandteil des Praxisalltags. In vielen Fällen lassen sich die Anliegen der Patienten ganz ohne ärztliche Präsenz erledigen; es gibt dazu einen Katalog delegations-fähiger Leistungen, die in den Händen der MFAs liegen. Dazu gehören unter anderem die Versorgung chronischer Wunden sowie die soziale Beratung.

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NETZWERKERPREIS5

Psychotherapie für Hochbetagte MSB Medical School Berlin – Hochschule für Gesundheit und Medizin

Pflegebedürftige alte Menschen leiden häufig unter Depressionen, bekommen aber selten die richtige Behandlung. Nicht einmal fünf Prozent der Betroffenen werden psychotherapeutisch behandelt. Das Modellprojekt PSY-Care will das ändern: mit Kurzzeittherapien, die gerontologisch geschulte Psychotherapeutinnen und -therapeuten zu Hause anbieten.

In der ersten Phase ging es bei PSY-Care vor allem darum, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Denn dass Psychotherapie auch bei Hochbetagten eine Wirkung haben könnte, sprengt laut Prof. Eva-Maria Kaiser oft die Vorstellungskraft nicht nur der Betroffenen, sondern auch der behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie der Angehörigen. Selbst viele Psychotherapeutinnen und -therapeuten hätten eine gewisse Scheu, mit Älteren zu arbeiten.

So fragte man zunächst bei Geriatrischen Kliniken, Ambulanten Pflegediensten und Angehörigengruppen an; in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie wurden niedergelassene Psychotherapeuten gewonnen und speziell ge-schult. Im Juni 2018 startete das Modellprojekt, Ende März 2019 liefen die ersten Therapien an. In Berlin und in den angrenzenden Regionen Brandenburgs können Pflegebedürftige ab 60 Jahren mit depressiver Erkrankung an PSY-Care teilnehmen. Bis zum Frühjahr 2019 hatten sich 25 approbierte Verhaltenstherapeuten PSY-Care angeschlossen. Nach einer speziellen gerontologischen Schulung besuchen sie die Pflegebedürftigen zu Hause und begleiten sie durch die Verhaltenstherapie.

Das Projekt wird über drei Jahre vom Innovationsfonds gefördert und soll im Erfolgsfall in die Regelversorgung übergehen. Der Konsortialpartner ist das Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité. Die beiden offiziellen Praxis-Kooperationspartner sind die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie und die Caritas Altenhilfe Berlin. Darüber hinaus spannt sich ein Netzwerk aus weiteren Partnern.

Digital unterstützte Heimpflege Claudia Schrewe, Netzwerkkoordinatorin

Intensive Betreuung zuhause bedeutet für pflegebedürftige Se-nioren einen Zuwachs an Lebensqualität und für die Kranken- und Pflegekassen finanzielle Einsparungen. Fünf Ärztenetze sind auf dem Weg, diese These mit wissenschaftlicher Unterstützung zu untermauern: Im Pilotprojekt RubiN – Regional ununterbrochen betreut im Netz – wird zunächst der konkrete Hilfebedarf erforscht. Seit Januar 2019 sind dazu 20 Case Managerinnen und -Manager in den Regionen Ammerland, Lauenburg, Leipzig, Lippe und Siegen unterwegs. Ihr Ziel ist neben der Abfrage auch, konkrete Hilfe zu realisieren und wenn nötig neu zu konzipieren. Ein Jahr später wird dann mit Vergleichsmessungen begonnen, ob sich der Zustand der Patienten verändert hat.

Insgesamt 3.200 Senioren ab 70 Jahren können teilnehmen; 1.000 sind bereits angemeldet. Geplant war, die Teilnehmer in drei etwa gleich große Kategorien einzuteilen – hoher, mittlerer und geringer Hilfebedarf. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Etwa 80 Prozent der Befragten haben einen hohen Hilfebedarf. Was ebenfalls schnell deutlich wurde, ist ein hohes Maß an Einsamkeit der oftmals allein lebenden Menschen.

Für die Praxen bedeuten diese „Intensivpatienten“ unbezahlte Sozialarbeit, die RubiN ihnen abnehmen will. Doch das muss sich auch rechnen – und wird es offenbar auch: 2018 kam eine Studie für die Patientenbeauftragte der Bundesregierung zu dem Ergebnis, dass die Einführung sogenannter Patientenlotsen sich für die Kassen auch finanziell lohnt. Umso mehr, als auch die Pflegever-sicherung profitiert. RubiN soll noch ein weiteres Problem lösen, das die Arztnetze bisher bundesweit bremst: Künftig sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht nur die Mitgliedsärztinnen und -ärzte als Leistungserbringer anerkennt, sondern das Arztnetz insgesamt, denn dort sind die Case Manager angestellt. Das Pro-jekt RubiN wird vom Innovationsfonds bis 2021 mit acht Millionen Euro unterstützt.

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NETZWERKERPREIS5?   Kriterien für die Preisvergabe sind:

Vernetzung vormals getrennt agierender Akteure (fach- und sektorübergreifende Ansätze),

Lösung von Versorgungsproblemen, medizinischer Inhalt auf dem aktuellen wissen-

schaftlichen Stand (medizinische Qualität), geteste Wirksamkeit, Vorliegen von Zertifikaten,

Anerkennung als Medizinprodukt oder ähnliches Innovationsgehalt des Projekts, gesicherter Informationsaustausch (Datenschutz,

Zugang zu Informationen), intelligente Prozesse (Prozessqualität), Ergebnisqualität, Evaluation, Test der Usability, ein Vertrag nach § 140 a SGB V ist keine Voraus-

setzung für die Bewerbung.

?   Wer kann sich bewerben?

Netze oder solche, die es werden wollen, Ärzte/innen, Netzwerkmanager/innen, Managementgesellschaften, Kliniken, Krankenkassen, Rechtsanwälte/innen, Pflege-einrichtungen, Arzthelfer/innen, Diabetesassistenten/innen, Ernährungsberater/innen, Physiotherapeuten/innen und verwandte Berufe, die an einem Projekt beteiligt sind oder ein Projekt planen. Außerdem Entwickler von Apps, Software, Medizinprodukten, die Versorgungsprobleme lösen und dabei mit Akteuren im Gesundheitswesen zusammenarbeiten.

!   Die Preisverleihung

Die Vorsitzende der Jury, Gudrun Schaich-Walch, Staatssekretärin a. D., wird die Preise in Höhe von insgesamt 20.000 Euro im Rahmen des Kongresses für Gesundheitsnetzwerker 2020 verleihen. Weitere Mitglieder der Jury sind: Prof. Dr. Volker Amelung, Bundesverband Managed Care (BMC), Dr. Susanne Eble M.A., BERLIN-CHEMIE AG, Prof. Dr. Dr. Alexander P.F. Ehlers, Ehlers, Ehlers & Partner Rechts-anwaltsgesellschaft mbB, Stefanie Stoff-Ahnis, Mit-glied der Geschäftsleitung der AOK Nordost, Bereich Versorgung, PD Dr. Thomas Schang, Vorsitzender der Agentur deutscher Arztnetze e.V.

Preis für Gesundheits-netzwerker 2020

Ganzheitliche Gesundheitsversorgung Universitätsambulanz für Integrative Gesundheitsversorgung und Naturheilkunde, Witten

Ärztliche Versorgung, Gesundheitstherapie und Hilfe zur Selbsthilfe unter einem Dach bietet die Universität Witten/Herdecke mit der neuen, ganzheitlich ausgerichteten Universitätsambulanz, die seit November 2018 geöffnet ist. Das Modell entstand in Anlehnung an das Konzept „Patient Centered Medical Home“ aus den USA und bietet den Patientinnen und Patienten eine integrative Betrachtung ihrer Gesundheit aus multiprofessioneller Sicht. Eine wichtige Säule in der Behandlung ist dabei die Aktivierung patienteneigener Ressourcen.

Zunächst trägt eine Case Managerin alle Behandlungsunterlagen vorheriger Konsultationen zusammen. Für das ärztliche Erst-gespräch sind dann mindestens 30 Minuten Zeit vorgesehen. Auch die weiteren Kontakte mit Fachärztinnen und -ärzten sowie anderen Heilkundigen sind so terminiert, dass eine umfassende Anamnese möglich ist. Die Dokumentation der Daten erfolgt digital, wobei die Patientinnen und Patienten jederzeit Zugriff auf ihre Akte haben. Die Transparenz des „OpenNotes“-Systems trägt dazu bei, Doppelungen bei Untersuchungen und Diagnosen zu vermeiden.

Welche Form der Behandlung die richtige ist, wird im Team besprochen, zu dem auch eine Gesundheitstherapeutin gehört – einem weiteren Gesundheitsberuf im Ambulanz-Team. Dabei arbei-tet die Universitätsambulanz eng mit ansässigen Ärztinnen und Ärzten, dem Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke und anderen kooperierenden Kliniken und Einrichtungen, der eigenen Zahnklinik und der Psychotherapeutischen Ambulanz der Universität Witten/Herdecke zusammen.

Neben konventionellen und naturheilkundlichen Mitteln und Methoden wird ein zertifizierter achtwöchiger Kurs angeboten, der Methoden zum Umgang mit mit Herausforderungen wie Stress im Alltag vermittelt. Alle Leistungen der Universitätsambulanz werden von den Krankenkassen über ein pauschales Vergütungs-modell übernommen. Die Universitätsambulanz ist dabei die erste Ambulanz in Deutschland, die für Lehre und Forschung in der Primärversorgung zugelassen ist.

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NETZWERKERPREIS5

IMPRESSUM

Herausgeber:BERLIN-CHEMIE AGAbteilung GesundheitsmanagementGlienicker Weg 125, 12489 Berlin

Verantwortlich i. S. d. P.:Susanne EblePia MaierTel.: 030 6707 [email protected]

Redaktion:Brigitte Reidinger, Nora Döhring, Johanna Lücke, Marion Meyer-Radtke, Claudia Peter, Adrian Röhrig, Torsten Seifert.

