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Umbruch in der Erkenntnistheorie im 17. Jahrhun- dert: Fortschreiten auf sicherer Grundlage für die Er- kenntnis von Natur, Geist und Gott. 2. 2. Erkenntnistheorie in der Fr Erkenntnistheorie in der Fr ü ü hen Neuzeit hen Neuzeit 2.1 2.1 Das Projekt der Erneuerung der Philosophie Das Projekt der Erneuerung der Philosophie Bacon, Descartes: Ab- wendung von der Aristo- telischen Philosophie, Naturwissenschaften als Vorbild der Erkenntnis.

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Umbruch in der Erkenntnistheorie im 17. Jahrhun-dert:Fortschreiten auf sicherer Grundlage für die Er-kenntnis von Natur, Geist und Gott.

2. 2. Erkenntnistheorie in der FrErkenntnistheorie in der Früühen Neuzeithen Neuzeit

2.12.1 Das Projekt der Erneuerung der PhilosophieDas Projekt der Erneuerung der Philosophie

Bacon, Descartes: Ab-wendung von der Aristo-telischen Philosophie, Naturwissenschaften als Vorbild der Erkenntnis.

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Alternativer Weg zur Erkenntnis: (1) Identifikation und Ablegen von Vorurteilen: alles ist von Neuem zu prüfen. (2) Erkenntnistheoretischer Fundamentalismus: Basis gültiger Erkenntnisse und Verfahren zur Gewinnung weiterer Erkenntnisse.

Fundament: Bacon: Erfahrung. Descartes: Vernunft. Verfahren: Bacon: Verallgemeinerung von Erfahrungen. Descartes: Vernunftschluss.

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=> Aufteilung des Projekts einer neuen Begründung der Philosophie in Empirismus und Rationalismus.

Der Aristotelische Begriff des Wissens bleibt maß-geblich: Durch Rückführung von Phänomenen auf das Fundament der Erkenntnis wird deren Beschaf-fenheit klar, und man versteht zugleich, dass diese Beschaffenheit keine andere sein kann.

Empiristische Umsetzung: Bacons „Experimentum crucis“. Entwurf von zwei erschöpfenden Alternativen. Widerlegung einer Alternative durch die Erfahrung. => Empirischer Beweis der anderen.

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Beispiel: Newtons optisches Experimentum crucis. Das Prisma bringt entweder die im weißen Licht enthaltenen Farben zum Vorschein (Analyse) oder es erzeugt diese Farben (Produktion).

Widerlegung der zweiten Alternative. => Beweis der ersten.

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(3) Verpflichtung auf praktisch relevantes Wissen: die neue Wissenschaft soll Wissen hervorbringen, das für das Leben taugt.Descartes: Das Ziel sind Kenntnisse, durch die wir zu „Herren und Eigentümern der Natur“ werden (Discours VI.2).

(4) Bewusstsein des Fortschritts: Die Wissenschaft wagt einen Neuanfang, sie führt nicht einfach eine Tradition fort.

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Bacons Instauratiomagna

„Multi pertransibunt & augebitur scientia“

Antiquitas saeculi, iuventus mundi.

Der Gedanke des Er-kenntnisfortschrittsgewinnt erstmals klare Gestalt.

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2.2 Descartes’ rationalistische Erkenntnis-theorie und dualistische Leib-Seele-Theorie

René Descartes (1596–1650)

1604–1612: Jesuitenkolleg La Flèche1628–1649: Aufenthalt in den Niederlanden Februar 1650: Tod in Stockholm

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Rationalismus in der Erkenntnistheorie: Verlässliches Wissen über die Welt gründet sich auf die Einsicht, dass bestimmte Wahrheiten offenkundig oder evident sind.

Meditationes de prima philosophia (1641) Pricinpia philosophiae (1644).

Beseitigung von Vorurteilen durch skeptischen Zweifel

Keine unserer landläufigen Überzeugungen ist hin-reichend geprüft, um als Wissen gelten zu können.

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Wir können uns über den Wahrheitsgehalt von Empfindungen nicht sicher sein.

Auffinden eines Fundaments der Erkenntnis durch Radikalisierung des Zweifels: an allem soll zunächst gezweifelt werden.

„Cartesischer Zweifel“.

Fiktion eines geniusmalignus, der uns in die Irre führen will.

