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15 Die Geschichtswerkstatt Gallus berichtet Historisches und Aktuelles Ausgabe: März 2014 Das Gallusviertel im Bombenkrieg - 1944 1944 erlebte Frankfurt die schwersten Luftangriffe. Durch die Nähe von Haupt- und Güterbahnhof, den An- lagen der Reichsbahn, dem Flughafen Rebstock und die starke Vertretung von Industriebetrieben, die für das Militär produzierten, besaß das Gallusviertel wichtige Faktoren, die die Alliierten ausschalten wollten. Blick auf die Idsteiner Straße nach Westen, 1945, ISG Obwohl bereits mehrere Autoren 1 sehr gründlich über den Luftkrieg in Frankfurt recherchiert und geschrieben haben und auch im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden und im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte Unterlagen erhalten sind, können nicht alle Geschehnisse geklärt werden. Ein bisher unveröffentlichter Bericht wurde der Geschichtswerkstatt Gallus von Bernhard Dietrich zur Verfügung gestellt, in dem sein Vater Jakob Dietrich zur 1 Armin Schmid: Frankfurt im Feuersturm, Frankfurt 1965; Karl Krämer: „Christbäume“ über Frankfurt 1943, Frankfurt 1983; Gustav K. Lerch: Frankfurt am Main im Luftkrieg, 12 Bände, Frankfurt 1998-2004.

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15 Die Geschichtswerkstatt Gallus berichtet

Historisches und Aktuelles

Ausgabe: März 2014

Das Gallusviertel im Bombenkrieg - 1944 1944 erlebte Frankfurt die schwersten Luftangriffe. Durch die Nähe von Haupt- und Güterbahnhof, den An-lagen der Reichsbahn, dem Flughafen Rebstock und die starke Vertretung von Industriebetrieben, die für das Militär produzierten, besaß das Gallusviertel wichtige Faktoren, die die Alliierten ausschalten wollten.

Blick auf die Idsteiner Straße nach Westen, 1945, ISG

Obwohl bereits mehrere Autoren1 sehr gründlich über den Luftkrieg in Frankfurt recherchiert und geschrieben haben und auch im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden und im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte Unterlagen erhalten sind, können nicht alle Geschehnisse geklärt werden. Ein bisher unveröffentlichter Bericht wurde der Geschichtswerkstatt Gallus von Bernhard Dietrich zur Verfügung gestellt, in dem sein Vater Jakob Dietrich zur

1 Armin Schmid: Frankfurt im Feuersturm, Frankfurt 1965; Karl Krämer: „Christbäume“ über Frankfurt 1943, Frankfurt 1983; Gustav K. Lerch: Frankfurt am Main im Luftkrieg, 12 Bände, Frankfurt 1998-2004.

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Beförderung bei der Luftschutz- Polizei vorgeschlagen wird, da er bei vielen Einsätzen in selbstloser Weise half, Menschenleben zu retten. Hierfür möchten wir ihm und seinem Sohn recht herzlich danken. Im Folgenden sind nur Luftangriffe, die das Gallus besonders betreffen, aufgeführt.

8. Februar 1944 Von diesem Tagangriff ist das Bahngelände vom Westbahnhof bis ins Gallusviertel betrof-fen: Alfred Teves, Gustavsburgstraße 2; T&N, Kleyerstraße 83; Flugplatz Rebstock; Daimler Benz AG, Kriegkstraße 59-69; JCA Schneider, Mainzer Landstraße 281-291; Adler Werke (geringe Schäden); Etna-Werke Patzelt und Wendt, Mainzer Landstraße 3492; Steuernagelstraße 36; Flörsheimer Straße 6; Krifteler Straße 89. Durch Feuer entstanden große oder mittelschwere Schäden: Frankenallee 219, 221; Krifteler Straße 58; Kriegkstraße 59/67; Mainzer Landstraße 292, 349; Sindlinger Straße 20; Sulzbacher Straße 4, 6, 17; Schwal-bacher Straße 72, 65, 59, 61, 66, 55.