Bilder:BILDSCHOEN | Maelsa (Fotos vom 02.04.19) BILDSCHOEN | Karelic Merkel (Fotos vom 03.04.19 )

Layout:Göbel + Gröner Grafisches Atelier GmbH, Berlin

Druck:msi media serve international gmbh, Marburg

Auflage: 2.000

Erscheinungstermin: Juli 2019

EinBlick

NEWSLETTER EINBLICKMit dem Newsletter EinBlick informiert das Gesundheits-management der BERLIN-CHEMIE AG Sie über die Hintergründe der aktuellen gesundheits politischen Themen. Der Newsletter erscheint alle drei Wochen mit Nachrichten hinter der Nachricht und hält Sie so über die Entwicklungen auf dem Laufenden. Wichtig ist nicht nur, aktuell Bescheid zu wissen, sondern auch zu verstehen, warum die Themen gerade dann, gerade in diesem Kontext besprochen werden. So erkennen Sie frühzeitig, mit welcher Strategie Sie reagieren können.

Um den Newsletter EinBlick regelmäßig per E-Mail zu erhalten, können Sie sich im Internet unter www.einblick­newsletter.de anmelden.

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REFERENTEN UND MODERATOREN des 14. Kongresses für Gesundheitsnetzwerker in Berlin

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REFERENTEN UND MODERATOREN

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Elke van Alen · Zukunftsrätin von ZipT, der Zukunftsinitiative inter professionelle Therapie, Lübeck; Leiterin des Netzwerks Kindertherapie Hamburg-West

Christian Angern · Gründer und Geschäftsführer der Sympatient GmbH, Hamburg

Dr. Michael Bangemann · Vorsitzender des Praxisnetzes Nürnberg Süd e. V.

Dr. Hans-Jürgen Beckmann · Vorstand der MuM – Medizin und Mehr eG, Bünde

Lina Behrens · Director Digital Drugs bei Flying Health

Dr. Christoph Blum · Inhaber der Praxis Dr. Blum & Partner | Fachzahnärzte für Oralchirurgie, Bad Ems

Jasper Böckel · Geschäftsführer der Myosotis GmbH, Berlin

Markus Bönig · Gründer und Geschäftsführer der vitabook GmbH, Jesteburg

Dr. Volker Busch · Wissenschaftlicher Leiter der AG Psycho-soziale Stress- und Schmerzforschung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Regensburg

Andreas Clasen · Referent im Gesundheitsmanagement der BERLIN-CHEMIE AG, Butzbach

Dr. Felix Cornelius · Geschäftsführer der DIFA Deutsches Institut für Fachärztliche Versorgungsforschung, Berlin

Constanze Czimmeck · Bundeskoordinatorin Gesundheitspolitik der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V., Berlin

Dr. Markus Dahlem · Mitgründer, Chief Scientific Officer und Geschäftsführer der Newsenselab GmbH, Berlin

Dr. Christian Daxer · Ärztlicher Beirat der Gesundes Kinzigtal GmbH, Hausach; niedergelassener Facharzt für HNO-Heilkunde, Gengenbach

Dr. Barthold Deiters · Leiter Arzneimittel der GWQ ServicePlus AG, Düsseldorf

Fabian Demmelhuber · Leiter des Referats Versorgungsinnova-tionen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, München

Angelika Diarra · Rechtsanwältin der Kanzlei für Medizinrecht Prof. Schlegel, Hohmann & Partner, Frankfurt am Main

Dr. Thomas Drabinski · Leiter des Instituts für Mikrodaten- Analyse (IfMDA), Kiel

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REFERENTEN UND MODERATOREN

Dr. Susanne Eble, M. A. · Leiterin Gesundheitsmanagement der BERLIN-CHEMIE AG

Prof. Dr. Dr. Alexander P. F. Ehlers · Senior Partner der Ehlers, Ehlers & Partner Rechtsanwaltsgesellschaft mbB, München

Uwe Eibich · Mitglied des Vorstands der CompuGroup Medical Deutschland AG, Koblenz

Cornelia Eicher · Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Geriatrie der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Alexandra Eichner · Prokuristin und Netzmanagerin der Unter-nehmung Gesundheit Hochfranken GmbH & Co. KG (UGHO), Hof

Prof. Dr. Roland Eils · Gründungsdirektor des Zentrums für Digitale Gesundheit des Berlin Institute of Health der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Christoph Eisert · Leiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung der Preventicus GmbH, Jena

René Engelmann · Projektmanager der Zentralen Koordinations-stelle NPPV und der IVPNetworks GmbH, Hamburg/ Düsseldorf

Wolfgang Fink · Projektleiter MVZ der MEDIVERBUND AG; Geschäfts führer der MEDI-MVZ Aalen GmbH, der MVZ Stuttgart GmbH, der Ärzte am Reichenbach und der Ärzte vor Ort – MEDI-MVZ GmbH

Dr. Christian Flügel-Bleienheuft · Vorstandsvorsitzender des Gesundheitsnetzes Köln-Süd e. V.

Hedwig François-Kettner · Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit; Inhaberin von ProGeWi Strategie & Prozess-begleitung Gesundheitswirtschaft, Berlin

Michael Franz · Head of Brand Communication der CompuGroup Medical SE, Koblenz

Dr. Tobias D. Gantner MBA, LL.M. · Gründer und Geschäftsführer der HealthCare Futurists GmbH, Köln

Dr. Andreas Gassen · Vorstandsvorsitzender der Kassenärzt-lichen Bundesvereinigung, Berlin

Philipp Grätzel von Grätz · Freier Journalist und Autor, Berlin

Prof. Dr. Anke Häber · Leiterin der Studiengänge Informatik, Digital Health sowie Medizin- und Gesundheitstechnologie der Westsächsischen Hochschule Zwickau

Prof. Dr. Bernd Halbe · Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht; Gründer der Kanzlei DR. HALBE – RECHTS-ANWÄLTE, Köln und Berlin; Honorarprofessor an der Universität zu Köln

Claudio Hasler · Geschäftsführer der PeakProfiling GmbH, Berlin

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REFERENTEN UND MODERATOREN

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PD Dr. Aldemar Andres Hegewald · Chefarzt der Abteilung Wirbelsäulenchirugie der HELIOS Ostseeklinik Damp

Dr. Jan Patrick Hensel · Regionalleiter Süd im Gesundheits-management der BERLIN-CHEMIE AG, Nürnberg

Prof. Dr. Josef Hilbert · Sprecher des Netzwerks Deutsche Gesundheitsregionen e. V.; Geschäftsführender Direktor des Instituts Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen

Jan Hollnecker · Gründer und Geschäftsführer der Theraphysia GmbH, Berlin

Dr. Michael Jager · Vorstand der medicus Eifler Ärzte eG, Bitburg

Dr. Carsten Jäger · Geschäftsführer der JGM GmbH, Nuthetal

Dr. Markus Jäger-Rosiny · Geschäftsführer des aerztenetzes elan, Winsen (Luhe)

Dr. Patrick Jahn · Leiter der Stabsstelle Pflegeforschung des Universitätsklinikums Halle (Saale)

Jana Junglas · Rechtsanwältin der Kanzlei Vorberg.law, Hamburg

Lysann Kasprick, MSc · Geschäftsführender Vorstand von GeriNet Leipzig; Leiterin des Innovationsfondsprojekts RubiN – Regional ununterbrochen betreut im Netz

Dr. Emil Kendziorra · Geschäftsführer der Medlanes GmbH, Berlin

Dr. Rainer Kern · Mitglied des Vorstands der BERLIN-CHEMIE AG

Dr. Regina Klakow-Franck · Stellvertretende Leiterin des Insti-tuts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheits-wesen (IQTIG), Berlin

Dr. Manfred Klemm · Vorstandsvorsitzender der Regionales Gesundheitsnetz Leverkusen eG

Franz Knieps · Vorstand des BKK Dachverbandes e. V., Berlin

Prof. Dr. Clarissa Kurscheid · Geschäftsführerin der FiGuS GmbH, Köln

Sonja Laag · Leiterin Versorgungsprogramme der BARMER, Wuppertal

Simon-Moritz Lampert · Referent Gesundheitsmanagement der BERLIN-CHEMIE AG

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Iris Laser · Referentin Gesundheitsmanagement der BER-LIN-CHEMIE AG, Weimar (Lahn)

Jessica Llerandi Pulido, M.A. · Kaufmännische Leiterin der Evang. Krankenhaus Mettmann GmbH

Dr. Gottfried Ludewig · Leiter der Abteilung Digitalisierung und Innovation des Gesundheitswesens im Bundesministerium für Gesundheit, Berlin

Maxie Lutze · Consultant der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Berlin

Pia Maier, MBA · Referentin Strategisches Gesundheits-management der BERLIN-CHEMIE AG

Wenke Marquardt · Koordinatorin des Projekts „Die Präventions-berater“ der KV Consult- und Managementgesellschaft mbH, Potsdam

Dr. Ursula Marschall · Leiterin der Abteilung Medizin und Versorgungs forschung der BARMER, Wuppertal

Dr. Marina Martini · Chief Development Officer und Mitglied des Vorstands der AMEOS Gruppe, Zürich/Schweiz

Susanne Mauersberg · Referentin für Gesundheitspolitik des Teams Gesundheit und Pflege des Verbraucherzentrale Bundes-verbandes e. V. – vzbv, Berlin

Dr. Wolfgang C. G. von Meißner, MHBA · Facharzt für All-gemeinmedizin und Gesellschafter der Praxisgemeinschaft Hausärzte am Spritzenhaus, Baiersbronn

Jens Miedke · Referent im Gesundheitsmanagement der BERLIN- CHEMIE AG, Ludwigshafen

