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© (3) André Ganzer Delegierte geben Rot: Hände weg von der zahnärztlichen Versorgung! TITEL 14 DER FREIE ZAHNARZT - NOVEMBER 2018

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Delegierte geben Rot: Hände weg von der zahnärztlichen Versorgung!

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DER FREIE ZAHNARZT - November 2018

Rote Karte für Spahns InvestorenpolitikFVDZ-Hauptversammlung in Lübeck. Zahnärztliche Versorgung darf nicht in die Hände von Speku-lanten und Finanzjongleuren gelangen. Darüber waren sich die Delegierten der Hauptversammlung des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte in Lübeck einig. Mit einer entsprechenden Resolution – und buch-stäblich – zeigten sie zahnärztlichen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in der Hand von Kapitalin-vestoren die Rote Karte.

AUTORIN: SABINE SCHMITT

EINES WAR BEREITS VOR DER HV IN LÜBECK KLAR:

Egal, welche Themen dringend besprochen und welche Beschlüsse dringend gefasst werden müssten, das Thema „zahnärztliche MVZ in Investorenhand“ würde alle anderen dominieren, weil es noch drängender und tatsächlich exis-tenzbedrohend für freiberuflich tätige Zahnärzte ist. Deshalb war es für den FVDZ-Bundesvorsitzenden Harald Schrader klar, dass er nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und den Delegierten von diversen Vorstandsaktivitäten berichten würde, wie es sonst bei einer Hauptversammlung üblich ist. „Das wird der aktuellen Situation nicht gerecht“, sagte Schra-der bei der Eröffnung der HV. „Denn nichts ist mehr, wie es in den anderen Jahren war.“Dass der ambulante vertragszahnärztliche Bereich mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 2015 für die Gründung von zahnärztlichen MVZ geöffnet wurde, sei kein Irrtum gewesen, machte der FVDZ-Bundesvorsitzende deutlich. Vielmehr sei die Öffnung dieses Versorgungsbereich für Finanzinvestoren „Absicht und Ziel der Gesetzgebung“ gewesen. Dies beweise das im Sommer vorgelegte Terminservice- und Versorgungs-gesetz (TSVG), mit dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht nur den Zugang zu Fachärzten für Patien-ten und die Sprechstunden von Ärzten erweitern will. Viel-

Klare Botschaft: Spekulanten sind hier unerwünscht.

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mehr hat der Minister zahlreiche kleinteilige Regelungen für diverse medizinische Bereiche mit in das Gesetz hineingeho-ben, für die er offenbar Regelungsbedarf sieht.

„HERR SPAHN, WIR NEHMEN DIE KRIEGSERKLÄRUNG AN“Was eine Begrenzung des Zugangs für Finanzinvestoren in den ambulanten zahnärztlichen Bereich angeht, so gibt es da bisher offenbar keinen weiteren Regelungs- oder Regulie-rungsbedarf. Für den FVDZ-Bundesvorsitzenden Schrader gibt es dafür nur eine Erklärung: „Wir, die niedergelassenen freiberuflichen Zahnärzte spielen für die Zukunftsplanung der Versorgung nur noch eine, wenn überhaupt, nachgeord-nete Rolle.“ Er zitierte dazu den Satz der früheren Gesund-heitsministerin Ulla Schmidt (SPD), dass Schluss sein müsse „mit der Ideologie der Freiberuflichkeit“. Dies sei eine Kriegs-erklärung gewesen, sagte Schrader, den Kampf hätten die nachfolgenden CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe und nun Jens Spahn weitergeführt. „Wir passen nicht in die Ideologie der Zentralbestimmer“, betonte Schrader. „Da stö-ren diese ewig aufmüpfigen und unzufriedenen Freiberufler nur, also ersetzt man sie durch poliklinikartige Strukturen.“ Und weil die Politik diese selbst nicht bezahlen könne, werde der Markt für Renditejäger geöffnet. „Damit hat der Ausver-kauf der freiberuflichen ambulanten Zahnmedizin begon-nen.“ Alarmsignale aus den Bereichen Krankenhaus, Dialyse oder Labormedizin seien schöngeredet oder ignoriert worden – und selbst der Pflegebereich werde dem Investorenmodell nun preisgegeben. „Was auf der Strecke bleibt, ist die Versor-gung“, betonte Schrader. Der Freie Verband sei jedoch nicht bereit, das Wohl der Patienten der Parteiideologie und der Karriere des Gesundheitsministers zu opfern. „Herr Spahn,

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Bundesvorstand: „Wir wollen keine Handlanger desolater Politik sein.“

Mit gutem Beispiel voran: die Chefs von KZBV, FVDZ und BZÄK.

Rote Karte von allen – egal ob jung oder alt, freiberuflich oder angestellt.

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wir Zahnärzte nehmen Ihre Kriegserklärung an“, sagte Schra-der unter dem Applaus der Delegierten. Noch habe es der Berufsstand selbst in der Hand, die Zukunft seiner Berufsaus-übung zum Wohl der Patienten selbst zu gestalten – entweder als Erfüllungsgehilfen einer desolaten Politik und als Hand-langer von Gewinnmaximierern oder aber als freie selbstbe-stimmte Ärzte und Zahnärzte im Dienst der Patienten. „Der Freie Verband hat sich für Letzteres entschieden: Wir bieten Gewinnmaximierern und Politikern, die das nicht nur zulas-sen, sondern fördern, die Stirn. Wir bündeln die Kräfte aus unseren eigenen Reihen.“Mit einer Roten Karte mit dem weißen Schriftzug „Keine zahnärztlichen MVZ in der Hand von Finanzinvestoren“ ver-abschiedete die HV noch bei der Eröffnung eine erste Resolu-tion mit dem Titel „Keine zahnärztliche Versorgung in die Hand von Spekulanten und Finanzjongleure“ einstimmig. Es war ein starkes Signal, das die Delegierten setzten und das sich auch noch in die weiteren Diskussionen der nächsten HV-Tage zog.

