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2 Mechanik 2.1 Kinematik 2.1.1 Grundbegriffe Die Mechanik ist der “klassischste” Teil der Physik, sie umfasst diejenigen Aspekte die schon am läng- sten untersucht wurden. Abbildung 2.1: Galileo Galilei (1564-1642) Zu den wichtigsten Begründern gehört Galileo Ga- lilei (! Abb. 2.1), der wichtige Beiträge zur expe- rimentellen Untersuchung von Naturgesetzen (Me- chanik, Astronomie) lieferte und vor allem sehr ge- schickt war, deren Bedeutung und seine Beiträge dazu öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Zu den wichtigsten Beispielen gehören seine Fallversuche, mit denen er zeigte, dass die Fallgeschwindigkeit für alle Körper gleich ist. Für die Verbreitung seiner Ideen verwendete er vor allem seine “Dialoge” (! Abb. 2.2), in denen fiktive Personen seine theoretischen Konzepte mit älteren Vorstellungen vergleichen. Die eigentliche Formalisierung der Mechanik ist vor allem Isaac Newton (! Abb. 2.3) zu verdanken, welcher mit Hilfe weniger Grundprinzipien (“New- tons Gesetzen”) den größten Teil des damaligen phy- sikalischen und astronomischen Wissens herleiten konnte. Sein Hauptwerk sind die “Philosophiae na- Abbildung 2.2: Titelseiten von Galileos Dialog über die Weltsysteme. turalis principia mathematica”, also die mathemati- schen Grundlagen der Naturwissenschaft. Die Mechanik kann aufgeteilt werden in die Gebiete Statik: Zusammensetzung und Gleichgewicht von Kräften. Kinematik: Die Kinematik beschreibt Bewegungs- prozesse quantitativ. Dabei wird die Ursache der Bewegung nicht untersucht. Dynamik: Effekt von Kräften auf die Bewegungs- prozesse. Außerdem unterscheidet man Teilgebiete danach, welche Objekte beschrieben werden. Im Folgenden werden die meisten Konzepte mit Hilfe eines stark idealisierten Modells diskutiert, dem Massenpunkt. Weitere Klassen von Objekten sind starre und defor- mierbare Körper. 2.1.2 Eindimensionale Kinematik Wir beginnen mit eindimensionaler Kinematik, d.h. mit einer Bewegung, welche mit einer einzigen Orts- koordinate beschrieben werden kann, welche die Po- 30

2 Mechanik - qnap.e3.physik.tu-dortmund.de · 2 Mechanik Abbildung 2.3: Isaac Newton (1642-1727). sition des Körpers auf einer vorgegebenen Bahn be-schreibt. Ein typisches Beispiel

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2 Mechanik2.1 Kinematik

2.1.1 Grundbegriffe

Die Mechanik ist der “klassischste” Teil der Physik,sie umfasst diejenigen Aspekte die schon am läng-sten untersucht wurden.

Abbildung 2.1: Galileo Galilei (1564-1642)

Zu den wichtigsten Begründern gehört Galileo Ga-lilei (! Abb. 2.1), der wichtige Beiträge zur expe-rimentellen Untersuchung von Naturgesetzen (Me-chanik, Astronomie) lieferte und vor allem sehr ge-schickt war, deren Bedeutung und seine Beiträgedazu öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Zu denwichtigsten Beispielen gehören seine Fallversuche,mit denen er zeigte, dass die Fallgeschwindigkeit füralle Körper gleich ist.

Für die Verbreitung seiner Ideen verwendete er vorallem seine “Dialoge” (! Abb. 2.2), in denen fiktivePersonen seine theoretischen Konzepte mit älterenVorstellungen vergleichen.

Die eigentliche Formalisierung der Mechanik ist vorallem Isaac Newton (! Abb. 2.3) zu verdanken,welcher mit Hilfe weniger Grundprinzipien (“New-tons Gesetzen”) den größten Teil des damaligen phy-sikalischen und astronomischen Wissens herleitenkonnte. Sein Hauptwerk sind die “Philosophiae na-

Abbildung 2.2: Titelseiten von Galileos Dialog überdie Weltsysteme.

turalis principia mathematica”, also die mathemati-schen Grundlagen der Naturwissenschaft.

Die Mechanik kann aufgeteilt werden in die Gebiete

Statik: Zusammensetzung und Gleichgewicht vonKräften.

Kinematik: Die Kinematik beschreibt Bewegungs-prozesse quantitativ. Dabei wird die Ursacheder Bewegung nicht untersucht.

Dynamik: Effekt von Kräften auf die Bewegungs-prozesse.

Außerdem unterscheidet man Teilgebiete danach,welche Objekte beschrieben werden. Im Folgendenwerden die meisten Konzepte mit Hilfe eines starkidealisierten Modells diskutiert, dem Massenpunkt.Weitere Klassen von Objekten sind starre und defor-mierbare Körper.

2.1.2 Eindimensionale Kinematik

Wir beginnen mit eindimensionaler Kinematik, d.h.mit einer Bewegung, welche mit einer einzigen Orts-koordinate beschrieben werden kann, welche die Po-

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2 Mechanik

Abbildung 2.3: Isaac Newton (1642-1727).

sition des Körpers auf einer vorgegebenen Bahn be-schreibt. Ein typisches Beispiel ist eine Eisenbahnauf einem einzelnen Gleis: dieses kann gebogensein, aber die Position der Eisenbahn ist exakt be-stimmt wenn man die Position bezüglich einem Ko-ordinatennullpunkt angibt.

Ein Massenpunkt ist ein Modell für einen Körper,dessen Ausdehnung für die behandelte Fragestellungkeine Rolle spielt. Die Bewegung des Massenpunk-tes ist vollständig beschrieben, wenn man die Positi-on s als Funktion der Zeit t angibt. Dies erfolgt ma-thematisch durch eine Funktion s(t) oder graphischdurch ein Weg-Zeit Diagramm.

1

Weg

s

Zeit t

Zeit t [min]

Ges

chw

indi

gkei

t v

0 10 20 30 400

50

100

Abbildung 2.4: Weg-Zeit Diagramm.

Die Geschwindigkeit v des Massenpunktes kann aus

dem Weg-Zeit Diagramm (! 2.4) durch Ableitungbestimmt werden:

v = limDt!0

DsDt

=dsdt

[v] =ms

.

Graphisch ist die Geschwindigkeit durch die Stei-gung der Kurve im Weg-Zeit Diagramm bestimmt.

Anstelle der instantanen Geschwindigkeit v(t) inter-essiert manchmal auch die mittlere Geschwindigkeit

v =DsDt

.

Im Weg-Zeit Diagramm ist dies die Steigung der di-rekten Verbindung zwischen zwei Punkten.

Anstelle des Weges kann man auch die Ge-schwindigkeit als Funktion der Zeit auftragen. ImGeschwindigkeit-Zeit Diagramm ist die zurückge-legte Wegstrecke als Integral (=Fläche unter der Kur-ve) gegeben:

s(t) = s(0)+Z t

0v(t 0)dt 0 .

Analog zur Definition der Geschwindigkeit als Än-derung des Ortes pro Zeiteinheit wird die Beschleu-nigung als Änderung der Geschwindigkeit pro Zeit-einheit definiert:

a =dvdt

[a] =ms2 .

Im Geschwindigkeit-Zeit Diagramm erscheint dieBeschleunigung als Steigung der Kurve, im Ort-Zeit Diagramm als Krümmung: Positive Krümmung(nach oben) bedeutet positive Beschleunigung, ne-gative Krümmung Verzögerung (d.h. Abbremsung).Die Geschwindigkeit ist durch das Integral der Be-schleunigung gegeben:

v(t) = v(0)+Z t

0a(t 0)dt 0 .

Der Weg ist dementsprechend

s(t) = s(0)+ v(0)t +a2

t2.

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2 Mechanik

2.1.3 Konstante Beschleunigung

Ein wichtiger Spezialfall ist die konstante Beschleu-nigung, a(t) = a. Dazu gehört u. a. der freie Fall. Füreinen Körper, der sich zunächst in Ruhe (v0 = 0) amPunkt s(0) = 0 befindet nimmt die Geschwindigkeitbei konstanter Beschleunigung proportional zur Zeitzu, v(t) = at. Der zurückgelegte Weg ist deshalb

s(t) =a2

t2. (2.1)

Auf der Erdoberfläche wirkt auf alle Köper eine kon-stanten Beschleunigung nach unten mit a = �g = -9,81 ms�2 für ein Koordinatensystem, das senkrechtnach oben zeigt.

Wir erwarten somit, dass der zurückgelegte Wegquadratisch mit der Zeit ansteigt. Im Ausdruck (2.1)ist die Masse nicht enthalten, es fallen also alle Ob-jekte mit der gleichen Beschleunigung und mit dergleichen (zeitabhängigen) Geschwindigkeit.

h1h1

h2h2

h4 h3h3

Kugelnin

gleichemAbstand1:2:3:4

Kugelnjeweils

imAbstand

12:22:32:42

1s1s

2s2s

3s 3s4s

In welchen Zeit-intervallen treffendie Kugeln jeweils

am Boden auf ?

Abbildung 2.5: Experiment zum freien Fall: Es sindjeweils Gewichte in unterschiedli-cher Höhe montiert. Sie werdengleichzeitig fallen gelassen.

Wir verifizieren die Vorhersage (2.1) anhand einesExperimentes. Jeweils vier Gewichte werden in un-terschiedlicher Höhe über dem Boden aufgehängtund gleichzeitig losgelassen (! Abb. 2.5). An derersten Schnur sind die Gewichte im Abstand 0:1:2:3(d.h. linear) angebracht : hi=(0; 1,6; 3,2; 4,8) m. Wer-den diese gleichzeitig fallen gelassen, so erreichen

sie den Boden nach einer Zeit

ti =

s2hi

g= (0; 0,57; 0,81; 0,99),

also mit abnehmenden Abständen.

An der zweiten Schnur sind die Gewichte im Ab-stand 1:4:9:16 (also quadratisch. Konkret betragendie Höhen hi=(0,3; 1,2; 2,7; 4,8) m. Die Zeit bis sieauf dem Boden auftreffen, sollte deshalb zu den Zei-ten

ti =

s2hi

g= (0,25, 0,49, 0,74, 0,99)

auf dem Boden auftreffen. Der Abstand zwischen2 aufeinanderfolgenden Ereignissen ist somit ti+1�ti = 0,25 s, für alle 3 Abstände. Dies lässt sich aku-stisch überprüfen: im zweiten Fall treffen die Ge-wichte etwa mit gleichen Abständen auf dem Boden(d.h. der Metallplatte) auf.

Im Normalfall unterscheidet sich die Fallgeschwin-digkeit unterschiedlicher Objekte: eine Feder undein Stein fallen nicht gleich schnell. Das liegt daran,dass in der Beschreibung der Luftwiderstand nichtberücksichtigt wurde. Im Vakuum fallen die Objekteaber wirklich mit gleicher Geschwindigkeit.

2.1.4 Senkrechter Wurf nach oben

1

s(t) = s(0) + v(0)t + a2 t2

Anfangsort

Anfangsgeschwindigkeit

Beschleunigung

Abbildung 2.6: Das Superpositionsprinzip: An-fangsort, Anfangsgeschwindigkeitund Beschleunigung liefern unab-hängige Beiträge.

Befindet sich der Körper zu Beginn nicht in Ru-he, so wird die Bewegung aufgrund der Anfangsge-schwindigkeit der Bewegung aufgrund der (gleich-förmigen) Beschleunigung überlagert. Man bezeich-net dies als Superpositionsprinzip (! Abb. 2.6): der

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2 Mechanik

Anfangsort, die gleichförmige Bewegung und diegleichförmige Beschleunigung können unabhängigberechnet und die Resultate addiert werden.

Als Beispiel betrachten wir einen Körper, der voneinem Turm (Höhe h0 = 10 m) mit einer Anfangs-geschwindigkeit v(0) = 5 m/s senkrecht nach obengeworfen wird. Die Schwerkraft erzeugt eine zeit-lich konstante Beschleunigung von a = �g = -9.81m/s2 nach unten.

Die Geschwindigkeit wird somit

v(t) = v0 +at = (5�9.81t)m/s [t] = s

Der erste Term beschreibt die Anfangsgeschwindig-keit und ist unabhängig von der Zeit; dazu wird dasProdukt aus Beschleunigung und Zeit addiert.

Für den Ort (d.h. die Höhe h) erhalten wir

h(t) = h0 + v0t +a/2 t2 =

= (10+5 t�4.9 t2)m. [t] = s.

Hier stellt der erste Term den Ausgangspunkt dar - erist zeitunabhängig. Der zweite Term beschreibt denEffekt der Anfangsgeschwindigkeit, und der dritteTerm ist auf die konstante Beschleunigung zurück-zuführen.

Die maximale Höhe wird erreicht für v(t) = 0:

5�9,81 tm = 0 ! tm = 0,51s,

zum Zeitpunkt tm. Sie beträgt dann

h(0,51s) = (10+2.55�1.27)m = 11,28m .

Die Kugel trifft auf den Boden (h = 0) auf wenn

h(t0) = 0 = h0 + v0t +a2

t2 =

= 10+5t0�4.9t20 ,

d.h. bei

t0 =v0 ±

qv2

0 +2gh0

g=

5±p

25+1969,81

=

=5±14,87

9,81.

1tmZeit t [s]

t0200

Höh

e x[

m]10

t1 t2

Abbildung 2.7: Höhe als Funktion der Zeit.

Wie in Abb. 2.7 gezeigt, hat diese Gleichung zweiLösungen:

t1 = 2,03 und t2 =�1,01 .

Wir müssen jetzt überprüfen weshalb wir zwei Lö-sungen erhalten. Die erste (t1 > 0) ist diejenige diewir suchen. Die zweite (t2 < 0) entspricht ebenfallseiner Durchquerung des Bodens durch den Körper- allerdings bevor er vom Turm nach oben gewor-fen wurde. Der Körper würde bei dieser Lösung beit = 0 an der Spitze des Turmes eintreffen und an-schließend die gleiche Kurve verfolgen wie der Kör-per, der bei t = 0 geworfen wurde. Man erhält häufigmathematisch mehr Resultate als physikalisch sinn-voll sind, wenn man die Randbedingungen nicht be-rücksichtigt: in diesem Fall betrachten wir nur Zeitent > 0.

2.1.5 Kinematik in zwei und dreiDimensionen

In vielen Fällen findet Bewegung in mehr als einerDimension statt. Physikalische Größen, die durchBetrag und Richtung beschrieben werden, nennt manVektoren. In diesen Fällen wird die Position durchzwei oder mehr Koordinaten beschrieben, also z.B.x(t), y(t), z(t). Dafür muss ein Bezugssystem festge-legt werden. Dieses besteht aus einem BezugspunktsO und gerichteten Orientierungslinien im Raum. Be-züglich dieses Koordinatensystems ist eine Positiondann definiert durch einen Vektor ~r vom Ursprungzum entsprechenden Punkt (! Abb. 2.8).

Grundsätzlich ist man frei in der Wahl der Koordi-naten, doch sind häufig kartesische Koordinatensy-steme einfach zu handhaben. Dabei handelt es sichum rechtwinklige Koordinatensysteme mit gleichem

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2 Mechanik

y

x

z

~r

Abbildung 2.8: Vektor und Koordinatensystem.

Maßstab in allen Richtungen. Die Bewegung einesMassenpunktes in drei Dimensionen wird dann be-schrieben durch einen Vektor

~r(t) =

0@ x(t)y(t)z(t)

1A .

Dementsprechend sind auch Geschwindigkeit

~v(t) =ddt

~r(t) =

0@ x(t)y(t)z(t)

1A =

0@ vx(t)vy(t)vz(t)

1Aund die Beschleunigung

~a(t) =ddt

~v(t) =

0@ vx(t)vy(t)vz(t)

1A =

0@ ax(t)ay(t)az(t)

1AVektoren in (zwei oder) drei Dimensionen.

1

z

Geschwindigkeitsvektor = Tangente v(t)

rBahnk

urve

x

y

Abbildung 2.9: Bahnkurve in 3D.

Trägt man den Weg als Kurve auf, so ist die Ge-schwindigkeit ~v(t) an einem beliebigen Punkt ~r(t)entlang der Tangente gerichtet, wie in Abb. 2.9 ge-zeigt.

Ist die Beschleunigung eines Massenpunktes gege-ben, so können Geschwindigkeit und Ort als Funk-tion der Zeit für die Komponenten einzeln bestimmtwerden:

~v(t) = ~v(0)+Z t

0~a(t 0)dt 0 =

= {vx(0),vy(0),vz(0)}+

+

⇢Z t

0ax(t 0)dt 0,

Z t

0ay(t 0)dt 0,

Z t

0az(t 0)dt 0

�.

Somit sind die drei Komponenten unabhängig von-einander.

Für den Fall konstanter Beschleunigung erhalten wirwiederum

~v(t) =~v(0)+~at

und

~r(t) =~r(0)+~v(0)t +~a2

t2.

2.1.6 Wurfparabel

Abbildung 2.10: Schiefer Wurf.

Wir illustrieren dieses Verhalten anhand einer zwei-dimensionalen Bewegung im Schwerefeld der Er-de, d.h. mit konstanter Beschleunigung nach unten.Abb. 2.10 zeigt ein Beispiel eines solchen Wurfs.

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2 Mechanik

Wir wählen ein Koordinatensystem mit x in horizon-taler und z in vertikaler Richtung (nach oben). DerKörper sei zum Zeitpunkt t = 0 bei

~r(0) =

✓x(0)y(0)

◆=

✓00

◆.

Die Anfangsgeschwindigkeit beträgt

~v(0) = v0

✓cosa

sina

◆.

und die Beschleunigung

~a =

✓0�g

◆ist zeitlich konstant. Somit ist die Bewegung

~r(t) = v0t✓

cosa

sina

◆+

t2

2

✓0�g

◆=

✓v0t cosa,

v0t sina� g2 t2

◆.

Wir können diese Kurve auch als Gleichung schrei-ben. Die beiden Koordinaten ergeben 2 Gleichun-gen:

x = v0t cosa, z = v0t sina�gt2

2.

Wir lösen die erste Gleichung nach der Zeit t auf:

t =x

v0 cosa

und setzen diesen Ausdruck in die zweite Gleichungein:

z = x tana� x2 g2v2

0 cos2a

.

Kurven der Form z = ax + bx2 stellen Parabeln dar.In diesem speziellen Fall spricht man von der “Wurf-parabel”. Abb. 2.11 zeigt ein Beispiel.

Abbildung 2.11: Bahnkurve des schiefen Wurfs.An einigen Punkten sind auchdie Geschwindigkeitskomponentendargestellt.

Man kann sie z.B. durch einen Wasserstrahl sichtbarmachen, wie in Abb. 2.12 gezeigt. Wir betrachten zu-nächst den einfachsten Fall dass das Wasser horizon-tal austritt, d.h. a = 0. Die Gleichung reduziert sichdann zu

z =�x2 g2v2

0,

d.h. eine nach unten offene Parabel. Im Experimenttritt der Wasserstrahl horizontal aus der Düse aus undfällt unter dem Einfluss der Gravitationsbeschleuni-gung. Die roten Kreise markieren eine Parabel durchdie Werte (x/y) = (1/1) , (2/4), (3/9), (4/16), (5/25) ...

Wird der Wasserstrahl gekippt, so wird a 6= 0 unddas Wasser erhält eine Anfangsgeschwindigkeit invertikaler Richtung. Der Scheitelpunkt der Parabelverschiebt sich dadurch nach rechts oben.

2.1.7 Unabhängigkeitsprinzip

Nicht nur die Anfangswerte von Beschleunigung,Geschwindigkeit und Position gehen linear in dieGleichung ein; wir haben auch gesehen, dass die ein-zelnen Koordinaten voneinander unabhängig sind.

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2 Mechanik

Abbildung 2.12: Wasserstrahlparabel.

1

wird fallengelassen

wird horizontal geworfen

Abbildung 2.13: Unabhängigkeitsprinzip.

Die bedeutet z.B., dass eine Kugel, welche aus 1m Höhe fallengelassen wird, den Boden nach t =p

2s/a = 0.45s erreicht, unabhängig davon ob siesich zu Beginn in Ruhe befindet oder eine horizonta-le Anfangsgeschwindigkeit aufweist. Abb. 2.13 zeigtdies durch Vergleich der Trajektorien von 2 Kugeln.

Wir überprüfen dies, indem wir zwei Kugeln amgleichen Hebel befestigen (! Abb. 2.14). Wird mitdem Hammer darauf geschlagen, so fällt die einesenkrecht hinunter, die andere in einer Parabel. Dassbeide gleichzeitig auf dem Boden auftreffen lässtsich leicht akustisch verifizieren. Dies wird auch aus

Abbildung 2.14: Unabhängigkeitsprinzip: Eine Ku-gel wird fallen gelassen, die ande-re gleichzeitig horizontal geworfen.Beide treffen gleichzeitig am Bo-den auf.

der Vektorschreibweise der Bewegungsgleichung er-kennbar:✓

x(t)z(t)

◆=

✓x0 + vx0t + ax

2 t2

z0 + vz0t + az2 t2

◆:

es handelt sich um zwei unabhängige Gleichungen,ohne Kopplungsterm. Das Unabhängigkeitsprinzipbesagt, dass sich die beiden Koordinaten unabhängigvoneinander entwickeln. Dies gilt immer für gleich-förmig beschleunigte Bewegungen.

1

Zeit t

x, z

z(t)

x(t)

✓x(t)z(t)

◆=

✓vx0t� g

2 t2

Abbildung 2.15: Unabhängige Zeitentwicklung für2 Koordinaten im Schwerefeld.

Die x-Komponente der Geschwindigkeit ist kon-stant, die x Koordinate wächst deshalb linear (in bei-den Fällen; für die rote Kugel ist vx = 0).

Ein weiteres Experiment dazu ist der “Affenschuss”:Wie in Abb. 2.16 gezeigt, schießt ein Jäger auf einenAffen. Dieser lässt sich fallen, wenn er den Mün-dungsblitz des Gewehrs sieht. Wohin muss der Jäger

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2 Mechanik

Abbildung 2.16: Der ”Affenschuss”.

zielen um den Affen (Höhe h, Distanz x0) zu treffen?Was ist der Einfluss der Anfangsgeschwindigkeit v0?Vernachläßigt man zunächst die Erdbeschleunigung,so muss der Jäger offenbar auf den Affen zielen umihn zu treffen, d.h. tana = h/x0. Die Flugzeit derKugel ist

t0 =x0

v0 cosa

.

Der zusätzliche Einfluss der Erdbeschleunigung istidentisch für den Affen und die Kugel: Beide fal-len um eine Strecke z =�gt2

0/2. Die Kugel trifft so-mit unabhängig von der Mündungsgeschwindigkeitwenn der Jäger richtig zielt und der Affe sich sofortfallen lässt.

1

∫ dt’

Ort

r(t)

Geschwindigkeit

v(t)

Beschleunigung

a(t)

d/dt

Abbildung 2.17: Zusammenfassung der Kinematik.

Im Sinne einer kurzen Zusammenfassung soll Abb.2.17 nochmals daran erinnern, was das Thema derKinematik ist: Es geht um die Beziehung zwischenOrt, Geschwindigkeit und Beschleunigung, welcheaus einander durch Differenzieren, resp. Integrierenhergeleitet werden können. In vielen Fällen gilt dies

für die verschiedenen Raumdimensionen unabhän-gig voneinander.

2.2 Dynamik von Massenpunkten

Die Dynamik befasst sich mit der Bewegung, welchevon Kräften erzeugt und geändert wird.