Dr. Annekathrin Möwius · Fachärztin für Allgemeinmedizin, Templin

Dr. Hansjörg Mühlen · Inhaber des Diabetologikums – Praxis für Diabetologie, Duisburg

Felix Mühlensiepen · Projektkoordinator der KV Consult- und Managementgesellschaft mbH, Potsdam

Susanne Müller · Geschäftsführerin des Bundesverbandes Medi zinische Versorgungszentren – Gesundheitszentren – Integrierte Versorgung e. V., Berlin

Thomas Müller · Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Verei-nigung Westfalen-Lippe, Dortmund

Dr. Florian Müller-Kröncke · Steuerberater und Wirtschafts-prüfer der DOCTORES Steuerberatungsgesellschaft mbH, Berlin

Dr. Markus Müschenich, MPH · Flying Health

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Tobias Neisecke · Projektmanager Medizintechnik und Digital Health der Wirtschaftsförderung Land Brandenburg GmbH, Potsdam

Nikola Nitzschke · Stellvertretende Bundeskoordinatorin des Projekts Babylotse der Stiftung Familienorientierte Nachsorge Hamburg SeeYou

Dr. Susanne Ozegowski , MSc, MPH · Teamleiterin Versor-gungsmanagement-Einzelverträge der Techniker Krankenkasse, Beauftragte der eGA Techniker Krankenkasse,Hamburg

Yvonne Philipp · Präventionsberaterin der ANSB med Zentrum GmbH – Praxis Dr. med. Simone Kortyka, Schönborn

Holger Puck · Leiter Versorgungsmanagement DACH der Preventicus GmbH, Jena

Johanna Radloff · Kommunikationsberaterin der Agentur WOK GmbH, Berlin

Thomas Rampoldt · Geschäftsführer der Ärztezentrum Büsum gGmbH und der Ärztegenossenschaft Nord eG, Bad Segeberg

Christian Rebernik, MSc · Gründer und Geschäftsführer der Vivy GmbH, Berlin

Dr. Chris Rehse · Mitgründer und Geschäftsführer der neotiv GmbH, Magdeburg

Dr. Sabrina Reimers-Kipping · Head of Medical Advisory der FUSE-AI UG, Hamburg

Christian Remfert · Geschäftsführer der mediQuu UG (haftungs-beschränkt) & Co. KG, Münster

Stefan Rupp · Moderator bei radioeins, Potsdam

Robin Rüsenberg · Geschäftsführer der Deutschen Arbeits-gemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) e. V., Berlin

Dr. Christian Rybak · Rechtsanwalt und Partner der Ehlers, Ehlers & Partner Rechtsanwaltsgesellschaft mbB, München

Gudrun Schaich-Walch, Staatssekretärin a. D. · Ehemalige Gesundheitspolitische Sprecherin und Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Berlin · Martina Schmiedhofer, MPH

Yannik Schreckenberger · Gründer und Geschäftsführer von He-artbeat Medical, Berlin

Claudia Schrewe · Selbstständige Beraterin, Preußisch Oldendorf

Lisa Schütte · Freie Texterin und Autorin, Kassel

Katharina Specht · Gesellschafterin der Agentur WOK GmbH, Berlin

Dr. Matthias Starrach · Facharzt für Allgemeinmedizin der Gemeinschaftspraxis Starrach und Kollegen, Bad Sulza

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Dr. Frank Stenhorst · Referent im Gesundheitsmanagement der BERLIN-CHEMIE AG, Krefeld

Dr. Dominik Graf von Stillfried · Geschäftsführer des Zentral-instituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundes-republik Deutschland, Berlin

Dr. Ralf Stölting · Senior Vice President und Senior Director Health Solution von BCW Burson Cohn & Wolfe, München

Rainer Svojanovsky · Geschäftsführer der mediDOK® Software Entwicklungsgesellschaft mbH, Dossenheim

Daniela Teichert · Beauftragte des Vorstandes der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse, Berlin

Dr. Markus Thalheimer · Leiter der Abteilung Qualitätsmanage-ment/Medizincontrolling des Universitätsklinikums Heidelberg

Prof. Dr. Sylvia Thun · Direktorin der Core Unit eHealth & Inter-operability des Berlin Institut of Health der Charité – Universitäts-medizin Berlin; Professorin des Studiengangs eHealth – IT im Gesundheitswesen der Hochschule Niederrhein, Krefeld

Holger Trachte · Referent Gesundheitsmanagement der BER-LIN-CHEMIE AG, SchwerteReferent im Gesundheitsmanagement der BERLIN-CHEMIE AG, Schwerte

Andrea Trunev · Geschäftsführerin der KV Consult- und Manage mentgesellschaft mbH, Potsdam

Michael Uhlig · Management- und Organisationsberater der contec – Gesellschaft für Organisationsentwicklung mbH, Bochum

Dr. Peter Velling · Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Medizinische Versorgungszentren – Gesundheitszentren – Integrierte Versorgung e. V., Berlin

Sebastian Vorberg, LL.M. · Vorstandssprecher des Bundesver-bandes Internetmedizin e. V.; Gründer und Inhaber der Kanzlei Vorberg.law, Hamburg

Dr. Peter Voß · Referent im Gesundheitsmanagement der BERLIN- CHEMIE AG, Lichtenstein

Laura Wamprecht · Flying Health, Berlin

Marcel Weigand · Vorstandsmitglied des Aktionsbündnisses Patienten sicherheit e. V.; Berater mit Schwerpunkt Kliniken und Digitalisierung; Projektleiter für das Innovationsfondsprojekt „ digital SACCIA“, Berlin

Frank Welz · Geschäftsführer der MCG med.concept Frankfurt (Oder) GmbH

Steffen Witte, MSc · Leiter des Sachgebiets Strategie, Koopera-tion und Nachwuchs der Kassenärztlichen Vereinigung Ba-den-Württemberg, Stuttgart

Philipp Zajac · Gründer und CEO von Rehago, Reutlingen

Christian Ziegler, MES · Referent für Arzneimittelversorgung des Dezernats Personalwesen und Krankenhausorganisation der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V., Berlin

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7KAPITEL

IM EINSATZ

BLICK IN DIE PRAXIS

Technische Innovationen sowie gesetzliche Vorgaben haben in den letzten Jahren den Weg zu neuen Abläufen in der Gesundheits-versorgung bereitet – was sagen die Praktikerinnen und Praktiker dazu, und welche Erfahrungen haben sie bereits gesammelt? Wir blicken auf gut zwei Jahre Innovationsfonds, auf Telemedizin im Einsatz, aber auch auf die neuen Regelungen zum Entlass-management, Datenschutz und zu den Terminservicestellen.

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IM EINSATZ7Telemedizin im EinsatzErfahrungen mit der Videosprechstunde

Videosprechstunden sollen gesetzlich Versicherten schnell ärztliche Hilfe verschaffen. Das nützt Patienten wie Ärzten: Erstere vermeiden Anfahrts- und Wartezeiten, letztere können ihr Praxispersonal entlasten.

Montagmorgen: Frühstück machen, Kind anziehen, ab geht’s in Kita und Arbeit. Das muss funktionieren, doch heute klappt es nicht. Das Kind ist rotwangig, brüllt und hat Fieber. Ärztlicher Rat? Normalerweise so schnell nicht zu haben. Für Millionen gesetzlich Versicherter in Baden-Württemberg gibt es seit Ok-tober 2018 eine andere Möglichkeit. Das Prinzip: Sie registrieren sich auf docdirekt.de und können dann an jedem Werktag zwischen 9 und 19 Uhr bei dem Dienst anrufen. Möglich ist auch ein Videocall oder ein Chat. Docdirekt ist ein telemedizinisches Modellprojekt der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KV BaWü). An Bildschirm und Telefon sitzen vier speziell geschulte Medizinische Fachangestellte (MFA). Sie notieren das Beschwerdebild. Wenn es nach einem Notfall aussieht, schicken sie direkt den ärztlichen Notdienst vorbei. Oder sie stellen ein „Ticket“ aus für die Teleärztinnen- und ärzte, die an dem Projekt teilnehmen.

Auf einer App ist das Anliegen der Patientin sichtbar und die Uhrzeit, zu der sie kontaktiert werden will. Wer Zeit hat, übernimmt das Ticket und stellt die Verbindung zur Patientin her, wiederum entweder per Videocall, Chat oder Telefon. Die Ärztin oder der Arzt dokumentiert das Behandlungsgespräch wie eine „normale“ Konsultation. Genauso wird es auch abgerechnet. Die Patientin erhält eine Handlungs-empfehlung, die ihr aufs Handy geschickt wird. Wenn nötig, vermittelt docdirect noch für denselben Tag einen persönlichen Vorstellungstermin in einer nahe-gelegenen Arztpraxis. „Die Patientinnen und Patienten der Zukunft werden Telemedizin fordern“, ist Steffen

Witte, Projektleiter für docdirekt bei der KV BaWü, überzeugt. Derzeit sind 3.500 meist jüngere Nutzerin-nen und Nutzer registriert. Männer sind (noch) in der Mehrheit. Aber Mütter mit Kleinkindern holen auf.