„VERSORGUNG OHNE FREIBERUFLICHKEIT UNDENKBAR“Unterstützung bekam der Freie Verband für seine Haltung auch von Dr. Heiner Garg (FDP), Gesundheitsminister des Landes Schleswig-Holstein, der für ein Grußwort an die Ver-sammlung und zur Podiumsdiskussion nach Lübeck gekom-men war. „Die Versorgung im ländlichen Raum ist ohne frei-beruflich tätige Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeu-ten nicht denkbar. Eine Schwächung der Freiberuflichkeit in der ambulanten Versorgung würde zwangsläufig erhebliche negative Auswirkungen auf die flächendeckende medizinische Versorgung haben“, betonte Garg. „Die Freiberuflichkeit ist das Rückgrat der Versorgung.“ Die Veränderungen in der Arbeitswelt und die Anforderungen der nächsten Generation stellten das bewährte System der Freiberuflichkeit vor neue Herausforderungen. Das Kernthema der diesjährigen Haupt-versammlung sei daher sehr gut gewählt.Für die Sicherung der Versorgung in der Fläche sei es notwen-dig, dass aus der ärztlichen Selbstverwaltung heraus Lösungen für diese Herausforderungen diskutiert würden. „Die Forde-rung der Zahnärzte nach einer stärkeren Regulierung arzt-gruppengleicher medizinischer Versorgungszentren (MVZ)

teile ich“, sagte der Gesundheitsminister. „Wir können nicht zulassen, dass zu Lasten einer flächendeckenden Versorgung Finanzinvestoren im großen Stil aus Renditeerwägungen Arztsitze aufkaufen und die Bildung großer Ketten forcieren.“ Beim GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 2015, das die Grün-dung arztgruppergleicher MVZ ermöglicht hat, habe die Zahnärzte niemand „auf dem Zettel“ gehabt, sagte Garg frei-mütig. An Finanzinvestoren und Spekulanten in der Zahnme-dizin habe damals niemand gedacht. Zum heutigen Zeitpunkt spreche er sich klar für eine Begrenzung der Gründungsmög-lichkeiten aus. Zumindest eine regionale Begrenzung und eine Begrenzung auf zahnmedizinische Leistungserbringer könne bereits dazu dienen, das Schlupfloch für Investoren deutlich zu verengen.

FVDZ-Bundesvorsitzender Harald Schrader fordert starkes Signal der HV.

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Zwischen Effizienz und EthikAUTORIN: SABINE SCHMITT

Zu durchaus heftigen Diskussionen bei der Podiumsdiskus-sion der HV-Eröffnung führte das Festreferat von Prof. Dr. Jürgen Wasem, der sich mit einer eher mathematisch gehalte-nen Nutzenfunktion des freiberuflichen (Zahn-)Arztes dem Thema Kommerzialisierung und Ökonomisierung der Zahn-medizin näherte. Nach der Debatte über zahnärztliche Ethik im vergangenen Jahr hatte der FVDZ in diesem Jahr bewusst die gesundheitsökonomische Seite ausgewählt – auch um den Spagat jedes Zahnarztes deutlich zu machen, der sich ständig zwischen Effizienz und Ethik bewegen muss. Wasem hatte in seinem Referat seine mathematische Formel zur Nutzenbewertung an den Elementen Einkommen, Arbeitszeit und Qualität, unter die er auch das Patientenwohl subsummierte, festgemacht. Er hatte anhand seiner Formeln dargelegt, in welcher Abhängigkeit diese drei Faktoren zuein-

ander stehen – und seine Schlussfolgerungen waren typisch wissenschaftlich: Es sei nicht eindeutig, dass das freiberufliche System eindeutig das bessere ist, auch wenn die genannten Faktoren in einem ausgeglicheneren Verhältnis stünden. „Kapitalgesellschaften werden Benchmarks setzen für Effizi-enz“, hatte Wasem geschlussfolgert. „Freiberufler müssen gleichziehen, um im Wettbewerb bestehen zu können.“ Für das System seien Kapitalgesellschaften nicht besser oder schlechter als Freiberufler. Der Gewinn allerdings habe bei Kapitalgesellschaften ein höheres Gewicht und Qualität eine geringeres als beim Freiberufler. Die praktische Wirkung sei zudem abhängig davon, wie sich das Binnenverhältnis von Betreibergesellschaft zum angestellten Zahnarzt gestalte und wie die beabsichtigte Dauer des „Engagements“ der Gesell-schaft sei. Für Freiberufler sieht Wasem nur eine Chance, um

Podiumsdiskussion zur HV. Nicht unumstritten waren die gesundheitsökonomischen Thesen des FVDZ-Festreferenten Prof.

Dr. Jürgen Wasem bei der Podiumsdiskussion zur Eröffnungsveran-staltung. Provokant fragte Diskussionsleiter Egbert Maibach-Nagel, ob die niedergelassene Praxis demnach wohl vor dem Aus stünde.

Den anderen Mitdiskutanten war dies zu kurz gesprungen.

Podiumsdiskussion mit Prof. Wasem, BZÄK-Präsident Engel, KZBV-Chef Eßer, Gesundheitsmi-nister Garg, FVDZ-Bundesvorsitzender Schrader und Moderator Maibach-Nagel (v.l.)

