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1 16 Souveränität gegen Wiedervereinigung Zum Zeitpunkt der Entstehung der beiden deutschen Staaten erschienen die Chancen für die Einheit Deutschlands im Nebel des Prinzips Hoffnung verschwunden. De facto war die Herausbildung zweier deutscher Staaten der Vollzug der Teilung. Der Eintritt der beiden deutschen Staaten in die jeweiligen Bündnisse im Jahr 1955 markierte die Zugehörigkeit zu zwei diametral gegenüberstehenden Lagern. Der Ost-West-Konflikt und seine Stabilisierung schloss es aus, dass eine Seite ein geeintes Deutschland in die eigene Einflusssphäre einbeziehen und kontrollieren konnte. Damit war die Deutsche Frage vorläufig unlösbar. Die beiden Supermächte wurden Garanten der europäischen Stabilität auf der Basis des Status quo. Der geostrategische Kompromiss zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion war für beide Seiten vorteilhaft. Die UdSSR konnte ihre Machtposition in Europa konsolidieren und sukzessive auch legitimieren.

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16 Souveränität gegen Wiedervereinigung

Zum Zeitpunkt der Entstehung der beiden deutschen Staaten erschienen die Chancen für die Einheit Deutschlands im Nebel des Prinzips Hoffnung verschwunden. De facto war die Herausbildung zweier deutscher Staaten der Vollzug der Teilung. Der Eintritt der beiden deutschen Staaten in die jeweiligen Bündnisse im Jahr 1955 markierte die Zugehörigkeit zu zwei diametral gegenüberstehenden Lagern.

Der Ost-West-Konflikt und seine Stabilisierung schloss es aus, dass eine Seite ein geeintes Deutschland in die eigene Einflusssphäre einbeziehen und kontrollieren konnte. Damit war die Deutsche Frage vorläufig unlösbar. Die beiden Supermächte wurden Garanten der europäischen Stabilität auf der Basis des Status quo.

Der geostrategische Kompromiss zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion war für beide Seiten vorteilhaft. Die UdSSR konnte ihre Machtposition in Europa konsolidieren und sukzessive auch legitimieren.

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Diese sah so aus, dass einerseits die Sowjetunion in den Grenzen ihrer Machtsphäre nach dem Zweiten Weltkrieg gehalten wurde, andererseits die Bundesrepublik Deutschland in die transatlantischen und westeuropäischen Institutionen integriert wurde.

Für letzteres gewannen die Vereinigten Staaten die Zustimmung der Bundesre-gierung und der westdeutschen Bevölkerung.

Die USA konnten ihre doppelte Eindämmungspolitik betreiben.

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Die Schöpfer des deutschen Grundgesetzes hatten die Bundesrepublik zu einem Provisorium erklärt, weil sie die Teilung Deutschlands weder direkt noch indirekt billigen wollten. Der junge deutsche Weststaat war also nach seinem staatsrechtlichen Selbstverständnis insofern ein Unikum als er seinen Bestand längerfristig selbst in Frage stellte.

Schon der Begriff Grundgesetz sollte die Vorläufigkeit klarstellen, der übliche Begriff der Verfassung war deshalb vermieden worden. Dieses Verständnis fand seine Entsprechung in der Bezeichnung der DDR als „Zone“ oder „sogenannte DDR“.

Die Westorientierung der Bonner Politik ergab sich schon allein daraus, dass der Kanzler bei schwierigen und langwierigen Verhandlungen zur Eingliederung der Bundesrepublik in das westliche System mit den westlichen Spitzenpolitikern ständig Kontakt hielt.

Zur Sowjetunion hielt er von vornherein Distanz, obwohl dort ja der Schlüssel zur deutschen Einheit gelegen hätte. Eine flexiblere Ostpolitik kam unter seiner Führung nicht zustande. Hier lag also eine Diskrepanz zwischen der Bonner West- und der Ostpolitik, die eindeutig anzeigt, wie die Akzente gesetzt worden waren.