18. März 1944 Ein Ziel dieses Angriffs war der Hauptgüterbahnhof. „Während des Terrorangriffs am 18. März 1944 führte er [Jakob Dietrich] zwei Gruppen des San.-Zuges 1 zu den Schadensstellen Kölnerstraße 17, holte dort mit seinen Männern neun Verletzte aus den Trümmern und stellte an den bereits Bewußtlosen Wiederbelebungsversuche an, die bis 2 ½ Stunden fortgesetzt wurden; dadurch rettete er drei Volksgenossen

das Leben, während bei den übrigen sechs die Ret-tungsversuche ohne Erfolg waren.“ Die Ursache für die Bewusstlosigkeit konnte nicht festgestellt wer-den, da keine äußeren Verletzungen zu erkennen waren. Da Wasser in den Keller eingedrungen war, vermuteten die Helfer, dass die betroffenen Personen ertrunken waren.

22. März 1944 Dieser Nachtangriff traf auch die Industrieviertel auf beiden Seiten der Mainzer Land-straße. Besonders betroffen waren der Hauptgüter- und der Eilgüterbahnhof. Das Reichsbahn-Ausbesserungswerk an der Idsteiner Straße brannte völlig aus. Das Reichsbahn-Ausbesserungswerk mit Blick auf die Idsteiner Straße; Sammlung ehemaliger Mitarbeiter des BAW

In der Fabrik von Alfred Teves, “welche eine enorme Anzahl von Flugzeugteilen aller Art herstellt, wie z.B. Bremsen, Ölpumpen, Kolbenringe, Ventile und ganz besonders Kurbelwellen, wurden von 24 Gebäuden 19 zerstört oder schwer beschädigt.“3 „Auch bei dem Terrorangriff am 22. März 1944 hat D.4 unter Lebensgefahr sowohl bei der Brandbekämp-fung als auch bei der Bergung der vielen Verschütteten im Gallusviertel mit vorbildlicher Tapferkeit schwie-rigste Aufgaben durchgeführt. Noch während Bomben schwersten Kalibers in unmittelbarer Nähe einschlu-gen und die Hellerhof- und Rebstöckerschule selbst durch zahlreiche Phosphorbrandbomben getroffen wur-den, bekämpfte er unter Einsatz seines Lebens mit Unerschrockenheit zunächst mit noch drei Selbstschutz-kräften die Entstehungsbrände. Dieser Einsatz wurde dadurch erschwert, da sich die Selbstschutzkräfte ent-fernten, als weitere Spreng- und Brandbomben einschlugen und Wände und Türen in den Schulen einstürzten und damit D. auf sich allein angewiesen war. Durch später hinzugekommene Einsatzkräfte konnte schließ-lich das Feuer eingedämmt und dadurch die beiden Schulen gerettet werden. Das ungefährdete Arbeiten der Rettungsstelle 20, die im gleichen Gebäude untergebracht ist, war damit gewährleistet. Sofort nach der Brandbekämpfung setzte D. die Männer des Zuges zur Bergung der zahlreichen Verschütteten ein. Dadurch konnte noch im Laufe der Nacht der größte Teil der Verletzten aus den Trümmern geborgen und ärztlicher Behandlung zugeführt werden. Die vielen im ganzen Schadensgebiet liegenden Zeitzünder, die von Zeit zu

2 Laut Adressbuch von 1940 war die Fabrik für Heizungs- und Lüftungsanlagen in der Mainzer Landstraße. 193. 3 Sammlung Lerch, ISG. 4 Mit D. ist Herr Jakob Dietrich gemeint.