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sich länger auf dem Markt zu behaupten: Mehr Kooperatio-nen. Allerdings, so die Schlussfolgerung des Gesundheitsöko-nomen: „Freiberufler sollten aus gesellschaftlicher Perspektive nicht völlig verschwinden, da das Patientenwohl bei ihnen einen eigenen Stellenwert in der Nutzenfunktion hat.“

WO BLEIBT EIGENTLICH DER PATIENT?Beim schleswig-holsteinischen Gesundheitsminister, Dr. Hei-ner Garg (FDP), selbst promovierter Volkswirt, löste die strikt auf den Wettbewerb ausgerichtete Herangehensweise Wasems keine Begeisterung aus. „Es ist ein Denkfehler, dass wir uns im Gesundheitssystem in einem wettbewerblichen System befin-den“, machte er deutlich. Finanzinvestoren hätten nicht die Versorgung im Blick oder einen Qualitätswettbewerb, sondern es gehe ausschließlich darum, möglichst viele Menschen aus dem Prozess zu verdrängen. „Und ich habe gar keine Lust dar-auf, dass Finanzinvestoren auch noch von den Beitragszahlern der Gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden.“ Der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesverei-nigung, Dr. Wolfgang Eßer, drehte das Rad sogar noch ein

Umstrittene Thesen: Prof. Dr. Jürgen Wasem

GARG: DENKFEHLER LIEGT IM WETTBEWERB

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Gefahr durch Investoren-MVZ: zerstörte Struk-turen zahnärztlicher Versorgung.

Stückchen weiter und machte Wasem offen den Vorwurf, dass es Ökonomen gewesen seien, die Politiker auf „Effizi-enz und Ökonomie getrimmt haben“. Die Schrauben würden enger gezogen und das gesamte System müsse sich einem ungesunden Effizienzprimat unterwerfen. Ähnlich in seinem Unmut äußerte sich auch der Präsident der Bundeszahnärz-tekammer, Dr. Peter Engel, der von einem „irritierenden Vortrag“ sprach, denn: „Die heilberufliche Tätigkeit kann nicht ohne den Patienten gedacht wer-den.“ Dieser fehle in Wasems Betrach-tung völlig. Gesundheit als Markt der Privat-Equity-Gesellschaften zu betrach-ten, habe mit Heilberufen nichts mehr zu tun. „Die Kommerzialisierung ist der Tod für die freiberufliche Praxis“, machte der BZÄK-Präsident deutlich. Der FVDZ-Bundesvorsitzende Harald Schrader verdeutlichte noch einmal, dass der Markt für Finanzinvestoren nicht

nur unattraktiv, sondern der Zugang unmöglich gemacht werden müsse. „Wir selbst als Zahnärzte müssen uns dem Spannungsbogen zwischen Ethik und Ökonomie stellen“, betonte Schrader und verwies auf das Modell, das der Freie Verband zur Entlastung der Praxen von bürokratischen Anforderungen, Abrech-nung, Einkauf und anderen Zeifressern entwickele. „Wichtig ist, dass wir uns auf den Patienten konzentrieren können, dann haben wir auf jeden Fall das bes-sere Modell“, sagte Schrader.

SPIELREGELN IM WETTBEWERBDass sich arztgruppengleiche MVZ „als völliger Flopp“ erwiesen hätten, wie Engel dies formulierte, darüber waren sich die zahnärztlichen Podiumsteil-nehmer völlig einig. Der FVDZ-Bun-desvorsitzende machte noch einmal deutlich, dass gegen Wettbewerb zwi-schen Zahnärzten nichts einzuwenden sei. „Aber Wettbewerb heißt auch, dass

sich alle an dieselben Spielregeln hal-ten“, sagte Schrader – und genau dies sei in der Frage der MVZ nicht der Fall. „Es ist wie Mensch-ärgere-dich-nicht spie-len, nur haben sie uns inzwischen die Würfel weggenommen“, plakatierte Schrader die Situation. Auf die Frage von Moderator Maibach-Nagel, ob die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen nun die Versorgung übernehmen müss-ten, wenn immer mehr Praxen in länd-lichen Gebieten schließen müssten, schloss KZBV-Chef Eßer eine rhetori-sche Frage an: Warum denn Fremdin-vestoren in einem System, das effizient arbeite, keine Bedarfsplanung nötig habe und bisher keine Unterversorgung kenne, überhaupt zugelassen würden und gewollt seien, fragte er zurück. Er halte dies für politisch schädliches Han-deln. „Wir haben dann kapitalgetragene MVZ-Ketten in den großen Städten, und auf dem Land wird zwangsreguliert – das wäre eine Katastrophe.“

KNAPPES VOTUM

Amtsperiode-- Mit einem denkbar knappen Votum hat die Hauptversammlung des FVDZ in diesem Jahr die Verlängerung der Amtsperiode von Vorständen von zwei auf drei Jahre abgelehnt. Für den Antrag, den einige Landesverbände gemeinsam gestellt haben, wäre eine Zweidrittelmehrheit not-wendig gewesen – diese wurde um eine Stimme verfehlt. Es gibt gute Gründe für und gegen eine Verlängerung der Amtsperi-ode: Als Pro-Argument wird immer die Ver-lässlichkeit und Kontinuität der Amtsfüh-rung genannt. Zudem sei es mit einer länge-ren Amtszeit nicht notwendig, alle zwei Jah-re auch auf regionaler Ebene Kandidaten für bestimmte Ämter finden zu müssen, sagen die Befürworter. Auf der Kontra-Seite steht das Argument, dass sich viele potenzielle Kandidaten vor einer langfristigen Bindung an ein Amt scheuen und deshalb gar nicht erst antreten. Somit gehe dem Verband En-gagement verloren, das bei einer kürzeren Amtszeit voll eingesetzt werden könnte.

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Die HV-Beschlüsse stehen auf www.fvdz.de.

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Die Anbindung an die Telematikinfra-struktur (TI) treibt die Zahnärzte in Deutschland um. Nach Information der Kassenzahnärztlichen Bundesvereini-gung (KZBV) sind bislang gerade einmal 8.000 Zahnarztpraxen in Deutschland an das digitale Gesundheitsnetz ange-schlossen. Als Grund nennt die KZBV den geringen Wettbewerb. Dass bis Ende 2018 alle 45.000 Zahnarztpraxen ans Netz gehen, erscheint aus Sicht der KZBV als völlig ausgeschlossen. Bundes-gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat inzwischen signalisiert, den deut-schen Zahnärzten und Ärzten bis Mitte 2019 Zeit für die Anbindung an die Tele-matikinfrastruktur (TI) zu geben. Aller-dings müsse der Vertrag noch 2018 geschlossen werden. Eine Petition der niedergelassenen Ärzte und Psychothe-rapeuten, die eine Fristverlängerung der TI-Anbindung vom Bundesgesundheits-ministerium fordern, wird von allen Zahnärzteorganisationen unterstützt.