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Die Westintegration bescherte der Bundesrepublik nicht nur nach und nach die Gleichberechtigung mit den Partnerländern, sondern löste sogar auch ein territoriales Problem im Westen: das des Saargebietes.

1948 hatte Frankreich das Saargebiet wirtschaftlich eingegliedert und versucht, diese Wirtschaftsunion auch politisch-vertraglich zu festigen. Dennoch erreichte es Adenauer 1956, dass das Saargebiet wieder zu Deutschland zurückkehrte.

Die deutsche Diplomatie hatte in diesem Fall geschickt die Bedingungen im Kalten Krieg ausgenutzt. Die Weststrategie war eine der Anpassung an die Gegebenheiten und deren Ausnutzung im Sinne eines Zugewinns an deutscher Souveränität.

Eine Ostpolitik aus einer „Position der Stärke“ mündete hingegen zwangsläufig in die Stagnation und wirkte formaljuristisch und ritualistisch.

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Dabei war sich die Bonner Politik unter Adenauer durchaus bewusst, dass die westliche Unterstützung für die deutsche Einheit gering bis inexistent war.

Ziel der Bonner Wiedervereinigungsstrategie war es also konsequenterweise, den Einfluss der Bundesrepublik im westlichen Lager zu vergrößern und somit zu erreichen, dass die westlichen Verbündeten die Deutsche Frage nicht als zweitrangig oder schlimmstenfalls sogar als Tauschobjekt bei einer Lösung des Ost-West-Konflikts betrachteten.

Auf eine Kurzformel gebracht hieß das: Die Bundesrepublik musste sich innerhalb des Westens unentbehrlich machen.

Anfang der fünfziger Jahre war die Bundesrepublik eindeutig noch kein souveräner Staat. Die Westalliierten besaßen Einspruchsrechte bei der Bonner Außenpolitik. Was die deutsche Einheit betraf, sollten die Rechte der vier Siegermächte die volle Souveränität auch in Zukunft noch ausschließen.

In dieser Situation hätte eine aktive Bonner Ostpolitik womöglich die gesamte westliche Bündnisstrategie in Frage stellen und das Erreichen des Souveränitäts-zieles aufs Spiel setzen können.

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Immerhin gelang es der deutschen Politik in den Pariser Vereinbarungen von 1954 (sogenannter Deutschland-Vertrag) die westlichen Verbündeten auf die Unterstützung der deutschen Wiedervereinigung zu verpflichten.

Das bezog sich allerdings nicht auf die Wiederherstellung Deutschlands innerhalb der Grenzen von 1937.

Diese Verpflichtung war schon schwierig genug gewesen und in der Tat ein diplomatisches Meisterstück, allerdings sahen die westlichen Verbündeten in den deutschen Wiedervereinigungsplänen nur eine Art vergrößerte Bundesrepublik.

Die vertraglichen Verpflichtungen Deutschlands, die die Bonner Regierung an das Atlantische Bündnis und die westeuropäischen Institutionen band, sollten erhalten bleiben.

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Die Politik gegenüber der Sowjetunion war nicht kompromissorientiert im Sinne einer mit ihr auszuhandelnden potentiellen Wiedervereinigung. Als die UdSSR in ihrer berühmten Note vom 10. März 1952 die Neutralisierung Deutschlands und den Abzug aller Besatzungstruppen forderte und dafür die deutsche Wiedervereinigung anbot, entgegneten die Westmächte am 25. März, dass eine gesamtdeutsche Regierung nur durch freie Wahlen zustande kommen könne.

Wahrscheinlich war tatsächlich weder Stalins Angebot ernst gemeint noch wollten die Westmächte darauf eingehen und in ernsthaften Verhandlungen die sowjetische Position ausloten.