2.2.1 Definitionen

Die wichtigsten Grundbegriffe der Dynamik sind dieMasse, der Impuls und die Kraft.

Masse ein Maß für den Widerstand eines Körpersgegen Bewegungsänderungen. Sie ist unabhän-gig vom Ort und vom Bewegungszustand. Da-mit ist sie auch ein geeignetes Maß für dieStoffmenge. Das übliche Symbol ist m und dieSI-Einheit ist 1 kg. Man unterscheidet manch-mal zwischen der trägen Masse (siehe oben)und der schweren Masse, welche ein Maß fürdie Schwerkraft ist. Experimentell findet mankeinen Unterschied zwischen schwerer und trä-ger Masse und die Relativitätstheorie zeigt,dass sie sich nicht unterscheiden.

Impuls ~p ist ein Maß für die Bewegung. In der klas-sischen Mechanik ist er gegeben durch das Pro-dukt aus Geschwindigkeit und Masse, ~p = m~v.Er ist somit eine vektorielle Größe parallel zurGeschwindigkeit. Seine Einheit ist m kg s�1.

Kraft

~F ist ein Maß für die Fähigkeit, eine Bewe-gungsänderung zu erzeugen. SI-Einheit: N = mkg s�2.

Zwei Experimente sollen das Konzept der Masseveranschaulichen. Im ersten Experiment ist an ei-ner Masse oben und unten jeweils eine gleich starkeSchnur befestigt. Zieht man an der unteren Schnurlangsam, so reisst die obere Schnur, da hier die Ge-wichtskraft des Masse zusätzlich zur Zugkraft wirkt.Zieht man schnell, so reisst die untere Schnur, da dieTrägheit der Masse verhindert, dass die Zugkraft aufdie obere Schnur übertragen wird.

Die Trägheit der Masse kann auch dazu führen, dassein Gegenstand in Ruhe bleibt, wenn die Kraft dar-

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2 Mechanik

auf nur für eine kurze Zeit wirk. In diesem Expe-riment wird ein Besenstiel auf 2 Trinkgläsern gela-gert. Schlägt man langsam auf den Stiel, so wird derStoß auf die Gläser übertragen und sie zerspringen.Schlägt man jedoch schnell genug darauf, so zer-bricht der Besenstiel, da er nicht genug Zeit hat, denStoß auf die Gläser an den Enden zu übertragen.

2.2.2 Newton’sche Axiome

Die Grundlage für die hier behandelte Mechanikwurde im Wesentlichen von Newton1 gelegt. Sei-ne Publikation der mathematischen Grundlagen derPhysik markierte den Übergang von der peripateti-schen Dynamik, welche auf die griechischen Phi-losophen zurückgeht, zur Newton’schen Dynamik,welche heute als klassische Mechanik bezeichnetwird. Ihr Grundlage sind die drei Newton’schenAxiome:

Trägheitsgesetz: Ein Körper, auf den keine äuße-ren Kräfte wirken, behält seine Geschwindig-keit nach Richtung und Betrag bei. Mathema-tisch: ~F = 0! d~v

dt = 0.

Abbildung 2.18: Experimentelle Verifikation vonNewton’s Axiomen: Bewegung aufeiner Luftkissenschiene.

Die Bedingung, die in diesem Axiom enthalten ist,ist in der Praxis natürlich nur sehr schwer zu rea-lisieren. Man kann sie in einem Demonstrationsex-periment näherungsweise verwirklichen, indem man

1Isaac Newton, 1642 – 1727

einen Körper auf einem Luftkissen laufen lässt undso Reibungskräfte sehr gering hält. An zwei Stel-len dieser Schiene wird jeweils gemessen wie lan-ge der Körper die Fotozelle verdunkelt, wie lange eralso braucht um eine Strecke zurückzulegen, die sei-ner eigenen Länge entspricht. Wir erwarten eine Zeitt = `/v, wobei ` die Länge des Körpers darstellt. Diegemessene Zeit ist somit indirekt proportional zurGeschwindigkeit, eine Änderung der Geschwindig-keit erscheint als eine Änderung der Zeit. Das Ex-periment zeigt, dass die gemessenen Zeiten in etwakonstant sind.

Das zweite Newton’sche Axiom ist das

Aktionsgesetz = Grundgesetz der Mechanik: Diezeitliche Änderung des Impulses p = mv istgleich der resultierenden Kraft F :

d~pdt

= ~F .

Dieses Axiom kann auch als Definition einerKraft betrachtet werden.

Im Experiment von Abb. 2.18 wirkt die Kraft dieKörper am Umkehrpunkt; dies geschieht durch zweiFedern, welche am Wagen, resp. an der Schiene be-festigt sind.

Das dritte Newton’sche Axiom ist das

Wechselwirkungsgesetz (actio = reactio): Wirktein Körper 1 auf einen Körper 2 mit der KraftF12 so wirkt der Körper 2 auf den Körper 1 mitder Kraft

~F21 =�~F12 ,

d.h. mit gleichen Betrag und umgekehrter Richtung.Kräfte treten somit immer paarweise auf.

Dieses Prinzip kann in einem einfachen Experimentverifiziert werden. Dabei werden nicht direkt dieKräfte gemessen, sondern das Integral der Kräfte.Aus

F =d pdt

folgtZ t2

t1F dt = Dp = p(t2)� p(t1) ,

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2 Mechanik

d.h. die gesamte Wirkung der zeitabhängigen KraftF ist eine Impulsänderung Dp. Sind die beiden Kräf-te zu jedem Zeitpunkt entgegengesetzt so sind auchdie Impulsänderungen entgegengesetzt.

Dies kann sehr schön an Wagen auf einer Luftkissen-schiene gezeigt werden, z. B. indem man die beidenWagen zunächst in Ruhe starten, wobei eine Federzwischen ihnen komprimiert ist, die eine abstoßen-de Kraft erzeugt. Dadurch werden sie in entgegen-gesetzte Richtungen beschleunigt. Sind beide gleichschwer so erhalten sie auch die gleiche (entgegen-gerichtete) Geschwindigkeit, wie die Messung durchdie beiden Lichtschranken ergibt. Wird die Massedes einen Wagens verdoppelt, so bewegt sich die-ser langsamer; seine Geschwindigkeit ist nur halb sogroß wie diejenige des leichteren Wagens, und damithaben beide den gleichen Impuls,

m2v2 = 2m1v1

2= m1v1 .

2.2.3 Kraft und Beschleunigung

Abbildung 2.19: Newton’s 3. Axiom: der Apfel er-fährt die gleiche Kraft wie die Erde.

Gemäß dem 3. Newton’schen Axiom ist die Kraft,welche ein Apfel auf die Erde ausübt, gleich großwie die Kraft, welche die Erde auf den Apfel ausübt(! Abb. 2.19). Wenn der Apfel zur Erde fällt mussdemnach auch die Erde in Richtung auf den Apfelfallen. Weil gemäß dem zweiten Axiom die Kraft ei-ne Impulsänderung erzeugt,

~F =d~pdt

= md~vdt

,

ist jedoch bei gegebener Kraft die Geschwindigkeits-änderung indirekt proportional zur Masse,

d~vdt

=~Fm

.

Wegen der Größe der Erdmasse ist deshalb die Be-schleunigung sehr gering.

Ein analoges Beispiel ist das eines Läufers, der zu ei-nem Spurt startet. Dafür beschleunigt er mit a = 0,5m/s2. Seine Masse sei m=100 kg. Er benötigt somiteine Kraft von F = am =50 mkgs�2= 50N. Die glei-che Kraft wirkt in entgegengesetzter Richtung aufdie Erde. Diese wird deshalb ebenfalls beschleunigt,in entgegengesetzter Richtung, mit

aErde =50NmErde

=50N

6 ·1024kg= 8,3 ·10�24 m

s2 .

Auf Grund der hohen Masse ist somit die Beschleu-nigung der Erde sehr gering.

2.2.4 Zusammenfassung und Gültigkeit

1

Trägheitsgesetz : v = const.ohne äußere Kraft

Aktionsgesetz : dp/dt = F

Actio = Reactio : F12 = -F21

Voraussetzungen:

Inertialsystem (d.h. nicht beschleunigt)

Kleine Geschwindigkeiten, v ≪ c

Isaac Newton, 1642 – 1727

Abbildung 2.20: Newton und seine Axiome.

Diese drei Grundgesetze, zusammengefasst in Abb.2.20, sind die wichtigsten Grundlagen für die Dyna-mik. Ihre Einführung führte zu einer radikalen Ver-einfachung der Physik und Astronomie.

Die Gültigkeit der Newton’schen Axiome definiertden Bereich der klassischen Mechanik:

39

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2 Mechanik

• Die Zeit ist absolut und unveränderlich undhängt nicht von der Bewegung und dem Ortab.

• Es gibt einen “absoluten Raum”, d.h. ein ab-solut ruhendes System, in dem alle Bewe-gungsabläufe stattfinden.

• Die Eigenschaft “Masse” eines Körpers gehtnie verloren oder entsteht aus dem Nichts.“Masse” ist unabhängig vom Bewegungszu-stand und bleibt erhalten.

Der experimentelle Befund ist, dass diese drei Axio-me gelten, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:

• Das Bezugssystem ist nicht beschleunigt; Be-zugssysteme, in denen die drei Axiome gelten,werden als Inertialsysteme bezeichnet.

• Die (relativen) Geschwindigkeiten der Körpersind klein im Vergleich zur Lichtgeschwindig-keit (Relativitätstheorie).

2.2.5 Masse

Das 2. Newton’sche Axiom kann auch als Definiti-on der Masse betrachtet werden: Die träge Masse mtstellt den Widerstand eines Körpers gegen eine Be-wegungsänderung dar:

~F = mtd2~rdt2 .

Die heute noch gültige Einheit der Masse ist gege-ben durch das Ur-Kilogramm, einen Platin-IridiumZylinder, welcher in Paris aufbewahrt wird. Kopiendavon existieren in verschiedenen Ländern, unter an-derem bei der PTB in Braunschweig.

Eines der Probleme mit dieser Definition des Kilo-gramms liegt darin, dass es nicht perfekt stabil ist.Abb. 2.21 zeigt, wie sich die Masse von unterschied-lichen Kopien des Urkilogramms als Funktion derZeit ändert. Es ist davon auszugehen, dass das Urki-logramm selber ähnlichen Änderungen unterliegt.

Um solche Probleme zu vermeiden, hat man inzwi-schen die meisten Grundeinheiten so definiert, dasssie Funktionen von Naturkonstanten sind, welche

Mas

s cha

nge

(mic

rogr

ams)

–40

–20

20

40

0

60

80

1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000 2020

K1 327 438(41) 47

Abbildung 2.21: Variation der gemessenen Massevon unterschiedlichen Kopien desUr-Kilogramms.

überall gemessen werden können. In nächster Zeitsoll dies auch bei der Masseneinheit (dem kg) ge-schehen. Die vorgeschlagene Neudefinition der SI-Einheit lautetEin Kilogramm ist die Planck’sche Konstante, di-vidiert durch 6,626070040 ·10�34 m/s2.

Mit dieser Definition kann überall ein Vergleichdurchgeführt werden. Das dafür notwendige Instru-ment wird als Watt-Waage bezeichnet.

Die Masse spielt nicht nur beim 2. Newton’schenAxiom eine wichtige Rolle, sie ist auch die relevanteGröße bei der Schwerkraft. Die Anziehung zwischenzwei Massen M und ms beträgt

~F =�GM ms

r3 ~r, (2.2)

mit der Gravitationskonstante

G = 6.67 ·10�11 Nm2

kg2 = 6.67 ·10�11 m3

kgs2 .

Wegen der geringen Stärke der Gravitationswechsel-wirkung ist eine entsprechende Messung sehr auf-wändig und bedarf guter Planung um Fehler zu ver-meiden. Die Masse ms in Gleichung (2.2) wird alsschwere Masse bezeichnet.

2.2.6 Schwere und träge Masse

In der klassischen Physik sind die schwere unddie träge Masse zunächst voneinander unabhängige

40

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2 Mechanik

Abbildung 2.22: Gemessene Werte der Gravitations-konstanten G.

Größen. Fällt ein Körper im Schwerefeld der Erde,so lautet die Bewegungsgleichung

FG = msg =d pdt

= mtdvdt

.

Somit taucht die schwere Masse ms wie auch die trä-ge Masse mt in der Gleichung auf. Berechnet mandie Beschleunigung

a =dvdt

= gms

mt, (2.3)

so ist diese proportional zum Verhältnis von schwe-rer zu träger Masse. In den meisten Fällen gibt eskeinen Grund, zwischen schwerer und träger Massezu unterscheiden, man setzt deshalb ms = mt = m.

Mmx, v, a

F

Abbildung 2.23: Atwood’sche Fallmaschine.

Es gibt aber auch Prozesse, bei denen die schwe-re und die träge Masse unabhängig verändert wer-den können. Ein Beispiel dafür ist die Atwood’scheFallmaschine, welche 1784 von George Atwood ent-wickelt wurde, um die Gesetze der gleichmäßigbeschleunigten Bewegung zu untersuchen. Mit ihrkann man mit einfachen Mitteln statt der Fallbe-schleunigung eine beliebig verringerte Beschleuni-

gung erhalten. In der Version von Abb. 2.23 be-steht sie aus einer Masse M, welche horizontal be-wegt wird. Eine weitere Masse m wird vertikal be-wegt. Diese hängt im Schwerefeld der Erde und un-terliegt somit der Gravitation. Beschleunigt man dasSystem, so muss die Gesamtmasse M +m beschleu-nigt werden; zur Gewichtskraft trägt jedoch nur dieMasse m bei. Die Bewegungsgleichung ist deshalb

F = (M +m)a = (M +m)d2xdt2 = mg.

d2xdt2 =

mM +m

g.

Die Beschleunigung ist somit um das Verhältnis ausschwerer zu träger Masse skaliert.

Integration liefert für x(0) = 0, dx/dt(0) = 0

dxdt

=m

M +mgt

x(t) =12

mM +m

gt2.

Im Experiment wird die Zeit gemessen, welche derSchlitten benötigt, um eine Distanz von x = 2 m zu-rückzulegen. Theoretisch sollte dies

t =

r2xa

=

s2xg

M +mm

50

Tabelle 2.1: Resultate eines Experiments mit der At-wood’schen Fallmaschine.

Tabelle 2.1 zeigt die Resultate eines entsprechendenExperiments.

In diesem Experiment tragen zwei Körper zur trägenMasse mt bei, aber nur einer zur schweren Massems. Betrachtet man jedoch einzelne Körper, so fin-det man experimentell, dass seine schwere und trägeMasse immer proportional zueinander sind, ms µ mt .

41

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2 Mechanik

Es ist deshalb praktisch, die beiden Massen gleichzu setzen, ms = mt = m. In Gleichung (2.3) kann dieMasse deshalb eliminiert werden. Dieses sogenannteÄquivalenzprinzip wird im Rahmen der allgemeinenRelativitätstheorie zu einem Axiom.

2.3 Kräfte in der Dynamik

2.3.1 Kräfte und Felder

Kräfte sind aus der Statik bekannt, welche im We-sentlichen auf dem Gleichgewicht der Kräfte be-ruht. In der Dynamik sind die Kräfte die Ursache fürBewegungsänderungen. Gemäß dem Newton’schenAxiom können Kräfte über die von ihnen erzeugteImpulsänderung beschrieben werden:

F =d pdt

.

Damit ist die entsprechende Einheit

[F ] =mkg

s2 = N = Newton.

Die Schwerkraft, die z.B. im Schwerefeld der Erdeauf einen Körper wirkt, ist gemäß (2.2) proportionalzur Masse des Körpers. Die resultierende Beschleu-nigung ist

~a =d~vdt

=1m

d~pdt

=1m

~F =1m

mg = g .

Hier ist g die Erdbeschleunigung

g =GmErde

r2Erde

.

Damit ist die induzierte Impulsänderung proportio-nal zur Masse, während die Beschleunigung unab-hängig von der Masse ist. Dieser Effekt wird imAllgemeinen davon überdeckt, dass unterschiedlicheLuftreibung vorliegt, kann aber im Vakuum gezeigtwerden. In Abb. 2.24 werden ein Apfel und eine Fe-der im Vakuum fallen gelassen. Die einzelnen Auf-nahmen zu unterschiedlichen Zeiten zeigen, dass siegleich schnell fallen.

Abbildung 2.24: Freier Fall eines Apfels und einerFeder im Vakuum.

In der Gravitation wirkt offenbar eine Kraft zwi-schen zwei räumlich getrennten Objekten. Dies wur-de lange als unplausibel betrachtet, so z.B. Newtonin einem Brief an Bentley 1692. Man versuchte diesdurch das Konzept des Feldes zu überbrücken. Die-ses Feld wird von einer Quelle erzeugt und wirkt aufalle Körper, welche eine bestimmte Eigenschaft be-sitzen und sich in dem Feld aufhalten. Beispiele sindelektrische Felder, welche von elektrischen Ladun-gen erzeugt werden und auf elektrische Ladungenwirken, oder Gravitationsfelder, welche von Masse-behafteten Körpern erzeugt werden und auf massiveKörper wirken. Beispiel: Die Gleichung (2.2) kannman so interpretieren, dass die Masse M ein Gravi-tationsfeld

~EG =�GMr3~r

erzeugt. Das Feld ist somit unabhängig von der Mas-se, auf die es wirkt und stellt eine Verallgemeinerungder Kraft dar. Bringt man die Masse m in dieses Feld,so wirkt darauf eine Kraft

~FG = ~EGm =�GM mr3 ~r.

42

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2 Mechanik

2.3.2 Elementare und phänomenologischeKräfte

Man unterscheidet zwischen elementaren Kräften,welche durch eine kleine Zahl von physikalischenGrundgesetzen beschrieben werden, und phänome-nologischen Kräften, welche zu Vereinfachung vonkomplizierten Zusammenhängen eingeführt werden.

Abbildung 2.25: Die vier fundamentalen Wechsel-wirkungen.

In der Natur kommen 4 elementare Wechselwirkun-gen vor: die elektromagnetische (wobei im Rahmendieser Vorlesung hier elektrische und magnetischeKräfte meist getrennt behandelt werden), die star-ke, die schwache Kernkraft und die Gravitations-Wechselwirkung (! Abb. 2.25). Für den Alltag sindnur die elektrischen und magnetischen Kräfte, sowiedie Schwerkraft relevant. Elektrizität und Magnetis-mus werden im Kapitel 4 behandelt.

Abbildung 2.26: Vereinheitlichte Beschreibungender fundamentalen Wechselwir-kungen.

Zu den größten Erfolgen der physikalischen For-schung des letzten Jahrhunderts gehört die erfolg-reiche Vereinheitlichung der Beschreibung dieserWechselwirkungen. Abb. 2.26 fasst die entsprechen-den Stufen zusammen.

Dehnung eines Drahtes

Draht

Gewicht

F

Δx

Gemessene Abhängigkeit

Kraft F

Deh

nung

Δx

�x =F

D

Abbildung 2.27: Phänomenologische Kraft einer Fe-der.

Darüber hinaus verwendet man jedoch auch soge-nannte phänomenologische Wechselwirkungen, wiez.B. die Kraft einer Feder, welche grundsätzlichauf die fundamentalen Wechselwirkungen zurückge-führt werden kann. Häufig ist diese Rückführung je-doch sehr kompliziert und aufwändig, so dass mansich mit einer phänomenologischen Beschreibungbegnügt. Dazu gehören z.B. elastische Kräfte, wiebei einer Feder. Wie in Abb. 2.27 gezeigt, findet manüber einen gewissen Bereich oft eine lineare Bezie-hung,

Dx =FD

,

mit der Federkonstanten D.

2.3.3 Reibungskräfte

Eine weitere Gruppe von phänomenologischen Kräf-ten sind Reibungskräfte. Diese findet man immerdann, wenn Körper sich berühren und sich relativzueinander parallel zur Kontaktfläche bewegen. DieKräfte wirken entgegen der Bewegungsrichtung, d-h. sie hemmen die Bewegung. Reibung kann auf un-terschiedliche Weise reduziert werden, z.B. durchdie Verwendung einer Luftkissenschiene.

Man unterscheidet zwischen Gleitreibung und Haft-reibung. Haftreibung führt dazu, dass ein Körpersich nicht bewegt, wenn die daran angreifende Kraft

43

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2 Mechanik

geringer ist als die Haftreibung. Gleitreibung ent-steht, wenn ein Körper sich gegenüber einer Unter-lage oder einem Medium bewegt. Sie ist der Bewe-gungsrichtung entgegengesetzt und hängt von der re-lativen Geschwindigkeit zwischen Körper und Um-gebung ab. Man unterscheidet

Äußere Reibung/Festkörperreibung. Bei Fest-körpern, dies sich auf einer festen Unterlagebewegen. Hier ist die Reibungskraft FR (in ge-wisser Näherung) proportional zur NormalkraftFN , mit der der Körper auf die Unterlage drückt:

FR = µFN .

Die Proportionalitätskonstante µ wird als Reibungs-zahl bezeichnet; sie ist unabhängig von der (makro-skopischen) Kontaktfläche und von der Geometrie.Man unterscheidet zwischen Gleitreibung und Haft-reibung, wobei die erstere sich auf bewegte Körperbezieht, die zweite auf ruhende. Typische Reibungs-koeffizienten liegen im Bereich von 0.1 bis 0.5, wo-bei Extremwerte deutlich kleiner, aber auch größerals 1 werden können.

Abbildung 2.28: Messung des Reibungswider-standes mit Hilfe eines Federkraft-messers.

Abb. 2.28 zeigt ein Experiment, bei dem man dieStärke der Reibung über eine Federwaage misst.Man findet, dass die Haftreibung größer ist als dieGleitreibung und dass die Gleitreibung mit dem Ge-wicht des Körpers zunimmt.

Die Haftreibung kann man messen, indem man einenKörper auf eine geeignete Unterlage stellt, derenNeigung variiert werden kann (! Abb. 2.29). Beider Neigung q , bei der der Körper zu rutschen be-ginnt, halten sich die Reibungskraft FR = µSN mitdem Reibungskoeffizienten µS und der Normalkraft

Θ= cosgmNΘ= sinR gmF

Θ

Θgm

KörperWinkel- messer

Hubvorrichtung

Abbildung 2.29: Haftreibung auf einer schiefen Ebe-ne.

N = mgcosq die Waage. Somit ist

µS =FR

N=

mgsinq

mgcosq

= tanq .

Somit kann der Reibungskoeffizient als Tangens desNeigungswinkels bestimmt werden.

Flächen µG µSGlas auf Glas 0.4 0.9 – 1Glas auf Metall 0.2-0.3 0.5 – 0.7Metall auf Metall 0.3 – 1Stahl auf Stahl 0.6 0.7Stahl auf StahlMit Öl dazwischen 0.03-0.11 0.05-0.13

Teflon auf Metall 0.04 0.04Gelenk mit Gelenk-flüssigkeit

0.003sehr klein !

Gummi auf Beton(naß)

0.25 0.3

Gummi auf Beton(trocken)

0.8 1 – 4z.B. Reifen

Gleitreibung Haftreibung

Tabelle 2.2: Heft- und Gleitreibungskoeffizientenfür unterschiedliche Materialien.

Tabelle 2.2 zeigt Haft- und Gleitreibungskoeffizien-ten für unterschiedliche Paare von Materialien.