GLÄSERNES GESUNDHEITSWESENDer FVDZ-Bundesvorsitzende Harald Schrader verwies während der HV in seinem Rechenschaftsbericht auf die

Forderungen des FVDZ nach Datensou-veränität der Patienten und einem Wett-bewerb mit Vollkostenerstattung für die Praxen. Seine Skepsis in Bezug auf die Datensicherheit bleibt groß. „Hellhörig bin ich geworden, als beim Frühjahrs-empfang der KZBV Minister Spahn davon sprach, dass man das Sicherheits-niveau bei Apps und elektronischer Gesundheitsakte durchaus drei bis vier Stufen unterhalb der TI ansiedeln könnte!“. Für Schrader ist der Schritt zum gläsernen Gesundheitswesen klein.In seinem Impulsreferat zur Digitalisie-rung in der Zahnheilkunde stellte Dr. Gordan Sistig aus Marl, Landesverband Westfalen-Lippe, die unterschiedlichen Ansätze vor. Zeit- und Arbeitsersparnis, Qualitätssteigerung und natürlich die Affinität zu digitalisierten Prozessen seien die Hauptbeweggründe für die Digitalisierung einer Praxis. Externe Interessen liegen für Sistig klar auf Sei-ten der Industrie, der Politik, aber auch des Patienten. Herausforderungen stell-ten die Lebensdauer von Hard- und Software dar und die Dienstleistung. Zu bewältigen gelte es dabei, die Digitalisie-rung in der Zahnarztpraxis zu finanzie-

ren und die Interoperabilität der Sys-teme herzustellen – Stichwort: Röntgen oder PVS. Als Vorteile aus Sicht der Patienten nannte er das neue Empfinden für Gesundheit, Affinität zur Digitalisie-rung, Monitoring und Diagnose der eigenen Gesundheit und die Vereinfa-chung der eigenen Dokumentation. Aus ökonomischer Sicht verwies der Referent auf die aktuelle McKinsey-Studie, die ein digitalisiertes Gesundheitswesen als Chance sieht für mehr Effizienz, finanzi-elle Einsparungen und einen schnelleren Zugang zu den Daten. Aus technischer Sicht böte die Digitalisierung mehr Effi-zienz und den schnellen Datenzugang (Stichwort: Big Data). Hier sei § 27 des Bundesdatenschutzgesetzes zu beachten.

ETHISCHE GRUNDSÄTZE FESTLEGENSistig zeigte für die Zahnarztpraxis dort Vorteile der digitalisierten Prozesse auf, wo intelligentes Verhalten notwendig sei: Terminvergabe, Abrechnung, Sprach-steuerung, Röntgendiagnostik, Behand-lung. Was auf Ärzte, Zahnärzte und Pati-enten zukommt, ist ein Konvolut unter-schiedlicher Datensammlung, die der Referent auflistete: eGA (elektronische

Zwei Seiten einer MedailleDigitalisierung. Für die einen ist es eine ökonomische und technologi-sche Chance – anderen geht es um die Datensicherheit. Zur Digitalisie-rung im Gesundheitswesen hat McKinsey eine Studie veröffentlicht. So erzeuge der Rollout von 26 Technologien einen ökonomischen Nutzen von bis zu 34 Milliarden Euro, was laut der Unternehmensberatung zwölf Prozent der gesamten Gesundheits- und Versorgungskosten ausmacht. Die Hauptversammlung des FVDZ fokussierte indes ein akutes Thema: die anstehende Telematikinfrastruktur-Anbindung der Zahnarztpraxen.

AUTORIN: ANITA WUTTKE

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RECHTS- SICHERHEIT FÜR DEN ZAHNARZT HERSTELLEN

Gesundheitsakte), eFA (elektronische Fallakte), eEPA (einrich-tungsübergreifende elektronische Patientenakte), pEPA (per-sönliche, einrichtungsübergreifende Gesundheits- und Patien-tenakte), ePF (elektronisches Patientenfach) sowie ePSR und pPSR (Patient Summary Record, hier werden keine Dokumente abgelegt, sondern nur die lebenslang wichtigen Informationen wie Dauerdiagnosen, Risikofaktoren et cetera). Für den Digital-Experten des Landesverbandes Westfalen-Lippe stellt sich dabei die Aufgabe, Parallelstrukturen zu vermeiden, die Intero-perabilität der geplanten Systeme und die Rechtssicherheit für den Zahnarzt bei der Verwendung der Akten herzustellen. Fazit des Vortrags: die Forderung nach verbindlichen ethischen Grundsätzen bei der Datenanalyse und Datenauswertung.

KLARE FORDERUNGEN DES FVDZDie erwartete große Diskussion zur Digitalisierung blieb aus, stattdessen brachte die Hauptversammlung in Lübeck zwei klare Forderungen zur TI-Anbindung auf den Weg: Die Hauptversammlung des FVDZ fordert den Gesetzgeber auf, über eine gesetzliche Regelung sicherzustellen, dass die Sys-temvertreiber und Hersteller von Komponenten der Telemati-kinfrastruktur (TI) für den reibungsfreien Betrieb aller Kom-ponenten und des gesamten Systems garantieren müssen. „Sie müssen grundsätzlich für Komponenten- und Systemausfälle und daraus entstehende Schäden in Haftung genommen wer-den“, heißt es in dem Beschluss. Es sei inakzeptabel, dass Pati-enten und Zahnärzte unter Ausfällen von Teilen oder der gesamten TI leiden müssen, während die Verantwortlichen für das System kein Risiko und keine Haftung – ausgenom-

men die gesetzliche Gerätehaftung – übernehmen. Der zweite Beschluss betrifft den Datenschutz: Die Delegierten verlangen vom Gesetzgeber, die Zahnarztpraxen von jeglicher Haftung für alle (zahn)medizinischen Daten auszuschließen, die inner-halb der Telematikinfrastruktur (TI) versandt werden. Begründung des Beschlusses: „Durch die neue EU-Daten-schutzgrundverordnung drohen bei Verstößen gegen den Datenschutz erhebliche Strafen. Für Daten, die über die TI von den Zahnarztpraxen zwangsweise ausgetauscht werden müssen, darf die Haftung nicht bei der Zahnärzteschaft lie-gen, da diese keinerlei Einfluss auf die Sicherheit der TI hat.“

