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362 150 psychologische Aha-Experimente nicht über unser gesamtes Verhalten. Konrad Lorenz sprach übri- gens von „angeborenen Formen möglicher Erfahrung“. Die Umwelt (Kultur, menschliche Beziehungen, Klima etc.) beein- flusst unsere Handlungen und Urteile ebenfalls. Das ist unser Glück, denn hätten unsere Gene allzu starre Verhaltenspro- gramme zur Folge, könnten wir uns Umweltveränderungen nicht anpassen. Die Psychologie als Wissenschaft sucht heute zu verste- hen, inwiefern unsere Urteilsbildung und unser Verhalten gene- tisch determiniert sind, aber auch die umweltbedingten Variablen zu ermitteln, die unsere genetischen Programme modifizieren. 53 Zahlreiche in diesem Buch vorgestellte Mechanismen lassen sich also durch die Brille der Anpassung betrachten, das heißt unter dem Aspekt, was für den Menschen nützlich ist und daher durch unsere Gene bewahrt und weitergegeben wurde. So bezeugen die zur Wahrnehmung durchgeführten Studien (Kapitel 1), dass es uns schwerfällt, uns an den Drehsinn eines Rades zu erinnern, weil dies für das Überleben des Menschen irrelevant war. Ein anderes Bei- spiel ist die Treppe (Abschnitt 8), die uns steiler erscheint, wenn wir müde sind; so versuchen wir erst gar nicht, den Mont Blanc zu besteigen, wenn das über unsere Kräfte ginge. All dies dient der Anpassung und wurde von der Evolution bewahrt. Wenn Sie bei der Lektüre dieses Buches über unsere Alltags- psychologie gestaunt haben, dann wohl häufig deshalb, weil sich zwischen der heutigen Umwelt und unseren neuronalen Schalt- 53 In der klinischen Psychologie ist der Ansatz derselbe: Die Forscher zeigen, dass sich Menschen unter dieser oder jener Bedingung im Allgemeinen so oder so verhalten. Bekannt ist außerdem, dass die Einführung der Variable „z“ das Verhalten in diese oder jene Richtung verändert. Man sucht also in der Vor- geschichte der Person nach der Variable „z“, die zu einem entsprechenden Erleben und Verhalten führt und schließlich auch zum Leiden darunter. Selbstredend gibt es viele Elemente, die miteinander wechselwirken und zahl- reiche Verhaltensmöglichkeiten eröffnen oder ein Verhalten erklären können, insbesondere genetisch determiniertes. Doch die psychologische Forschung macht große Fortschritte und befasst sich seit Langem mit den Wechselwir- kungen zwischen verschiedenen Variablen.

150 Psychologische Aha-Experimente (2011) 363

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150 Psychologische Aha-Experimente (2011) 363

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  • 362 150 psychologische Aha-Experimente

    nicht ber unser gesamtes Verhalten. Konrad Lorenz sprach bri-gens von angeborenen Formen mglicher Erfahrung. Die Umwelt (Kultur, menschliche Beziehungen, Klima etc.) beein-flusst unsere Handlungen und Urteile ebenfalls. Das ist unser Glck, denn htten unsere Gene allzu starre Verhaltenspro-gramme zur Folge, knnten wir uns Umweltvernderungen nicht anpassen. Die Psychologie als Wissenschaft sucht heute zu verste-hen, inwiefern unsere Urteilsbildung und unser Verhalten gene-tisch determiniert sind, aber auch die umweltbedingten Variablen zu ermitteln, die unsere genetischen Programme modifizieren.53

    Zahlreiche in diesem Buch vorgestellte Mechanismen lassen sich also durch die Brille der Anpassung betrachten, das heit unter dem Aspekt, was fr den Menschen ntzlich ist und daher durch unsere Gene bewahrt und weitergegeben wurde. So bezeugen die zur Wahrnehmung durchgefhrten Studien (Kapitel 1), dass es uns schwerfllt, uns an den Drehsinn eines Rades zu erinnern, weil dies fr das berleben des Menschen irrelevant war. Ein anderes Bei-spiel ist die Treppe (Abschnitt 8), die uns steiler erscheint, wenn wir mde sind; so versuchen wir erst gar nicht, den Mont Blanc zu besteigen, wenn das ber unsere Krfte ginge. All dies dient der Anpassung und wurde von der Evolution bewahrt.

    Wenn Sie bei der Lektre dieses Buches ber unsere Alltags-psychologie gestaunt haben, dann wohl hufig deshalb, weil sich zwischen der heutigen Umwelt und unseren neuronalen Schalt-

    53 In der klinischen Psychologie ist der Ansatz derselbe: Die Forscher zeigen, dass sich Menschen unter dieser oder jener Bedingung im Allgemeinen so oder so verhalten. Bekannt ist auerdem, dass die Einfhrung der Variable z das Verhalten in diese oder jene Richtung verndert. Man sucht also in der Vor-geschichte der Person nach der Variable z, die zu einem entsprechenden Erleben und Verhalten fhrt und schlielich auch zum Leiden darunter. Selbstredend gibt es viele Elemente, die miteinander wechselwirken und zahl-reiche Verhaltensmglichkeiten erffnen oder ein Verhalten erklren knnen, insbesondere genetisch determiniertes. Doch die psychologische Forschung macht groe Fortschritte und befasst sich seit Langem mit den Wechselwir-kungen zwischen verschiedenen Variablen.