2.3.4 Dynamik mit Reibung

Gleitet ein Körper auf einer schiefen Ebene mit Nei-gung a (! Abb. 2.31), so hat die Schwerkraft eineKomponente

F = mgsina

entlang der Bewegungsrichtung, welche den Körperbeschleunigt. Ohne Berücksichtigung der Reibung

44

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2 Mechanik

bewegt sich ein zunächst ruhender Körper mit derGeschwindigkeit

v = at = g sina t. (2.4)

Den zurückgelegten Weg erhält man durch Integrati-on:

s =12

gsinat2.

Berücksichtigt man auch die Reibung, so wirkt zu-sätzlich eine bremsende Kraft Fr, welche in be-stimmten Fällen näherungsweise proportional zurGeschwindigkeit ist,

Fr =�bv.

Setzt man dies in die Bewegungsgleichung ein,

a = g sina� bm

v

und integriert, dann erhält man für die Geschwindig-keit

v(t) =mgsina

b

⇣1� e�bt/m

⌘.

Für kurze Zeiten, t ⌧ m/b, entspricht das dem rei-bungsfreien Fall (2.4). Für lange Zeiten nähert sichdie Geschwindigkeit dem Grenzwert

limt!•

v• =mgsina

b.

Dieser Grenzwert hängt offenbar von der Masse desKörpers ab.

Neben dieser äußeren Reibung ist auch die “innereReibung” in Flüssigkeiten und Gasen wichtig. Diesewird in Kap. 2.11.6 diskutiert.

2.3.5 Kräfte als Vektoren

Kräfte sind Vektoren und können vektoriell addiertwerden:

~Fges = ~F1 +~F2

oder allgemein

~Fges = Âi

~Fi.

F1

F2

Fges

x

y

F1 F2

F3

Abbildung 2.30: Vektorielle Addition von Kräften.

Im Gleichgewicht verschwindet die resultierendeKraft, ~Fges = 0.

Im Beispiel von Abb. 2.30 rechts sind die Kräfte,welche am Knoten in der Mitte angreifen, in Kom-ponentenschreibweise

~F1 = F1

✓�cosa

sina

◆~F2 = F2

✓cosb

sinb

◆.

~F3 = F3

✓0�1

◆.

Im Fall von Abb. 2.30 rechts können aus der Gleich-gewichtsbedingung die beiden Winkel a und b be-rechnet werden. Für die horizontale und die vertika-le Komponente muss jeweils die Summe der Kräfteverschwinden:

F1 cosa = F2 cosb

F3 = F1 sina +F2 sinb .

Aus diesen 2 Gleichungen können a und b bestimmtwerden.

αsingm

gm α

α s

Abbildung 2.31: Gleiten eines Körpers auf einerschiefen Ebene.

Umgekehrt können Kräfte in Komponenten zerlegtwerden. Für den Fall eines Wagens auf einer schie-fen Ebene (!Abb. 2.31) kann die Gewichtskraft

45

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2 Mechanik

~Fg = m~g zerlegt werden in die Normalkraft ~F1, wel-che den Wagen auf die Fahrbahn drückt, und dieHang-Abtriebskraft ~F2, welche die Dynamik be-wirkt. Ihre Beträge sind

|~F1| = mgcosa

|~F2| = mgsina.

2.3.6 Raketen

Abbildung 2.32: Rakete beim Start.

Raketen (! Abb. 2.32) bewegen sich im Weltraumund können beschleunigen, ohne dass äußere Kräf-te auf sie wirken. Wie ist dies mit dem Impulssatzvereinbar?

1

v + dv

Systemgrenze

-dm vTm + dm

Abbildung 2.33: Modell einer Rakete.

Raketen erzeugen Schub indem sie einen Treibstoffmit möglichst hoher Geschwindigkeit nach hintenausstoßen. Die Impulserhaltung gilt für das Gesamt-system Rakete plus Treibstoff (Vorrat in der Raketeplus ausgestoßener Teil). Der Treibstoff wird nachhinten beschleunigt, mit einer Kraft, welche gemäßdem dritten Newton’schen Axiom gleich stark dieRakete nach vorn beschleunigt. Dadurch ändert sichsowohl die Masse wie auch die Geschwindigkeit der

Rakete: im Zeitinterval dt ändert sich die Masse mder Rakete um dm (mit dm<0) und die Geschwin-digkeit v um dv (>0).

Man betrachtet ein Gesamtsystems, bestehend ausRakete plus ausgestoßener Treibstoff (! Abb. 2.33)und vernachläßigt zunächst die Gravitation. Danngilt für dieses System Impulserhaltung:

d~p = ~p(t +dt)�~p(t) =

= [(m+dm)(~v+d~v)�dm~vT ]�m~v= md~v�dm(~vT � (~v+d~v)) = 0.

Hier stellt ~vT die Geschwindigkeit des Treibstof-fes dar. Man definiert die Geschwindigkeit ~vrel desTreibstoffs relativ zur Rakete als

~vrel =~vT � (~v+d~v)

und erhalten damit die Raketengleichung

d~p = md~v�dm~vrel = 0.

Die Lösung dieser Differentialgleichung lautet fürAnfangsgeschwindigkeit ~v0, konstante Austrittsge-schwindigkeit des Treibstoffes und konstante Ratedes Treibstoffausstoßes

~vend =~v0 +~vrel lnm0

mend,

wobei m0 die Anfangsmasse bezeichnet und mend dieverbleibende Masse bei Brennschluss.

00 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0

Nutzlast / Gesamtmasse

1/e

~vend = ~v0 + ~vrel lnm0

mendv end/vrel

6

4

2

Abbildung 2.34: Endgeschwindigkeit der Rakete alsFunktion der Nutzlast.

46

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2 Mechanik

Man kann somit beliebig hohe Geschwindigkeitenerreichen: Allerdings nimmt das verbleibende Ge-wicht (d.h. die Nutzlast) exponentiell mit der Ge-schwindigkeit ab, wie in Abb. 2.34 gezeigt.

In der theoretischen Analyse wurde die Schwerkraftnicht berücksichtigt. Startet die Rakete von der Erde,so muss noch die Schwerebeschleunigung abgezo-gen werden. Damit wird die resultierende Beschleu-nigung und Geschwindigkeit deutlich niedriger.

2.3.7 Beispiele

Als Beispiel betrachten wir die erste Stufe der Sa-turn V Rakete des Apollo Programms. Ihre Ausstoß-geschwindigkeit vrel betrug 2220 m/s, die Startmassem0 = 2,95·106 kg, die Nutzlast 27% davon, und dieBrenndauer 130 s. Bei konstantem Massestrom be-trug dieser

dmdt

= 2,95 ·106kg0,73130s

= 16565kgs

.

Dies entspricht einem Schub

dmdt

vrel = 16565 ·2220N = 36,8MN .

Damit war die Anfangsbeschleunigung am Boden

dvdt

=�g+ |dmdt

| vrel

m0= 2,66

ms2 .

Am Ende der Brenndauer ist die Beschleunigung

dvdt

=�g+ |dmdt

| vrel

mend= 36,4

ms2 .

Die Endgeschwindigkeit beträgt

vend = �gtB + vrel lnm0

mend=�1275+2906

ms

= 1,63kms

.

Ein einfaches Modell einer Rakete, wie in Abb. 2.35,zeigt bereits die wichtigsten Merkmale. Diese Mo-dellrakete kann mit Luft oder Wasser als Treibstoffverwendet werden, wobei die Relativgeschwindig-keit in beiden Fällen durch Aufpumpen mit Druck-luft erzeugt wird. Nach Öffnen des Ventils wird der

Abbildung 2.35: Modellrakete.

Treibstoff mit der Geschwindigkeit v0 aus der Rake-te gepresst, was den gewünschten Rückstoß erzeugt.Während die Endgeschwindigkeit bei Luft als Treib-stoff relativ bescheiden ist, findet man bei Wasser alsTreibstoff eine wesentlich höhere Endgeschwindig-keit. Die relative Austrittsgeschwindigkeit ist im Fal-le von Luft höher, das Massenverhältnis m0/mend istjedoch bei Wasser als Treibstoff erheblich günstiger.

2.4 Arbeit, Leistung und Energie

2.4.1 Motivation und Definition

Prinzipiell kann man mit den Newton’schen Axio-men die Bewegung von Massenpunkten wie auchSystemen von Massenpunkten beschreiben. In vie-len Fällen ist es aber sehr aufwendig, die Bewe-gungsgleichungen exakt zu lösen. Es ist dann nütz-lich, andere Methoden zur Verfügung zu haben, umrelevante Aussagen machen zu können. Ein wich-tiges und sehr leistungsfähiges Hilfsmittel ist dasKonzept der Energie.

Als Beispiel betrachten wir eine Eisenbahn, die miteiner Geschwindigkeit von 250 km/h auf ebenerStrecke fährt (! Abb. 2.36). Die Zugkraft der Loko-motive reicht genau um die Reibungskraft zu über-winden. Sie fährt auf einen Hügelkamm zu, der 200m über der Ebene liegt. Gelingt es der Eisenbahn,diesen Hügel mit konstanter Zugkraft zu überque-ren? Die Frage kann mit Hilfe der Newton’schenAxiome diskutiert werden, aber nur wenn der ge-samte Streckenverlauf (genauer: die Steigung als

47

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2 Mechanik

Abbildung 2.36: Ein fahrender Zug besitzt kineti-sche Energie.

Funktion des Ortes) bekannt ist. Am Ende des Ka-pitels werden wir zeigen, dass dies nicht nötig ist.

Abbildung 2.37: Das Hemmpendel.

Ein zweites Beispiel kann etwas einfacher im Expe-riment gezeigt werden: Wir betrachten ein schwin-gendes Pendel, bei dem wir jeweils einmal pro halbePeriode eine Umlenkung einführten, so dass die Pen-dellänge verkürzt wird (siehe Abb. 2.37). Frage: wiesieht die Bahn des Pendels jetzt aus?

2.4.2 Arbeit

Wir beginnen mit der Definition der Arbeit. Die Ar-beit, die an einem System geleistet wird, ist definiertals das Integral der Kraft F , welche von außen aufdas System ausgeübt wird (!Abb. 2.38), über den

Abbildung 2.38: Definition der Arbeit.

Weg,

dW = ~F ·d~s ! W12 =Z s2

s1

~F ·d~s .

Die Einheit der Arbeit beträgt demnach 2

[W ] = Nm = J = Joule =m2kg

s2 .

Wie aus der Definition hervorgeht, trägt nur diejeni-ge Komponente der Kraft zur Arbeit bei, welche par-allel zum zurückgelegten Weg wirkt, resp. nur dieje-nige Komponente des Weges, die parallel zur ange-legten Kraft zurückgelegt wird.

Die Kraft, welche hier eingesetzt werden muss, istdie von außen angelegte Kraft. Somit ist die Ar-beit positiv definiert wenn gegen den Widerstanddes Systems Arbeit verrichtet wird, z.B. wenn einKörper angehoben wird. Im Falle eines Motors, woder explodierende Treibstoff eine Kraft erzeugt, wirddem Motor Arbeit entzogen, d.h. die am Motor ge-leistete Arbeit ist negativ. Dies kann man natürlichauch so betrachten, dass der Motor an seiner UmweltArbeit leistet.

Ist die Kraft unabhängig vom Ort, so muss ledig-lich die Projektion des Weges auf die Kraft integriertwerden. Beispiele dafür sind die Schwerkraft (in derNähe der Erdoberfläche), die Beschleunigungskraftfür eine konstante Masse, oder die Arbeit gegen eineReibungskraft.

Ein typischer Fall ist die Hebung eines Körpers ge-gen die Gewichtskraft, wie in Abb. 2.39 gezeigt.Hier ist die erforderliche Kraft ~F = �~FG = mg, un-abhängig vom Ort. Da Kraft und Wegelement paral-

2James Prescott Joule (1818 - 1889).

48

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2 Mechanik

1

F

FG

0

h1

h2

Abbildung 2.39: Hebung eines Körpers gegen dieSchwerkraft FG.

lel sind, reduziert sich das Integral auf

W =Z h2

h1

~F ·d~s = mgZ h2

h1

ds = mg(h2�h1) .

Mit der Notation h = h2�h1 für die Höhendifferenzerhält man somit für die zu leistende Arbeit

W = mgh. (2.5)

Abbildung 2.40: Unterschiedliche Flaschenzüge.

Die insgesamt geleistete Arbeit hängt somit nur vonder Höhendifferenz h ab. Es ist jedoch möglich, dienotwendige Kraft oder den zurückgelegten Weg zureduzieren, jeweils auf Kosten des anderen Faktors.Abb. 2.40 zeigt unterschiedliche Flaschenzüge, wel-che jeweils ein Gewicht um 10 cm anheben. Je nachFlaschenzug sind die nötigen Zugkräfte 100, 50 oder25 N, die zurückgelegten Wege 10, 20 oder 40 cm.Die Arbeit beträgt somit in allen Fällen 10 J.

2.4.3 Beispiele mit konstanter Kraft

Ein einfaches Beispiel ist ein Körper, der auf einerschiefen Ebene mit Steigung a reibungsfrei nach

αFH

F

h

Abbildung 2.41: Schiefe Ebene.

oben geschoben wird (siehe Abb. 2.41). Die Hang-abtriebskraft beträgt FH = �mg sina . Somit ist ei-ne gleich starke Kraft in Bewegungsrichtung not-wendig, um den Körper zu transportieren. Für einegesamte Höhendifferenz h beträgt die zurückgelegteWegstrecke h/sina . Somit ist insgesamt eine ArbeitW = mgh notwendig. Offenbar ist dies unabhängigvon der Neigung der Ebene.

FR

FN

Fs

Abbildung 2.42: Verschiebung in der Ebene.

Als nächsten Fall betrachten wir die Arbeit, die be-nötigt wird, um einen Körper auf einer horizonta-len Fläche gegen die Reibungskraft zu bewegen (!Abb. 2.42). Die Reibungskraft beträgt

FR = µFN = µgm.

Um den Körper über eine Distanz s zu transportie-ren beträgt die Arbeit somit W = µgms, sofern derReibungskoeffizient µ konstant ist.

Ft F

s

Abbildung 2.43: Reibungsfreie Bewegung.

Das nächste Beispiel, dargestellt in Abb. 2.43, ist einKörper, der sich reibungsfrei auf ebener Strecke be-wegt. Eine äußere Kraft (die gegen die Trägheits-kraft wirkt) bewirkt in diesem Fall eine Beschleuni-

49

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2 Mechanik

gung. Die Kraft ist F = ma. Beträgt die Geschwin-digkeit des Körpers zu Beginn v0 und wird er gleich-mäßig beschleunigt, so legt er während einer Zeit Dteine Distanz

s = v0Dt +a2

Dt2 (2.6)

zurück, wobei die Geschwindigkeit auf

v = v0 +aDt

erhöht wird. Diese Gleichung kann aufgelöst werdennach der Zeit

Dt =v� v0

a.

Einsetzen in (2.6) ergibt für den Weg

s = v0Dt +a2

Dt2 =v0(v� v0)

a+

(v� v0)2

2a=

=2vv0�2v2

0 + v2 + v20�2vv0

2a= +

v2� v20

2a.

Die Arbeit, welche dafür geleistet werden muss, be-trägt somit

W = Fs = mas =m2

(v2� v20). (2.7)

Die entspricht gerade der Änderung der kinetischenEnergie des Körpers: Zu Beginn beträgt diese

Ekin,0 =m2

v20

und am Ende

Ekin =m2

v2.

2.4.4 Variable Kraft

x

F = c x

Abbildung 2.44: Federkraft.

Die Kraft kann auch mit dem Weg variieren; in die-sem Fall muss die Integration explizit durchgeführtwerden. Der einfachste Fall ist wohl das Federgesetz(! Abb. 2.44), wo die Kraft proportional zur Aus-lenkung x ist, Ff = �cx. Dies wird als Hooke’schesGesetz bezeichnet. Die Kraft, welche von außen an-gelegt werden muss, ist deshalb F = cx und die Ar-beit beträgt

Wab =Z b

aFdx = c

Z b

axdx =

c2(b2�a2).

In diesem Fall wird die an der Feder geleistete Ar-beit in potenzielle Energie der Feder überführt. Diepotenzielle Energie einer Feder ist deshalb

Epot,F =c2

x2. (2.8)

In dieser Form wird z.B. in einer mechanischen UhrEnergie gespeichert.

Abbildung 2.45: Arbeit als Wegintegral.

In mehreren Dimensionen sind die Kraft wie auchder Weg vektorielle Größen, wie z.B. in Abb. 2.45.In diesem Fall muss über das Skalarprodukt inte-griert werden:

Wab =Z b

a~F ·d~r.

Dies bedeutet, dass nur diejenige Komponente derKraft ~F , welche in Bewegungsrichtung d~r wirkt, zurArbeit beiträgt. Typische Beispiele sind in Abb. 2.42und 2.43 gezeigt: nur die Zugkraft trägt bei zur Ar-beit, nicht die Gewichtskraft, welche senkrecht dazuwirkt.

2.4.5 Energie

In den meisten hier diskutierten Fällen ist die Ar-beit, die am Körper geleistet wurde, unabhängig vom

50

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2 Mechanik

Weg, den man vom Anfangs- zum Endpunkt genom-men hat, also z.B. von der Geschwindigkeit 0 zurGeschwindigkeit v. Durch die Arbeit, die am Kör-per geleistet wurde, ist er in eine höhere Lage oderzu einer höheren Geschwindigkeit gebracht worden.Dadurch ist er selbst in die Lage gebracht worden, ananderen Körpern Arbeit zu leisten. Die Größe, wel-che diese Fähigkeit quantifiziert, ist die mechanischeEnergie (potenzielle oder kinetische):

Die Energie des Körpers (oder Systems) bezeich-net sein Potenzial, Arbeit zu leisten.

Sie ist eine Größe, die rein durch den Zustand be-stimmt ist, unabhängig vom Weg, auf dem der Zu-stand erreicht wurde.

In der Mechanik unterscheidet man zwei Arten vonEnergie, die kinetische und die potenzielle Energie:

Emech = Ekin +Epot .

Die kinetische Energie ist eine Funktion von Ge-schwindigkeit oder Impuls und Masse des Körpers,die potenzielle Energie ist abhängig vom Ort undvon den Kräften, die auf das System wirken. Es kön-nen sowohl äußere Kräfte wie auch innere Kräftebeitragen.

Die kinetische Energie entspricht der Arbeit, wel-che geleistet werden muss, um einen Körper von derGeschwindigkeit 0 auf die Geschwindigkeit v zu be-schleunigen. Diese beträgt nach Gl. (2.7)

Ekin =m2

v2.

Die potenzielle Energie ist z.B. durch die Lage imGravitationsfeld gegeben. Nach Gl. (2.5) beträgt die-se

Epot,g = mgh. (2.9)

Für andere Kraftfelder, wie z.B. das elektrische Feld,existieren entsprechende potenzielle Energien, wiez.B. das elektrische Potenzial.

Die Änderung der mechanischen Energie eines Sy-stems ist gleich der am System geleisteten Arbeit,

DE = E2�E1 = W12.

Wenn wir noch einen Nullpunkt für die Energie defi-nieren, können wir somit direkt die Ausdrücke über-nehmen, die wir für die Arbeit hergeleitet haben.Die Wahl dieses Nullpunkts ist grundsätzlich will-kürlich, aber in vielen Fällen existiert eine “natürli-che” Wahl, wie z.B. bei der kinetischen Energie.

Nicht jede Art von Arbeit führt zu einer Änderungder mechanischen Energie des Systems. Das Bei-spiel aus Abb. 2.42 der Arbeit gegen eine Reibungs-kraft ist ein typisches Beispiel wo die mechanischeEnergie nicht geändert wird: der Körper ist immerauf der gleichen Höhe, bei der gleichen Geschwin-digkeit. Die aufgewendete Arbeit wird stattdessen inReibungswärme umgewandelt. Ob eine Kraft, gegendie Arbeit geleistet wird, zu einer entsprechendenÄnderung der Energie des Systems führt, wird in Ka-pitel 2.4.8 diskutiert.

2.4.6 Leistung

Eng verwandt mit der Energie ist die Leistung, wel-che sich durch Differenzierung nach der Zeit ergibt,

P =dE

dt. [P] =

Js

= W = Watt.

Die Einheit ist benannt nach James Watt (1736-1819). Handelt es sich um eine mechanische Lei-stung (Arbeit pro Zeit) und ist die Kraft konstant,so kann die Leistung auch als Kraft mal Geschwin-digkeit definiert werden:

P =dWdt

=ddt

⇣~F ·d~s

⌘= ~F · d~s

dt= ~F ·~v.

Umgekehrt erhält man die geleistete Arbeit aus derLeistung durch Integration über die Zeit:

W =Z t2

t1P(t)dt.

Typische Leistungen von Menschen liegen bei län-ger andauernden Belastungen im Bereich von 100W, bei trainierten Sportlern bei etwa 300 W. Überkürzere Zeiten können auch Leistungen bis etwa 1kW abgerufen werden (! Abb. 8.6). Die Einheit“Pferdestärke” (PS) ist als die Dauerleistung einesPferdes definiert; sie liegt bei 735 W.

51

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2 Mechanik

1 h1 min 10 h

Dauerleistung Pferd 1 PS = 735 W

Radler / Mann

Radsportler300 W100 W

Leis

tung

P [W

]

Dauer der Beanspruchung [s]

Abbildung 2.46: Leistung als Funktion der Dauerder Beanspruchung.

2.4.7 Potenzielle Energie

Potenzielle Energie ist immer mit einer konserva-tiven Kraft verbunden. Nach Gl. (2.8) ist die Ar-beit, welche geleistet werden musste, um eine Fe-der zu spannen, proportional zum Quadrat der Aus-lenkung. Eine andere Form von potenzieller Energieist die Lageenergie im Schwerefeld. Nach Gl. (2.9)ist die entsprechende potenzielle Energie proportio-nal zur Höhe, Elage = mgh. Bei potenzieller Energie,die mit einer distanzabhängigen Kraft verbunden ist,wie z.B. der Gravitationsenergie oder der Coulomb-Energie, wählt man den Nullpunkt meist für unend-lich getrennte Körper. Die Kraft ist in beiden Fällenproportional zu 1

r2 und die potenzielle Energie, wel-che durch das Integral über die Kraft gegeben ist,proportional zu �1

r .

Ein Molekül als eine deformierbare Ansammlungvon Atomen besitzt es eine potenzielle Energie alsFunktion der Geometrie. In allen Fällen hängt dieEnergie von räumlichen Koordinaten ab. Trägt mandie potenzielle Energie als Funktion des Ortes auf soerhält man eine Kurve, aus der man leicht qualita-tive (und auch quantitative) Aussagen machen kannüber die Bewegung, welche das System durchfüh-ren wird. Abb. 2.47 zeigt als Beispiel die potenziel-le Energie von zweiatomigen Molekülen als Funkti-on des Abstandes zwischen den Atomen. In einemeindimensionalen System bewegt sich das System(falls es zu Beginn in Ruhe ist) auf der Potenzial-kurve nach unten, wobei potenzielle Energie in ki-

0

-500

1 2 3 4r [Å] 5

++

He2

He2

H2

H2

E [k

J/M

ol]

Abbildung 2.47: Potenzielle Energie einfacher 2-atomiger Moleküle als Funktiondes atomaren Abstandes.

netische Energie umgewandelt wird, d.h. das Systembeschleunigt. Indem die dadurch erzeugte kinetischeEnergie wieder in potenzielle Energie umgewandeltwird kann das System sich auch auf der Potenzial-kurve aufwärts bewegen. Das Minimum der Kurveentspricht dem Gleichgewichtsabstand: Hier wirkenkeine Kräfte auf die Atome.

Wichtig ist bei solchen Betrachtungen, dass man diegesamte Energie des Systems berücksichtigt. Diessoll anhand eines scheinbar paradoxen Experimentsgezeigt werden.