Impulsreferat von Dr. Gordan Sistig

DIE MCKINSEY-STUDIE ONLINE

Die Ende September vorgestellte McKinsey-Studie „Digitalisierung im Gesundheitswesen: Die Chancen für Deutschland“ ist unter folgendem Link abrufbar: https://www.mckinsey.de/~/media/mckinsey/loca-tions/europe%20and%20middle%20east/deutschland/news/presse/2018/2018-09-25-digitalisierung%20im%20gesundheitswesen/mckinsey92018digitalisie-rung%20im%20gesundheitswesendownload.ashx

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Fragen Sie Ihren Arzt, Zahnarzt oder Apotheker…oder fragen Sie Ihre App Kommentar. Die Digitalisierung im medizinischen Bereich – selten gab es ein besseres Spielfeld für die Politik, um ihre vermeintliche Handlungsfähigkeit kombi-niert mit subjektiv gefühlter „Qualitätssteigerung“ im Rampenlicht präsentieren zu können: Dem Anspruch des modernen Patienten an modernen Kommunikations-mitteln auch im ärztlichen und zahnärztlichen Bereich gerecht zu werden, dem ver-meintlich einfacheren und effizienteren Austausch interdisziplinärer Informationen eine oder mehrere Plattformen zu bieten und die höhere Flexibilität durch stetige Update-Möglichkeit bestehender Datensätze zu fördern.

AUTORIN: DR. ULRIKE STERN

Zusammengefasst in einer Telematik-infrastruktur (TI), von einer App unterstützt oder sogar von einer App gesteuert?!Unbestritten können durch den sinn-vollen gesicherten Einsatz und die Nut-zung moderner Kommunikationsmittel Vorteile auch in unserem zahnärztli-chen Alltag generiert werden.Doch die berechtigte und für unseren Berufsstand unerlässliche kritische Risiko-Nutzen-Abwägung der bisher existierenden politischen Rahmenbe-

dingungen wirft diverse Fragestellun-gen auf, die entweder auf abwiegelnde oder beschwichtigende Antworten sei-tens der politisch verantwortlichen Per-sonen treffen.

GROB FAHRLÄSSIGES VORGEHENWenn Selbstverständlichkeiten wie die Garantie einer einwandfreien Funktio-nalität der gesamten strukturellen Kom-ponenten, Haftungsausschluss für uns Heilberufler für den eventuellen Miss-brauch versendeter Daten durch Dritte,

die Garantie eines einheitlichen lesba-ren elektronischen Aktenformates und Manipulationsresistenz von uns erst eingefordert werden müssen, dann ist dies der schlagende Beweis für gravie-rende Strukturmängel des Großprojek-tes TI.Wenn Sicherheitsstandards geopfert werden sollen, um das „Plug and Play“ von elektronischen Gesundheitsordnern Jedem zu ermöglichen und gerade uns Heilberuflern gleichzeitig unter ande-rem die neue Datenschutzgrundverord-nung mit drastischen strafrechtlichen Konsequenzen „im Nacken sitzt“, dann spreche ich hier von grob fahrlässigem Vorgehen der politisch Verantwortli-chen.

HOCHSENSIBLES VERTRAUENSGUTWir sollen gesetzlich verpflichtet wer-den, eine Autobahn zu nutzen, deren Asphalt an vielen Stellen brüchig und voller Schlaglöcher ist, auf der es keine klaren Leitplanken gibt und deren Ein-und Ausfahrten zur Fahrbahn nicht überschaubar sind. Platzt ein Reifen oder verschwindet ein Wagen, werden wir zur Verantwortung gezogen. Ganz zu schweigen davon, wie beeinflussbar die elektronische Patientenakte sein wird, die der Patient in seiner App installiert hat.Gesundheitsdaten sind nicht zu behan-deln wie eine Landkarte, die ich in einer Wander-App des ADAC zur Orientie-rung abrufen kann. Gesundheitsdaten, die daraus erhobenen Befunde und Dia-gnosen sowie die individuell erstellten Therapiekonzepte und das gesamte Pro-fil Mensch sind hochsensibelstes Ver-trauensgut. Dieses darf weder zum Spielball von Versicherungsträgern noch Spekulationsobjekt in den Händen von gesundheitsübergreifenden Organi-sationen werden – auch und gerade auf EU-Ebene.

Dr. Ulrike Stern DFZ-Chefredakteurin

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AUF DEN SPUREN DER BUDDENBROOKS

Bei bestem Wetter starteten 25 Teilnehmerinnen und Teilneh-mer des Rahmenprogramms – ein neuer Rekord – zu einer Entdeckungstour zu Fuß durch Lübeck in Winkel, die man sonst nicht so schnell finden würde und die auch niemand hinter den vielen wunderbaren Backsteingotik-Bauten vermu-ten würde: kleinteilig, wunderschön, ruhig und gleichzeitig mitten in der Stadt. Auf dem Spaziergang unter kundiger Füh-rung streifte die Gruppe durch das Holstentor und auch

bekannte Kirchenbauten, sahen sich die Fassaden des Rathau-ses an und kehrten schließlich beim Traditionshaus Niedereg-ger, das für seine Marzipanspezialitäten bekannt ist, ein. Erholt ging es dann noch in das Buddenbrookhaus, dort gab es viel Wissenswertes über die Schriftstellerfamilie Mann zu hören. Ein Wiedersehen in Dresden im nächsten Jahr und neue Entdeckungstouren sind bereits ausgemacht. RS

HV-Rahmenprogramm: In diesem Jahr wurde die Haupt-versammlung des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte

wieder einmal von viel Sonnenschein unterstützt.