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Die Existenz des Zweifelnden und die Verlässlich-keit der Wahrnehmungen

„Nun, wenn er mich täuscht, so ist es also unzweifel-haft, daß ich bin. ... ‚Ich bin, ich existiere’ [ist] not-wendig wahr (1641, 43-45). „Cogito, ergo sum“. Aus der Existenz des Zweifels folgt die Existenz des Zweifelnden.

Die Vernunft, nicht die Wahrnehmung, stellt das Fundament der Erkenntnis bereit.

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Descartes’ Geltungskriterium für Behauptungen: klare und deutliche (clare et distincte) Vorstellbar-keit der entsprechenden Sachverhalte.„klar“: dem aufmerksamen Geiste gegenwärtig und offenkundig„deutlich“: von anderen Erkenntnissen unterschie-den und abgegrenzt.

Zweiter Schritt: Ableitung des Gegenstandsbezugs be-stimmter Wahrnehmungen.

Beweisgang über die De-monstration der Existenz Gottes.

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Scholastische Kausaltheorie, derzufolge eine Ur-sache mindestens ebensoviel Wirklichkeit oder Vollkommenheit in sich tragen muss wie die Wir-kung. => Eine endliche Substanz, wie ich selbst es bin, kann nicht die Vorstellung einer unendlichen Sub-stanz bilden.Bei Gott gehört das Dasein zum Wesen.

Güte und Wahrhaftigkeit gehören zur Vollkommen-heit Gottes: Ausschluss des genius malignus. Rechtfertigung des Schlusses von den Sinneswahr-nehmungen auf die Existenz der zugehörigen Gegenstände.

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Die Möglichkeit des Irrtums

(1) Irrtum und Schuld sind Zustände des Mangels: zu ihrer Entstehung bedarf es nicht der Mitwirkung Gottes.

(2) Irrtum und Schuld entstammen daraus, dass der Wille zu urteilen weiter reicht als das Urteilsvermö-gen.

(3) Diese Möglichkeit des Fehlurteils ist Folge der Urteilsfreiheit.

(4) Die Vollkommenheit der Gesamtheit der Welt wird dadurch erhöht, dass einige Menschen dem Irrtum unterworfen sind (1641, 101-113, 143).

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Andeutung der Leibnizschen Denkfigur, dass die Vollkommenheit des Ganzen die Unvollkommen-heit einzelner Teile verlangen könne.

Leib-Seele-Dualismus

Anwendung dieser Grundsätze der Erkenntnis-theorie und des Geltungskriteriums der klaren und deutlichen Vorstellbarkeit von Sachverhalten auf die Erkenntnis des Leib-Seele-Verhältnisses.

Klare und deutliche Vorstellbarkeit begründet die Möglichkeit der Existenz.

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Vorstellbarkeit als verschieden: getrennte Existenz möglich: => Wirkliche Verschiedenheit.

Untersuchung der Vorstellungen von Körper und Geist: wesentlich verschiedene Merkmale. Materie: allein durch Ausdehnung charakterisiert. => Alle Körper bestehen aus Teilen.

Geist: einheitlich durch „Denken“ bestimmt.

=> Verschiedenheit von Geist und Körper.

Aristotelische „Sandkastenontologie“: Bindung von Eigenschaften an einen Träger.

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Die jeweils unterschiedlichen kriterialen Eigen-schaften von Geist und Materie verweisen auf die Existenz jeweils verschiedener zugehöriger Substanzen: – Mentale Fähigkeiten zeigen die einheitliche

res cogitans als ihren Träger an. – Materielle Eigenschaften sind an die

einheitliche res extensa gebunden.

Interaktionismus: Beide Substanzen stehen in Wechselwirkung.

Der Geist wirkt auf den Körper und der Körper auf den Geist.

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Ort der Ort der KKöörperrper--GeistGeist--WechselWechsel--wirkungwirkung: Zirbeldr: Zirbeldrüüse (Epiphyse).se (Epiphyse).

Im physiologischen Im physiologischen MechaMecha--nismusnismus ist allein die ist allein die resresextensa extensa wirksam. Der Kwirksam. Der Köörper unterliegt rper unterliegt ausaus--schlieschließßlichlich den Gesetzen der Physik.den Gesetzen der Physik.