12

2

1

S

mg�

Abbildung 2.48: Bahn für Hohlzylinder und Dop-pelkegel.

Legt man einen Hohlzylinder auf die in Abb. 2.48gezeigten Schienen, so rollt er von der höheren zurniedrigeren Seite (1! 2). Legt man dagegen einenDoppelkegel auf die Schienen, so rollt er in entge-gengesetzter Richtung, scheinbar also aufwärts. Diesliegt an der Anordnung der beiden Schienen: Sielaufen auseinander. Dadurch sinkt der Doppelkegel,sein Schwerpunkt sinkt und das System kann Ener-gie gewinnen.

52

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2 Mechanik

2.4.8 Konservative Kräfte

Die potenzielle Energie wird dem System zugeführt,indem daran Arbeit verrichtet wird. Daraus lässtsich umgekehrt ableiten wie groß die Kraft ist, wel-che überwunden werden muss, um dem System dieentsprechende potenzielle Energie zuzuführen. DieKraft, welche von außen aufgebracht werden mussbeträgt in einer Dimension

F =dWds

=dEpot

ds.

Diese ist im Gleichgewicht entgegengesetzt gleichder Kraft, welche das System auf seine Umgebungausübt. Wird keine äußere Kraft auf das System an-gewendet, so bewegt es sich nur unter dem Einflussder potenziellen Energie. Es wird dann beschleunigtdurch eine entgegen-gerichtete Kraft

FP =�dEpot

ds.

Die Kraft, welche auf einen Körper wirkt, kann so-mit aus der Ortsabhängigkeit der potenziellen Ener-gie bestimmt werden. In drei Dimensionen gilt ent-sprechend

~FP =�~—Epot =�

0@ ddxddyddz

1AEpot ,

d.h. die resultierende Kraft zeigt in Richtung dessteilsten Abfalls.

Abb. 2.49 zeigt als Beispiel eine Karte mit Höhen-kurven und darauf für einige Orte die Richtung dessteilsten Gefälles, also die Richtung der resultieren-den Kraft. Ein typisches Beispiel für eine konserva-tive Kraft ist die Gravitationskraft

~F =�GM mr3 ~r

für eine Masse m im Potenzial eines punktförmigenKörpers der Masse M.~r ist der Ortsvektor von m re-lativ zu M. Die entsprechende potenzielle Energie ist

Ug(r) =�GM m

r.

Kräfte, die von einem Potenzial abgeleitet werdenkönnen, werden als konservative Kräfte bezeichnet.

Abbildung 2.49: Richtung des steilsten Abfalls aufeiner Landkarte.

1r

2rA

B

Abbildung 2.50: Zwei unterschiedliche Wege in ei-nem Kraftfeld.

Sie haben die Eigenschaft, dass die Arbeit, welchegeleistet werden muss, um von einem Ausgangs-punkt~r1 zu einem Ziel~r2 zu gelangen, nicht davonabhängt, welcher Weg dabei benutzt wird (! Abb.2.50). Es gilt somit

Wa =Z ~r2

~r1,A~F(~r)d~r = Wb =

Z ~r2

~r1,B~F(~r)d~r.

Somit gilt auch, dass die Arbeit für geschlosseneWege verschwindet,

W =I

~F(~r)d~r = 0.

Diese Beziehung bietet auch die Möglichkeit aus derStruktur eines Kraftfelds ~F(~r) zu erkennen, ob die-ses konservativ ist: Man bestimmt die Rotation desKraftfeldes, ~—⇥ ~F(~r). Verschwindet diese überall,so ist das Kraftfeld konservativ.

53

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2 Mechanik

x

y

Abbildung 2.51: Kraftfeld mit Wirbel.

Ein typisches Beispiel ist eine Bergtour: kommt manam Ende des Tages an den Ausgangspunkt zurück,so ist die potenzielle Energie die gleiche wie zu Be-ginn. Die geleistete Arbeit ist demnach nicht in po-tenzielle Energie umgewandelt worden, sondern inWärme. Abb. 2.51 zeigt ein Kraftfeld mit einem Wir-bel. Eine Fahrradtour (roter Kreis) kann hier in einerRichtung meist Rückenwind nutzen, in der entge-gengesetzte Richtung muss man deutlich mehr Krafteinsetzen, um den Luftwiderstand zu überwinden.

2.4.9 Gleichgewicht

Ort

Energie

stabil

Ort

instabil

Ort

indifferent

Abbildung 2.52: Unterschiedliche Arten vonGleichgewicht.

Offenbar gibt es auch Situationen, in denen keineKraft auf den Körper wirkt. Abb. 2.52 zeigt drei un-terschiedliche Fälle, bei denen der Gleichgewichts-ort einem Minimum, einem Maximum oder einemebenen Teil der Potenzialkurve entspricht. Man be-zeichnet diese Punkte als stabiles, instabiles oderneutrales (indifferentes) Gleichgewicht. Bei eineminstabilen Gleichgewicht führt eine geringe Auslen-kung dazu, dass eine Kraft wirkt und das System im-mer stärker beschleunigt. Ein Beispiel dafür ist einBleistift, der auf seiner Spitze steht. Im Fall des sta-

bilen Gleichgewichts führt eine Auslenkung zu ei-ner Kraft, welche das System zurück zum Gleichge-wicht treibt (z.B. Pendel), während in einem neutra-len Gleichgewicht verschiedene Positionen mit iden-tischer Energie vorhanden sind und eine Auslenkungkeine Kraft erzeugt. Typische Beispiele dafür sindGegenstände auf einem Tisch.

2.4.10 Austausch von Energie

Unterschiedliche Energieformen können ineinanderumgewandelt werden. Dies geschieht z.B. wenn maneinen Körper fallen lässt: dabei wird potenzielleEnergie in kinetische Energie umgewandelt.

1

Auslenkung φ(t)

Abbildung 2.53: Fadenpendel.

In einem Pendel wird ebenfalls Energie von poten-zieller in kinetische umgewandelt (und umgekehrt).Abb. 2.53 zeigt als Beispiel ein Fadenpendel, wel-ches für kleine Auslenkungen einem mathemati-schen Pendel entspricht. Wie in Kapitel 5.2 gezeigtwird, verhält sich die Auslenkung eines mathemati-schen Pendels als Funktion der Zeit ist wie

j(t) = A sinwt w =

rg`

,

wobei j den Winkel der Auslenkung darstellt, ` dieLänge des Pendels und A die Amplitude der Schwin-gung. Die potenzielle Energie ist gegeben durch dieHöhe,

Epot = mgh = mg`j

2

2=

mg`

2(Asinwt)2,

wobei - wie immer beim mathematischen Pendel -die Näherung sinj ⇡j , cosj ⇡ 1�j

2/2 verwendet

54

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2 Mechanik

wurde. Die kinetische Energie ist

Ekin =m2

v2 =m2

`2j

2 =m2

`2w

2(A coswt)2

=mg`

2(Acoswt)2.

Die Summe aus potenzieller und kinetischer Energieist somit

E = mg`

2A2(cos2

wt + sin2wt) = mg

`

2A2 ,

also zeitunabhängig. Es findet lediglich ein Aus-tausch zwischen den beiden Energieformen statt.

h

Kugel

Kugel

Abbildung 2.54: Kugel springt auf einem Amboss.

Die Umwandlung von potenzieller in kinetischeEnergie kann man auch beim Fallenlassen eines Kör-pers beobachten, wie im Beispiel von Abb. 2.54.Beim Auftreffen auf dem Boden wird die kinetischeEnergie kurzfristig in elastische Energie umgewan-delt, dann wieder in kinetische und schließlich wie-der in potenzielle. Die Umwandlungsprozesse sindnie 100% effizient, sondern ein Teil der Energie wirdjeweils in Wärme umgewandelt. Deshalb erreicht dieKugel nicht mehr ganz die Ausgangshöhe.

Für kräftefreie Systeme ist die kinetische Energieauch eine Erhaltungsgröße; dies ergibt sich aus denNewton’schen Axiomen: Für m =const. kann daserste Newton’sche Axiom mit der Geschwindigkeitmultipliziert werden:

mx = 0

mxx =12

mddt

(x)2 = 0.

2.4.11 Energieerhaltung

Die obigen Beispiele illustrieren ein allgemeinesPrinzip: Energie ist eine Erhaltungsgröße; sie kannweder erzeugt noch vernichtet werden.

In einem abgeschlossenen System bleibt die Ge-samtenergie E erhalten, d.h. die Summe aller be-teiligten Energieformen ist eine Konstante.

Wird die Energie eines Systems erhöht, indem daranArbeit geleistet wird, so muss dazu die Energie einesanderen Systems erniedrigt werden. Sie kann aus ei-ner Form in eine andere überführt werden oder voneinem Ort zu einem anderen Ort transportiert wer-den, die gesamte Energie eines abgeschlossenen Sy-stems bleibt jedoch konstant. Im Rahmen der Me-chanik ist die Energie auf potenzielle und kinetischeEnergie beschränkt, so dass gilt

Emech = Ekin +Epot = konst.

Nicht in allen Fällen wird die Arbeit, die am Systemgeleistet wurde, auch in mechanische Energie um-gewandelt. Erfolgt die Arbeit gegen eine Reibungs-kraft, wie z.B. beim Transport eines Körpers auf ei-ner horizontalen Ebene mit konstanter Geschwindig-keit, so bleibt die mechanische Energie des Körperskonstant. In diesem Fall wird die geleistete Arbeit inWärme umgewandelt.

Es ist nicht möglich, zu “beweisen”, dass die Energieeines beliebigen Systems konstant ist. Der Energie-Erhaltungssatz ist jedoch mit allen bisher gemach-ten Erfahrungen vereinbar. Er kann außerdem be-wiesen werden für den Fall, dass die Naturgesetzezeitlich invariant sind. Dies ist wiederum ein nichtbeweisbarer Glaubenssatz, welcher mit allen bishergemachten Erfahrungen übereinstimmt. Im Falle deroben erwähnten nichtkonservativen Kräfte (z.B. Rei-bung), bei denen die gesamte Arbeit über einen ge-schlossenen Pfad nicht verschwindet, wird die ge-leistete Arbeit in Wärmeenergie umgewandelt. Au-ßerdem sind Energie und Materie äquivalent, d.h. siekönnen ineinander umgewandelt werden.

Wenn in den Medien von einem “Energieproblem”die Rede ist (siehe z.B. Abb. 2.55), oder sogar voneinem “Energiemangel” so kann sich dies offenbar

55

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2 Mechanik

Abbildung 2.55: Gibt es ein ’“Energieproblem”?

nicht auf die gesamte zur Verfügung stehende Ener-gie beziehen, sondern offenbar nur auf bestimmteFormen von Energie. Da es nicht möglich ist, Ener-gie zu erzeugen, kann das “Energieproblem” auchnicht “gelöst” werden, indem man mehr Energie er-zeugt.

Es gibt jedoch unter den unterschiedlichen Formender Energie solche die nützlicher sind als andere.So können die mechanischen Formen der Energietheoretisch zu 100% in andere Energieformen um-gewandelt werden. Bewegt man sich von A (z. B.Uni Dortmund) nach B (z. B. nach Hause) und wie-der nach A, so ist offenbar die mechanische Energiedes Körpers, welcher dabei bewegt wurde, konstantgeblieben. Die Energie, welche dabei “verbraucht”wurde, wurde somit nicht in mechanische Energiedes transportierten Körpers umgesetzt, sondern typi-scherweise in Wärme umgewandelt. Die minimal füreinen solchen Transport notwendige Energie ist da-mit Null. Ein Verkehrssystem kann als umso intelli-genter bezeichnet werden, je näher es diesem Grenz-wert kommt.

2.4.12 Anwendungen

Die Verwendung des Prinzips der Energieerhaltungkann Rechnungen häufig stark vereinfachen. AlsBeispiel berechnen wir die Geschwindigkeit einesPendels am tiefsten Punkt. Man verwendet dazu dieTatsache, dass die kinetische Energie am niedrig-sten Punkt gerade gleich der potenziellen Energie am

höchsten Punkt ist,

Ekin(j = 0) = Epot(jmax) =m2

v2 = mgh.

Somit ist die Geschwindigkeit am niedrigsten Punkt

v =p

2gh ,

d.h. gleich groß wie wenn ein Körper fallengelassenwird, außer, dass in diesem Fall die Geschwindigkeithorizontal ist. Der Faden übt zwar eine Kraft aus aufdie Pendelmasse, da die Länge konstant ist, ist dieseKraft senkrecht zur Bewegung und er leistet keineArbeit.

Abbildung 2.56: Bahn des Hemmpendels.

Damit können wir auch die Frage beantworten wasfür eine Bahn das Hemmpendels (! Abb. 2.56) be-schreibt: auf der gestreckten Seite wird die gesamtepotenzielle Energie in kinetische Energie umgewan-delt. Auf der gehemmten Seite wird die kinetischeEnergie wieder in potenzielle Energie umgewandelt,d.h. der Pendelkörper erreicht die gleiche Höhe wieauf der gestreckten Seite.

Hier die Lösung der Eisenbahnfrage aus Abschnitt2.4.1: Da die Lokomotive die Reibungskraft kom-pensiert, ist das System äquivalent zu einem rei-bungsfreien Zug ohne Lokomotive. Er kann den Hü-gel überqueren, wenn die kinetische Energie in derEbene höher ist als die potenzielle Energie auf demHügel. Die beiden Energien betragen, jeweils durchdie Masse dividiert

Ekin

m=

12

v2 = 2411m2

s2 = 2411J

kg.

Epot

m= gh = 1962

m2

s2 = 1962J

kg.

56

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2 Mechanik

Die Energie reicht somit aus. Es bleiben sogar 449m2/s2 übrig, d.h. die Eisenbahn hat noch eine Ge-schwindigkeit von 21 m/s = 76 km/h.

Eine sportliche Anwendung der Energieerhaltung istder Stabhochsprung. Hierbei wird im Wesentlichenkinetische Energie (Sprint vor dem Absprung) in po-tenzielle Energie (Höhe der Messlatte) umgewan-delt. Die maximale Sprintgeschwindigkeit beträgtetwa 40 km/h = 11 m/s. Daraus ergibt sich eine Höhe

mgh =m2

v2 ) h =v2

2g=

12120

m⇡ 6,05m,

was in der Nähe des aktuellen Weltrekords von 6,16m liegt (Renaud Lavillenie 2014).

2.5 Stoßprozesse

2.5.1 Definition und Motivation

1

vorher

Stoß v2

v1

keine Wechselwirkung

nachher

v1’

v2’unbekannte Wechselwirkung zeitlich und räumlich begrenzt

Abbildung 2.57: Stoßprozess.

Unter einem Stoß (!Abb. 2.57) versteht man einezeitlich begrenzte Wechselwirkung zwischen zweioder mehr Systemen, wobei man sich für die Einzel-heiten der Wechselwirkung entweder nicht interes-siert oder keine Möglichkeit hat, sie zu untersuchenoder zu beeinflussen. Man betrachtet einerseits dieKörper bevor die Wechselwirkung stattfindet und an-dererseits dann, wenn die Wechselwirkung praktischnicht mehr vorhanden ist. Dazwischen liegt die ei-gentliche Wechselwirkungszone. Interessant ist einesolche Betrachtung vor allem dann, wenn die Wech-selwirkung mit dem Abstand zwischen den beidenKörpern rasch abnimmt, so dass die beteiligten Kör-per sich meist frei und unabhängig bewegen.

Für den gesamten Prozess geht man davon aus, dasskeine äußeren Kräfte auf das System wirken, ~Fext =

0. Aus dem 2. Newton’schen Axiom folgt somit,dass der Gesamtimpuls ~pges des Systems, also dieSumme der Einzelimpulse ~pi konstant bleibt:

~pges = Âi

~pi = konst.

Es existieren jedoch Kräfte zwischen den Partnern.Gemäß dem dritten Axiom treten diese jedoch im-mer paarweise auf, ~Fik = �~Fki und somit sind auchdie dadurch erzeugten Impulsänderungen gegen-gleich,

d~pi

dt= ~Fki =�~Fik =�d~pk

dt,

so dass diese sich in der Summe aufheben,

ddt Â

i~pi = 0.

Abbildung 2.58: Stoßprozess eines a-Teilchens miteinem Stickstoffatom.

Ein typischer Fall sind Kollisionen in der Kern-und Elementarteilchenphysik (! Abb. 2.58), wodie Wechselwirkungen häufig gar nicht analytischbeschrieben werden können. In der Molekülphysikoder bei chemischen Reaktionen zwischen Molekü-len ist die Situation sehr ähnlich: man kennt die De-tails der Wechselwirkung nicht, man kann höchstensdie Ausgangszustände bestimmen und die Produkteanalysieren.

In vielen Fällen kann man einen Teil oder sogardie gesamte Kinematik nach dem Stoß (d.h. ab demZeitpunkt, wo die Wechselwirkungen vernachlässig-bar klein geworden sind) vorhersagen ohne die De-tails der Wechselwirkung zu kennen. Wir werden

57

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2 Mechanik

für geeignete Beispiele die Geschwindigkeiten nachdem Stoß berechnen ohne die Art der Wechselwir-kung überhaupt zu diskutieren. Dies bedeutet, dassdie folgenden Überlegungen für die Gravitations-wechselwirkung zwischen Galaxien genau so zutrifftwie für Billardkugeln oder sub-atomare Teilchen ineinem Beschleuniger.

Stoßprozesse zwischen Atomen und Molekülen inGasen spielen eine wichtige Rolle. Kollisionen zwi-schen Atomen und Molekülen sind die Grundlagefür die kinetische Gastheorie.

2.5.2 Klassifikation von Stoßprozessen

Man unterscheidet verschiedene Arten von Stoßpro-zessen. Zum einen können wir sie anhand der Zahlder Stoßpartner klassifizieren. Im Rahmen dieserVorlesung beschränken wir uns auf zwei Stoßpart-ner.

1

Die Summe der kinetischen Energien vor und nach dem Stoß ist gleich

Die Summe der kinetischen Energien vor und nach dem Stoß ist verschieden

Die Körper bewegen sich nachher mit der gleichen, gemeinsamen Endgeschwindigkeit weiter

elastisch

inelastisch

unelastisch

Bezeichnung Eigenschaften

Abbildung 2.59: Klassifizierung von Stoßprozessenzwischen 2 Körpern.

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, ob beim Stoßkinetische Energie der Körper in Deformations-Energie umgewandelt wird. Je nachdem wird derStoß als elastisch, inelastisch, oder unelastisch be-zeichnet, wie in Abb. 2.59 zusammengefasst.

Da keine äußeren Kräfte auf das System wirkenist die gesamte Energie des Systems immer kon-stant. Bei elastischen Stößen ist auch die mechani-sche Energie konstant, bei inelastischen und unela-stischen Stößen wird ein Teil in Wärme umgewan-delt.

Abbildung 2.60: Beispiel für einen unelastischenStoß: Meteorkrater in Arizona.

Ein typisches Beispiel eines unelastischen Stoßes istder Aufprall eines Meteoriten auf die Erde (! Abb.2.60): hier wurde die gesamte kinetische Energie desMeteoriten in Wärme umgewandelt.

Abbildung 2.61: Unelastischer Stoß eines Automo-bils.

Ein weiteres typisches Beispiel für inelastische oderunelastische Stöße sind Zusammenstöße zwischenAutomobilen oder Autos mit stationären Objekten(! Abb. 2.61). Die Deformations-Energie wird hiersehr leicht sichtbar.

58

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2 Mechanik

2.5.3 Kraftstoß

In vielen Fällen ist es auch nützlich, die Änderungdes Impulses eines Teilchens während einer begrenz-ten Zeit zu betrachten.

Zeit t

Kra

ft F

Δt

F

Zeit t

Kra

ft F

Abbildung 2.62: Zeitlich begrenzte Kraft.

Wie in Abb. 2.62 gezeigt, kann das eine zeitliche be-grenzte konstante Kraft sein (links) oder eine kon-tinuierlich als Funktion der Zeit variable Kraft. Dierelevante Größe ist die gesamte Impulsänderung desKörpers, auf den diese Kraft wirkt. Gemäß demzweiten Newton’schen Axiom ist die Impulsände-rung

D~p =Z t2

t1~F(t)dt.

Diese wird als Kraftstoß bezeichnet. Die Einheit desKraftstoßes ist [D~p]=mkg/s = Ns. Im einfachen Fall(Abb. 2.61 links) ist er gegeben durch das Produktaus Kraft und Dauer, D~p = ~FDt. Damit lassen sichalso z.B. die Kräfte abschätzen, die bei einem Me-teoriteneinschlag wirken.

2.5.4 Elastischer 2-Körperstoß

m1

m2

m1

m2

m1 m2

Zeit t

Kra

ft F harte Kugeln

z.B. Stahl

weiche Kugeln z.B. Gummi

t<0

t=0

t>0

Zeitlicher Verlauf

Abbildung 2.63: Zentraler elastischer Stoß.

Wir betrachten zwei Körper mit Massen m1 und m2.Wir diskutieren hier nur den Fall wo die Schwer-punkte der beiden Körper sich zu jeder Zeit aufder gleichen Linie bewegen - man spricht dann voneinem zentralen Stoß (! Abb. 2.63). In diesemFall spielt der Vektor-Charakter der Geschwindig-keit keine Rolle, die Geschwindigkeiten können alsSkalare beschrieben werden. Die Geschwindigkeitenvor dem Stoß seien v1,2. Man würde erwarten, dass jenach der Art der Wechselwirkung während des Sto-ßes die beiden Körper sich nach dem Stoß sehr un-terschiedlich verhalten.

Um die Geschwindigkeiten v01,2 nach dem Stoß zuberechnen benötigen wir lediglich die Erhaltungssät-ze für Energie und Impuls. Der Impuls bleibt nachden allgemeinen Voraussetzungen für Stoßprozesseimmer erhalten, die mechanische Energie für denFall elastischer Stöße. Die Erhaltungssätze lauten

p1 + p2 = m1v1 +m2v2 = p01 + p02 = m1v01 +m2v02

2Ekin = m1v21 +m2v2

2 = m1v021 +m2v022 .

Die beiden Erhaltungssätze können als Bestim-mungsgleichungen für die beiden Ausgangsge-schwindigkeiten verwendet werden. Auflösung nachv01,2 ergibt:

v01 =2m2v2 + v1(m1�m2)

m1 +m2

v02 =2m1v1 + v2(m2�m1)

m1 +m2. (2.10)

Hier sind offenbar die absoluten Massen nicht re-levant, sondern allein das Massenverhältnis a =m2/m1. Als Funktion dieser Größe erhält man

v01 =2av2 + v1(1�a)

1+a

v02 =2v1 + v2(a�1)

1+a

. (2.11)

Wir betrachten zunächst als einfachen Spezialfalldie Situation wo beide Massen identisch sind, m1 =m2 = m, a = 1. Dann vereinfachen sich die Aus-drücke zu

v01 = v2; v02 = v1,

59

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2 Mechanik

Abbildung 2.64: Elastischer Stoß auf Schiene.

d.h. die beiden Körper tauschen Geschwindigkeit(und damit Impuls). Damit verbunden ist auch einÜbertrag von Energie vom einen auf den anderenKörper.

Als nächstes Beispiel betrachten wir den Fall von be-liebigen Massen, aber v2 = 0. Wie viel Energie wirdvon m1 auf m2 übertragen? Lösung:

E0

2 = E14(m1/m2)

(1+m1/m2)2 = E14a

(1+a)2 .

Der Energieübertrag wird somit maximal (100 %)für m1 = m2 oder a = 1 und verschwindet für a! 0und a ! •.