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Nachwuchs fördern – ohne QuoteAUTORIN: SABINE SCHMITT

Die Zahnärzteschaft wird immer weibli-cher. Noch sind die Männer im Berufs-stand knapp in der Mehrheit, doch schon in einigen Jahren wird es anders aussehen. Rund 70 Prozent derjenigen, die heute Zahnmedizin studieren, sind Frauen. Doch bis es so weit ist, dass sich das Problem, dass zu wenige Frauen in der Standespolitik und in den Körper-schaften aktiv sind, von selbst – man-gels Männern im Berufsstand – löst, gilt es, den Nachwuchs – weiblich wie männlich – an die Gremienarbeit her-anzuführen. Dass es dazu einiger Ver-

änderung seitens der Körperschaften und auch des Freien Verbandes bedarf und nicht nur den Willen, sich standes-politisch zu engagieren, machte ein gemeinsamer Antrag diverser Landes-verbände deutlich. Von einer Frauen-quote in den Führungsgremien wollten die Antragsteller nichts wissen. Der Antrag war einfach gehalten: Die HV des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte fordert die Funktionsträger im Freien Verband und in den Körper-schaften auf, den standespolitischen Nachwuchs gemeinsam aktiv zu för-

dern, für die Arbeit im Verband und in den Körperschaften zu schulen und für die Zukunft in den Gremien vorzuberei-ten. Es ist wichtig, dass der zahnärztli-che Berufsstand geschlechts- und gene-rationenübergreifend die Rahmenbedin-gungen für die Ausübung des Berufes gestaltet. Die „Selbst pro -fessionalisierung“ standespolitischen Nachwuchses schützt die Idee der Selbstverwaltung und entspricht dem Sinn der Freiberuflichkeit.Einstimmig verabschiedeten die Dele-gierten den Antrag, mit dem erreicht

Zukunft aktiv gestalten. Ein Antrag erregte ganz zum Ende der HV in Lübeck noch einmal Aufsehen. Unscheinbar hieß er „Zukunft aktiv gestalten“ und enthielt doch standespolitischen Sprengstoff. Denn es ging um die richtige Form der Nachwuchsförderung im

Freien Verband und in den Körperschaften.

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werden soll, dass der standespolitische Nachwuchs, egal ob männlich oder weiblich, aktiv von erfahrenen Standespoliti-kern bei ihren Schritten auf dem Gremienparkett unterstützt wird. „Es gibt Verkrustungen in den Gremien, die behoben werden müssen“, plädierte die rheinland-pfälzische Landes-vorsitzende Dr. Ulrike Stern und forderte: „Öffnen Sie die Gremien, laden Sie junge Leute ein, nehmen Sie junge Kolle-gen an die Hand, damit sie Einblick erlangen.“ Eine Quote für

Frauen sei kontraproduktiv, weil Frauen wie Männer, die ohne das entsprechende Handwerkszeug in bestimmte Positionen gelangten, in den Gremien überrollt würden. „Das kann man niemandem ernsthaft empfehlen“, sagte Stern. Die Vorsitzende des saarländischen FVDZ-Landesverbandes, Jeannine Bonaventura, betonte: „Wir wollen generationen- und geschlechterübergreifend ein positives Signal setzen: Fördert den Nachwuchs, denn der ist die Zukunft des Berufsstandes.“

FRAUENQUOTE FÜR DIE STANDESPOLITIK?

Die Zahnärzteschaft wird weiblicher. Doch in den standespolitischen Gremien spiegelt sich der Anteil der Frauen im Berufsstand nicht wider. Hilft eine Frauenquote? Oder gibt es andere Mittel, Zahnärztinnen in Füh-rungspositionen und Gremien zu bringen? Ein kritischer Kommentar. -- Ich bin selbst-verständlich der Meinung, dass alle Zahn-ärztinnen und Zahnärzte in der Standes-politik die gleichen Rechte und Chancen haben und dass Frauen keinerlei Einschränkungen erfah-ren sollten, um ihre politischen Ziele auch umsetzen zu können. Eine Quote sehe ich jedoch als leistungsfeindlich und damit ungerecht an. Die Männer werden im Gegen-zug diskriminiert, weil sie unabhängig von der individu-ellen Leistung Frauen den Vortritt lassen müssten. Man kann doch keine Gleichstellung fordern und Instrumente der Ungleichbehandlung einsetzen! Es ist zu befürchten, dass „Quotenfrauen“ bei ihren Kolle-ginnen und Kollegen einen schweren Stand haben und dies als Malus hinnehmen müssen. Aber auch Frauen werden durch eine Quote diskriminiert, da diese impliziert, Frau-en könnten ohne fremde Hilfe nicht erfolgreich sein. Die

Behauptung, Unternehmen mit hohem Frauenanteil in der Führung seien erfolgreicher, ist ein Mythos. Wäre es so, würde der Markt auch ohne Zwangsmaßnahme reagieren.Frauen bringen allerdings andere Qualitäten in die Standes-politik ein. Sie haben das bessere Gespür für Stimmungen, für Zwischenmenschliches, sie sind diplomatischer und an-passungsfähiger – auch disziplinierter, sie zeigen schlicht-weg ein anderes Führungsverhalten. Alles Attribute, die den Erfolg fördern. Frauen wissen, was sie können und ziehen ihre Befriedigung aus anderen Dingen. Zudem gibt es Bele-ge dafür, dass die Innovationskraft von Unternehmen dort höher ist, wo Frauen und Männer zusammenarbeiten. Wa-rum sollte dies in der Gremienarbeit anders sein?Frauen trauen sich dagegen nicht genug. Fachliches Wis-sen kann man sich aneignen, Erfahrung kommt beim Tun, Führung kann man lernen. Wenn man die Gelegenheit dazu bekommt. Deshalb fordern wir eine Öffnung der Gre-mien. Das biologische Geschlecht sollte dabei aber nicht über Leistung gestellt werden.Wir haben tolle Frauen! Frauen wollen, wir müssen sie nur lassen, wir müssen sie qualifizieren und ihnen damit Zu-gang verschaffen.