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Die Wirksamkeit der Die Wirksamkeit der res cogitans res cogitans ist auf den ist auf den Bereich der geistigBereich der geistig--emotionalen Femotionalen Fäähigkeiten higkeiten beschrbeschräänkt.nkt.

Das Denkmotiv der Verstehbarkeit der Welt Das Denkmotiv der Verstehbarkeit der Welt prpräägte das 17. Jahrhundert nachdrgte das 17. Jahrhundert nachdrüücklich. cklich.

„„Mechanische PhilosophieMechanische Philosophie““: : Alles Geschehen in Alles Geschehen in der Welt wird von klar durchschaubarender Welt wird von klar durchschaubaren

Eigenschaften bestimmt, Eigenschaften bestimmt, nnäämm--lichlich GrGrößöße, Gestalt, Lage und e, Gestalt, Lage und Bewegung von Materieteilen.Bewegung von Materieteilen.

Die Welt als Uhrwerk.

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Der Interaktionismus und die Erhaltung der Bewegung

Bedenken: Descartes’ Auffassung von Leib-Seele-Wechselwirkung steht im Widerspruch zu seiner Physik.

Erhaltungssatz für Bewegungen während der Geist zugleich durch Einwirkung auf die Zirbeldrüse neue Bewegung zu erzeugen scheint.

Tatsächlich kein Widerspruch:Descartes’ Physik: Die „Menge der Bewegung“ im Universum bleibt erhalten. Menge der Bewegung: Impulsbetrag: |mv|.

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=> Die Richtung der Bewegung wird nicht von diesem Erhaltungssatz erfasst.

Der Geist ändert nicht die Menge der Bewegung; er lässt die Geschwindigkeitsbeträge aller beteiligten Körper konstant.Stattdessen Einfluss auf die Richtung der Bewe-gung.

=> Einklang zwischen der Cartesischen Physik und der Leib-Seele-Wechselwirkung.

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Descartes’ begriffliches Kunststück: Vereinigung dreier Annahmen ohne Widerspruch: (1) Die materielle Welt ist kausal abgeschlossen.(2) Der Geist ist nicht-materiell.(3) Der Geist wirkt auf den Körper; sein Einfluss bewirkt körperlich fassbare Unterschiede.

Grundlage: Erhaltung der Bewegungsmenge als Ausdruck kausaler Abgeschlossenheitund zugleich als einzige universell gültige Zwangs-bedingung für Wechselwirkungen.

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Leibniz: Nicht allein Erhaltung der skalaren Menge Leibniz: Nicht allein Erhaltung der skalaren Menge der Bewegung (des Impulsbetrags), sondern auch der der Bewegung (des Impulsbetrags), sondern auch der determinatio determinatio (des vektoriellen Impulses). (des vektoriellen Impulses). => Kein Raum f=> Kein Raum füür den Cartesischen krr den Cartesischen krääftelosen ftelosen Einfluss. Einfluss. Klassische Mechanik: Erhaltung des vektoriellen Klassische Mechanik: Erhaltung des vektoriellen Impulses. Impulses. => Richtungs=> Richtungsäänderung nderung →→→→→→→→ ImpulsImpulsäänderung.nderung.

Der Einfluss des Geistes auf Bewegungsrichtungen ließe die Erhaltungssätze nicht unangetastet und verletzte daher die kausale Abgeschlossenheit der Welt.

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Bereits die unmittelbaren Nachfolger wichen von Descartes ab: Leibniz gegen (3): keine Wechselwirkung zwischen Körper und Geist. Hobbes gegen (2): Geist von materieller Natur. => Descartes steckte den Rahmen für weite Teile der nachfolgenden philosophischen Diskussion ab.

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Bacons Empirismus: Optimismus des Neubeginns.

Hume: Beschränkung auf die Erfahrung, skeptischer Tonfall.

Der Akzent liegt darauf, welche Vorstellungen nicht auf Erfahrung zu gründen und daher haltlos sind.

Vorstellung isolierter Einzeltatsachen, die durch kein natürliches Band, sondern durch die Gewohn-heit der Beobachter zusammengehalten werden.

Letzten Endes ist die Welt unverständlich.