Als dritten Spezialfall betrachten wir a = 1/2, d.h.m2 = m1/2,v2 = 0. Hier bewegen sich beide Schlit-ten nach dem Stoß in die gleiche Richtung, mit demGeschwindigkeitsverhältnis 4:1:

v01 =v1

3, v02 =

4v1

3.

Die leichtere Masse bewegt sich somit nach demStoß schneller als die schwere vor dem Stoß!

Für zwei weitere Spezialfälle verwenden wir Schlit-ten mit einem Massenverhältnis von 2:1, von denender eine jeweils auf den ruhenden zweiten auftrifft.Ist der massivere Schlitten in Ruhe, d.h. m2 = 2 m1,a = 2, v2= 0. Einsetzen in die allgemeine Formel(2.10) ergibt

v01 =�v1

3, v02 =

2v1

3,

d.h. die leichtere Masse bewegt sich nach dem Stoßrückwärts, die schwerere mit reduzierter Geschwin-digkeit vorwärts. Im Extremfall von einem großenMassenverhältnis (m2�m1) wird die leichtere Mas-se exakt reflektiert.

2.5.5 Fallende Gummibälle

Abbildung 2.65: Zwei Gummibälle werden fallengelassen.

Man lässt zwei Bälle (! Abb. 2.65) aus einer Höheh0 auf den Erdboden fallen. Beide Bälle erreichenden Boden mit der Geschwindigkeit v. Der leichtereBall steigt auf eine Höhe h, die bis zu 9h0 betragenkann.

Abbildung 2.66: Bezeichnung der relevanten Ge-schwindigkeiten.

Abb. 2.66 definiert die Geschwindigkeiten der bei-den Bälle, welche bei der Berechnung berücksichtigtwerden müssen. Beim Auftreffen auf dem Boden ha-ben beide Bälle eine Geschwindigkeit von

v =p

2gh0.

Die Geschwindigkeit des unteren, schwereren Ballswird zuerst invertiert. Dadurch treffen die beiden

60

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2 Mechanik

Bälle mit betragsmäßig gleichen Geschwindigkeitenaufeinander. Für v1 = v und v2 = �v folgt aus Gl.2.11 für die Geschwindigkeiten nach dem Stoß

v01 = v

1�3a

1+a

v02 = v

3�a

1+a

.

Für a ! 0 wird v01 = v und v2 = 3v. Damit ist die

kinetische Energie des kleineren Balls 32 = 9 mal sohoch wie die ursprüngliche potenzielle Energie undder Ball steigt bis zu 9 mal so hoch auf. Für m2 =m1/3 wird v

02 = 2v und er steigt noch vier mal so

hoch.

2.5.6 Stoß an Kugelreihe

1 2 435

12 3 4 5

Abbildung 2.67: Stoß an einer Kugelreihe.

Die Übertragung von Impuls von einem Körper aufeinen anderen kann auch sehr schön mit Hilfe vonaufgehängten Kugeln gezeigt werden (!Abb. 2.67).Lässt man eine Kugel in auf eine zweite Kugel fal-le, welche in Ruhe ist, so realisiert man den obendiskutierten Fall. Zwar ist die Bewegung der Kugelnicht auf einer Geraden, aber unmittelbar beim Stoßist die Bewegung horizontal; unmittelbar danach be-ginnt ein Austausch von kinetischer und potenziel-ler Energie, der aber während des Stoßes vernach-läßigt werden kann. Durch Zufügen weiterer Ku-geln erhält man verschiedene Fälle die auch analogberechnet werden können. Dabei beobachtet man,dass immer gleich viele Kugeln wegfliegen, wie aufdie Reihe auftreffen. Mit der Impulserhaltung wäreauch vereinbar, dass beim Auftreffen einer Kugel mitGeschwindigkeit v auf der anderen Seite zwei Ku-geln mit halber Geschwindigkeit wegfliegen. Übung:Warum geschieht das nicht?

Wenn alle Kugeln die gleiche Masse haben sind nachdem Stoß immer gleich viele Kugeln in Bewegungwie vor dem Stoß. Dies ändert sich, wenn Kugelnmit unterschiedlicher Masse stoßen - in exakter Ana-logie zum Stoß auf der Schiene. So schiebt eineschwere Kugel eine leichtere vor sich her und gibtnur einen Teil seines Impulses ab. Trifft jedoch eineleichte Kugel auf eine schwere, so wird sie reflek-tiert. während die schwere nur entsprechend langsa-mer zurückweicht.

2.5.7 Unelastischer 2-Körperstoß

Von einem unelastischen Stoß zweier Körper sprichtman dann, wenn sich die beiden Körper nach demStoß gemeinsam weiterbewegen, also “verschmel-zen”. In diesem Fall ist die mechanische Ener-gie des Systems nicht erhalten, da ein Teil davonin Deformations- und Wärmeenergie umgewandeltwird. Es gilt jedoch weiterhin die Impulserhaltung:

p1 + p2 = m1v1 +m2v2 = (m1 +m2)v0,

wobei v0 die Geschwindigkeit des kombinierten Kör-pers nach dem Stoß darstellt. Sie beträgt somit

v0 =m1v1 +m2v2

m1 +m2, (2.12)

entspricht also massengewichtete Mittel der An-fangsgeschwindigkeiten.

Abbildung 2.68: Unelastischer Stoß.

61

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2 Mechanik

Abb. 2.68 zeigt ein entsprechendes Experiment. Hierwird ein Körper mit einer Anfangsgeschwindigkeitv1 auf einen ruhenden Körper der gleichen Masseauftrifft, m1 = m2 = m. Die beiden kleben aneinan-der und bewegen sich gemeinsam weiter. Für die ak-tuellen Parameter wird aus Gl. (2.12)

v0 =mv1

m+m=

v1

2.

Somit ist die resultierende Geschwindigkeit gleichder halben Geschwindigkeit des bewegten Körpers.Die Geschwindigkeit wird im Experiment gemessen,indem für den ersten Körper zweimal die Verdunke-lungszeit gemessen wird, für den kombinierten, dop-pelt so langen, nur einmal; die zweite Zeit ist in guterNäherung doppelt so lang wie die erste.

2.5.8 Elastischer Stoß in zwei Dimensionen

Im Allgemeinen finden Stöße nicht in einer Dimensi-on statt. Wir diskutieren hier den zweidimensionalenFall, der in Abb. 2.69 dargestellt ist. Der Erhaltungs-satz für die Energie bleibt unverändert, während derErhaltungssatz für den Impuls jetzt für beide Dimen-sionen unabhängig gilt. Wir betrachten einen elasti-schen Stoß zwischen zwei Körpern

~p1 +~p2 = ~p01 +~p02

E1 +E2 = E 01 +E 02.

Damit hat man drei Gleichungen und (im Allgemei-nen) vier Geschwindigkeitskomponenten nach demStoß. Es ist somit nicht möglich, die Bewegung derKörper nach dem Stoß vorauszusagen.

1

m2

m1v2

v1’

θ2

θ1

v2’

Abbildung 2.69: Elastischer Stoß in 2 Dimensionen.

Dass man trotzdem zu nützlichen Aussagen kommenkann, zeigt z.B. der Spezialfall, dass die beiden Kör-per gleiche Masse haben und der eine Körper zu Be-ginn in Ruhe ist. Dann vereinfachen sich die Erhal-tungsgleichungen zu

~v2 =~v01 +~v02.

Ohne Beschränkung der Allgemeinheit können wirdie Behandlung vereinfachen, indem wir die x-Achse des Koordinatensystems in Richtung der An-fangsbewegung~v2 legen. Dann folgt aus der Impuls-erhaltung für die y-Komponente, dass die beiden y-Komponenten nach dem Stoß entgegengesetzt sind,

v01y =�v02y = vy.

Wie bereits erwähnt, kann man die Bahnen der bei-den Körper nicht bestimmen; sie hängen u.a. da-von ab, wie stark die beiden Körper gegeneinanderversetzt sind. Aus der obigen Beziehung zwischeneinlaufenden und auslaufenden Geschwindigkeitenerhält man aber eine Bedingung für die auslaufen-den Geschwindigkeitsvektoren, welche für alle Stö-ße dieser Art erfüllt sein muss, unabhängig von derArt der Wechselwirkung: Der Winkel q1 + q2 zwi-schen den beiden auslaufenden Bahnen ist immer90�.

2.6 Drehbewegungen

2.6.1 Kreisbewegung

Genau so wie ein Körper sich ohne die Einwirkungäußerer Kräfte geradlinig mit konstanter Geschwin-digkeit bewegt, so behält er seine Orientierung ge-genüber einem Inertialsystem bei, sofern er sich zuBeginn in Ruhe befindet, resp. behält eine vorhande-ne Drehbewegung bei.

Dies kann man anhand eines Kreisels im Hörsaalzeigen. Es gibt außerdem eine lange Liste von physi-kalisch relevanten Phänomenen, bei denen dies eineRolle spielt.

Dies beginnt auf sehr kleinen Skalen mit dem Spin,d.h. dem Eigendrehimpuls von Elementarteilchen,und es setzt sich über viele Größenordnungen fort,

62

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2 Mechanik

Abbildung 2.70: Eigendrehimpuls findet man beiElementarteilchen wie auch beiGalaxien.

z.B. zur Rotation von Planeten, ihrer Bahnbewegungum die Sonne, oder der Rotationsbewegung von Ga-laxien.

x

y

r(t)v(t)

φ(t)

Abbildung 2.71: Kreisbewegung.

Die Basis für die folgende Diskussion ist die Be-wegung eines Massenpunktes auf einer Kreisbahn(!Abb. 2.71). Benutzt man Polarkoordinaten, sobleibt dabei der Radius r fest, es ändert sich nur derWinkel j . Im Fall der gleichförmigen Kreisbewe-gung ist j = w0t. Ist die Winkelgeschwindigkeit

w(t) =dj

dt

zeitabhängig, so kann man die Winkelbeschleuni-gung a bestimmen:

a(t) =dw(t)

dt=

d2j(t)dt2 .

Die Bahngeschwindigkeit, also die Geschwindigkeit

auf der Bahn, beträgt

~v =d~rdt

|~v| = wr.

Abbildung 2.72: Funken zeigen den Geschwindig-keitsvektor.

Der Geschwindigkeitsvektor bildet überall eine Tan-gente an den Kreis, wie man z.B. aus der Flugbahnvon Funken erkennen kann, die an einem Rad er-zeugt werden (! Abb. 2.72).

Die Beschleunigung

~a =d~vdt

=d2~rdt2 .

wird sinnvollerweise in eine Komponente a|| parallelzum Geschwindigkeitsvektor~v und eine Komponen-te a? senkrecht dazu aufteilt. Die parallele Kompo-nente entspricht der Änderung des Betrags der Ge-schwindigkeit |v(t)|, während die Komponente senk-recht dazu die Richtungsänderung beschreibt:

~a(t) =dv(t)

dt~e||(t)+

v2(t)r

~e?(t).

Hier stellt

~e||(t) =~v(t)v(t)

den Einheitsvektor entlang der instantanen Bewe-gungsrichtung dar und ~e?(t) denjenigen senkrechtdazu.

Für den Fall einer Kreisbewegung mit verschwin-dender Winkelbeschleunigung, a = 0, ist der Be-trag der Geschwindigkeit |~v| konstant und die Kom-ponenten der Beschleunigung parallel und senkrechtdazu sind

a|| = 0

a? = w

2r =v2

r.

63

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2 Mechanik

2.6.2 Drehimpuls eines Massenpunkts

ωv

r

L

p

Abbildung 2.73: Definition des Drehimpulses ~L =~r⇥~p.

Offenbar existiert hier ebenfalls ein Erhaltungssatz.Die entsprechende Größe ist der Drehimpuls. Füreinen Massenpunkt ist der Drehimpuls definiert als

~L =~r⇥~p , [L] = m2kgs�1 = Nms = Js ,

also als Vektorprodukt aus Ort und Impuls. DerDrehimpuls ist somit immer in Bezug auf ein Koor-dinatensystem definiert. Im Beispiel von Abb. 2.73zeigt er nicht in Richtung der Drehachse.

1

ω

rv

Abbildung 2.74: Kreisbewegung. Der Ursprung desKoordinatensystems liegt im Zen-trum des Kreises.

Abb. 2.74 zeigt die relevanten Größen für den Falleiner Kreisbewegung. In drei Dimensionen kann dieGeschwindigkeit eines Massenpunktes als Vektor-produkt aus Winkelgeschwindigkeit ~

w und Abstand~r von der Rotationsachse geschrieben werden:

~v = ~w⇥~r .

Der Winkelgeschwindigkeitsvektor steht parallel zurRotationsachse und sein Betrag ist die Rotationsfre-

quenz w . Der Drehimpuls wird somit

~L =~r⇥~p = m~r⇥ (~w⇥~r) . (2.13)

Im Fall der Kreisbewegung ist es sinnvoll, ein sym-metrieangepasstes Koordinatensystem zu wählen,dessen Ursprung im Zentrum des Kreises liegt. Dannsind die Vektoren~r,~v und ~

w jeweils senkrecht zuein-ander und der Ausdruck (2.13) für den Drehimpulsvereinfacht sich zu

~L = mr2~w .

Offenbar ist hier der Drehimpuls proportional zurWinkelgeschwindigkeit.

2.6.3 Trägheitsmoment

Wie am Beispiel eines Massenpunktes explizit ge-zeigt, ist der Drehimpuls proportional zur Winkelge-schwindigkeit. Die Proportionalitätskonstante wirdallgemein als Trägheitsmoment I bezeichnet:

~L = I~w .

Für die Kreisbewegung eines Massenpunktes gilt of-fenbar I = mr2.

dx

dydz

x

y

z

ω

,ir ⊥

Abbildung 2.75: Berechnung von Trägheitsmomen-ten beliebiger Körper durch Inte-gration.

Für einen allgemeinen Körper wird das Trägheits-moment I berechnet als Integral über die Beiträgeeinzelner infinitesimaler Massenelemente dm. Wiein Abb. 2.75 gezeigt, kann es berechnet werden als

I =ZZZ

r2?dm =

ZZZr2?r(~r)dV ,

64

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2 Mechanik

wobei das Integral über den gesamten Körper läuft,r? den Abstand von der Rotationsachse darstellt undr die Dichte des Volumenelements dV . Das Träg-heitsmoment ist deshalb im Allgemeinen abhän-gig von der Orientierung der Rotationsachse. Manspricht deshalb von einem Trägheitstensor. Für einenasymmetrischen Trägheitstensor ist der Drehimpuls~L nicht mehr parallel zur Winkelgeschwindigkeit ~

w .

dünnwandiger Reif / Hohlzylinder mit Radius R, bezüglich der Symmetrieachse

I =

ZR2dm = R2

Zdm = mR2

Rotationsachse in der Ebene

I =1

2mR2

dickwandiger Hohlzylinder, bezüglich der Symmetrieachse

I =1

2m(R2

1 + R22)

R

R

Abbildung 2.76: Trägheitsmomente von Hohlzylin-dern.

Vollzylinder, bezüglich der Symmetrieachse

I =1

2mR2

RL

Vollzylinder, ⊥ Symmetrieachse

I =m

12(3R2 + L2)

Stab, ⊥ Symmetrieachse

I =mL2

12

Kugel

I =2

5mR2

Quader

I =m

12(a2 + b2)

Achse

LR

ab

Abbildung 2.77: Weitere Trägheitsmomente.

Abb. 2.76 und 2.77 zeigen die Trägheitsmomente füreinige einfach geformte Körper, bezüglich symme-trieangepasster Achsen.

Auch ein Körper, der sich auf einer Geraden bewegt,besitzt einen Drehimpuls; dieser wird als Bahndreh-impuls bezeichnet. Im Gegensatz dazu unterscheidetman den Eigendrehimpuls, bei dem man sich auf ei-ne Achse durch den Schwerpunkt bezieht.

Translation RotationImpuls ~p ~L Dreh-

impulsMasse m I Trägheits-

momentGeschwin-digkeit

~v ~w Winkelge-

schwindig-keit

Tabelle 2.3: Analogien zwischen Translations- undRotationsbewegung.

Offenbar bestehen eine Reihe von Analogien zwi-schen Drehimpuls und linearem Impuls. Einige da-von sind in Tabelle 2.3 zusammengestellt.

In Analogie zum Erhaltungsgesetz für den linearenImpuls gilt ein Erhaltungssatz für den Drehimpuls:

So lange keine äußeren Kräfte wirken, bleibt derDrehimpuls eines Systems erhalten.

Die Erhaltung des Drehimpulses spielt eine großeRolle in vielen Teilen der Physik, vom Mikrokos-mos (z.B. Wechselwirkungen zwischen Elementar-teilchen, Absorption von Licht) bis zum Makrokos-mos (Planetenbewegung, Stabilität von Galaxien).

2.6.4 Kinetische Energie

z

x

y

mi

ir

iv

ω

Abbildung 2.78: Beitrag eines Volumenelements zurkinetischen Energie.

Mit Hilfe des Trägheitsmoments lässt sich auch die

65

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2 Mechanik

kinetische Energie berechnen. Aus dem Ausdruckfür die kinetische Energie von Massenpunkten folgt

E rotkin =

12 Â

imi~v2

i =12 Â

i~vi ·~pi.

Ist die Rotation durch den Winkelgeschwindigkeits-vektor ~

w bestimmt, so gilt

~vi = ~w⇥~ri

und

E rotkin =

12 Â

imir2

i w

2 =w

2

2

ZZZr2dm,

mit w als Betrag der Winkelgeschwindigkeit und riresp. r dem Abstand von der Drehachse. Mit Hilfedes Trägheitstensors

!I lässt sich die Summe, re-

spektive das Integral schreiben als

E rotkin =

12~w · !I ~

w =12~w ·~L,

Fällt die Rotationsachse mit einer Symmetrieach-se zusammen, so kann der Trägheitstensor durchdas Trägheitsmoment bezüglich dieser Achse ersetztwerden:

E rotkin =

12

Iw

2.

2.6.5 Energieerhaltung

Vor dem Start

Hohlzylinder Vollzylinder

Kugel

Nach dem Start

Abbildung 2.79: Rotationssymmetrische Körper aufeiner schiefen Ebene.

Die unterschiedlichen Trägheitsmomente haben z.B.einen Einfluss darauf, wie schnell entsprechendeKörper eine schiefe Ebene hinunterrollen (!Abb.2.79). Bei diesem Experiment wird potenzielle Ener-gie Epot = mgh in kinetische Energie umgewandelt.

Diese besteht aus zwei Beiträgen, der translatori-schen und der rotatorischen:

Ekin =12

Iw

2 +12

mv2.

Die beiden Terme sind jedoch über v = wR anein-ander gekoppelt, wobei R den Radius bezüglich derRotationsachse darstellt und dieser für alle Körpergleich ist. Daraus folgt auch

dw

2

dt= 2w

dw

dt=

2w

Rdvdt

=2vR2 a.

zh

Rmx

θ

θ

Abbildung 2.80: Rotation über schiefe Ebene.

Die Erhaltung der Gesamtenergie kann geschriebenwerden als

ddt

Etot = mva+I

R2 va+mgdzdt

= 0. (2.14)

z stellt hier die Höhe dar, v = dx/dt die Geschwin-digkeit und x die zurückgelegte Distanz. Mit h alsStarthöhe ist

z = h� xsinq ,dzdt

=�vsinq .

Einsetzen in (2.14) ergibt

mva+I

R2 va�mgvsinq = 0.

Diese Gleichung kann aufgelöst werden nach derBeschleunigung

a = gsinq

mR2

mR2 + I= gsinq

✓1� I

mR2 + I

◆.

Der Vorfaktor gsinq beschreibt die Beschleunigungfür einen reibungsfreien Massenpunkt, während derAusdruck in Klammern die Modifikation durch dieRotation berücksichtigt und immer kleiner als 1 ist.Die Beschleunigung ist somit am größten für den

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2 Mechanik

Abbildung 2.81: Maxwell-Rad.

Körper mit dem kleinsten Trägheitsmoment I. Dieserklärt, weshalb beim Experiment der Körper mitdem geringsten Trägheitsmoment zuerst das untereEnde erreicht.

Einen sehr ähnlichen Effekt beobachtet man beim inAbb. 2.81 gezeigten Maxwell-Rad: auch dieses de-monstriert den Austausch von Energie zwischen un-terschiedlichen Formen mechanischer Energie. DasRad hängt an zwei Fäden, die um die Achse ge-wickelt sind. Nach dem Loslassen wickeln sich dieFäden ab und bringen das Rad in Rotation. Es findetein ständiger Austausch zwischen potenzieller Ener-gie, der kinetischen Energie des Schwerpunktes undder Rotationsenergie des Rades statt. Die Gesamt-energie ist

E = Ekin +Erot +Epot =m2

v2S +

I2

w

2 +mgzS.

Hier stellt zS die Höhe des Schwerpunkts dar, wel-cher auf der Achse liegt, und vS = dzS/dt seineGeschwindigkeit. Die lineare und die Rotationsge-schwindigkeit sind aneinander gekoppelt, über v =wr, mit r dem Radius der Achse. Da die Achse rela-tiv dünn ist und die Masse des Rades sich relativ weitvon der Achse befindet, wird die potentielle Ener-gie zum größten Teil in rotatorische kinetische Ener-gie umgewandelt und die Translationsgeschwindig-keit des Rades bleibt relativ gering - es fällt deutlichlangsamer als ein frei fallendes Rad.

2.6.6 Drehmoment

Der Drehimpuls ist eine Erhaltungsgröße wenn kei-ne äußere Kraft angreift. Wie beim linearen Impulskann aber eine äußere Kraft den Drehimpuls verän-dern. Allerdings spielt nicht nur der Betrag der Krafteine Rolle, sondern auch die Richtung und der An-griffspunkt.

v

m

M

r

R

Abbildung 2.82: Experimentelle Bestimmung desDrehmoments.

Abb. 2.82 zeigt ein Experiment, bei dem eine Kraftin Form der Gewichtskraft eines Massenpunkts tan-gential an einem Rad angreift, das um seine Achserotiert. Eine Änderung des Drehimpulses kann füreinen Massenpunkt geschrieben werden als

d~Ldt

=ddt

(~r⇥~p) =d~rdt⇥~p+~r⇥ d~p

dt.

Die beiden Vektoren des ersten Terms (~v und ~p)sind parallel, so dass das Vektorprodukt verschwin-det. Bei einer Drehbewegung ohne äußere Kräfte (~wkonstant) ist außerdem d~p

dt ||~r, so dass auch der zweiteTerm verschwindet: der Drehimpuls ist konstant.

Wenn jedoch eine geeignete Kraft angreift, welcheeine Komponente parallel zu ~p aufweist, so ändertsich die Geschwindigkeit der Drehbewegung ent-sprechend d~p

dt = ~F|| und damit auch der Drehimpuls:

d~Ldt

=~r⇥~F .

Dies ist offenbar das Äquivalent zum zweiten New-ton’schen Axiom. Man bezeichnet die Größe auf derrechten Seite als Drehmoment

~M =~r⇥~F [M] = Nm .

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2 Mechanik

Damit kann man das Grundgesetz der Rotationschreiben als

d~Ldt

= ~M = Id~

w

dt.

Das Drehmoment liegt im rechten Winkel zur Kraftund erzeugt damit einen Drehimpuls senkrecht zurKraft. Da das Drehmoment aus dem Vektorprodukt~r⇥ ~F besteht, verschwindet es, wenn die Kraft par-allel zum Ortsvektor (d.h. radial) angreift; in diesemFall würde eine Änderung des linearen Impulses er-zeugt, falls keine Gegenkraft wirkt (z.B. durch dieLager eines Rades).

