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Reportage 14 Von Rauke Xenia Bornefeld Den „Dialog der Religionen“ gibt es seit neun Jahren in Aachen – er ist in seiner Zu- sammensetzung und Vorge- hensweise einzigartig in der Bundesrepublik. Beim Aache- ner Tag der Integration am 21. September organisieren seine Mitglieder unter ande- rem das multireligiöse Frie- densgebet. „Zuerst kommt der Mensch, dann die Religion.“ Diesen Satz hat Hildegard Mazyek, bis Anfang September Vertreterin des Islamischen Zentrums Bi- lal-Moschee im „Dialog der Re- ligionen“, in den Anfangszei- ten der Zusammenkunft sehr unterschiedlicher Religionsge- meinschaften geprägt. Und wird bis heute von den ande- ren Mitgliedern zitiert. Nicht um den Deckel auf un- ausgesprochene Auseinander- setzungen zu halten, sondern tatsächlich, um den Ist-Zu- stand zu beschreiben. Denn im „Dialog der Religionen“ wird etwas geleistet, das Vorbild sein kann für viele Krisen- schauplätze in der Welt. „Wir begegnen uns hier auf Augen- höhe und mit Respekt vor den Unterschieden“, erklärt Sha- hab Ebrahimi, Vertreter der Aachener Baha’i-Gemeinde. Zuerst kommt der Mensch Bundesweit einmalig, führt der Aachener „Dialog der Religionen“ Glaubensgemeinschaften zusammen Standort im Ostviertel auf je- den Fall eine nicht zu geringe Rolle spielen. Gleichzeitig wollten wir als katholische Kir- che keine Federführung über- nehmen“, erzählt Josef Gerets, Gemeindereferent von St. Jo- sef und Fronleichnam, der zu- sammen mit der Ehrenamtli- chen Christa Schinkenmeyer die einzige Pfarrei im Dialog vertritt. Auch Pfarrer Hans Christian Johnsen, Vertreter des evangelischen Kirchenkrei- ses Aachen, sieht das so: „Als Teil der Mehrheitsgesellschaft riskieren wir nicht viel. Umso mehr wollen wir uns zurück- nehmen und zuhören.“ Wichtig für den Erfolg ist ebenso die Rolle der Stadt Aa- chen, die, vertreten durch die Integrationsbeauftragte, die neutrale Moderation über- nimmt. Seit anderthalb Jahren hat Heidemarie Ernst diese Rolle inne. Sie betont: „In Aa- chen leben 157 Nationen. Vie- len spendet die Religion Halt, die Gemeinde ist Anlaufstelle.“ Deshalb habe man keinen Dia- log der Nationen oder der Kul- turen initiiert, sondern eben der Religionen. Achim Kockerols vom Kom- munalen Integrationszentrum ergänzt: „Der ‚Dialog der Reli- gionen‘ ist fester Bestandteil im Integrationskonzept der Stadt.“ Somit und ausdrück- lich von den Mitgliedern er- wünscht, kommt dem „Dialog“ auch eine soziale Aufgabe zu. Zu Beginn hat man aller- dings viel Zeit auf das gegen- seitige Kennenlernen verwen- det. „Wir haben uns gegen- seitig besucht, über Gemein- samkeiten und Unterschiede gesprochen“, berichtet Ebrahi- mi. „Je öfter man miteinander gesprochen hat, desto kleiner wurden die Unterschiede.“ So sitzen beim „Dialog der Religionen“ Aleviten neben türkisch-stämmigen Muslimen, Vertreter der jüdischen Ge- meinde neben Muslimen mit Wurzeln im Heiligen Land. Die Aufnahme der Schiiten des Is- Gerade einmal 40 Mitglieder zählt die Glaubensgemein- schaft in der Region. Und ist doch von Beginn an beim „Dia- log der Religionen“ dabei. „Letztlich werden wir alle von der himmlischen Quelle ge- speist“, nennt Ebrahimi die Ge- meinsamkeit, auf die sich alle Religionsvertreter im „Dialog der Religionen“ beziehen. Vielen Migranten spendet die Religion Halt Die Gleichheit untereinan- der ist auch den Vertretern der großen christlichen Kirchen wichtig: „Einerseits wollten wir als Pfarrei St. Josef und Fronleichnam mit unserem Heidemarie Ernst, Integrations- beauftragte der Stadt Aachen. Hand in Hand für den Frieden: Beim „Dialog der Religionen“ sind große und kleine Glaubensge- meinschaften in jeder Beziehung gleichberechtigt. Fotos: Rauke Bornefeld Gänsehautgefühle: Religionsvertreter beten bei der multireligiösen Friedensfeier am Tag der Integration für den Frieden. Foto: Schmitter