Die KV BaWü verfolgt mit docdirekt das Ziel, Arzt-praxen und Notaufnahmen von Bagatellfällen zu entlasten. Das scheint zu gelingen. In 90 Prozent der Fälle ist die Behandlung nach einem Video-Gespräch abgeschlossen. Auch in der Ärzteschaft findet die neue Möglichkeit Anklang. 40 haus- und fachärztliche Praxen machen schon mit, 60 weitere drängen nach. Für sie ist das Modell wirtschaftlich interessant, denn sie können genauso viel abrechnen wie für eine normale Konsultation, obwohl die Videosprechstunde das Personal deutlich entlastet. „Ich schicke meine Mitarbeiterinnen nach Hause, wenn ich mich zur Sprechstunde an den Bildschirm setze“, bestätigt Dr. Hansjörg Mühlen, Inhaber einer Diabetes-Schwer-punktpraxis in Duisburg. Aus wirtschaftlicher Sicht hat

Dr. Hansjörg Mühlen

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IM EINSATZ

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er noch einen Tipp dabei: „Seit April 2017 kann man eine spezielle Zusatzvergütung abrechnen. Das weiß nur kaum jemand.“

Begonnen hat Mühlen mit den Tele-Terminen allerdings vornehmlich, um seine Patientinnen und Patienten zu entlasten. „Diabetes ist eine Datenmanagement-Er-krankung“, erklärt er. „Da geht es um die Kontrolle der Zuckerwerte, um die Korrektur von Bedienfehlern.“ Früher mussten die Patienten oft für eine zehnminü-tige Konsultation Anfahrten von zwei Stunden in Kauf nehmen. „Heute laden Berufstätige ihre Daten im Büro computer hoch oder halten ihr Handy in die Kamera. Das dauert fünf Minuten.“ Mühlen sieht sich die Werte an, gibt Ratschläge über die Chatfunktion oder teilt Grafiken und Bilder, um die Bedienung nochmal zu erklären. Aufzeichnen darf er die Video-sprechstunde nicht, wohl aber einzelne Screenshots der Dokumentation beifügen.

Der Datenschutz ist an mehreren Punkten noch ein Hindernis, räumt der Arzt ein. Die DSGVO habe die Ärzte verunsichert und sei mitverantwortlich dafür, dass die Bedeutung der Telemedizin zu langsam wachse. Technische und finanzielle Hürden sieht Mühlen kaum. Seine Praxis musste er mit Webcams ausrüsten, die heute für unter 50 Euro zu haben sind. KBV-zertifizierte Videodienst-Anbieter verlangen zwischen 0 und 59 Euro Gebühren pro Monat. Einige

funktionieren online, das heißt, eine Installation ist nicht nötig. Die Patienten erhalten einen Zugangscode (TAN), der sechs Wochen bis drei Monate lang gültig ist. Sie loggen sich mit Namen und TAN ein. Zum ver-einbarten Zeitpunkt loggt sich der Arzt oder die Ärztin ebenfalls ein und ruft zurück.

Ausgenützt hätten seine Patienten diesen un-komplizierten Zugangsweg noch nie. „Wer unan-gemeldet Kontakt sucht, hat ein ernstes Problem.“ Empathie sei ganz ähnlich wie bei der persönlichen Konsultation ein wichtiger Teil des Gesprächs. Meist dauere es auch genauso lange. Mühlen ist sicher: Der digitalisierte Arzt wird den nicht digitalisierten ablösen. „Mit dem Internet als Instrument kann man viel mehr machen als nur mit dem eigenen Kopf.“

Dr. Hansjörg MühlenDiabetologicum Duisburgdiabetesinfo-du.de

Steffen WitteKassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg, Stuttgartkvbawue.de; docdirekt.de

Tobias Neisecke (Moderation)Wirtschaftsförderung Land Brandenburg GmbH, Potsdamwfbb.de

Steffen Witte

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IM EINSATZ7Erfahrungen mit dem EntlassmanagementSinnvolle Neuerung oder bürokratischer Super-GAU?

Seit Oktober 2017 müssen die Krankenhäuser ein standardisiertes, multidisziplinäres Entlassmanagement sicherstellen. Ein lobenswertes Ziel, doch viele Kliniken empfinden die neuen Regeln als zu bürokratisch und wenig praxistauglich. Darüber hinaus bemängeln die Praktiker, dass es für die erforderlichen organisatori-schen Änderungen keine zusätzlichen Mittel gibt.

„Die Rückmeldungen aus den Kliniken zum neuen Ent-lassmanagement waren so heftig, wie wir das in dieser Form bisher noch nie erlebt haben“, berichtet Christian Ziegler, Referent für Arzneimittelversorgung des Dezer-nats Personalwesen und Krankenhausorganisation der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG), und ihm ist anzumerken, wie stark ihn das Thema beschäf-tigt. „Wir hätten uns gewünscht, dass der Rahmenver-trag vor allem die Patienten im Blick hat, die eine Über-leitung in die Anschlussversorgung benötigen; dann hätte man die Ressourcen sinnvoller einsetzen können. Aber so wie es aktuell gehandhabt werden soll, ist das Entlassmanagement ein bürokratischer Super-GAU. Deshalb haben wir die schärfsten Geschütze aufgefah-ren, die uns als Selbstverwaltungspartner zur Verfü-gung stehen, und Klage erhoben.“ Zur generellen Sinn-haftigkeit und Notwendigkeit des Entlassmanage ments, so Ziegler weiter, gebe es keine zwei Meinungen – es

sei fester Bestandteil im Behandlungsprozess und för-dert die interdisziplinäre Arbeit im Sinne des Patienten. Der Knackpunkt sei die Umsetzung. „Da wurden Rege-lungen jenseits von Gut und Böse getroffen.“

Das Ansinnen des Gesetzgebers war es, den Übergang für Patientinnen und Patienten von der stationären in die ambulante Versorgung möglichst reibungslos zu gestalten. Viele von ihnen benötigen nach einem Krankenhausaufenthalt eine Anschlussbehandlung, Kurz- oder Langzeitpflege oder Arbeitsunfähigkeits-bescheinigungen. Außerdem können Krankenhausärzte Arzneimittel, Verband-, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und Soziotherapie für einen Zeitraum von bis zu sieben Tagen verordnen. Aus Sicht der DKG sei das Entlassmanagement jedoch nicht bei jedem im Krankenhaus behandelten Patienten erforderlich. Oft-mals benötigten diese über den obligaten Entlassbrief

Christian Ziegler Jessica Llerandi Pulido

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hinaus keine weitere Unterstützung. Die Umsetzung der neuen Regeln erfordere allerdings auch bei den Patien-ten ohne Anschlussbedarf logistischen und personellen Aufwand. Statt Versorgungslücken für bestimmte Patientengruppen zu schließen, würden formale Prozes-se dem Krankenhauspersonal die Zeit stehlen, die es zur Versorgung der Menschen dringend benötige.

Ganz so kritisch sieht Prof. Dr. Clarissa Kurscheid, Geschäftsführerin der FiGuS GmbH, die aktuelle Situation nicht. Sie erinnert zudem daran, dass es dem Patienten letztlich nichts nütze, wenn sich die Krankenhäuser gegen das Gesetz wehren, denn an dessen Problemen oder seiner gegebenenfalls prekären Lebenslage ändere das nichts. Auch sie kritisiert den hohen bürokratischen Aufwand, wie ihn der Rahmenvertrag festlegt. Zudem bemängelt sie das teilweise fehlende Verständnis des stationären für den ambulanten Bereich. „Wir benötigen eine steuernde Begleitung der Patienten, ohne sie zu bevormunden“, sagt Prof. Kurscheid. Um in Zukunft Versorgungs-brüche und „Drehtüreffekte“ zu verhindern, hält sie weniger Egoismus und eine stärkere sektorüber-greifende Kommunikation und Zusammenarbeit aller Beteiligten für unabdingbar. Besonders Ärzte- und Gesundheitsnetzwerke böten dafür aufgrund ihres hohen Organisationsgrads und der professionellen Strukturen gute Voraussetzungen.

Das Evangelische Krankenhaus in Mettmann zählt deutschlandweit zu den Vorreitern bei der Digitalisie-rung und hat positive erste Erfahrungen mit seinem digitalen Entlassmanagement gemacht, wie die Kauf-männische Leiterin Jessica Llerandi Pulido berichtet. Ihr Haus habe Fallmanager benannt, die sich ab dem ersten Tag um die Patienten kümmern. Denn schon

bei der Aufnahme könnten Vorerkrankungen und bis-lang zu nehmende Medikamente vergessen werden, was sich auf die dann folgende Behandlung im Krankenhaus und die daran anschließende Genesung auswirken könne. „Bei der Entlassung bekommen die Patienten von uns sämtliche Verordnungen für die notwendigen Medikamente und Hilfsmittel“, sagt Llerandi. „Der unmittelbare Gang zum Hausarzt ist dann nicht mehr erforderlich.“

Ein positiver Effekt des neuen Rahmenvertrags zum Entlassmanagement, merkt Llerandi an, seien die gewachsene Sensibilität für die Verweildauer, die interdisziplinäre Arbeit und die Nachsorge. Sie sieht zunächst die Krankenhäuser in der Pflicht, ihre Pro-zesse neu zu organisieren und zu optimieren, wünscht sich allerdings vor allem in puncto Nachsorge mehr Unterstützung. „Die Überleitung in die Kurzzeitpflege, vollständige Pflege oder in ein Hospiz ist häufig auf-grund mangelnder Kapazitäten nicht möglich. Das wird von Seiten der Politik und der Krankenkassen leider noch oft verkannt.“

Prof. Dr. Clarissa Kurscheid FiGuS GmbH, Kölnfigus.koeln

Jessica Llerandi PulidoEvangelisches Krankenhaus Mettmann GmbHevk-mettmann.de

Christian ZieglerDeutschen Krankenhausgesellschaft e.V., Berlindkgev.de

Jens Miedke (Moderation)BERLIN-CHEMIE AG, Berlinberlin-chemie.de

Prof. Dr. Clarissa Kurscheid, Jessica Llerandi Pulido, Jens Miedke, Christian Ziegler

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IM EINSATZ7TerminservicestellenNeue Aufgaben in der Patientensteuerung

Neben schnellerer Terminvermittlung sollen Terminservicestellen in Zukunft auch eine medizinische Erst-einschätzung geben. Wie das funktionieren soll und schon heute funktionieren kann, darüber berichten drei Experten aus der Praxis.