2.6.7 Rotationsachse

Wie beim Drehimpuls ist auch beim Drehmomentdie Definition immer auf ein bestimmtes Koordina-tensystem bezogen; Drehimpuls und Drehmomentändern sich wenn man den Ursprung des Koordina-tensystems verschiebt.

Im Experiment von Abb. 2.82 wird die Kraft durchein Gewicht der Masse m erzeugt, welches an ei-nem Seil im Schwerefeld der Erde zieht. Indem dasGewicht über eine Höhe h fällt, wird eine EnergieDEpot = mgh auf das Rad übertragen und in kineti-sche Energie der Rotation Erot umgewandelt. Diesebeträgt

Erot =12

Iw

2 = mgh.

Somit lässt sich aus diesem Experiment das Träg-heitsmoment bestimmen:

I =2mgh

w

2 ,

indem man die resultierende Rotationsgeschwindig-keit w des Rades misst.

Die Tatsache, dass sich das Drehmoment auf ein be-stimmtes Koordinatensystem, respektive eine Dreh-achse bezieht, lässt sich anhand des in Abb. 2.83 ge-zeigten Experimentes demonstrieren. Wenn man mitHilfe eines Bandes an einer Rolle eine Kraft aus-übt, so erzeugt dies ein Drehmoment, welches be-züglich der Symmetrieachse immer in die gleiche

150

185 30

0

105 100 105

40

390

Abbildung 2.83: Folgsame Rolle.

Richtung zeigt. Allerdings steht die Rolle in Kon-takt mit dem Boden und dadurch erfolgt die Rotati-on um den Auflagepunkt, nicht um die Achse. Be-züglich dieses Punkts kann das Drehmoment positivoder negativ sein. Dementsprechend ist es möglich,die Rolle in Richtung auf den Experimentator odervon ihm weg zu bewegen.

2.6.8 Kräftegleichgewicht

Drehmomente spielen vor allem bei ausgedehntenKörpern eine Rolle. Dies werden meist als starreKörper behandelt, man vernachlässigt also Deforma-tionen.

m1

m2 1F&

2F&1r

&

2r&

Ar

A = S

Abbildung 2.84: Gleichgewicht eines starren Kör-pers.

Abb. 2.84 zeigt einen einfachen starren Körper, be-stehend aus 2 Massenpunkten, welche starr mitein-ander verbunden sind. Damit dieser im Gleichge-wicht ist, also seinen Bewegungszustand nicht än-dert, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Zum er-sten muss die Summe der von außen auf den Körper

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wirkenden Kräfte verschwinden,

~Ftot = Âi

~Fi = 0.

Im vorliegenden Fall muss die Summe der Schwer-kräfte auf die beiden Massen durch eine Stützkraft~Fs ausgeglichen werden,

~Ftot = (m1 +m2)~g+~Fs = 0.

Für die Translationsbewegung spielt es keine Rolle,wo die Kräfte angreifen.

Dies wird jedoch relevant, wenn es um eine Rota-tionsbewegung geht. Damit der Körper auch bezüg-lich einer Drehung im Gleichgewicht ist, muss zu-sätzlich die Summe der Drehmomente verschwin-den. Dafür verwenden wir ein Koordinatensystem,bei dem die Stützkraft ~Fs am Punkt~rs angreift. Da-mit verschwindet ihr Beitrag zum Drehmoment. DerBeitrag der Gewichtskräfte is

~M1 + ~M2 = m1(~r1�~rS)⇥~g+m2(~r2�~rS)⇥~g = 0.

(2.15)

Daraus folgt die Bedingung für die Lage~rS des Mas-senschwerpunkts:

m1(~r1�~rS)+m2(~r2�~rS) = 0.

Auflösen nach~rS ergibt

~rS =m1~r1 +m2~r2

m1 +m2,

also den mit den Massen gewichteten Mittelwertder beiden Ortsvektoren. Dieser Punkt wird des-halb auch als Schwerpunkt bezeichnet. Die Rech-nung lässt sich leicht auf eine beliebige Zahl vonMassenpunkten oder Massenelementen erweitern:

~rS =Âi mi~ri

Âi mi.

Die Gleichgewichtsbedingung (2.15) ist auch be-kannt als Hebelgesetz, welches besagt, dass dieSumme der Produkte aus Kraft und Distanz vomSchwerpunkt verschwinden muss,

Âi

Fixi = 0.

Abbildung 2.85: Stabiles, indifferentes und labilesGleichgewicht, abhängig vom Auf-hängepunkt.

Hierbei geht man üblicherweise davon aus, dass dieKräfte senkrecht zum Hebel angreifen.

Mit Hilfe des Schwerpunkts kann man untersuchen,ob ein Körper stabil aufgestellt oder aufgehängt ist:Wenn sich der Schwerpunkt eines Körpers über oderunter seiner Auflagefläche befindet, dann fällt ernicht um. Ob das Gleichgewicht stabil, instabil oderindifferent ist, hängt wiederum davon ab, ob diemögliche Drehachse des Körpers ober-, unter- oderauf der Höhe des Schwerpunkts ist. Abb. 2.85 il-lustriert dies für einen Holzstab. Daraus ergibt sichauch eine Möglichkeit, den Schwerpunkt eines Kör-pers zu bestimmen: Man hängt ihn an verschiede-nen Punkten auf und markiert die Richtung nach Un-ten. Die entsprechenden Geraden schneiden sich imSchwerpunkt.

2.6.9 Pirouette

Abbildung 2.86: Pirouette.

Eine bekannte Anwendung der Drehimpulserhaltungist die Pirouette von Eiskunstläufern (! Abb. 2.86).

69

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2 Mechanik

Hier reduziert der Artist das Trägheitsmoment indemer die Arme anzieht und erhöht dadurch die Winkel-geschwindigkeit: Da der Drehimpuls konstant bleibt,muss gelten

L1 = L2 = I1w1 = I2w2.

Daraus folgt

w2 = w1I1

I2.

Als Beispiel nehmen wir an, dass er sich zunächstmit einer Drehfrequenz von n0 = 1 s�1 bewegt und,dass sein Trägheitsmoment zunächst I0 = 6 kg m2

beträgt. Durch Anziehen der Arme reduziert er die-ses auf I1 = 1,5 kg m2. Sind Reibungsverluste ver-nachlässigbar, muss der Drehimpuls dabei erhaltenbleiben und damit die Drehfrequenz zunehmen auf

n1 = n0I0

I1= 4s�1 .

Die kinetische Energie bleibt dabei nicht erhalten;diese wird dem System über eine Arbeitsleistung zu-geführt, indem die Arme gegen die Zentrifugalkraftangezogen werden müssen. Die entsprechende Ar-beit beträgt

W =12(I1w

21 � I0w

20 )

=12(1,5 ·631�6 ·39,5)J = 592J .

Abbildung 2.87: Erhöhung der Winkelgeschwindig-keit durch Reduktion des Träg-heitsmoments.

Das Experiment kann auch im Hörsaal durchgeführtwerden, wobei der Effekt durch Gewichte in den

Händen verstärkt wird (! Abb. 2.87). Beim Anzie-hen der Arme wird das Trägheitsmoment reduziertund die Erhaltung des Drehimpulses führt zu einerErhöhung der Winkelgeschwindigkeit.

Lx ≠ 0

Lz = 00Stuhl,Rad, =+ zz LL

Abbildung 2.88: Erhaltung des Gesamt-Drehimpuls-Vektors.

Der Drehimpuls ist eine vektorielle Größe, die sichaus mehreren Komponenten zusammensetzen kann.Im Beispiel von Abb. 2.88 bleibt jedoch nur die ver-tikale Komponente erhalten, da der Drehstuhl umdiese Achse frei beweglich ist. Die Achse des Ra-des wird zunächst in horizontaler Richtung gehal-ten. Dreht man das Rad, so dass der Drehimpulsnach oben zeigt, muss sich der Drehstuhl in ent-gegengesetzter Richtung bewegen, um den Gesamt-Drehimpuls bezüglich der vertikalen Achse zu erhal-ten. Dreht man die Achse des Rades nach unten, ro-tiert der Drehstuhl in die entgegengesetzte Richtung.

I1 ω1 I2

ω2

Abbildung 2.89: Turner an einem Reck.

Auf ähnliche Weise kann ein Turner an einem Reck

70

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2 Mechanik

seine Winkelgeschwindigkeit vergrößern. Wie inAbb. 2.89 gezeigt, ändert er durch seine Körper-haltung sein Trägheitsmoment und damit auch sei-ne Winkelgeschwindigkeit. Indem er dies synchroni-siert mit dem Drehwinkel durchführt, leistet er auchArbeit gegen die Schwerkraft und erhöht damit seinekinetische Energie und seinen Drehimpuls.

Abbildung 2.90: Feuertornado.

Drehimpulserhaltung spielt auch bei der Dynamikvon Gasen eine Rolle. Abb. 2.90 zeigt einen so-genannten Feuertornado, welcher durch Drehen ei-nes Tellers mit einer brennenden Flüssigkeit erzeugtwird. Die Flamme wird von einem Drahtkäfig um-schlossen, der sich ebenfalls dreht. Durch die Flam-me steigen im Drahtkäfig heiße Luft und Verbren-nungsgase auf und saugen dadurch von außen fri-sche Luft in den Zylinder hinein. Beim Einströmensinkt der Abstand von der Drehachse. Wie bei derPirouette wird dadurch die Rotationsgeschwindig-keit größer. Entsprechend dreht sich die Feuersäuleviel schneller als der Käfig. Gleichzeitig wird durchdie Drehbewegung die radiale Strömungsgeschwin-digkeit reduziert. Dementsprechend dauert es länger,bis genügend Sauerstoff die Flamme erreicht und dieGase können weiter aufsteigen - die Flamme steigthöher. Auf ähnliche Weise kommt die Rotation vonWinden um Hoch- und Tiefdruckgebiete zustanden,

wie auch bei Hurrikanen, Taifunen oder Tornados.

2.6.10 Kreisel

Ein Kreisel ist ein starrer Körper, der um eine Achserotiert. In diesem Fall gelten Erhaltungsgesetze füralle drei Komponenten des Drehimpulses. Für prak-tische Anwendungen sollte die Rotationsachse miteiner Symmetrieachse des Körpers zusammenfallen,in diesem Fall kann die Rotation sehr stabil sein.

Abbildung 2.91: Kardanisch aufgehängter Kreisel.

Lagert man den Kreisel so, dass keine DrehmomenteM auf ihn wirken (! Abb. 2.91), so bleibt wegen

d~Ldt

= ~M = 0

der Drehimpuls L und auch die Drehachse konstant.Je größer der Drehimpuls, desto schwieriger wird es,seine Richtung zu ändern. Deshalb sind Kreisel beihohen Drehzahlen sehr stabil.

Kurskreisel

Ein solcher kräftefreier Kreisel behält seine einmalvorgegebene Orientierung auch dann bei, wenn manihn mit dem Aufbau als Ganzes beliebig durch denRaum trägt. Ein Kreisel kann so im Prinzip als Kurs-kreisel zur Richtungsbestimmung in der Navigationeingesetzt werden. Allerdings ergeben Reibungsef-fekte und Drehmomente Abweichungen.

71

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2 Mechanik

Backstein

Eine freie Rotation ist stabil bei Rotation um dieAchse mit dem kleinsten oder dem größten Träg-heitsmoment.

Nutation

Rotiert der kräftefreie Kreisel nicht um eine Symme-trieachse, so bleibt zwar die Richtung des Drehim-pulses konstant, nicht aber die Richtung der Rotati-onsachse. Der allgemeine Zusammenhang zwischenDrehimpuls und Winkelgeschwindigkeit ist

~L = I ·~w.

Hier stellt I den Trägheitstensor dar, welcher denVektor ~

w rotiert und multipliziert. Drehachse undSymmetrieachse des Kreisels ändern mit der Zeit ih-re Richtung und bewegen sich auf Kegelmänteln umdie Drehimpuls-Achse~L.

Präzession

Wirkt eine Kraft auf einen Kreisel, z.B. die Schwer-kraft, so erzeugt diese i.A. auch ein Drehmomentund damit eine Änderung des Drehimpulses:

d~Ldt

= ~M =~r⇥~FG.

Da die Änderung des Drehimpulses senkrecht zurRichtung der Gewichtskraft liegt, fällt der Kreiselnicht um, sondern er präzediert um die Richtung derGewichtskraft, also um die Vertikale.

Das Experiment zeigt ein einfaches Beispiel, in demdie Drehimpulserhaltung ein selbständig navigieren-des System ergibt. Man benutzt dazu einen Kreisel,der in ein Kunststoffrohr eingebaut ist. Der Kreiselrollt auf einem gebogenen Draht eine schiefe Ebenehinunter und folgt den Kurven eines dünnen Metall-rohrs (! Abb. 2.92). Dies wird durch die Drehim-pulserhaltung möglich. Man kann den Effekt quali-tativ so erklären:

• Der Kreisel läuft rechts oder links von derBahn. Sein Schwerpunkt S liegt jetzt nicht mehrdirekt über der Schiene.

Abbildung 2.92: Ein Zylinder wird durch einenKreisel stabilisiert und kann so ei-nem dünnen Metallrohr folgen.

• Es wirkt ein Drehmoment ~M =~rS⇥m~g.

• Das Drehmoment erzeugt eine eine Präzessiondes Kreisels um die Achse senkrecht zu~L.

• Dadurch ändert sich die Richtung der Rotati-onsachse des Zylinders und damit die Richtungder Schwerpunktsbewegung.

• Bei korrektem Drehsinn des Kreisels bewegtsich der Zylinder so, dass der Schwerpunkt wie-der über dem Draht liegt.

2.7 Astronomische Anwendungen

2.7.1 Drehimpuls und Planetenbahnen

Die Erhaltung des Drehimpulses ist auch verantwort-lich für die Rotation von Planeten im Sonnensy-stem, von Satelliten (Monden, Ringen) um Planeten,und der Sonnensysteme in der Galaxis: diese bilde-ten sich aus Wolken von Gas und Staub durch Kon-traktion unter dem Einfluss der Schwerkraft. Die Er-haltung des Drehimpulses bei der Kontraktion führ-te zu einer Erhöhung der anfangs geringen Rotati-onsgeschwindigkeit und verhindert eine vollständigeKontraktion: ohne Drehimpulserhaltung würden diePlanten unter dem Einfluss der Schwerkraft in die

72

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2 Mechanik

Abbildung 2.93: Ringe des Saturns.

Sonne fallen. Ähnliche Effekte führen zur Form derGalaxien.

Abbildung 2.94: Das Ptolemäische Weltbild.

Die Planetenbahnen haben die Menschen seit Lan-gem fasziniert. Ptolemäus fasste im 2. Jh. nach Chri-stus den damaligen Wissenstand zusammen und er-stellte ein Weltbild (! Abb. 2.94), welches mehrals tausend Jahre Bestand hatte. In seinem Systemwar die Erde im Zentrum des Universums und derMond, Merkur, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn be-wegten sich in Kreisen um die Erde. Dies war al-lerdings nicht mit allen Beobachtungen kompatibel;so bewegen sich die Planeten von der Erde aus be-trachtet nicht immer in die gleiche Richtung, son-dern folgen manchmal einer Art von Schleife. Manversuchte das Ptolemäische Modell deshalb durchsogenannte Epizyklen zu korrigieren: Die Planetenliefen nicht direkt auf Kreisen, sondern auf Kreisen,deren Mittelpunkte wiederum auf Kreisen um die Er-de liefen. Noch genauere Messungen zeigten, dass

mehrere Generationen von Epizyklen notwendig wa-ren, um die Beobachtungen erklären zu können.

Die wichtigste Neuerung wurde von Kopernikus(1473-1543) initiiert, welcher anstelle der Erde dieSonne ins Zentrum stellte. Dies konnte einige derBeobachtungen qualitativ erklären, aber eine quan-titative Übereinstimmung wurde nicht erreicht, weildie Planten in seinem Modell sich immer nochauf Kreisbahnen bewegten. Der dänische Hofastro-nom Tycho Brahe (1546-1601) stellte umfangrei-che Beobachtungen an, welche insgesamt weder mitdem kopernikanischen noch mit dem ptolemäischenWeltbild wirklich vereinbar waren.

2.7.2 Die Kepler’schen Gesetze

Abbildung 2.95: Johannes Kepler (1571-1630).

Die erste Theorie, welche die Beobachtungen an-hand einiger weniger Gesetze erklären konntestammt von Johannes Kepler (1571-1630; ! Abb.2.95). Er formulierte die ersten zwei seiner Geset-ze 1609, das dritte 1619. Sie wurden für Planetenformuliert, gelten aber analog z.B. für die Umlauf-bahnen von Monden. Zu Kepler’s Zeit waren diesneue Grundgesetze, welche nur der Beschreibungder astronmoischen Daten dienten. Erst gegen En-de des 17. Jahrhunderts lieferte Newton die theo-retischen Grundlagen, mit denen diese Gesetze ausgrundlegenderen Gesetzen hergeleitet werden konn-ten.

1. Kepler’sches Gesetz: Die Planeten bewegensich auf Ellipsen. Die Sonne steht jeweils in ei-

73

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2 Mechanik

x

y

m1

m2uv

b

a

A1 A2

Abbildung 2.96: 1. Kepler’sches Gesetz: Die Plane-tenbahnen sind Ellipsen; die Sonnesteht in einem der Brennpunkte.

nem der Brennpunkte. Ellipsen sind geschlos-sene Kurven, welche z.B. durch die Gleichung

x2

a2 +y2

b2 = 1

beschrieben werden können. a und b stellen dieHalbachsen der Ellipse dar (! Abb. 2.96). Für a = bgeht die Ellipse in einen Kreis über. Ellipsen könnenu.a. konstruiert werden, indem man zwischen denbeiden Brennpunkten einen Faden spannt und mit ei-nem Bleistift bei gespanntem Faden die Kurve zieht.Dabei nutzt man aus, dass die Strecke u+v konstantist.

Das Gesetz beinhaltet verschiedene Näherungen,z.B. dass die Sonne unendlich schwer ist. Dies isteine gute Näherung: Die Masse der Sonne beträgtetwa 2 · 1030 kg, diejenige der Erde etwa 6 · 1024

kg. Berücksichtigt man die endliche Masse, so be-wegen sich Sonne und Planet um den gemeinsamenSchwerpunkt, dieser liegt in einem Brennpunkt derEllipse. Außerdem stören andere Planeten die Bahn.

2.7.3 2. Kepler’sches Gesetz

Das 2. Kepler’sche Gesetz beschreibt die Geschwin-digkeit auf der Bahn.

Der von der Sonne zum Planeten gezogene Radius-vektor~r überstreicht in gleichen Zeiten Dt konstanteFlächen DA: DA/Dt = konstant (! Abb. 2.97). Die-ses Gesetz lässt sich beweisen, wenn man die FlächedA berechnet, welche in der (infinitesimalen) Zeit dtüberstrichen wird:

A1 A2

Sonne

A1 = A2

Δt

Δt

Abbildung 2.97: 2. Kepler’sches Gesetz: Die Flä-chen A1 und A2 sind gleich.

dA =12

|~r⇥d~r| = 12m

|~r⇥md~r|

=1

2m

����~r⇥md~rdt

����dt =1

2m|~r⇥m~v|dt.

Da~r⇥m~v =~L den Drehimpuls darstellt, ist

dAdt

=1

2m|~L| = const.

konstant, wenn der Drehimpuls sich nicht ändert.Dies gilt für endliche Zeiten genau so,

A(Dt) =Z t+Dt

t

dAdt

dt =1

2m|~L|Dt.

Das zweite Kepler’sche Gesetz ist also eine direkteManifestation der Erhaltung des Drehimpulses.

2.7.4 3. Kepler’sches Gesetz

Das dritte Kepler’sche Gesetz betrifft das Verhält-nis zwischen Abstand und Umlaufzeit der Planeten.Kepler fand es erst etwa 10 Jahre nach den erstenbeiden Gesetzen; es wurde 1619 publiziert, im WerkHarmonices mundi.

Die Quadrate der Umlaufzeiten T1, T2 zweier Plane-ten verhalten sich wie die Kuben der großen Halb-achsen a1, a2 (! Abb. 2.98):

✓T1

T2

◆2

=

✓a1

a2

◆3

.

74

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2 Mechanik

Abbildung 2.98: 3. Kepler’sches Gesetz.

Diese Beobachtung kann für eine Kreisbewegungleicht erklärt werden: In diesem Fall wirkt die Gra-vitation

FG = GMmR2

als Zentripetalkraft. Diese muss der Zentrifugalkraft

FZ = mw

2R

entsprechen. Die Kreisfrequenz w ist invers propor-tional zur Periode, w = 2p/T . Somit ist

GMmR2 = m

✓2p

T

◆2

R.

Umstellen ergibt das 3. Kepler’sche Gesetz:

T 2

R3 =4p

2

GM= const.

Solche Potenzgesetze kann man am besten überprü-fen indem man die vorhandenen Daten logarithmiert:Bildet man auf beiden Seiten den Logarithmus dannfindet man

log✓

T1

T2

◆2

= 2(logT1� logT2)

= log✓

a1

a2

◆3

= 3(loga1� loga2)

oderloga1� loga2

logT1� logT2=

23

.

Trägt man loga gegen logT auf, so erhält man somiteine Gerade mit Steigung 2/3. Wie in Abb. 2.99 ge-zeigt, passen die experimentellen Daten sehr gut zudieser Voraussage.

!1

✓T1

T2

◆2

=

✓a1

a2

◆3

1 Jahr

Steigung = 2/3

Umlaufzeit T [s]

groß

e B

ahnh

alba

chse

a [m

]

106 107 108 109

1011

1012

Merkur

Venus

Mars

Erde

Jupiter

Saturn

UranusNeptun

Pluto

Abbildung 2.99: Vergleich des 3. Kepler’schen Ge-setzes mit Daten der Planetenbah-nen.

2.7.5 Theorie der Gravitation

Die Kepler’schen Gesetze lieferten hervorragendeVorhersagen welche innerhalb der Messgenauigkeitdie Beobachtungen erklären konnten. Sie liefernaber keine Erklärung für die beobachteten Phäno-mene. Kepler versuchte auch, eine Erklärung zu lie-fern, aber es gelang ihm nicht. Diese lieferte jedochNewton mit seinen Gesetzen der Mechanik (! Ab-schnitt 2.2.2) und mit seiner Theorie der Gravitation(! 2.2.5). Diese besagt, dass die unterschiedlicheMassen sich anziehen, mit einer Kraft

|FG| = Gm1m2

r212

.

Die Gravitationskonstante G war zu Newton’s Zeitnoch nicht bekannt. Der heute anerkannte Wert be-trägt

G = 6,673 ·10�11 Nm2

kg2 = 6,673 ·10�11 m3

kg2s2.

Nachdem die Gravitationskonstante bestimmt ist,kann man eine Messung der Fallbeschleunigung ander Erdoberfläche dazu verwenden, die Erdmassezu bestimmen. Mit dem mittleren Erdradius r =6,37·106m erhält man mE = 5,97·1024 kg. Analogkann man aus dem Radius einer Planetenbahn undseiner Umlaufzeit die Masse der Sonne bestimmen:Aus dem Gleichgewicht zwischen Zentrifugalkraft

75

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2 Mechanik

und Gravitationskraft der Sonne

FZP = mPrPw

2P = FG = G

mPmS

r2P

.

Die Sonnenmasse erhält man daraus als

mS = r3Pw

2P/G⇡ 2 ·1030kg .