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Zeit explodierten, verlangten von der Einsatzmannschaft ein hohes Maß von Kaltblütigkeit und Unerschro-ckenheit.“ An weiteren Zerstörungen werden genannt5: Frankenallee 27, 29, 40, 42, 59; Gutenbergstraße 19; Güterplatz, Hufnagelstraße ohne Nummer; Mainzer Landstraße 324, 326, 328, 349, 134, 136, 372, 163, 165, 167, 168, 145, 147, 149, 117, 110, 112, 114a, 133/137; Sodener Straße 3, Schwalbacher Straße 13/17, Kleyerstraße 62/64 (Lackfabrik). 12. September „In dieser Nacht waren die Güterbahnhofanlagen West in Frankfurt am Main, sowie Rüs-tungsbetriebe in der Umgebung, das Ziel von 378 Lancasters und 9 Mosquitos der (...) Royal Air Force.“6 Auf dem Rangierbahnhof in der Nähe der Wörsdorfer Straße wurde in dieser Nacht ein Urlauberzug mit Soldaten getroffen, der mitten auf der Strecke stand. Dabei wurden 28 Soldaten getötet, die ihre letzte Ruhe auf dem Waldfriedhof in Oberrad fanden. Vier von ihnen konnten nicht identifiziert werden.

„Als in der Angriffsnacht vom 12./13. September 1944 gleich nach den ersten Bombenwürfen der Truppentransportzug an der Wörsdorferstraße ge-troffen war und einige der ebenfalls betroffenen Bewohner laut um Hilfe riefen, lief D. noch wäh-rend Spreng- und Brandbomben fielen u. in den anliegenden Gebäuden der Hellerhofsiedlung kre-pierten, zur Schadensstelle, um die Größe der Schä-den festzustellen u. danach seine Männer einzuset-zen. Nach kurzer Orientierung u. nachdem er den Betroffenen gesagt, daß er sofort Hilfe bringe, eilte er zur Unterkunft zurück, um den Einsatz in die Wege zu leiten. Wörsdorfer Straße 1947, ISG

Auch auf diesem Wege fielen zahlreiche Spreng- und Brandbomben auf die Straßen und Gebäude u. das angrenzende Bahngelände und Splitter und Steine und Balkenteile wirbelten durch die Luft u. zwangen D. wiederholt in Deckung zu gehen. Mit zwei Gruppen lief er dann zurück durch die von Bomben aufgerissenen Straßen, ungeachtet der immer noch niedergehenden Spreng- und Brandbomben, zur Unfallstelle. In mehr als dreistündiger Arbeit wurden über 70 meist sehr schwer Verletzte verbunden u. etwa 30 – 40 Tote gebor-gen. Da die Wagen des San.-Zuges ausgefallen waren, veranlaßte D. Postwagen den Abtransport zu über-nehmen. (Als er diese Wagen anforderte, sah er, daß das Haus, in dem er seine Buchhandlung mit Papier- u. Schreibwaren betrieb, lichterloh brannte. Die Pflicht allein gebot zur Unfallstelle u. damit zur Rettung der Getroffenen zurück zu gehen. Und als D. auch den letzten Verletzten in Sicherheit wußte u. wieder an sei-nem Geschäft vorbei kam und zu weiterem Einsatz ging, war alles ein rauchender Trümmerhaufen). Er-schwert wurde sowohl die Bergung u. Betreuung als auch der Abtransport der Verletzten durch die vielen in der Nähe der Schadensstelle und auf dem angrenzenden Gelände liegenden Zeitzünder und Blindgänger, von denen mehrere noch während der Tätigkeit explodierten und einige schon Verletzte weiter beschädigten. Erschwert wurde die Überführung auch durch die aufgerissenen und mit Schutt und Bäumen versperrten Straßen, sodaß die Verletzten weite Strecken getragen werden mußten. Während des ganzen Einsatzes bewährte sich der Hauptw. D. als ein umsichtiger Führer und als ein kaltblü-tiger und mutiger Vorgesetzter, der seinen Männern ein vorbildliches Beispiel von Einsatzfreudigkeit gab.“ Schwer getroffen wurden auch Adlerwerke (drei mittelgroße Gebäude eingeäschert; schwacher Dachschaden an einem großen Gebäude); Opelwerkstätten in der Mainzer Landstraße; Röder Präzision (Fabrikation von Auto- und Flugzeugteilen), Mainzer Landstraße 196-210; Kühlhaus Kleyerstraße; in der Kriegkstraße starb der Spediteur Emmeran Neuner beim Versuch, ein Zugpferd in Sicherheit zu bringen.