Wer in Deutschland schon einmal einen Termin bei einem Facharzt machen musste, der weiß, wie lange das mitunter dauern kann. „Die Wartezeitproblematik haben die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) lange negiert“, sagt Thomas Müller, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. „Jetzt gibt es ein Gesetz, damit Patienten nicht mehr so lange warten müssen.“ Nach dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), müssen Vertragsärzte in Zukunft 25 anstatt 20 Sprechstunden pro Woche anbieten, werden dafür aber auch besser vergütet. Neben mehr Sprechstunden verpflichtet das TSVG die Kassenärztlichen Vereinigungen, ab Januar 2020 Terminservicestellen einzurichten, rund um die Uhr unter der bundesweit einheitlichen Nummer 116117 zu erreichen sind. Dort werden den Anruferinnen und Anrufern Arzttermine vermittelt. „In Zukunft wird die

Terminvergabe nur noch über zentrale Stellen und nicht mehr beim Arzt direkt erfolgen“, ist sich Müller sicher. Neben der Terminvergabe werden die Service-stellen auch ein strukturiertes Verfahren zur medizini-schen Ersteinschätzung haben (SmED). „Damit sollen Patienten besser zur richtigen Anlaufstelle gesteuert werden“, so Dr. Martina Schmiedhofer, Wissenschaft-liche Mitarbeiterin des Arbeitsbereichs Notfallmedizin/Rettungsstellen an der Charité.

In der Tat scheint das dringend notwendig zu sein, wie die Statistik zeigt: „Aus Erfahrungen in der Schweiz wissen wir, dass nur 2 Prozent der Menschen, die vor der Telefontriage ins Krankenhaus wollten, auch dorthin geschickt werden. Rund ein Drittel derjenigen, die sich selbst behandeln wollten, sollten das danach auch tatsächlich tun“, erklärt Dr. Dominik Graf von

Thomas Müller

Dr. Dominik Graf von Stillfried

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7Stillfried, Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland. Das System, das in Deutschland eingeführt werden soll, wird auf dem medizinischen Regelwerk eines bereits bestehenden schweizerischen Systems bestehen. „Dazu fügen wir dann den deutschen Kontext hinzu“, so von Stillfried. „Das SmED-Ersteinschätzungsergeb-nis besteht am Ende aus einer Mischung zwischen Versorgungsbedarf und Versorgungszeitpunkt. Somit kann dem Anrufer klar mitgeteilt werden, wie schnell und an welcher Anlaufstelle er sich einfinden sollte.“ Die Ersteinschätzung sollen außerdem immer von Personen mit einer medizinischen Ausbildung durch-geführt werden. Neben den Terminservicestellen, soll SmED zukünftig auch in Notfallambulanzen und Bereitschaftspraxen eingesetzt werden. „Das TSVG bietet insgesamt Chancen für das KV-System. Es kann helfen, Wartezeiten zu verkürzen, wobei uns die 24-stündige Erreichbarkeit noch Bauchschmerzen be-reitet“, so Thomas Müller. Gerade für die Nachtstunden sei es schwierig qualifiziertes Personal zu finden.

Diese Sorgen kann Dr. Emil Kendziorra, Geschäfts-führer der Medlanes GmbH, einem privatärztlichen Bereitschaftsdienst, nach seinen Erfahrungen aus der Praxis nicht bestätigen: „Nur 1 Prozent unserer Kontakte fallen in die Zeit zwischen 23.00 und 04.00 Uhr. Davon sind nur sehr wenige Notfälle.“ Auch für Personal mit ausschließlich medizinischer Ausbildung, wie beim SmED vorgesehen, sieht Kendziorra keinen Grund: „Wir haben ein gut strukturiertes Programm, an das sich unser geschultes Personal hält, Ärztinnen

und Ärzte arbeiten bei uns im Hintergrund. Das funktioniert.“ Medlanes vermittelt Privatpatienten und Selbstzahlern Hausbesuche von kooperierenden Bereitschaftsärzten – auf Kosten der Leistungser-bringer, so dass die Vermittlung für den Patienten unentgeltlich erfolgt. „Die meisten rufen nur wegen Informationen an“, erklärt Kendziorra. „Außerhalb der Öffnungszeiten ihres Arztes haben viele das Gefühl, keine für sie passende, medizinische Option zu haben und kennen keine Alternative zur Notaufnahme. Ihnen fehlen Lotsen, die sie an die richtigen Stellen führen können.“ Dabei würde Medlanes den Patienten nicht nur an die geeignete Stelle vermitteln: „Wir verbinden Arzt und Patient auch nach der Behandlung für Nach-fragen oder Folgeprobleme“, so Kendziorra.

Dr. Emil KendziorraMedlanes GmbH, Berlinmedlanes.com

Thomas MüllerKassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Dortmundkvwl.de

Dr. Dominik Graf von Stillfried Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Berlinzi.de

Dr. Martina Schmiedhofer (Moderation)Notfallmedizin/Rettungsstellen der Nord-Campi der Charité Berlinnotfallmedizin-nord.charite.de

Dr. Martina Schmiedhofer

Dr. Emil Kendziorra

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IM EINSATZ7Innovationsfonds – womit die Projekte kämpfenBürokratische Vorgaben und Praxisferne erschweren die Umsetzung

Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) fördert neue Projekte, um die bestehende Gesundheitsversorgung innovativ zu ergänzen. Während der Sinn des Programms nicht in Frage gestellt wird, begegnen die teilnehmenden Projekte zahlreichen Herausforderungen.

„Es ist ein Drahtseilakt: Stets läuft man Gefahr, abzu-stürzen, ob in Sachen Zeitplan oder in Finanzierungs-fragen“, beschreibt Sonja Laag ihre Situation. Sie ist Leiterin der Versorgungsprogramme der Barmer Krankenversicherung, die unter anderem die Gründung eines Ärztinnen- und Ärztenetzwerks im Saarland betreut. Mit der Finanzierung durch den Innovations-fonds sind zahlreiche Auflagen verbunden, die neben der eigentlichen Arbeit gemanagt werden müssen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die fortlaufende Evaluation: Bereits bei der Bewerbung um eine Förde-rung ist darzulegen, wie die Wirksamkeit und Effizienz der jeweiligen Unternehmungen gemessen wird. „Das Evaluationskonzept gibt den Takt vor“, so Laag.

Aktuell ist es den Projekten jedoch nicht möglich, aus den Evaluationen zu lernen, da keine Zwischen-berichte vorgesehen sind. Nur vor einem potentiellen Roll-Out – im Anschluss an die Förderphase – können

die Evaluationsergebnisse berücksichtigt werden. Ein weiteres Problem sei, findet Laag, dass nach dem positiven Bescheid des GB-A erst einmal lange nichts passiere: „Es gab eine harte Antragsphase und dann wartet man. Die hochmotivierten Akteure stehen bereit, aber wir können nichts machen. Wir müssen auf das Geld warten.“

Dr. Markus Dahlem, der mit seinem Start-up New-senselab GmbH erst seit Ende 2018 eine Förderung durch den Innovationsfonds erhält, bestätigt: „Richtig losgelegt haben wir erst, als das Geld da war. Zehn Prozent Anschubfinanzierung mit positivem Bescheid wären da schon wünschenswert. Aber bei uns gab es in der Zwischenzeit genug zu tun. Unser Problem war eher, dass man bei digitalen Produkten wie der App M-sense nicht irgendwann aufhört zu entwickeln. Man muss vielmehr entscheiden, wann man mit einem Stand in die Antragsstellung geht.“

Prof. Dr. Clarissa Kurscheid, Dr. Christian Flügel-Bleienheuft, Sonja Laag, Dr. Markus Dahlem, René Engelmann

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7Diese ist vor allem für wissenschaftsfremde Unter-nehmen komplex. Moderatorin Prof. Dr. Clarissa Kurscheid, Geschäftsführerin der FiGuS GmbH, merkt an, dass das Antragsverfahren unter Umständen zu stark an der Vorgehensweise der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) orientiert sei. Dies sieht René Engelmann ebenso. Ein Problem des Fonds sei, so der Projekt- und Netzwerkmanager von NPPV (Netzwerk zur Neurologisch-psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung (→ mehr dazu auf Seite 48), dass bei der Förderung nicht auf die Umsetzbarkeit der Konzepte geachtet werde. Es gebe methodisch hervorragende Vorhaben, die dann aber nicht in die Regelversorgung überführt werden könn-ten. Eine entsprechende Nachbesserung der Vorgaben sei daher sinnvoll.

