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14 Nahtod Von Raphael Schmidt Görlitz. Weiterleben nach dem Tod ist für viele Menschen nicht vorstellbar – ebenso wie Nahtod- erlebnisse. Die davon berichten, werden nicht selten in die Ecke von Spinnern gestellt, zu Unrecht, wie Wissenschaftler sagen. „Ich sei tot – so hörte ich die Ärzte noch sagen, und von jenem Augen- blick an hatte ich das Gefühl, durch Finsternis, eine Art eingegrenzten Raum zu fallen oder eher vielleicht zu schweben. Das kann man nicht richtig beschreiben. Es war alles pechschwarz, nur ganz in der Ferne konnte ich dieses Licht sehen, dieses unglaublich helle Licht“, so beschreibt eine Patientin in dem Buch „Leben nach dem Tod“ von Dr. Raymond Moody ihre Erlebnisse aus der Phase, während Ärzte sie wiederbelebten. „Nach kurzer Zeit begann ich zu schweben. (...) Nach diesem Schwebezustand kam ich in einen Tunnel hinein. In diesem Tunnel stieg ich mit ungeheurer Geschwindigkeit auf“, berichtet ein anderer Patient dem amerika- nischen Psychiater und Philosophen Moody. Betroffene trauen sich nach seinen Vorträgen, die er bereits in den 1970er Jahren hielt, zu reden, wenden sich an ihn, erzählen von eigenen Erlebnissen. 150 Fälle beschreibt Moody in seinem Buch. Moody forschte etwa zeitgleich und, ohne dass anfangs einer vom anderen wusste, mit dem evangelischen Pfarrer Johann Chri- stoph Hampe, der seine Ergebnisse in dem Buch „Sterben ist doch ganz anders“ veröffentlichte. Neben den Tunnelerlebnissen gibt es weitere Phänomene während Nahtoderleb- nissen, abgekürzt NTE. NTE stellt Verhältnis von Geist und Materie infrage Für Ärzte, Neurologen, Hirnfor- scher... ist die Sache einfach und klar definiert: Null-Linie bei EKG und EEG (Enzephalogramm, das die Hirnströme misst) bedeutet: Patient tot. Bewusstsein ohne Gehirn ist nicht möglich. Gehirn- forscher fanden Argumente dafür, dass Todesnähe-Erfahrungen nicht Realität, sondern nur Einbildung seien, hervorgerufen durch Sauer - stoffmangel, stressbedingte Überer - regung bestimmter Hirnareale und die Ausschüttung von natürlichen Substanzen, die eine ähnliche Wirkung wie Drogen haben. Es ge- lang sogar, Einzelaspekte von NTE durch die Stimulation bestimmter Bereiche der Großhirnrinde oder durch Drogen künstlich auszulösen. Die Droge, die am ehesten NTE na- hekommt, sei Ketamin. Ist also doch alles erklärbar? „Bemerkenswert am NTE-Phäno- men ist, dass es das Verhältnis von Geist und Materie im Allgemeinen und von körperlichem Gehirn und immateriellem Bewusstsein im Besonderen neu in Frage stellt“, sagt Dr. Denis Schmelter. Im Institut für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dresden arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Gemeinsam mit Pro- fessor Raimund Lachner, Inhaber des Lehrstuhls für Dogmatik und Dogmengeschichte unter Berück- sichtigung fundamentaltheolo- gischer Fragestellungen an der Universität Vechta, hat er ein Buch herausgegeben, das den Titel trägt: „Nahtoderfahrungen: Eine He- rausforderung für Theologie und Naturwissenschaft“. Darin kommen acht Autoren zu Wort. Durch die aktuellen Forschungsergebnisse zu NTE seien Theologie und Naturwis- senschaft neu herausgefordert. Die Theologie habe das eschatologische (endzeitlich) Wirklichkeitsver- ständnis des christlichen Glaubens vernunftgemäß zu verantworten, so ein Ziel dieses Buches. Schmelter: „Klassischerweise geht man von einem Naturalismus aus. Phäno- mene des Bewusstseins – Den- ken, Fühlen, Planen, Wollen und beim Menschen insbesondere das Selbstbewusstsein – das alles funkti- oniert aus naturalistischer Sicht angeblich nur, solange die Aktivität des Gehirns intakt ist. Die Nahtod- erfahrungen stellen das infrage.“ Er verweist auf den niederländischen Kardiologen Pim van Lommel, der nachgewiesen hat, dass diese Erfah- rungen auftreten, während das EEG eine Null-Linie zeigt, also gerade keine Aktivität des Gehirns zu verzeichnen ist.