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Page 1: 14 Reportage Zuerst kommt der Mensch · Integrationsbeauftragte, die neutrale Moderation über-nimmt. Seit anderthalb Jahren hat Heidemarie Ernst diese Rolle inne. Sie betont: „In

Reportage14

Von Rauke Xenia Bornefeld

Den „Dialog der Religionen“gibt es seit neun Jahren in Aachen – er ist in seiner Zu-sammensetzung und Vorge-hensweise einzigartig in derBundesrepublik. Beim Aache-ner Tag der Integration am 21. September organisierenseine Mitglieder unter ande-rem das multireligiöse Frie-densgebet.

„Zuerst kommt der Mensch,dann die Religion.“ DiesenSatz hat Hildegard Mazyek, bisAnfang September Vertreterindes Islamischen Zentrums Bi-lal-Moschee im „Dialog der Re-ligionen“, in den Anfangszei-ten der Zusammenkunft sehrunterschiedlicher Religionsge-meinschaften geprägt. Undwird bis heute von den ande-ren Mitgliedern zitiert.

Nicht um den Deckel auf un-ausgesprochene Auseinander-setzungen zu halten, sonderntatsächlich, um den Ist-Zu-stand zu beschreiben. Denn im„Dialog der Religionen“ wirdetwas geleistet, das Vorbildsein kann für viele Krisen-schauplätze in der Welt. „Wirbegegnen uns hier auf Augen-höhe und mit Respekt vor denUnterschieden“, erklärt Sha-hab Ebrahimi, Vertreter derAachener Baha’i-Gemeinde.

Zuerst kommt der MenschBundesweit einmalig, führt der Aachener „Dialog der Religionen“ Glaubensgemeinschaften zusammen

Standort im Ostviertel auf je-den Fall eine nicht zu geringeRolle spielen. Gleichzeitigwollten wir als katholische Kir-che keine Federführung über-nehmen“, erzählt Josef Gerets,Gemeindereferent von St. Jo-sef und Fronleichnam, der zu-sammen mit der Ehrenamtli-chen Christa Schinkenmeyerdie einzige Pfarrei im Dialogvertritt. Auch Pfarrer HansChristian Johnsen, Vertreterdes evangelischen Kirchenkrei-ses Aachen, sieht das so: „AlsTeil der Mehrheitsgesellschaftriskieren wir nicht viel. Umsomehr wollen wir uns zurück-nehmen und zuhören.“

Wichtig für den Erfolg istebenso die Rolle der Stadt Aa-

chen, die, vertreten durch dieIntegrationsbeauftragte, dieneutrale Moderation über-nimmt. Seit anderthalb Jahrenhat Heidemarie Ernst dieseRolle inne. Sie betont: „In Aa-chen leben 157 Nationen. Vie-len spendet die Religion Halt,die Gemeinde ist Anlaufstelle.“Deshalb habe man keinen Dia-log der Nationen oder der Kul-turen initiiert, sondern ebender Religionen.

Achim Kockerols vom Kom-munalen Integrationszentrumergänzt: „Der ‚Dialog der Reli-gionen‘ ist fester Bestandteilim Integrationskonzept derStadt.“ Somit und ausdrück-lich von den Mitgliedern er-wünscht, kommt dem „Dialog“auch eine soziale Aufgabe zu.

Zu Beginn hat man aller-dings viel Zeit auf das gegen-seitige Kennenlernen verwen-det. „Wir haben uns gegen-seitig besucht, über Gemein-samkeiten und Unterschiedegesprochen“, berichtet Ebrahi-mi. „Je öfter man miteinandergesprochen hat, desto kleinerwurden die Unterschiede.“

So sitzen beim „Dialog derReligionen“ Aleviten nebentürkisch-stämmigen Muslimen,Vertreter der jüdischen Ge-meinde neben Muslimen mitWurzeln im Heiligen Land. DieAufnahme der Schiiten des Is-

Gerade einmal 40 Mitgliederzählt die Glaubensgemein-schaft in der Region. Und istdoch von Beginn an beim „Dia-log der Religionen“ dabei.„Letztlich werden wir alle vonder himmlischen Quelle ge-speist“, nennt Ebrahimi die Ge-meinsamkeit, auf die sich alleReligionsvertreter im „Dialogder Religionen“ beziehen.

Vielen Migranten spendetdie Religion Halt

Die Gleichheit untereinan-der ist auch den Vertretern dergroßen christlichen Kirchenwichtig: „Einerseits wolltenwir als Pfarrei St. Josef undFronleichnam mit unserem

Heidemarie Ernst, Integrations-beauftragte der Stadt Aachen.