Denn die Frage ist, was nach der dreijährigen Förder-phase geschieht: Wie geht es weiter, wenn die Finan-zierung ausläuft? Was passiert mit den aufgebauten Strukturen und Ideen? „Wir wissen, dass wir nicht viel wissen“, meint Kurscheid: „Mein Eindruck ist, dass das Thema politisch ausgeblendet wird.“ Engelmann gibt sich hinsichtlich seines Projekts zuversichtlich: „Wir machen weiter unseren Job. Am Ende haben wir ein Netzwerk aufgebaut, das man nicht brachliegen lassen möchte. Wir zeigen durch unsere Arbeit, dass wir benötigt werden.“

Dahlem hingegen verfolgt einen anderen Ansatz: „Drei Jahre sind ein langer Zeitraum für ein Start-up. Dazu kommt die Übergangsphase von einem Jahr, falls wir

in die Regelversorgung aufgenommen werden sollten. Wir versuchen, heute schon Alternativen zu schaffen und Geschäftsmodelle in petto zu haben. Alles andere wäre fast fahrlässig.“

Laag wiederum setzt auf Argumentationsstärke: „Unsere Projekte sind so angelegt, dass sie Selektiv-verträge verbessern. Wir kämpfen dafür, dass wir in die Honorarverhandlungen reinkommen. Unser An-gebot ist, diese fundiert führen zu können.“

Prof. Dr. Christian Flügel-Bleienheuft, Gründer des Gesundheitsnetzes Köln-Süd e.V., spricht sich grundsätzlich dafür aus, bei künftigen Förderungent-scheidungen des Fonds im Blick zu behalten, wie die Projekte in die Regelversorgung kommen. Seine Empfehlung: „Man muss Zwischenevaluationen und eine neue Finanzierung zulassen, um Gutes besser zu fördern. Die Leute bei der Stange zu halten, ist schwer. Es gilt, den Boden so vorzubereiten, dass ein Über-gang klappt.“ Laag weist darüber hinaus darauf hin, dass seitens des GB-A scheinbar keine koordinierte Projektauswahl stattfinde: „Aktuell werden in den Projekten oftmals Symptome bekämpft. Dabei wäre es sinnvoll, zuerst Defizite zu eruieren und sich dann die Folgeversorgung anzugucken. Die große Strategie muss im Blick behalten werden.“

Dr. Markus DahlemNewsenselab GmbH, Berlinm-sense.de

René EngelmannIVPNetworks GmbH, Hamburg / Düsseldorfivpnetworks.de

Dr. Christian Flügel-BleienheuftGesundheitsnetz Köln-Süd e. V., Kölngks-gesundheitsnetz.de

Sonja LaagBARMER, Wuppertalbarmer.de

Prof. Dr. Clarissa Kurscheid (Moderation) FiGuS GmbH, Kölnfigus.koeln

Sonja Laag, Dr. Markus Dahlem

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IM EINSATZ7Vom Schutz der DatenDie DSGVO und erste Erfahrungen mit der Umsetzung

Was ist seit dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung geschehen? Wie wirken sich die neuen Bestimmungen in der Praxis aus? Haben sich die Befürchtungen über eine Abmahnwelle und hohe Kosten bewahrheitet? Eine Bestandsaufnahme.

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) schuf europaweit einen einheitlichen Rechtsrahmen zur Erhebung, Speicherung und Nutzung von personen-bezogenen Daten. Sozial- und Gesundheitsdaten zählen zu den sensibelsten personenbezogenen Infor-mationen überhaupt. Krankenkassen, Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken, Forschungsinstitute und alle übrigen an der Gesundheitsversorgung Beteiligten waren angehalten, ihre Datenverarbeitungsvorgänge zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

Ein knappes Jahr nach Ende der Übergangsfrist für die neue DSGVO herrscht im Umgang und in der Um-setzung mit dem Gesetz noch immer eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Zudem war und ist der admi nistra-tive und finanzielle Mehraufwand für die Beteiligten er-heblich: Prozesse müssen angepasst, Formulare über-arbeitet und Rechtsgrundlagen überprüft werden. Die Rechtsanwälte und Medizinrechtsexperten Angelika Diarra und Dr. Christian Rybak erinnern zunächst daran, dass der Datenschutz in Deutschland durch die DSGVO nicht plötzlich von 0 auf 100 gefahren wurde, sondern die inhaltlichen Anforderungen vielfach dem bereits geltenden Recht entsprechen.

Die befürchtete Abmahnwelle sei bislang aus-geblieben. Laut Diarra wurden erst in fünf Bundes-ländern Bußgelder verhängt, davon 80 Prozent in Nordrhein-Westfalen. Drastische Strafen wie in Por-tugal, wo die Datenschutzaufsichtsbehörde aufgrund des offenen Zugangs zu Patientendaten ein Bußgeld

in Höhe von 400.000 Euro gegen ein Krankenhaus verhängte, habe es hierzulande noch nicht gegeben. „Sämtliche bislang in Deutschland verhängten Buß-gelder betreffen sehr offenkundige Verstöße und Ver-haltensweisen, die bereits vor dem Inkrafttreten der DSGVO verboten waren“, ergänzt Dr. Christian Rybak. Bei den bekannt gewordenen Fällen handele es sich unter anderem um Bußgelder wegen unverschlüsselt gespeicherter Passwörter, offener Emailverteiler, fehlender Verträge zur Auftragsverarbeitung oder die Offenlegung von Kontoauszügen an Unbefugte beim Online-Banking.

Zahlreiche Wortmeldungen aus dem Publikum zeigen, dass der generelle Umgang mit Daten in der Gesundheitswirtschaft noch immer viele Fragen

Angelika Diarra

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aufwirft. „Wer alles richtig machen will und bei genau der Behörde nachfragt, die letztendlich sanktionieren kann, erhält leider selbst dort oft keine konkreten oder individuellen Antworten, sondern nur Standardaus-künfte“, berichtet Angelika Diarra. „Hinzu kommt, dass sich die Auslegung und Anwendung der Regeln von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.“

Bei aller berechtigten Kritik weisen die Experten darauf hin, dass die DSGVO in der Gesellschaft den Blick für den Schutz und die Verwendung von Daten geschärft habe. Viele der Betroffenen hätten angefangen, sich darüber Gedanken zu machen und ihre Prozesse beleuchtet und die Mitarbeiter seien für das Thema Datenschutz sensibilisiert. Damit aus Nichtwissen keine Fehler passieren, seien vor allem Mitarbeiter-schulungen zu den Inhalten und Folgen der DSGVO von großer Wichtigkeit.

Wie schwierig sich die konsequente Umsetzung der Richtlinien in der Praxis oftmals gestaltet, macht eine rege Diskussion deutlich: Häufig verwischten dabei die Grenzen zwischen Datenschutz und ärztlicher Schweigepflicht, etwa wenn das Tresenpersonal mit Patienten in Hörweite des Wartezimmers kommuni-ziert. „Nimmt man es genau, dürfte ein Patient den an-deren in der Praxis gar nicht sehen“, sagt Dr. Christian Rybak. „Denn damit offenbart dieser ja schon, dass er in Behandlung ist. Das betrifft auch das Aufrufen des Namens im Wartezimmer oder Gespräche, die von den anderen Wartenden gehört werden.“

„Vom eigentlichen Ziel der DSGVO, den daten-technisch Schwachen vor dem datentechnisch Star-ken besser zu schützen, sind wir noch weit entfernt“, fasst Moderator Andreas Clasen zusammen. Alle in der Praxis auftretenden Fragen werde man schon deshalb nicht abschließend beantworten können, weil die Norm nicht genügend Rahmenbedingungen an die Hand gibt. Ob die DSGVO in Zukunft Antworten für Entwicklungen wie das Internet der Dinge oder die automatisierte Datenverarbeitung geben kann, darf bezweifelt werden – aber das ist vielleicht ein Thema für einen der kommenden Kongresse.

Angelika DiarraKanzlei für Medizinrecht Prof. Schlegel, Hohmann & Partner, Frankfurt am Maingesundheitsrecht.com

Dr. Christian RybakEhlers, Ehlers & Partner Rechtsanwaltsgesellschaft mbB, Münchenehlers-ehlers-und-partner.de

Andreas Clasen (Moderation)BERLIN-CHEMIE AG, Butzbachberlin-chemie.de

Andreas Clasen, Angelika Diarra, Dr. Christian Rybak

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8KAPITEL

IM GESPRÄCH

LASSEN SIE UNS REDEN!

Lebendig wird ein Kongress nicht allein durch spannende Themen, sondern vor allem durch sein Publikum. Einmal mehr konnten sich die Besucherinnen und Besucher im direkten Austausch zu den Geschäftsideen von Gesundheits-Start-ups informieren. Ein interaktiver Workshop lud dazu ein, gemeinsam Visionen für das Jahr 2035 zu schmieden – und dann war uns natürlich noch ein kleines Stimmungsbild zu unserem Motto wichtig: „Versorgung digital: total normal!?“

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IM GESPRÄCH

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8Disruption oder Ergänzung?Der Start-up-Parcours im Überblick

Healthcare-Start-ups arbeiten an der Gesundheitsversorgung von morgen. Welche neuen Ideen kommen aus den Think Tanks? Auf dem Start-up-Parcours präsentierten auch in diesem Jahr wieder junge Unter-nehmen ihre innovativen Ideen.

ARZTKONSULTATION – VIDEOSPRECHSTUNDEN ONLINE

2014 wurde arztkonsultation.de auf dem Deutschen Ärztetag vorgestellt. Es bietet Patientinnen und Patienten eine bequeme Videosprechstunde in den eigenen vier Wänden. Für die Anmeldung in der digi-talen Praxis erhalten sie vom Arzt eine TAN-Nummer. Ärztinnen und Ärzten sparen Zeit und Aufwand und profitieren von einer einfachen Abrechnung über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab. Einfache Be-dienung, Datensicherheit und die Übereinstimmung mit der ärztlichen Berufsordnung und Gesetzen stehen bei arztkonsultation.de im Vordergrund. Die Video-sprechstunde ist sowohl auf stationären als auch auf mobilen Endgeräten einsetzbar und kann von Ärzten und Patienten von zuhause aus bedient werden. Zu-sätzliche Software muss nicht installiert werden, denn die Videosprechstunde funktioniert ganz einfach über arztkonsultation.de, mit den Browsern Safari, Opera, Chrome oder Firefox. Die Nutzung ist für Patienten kostenlos. Für Ärzte kostet der Service 59 Euro pro Monat, mit einer einmonatigen Kündigungsfrist.