“ Das Paradigma der Hirnforschung sei durch Pim van Lommel in Frage gestellt, „dass man nur etwas erleben kann, solange der Körper intakt ist“, sagt Schmelter. „Noch Hintergrundgeräusch – kein Urknall mehr“ Nach einer schweren Herzatta- cke, die sie in Seattle erlebte, wurde eine Patientin „im Harborview Hos- pital rasch wiederbelebt. Sie berich- tete von einer ausserköperlichen Erfahrung, von der sie der Sozialar- beiterin Clark erzählt hat“, schreibt Kenneth Ring, ein emeritierter Psychologieprofessor über einen besonderen Fall. „Sie erwähnte die bereits bekannten Dinge, wie etwa, dass sie von der Decke aus zusah, wie das Ärzteteam sie behandelte. Clark, die von Nahtoderfahrungen gehört hatte, ihnen aber – wie auch in Marias Geschichte – skeptisch begegnete, hörte dem Bericht der Patientin mit vorgetäuschtem Inte- resse, doch offenbar einfühlsamem Respekt zu, wenngleich sie die Ge- schichte als absonderlich empfand. (...) Maria erzählte Clark, sie habe sich nicht damit begnügt, von der Decke hinunterzuschauen, sondern habe sich plötzlich außerhalb des Krankenhauses befunden. Beson- ders verwirrt habe sie ein Objekt auf dem Fenstersims auf der dritten Etage im Nordflügel des Gebäu- des, und deshalb habe sie sich dort hinauf gedacht. Als sie dort ankam, habe sie sich, so Clark, Auge in Auge mit einem Tennisschuh befunden, der auf dem Sims lag. Sie beschrieb den Schuh bis ins Detail, erwähnte, dass er an der Stelle der kleinen Zehe abgetragen wäre und eines der Schuh-Bänder unter der Ferse eingeklemmt sei.“ In einem abge- legenen Flügel des Krankenhauses fand Clark, nach längerem Suchen, den Schuh. Die Details stellten sich so dar, wie Maria sie beschrieben hatte. Andere Betroffene berichten von Gesprächen, die sie „erlebt“ ha- ben, beispielsweise als der Arzt den Familienangehörigen in entfernten Räumen erklärte, dass keine Chance auf Rettung mehr besteht. Wie bei dem Tennisschuh konnten sich die Betroffenen an Details erinnern, die sie eigentlich nicht wissen konnten, die von Sinnesorganen nicht wahr- genommen werden konnten, selbst wenn sie bei vollem Bewusstsein gewesen wären. Die Erlebnisse gleichen sich, wenngleich nicht jedes Element in jedem Fall erlebt wird. Professor Godehard Brüntrup, Jesuit aus München, hat die Elemente in einem Vortrag bei einer Tagung zum Thema „Geist und Gehirn. Was wir vom Bewusstsein (nicht) wissen“ Ende Februar in Dresden aufgezählt: Aufenthalt in einem dunklen Raum; Tunnelerlebnis; Wahrnehmung einer neuartigen Umgebung von außerordentlicher Schönheit; Begegnung und Kom- munikation mit Verstorbenen (nicht mit Lebenden!); Begegnung mit einem strahlenden Lichtwesen. Er nennt Folgen von Nahtoderlebnis- sen: Selbstakzeptanz und verän- dertes Selbstbild – Nur Liebe und Weisheit; Mitgefühl für andere; Wertschätzung des Lebens; Befrei- ung von Todesangst und Glaube an Leben nach dem Tod; stärkere Religiosität; geringere Bindung an bestimmtes Glaubenssystem. Der Umgang mit diesem rätselhaften Phänomen ist unterschiedlich. Pater Brüntrup, der selbst eine Nahtod- erfahrung hatte, zählt einige Interpretationen auf: „Das Phäno- men bleibt prinzipiell rätselhaft und kann durch kein menschliches Erklärungsschema erfasst werden.“ Bei ihm hat es etwa fünf Jahre gedauert, „bis es nur noch Hinter- grundgeräusch war, kein Urknall mehr“. Pater Brüntrup, Professor für Metaphysik, Philosophie der Sprache und des Geistes hat die Angst vor dem Tod verloren. Bei ihm löst der Gedanke an den Tod nach der NTE „Glücksgefühle aus, schlagartig“, sagt er. Den Glauben ersetzen Nahtoderfahrungen nicht. Das Phänomen bleibt rätselhaft Was passiert beim Sterben mit der Seele? – Menschen berichten Erstaunliches Patienten berichten nach Nahtoderlebnissen davon, mit ungeheurer Geschwin- digkeit durch einen Tunnel bewegt zu werden. Foto: Maria Kresák