In dieser kritischen Phase des Kalten Krieges 1952 wollte die Sowjetunion höchstwahrscheinlich in erster Linie gegen die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) querschießen und die Bundesregierung mit einem Lockangebot ködern.

Adenauer wurde von vielen Kritikern damals und später vorgeworfen, er habe es verantwortungslos und sogar zynisch versäumt, diese Möglichkeit zur Wiederver-einigung ernsthaft zu prüfen.

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Deutsche Neutralität und deutsche Sonderwege waren für ihn Schreckgespenster. Für den Bundeskanzler war die Westbindung gleichbedeutend mit der Staatsräson der Bundesrepublik.

Zweifellos wollte Adenauer kein vereintes Deutschland, das aus dem Westbündnis gelöst Schaukelpolitik betreiben könnte.

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Um in dieser Frage voranzukommen, vertraute er auf eine günstige Wendung des Ost-West-Machtgleichgewichts, das eine wirksame „Politik der Stärke“ des Westens erlauben sollte.

Tatsächlich bildete sich aber das bekannte Gleichgewicht des Schreckens heraus, das einer solchen westlichen Politik den Boden entziehen musste.

Erst die Ereignisse Ende der achtziger Jahre lassen sich womöglich im Sinne der Analyse Adenauers interpretieren.

Adenauer erwartete für seine konsequente Politik der Westintegration vom Westen die Unterstützung seiner Ostpolitik als Gegenleistung. Die bundesdeutsche Öffentlichkeit suchte er zu überzeugen, dass der Westen die deutsche Wiedervereinigung unterstütze. Die Unterstützung war allerdings, wie gesagt, nur lau und rhetorisch.

Ob er allerdings wirklich mit einem Zusammenbruch des Ostblocks gerechnet hat, muss dahingestellt bleiben.

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Damit wurde der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik in eine rechtlich-diplomatische Formel umgesetzt, nach der die Bundesrepublik automatisch die diplomatischen Beziehungen zu solchen Regierungen abbrach, die das DDR-Regime anerkannten.

Allerdings wurde die Doktrin nie offiziell verkündet, um die diplomatische Flexibilität nicht völlig zu verlieren. Musterbeispiel war der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien im Jahr 1957.

Adenauers politische Hauptziele, die Westintegration und die Verhinderung einer deutschen Neutralität waren erreicht, seine Wiedervereinigungspolitik, wenn er überhaupt eine hatte, war fehlgeschlagen.

1955 kam es zu Adenauers Moskaubesuch, der in der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR mündete. Adenauer erreichte zwar die Freilassung der in der Sowjetunion verbliebenen deutschen Kriegsgefangenen, in der Deutschen Frage gab es aber keinerlei Fortschritte. Als Konsequenz formulierte die westdeutsche Diplomatie die sogenannte Hallstein-Doktrin.

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Sowjetische Disengagement-Pläne gingen von der Grundlage der Teilung Deutschlands aus und versuchten, eine de facto-Anerkennung der DDR herbeizu-führen.

Inhaltlich bot die Sowjetunion eine nuklearwaffenfreie Zone in Mitteleuropa und eine beiderseitige Truppenreduzierung an.

Sowjetisches Ziel war eine Schwächung der militärischen Präsenz des Westens, besonders der USA, und letztlich der Zerfall der NATO.

Eine weitere Entwicklung auf dem Feld der Sicherheit untergrub die direkte Verknüpfung zwischen der Wiedervereinigung und dem Aufbau eines stabilen europäischen Sicherheitssystems. Die Lösung der Deutschen Frage war jetzt nicht mehr Vorbedingung für eine europäische Sicherheitsvereinbarung, beide Problembereiche konnten nebeneinander existieren.

In diesem Abschnitt interessieren nicht die sicherheitspolitischen Einzelheiten, son-dern nur die Verbindung zur Wiedervereinigungsfrage.

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Osteuropäische Länder versuchten, ihren Handlungsspielraum zu vergrößern, im Westen kamen Unstimmigkeiten zwischen Frankreich und den USA auf.