Dr. Peter ZeggelArztkonsultation ak GmbH, Schwerinarztkonsultation.de

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IM GESPRÄCH8

FUSE­AI – KÜNSTLICHE INTELLIGENZ FÜR DIE BILDERKENNUNG

Die Analyse von Ergebnissen bildgebender Verfahren benötigt Zeit und ist nicht immer fehlerfrei. Mithilfe von Deep Learning und Machine Learning will FUSE-AI das ändern. Das Start-up entwickelt dafür eine Software, die mit großen Datenmengen gefüttert wird und so lernt, zum Beispiel Prostatakarzinome zu erkennen. Das Programm markiert dabei die verdächtigen Stellen oder verfasst Reports, um dem Arzt die Befund erstellung zu erleichtern. FUSE-AI will nicht den Arzt ersetzen, sondern ihm eine zweite Meinung an die Hand geben und den Zeitaufwand für die Bildanalyse verkürzen. Die Diagnosen werden somit schneller und genauer. Um höchsten Datenschutz zu gewährleisten, nutzt das Hamburger Start-up eine BSI zertifizierte Open Cloud Lösung der Deutschen Telekom, mit Rechen-zentren in Deutschland. Derzeit arbeitet das Team von FUSE-AI an Lösungen für die Detektion von Prostata-karzinomen in multiparametrischen MRT Daten.

Sabrina Reimers-KippingFUSE-AI UG, Hamburgfuse-ai.de

CLINISERVE – PFLEGESOFTWARE FÜR JEDE SITUATION

Das Start-up Cliniserve hat sich das Ziel gesetzt, den Pflegeberuf mithilfe digitaler Lösungen zu ent-lasten. Als Softwarehersteller hat das Team bereits zahlreiche Produkte zur Steigerung von Effizienz und Erleichterung der Beschäftigten im Pflegealltag geschaffen. Dazu zählen unter anderem ein digitales Ausfallmanagement, ein Assistent zur Schichtplanung oder ein Assistent für Pflegekräfte. Alle Lösungen wurden in Zusammenarbeit mit der Pflegebranche entwickelt und richten sich an der Realität des Arbeits-alltages aus. Die Software hilft, doppelte Laufwege zu vermeiden, indem verschiedene Informationen an einem Ort gebündelt werden – sogar die Lichtrufan-lage kann angeschlossen werden. Cliniserve kann zudem Schichtabläufe optimieren und ist auch auf mobilen Geräten nutzbar. Das entlastet das Personal, lässt mehr Zeit für die Pflege und erhöht letztlich die Zufriedenheit der Patienten.

Julian Nast-KolbCliniserve GmbH, Pöckingcliniserve.de

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IM GESPRÄCH

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BIO.LOGIS GIM – ÜBERSETZUNG VON GENANALYSEN

Die Umwandlung von Ergebnissen aus genetischen Untersuchungen in klinisch verwendbare Informatio-nen, die für die Behandlung geeignet sind, erfordert spezialisierte Experten und viel Zeit. Das bio.logis Genetic Information Management (GIM) bietet mehrere modulare IT-Lösungen für diese Aufgabe. Ihre Funk-tionen reichen von der automatisierten Erstellung von Diagnosereports über Content Management Systeme bis hin zu kuratierten Informationen zur Unterstützung der diagnostischen Entscheidungsfindung. Die Diagnoseberichte werden in Echtzeit generiert und sind so immer auf dem neuesten Stand. Bei der Ge-staltung der Module wurde auf Nutzerfreundlichkeit und intuitive Bedienung geachtet. GIM verwendet dabei keine öffentliche Cloud, sondern das High Security Center der Deutschen Telekom. Ärzte und Patienten können sich mithilfe einer VPN mit dem System verbinden.

Dr. Maike Postbio.logis Genetic Information Management GmbH, Frankfurt am Mainbiologis.com

CARE FOR CANCER – KREBSVORSORGE­EMPFEHLUNG PER KLICK

Die frühe Erkennung einer Krebserkrankung kann die Heilungschancen erheblich verbessern und den Krankheitsverlauf abschwächen. Doch wer nicht selbst betroffen ist, setzt sich ungern mit der Erkrankung auseinander; zudem sind die Informationen dazu recht unübersichtlich. Um den Weg zur Krebsvorsorge zu ebenen, haben die Gründer von Care for Cancer eine Plattform zur Krebsprävention entwickelt. Sie entspricht dem neuesten Stand der Wissenschaft und bietet Nutzerinnen und Nutzern individuell zugeschnittene Informationen über Vorsorgemaß-nahmen und Risiken. Nach einem kurzen Fragen-katalog erhält man individuelle Empfehlungen für regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und passende Ansprechpartner sowie Informationen über verfügbare Vorsorgeleistungen. Mit ihrer Plattform bietet Care for Cancer eine zentrale Anlaufstelle, die den Einstieg in die Krebsvorsorge vereinfacht und Orientierung bietet.

Jan ReimersCare for Cancer UG, Hamburgcareforcancer.de

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MYOSOTIS – VERNETZUNG IN DER PFLEGE

Myosotis ist der Fachbegriff für die Pflanze Vergiss-meinnicht. Die Gründer von myosotis, Jasper Böckel und Felix Kuna, haben dies nach einem Pflegeprakti-kum als Aufforderung verstanden und eine App entwickelt, die Pfleger, Betreuer, Therapeuten und Angehörige von Seniorinnen und Senioren vernetzt. Die App funktioniert wie ein Chatprogramm – man kann Text- oder Sprachnachrichten, Bilder und Videos versenden. Überflüssige Telefonate können so vermieden werden. Das spart Zeit und das Personal kann sich mehr auf die Pflege konzentrieren. Die Pflegebedürftigen müssen sich aber nicht selbst mit der Technologie beschäftigen, die Pflegenden erstellen die Inhalte für sie. So wird die digitale Kluft überwun-den und auch ältere Menschen können die Vorteile digitaler Kommunikation nutzen und bleiben mit ihren Angehörigen in Echtzeit in Kontakt. Darüber hinaus er-halten Angehörige einen Einblick in die Leistungen der Pflegenden – das stärkt das Ansehen des Pflegeberufs.

Jasper Böckelmyosotis GmbH, Berlinmyo.de

MHEALTH PIONEERS – SCHNITTSTELLE FÜR WEARABLES

Wearables als Gesundheits- oder Lifestyle-Anwen-dungen sind inzwischen etabliert und es gibt zahl-reiche Anbieter für entsprechende Smartwatches, Fitness-Tracker und Medizinprodukte. Die Integration der verschiedenen Daten der einzelnen Anwendungen in eine Health-App ist jedoch ein komplexes und zeitaufwändiges Unterfangen. Genau hier setzt das Berliner Start-up mHealth Pioneers an: Thryve ist eine Schnittstelle für die automatisierten Daten von Wear-ables, mit Zugang zu über 200 verschiedenen Geräten. Thryve wandelt unterschiedliche Datenquellen aller gängigen Hersteller in ein einheitliches Format um. Gesundheitsdienstleister können so über die Schnitt-stelle die Daten aller Geräte ihrer Kunden ganz einfach in ihren Service integrieren. Das spart viel Zeit bei der Entwicklung und Nutzern mühevolles Ausfüllen von Formularen.

Friedrich LämmelmHealth Pioneers GmbH, Berlinthryve.health

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NEOTIV – ERFORSCHUNG VON GEDÄCHTNISPROBLEMEN

Die Zahl an alten Menschen in Deutschland steigt ste-tig an und damit auch die Zahl an Alzheimerkranken. Dennoch ist kein wirksames Gegenmittel gegen das Vergessen in Sicht. Ein Magdeburger Start-up arbeitet daher an einer digitalen Lösung zur Analyse von Alzheimer. Neotiv ist ein Ableger der Universität Magdeburg und baut auf der dortigen Forschung auf. Eine mobile App soll es jedem Interessenten ermöglichen, sich an der Forschung zu beteiligen. Mithilfe von regelmäßigen Tests und Fragebögen wird das Gedächtnis langfristig beobachtet, um neue Erkenntnisse für die Erkennung und über den Verlauf von Gedächtnisproblemen zu gewinnen. Die Tests entsprechen dem neuesten Forschungsstand und zie-len auf Bereiche des Gedächtnisses ab, die besonders früh von Alzheimer betroffen sind. Mit der effizienten Rekrutierung von Probanden und Beobachtungen über einen längeren Zeitraum sollen die Anwendungen von neotiv auch bei der Entwicklung neuer Medikamente helfen.

Dr. Bernd NeutschelNeotiv GmbH, Magdeburgneotiv.de

DOCYET – MITTELS AI DURCH DEN VERSORGUNGSDSCHUNGEL

Außerhalb der Sprechzeiten des Arztes wissen nur wenige Menschen, was man im Krankheitsfall neben Internetrecherche oder dem Besuch der Notaufnahme tun kann. Während die Notaufnahmen mit nicht-drin-genden Fällen überfüllt sind, sind die Ergebnisse der Internetrecherche von sehr unterschiedlicher Qualität. Die Gründer von DOCYET haben ein Chatprogramm entwickelt, das auf Künstlicher Intelligenz basiert. Dort kann man per Sprach- oder Texteingabe sein Anliegen oder seine Symptome schildern. Mithilfe von Algorithmen ordnet der Computer die Situation des Patienten ein und antwortet innerhalb von Sekunden. So hilft die App dem Patienten mit seinen individuellen Symptomen oder gibt Hinweise zu An-sprechpartnern – das kann der nächste Arzt oder auch die Wegbeschreibung zum nächsten Krankenhaus sein. Damit trägt DOCYET zur Reduzierung von hohen Besucherzahlen in Ambulanzen bei und dient außer-dem als qualitativ hochwertige Informationsquelle für Patienten.

Florian BontrupDOCYET UG, Leipzigdocyet.com

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USANO – TELEMEDIZIN FÜR DEN MANN

Männer haben eine kürzere Lebenserwartung und laut den Gründern von usano werden Themen, die Männer-gesundheit betreffen, in Deutschland tabuisiert. Daher hat das Dubliner Start-up eine digitale Gesundheits-plattform entwickelt, auf der sich Männer ohne ge-sellschaftlichen Druck oder Wartezeit zu Indikationen wie Erektionsstörungen, vorzeitigem Samenerguss oder Haarausfall informieren können. Dafür muss nur ein Fragebogen ausgefüllt werden, der anschließend von einem Arzt geprüft wird. Neben einer Aufklärung über den Befund stellt dieser auch direkt ein Rezept aus, das an die Partnerapotheke weitergeleitet wird. Der Versandt erfolgt in einer neutralen Verpackung direkt nach Hause. Um eine qualitativ hochwertige und sichere Versorgung zu garantieren, setzt usano ausschließlich auf deutsche Original-Medikamente und bei den beratenden Medizinern auf zugelassene Ärzte mit langjähriger Erfahrung.