JEANNINE BONAVENTURA, FVDZ-LANDESVORSITZENDE SAARLAND

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Generation X und ein bisschen YAUTORIN: MAIKE RAACK

„Die Generationen verstehen sich nicht“, sagte Wichels-Schnieber zu Beginn ihres Vortrags. Das sei immer schon so gewesen. Schließlich soll schon Sokrates 450 Jahre vor Christi Geburt festgestellt haben: „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte.“ Heute gibt es für unterschiedliche Wahrnehmungen und Missverständ-nisse zwischen den Generationen als griffige Schubladen die Kategorien

„Babyboomer“ (also die 1945 bis etwa 1964 Geborenen), „X“ (die circa 1966 bis 1980 Geborenen) und „Y“ (und damit die etwa im Zeitraum 1981 bis 1995 Geborenen). Viele Zuhörer fühlten sich denn auch angesprochen, befanden sich doch neben Vertretern der „Babyboomer“-Jahrgänge viele Angehörige der Genera-tionen X und Y im Saal.

X UND EIN BISSCHEN YWichels-Schnieber nahm sich dabei selbst nicht von der Kategorisierung aus:

Sie selbst – Ärztin, angestellte Füh-rungskraft und Mutter von zwei kleinen Kindern – gehöre mit Anfang 40 zur Generation X, sei „aber auch ein biss-chen Y“, bekannte sie vor den Delegier-ten der Hauptversammlung und den Mitgliedern des Studierendenparla-ments. Sie finde sich in beiden Definiti-onen wieder: So gelte für die sogenannte „Gen Y“ oder auch „Generation Me“, dass Arbeit nur ein Teil des Lebens sei, Selbstverwirklichung im Hier und Jetzt gelte als Lebenszweck. Im Gegensatz dazu gehe es der Generation X um Sinn-

Freiberuflichkeit. Die Ärztin und Personalberaterin Dr. Anne Wichels-Schnieber verglich in ihrem Vortrag „Frei-beruflich = frei sein? Oder lieber angestellt? Wie die nächste Generation Zahnärzte

ihre Arbeitswelt neu definiert“ auf der HV die Arbeitsmoral der sogenannten Generationen X und Y. Ihr Fazit: Die Bedürfnisse und Wahrnehmungen sind sehr unterschiedlich – mit entsprechender Hilfestellung lassen sich die Jungen aber „gewinnen“. Damit stieß

sie nicht bei allen auf Verständnis.

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DER FREIE ZAHNARZT - November 2018

FÜR DIE YPSI-LONER SOLL ARBEITEN NUR EIN TEIL DES LEBENS SEIN

suche und einen der Work-Life-Balance ebenbürtigen Karrie-reweg, um der eigene Chef zu sein, inklusive den dazu gehöri-gen Statussymbolen, wie etwa dem eigenen Haus und einem großen Auto, kurz: um das Arbeiten, um zu leben.

NEUE GENERATION, NEUE ARBEITSSTRUKTURENDoch es sei nicht nur so, dass die jungen Zahnärzte der „Ypsi-loner“ anders tickten als die vorigen Generationen, auch die Strukturen und Gegebenheiten in der Arbeitswelt seien andere als noch vor wenigen Jahren: So gibt es heute mehr Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner, aber immer weni-ger Berufseinsteiger wagen den Schritt in die Niederlassung. Im Jahr 2016 waren von insgesamt 94.098 Zahnärzten 51.956 in der Niederlassung, 19.970 anderweitig und 22.172 nicht-zahnärztlich tätig. 2007, und damit nicht einmal zehn Jahre zuvor, waren von insgesamt weniger Zahnärzten (83.401) mehr ihrer Kollegen (55.778) in der Niederlassung tätig. Stich-wort Feminisierung: Fast zwei Drittel der angehenden Zahn-ärzte sind heutzutage Frauen (9.768 von bundesweit 15.151 Studenten), während es im Zeitraum 2006/2007 noch 8.029 Damen bei 13.581 insgesamt waren.

123 TAGE PATIENTENVERSORGUNG PRO JAHR, 100 TAGE BÜROKRATIEZudem bestimmt heute der Bürokratieaufwand einen großen Teil des Arbeitsalltags: Bei einer durchschnittlichen Jahresge-samtarbeitszeit von 223 Tagen in Vollzeit (unter Abzug der Urlaubs- und Feiertage) verbringen Zahnärztinnen und Zahn-ärzte laut Wichels-Schnieber 123 Tage mit der Patientenver-sorgung, 100 Tage mit Bürokratie.Als Folge der veränderten Strukturen und Anforderungen sind in der Altersgruppe der etwa 30- bis 34-jährigen poten-ziellen Praxisgründer der Generation Y Zahnärzte zwar auch noch selbstständig, aber auch im Verbund, in der Genossen-schaft, als Belegärzte und als Angestellte tätig.Für die Zukunft der Freiberuflichkeit sieht die Personalberate-rin aber auch Hoffnung: Über Vorbilder, konkrete Hilfestel-lung und den Aufbau von Netzwerken, wie das „young den-tists meeting“ des FVDZ, könne man der nachwachsenden Zahnärzte-Generation die Ängste nehmen und sie in Struktu-ren führen, wie sie der Zahnärzteschaft insgesamt nützen, riet sie den Delegierten der HV. Gerade in den Reihen der anwesenden studentischen Vertreter der Generation Y riefen die Worte der Referentin jedoch an einigen Stellen Kopfschütteln hervor (siehe Seite 30 und 31). Es scheint viel Wahres in Erich Kästners Worten zu liegen, die Wichels-Schnieber zitierte: „Erst bei den Enkeln ist man dann so weit, dass man die Kinder ungefähr verstehen kann“.