Dies beinhaltet gleichzeitig das dritte Kepler’scheGesetz (für den Grenzfall eines Kreises, d.h. ver-schwindender Elliptizität).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannte Einstein,dass die Newton’sche Theorie als eine Näherungs-form betrachtet werden muss. In dieser Theorie er-folgt die Wechselwirkung zwischen unterschiedli-chen schweren Körpern nicht mehr über Kräfte, son-dern indem jeder Massenpunkt den Raum in sei-ner Umgebung verzerrt. Die Theorie behandelt somitnicht Kräfte, sondern die Geometrie des vierdimen-sionalen Raum-Zeit Kontinuums.

Abbildung 2.100: Krümmung des Raum-Zeit Konti-nuums durch eine Masse.

Abb. 2.100 zeigt diese Krümmung schematisch, an-hand einer Projektion in den zweidimensionalenRaum, respektive die dreidimensionale Raum-Zeit.Jede Masse erzeugt eine Krümmung in ihrer Umge-bung.

Sie gibt in vielen Fällen die gleichen Voraussagen zuexperimentell beobachtbaren Größen wie die New-ton’sche Theorie. In einigen wenigen Spezialfäl-len findet man Unterschiede. So kann sie z.B. diePräzessionsbewegung bei der Merkurbahn erklären,oder die Ablenkung von Sternenlicht beim Passie-ren der Sonne. Eine wichtige Bestätigung der allge-meinen Relativitätstheorie erfolgte 2016, als zum er-sten Mal Gravitationswellen gemessen wurden. Gra-vitationswellen sind Verzerrungen des Raums, wel-che sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Allebewegten Körper erzeugen Gravitationswellen, aberdie entsprechenden Verzerrungen sind meistens zuklein, um sie messen zu können. Lediglich wenn sich

sehr große Massen sehr schnell bewegen, sind dieAmplituden der Wellen groß genug um messbar zusein. Die bisher gemessenen Signale wurden Paarenvon schwarzen Löchern und Neutronensternen zuge-schrieben, die sich verschmolzen haben. Einige derbeteiligten Forscher erhielten 2017 den Nobelpreisfür Physik.

76

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2 Mechanik

2.8 Mechanik in bewegtenBezugssystemen

2.8.1 Galilei’sche Relativität

Die Beschreibung einer Bewegung hängt ab vomverwendeten Bezugssystem: Wenn jemand in einemEisenbahnwagen einen Ball aufwirft, so hängt dieForm der Bahnkurve davon ab, ob der Betrachterebenfalls in der Eisenbahn sitzt oder auf dem Bahn-steig steht.

Man ist grundsätzlich frei in der Wahl des Bezugs-systems, d.h. man kann auswählen welches Bezugs-system man verwendet, um die beobachteten Phä-nomene zu beschreiben. Im oben genannten Bei-spiel unterscheiden sich die beiden Bezugssyste-me lediglich um die Anfangsgeschwindigkeit in derBewegungsrichtung der Eisenbahn. Es gibt meistein Bezugssystem, welches eine besonders einfacheBeschreibung ermöglicht. Vor allem aber ist nichtgarantiert, dass in jedem Bezugssystem die New-ton’schen Axiome erfüllt sind. Ist dies der Fall, sobezeichnet man das System als Inertialsystem. Esgibt beliebig viele unterschiedliche Inertialsysteme.

Jedes ortsfeste Inertialsystem kann man in ein an-deres transformieren, wenn man eine Translationoder Rotation vornimmt. Außerdem kann man dasBezugssystem immer mit konstanter Geschwindig-keit gegenüber einem Inertialsystem verschiebenund erhält ein weiteres Inertialsystem. Die Tatsache,dass alle diese Systeme gleichwertige Möglichkei-ten für die Beschreibung der beobachteten Phänome-ne darstellen, bedeutet, dass absolute Geschwindig-keit keine Bedeutung hat. Ähnlich bedeutet die Tat-sache, dass der Ursprung des Koordinatensystemsfrei wählbar ist, dass absolute Position keine Bedeu-tung hat. Aus der (experimentell verifizierten) Tatsa-che, dass die physikalischen Gesetze gültig bleibenbei einer beliebigen (konstanten) Bewegung des Be-zugssystems kann man u. a. die Erhaltung des linea-ren Impulses herleiten.

Wir betrachten zunächst die beiden Bezugssystemevon Abb. 2.101, welche gegeneinander in Ruhe sind,aber einen unterschiedlichen Ursprung besitzen. Istder Ursprung des Systems B im System A am Ort

yb

xb

ya

xa

P

~rAP

~rAB

~rBP

Abbildung 2.101: Ortsvektor ~r eine Punktes P in2 unterschiedlichen Bezugssyste-men A, B.

~rAB, und der Ortsvektor des Punktes P im System B~rBP, so ist offenbar der Ortsvektor~rAP im System A

~rAP =~rAB +~rBP.

2.8.2 Relativgeschwindigkeit

~vAPyb

xb

ya

xa

P

~rAP

~rBP

~rAB

~vAB

~vAB

~vBP

Abbildung 2.102: Bewegte Bezugssysteme.

Man verwendet nicht immer ruhende Bezugssyste-me. Abb. 2.102 zeigt einen Fall, bei dem sich dasSystem B gegenüber dem System A mit der konstan-ten Geschwindigkeit~vAB bewegt. Ist die Position desBezugssystems B relativ zu A zum Zeitpunkt t = 0~rAB(0), so gilt offenbar zur Zeit t

~rAB(t) =~rAB(0)+~vABt.

Für einen Punkt P, der sich gegenüber dem SystemB mit der konstanten Geschwindigkeit~vAB bewegt,

~rBP(t) =~rBP(0)+~vBPt

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2 Mechanik

gilt somit

~rAP(t) = ~rAB(t)+~rBP(t) =

= ~rAB(0)+~rBP(0)+~vABt +~vBPt= ~rAP(0)+~vAPt ,

wobei die Geschwindigkeit ~vAP des Punktes P ge-genüber dem System A durch die Vektorsumme

~vAP =~vAB +~vBP

gegeben ist. Die Geschwindigkeit im BezugssystemA ist somit gegeben durch die Summe aus der Ge-schwindigkeit im Bezugssystem B und der Relativ-geschwindigkeit der beiden Bezugssysteme.

2.8.3 Gleichförmig beschleunigteBezugssysteme

Die Relativgeschwindigkeit zwischen zwei Bezugs-systemen ist nicht immer konstant. Typische Bei-spiele sind Aufzüge oder Eisenbahnen beim Anfah-ren oder Abbremsen oder Flugzeuge beim Start. Hiersollen nur gleichförmige Beschleunigungen disku-tiert werden, d.h. a =konstant. Deren Behandlungist zunächst analog zur Behandlung von Bezugssy-stemen, die sich mit gleichförmiger Geschwindig-keit bewegen. Wir betrachten hier nur den einfachenFall, dass die beiden Systeme zum Zeitpunkt t = 0identisch sind, das System B gegenüber dem SystemA jedoch gleichförmig beschleunigt wird mit ~aAB.In beiden Systemen gilt die übliche Kinematik. Fürden Punkt P, der gegenüber System B mit ~aBP be-schleunigt wird, findet man im System A in Analogiezur obigen Herleitung für die Geschwindigkeiten dieBeschleunigung

~aAP =~aAB +~aBP .

Für Geschwindigkeit und Ort gilt für ~rAB(0) = 0,~vAB(0) = 0

~vAP = ~vAB +~vBP =~aABt +~vBP ,

~rAP = ~rAB +~rBP =~aABt2

2+~rBP.

Anders sieht es aus bei der Dynamik. Da die Be-schleunigung in den beiden Bezugssystemen unter-schiedlich ist, können Newton’s Axiome nicht in bei-den Systemen gelten. Gelten sie z.B. im System Aund ist die resultierende Kraft auf den Körper

~F = md~vAP

dt= m~aAP = m(~aAB +~aBP),

so können wir im Bezugssystem B schreiben

m~aBP = m(~aAP�~aAB) = ~F�m~aAB.

Der zusätzliche Term �m~aAB in der Bewegungs-gleichung kann als scheinbare Kraft, als Trägheits-kraft interpretiert werden. Wir spüren sie z.B. beimAnfahren eines Aufzugs: beschleunigt der Aufzugnach oben, so drückt uns eine Kraft nach unten, wel-che proportional zur Beschleunigung und zu unsererMasse ist. In einem Bezugssystem, welches mit derErdbeschleunigung g nach unten beschleunigt wird,verschwindet scheinbar die Schwerkraft.

2.8.4 Schwerelosigkeit

Abbildung 2.103: Links: Fallturm in Bremen.Rechts: Kapsel im Fallturm.

Dies wird z.B. im Fallturm Bremen ausgenutzt. Wiein Abb. 2.103 gezeigt, werden dort Experimente inder Schwerelosigkeit durchgeführt, die sonst nur imWeltraum möglich sind. So können für Kurzzeitex-perimente die hohen Kosten einer Weltraumexpediti-on eingespart werden. In dem 110 m hohen Rohr desTurms wird eine Fallkapsel hochgezogen und losge-lassen.

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2 Mechanik

Während des freien Falls von knapp fünf Sekun-den herrscht in der Kapsel Schwerelosigkeit. DasFallrohr wird luftleer gepumpt, um Störungen durchLuftreibung zu vermeiden.

Zeit [s]0 20 45 65

8

45o aufwärts 45o abwärts

1.8 g 0g 1.8 g

10

9

Höh

e [k

m]

Abbildung 2.104: Prinzip des Parabelflugs.

Längere Zeiten von Schwerelosigkeit kann man inSpezialflugzeugen von NASA und ESA erleben,oder bei der Firma ”Go Zero g”. Wie in Abb. 2.104gezeigt, fliegen diese Flugzeuge steil nach oben undfolgen dann für ca. 25 s einer Parabel. Dieser Teilder Flugbahn entspricht einer Wurfparabel, d.h. dasFlugzeug fliegt mit konstanter Horizontalgeschwin-digkeit und einer vertikalen Beschleunigung nachunten von 9,81 ms�2. Während dieser Zeit sind Pas-sagiere und Ausrüstung praktisch schwerelos, wie inAbb. 2.105 gezeigt.

Abbildung 2.105: Schwerelosigkeit beim Parabel-flug.

Während Ort, Geschwindigkeit, Beschleunigungund Kraft von der Wahl des Bezugssystems abhän-

gen, gilt dies nicht für Abstände oder Geschwindig-keitsdifferenzen: diese sind im Rahmen der klassi-schen Mechanik nicht von der Wahl des Bezugssy-stems abhängig.

2.8.5 Kreisbewegung

Ein Spezialfall der Bewegung in zwei (oder drei) Di-mensionen ist die Kreisbewegung (! Kap. 2.6.1).

Abbildung 2.106: Ort, Geschwindigkeit und Be-schleunigung für einen Massen-punkt bei einer Kreisbewegung.

Häufig genügt es, wenn man die Kreisbewegung miteiner einzigen Koordinate beschreibt, dem Winkel f

bezüglich der x-Achse, gemessen vom Zentrum desKreises (!Abb. 2.106). Die entsprechende Winkel-geschwindigkeit w = df/dt entspricht dann eben-falls einer skalaren Größe. In drei Dimensionen wirdsie als Vektor dargestellt, der senkrecht auf demKreis steht und mit der Drehbewegung zusammeneine Rechtsschraube bildet.

In 2 Dimensionen kann der Ortsvektor eines Punk-tes, welcher im drehenden Koordinatensystem inRuhe ist, geschrieben werden als

~r = r0

✓cos(wt +f0)sin(wt +f0)

◆.

Somit beträgt die Geschwindigkeit

~v =d~rdt

= wr0

✓�sin(wt +f0)cos(wt +f0)

79

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2 Mechanik

und die Beschleunigung

~a =d~vdt

= w

2r0

✓�cos(wt +f0)�sin(wt +f0)

◆,

d.h. sie wirkt in radialer Richtung nach innen.

Offenbar ist eine Kreisbewegung eine beschleunigteBewegung. Beschreibt man die Bewegung von Ob-jekten in einem rotierenden Koordinatensystem, sohaben deshalb die Newton’schen Axiome keine Gül-tigkeit, sondern es treten zusätzliche Kräfte auf, so-genannte Scheinkräfte.

2.8.6 Bewegungsgleichung im rotierendenBezugssystem

Wir versuchen jetzt, die Bewegungsgleichungen füreine allgemeine Bewegung im rotierenden Systemherzuleiten. Wir beschränken uns auf eine Ebene,die senkrecht zur Rotationsachse steht. Dies ist keinewesentliche Einschränkung, da die Bewegung par-allel zur Achse durch die Rotation nicht beeinflusstwird.

r(t)y(0)

rotierendes Koordinatensystem

Bahn

x(t)

y(t)

αβ

x(0)

Abbildung 2.107: Bewegung in einem rotierendenKoordinatensystem.

Abb. 2.107 zeigt ein Koordinatensystem ~x(t),~y(t),welches sich um die z-Achse dreht und einen Mas-senpunkt, der sich entlang einer Bahn ~r(t) bewegt.Im rotierenden Koordinatensystem lautet der Orts-vektor des Massenpunktes

~r = a(t)~x(t)+b (t)~y(t).

Sowohl die Koordinaten a(t), b (t) wie auch dieAchsen ~x(t), ~y(t) sind hier im Allgemeinen zeitab-hängig. Die Geschwindigkeit erhält man wie üblichdurch Ableiten:

~v(t) =ddt

~r(t) =ddt

[a(t)~x(t)+b (t)~y(t)].

Die Rotation der Koordinatenachsen kann beschrie-ben werden als

~x(t) = ~x(0)coswt +~y(0)sinwt~y(t) = ~y(0)coswt �~x(0)sinwt .

Die Geschwindigkeit des Massenpunkts ist demnach

~v(t) = a(t)~x(t)+ b (t)~y(t)+a(t)~x(t)+b (t)~y(t).

Die zeitlichen Ableitungen der Koordinatenachsensind

~x(t) = �~x(0)w sin(wt)+~y(0)w cos(wt)= w~y(t).

~y(t) = �~y(0)w sin(wt)�~x(0)w cos(wt)= �w~x(t).

Demnach ist

~v(t) = a(t)~x(t)+ b (t)~y(t)+w [a(t)~y(t)�b (t)~x(t)].

Der erste Term besitzt die gleiche Form wie in einemInertialsystem. Der zusätzliche zweite Term berück-sichtigt die Zeitabhängigkeit der Basisvektoren. Ertritt auch dann auf, wenn a(t) = a(0) und b (t) =b (0), d.h. wenn sich der Punkt gegenüber dem rotie-renden Koordinatensystem nicht bewegt.

2.8.7 Scheinkräfte im rotierendenKoordinatensystem

Nach dem gleichen Verfahren können wir die Be-schleunigung berechnen:

~a(t) =ddt

~v(t) =

ddt

na(t)~x(t)+ b (t)~y(t)+w [a(t)~y(t)�b (t)~x(t)]

o

80

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2 Mechanik

= a(t)~x(t)+wa(t)~y(t)+ b (t)~y(t)�wb (t)~x(t)+w[a(t)~y(t)� b (t)~x(t)]+w

2[�a(t)~x(t)�b (t)~y(t)]= a(t)~x(t)+ b (t)~y(t)+2w [a(t)~y(t)� b (t)~x(t)]

+w

2[�a(t)~x(t)�b (t)~y(t)].

Der gleiche Sachverhalt kann auch etwas kompaktergeschrieben werden wenn wir die Vektoren

~rr = (a,b ,0) ,

~vr = (a, b ,0) ,

~ar = (a, b ,0) ,

einführen, d.h. Position, Geschwindigkeit und Be-schleunigung im rotierenden Koordinatensystem,sowie den Winkelgeschwindigkeitsvektor

~w = (0,0,w) .

Damit wird

~a = ~ar +2~w⇥~vr�w

2~rr .

Wir können diese Gleichung natürlich auch nach derBeschleunigung im rotierenden Koordinatensystemauflösen:

~ar =~a�2~w⇥~vr +w

2~rr . (2.16)

Der erste Term entspricht der Beschleunigung im In-ertialsystem. Für ein kräftefreies System verschwin-det er nach dem Grundgesetz der Mechanik. Be-schreibt man die Bewegung eines kräftefreien Kör-pers im Inertialsystem, so verschwindet die Be-schleunigung und der entsprechende Punkt bewegtsich mit konstanter Geschwindigkeit tangential vomKreis weg.

Die beiden anderen Terme in (2.16) beschreiben eineBeschleunigung im rotierenden Koordinatensystem,welche nicht von äußeren Kräften bestimmt wird;sie werden deshalb als Scheinkräfte bezeichnet. Dermittlere Term ist proportional zur Geschwindigkeit~vr des Massenpunktes im rotierenden Koordinaten-system und zur Rotationsgeschwindigkeit des Sy-stems. Der dritte Term ist proportional zum Qua-drat der Winkelgeschwindigkeit, und zum Abstand~rr von der Drehachse.

2.8.8 Zentrifugalkraft

Der letzte Term entspricht der Zentrifugalbeschleu-nigung (resp. Zentrifugalkraft). Sie muss durch ei-ne gleich große Zentripetalkraft kompensiert werdenwenn der Massenpunkt im rotierenden Koordinaten-system am Ort bleiben soll. Der Betrag ist

|F | = m|a| = mw

2r =mv2

r.

Angelschnurm = 150 g

Kraftmesser

Abbildung 2.108: Messung der Zentrifugalkraft aufeine rotierende Masse.

Die Zentrifugalkraft kann auch experimentell ge-messen werden, wie in Abb. 2.108 gezeigt. Man lässtdazu ein Gewicht um einen Punkt rotieren und misst,über eine Umlenkung, die Kraft, mit der das Gewichtan der Schnur nach außen zieht.

Im Experiment wurden folgende Werte gefunden:

Radiuscm

KraftN

Periodes

w

s�1mw

2rms�2

31,5 0,15 3,6 1,75 0,1433 0,3 2,7 2,33 0,27

38,8 0,75 1,7 3,7 0,8

Offenbar stimmen die gerechneten Werte in der letz-ten Spalte im Rahmen der Messgenauigkeit mit dengemessenen Werten in der zweiten Spalte überein.

Die Beschleunigungskräfte können auch in Flüssig-keiten gemessen werden. Abb. 2.109 zeigt als Bei-spiel eine rotierende Küvette, in der die eingeschlos-sene Flüssigkeit eine Parabelform annimmt, wenndie Küvette um die vertikale Achse rotiert wird.

Abb. 2.110 erläutert den Effekt. Die Oberflächeder Flüssigkeit wird durch die Gleichgewichtsbedin-gung definiert, dass die Kraft auf die Moleküle ander Oberfläche senkrecht zur Oberfläche sein muss(! Kapitel 2.9.3). Sie setzt sich zusammen aus der

81

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2 Mechanik

Abbildung 2.109: Zentrifugalküvette.

Gewichtskraft (unabhängig vom Abstand von derRotationsachse) und der Zentrifugalkraft (~r2 ). So-mit ist die Steigung der Oberfläche proportional zurZentrifugalkraft. Damit erhält man folgende Formfür die Oberfläche:

z =w

2r2

2g.

Offenbar bildet die Oberfläche eine Parabel. Dieskann im Experiment gut bestätigt werden. Außerdemkönnen wir die Abhängigkeit von der Rotationsge-schwindigkeit semi-quantitativ verifizieren.

2.8.9 Beispiele

Die Zentrifugalkraft wirkt auf alle Körper proportio-nal zu ihrer Masse. Sie wird u.a. dazu verwendet,um Suspensionen zu trennen, indem man diese in ei-ne Zentrifuge lädt. Ultrazentrifugen erzeugen Kräftebis zu 106 g.

In der Kernspinresonanz (NMR) verwendet manebenfalls sehr schnelle Drehungen: Man rotiert Pro-ben mit bis zu 120 kHz um ihre eigene Achse, umausgemittelte Spektren zu erhalten. Bei typischen

Fres

FZF

FGFlüssigkeitsoberfläche

Abbildung 2.110: Kräftegleichgewicht an der Flüs-sigkeitsoberfläche.

Zahlen von nr = 12 kHz, d = 5 mm erhält man

aZF = (2p ·1,2 ·104)2s�22mm = 1,1. ·107m/s2

= 1,2 ·106g ,

also mehr als 1 Million mal die Erdbeschleunigung.

Abbildung 2.111: Loopingbahn.

Die Zentrifugalkraft wird auch in vielen spieleri-schen Anwendungen genutzt, wie z.B. bei einerAchterbahn wie in Abb. 2.111 und 2.112. In Ex-periment von Abb. 2.112 kann man messen, wieschnell ein Fahrzeug durch den Looping fahren mussum nicht herunterzufallen. Dafür muss am höchstenPunkt die Zentrifugalkraft gerade die Erdanziehungkompensieren. Die explizite Rechnung wird in denÜbungen durchgeführt.

Abb. 2.113 zeigt eine Sportart, bei der die Zentrifu-galkraft die Geschwindigkeit beschränkt. Die Zentri-fugalbeschleunigung kann hier direkt gemessen wer-den an der Neigung der Sportler: Die Summe aus

82

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2 Mechanik

1

h

Startposition

Fz

Fg

Abbildung 2.112: Experiment zur Loopingbahn:fällt der Wagen herunter?

Abbildung 2.113: Eisschnellläufer in einer Kurve.

Gewichtskraft und Zentrifugalkraft muss entlang derKörperachse wirken, damit die Läufer stabil um dieKurve fahren.

Wir betrachten als Beispiel eine sich drehendeScheibe, auf der ein Körper liegt. So lange sich die-ser mit der Scheibe dreht, führt er offenbar eine be-schleunigte Bewegung durch. In einem Koordinaten-system, welches an die Scheibe gekoppelt ist, ist erjedoch in Ruhe, d.h. nach Newton’s Axiom dürftekeine Kraft auf ihn wirken. Lässt man ihn los, sodreht sich das Bild: im Ruhesystem ist er jetzt kräf-tefrei und führt deshalb eine gradlinige Bewegungdurch (tangential zur Scheibe). Im rotierenden Koor-dinatensystem beginnt er zunächst, sich radial nachaußen zu bewegen und führt dann eine gekrümmteBewegung aus; gemäß Newtons Axiom müssen so-mit Kräfte auf den Körper wirken. Die Bewegung imrotierenden Koordinatensystem wird aufgezeichnet,indem man die Kugel über ein Kohlepapier rollenlässt.

2.8.10 Corioliskraft

Wenn ein Körper sich auf einer rotierenden Scheibebewegt, so wird er durch die Zentrifugalkraft nachaußen beschleunigt. Er folgt jedoch keiner geradlini-gen Bahn, sondern diese ist gekrümmt. Verantwort-lich dafür ist die zweite Scheinkraft, die als Coriolis-kraft bezeichnet wird, nach dem französischen Phy-siker Gaspard Gustave de Coriolis (1792-1843). DieCorioliskraft kann geschrieben werden als

~FC = 2~p⇥~w ,

wobei der Impuls sich auf das rotierende Koordi-natensystem bezieht. Er führt dazu, dass die Bewe-gung von reibungsfreien Körpern in einem rotieren-den Koordinatensystem gekrümmt ist, falls die Be-wegung eine Komponente senkrecht zur Rotations-achse aufweist.

1

Bahn der Kugel

ω

�2 ~rr

�2~� ⇥ ~vr

Abbildung 2.114: Zentrifugal- und Corioliskraft imDrehstuhl.