2.3 Der skeptische Empirismus Humes

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David Hume (1711–1776)

Treatise on Human Nature (1739/40)

Enquiry concerningHuman Understanding(1748)

Dialogues ConcerningNatural Religion (1779)

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Die Erfahrung als Grundlage aller Tatsachen-erkenntnis

Bewusstseinsinhalte oder Perzeptionen zerfallen in zwei Klassen, die Eindrücke (impressions) und die Vorstellungen (ideas).

Unterscheidungsmerkmal: Intensität. Eindrücke als Perzeptionen größter Stärke: Sinnes-empfindungen und Affekte. Vorstellungen sind von schwächerer Kraft und finden sich im Denken und Urteilen.

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Einteilung der Perzeptionen: Einfache Eindrücke und Vorstellungen können nicht in Teile zerlegt werden, bei zusammengesetzten ist dies möglich.

„Allgemeiner Satz“, „daß alle unsere einfachen Vor-stellungen bei ihrem ersten Auftreten aus einfachen Eindrücken stammen, welche ihnen entsprechen und die sie genau wiedergeben“ (1739/40, 13).

Kausalverhältnis zwischen Eindrücken und Vor-stellungen.

Bestätigung der Prämisse, dass Grundlage aller Tatsachenerkenntnis allein die Erfahrung ist.

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Der Geist kombiniert lediglich die einfachen Ein-drücke auf neue Weise miteinander.

Drei Prinzipien mentaler Verarbeitung: Ähnlichkeit, Kontiguität oder raumzeitliche Berührung, Kausa-lität.

Prüfung des Sachgehalts von Begriffen durch Auf-weis zugehöriger einfacher Vorstellungen: „Wenn wir darum den Verdacht haben, daß ein philosophischer Terminus ohne feste Bedeutung oder Vorstellung gebraucht wird … , brauchen wir nur zu fragen: ‚Welchem Eindruck entstammt diese angebliche Vorstellung?’“ (1748, 37).

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Ich, Kausalität, Induktion

Substanzielles Ich: Alle Bewusstseinsinhalte können als Zustände oder Eigenschaften einer invarianten Personalität gelten.

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Humes Einwand: Wir finden in der introspektiven Erfahrung kein solches erhaltenes Element, son-

Thomas M. Little, Stream of Consciousness, 2001

dern ein Bündel verschiedener Perzeptionen, die schnell auf-einander folgen und ständig im Fluss sind.

=> Es gibt kein Ich.

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Analyse der Kausalbeziehungen:

– Die Erkenntnis von Kausalbeziehungen lässt sich nicht auf Vernunft allein gründen.

– Alternative Vorstellung: Die Ursache erzeugt die Wirkung durch einen physischen Einfluss. Aber kein Sinneseindruck stützt diese Vorstellungeiner Kraft zwischen Ursache und Wirkung odereines notwendigen Zusammenhangs beider.

Stattdessen: Wir erkennen aus der Erfahrung „die häufige Verbindung (conjunction) von Gegenstän-den“, können aber niemals „so etwas wie die Ver-knüpfung (connexion) zwischen ihnen begreifen“(1748, 94).

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Regularitätstheorie der Kausalität

(1) Kontiguität: Raumzeitliche Nachbarschaft von Ursache und Wirkung. (2) Asymmetrie: Zeitliche Priorität der Ursache vor der Wirkung. (3) Regularität: Beständiges gemeinsames Auftreten von Ursache und Wirkung (1739/40, I, 101-102, 125).

Die Kontiguitätsbedingung beschränkt Kausal-prozesse auf Nahewirkungen.

Die Asymmetriebedingung unterscheidet zwischen Ursache und Wirkung anhand der Zeitfolge.

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Die Regularitätsbedingung stellt fest, dass allein das anhaltend korrelierte Eintreten von Ereignissen eine Kausalbeziehung ausmacht.

Folge der Regu-laritätsbedin-gung: Kausalurteile beziehen sich primär auf Ereignistypen.

Caleb Kay, 2007

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Induktionsproblem:

Humes These: Vergangene Beobachtungen von Regelmäßigkeiten begründen nicht die Erwartung ihres Fortbestehens in der Zukunft.

Induktionsschlüsse stützen sich auf das Postulat einer Konformität der Natur:

Diese gründen sich nicht auf Vernunft.

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Alternative Gründung auf Erfahrung: Weil sich in vielen Fällen regelmäßige Verbindungen finden, ist zu erwarten, dass dies auch im fraglichen Fall so ist. => Zirkularität. => Induktionsschlüsse sind ohne sachliche Grund-

lage.