14 Nahtod Das Phänomen bleibt rätselhaft - TU Dresden · Phänomene während Nahtoderleb-nissen, abgekürzt NTE. ... Umgang mit diesem rätselhaften Phänomen ist unterschiedlich

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14 Nahtod

Von Raphael Schmidt

Görlitz. Weiterleben nach dem Tod ist für viele Menschen nicht vorstellbar – ebenso wie Nahtod-erlebnisse. Die davon berichten, werden nicht selten in die Ecke von Spinnern gestellt, zu Unrecht, wie Wissenschaftler sagen.

„Ich sei tot – so hörte ich die Ärzte noch sagen, und von jenem Augen-blick an hatte ich das Gefühl, durch Finsternis, eine Art eingegrenzten Raum zu fallen oder eher vielleicht zu schweben. Das kann man nicht richtig beschreiben. Es war alles pechschwarz, nur ganz in der Ferne konnte ich dieses Licht sehen, dieses unglaublich helle Licht“, so beschreibt eine Patientin in dem Buch „Leben nach dem Tod“ von Dr. Raymond Moody ihre Erlebnisse aus der Phase, während Ärzte sie wiederbelebten. „Nach kurzer Zeit begann ich zu schweben. (...) Nach diesem Schwebezustand kam ich in einen Tunnel hinein. In diesem Tunnel stieg ich mit ungeheurer Geschwindigkeit auf“, berichtet ein anderer Patient dem amerika-nischen Psychiater und Philosophen Moody. Betroffene trauen sich nach seinen Vorträgen, die er bereits in den 1970er Jahren hielt, zu reden, wenden sich an ihn, erzählen von eigenen Erlebnissen.

150 Fälle beschreibt Moody in seinem Buch. Moody forschte etwa zeitgleich und, ohne dass anfangs einer vom anderen wusste, mit dem evangelischen Pfarrer Johann Chri-stoph Hampe, der seine Ergebnisse in dem Buch „Sterben ist doch ganz anders“ veröffentlichte. Neben den Tunnelerlebnissen gibt es weitere Phänomene während Nahtoderleb-nissen, abgekürzt NTE.

NTE stellt Verhältnis von Geist und Materie infrage

Für Ärzte, Neurologen, Hirnfor-scher... ist die Sache einfach und klar definiert: Null-Linie bei EKG und EEG (Enzephalogramm, das die Hirnströme misst) bedeutet: Patient tot. Bewusstsein ohne Gehirn ist nicht möglich. Gehirn-forscher fanden Argumente dafür, dass Todesnähe-Erfahrungen nicht Realität, sondern nur Einbildung seien, hervorgerufen durch Sauer-stoffmangel, stressbedingte Überer-regung bestimmter Hirnareale und die Ausschüttung von natürlichen Substanzen, die eine ähnliche Wirkung wie Drogen haben. Es ge-lang sogar, Einzelaspekte von NTE

durch die Stimulation bestimmter Bereiche der Großhirnrinde oder durch Drogen künstlich auszulösen. Die Droge, die am ehesten NTE na-hekommt, sei Ketamin. Ist also doch alles erklärbar?

„Bemerkenswert am NTE-Phäno-men ist, dass es das Verhältnis von Geist und Materie im Allgemeinen und von körperlichem Gehirn und immateriellem Bewusstsein im Besonderen neu in Frage stellt“, sagt Dr. Denis Schmelter. Im Institut für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dresden arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Gemeinsam mit Pro-fessor Raimund Lachner, Inhaber des Lehrstuhls für Dogmatik und Dogmengeschichte unter Berück-sichtigung fundamentaltheolo-gischer Fragestellungen an der Universität Vechta, hat er ein Buch herausgegeben, das den Titel trägt: „Nahtoderfahrungen: Eine He-rausforderung für Theologie und Naturwissenschaft“. Darin kommen acht Autoren zu Wort. Durch die aktuellen Forschungsergebnisse zu NTE seien Theologie und Naturwis-senschaft neu herausgefordert. Die Theologie habe das eschatologische (endzeitlich) Wirklichkeitsver-ständnis des christlichen Glaubens vernunftgemäß zu verantworten, so ein Ziel dieses Buches. Schmelter: „Klassischerweise geht man von einem Naturalismus aus. Phäno-mene des Bewusstseins – Den-ken, Fühlen, Planen, Wollen und beim Menschen insbesondere das Selbstbewusstsein – das alles funkti-oniert aus naturalistischer Sicht angeblich nur, solange die Aktivität des Gehirns intakt ist. Die Nahtod-erfahrungen stellen das infrage.“ Er

verweist auf den niederländischen Kardiologen Pim van Lommel, der nachgewiesen hat, dass diese Erfah-rungen auftreten, während das EEG eine Null-Linie zeigt, also gerade keine Aktivität des Gehirns zu verzeichnen ist.“ Das Paradigma der Hirnforschung sei durch Pim van Lommel in Frage gestellt, „dass man nur etwas erleben kann, solange der Körper intakt ist“, sagt Schmelter.