Philipp von SchönfelsUsano Health Ltd., Dublinusano.de

Wir danken unseren Unterstützerinnen und Unterstützern!

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8Versorgung 2035: Vorausdenken und GestaltenEin interaktiver Workshop

Zwei Szenarien und zwei Gruppen, die frei heraus träumen dürfen: Ob es um einen Unfall geht oder um eine chronische Krankheit – wie sieht wohl die Versorgung in gut 15 Jahren aus? Welche bürokratischen Eiertänze würden abgeschafft? Womit wird es leichter für Arzt und Patient?

Die Ideen fliegen durch den Raum. Mal philosophisch: Wird das Menschliche im Umgang wichtiger oder eher abnehmen? Mal technisch: Vielleicht braucht man in 15 Jahren für ein MRT gar keinen Arzt mehr, sondern es gibt eine Box, in die man selbstständig reingeht und auf einen Knopf drückt. Und der Echokardiograph wird von der Drohne gebracht. Mal wirtschaftlich: Jeder Patient hat die volle Hoheit über sein Gesund-heitsmanagement – er zahlt also selbst und wählt seinen Manager am freien Markt nach dem Motto „Wo ist die Firma, die mich gesund hält?“

Zwei Szenarien haben die Leiterinnen des Work-shops ausgearbeitet, die Medizin im Jahr 2019 recht realistisch abbilden und anhand derer die Teilnehmer diskutieren sollen: Was könnte anders laufen? Wie könnte die Versorgung der beiden Patienten im Jahr 2035 aussehen?

Fall eins ist Philipp, 33 Jahre alt, Freiberufler. Er lebt auf dem Land und das eher ungesund: Er ist über-gewichtig und bewegt sich wenig. Mit 13 Jahren wurde bei ihm Diabetes Typ 1 diagnostiziert. In letzter Zeit hat er Schlafprobleme und Kopfschmerzen. Sein Hausarzt hat altersbedingt die Praxis aufgegeben. Des-halb fährt Philipp ins 25 Kilometer entfernt gelegene MVZ. Er bekommt eine Langzeit-Blutdruckuntersu-chung und im Anschluss ein neues Insulin-Rezept (das er dann in der Aufregung im MVZ vergisst) sowie eine Überweisung zum Kardiologen für weitere Untersuchungen. Der Kardiologe verschreibt ihm zwei Blutdrucksenker und ermahnt ihn, mehr Sport zu

machen. Philipp geht jetzt laufen und hat sich einen Fitness-Tracker angeschafft.

Im zweiten Szenario geht es um Bärbel, 48 Jahre, Kindergärtnerin, die in der Stadt lebt und sich mit Zumba und Radfahren fit hält. Beim Sport verdreht Bärbel sich das Knie. Der Rettungsdienst bringt sie in die Notaufnahme. MRT und Röntgenaufnahme zeigen: Es ist ein Kreuzbandriss. Der diensthabende Arzt führt mit ihr ein Aufklärungsgespräch, in dem er ihr die verschiedenen OP-Methoden erläutert. Zu Hause versucht Bärbel, im Internet alles nachzulesen, weil ihr das im Krankenhaus zu schnell ging mit all den Informationen. Wie in der Klinik besprochen spricht sie beim Spezialisten vor, der sie zur OP-Vorbereitung noch mal zum MRT schickt. Nach der OP bleibt Bärbel eine Nacht im Krankenhaus. Es folgt eine ambulante Reha beim Physiotherapeuten. Nach acht Wochen ist sie wieder fit.

Johanna Radloff, Katharina Specht

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IM GESPRÄCH8Rund eine halbe Stunde haben die jeweils rund zwölf Teilnehmer jeder Gruppe, um ihr Szenario zu diskutieren. Bei der Gruppe Philipp steht am Ende ein sehr konkretes Szenario, entworfen vor allem anhand der Frage: Gibt es im Jahr 2035 für diesen Fall über-haupt noch einen Arzt, zu dem der Patient geht, oder nicht eher telemedizinische Alternativen? Wahrschein-licher sei, dass es eine App gibt – „und dann geht es schon zu Hause los“, wie der Gruppensprecher sagt: Daten sammlung, Erstdiagnose und erste Empfehlun-gen würden dann nicht mehr in der Praxis gemessen und ausgesprochen, sondern von der App.

Eine digitale Patientenakte sorgt für Arzneimittel-sicherheit und E-Rezepte. Die Medikamente gibt es noch klassisch in der Apotheke, aber auch am Automaten oder per Drohnenlieferung. Mit dem Medikament kommt aber auch das Tracking, das über-wacht, ob der Patient die Packung vorschriftsgemäß einnimmt. Künstliche Intelligenz unterstützt den Arzt und analysiert fortwährend, ob Philipps Vitalwerte sich verbessern. Er selbst geht mit dem Fitnesstracker lau-fen und hat sich dem „Lauf-Tindern“ angeschlossen: Eine Gruppe aus seiner Umgebung, die sich per App spontan zu gemeinsamen Lauftreffs verbredet.

Die Gruppe Bärbel fächert dagegen eine Reihe von Möglichkeiten auf: „Wir haben stark oszilliert zwischen utopischen und dystopischen Visionen“, wie der Vor-tragende zusammenfasst. Zum Beispiel bei der Frage, ob Non-Compliant-Patienten die Leistungen gekürzt würden oder Compliant-Patienten zur Belohnung eine

Haushaltshilfe bekommen. Für denkbar hält die Grup-pe, dass in einer digitalen Plattform Informationen zusammenlaufen und von dort die Prozesse gesteuert werden.

Bei einem Unfall könnte das heißen, dass über einen Notfallknopf oder ein Assistenzsystem ein automatischer Alarmruf abgesetzt wird, der den Rettungswagen oder die Drohne ruft. Über eine digitale Triage wäre dann zu erkennen, ob wirklich ein Arzt hinzugezogen werden muss. Statt standard-mäßig ins Krankenhaus zu fahren, könnte gleich eine

MRT-Station angesteuert werden. Die Bildgebung wird digital und automatisiert ausgewertet. Durch diesen Prozess würde wertvolle Zeit gespart, die Patienten heute mit dem Warten auf Termine beim Spezialisten und Bild- und Laborergebnisse verbringen. Wenn der Patient nach der OP nach Hause entlassen wird, wird die Krankenkasse automatisch informiert und kann sich als Lotse weiter kümmern. Und vielleicht heißt es in Zukunft dann vor der Krankenhauswahl im Internet auch: „Andere Patienten in Ihrer Lage haben die Klinik XY gewählt.“

Begleitung durch Katharina Specht undJohanna Radloff, Agentur WOK, Berlin

Johanna Radloff

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IM GESPRÄCH

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8Auf ein Wort: Was meinen Sie?„Versorgung digital: total normal!“ ist das diesjährige Kongressmotto. Wir wollten von Ihnen wissen: Sehen Sie das auch so?

MARCUS KREMERS MEDECON TELEMEDIZIN GMBH

Noch nicht, es sollte aber dringend normal werden. Im Moment fehlen noch die guten und einfachen An-wendungen, bei denen der Patient den Nutzen sieht. Die Patienten müssen wir aber unbedingt bei der Ent-wicklung mitnehmen, und das wird nur gehen, wenn sie dadurch Verbesserungen bei ihren Behandlungen spüren.

CORINNA ROSS SIEMENS-BETRIEBSKRANKENKASSE

Nein, obwohl es doch offenbar einen breiten Konsens gibt, dass sie kommen sollte. Wir haben schon so viel diskutiert – wir sind in die Diskussionsfalle gelaufen. Dabei gibt es nichts Schlimmeres, als wenn Amazon, Facebook und Co. die Patientendaten sammeln, wäh-rend unser Gesundheitssystem die Zeit verpasst. Lasst uns einfach mal anfangen.

DR. AXEL RÖSLER VIVANTES MVZ GMBH

Sie sollte und könnte bereits in merklichem Umfang normal sein – ist es aber leider noch nicht. Daher war der Kongress wie immer inspirierend und frustrierend zu gleich.

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IM GESPRÄCH8

INSA WÜLBERS SIMBA N3 SOFTWARE

Mich faszinieren die Möglichkeiten der digitalen Me-dizin. Hier wird mutig und innovativ weiterentwickelt, und wir sollten demgegenüber aufgeschlossen sein. Perspektivisch wird eine umfassende Patientenver-sorgung sicher nur noch mit digitaler Unterstützung funktionieren, insofern ist das in meinen Augen normal. Dennoch sollte die Digitalisierung nicht vor-schnell eingesetzt werden. Auf dem Kongress gab es dazu höchst interessante Vorträge und Workshops mit lebhaften Diskussionen und guten Gesprächen.

CORINNA SCHERTELL BOEHRINGER INGELHEIM CORPORATE CENTER GMBH

„Normal ist digitale Versorgung noch nicht, wobei ich glaube, dass die Patienten selbst digitale Angebote oft schon mehr nutzen, als das Gesundheitssystem bisher bietet, beim Thema Tracking zum Beispiel. In der Industrie müssen wir uns vernetzen – dafür ist die digitale Welt hilfreich. Das digitale Vernetzen ersetzt allerdings nicht das Reden über die Dinge.“

CARSTEN LOTZ KASSENÄRZTLICHE VEREINIGUNG HESSEN

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist eine große Chance, Versorgungskosten und Prozesse zu optimieren im Hinblick auf die Ressource Arzt.

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