Die Entstehung der Vorstellung der Notwendigkeit der Verknüpfung stammt aus Gewohnheit.

Es sind psychologische Mechanismen und keine Vernunftschlüsse, die uns von der Beobachtung der Ursache zur Vorstellung der Wirkung führen oder umgekehrt.

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Probleme der Regularitätstheorie der Kausalität

Der Schluss vom korrelierten Auftreten von Ereignissen auf deren kausale Verbindung gilt inzwischen als berüchtigter Fehlschluss.

Kausale Fehlurteile:

(1) „Post hoc, ergo propterhoc“: Wenn ein Ereignis auf ein anderes folgt, so ist das spätere die Wirkung des früheren.

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(2) Verwechslung von Ursache und WirkungVerwechslung von Ursache und Wirkung

Bei Bestehen eines kausalen Zusammenhang wird Bei Bestehen eines kausalen Zusammenhang wird ffäälschlich die Ursache flschlich die Ursache füür die Wirkung und die r die Wirkung und die WirWir--kungkung ffüür die Ursache gehalten. r die Ursache gehalten.

(3) Fehlschluss der gemeinsamen Ursache(3) Fehlschluss der gemeinsamen Ursache

Gemeinsames Auftreten von Ereignissen ohne Gemeinsames Auftreten von Ereignissen ohne direkten kausalen Zusammenhang zwischen ihnen: direkten kausalen Zusammenhang zwischen ihnen: Die Ereignisse werden von einer gemeinsamen Die Ereignisse werden von einer gemeinsamen Ursache erzeugt und sind so Wirkungen eines Ursache erzeugt und sind so Wirkungen eines dritten Ereignisses.dritten Ereignisses.

Fehlschluss: fFehlschluss: fäälschliche Annahme direkter lschliche Annahme direkter VerursaVerursa--chungchung..

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Die Humesche Welt und die Rolle des Humeschen Empirismus

Die Humesche Welt besteht aus isolierten Einzel-tatsachen, die nur durch kontingente, jederzeit wandelbare Regularitäten verbunden sind.

Gegenpol zur Platonischen Weltsicht. Platonische Position der Existenz des Allgemeinen und Abstrakten: „Realismus“ (auch „Begriffsrealis-mus“)Gegenposition, derzufolge allein das Einzelne exis-tiert, das Allgemeine und Abstrakte aber vom menschlichen Denken erzeugt werden: „Nomina-lismus“.

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Die Erkenntnis systematisiert bestenfalls beobach-tete Regelmäßigkeiten.

Das Versprechen der Durchschaubarkeit der Welt, mit dem die mechanische Philosophie im 17. Jahrhundert angetreten war, gilt Hume als nicht einlösbar.

Tatsächlich bleiben unsere Erkenntnis nicht allein oberflächlich, sie sind nicht einmal verlässlich.

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Humes Kritik am Induktionsschluss besagt, dass wir niemals gute Gründe für die Fortsetzung von Regelmäßigkeiten haben und dass die betreffende Erwartung allein auf einem psychologischen Mechanismus, nicht aber auf Erfahrungen beruht.

=> In der Naturforschung gibt es letztlich keine guten Gründe.

Thomas Reid: Hume hat die Grundsätze des Empirismus konsequent zu ihren logischen Extremen verfolgt und dadurch ihre Unhaltbarkeit aufgezeigt.

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(1) Locke: Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten. Primäre Qualitäten (Ausdehnung, Lage, Bewegung) kommen den Gegenständen ihrer Natur nach zu.

Sekundäre Qualitäten (Farbe, Geschmack) sind ausschließlich vom Wahrnehmungs-system produziert.

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(2) Berkeley: Auch die primären Qualitäten werden durch Wahrnehmungseindrücke erzeugt.Keine empirische Basis dafür, körperliche Gegen-stände als Träger der Wahrnehmungen anzuneh-men. Sein ist wahrgenommen werden (esse est per�cipi).Keine res extensa, sondern nur res cogitans.

(3) Hume: Auch für Annahme eines Ich oder einer invarianten Person, einer res cogitans, gibt es keine Grundlage.

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Aber Hume war nicht durchgehend konsequent.