5 Luftschutz 183, ISG. 6 Sammlung Lerch, ISG.

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Starke Brände waren in der „Siedlung Pappdeckelhausen“7; die Mainzer Land-straße hatte mehrere Sprengbombentreffer und war nur sehr schwer zu befahren; die Straßenbahn war an verschiedenen Stellen unterbrochen - an der Mönchhofstraße war ein Zug völlig verbrannt. Die „Eisenbahnüberführung beim Rebs-tock durch Bombe getroffen, zwei Gleise der Strecke Frankfurt/M. / Höchst / Wies-baden über Rebstock wahrscheinlich un-benutzbar. Ein Teil der Brücke hängt he-runter. Die Strassenbahndurchführung für längere Zeit unmöglich.“8 Die zerstörte Eisenbahnbrücke, ISG

29. Dezember 1944 Hauptziel dieses Angriffs war wieder der Haupt-Güterbahnhof und die umliegenden Rüstungsbetriebe. Hierbei kamen 32 Männer bei Radio Braun in der Mainzer Landstraße9 ums Leben. Im Luftschutzraum der Auto-Union in der Frankenallee 81 starben 34 Menschen. „Im Hauptgüterbahnhof ging ein Munitionszug mit 45 Wagen in die Luft. Dazu berichtet Herr R., daß neben diesem Munitionszug ein mit Schwer- und Schwerstverwundeten belegter Lazarettzug stand. Es ist unbe-schreiblich, was sich dort abgespielt hat. Die eben dem Tod entronnenen Schwerverwundeten lagen zum Teil hilf- und bewegungslos in den Gipsverbänden. Daneben das Inferno der Detonationen! Man mußte den Mu-nitionszug ausbrennen lassen, da immer wieder Geschosse und Granaten explodierten. Dr. Gugges, der lei-tende Arzt der in der Rebstöcker Schule stationierten Rettungsstelle 20, eilte mit seinen Leuten sofort zum Unglücksort. Als er dann endlich in seine mittlerweile überfüllte Rettungsstelle zurückkehren konnte, mußte er dort ohne Licht (auch das Notlichtaggregat war ausgefallen), bei Kerzenschein weiter arbeiten. Tage- und nächtelang hat er Übermenschliches geleistet. Die Sprengstücke des Munitionszuges flogen bis auf die Fran-kenallee und verursachten noch nach acht Tagen immer wieder neue Brände.“10 Dies war nur eine vergleichsweise „kleine“ Auswahl dessen, was bei den Luftangriffen 1944 im Gallus ge-schah. Die Datierung eines Teils der Bilder gibt einen Einblick, wie es aussah, nachdem die Straßen von Schutt geräumt und die Bombentrichter zugeschüttet waren. Hanne Emrich Terminhinweis: Der „Offene Treff“ für Besucher der Geschichtswerkstatt Gallus findet ab März 2014 von 17-19 Uhr im Stadtteilbüro „Soziale Stadt Gallus“ Frankenallee 166 statt, immer am letzten Mittwoch des Monats.

Herausgeber: Geschichtswerkstatt Gallus, Frankenallee 166, 60326 Frankfurt. V.i.S.d.P. sind die jeweiligen Verfasser der namentlich gezeichneten Artikel. Leseranfragen: E-Mail - [email protected] E-Mail – [email protected] Der Druck des „INFOS“ wird vom Caritas Quartiersmanagement „Soziale Stadt Gallus“, von der

7 Gemeint sind die Häuser zwischen Mönchhofstraße und Weilbacher Straße, die im Volksmund wegen Ihrer leichten Bauweise so genannt wurden. - hier in Magistratsakte 3810 so bezeichnet. 8 Mag 3810. Der Originaltext wurde auf einer Schreibmaschine geschrieben, die kein „ß“ hatte. 9 Die Firma Max Braun hatte 1938 Gebäude in der Mainzer Landstraße angemietet; die Haus-Nr. ist unbekannt. 10 Schmid; Feuersturm; Dr. Guckes hatte seine Praxis in der Schneidhainer Straße 1.

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