De Gaulle erkannte 1959 die Oder-Neiße-Grenze an. Zugleich zeigte Frankreich gegenüber dem Ostblock eine härtere Haltung als England und die USA.

Aus der Bonner Perspektive verschob sich die Frage immer mehr vom Blickwinkel „Wie kommen wir der Wiedervereinigung näher?“ in die Richtung „Wie können wir verhindern, dass die Teilung Deutschlands besiegelt wird“, mit anderen Worten, wie können wir die Deutsche Frage offen halten?

Das Dilemma der Bonner Politik bestand darin, dass der Abbau von Spannungen im Ost-West-Verhältnis zwar eine Vorbedingung für die Wiedervereinigung war, eine Entspannung aber auch die Möglichkeit einer Sanktionierung des deutschen Status quo einschloss. Ende der fünfziger Jahre zeichnete sich eine Schwächung der beiden antagonistischen Bündnissysteme ab.

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Zehn Jahre nach der Berliner Blockade und der Luftbrücke der Alliierten wurde West-Berlin 1958 erneut zum Brennpunkt des Kalten Krieges in Europa. Der Zugang zu West-Berlin schien der Sowjetunion ein geeigneter Hebel zu sein, die de facto-Anerkennung der DDR zu ertrotzen.

Im Dezember 1958 hatte die Sowjetunion den Westmächten vorgeschlagen, West-Berlin den Status einer entmilitarisierten freien Stadt zu verleihen. Daran war die Drohung gekoppelt, die Transitverkehrsrechte nach Berlin auf die DDR zu übertragen, falls es binnen sechs Monaten keine Vereinbarung gäbe.

Das Berlin-Ultimatum Chruschtschows brachte den Westen in eine unangenehme Lage. Hier deckten sich die westdeutschen Interessen eindeutig nicht mit denen der drei Westmächte. Letztere wollten nur ihren eigenen Status in Berlin wahren, Bonn hingegen rückte den Zusammenhang mit der Deutschen Frage in den Vordergrund und versteifte sich auf rechtliche Formalitäten.

Die Situation in Berlin versinnbildlichte den Restbestand der deutschen Einheit. Hier gab es einen letzten sichtbaren Rest der Vier-Mächte-Verantwortung für die gesamtdeutschen Angelegenheiten. Die militärische Präsenz der Alliierten in West-Berlin und die politische Präsenz der Bundesrepublik waren der Sowjetunion und der DDR folglich ein Dorn im Auge.

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Damit war von östlicher Seite das letzte Symbol der Einheit Deutschlands und Berlins zerstört worden.

Die Übertragung der sowjetischen Rechte in Ost-Berlin auf die DDR bedeutete praktisch einen separaten Friedensvertrag, womit die Teilung Deutschlands vollendet war.

Bonn hatte protestierend die Moral auf seiner Seite, verfügte aber über keine politischen oder andere Mittel, den Mauerbau zu verhindern.

Die Berlin-Frage wurde auf verschiedenen Ost-West-Konferenzen in Camp David, Paris und Wien hin- und hergeschoben. 1961 verschärfte sich die Berlinkrise und zugleich wurden durch den Mauerbau am 13. August Voraussetzungen für die Stabilisierung geschaffen. Der Flüchtlingsstrom von Ost- nach Westberlin provozierte eine Entscheidung der Spitzenpolitiker des Ostblocks, diese letzte Tür zwischen den beiden deutschen Staaten zu schließen.

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Für den Ostblock und vor allem die DDR war es eine erfolgreiche Machtdemonstration. Diese hatte allerdings den Preis der Blamage durch die Zurschaustellung der Inattraktivität des Realsozialismus.

Für die Alliierten war es vernünftigerweise nur der Anlass zum Protest. Kriegsgrund konnte der Mauerbau im Zeitalter des nuklearen Patts nicht sein.