(a) Einwand der fehlen-den Blauschattierung (missing shade of blue): Hume erkennt ein Ge-genbeispiel zu seinem obersten Grundsatz an und zieht keine Konse-quenzen.

(b) Schwankende Haltung Humes zur Existenz der äußeren Gegenstände als von den Sinneswahrneh-mungen getrennten Größen.

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Dabei erneutes Abweichen von seinem obersten Grundsatz und unterschiedliche Behandlung von Körpern und Ich.

(c) Hume nimmt die von ihm behaupteten Be-schränkungen induktiver Schlüsse nicht ernst.

Wenn man (wie Reid) Humes Thesen als eine Selbstaufgabe des Empirismus verstehen will, dann müsste man Humes Inkonsequenz als Grund nennen.

Aufnahme Humescher Denkansätze bei Ernst Mach (1838–1916) und konsequentere Weiterfüh-rung als bei Hume.

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2.4 Kants transzendentale Erkenntnis-theorie

Immanuel Kant (1724–1804) einer der einflussreichsten Philosophen aller Zeiten, eingefleischter Königsberger. Kritik der reinen Vernunft(1781, 1787), Grundlegung zur Metaphy-sik der Sitten (1785) Kritik der praktischen Ver-nunft (1788), Kritik der Urteilskraft (1790).

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Kants transzendentales Projekt

Hume:(1) Alle Tatsachenerkenntnis stammt allein aus der Erfahrung.(2) Die Erfahrung stellt keine Sicherheit bereit. => Alle Tatsachenerkenntnis ist unsicher.

Kants Ziel: Entkräftung der Konklusion. Kant gesteht zu: (2) und (1) in zeitlichem Sinn. Jedoch: Die Gültigkeit von Tatsachenbehauptun-gen stammt nicht stets aus der Erfahrung.

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Begründungsverfahren: Reflexion auf die Eigen-schaften des menschlichen Erkenntnisvermögens.

Erfahrungsunabhängige Erkennbarkeit von Eigen-schaften, die den Gegenständen im Erkenntnis-prozess beigelegt werden.

Transzendentaler Ansatz: Wenn etwas Gegenstand der Erfahrung und Erkenntnis sein soll, dann muss es bestimmte Bedingungen erfüllen.

Die Geltung solcher Aussagen kann nicht empirisch begründet werden, da sie Bedingungen der Mög-lichkeit von Erfahrung ausdrücken und daher jeder besonderen Erfahrung vorausgehen.

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Begründung durch Reflexion auf die allgemeine Struktur menschlicher Erfahrung und Erkenntnis. Solche Bedingungen wären allgemeiner und not-wendiger Bestandteil aller Erkenntnis.

„Transzendental“: Erfahrungsunabhängige Voraus-setzungen von Erfahrungserkenntnis.Umsetzung durch Spezifizierung synthetischer Urteile a priori.

Unterscheidung: Analytische Urteile: „Erläuterungs-urteile“. Gültigkeit aufgrund der Definition der beteiligten Begriffe und logischer Regeln.

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Synthetische Urteile: „Erweiterungsurteile“: Gültigkeit von Tatsachen abhängig.

Unterscheidung:Urteile a priori: Geltung unabhängig von aller Erfah-rung; Urteile a posteriori: Erfahrungsurteile.

Zwischenbereich: Synthetische Urteile a priori cha-rakterisieren die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. Transzendental begründete Eigenschaften werden an die Erfahrung herangetragen und dieser daher vom Erkenntnisvermögen vorgeschrieben.

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Verstand als „Gesetzgeber“ der Erscheinungen.

Orientierung an den Eigenarten des menschlichen Erkenntnisvermögens als Analogon zur „Koperni-kanischen Wende“: Berücksichtigung des Beitrags des erkennenden Subjekts zur Erkenntnis.Dieser Beitrag ist nicht den Gegenständen, sondern dem Erkenntnisvermögen zuzuschreiben.

Stärker aktives Verständnis des Erkenntnisprozes-ses: Der Erkenntnisapparat des Menschen entwirft bestimmte Denkansätze und nötigt die Natur, auf die gestellten Fragen zu antworten.

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Anschauungsformen und Kategorien

Zentrale Elemente der Wahrnehmungen: An-schauungsformen von Raum und Zeit.Zentrale Elemente begrifflicher Er�kenntnis: Reine Verstandesbegriffe“ oder Kategorien: Quantität, Qualität, Relation und Modalität.