Hand in Handfür den Frieden:Beim „Dialog derReligionen“ sindgroße und kleineGlaubensge-meinschaften injeder Beziehunggleichberechtigt.Fotos: Rauke Bornefeld

Gänsehautgefühle: Religionsvertreter beten bei der multireligiösenFriedensfeier am Tag der Integration für den Frieden. Foto: Schmitter

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Reportage 15

Hildegard Mazyek (mit Blumen) von der Bilal-Moschee hat den „Dia-log der Religionen“ mit aufgebaut. Fotos: Rauke Bornefeld

Hans Christian Johnsen, Shahab Ebrahimi und Idris Malik (v. l.) sehensich alle „von der himmlischen Quelle gespeist“.

Zeichen setzen für das Miteinander: Bunte Luftballons fliegen als Sym-bol für die gegenseitige Wertschätzung. Foto: Andreas Schmitter

lamischen Vereins Aachen imvergangenen Jahr wurde inder Gemeinde der Baha’i be-gangen. „Man muss bedenken,dass die Baha’i im Iran massivunterdrückt werden“, ordnetJohnsen diesen Umstand ein.„Aber wir definieren hier nichtdie Religion des anderen.

Frieden ist gemeinsamerAuftrag der Religionen

Und wir machen die Men-schen hier nicht für die Kon-flikte anderswo auf der Welthaftbar“, ergänzt Idris Malikvon der Bilal-Moschee. Etwas,das Gerd Mertens vom Büroder Regionaldekane als Vorbildfür andere versteht: „Auschristlicher Sicht liegt der Frie-den in den Religionen. Er isteine gemeinsame Botschaftund ein gemeinsamer Auftrag.Deshalb ist es heute, ange-sichts der vielen Konflikte inder Welt, umso wichtiger, denDialog zu pflegen und sich dergemeinsamen Prinzipien be-wusst zu sein.“

Aus dem Kennenlernen istschließlich ein – sehr erfolgrei-ches – Miteinander-Arbeitengeworden. Eine Auswahl anBeispielen belegt das. So gibtder „Dialog der Religionen“ je-des Jahr den interreligiösenKalender heraus, der mit einerAuflage von 27 000 Stück bun-desweit verschickt wird und

alle religiösen Feiertage vonAleviten, Baha’i, Buddhisten,Christen, Hindus, sunnitischenund schiitischen Muslimen so-wie Juden auflistet.

Interreligiöse Stadtspazier-gänge und das jährliche Frie-densmahl beziehen auch Ge-meindemitglieder ein, dienicht regelmäßig am Tisch des „Dialogs der Religionen“sitzen.

Beim Tag der Integration eröffnet er die multikulturelleVeranstaltung mit der multi-religiösen Friedensfeier. „Wenndie Vertreter der verschiede-nen ReligionsgemeinschaftenFriedensworte sprechen undsich zum Schluss die Händehalten, um gemeinsam ‚We arethe world‘ zu singen, läuft esmir jedes Mal kalt den Rückenhinunter. Solche Zeichen ha-ben wir heutzutage nötigerdenn je, und sie geben Hoff-nung“, so Mertens.

Im „Dialog der Religionen“sind folgende Glaubensge-meinschaften und Institutio-nen vertreten: Stadt Aachen,

Alevitische Gemeinde, Baha’iGemeinde, Bistum Aachen,Christliche Internationale Liga,Ditib (Yunus-Emre-Moschee),Evangelisch-Koreanische Ge-meinde, Evangelischer Kir-chenkreis Aachen, Griechisch-Orthodoxe Kirchengemeinde,Jüdische Gemeinde, Hinduisti-sche Gemeinde, IslamischesZentrum (Bilal-Moschee), Isla-mische Gemeinschaft BiH(Bosnien-Herzegowina), Isla-mischer Verein (Schiiten), Ka-tholische Pfarrei St. Josef undFronleichnam, Kroatische Ka-tholische Kirchengemeinde,Nyanaponika, Religions forPeace, Russisch-Orthodoxe Kir-che, Wat Dhammaniwasa, Zen-trum für tibetischen Buddhis-mus, Vineyard.

Weitere Infos unter www.dia-log-der-religionen-aachen.de.Dort kann der InterreligiöseKalender heruntergeladen wer-den. In gedruckter Form kanner bestellt werden unter Tel.0241/432-0 oder per E-Mail:[email protected].

Achim Kockerols vom Kommuna-len Integrationszentrum.