„Noch Hintergrundgeräusch – kein Urknall mehr“

Nach einer schweren Herzatta-cke, die sie in Seattle erlebte, wurde eine Patientin „im Harborview Hos-pital rasch wiederbelebt. Sie berich-tete von einer ausserköperlichen Erfahrung, von der sie der Sozialar-beiterin Clark erzählt hat“, schreibt Kenneth Ring, ein emeritierter Psychologieprofessor über einen besonderen Fall. „Sie erwähnte die bereits bekannten Dinge, wie etwa, dass sie von der Decke aus zusah, wie das Ärzteteam sie behandelte. Clark, die von Nahtoderfahrungen gehört hatte, ihnen aber – wie auch in Marias Geschichte – skeptisch begegnete, hörte dem Bericht der Patientin mit vorgetäuschtem Inte-resse, doch offenbar einfühlsamem Respekt zu, wenngleich sie die Ge-schichte als absonderlich empfand. (...) Maria erzählte Clark, sie habe sich nicht damit begnügt, von der Decke hinunterzuschauen, sondern habe sich plötzlich außerhalb des Krankenhauses befunden. Beson-ders verwirrt habe sie ein Objekt auf dem Fenstersims auf der dritten Etage im Nordflügel des Gebäu-des, und deshalb habe sie sich dort hinauf gedacht. Als sie dort ankam,

habe sie sich, so Clark, Auge in Auge mit einem Tennisschuh befunden, der auf dem Sims lag. Sie beschrieb den Schuh bis ins Detail, erwähnte, dass er an der Stelle der kleinen Zehe abgetragen wäre und eines der Schuh-Bänder unter der Ferse eingeklemmt sei.“ In einem abge-legenen Flügel des Krankenhauses fand Clark, nach längerem Suchen, den Schuh. Die Details stellten sich so dar, wie Maria sie beschrieben hatte. Andere Betroffene berichten von Gesprächen, die sie „erlebt“ ha-ben, beispielsweise als der Arzt den Familienangehörigen in entfernten Räumen erklärte, dass keine Chance auf Rettung mehr besteht. Wie bei dem Tennisschuh konnten sich die Betroffenen an Details erinnern, die sie eigentlich nicht wissen konnten, die von Sinnesorganen nicht wahr-genommen werden konnten, selbst wenn sie bei vollem Bewusstsein gewesen wären.

Die Erlebnisse gleichen sich, wenngleich nicht jedes Element in jedem Fall erlebt wird. Professor Godehard Brüntrup, Jesuit aus München, hat die Elemente in einem Vortrag bei einer Tagung zum Thema „Geist und Gehirn. Was wir vom Bewusstsein (nicht) wissen“ Ende Februar in Dresden aufgezählt: Aufenthalt in einem dunklen Raum; Tunnelerlebnis; Wahrnehmung einer neuartigen Umgebung von außerordentlicher Schönheit; Begegnung und Kom-munikation mit Verstorbenen (nicht mit Lebenden!); Begegnung mit einem strahlenden Lichtwesen. Er nennt Folgen von Nahtoderlebnis-sen: Selbstakzeptanz und verän-dertes Selbstbild – Nur Liebe und Weisheit; Mitgefühl für andere; Wertschätzung des Lebens; Befrei-ung von Todesangst und Glaube an Leben nach dem Tod; stärkere Religiosität; geringere Bindung an bestimmtes Glaubenssystem. Der Umgang mit diesem rätselhaften Phänomen ist unterschiedlich. Pater Brüntrup, der selbst eine Nahtod-erfahrung hatte, zählt einige Interpretationen auf: „Das Phäno-men bleibt prinzipiell rätselhaft und kann durch kein menschliches Erklärungsschema erfasst werden.“ Bei ihm hat es etwa fünf Jahre gedauert, „bis es nur noch Hinter-grundgeräusch war, kein Urknall mehr“. Pater Brüntrup, Professor für Metaphysik, Philosophie der Sprache und des Geistes hat die Angst vor dem Tod verloren. Bei ihm löst der Gedanke an den Tod nach der NTE „Glücksgefühle aus, schlagartig“, sagt er. Den Glauben ersetzen Nahtoderfahrungen nicht.

Das Phänomen bleibt rätselhaftWas passiert beim Sterben mit der Seele? – Menschen berichten Erstaunliches

Patienten berichten nach Nahtoderlebnissen davon, mit ungeheurer Geschwin-digkeit durch einen Tunnel bewegt zu werden. Foto: Maria Kresák