Die Anschauungsform des Raums

Unterscheidung: konkrete Anschauung von Gegen-ständen: empirische Anschauung, vs. abstrakte Vorstellung: reine Anschauung.Reine Anschauung: Nur allgemeine Merkmale ohne besondere Bestimmungsstücke.

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=> Bloße Form der Erscheinung. Nur zwei Formen der reinen Anschauung: Raum und Zeit.

Transzendentale Natur des Raums: Die Vorstel-lung des Raums muss vorausgesetzt werden, damit Empfindungen als außerhalb des erkennenden Subjekts befindlich aufgefasst werden können.

=> Raum als Form der reinen Anschauung: Er wird a priori und notwendig den äußeren Erscheinungen zugrunde gelegt.

=> Geometrie synthetisch a priori: Geltung beruht auf Konstruktion in der reinen Anschauung.

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Die Euklidische Geometrie folgt aus der Analyse der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung.

Die Kategorien der Relation

Erkenntnis: Zusammenfügen von Anschauung und Begriff.

Reine Verstandesbegriffe oder Kategorien: Bedin-gungen, unter denen etwas als Gegenstand der Erfahrung gedacht wird. Begriffliche Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis.

Kategorien der Relation: Substanz, Kausalität, Ge-meinschaft/Wechselwirkung.

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Diese Kategorien die Zeitmodi: Beharrlichkeit, Folge, Zugleichsein.

Analogien der Erfahrung: Aufgabe der Klärung des Übergangs von den subjektiven Zeitverhältnissen der Wahrnehmungen zu den objektiven Zeitbeziehungen der erfahrenen Gegenstände.Dies erfordert nicht-empirische Hilfsmittel.

Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung:– Substanz: Veränderung von Gegenständen; – Kausalität: Zeitfolge von Ereignissen; – Wechselwirkung: Gleichzeitige Ereignisse.

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Substanz und Veränderung

Substanzkategorie transzendental: Die Erfahrung einer Veränderung setzt voraus, dass einzelne Merkmale unverändert bleiben. Veränderung beinhaltet unterschiedliche Existenz-weisen desselben Gegenstands; Entstehen und Vergehen sind keine Verän�derungen desjenigen, das entsteht oder vergeht.

Die Erfahrung von Veränderung eines Gegenstan-des in der Zeit verlangt dessen Identifikation über die Veränderung hinweg, was seinerseits die Erhal-tung einzelner Merkmale erfordert.

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Allerdings: Möglichkeit der Veränderung eines Gegenstands durch Genidentität.

Kant: abc →→→→ ade →→→→ afg →→→→ ahi

Genidentität: abc →→→→ ade →→→→ fdh →→→→ ijh

Kausalität und Zeitfolge

Leibniz: Kausale Theorie der Zeit: Zeitfolge: Die Wirkung folgt ihrer Ursache. Wenn Ereignis A dazu beiträgt, Ereignis B hervor-zubringen, dann ist A früher als B.

Kant: Verwandlung der subjektiven Folge der Wahr-nehmungen durch die Kausalität in eine objektive Folge der Erscheinungen.

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Kausalität: jedes Ereignis wird auf ein anderes Er-eignis bezogen, auf das jenes „nach einer Regel, d.i. notwendiger Weise, folgt“ (KrV B 239).

Die Objektivität der Zeitfolge von Ereignissen setzt die Einsinnigkeit der Reihenfolge von Wahrneh-mungen voraus: keine willkürliche Umkehrbarkeit.

Die Anwendung der Kategorie der Kausalität garan-tiert diese Einsinnigkeit.

=> Kausalität als begriffliche Bedingung der Mög-lichkeit der Erfahrung der objektiven Zeitordnung von Ereignissen.

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Kausalbeziehungen finden sich in der Erfahrung, weil der Verstand sie in die Wahrnehmungen hineinlegt und dadurch erst Erfahrung aus diesen entstehen lässt.

Kants transzendentale Erkenntnistheorie als Vorbild für konstruktivistische Denkansätze, für die menschliches Erkennen eine Gestaltung des Erkenntnisgegenstands beinhaltet.

Giambattista Vico (1668–1744): wir verstehen das am besten, was wir selbst gemacht haben.