Dr. Anne Wichels-Schnieber

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November 2018 - DER FREIE ZAHNARZT

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„WIR WOLLEN DIE FREIBERUF-LICHKEIT, DAFÜR STEHEN WIR ALS JUNGE GENERA-TION EIN.“

„Wir müssen die Oberhand behalten!“Studierendenparlament bei der HV. Standing Ovations der HV-Delegierten für die Mitglieder des Studierendenparlaments (StuPa). Der Bericht der StuPa-Vorsitzenden Victoria Landwehr über die StuPa-Tagung offenbarte Gemeinsamkeiten, aber auch Kritik.

AUTORIN: MAIKE RAACK

Trotz veränderter Rahmenbedingungen haben viele Studierende der Zahnmedi-zin vor, sich selbstständig zu machen – darin war man sich auf der Tagung des StuPa am Rande der HV in Lübeck einig – „aber in einer anderen Praxis-form“, betonte Victoria Landwehr in ihrer Zusammenfassung der StuPa-Sit-zung. Und eben wegen der veränderten Rahmenbedingungen sei man sich unter den Mitgliedern des StuPa klar: „Wir müssen die Oberhand behalten und dürfen uns nicht von Fremdkapital-gebern beeinflussen lassen!“Der Vortrag von Dr. Anne Wichels-Schnieber zum Thema „Die nächste Generation Zahnärzte“ (siehe S. 28 und 29) habe die Studierenden aus diesem Grund „überrascht“, so Landwehr. Die jungen Zahnärzte heute, im Vortrag als

Vertreter der „Generation Y“ definiert, seien darin nicht abgebildet worden.Die StuPa-Mitglieder hatten am Vortag ihre zeitgleich stattfindende Sitzung unterbrochen, um der Rede der Perso-nalberaterin Wichels-Schnieber zuzu-hören und hatten sich im Anschluss auf der StuPa-Tagung gefragt: „Sind wir die gemeinte Generation?“ Man war sich einig: „Auch wenn man uns das gerne einredet: Wir wollen doch gar nicht alle angestellt sein!“ stellte eine Studentin klar. Eine andere angehende Zahnmedi-zinerin bestätigte: „Die meisten Kom-militonen sprechen doch jetzt schon von ihrer künftigen Praxis.“ „Es soll mit uns und nicht gegen uns geredet werden“, forderte Landwehr daher tags darauf vor den Delegierten. „Wir wollen die Freiberuflichkeit!“,

unterstrich sie. „Dafür stehen wir auch als junge Generation ein.“ Den Weg in die Freiberuflichkeit wolle man aber selbstständig finden. Das Genossen-schaftsmodell biete in den Augen der StuPa-Mitglieder dafür eine sehr gute Möglichkeit.

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DER FREIE ZAHNARZT - November 2018

DIE „ANDERE“ SELBSTSTÄNDIGKEITUm unterschiedliche Berufsausübungs-modelle war es auch in der Diskussion der Studierenden mit Dr. John Jennes-sen, Assistenzzahnarzt und Mitglied des StuPa-Beirats, zuvor gegangen. Laut Jennessen brauche die junge Zahnärzte-schaft „ein Modell, das die Selbststän-digkeit integriert.“ Und er ergänzte: „Was ich möchte, ist die andere Selbst-ständigkeit,“ wofür er allgemeinen Zuspruch erntete.In diesem Zusammenhang stellte Jen-nessen klar: „Es wird ja viel über MVZ gesprochen. Aber nicht alle MVZ sind das Urböse.“ Es gebe auch Berufsaus-übungsgemeinschaften mit einem unglaublichen Mehrwert. So könne man in einer überörtlichen Berufsausübungs-gemeinschaft (ÜBAG) in der Assistenz-zeit viel lernen, beispielsweise in Sachen Abrechnung, und sich gegenseitig helfen. „Eine ÜBAG ist ein tolles Konstrukt für die Zukunft der Zahnärzteschaft und der Berufsausübung“, sagte Jennessen. Man dürfe die ÜBAG, auch wenn sie als MVZ organisiert ist, nicht in einen Topf mit fremdkapitalisierten MVZ werfen. Letz-tere seien abzulehnen, darin waren sich die Mitglieder des StuPa einig.

MITGESTALTEN UND AUSBAUENJennessen hob auch die Relevanz von Netzwerken in der heutigen Arbeitswelt hervor: Gerade im zahnärztlichen Bereich seien Netzwerke bislang nur rudimentär vorhanden. Und doch wür-den immer mehr Jobs auch über soziale Netzwerke vermittelt. „Ihr könnt das Ganze mitgestalten und ausbauen“, motivierte Jennessen die Studierenden.Mitgestaltung sei auch auf europäi-scher Ebene nötig, gebe es doch von Seiten der EU auch Strömungen, die gegen die Freiberuflichkeit arbeiteten.

Was das StuPa in dieser Hinsicht unternehme und was in diesem Zusammenhang mit der European Dental Student Association (EDSA) geplant sei, resümierte Konstantin Schrader, neben Victoria Landwehr und Björn Vorpahl, Vorsitzender des StuPa. Das Studierendenparlament als das „perfekte Bindeglied“ zwischen den Landesverbänden und den Studie-renden bilde für die Mitglieder ein gro-ßes Netzwerk, das die Alltagswelt an den Universitäten mit der Berufswelt integriere, so Schrader.

Das Studierendenparlament stellt „das perfekte Bindeglied“ zwischen Studie-renden und Landesverbänden dar – ein

Netzwerk, das die Alltagswelt an den Universitäten mit der Berufswelt

integriert.

Die Berufspolitik im Visier: Das Studierendenparlament war auch in Lübeck dabei.

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