Abb. 2.114 zeigt die Richtung der beiden Schein-kräfte für eine Kugel, die zu Beginn radial nachaußen rollt. Die Corioliskraft ist proportional zurGeschwindigkeit des bewegten Körpers und zurWinkelgeschwindigkeit des Systems, wobei nur diesenkrechte Komponente beiträgt. Wenn der Körperaufgrund der Zentrifugalkraft nach außen beschleu-nigt wird, setzt auch die Corioliskraft ein, welcheproportional zur Geschwindigkeit ist und senkrechtzur Geschwindigkeit wirkt, d.h. die Bahn biegt. DerEffekt der beiden Kräfte ist eine spiralförmige Be-wegung nach außen.

83

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2 Mechanik

Die gleichen Kräfte treten z.B. auch bei Bewegun-gen auf der Erdoberfläche auf. Hier ist die Coriolis-kraft z.B. für die Ablenkung der Windsysteme ver-antwortlich. Gäbe es keine Erdrotation so würdendie Winde direkt in Richtung des Zentrums einesTiefdruckgebietes blasen. Aufgrund der Erdrotationwird bewegte Luft jedoch abgelenkt. Die Richtungwird durch das Vektorprodukt ~v⇥ ~

w bestimmt. DerWinkelgeschwindigkeitsvektor ~

w zeigt auf der Er-de nach Norden. Auf der Nordhalbkugel werden dieWinde nach rechts abgelenkt. Dies ist der Grund fürdie dominanten Westwinde in unseren Breitengra-den: es handelt sich um Luft, die aus den Hochdruck-gebieten im Bereich der Sahara nach Norden fließtund dabei durch die Corioliskraft nach Osten abge-lenkt wird.

1

vFC

TW

N

S

E W E

N

S

nördliche Halbkugel südliche Halbkugel

T

Abbildung 2.115: Windrichtung von Tiefdruckge-bieten auf der nördlichen, resp.südlichen Halbkugel.

Gleichzeitig führt die Corioliskraft dazu, dass Luftnicht gerade in ein Tiefdruckgebiet hinein fließt,sondern sich im Gegenuhrzeigersinn darum dreht.Auf der Südhalbkugel wechselt das Vorzeichen von~v⇥ ~

w , die Winde werden nach links abgelenkt unddrehen sich im Uhrzeigersinn um die Tiefdruckge-biete. Abb. 2.115 zeigt die Situation für beide Fälle.

Die resultierende Drehung der Tiefdruckgebiete istpraktisch in jeder Wetterkarte sichtbar. Abb. 2.116zeigt als Beispiel einen Hurrikan über dem südöstli-chen Teil der USA.

Ebenso kann die Drehung der Pendelebene beimFoucault’schen Pendel als Effekt der Coriolis-Kraftverstanden werden. Die Geschwindigkeit der Pen-delmasse ist näherungsweise parallel zur Erdober-

Abbildung 2.116: Hurrikan.

Abbildung 2.117: Das Foucault’sche Pendel.

fläche, während der Rotationsvektor ~w parallel zur

Süd-Nord Achse der Erde steht. Die Projektion desVektorprodukts~v⇥~

w in die Horizontale hat den Be-trag

FC =�2mwv(t)sinj,

wobei j die geographische Breite darstellt. Somitvariiert die Präzessionsgeschwindigkeit mit sinj .An den Polen dreht sich dadurch die Schwingungs-ebene in 24 Stunden einmal um 360�. In Dortmunddauert eine Rotation gegenüber dem terrestrischenBezugssystem rund 30,67 Stunden.

2.8.11 Die Einstein’sche Relativitätstheorie

Nach der Galilei’schen Relativitätstheorie erhältman unterschiedliche Messresultate für die Ge-schwindigkeit eines Körpers, wenn man sie in unter-

84

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2 Mechanik

schiedlichen Bezugssystemen misst, welche sich ge-geneinander bewegen. Galilei versuchte als einer derersten, die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Lichtzu messen. Er verwendete dafür Laternen und eineMessstrecke von 15 km. Um diese Distanz zweimalzurück zu legen, benötigt Licht rund 10�4 Sekunden.Seine Messung konnte deshalb nur eine untere Gren-ze liefern. Die erste erfolgreiche Messung wurde vonOle Römer 1676 durchgeführt, indem er die Ver-dunkelungsperioden der Jupitermonde maß. Er fandeinen Wert von 240000 km/s. Die erste rein terrestri-sche Messung wurde 1849 von Fizeau durchgeführt;er verwendete ähnlich wie Galilei eine Messstrecke,die von Licht zweimal durchlaufen wurde, aber an-stelle von Menschen ein schnell drehendes Zahnrad.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts versuchte man, dieLichtgeschwindigkeit in unterschiedlichen Bezugs-systemen zu messen. Damals ging man davon aus,dass Licht sich in einem Medium namens Äther aus-breitet, welches sowohl im Vakuum wie auch in op-tisch transparenten Materialien vorhanden sei. Mes-sungen der Lichtgeschwindigkeit sollten deshalb In-formationen darüber liefern, wie sich z.B. die Er-de gegenüber dem Äther bewegt. Es wurden ent-sprechend sorgfältige Messungen durchgeführt, z.B.von Michelson und Morley ab 1881. Die Resultatezeigten jedoch keine messbare Richtungsabhängig-keit der Lichtgeschwindigkeit. Zum Beispiel ist dieGeschwindigkeit des Lichts von einem Stern unab-hängig davon, ob sich die Erde auf den Stern zu-oder wegbewegt. In einer 1905 veröffentlichten Ar-beit beschrieb Albert Einstein die Konsequenzen derKonstanz der Lichtgeschwindigkeit. Sie sind Gegen-stand der “speziellen Relativitätstheorie” und weichtin einigen Punkten ab von der Galilei’schen Theorie.Insbesondere die folgenden Grundvoraussetzungender Galilei’schen Theorie gelten nur noch im Grenz-fall niedriger Geschwindigkeiten:

• Die Zeit ist absolut und unveränderlich undhängt nicht von der Bewegung und dem Ort ab.

• Es gibt einen “absoluten Raum”, d.h. ein abso-lut ruhendes System, in dem alle Bewegungs-abläufe stattfinden.

• Die Eigenschaft “Masse” eines Körpers gehtnie verloren oder entsteht aus dem Nichts. Mas-

se ist unabhängig vom Bewegungszustand undbleibt erhalten.

Die Grundannahme der speziellen Relativitätstheo-rie ist, dass die Lichtgeschwindigkeit

c = 299792458ms

in allen möglichen Bezugssystemen konstant ist.Im Rahmen der Galilei’schen Relativitätstheorie istdies nicht möglich. Die Transformationsgleichungenzwischen den Koordinatensystemen müssen deshalbmodifiziert werden. Die entsprechenden Gleichun-gen werden als Lorentz-Transformation bezeichnet.Für eine Relativgeschwindigkeit v in x-Richtung lau-ten die entsprechenden Gleichungen

x0 = g(x� vt)y0 = yz0 = zt 0 = g

⇣t� vx

c2

⌘.

Hier stellt

g =1p

1� (v/c)2=

1p1�b

2

den Lorentz-Faktor dar und

b =vc

ist das Verhältnis zwischen der Relativgeschwin-digkeit v und der Lichtgeschwindigkeit c. Für v⌧c, d.h. b ⌧ 1 und g ! 1 geht die Lorentz-Transformation in die Galilei-Transformation über.

Die spezielle Relativitätstheorie kann im Wesentli-chen folgende Effekte erklären:

Lorentzkontraktion: In zwei gegeneinander beweg-ten Bezugssystemen erscheinen3 die im jeweils an-deren System ruhenden Maßstäbe verkürzt.

Zeitdilatation: In zwei gegeneinander bewegten Be-zugssystemen erscheint die Zeit des jeweils anderenSystems verlangsamt.

3"erscheint" ist hier nicht im Sinn einer Täuschung gemeint,sondern es handelt sich um messbare Tatsachen.

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2 Mechanik

Relativistischer Dopplereffekt: Das Licht von Ster-nen, die sich von uns entfernen, erscheint rotver-schoben.

Relativistische Massenzunahme: Die Lichtge-schwindigkeit kann von Körpern mit Masse nichterreicht werden. Bei gleicher Kraft ist die Beschleu-nigung um so kleiner, je größer die Geschwindigkeitist. Dies kann als Zunahme der Masse gedeutetwerden: m = m0g .

Zwillingsparadoxon: Ein Zwilling begibt sich aufeinen Raumflug, der andere bleibt auf der Erde. Mankann nachrechnen, dass der Raumfahrer bei seinerRückkehr weniger gealtert ist als der andere Zwil-ling. Dies wurde 1971 mit Atomuhren bestätigt, dieauf Linienflugzeugen mitgenommen wurden.

Die 1916 von Einstein vorgestellte “allgemeine Re-lativitätstheorie” ist eine Beschreibung der Gravita-tion als Raumkrümmung in der Umgebung von Mas-sen und beruht auf der Äquivalenz von schwerer undträger Masse.

2.9 Hydrostatik

2.9.1 Aggregatzustände

1

Fest Flüssig Gasförmig

kondensierte Materie

Fluide 2.8 Hydrostatik 2.10 Hydrodynamik, Aerodynamik

Abbildung 2.118: Die drei wichtigsten Aggregatzu-stände.

Die drei wichtigsten Aggregatzustände sind Festkör-per, Flüssigkeiten und Gase (! Abb. 2.118). Diewesentlichsten Unterscheidungsmerkmale sind, dassFestkörper eine Gestalt haben; diese kann unter demEinfluss einer äußeren Kraft ändern, so lange dieseKraft nicht zu groß wird kehrt der Körper jedochnach Nachlassen der äußeren Kraft in die ursprüng-liche Form zurück; man nennt dies Formgedächt-nis. Eine Flüssigkeit besitzt keine bestimmte Form,sie nimmt jedoch ein definiertes Volumen ein. Unterdem Einfluss einer äußeren Kraft kann dieses Volu-men kleiner werden; nach Entfernen der Kraft dehntsich die Flüssigkeit wieder aus bis sie das ursprüngli-che Volumen wieder einnimmt. Man bezeichnet diesals Volumengedächtnis. Ein Gas füllt im Gegensatzdazu immer das gesamte verfügbare Volumen.

Man fasst Festkörper und Flüssigkeiten unter demBegriff “kondensierte Materie” zusammen; Flüssig-keiten und Gase werden unter dem Begriff “Fluide”zusammengefasst.

Diese Eigenschaften sind jedoch nicht absolutscharf: Auch Eis, oder sogar Steine, die üblicherwei-se als Festkörper bezeichnet werden, haben die Ten-denz, unter hohem Druck und über lange Zeiten zufließen. Außerdem gibt es eine Reihe von Substan-zen, die sich nur schlecht in dieses Schema einord-nen lassen: Granulare Medien (z.B. Zucker, Sand)bestehen aus vielen festen Körpern, aber als gesam-te Medien zeigen sie typisches Fließverhalten. Glä-ser sind unterkühlte Flüssigkeiten, die sich für viele

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2 Mechanik

Belange wie Festkörper verhalten.

2.9.2 Spannung

1

dFndF

dAdFt

Abbildung 2.119: Spannung als Quotient aus Kraftund Fläche; Zerlegung in Normal-und Schubspannung.

Spannung ist definiert als Kraft pro Fläche,

S =dFdA

[S] =Nm2 = Pa = Pascal.

Wie in Abb. 2.119 gezeigt, kann eine allgemeineSpannung zerlegt werden in eine Normalspannungs und eine Tangential- (Schub-) Spannung t:

~S = S?+S|| = s + t =dFn

dA+

dFt

dA.

Die Normalspannung wirkt senkrecht zur Fläche, dieSchubspannung parallel dazu. Liegt z.B. ein Körpermit einer Fläche A auf einer horizontalen Unterlage,so wirkt die Normalspannung

S? =F?A

=mgA

.

Mit Hilfe dieser Klassifizierung kann man den Un-terschied zwischen Fluiden und Festkörpern so for-mulieren: Bei Fluiden verschwindet der Schermo-dul, es treten also (im statischen Grenzfall) keineScherspannungen auf.

2.9.3 Flüssigkeitsoberfläche

Die Oberfläche einer ruhenden Flüssigkeit ist im-mer senkrecht zu der Richtung der auf sie wirken-den Kraft, wie in Abb. 2.120 gezeigt. Würde sich

1

Flüssigkeit Flüssigkeit

F FlF Fl

Abbildung 2.120: Die Oberfläche einer ruhendenFlüssigkeit ist immer senkrecht zuder Richtung der auf sie wirken-den Kraft.

ein Flüssigkeitshügel bilden, dann hätte er eine hö-here potentielle Energie als seine Umgebung. Um siezu minimieren, versuchen alle Flüssigkeitsvoluminadie tiefst-möglichen Positionen einzunehmen. Diesist erfüllt, wenn die Oberfläche eine horizontale Ebe-ne bildet. Bei Festkörpern wird dieses „Zerfließen“durch Reibung oder innere Kräfte verhindert.

1

FZ

FG FtotFlüssigkeitsoberfläche

α

α

x

z

tan � = Fz

FG= �2

gx

Abbildung 2.121: Flüssigkeitsoberfläche in einer ro-tierenden Küvette.

Dies kann auch zur Messung der Kraft verwendetwerden. Abb. 2.121 zeigt als Beispiel die Flüssig-keitsoberfläche in einer rotierenden Küvette. Für dieBerechnung der Oberfläche verwendet man die Be-dingung, dass die resultierende Kraft auf ein Flüssig-keitselement immer senkrecht zur Oberfläche steht.Die Kraft auf ein Volumenelement ist gegeben durchdie Vektorsumme aus Schwerkraft

FG = mg

und Zentrifugalkraft

FZ = mxw

2.

87

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2 Mechanik

Die Zentrifugalkraft wirkt in radialer Richtung (x imKoordinatensystem) und die Schwerkraft in vertika-ler Richtung. Damit bildet die die resultierende Kraftmit der Vertikalen einen Winkel a , gegeben durch

tana =Fz

FG=

w

2

gx.

Die Steigung nimmt somit mit dem Abstand x vonder Drehachse zu und die Oberfläche selber folgt derFunktion

h(x) =Z x

0tanadx =

Z x

0

w

2

gxdx =

w

2

2gx2,

also einer Parabel.

2.9.4 Hydrostatischer Druck

1

Fz

FyFyFx

Fz

Fx

Abbildung 2.122: Hydrostatischer Druck.

Man spricht von hydrostatischem Druck, wenn dieNormalspannung aus allen Raumrichtungen gleichist und die Scherspannung verschwindet. Wie inAbb. 2.122 gezeigt sind dann die Kräfte auf die Sei-ten eines infinitesimalen Würfels alle gleich groß,Fx = F< = Fz. Man verwendet dann anstelle vonSpannungen die skalare Größe Druck und verwen-det das Symbol p. Spannungen allgemein und da-mit auch der Druck werden im SI System in derEinheit Pascal = N/m2 gemessen. Normaldruck, d.h.der mittlere Luftdruck auf Meereshöhe, (1 atm) ent-spricht ca. 105 N/m2. Nach DIN ist der Normaldruck101325 Pa (=760 mm Hg), ebenso in der Medizin,nach IUPAC 100000 Pa.

Ist die vertikale Ausdehnung eines Systems vonRohren klein, so herrscht innerhalb im Gleichge-wicht überall derselbe Druck. Dies kann man u.A.für die Übertragung und Umwandlung von Kräftenverwenden.

1

F1 F2

A1 A2

p p

kleiner Kolben großer Kolben

Abbildung 2.123: Hydraulische Presse.

Damit gilt für die beiden Kolben in Abb. 2.123

F1

A1= p =

F2

A2) F2 = F1

A2

A1.

Somit lassen sich auch kleine Kräfte F1 in sehr großeKräfte F2 umwandeln, sofern das FlächenverhältnisA2/A1 entsprechend gewählt wird. Die Wege, die da-bei zurückgelegt werden, verhalten sich genau ent-gegengesetzt.

Abbildung 2.124: Hydraulischer Lift.

Auf diese Weise werden z.B. mit hydraulischenPressen große Kräfte erzeugt (! Abb. 2.124).

2.9.5 Schweredruck

Bei tiefen Flüssigkeiten und Gasen tritt ein Schwe-redruck auf: zusätzlich zum Außendruck wirkt anjeder Stelle die Gewichtskraft der darüber liegen-den Flüssigkeit. Die Gewichtskraft einer Flüssig-keitssäule mit Querschnittsfläche A, Dichte r und

88

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2 Mechanik

FS = mg

h1

h2A

Abbildung 2.125: Berechnung des Schweredrucks.

Höhe h = h1�h2 (! Abb. 2.125) beträgt

FS = mg = V r g = Ahr g.

Wenn sich das in Abb. 2.125 markierte Volumen-element im Gleichgewicht befindet, muss diese Ge-wichtskraft FS durch eine entsprechende Kraft kom-pensiert werden, welche auf die Unterseite des Volu-menelements wirkt, zusätzlich zur Kraft, welche die-jenige auf die Oberseite kompensiert. Der Druckun-terschied zwischen oben und unten muss somit

pS =FS

A= hr g

sein. Dieser Druckbeitrag wird als Schweredruck be-zeichnet.

Der gesamte hydrostatische Druck p(z) ist demnach

p(z) = pa + zr g, (2.17)

wobei pa den Außendruck an der Oberfläche dar-stellt und z die Distanz zur Oberfläche. Der Druckist somit nur abhängig von der Dichte der Flüssig-keit und von der Höhe der Flüssigkeitssäule. Für denFall von Wasser gilt

rW g = 103 kgm3 ·9,81

ms2 ⇡ 104 kg

m2s2

= 0.1 ·105 N/m2

m⇡ 0.1

atmm

,

d.h. der Druck nimmt pro 10 m Tiefe um 1 atm (⇡105 N/m2) zu. Innerhalb des Systems ist der Druck

Abbildung 2.126: Kommunizierende Röhren.

nur von der Höhe abhängig, nicht vom (horizon-talen) Ort. Dieses Prinzip gilt für alle unbewegtenFluide.

Eine Konsequenz davon ist, dass die Flüssigkeit ineinem System von verbundenen (=“kommunizieren-den”) Röhren überall bis zur gleichen Höhe auf-steigt, unabhängig vom Querschnitt und Form derRohre. Abb. 2.126 zeigt dies für ein System von ver-bundenen Glasgefäßen.

Abbildung 2.127: Druckverteilung im Wasserrohr-Netz.

Die gleichmäßige Verteilung des Drucks in einemSystem von Röhren wird verwendet, um den Wasser-druck in der städtischen Wasserversorgung sicher-zustellen: Wie in Abb. 2.127 gezeigt, muss das Re-servoir mindestens so hoch liegen wie das höchsteHaus. Eine Erweiterung dieses Prinzip ist, dass man- in einer gewissen Näherung - die Rohre auch weg-lassen darf: Eine Fontäne erreicht die Höhe des Was-serspiegels im Reservoir.

Es ist jedoch auch möglich, einen Springbrunnen zubauen, dessen Fontäne höher steigt als die Wassero-berfläche des Reservoirs. Wie in Abb. 2.128 gezeigt,wird dafür auf einem Teil der Strecke der Drucknicht durch Wasser übertragen, sondern durch Luft.Der Schweredruck der Luft ist fast tausendmal ge-ringer als derjenige des Wassers und kann deshalb

89

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2 Mechanik

1

h

p0

p0 + ρ g h

p0 + ρ g h

Fontäne steigt höher als Flüssigkeits-oberfläche

Abbildung 2.128: Hero’s Springbrunnen.

praktisch vernachlässigt werden. Dadurch steigt dieFontäne entsprechend höher. Das Prinzip wurde vonHeron von Alexandria (wahrscheinlich 1. Jhd nachChr.).

2.9.6 Hydrostatischer Druck in Gasen

Im Falle von Gasen ist die Dichte abhängig vomDruck. Die Druckzunahme ist deshalb nicht mehrproportional zur Höhe der Gas-Säule. Für die Be-rechnung der Höhenabhängigkeit des Druckes in derAtmosphäre betrachtet man zunächst eine Schicht,welche so dünn ist, dass die Dichte noch als konstantbetrachtet werden kann. Die Druckänderung durchdiese Schicht ist dann wie bei einer Flüssigkeit

d p =�r gdh,

wobei h nach oben zunimmt und somit der Druck ab-nimmt. Für ein ideales Gas gilt bei konstanter Tem-peratur:

r = r0pp0

(Boyle�MariotteGesetz),

mit p0 als Referenzdruck und r0 als Referenzdichte.Damit wird

d p =�r0pp0

gdh.

Trennung der Variablen und Integration ergibtZ p

p0

d pp

=�r0

p0g

Z h

0dh = ln

pp0

=�r0

p0gh

oder

p = p0 exp(�r0

p0gh),

d.h. der Druck nimmt mit zunehmender Höhe expo-nentiell ab.

0 10 20

Höhe ü. M. / km

1

0.8

0.6

0.4

0.2

0D

ruck

p [a

tm]

Abbildung 2.129: Atmosphärischer Druck als Funk-tion der Höhe.

Numerische Werte für diese Parameter sind für Nor-malatmosphäre (T = 0�C, p0 = 1,013·105 Pa) r0 =1,293 kg/m3. Damit hat das Produkt r0g/p0 den nu-merischen Wert 1,254·10�4 m�1 oder

p = p0 e�h/8km.

Interessant dabei ist, dass die Druckabnahme mit derHöhe rein aus Messungen an der Erdoberfläche be-rechnet werden kann. Abb. 2.129 zeigt den Druckals Funktion der Höhe. Er fällt pro 8 km Höhe auf1/e oder pro 5,5 km auf die Hälfte ab. In Wirklich-keit variieren sowohl die Temperatur wie auch dieZusammensetzung der Erdatmosphäre mit der Hö-he. Die obige Formel gibt aber eine gute Näherungfür das tatsächliche Verhalten.

2.9.7 Das Prinzip von Archimedes

Ein Effekt des Schweredrucks ist, dass das schein-bare Gewicht eines Körpers in einer Flüssigkeit ge-ringer ist als im Vakuum. Dies wird als Auftrieb be-zeichnet. Typische Anwendungen davon sind Schif-fe oder andere Körper, welche auf dem Wasserschwimmen.

90

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2 Mechanik

FS = mg

h1

h2A

Abbildung 2.130: Auftrieb: der Druck auf die untereFläche ist größer als auf die obereFläche.

Dieser Effekt lässt sich relativ leicht am Beispiel ei-nes Kubus in einer Flüssigkeit berechnen (! Abb.2.130). Der Druck auf die beiden Seitenflächen istder gleiche; in horizontaler Richtung heben sich dieDruckkräfte somit auf. Der Druck auf den Boden istaber aufgrund des Schweredrucks größer als auf dieobere Fläche. Damit erhält man eine resultierendeDruckkraft auf den Körper, die nach oben wirkt. Dieresultierende Kraft kann direkt aus der Druckdiffe-renz berechnet werden, welche durch den Schwere-druck (2.17) erzeugt wird:

FA = F2�F1 = A(p2� p1)

= Ar f lg(h2�h1) = r f lgV= mverdrangtg = FG,verdrangt . (2.18)

Abbildung 2.131: Archimedes von Syrakus (287 -212 v. Chr.).

Gleichung (2.18) beschreibt das Prinzip von Archi-

medes:

Die Auftriebskraft entspricht der Gewichtskraftder verdrängten Flüssigkeit.

Dieses Resultat wurde hier für einen Kubus hergelei-tet. Das Resultat ist aber allgemein gültig, unabhän-gig von der Form des Körpers. Dieses Gesetz wur-de zuerst von Archimedes (! Abb. 2.131) formu-liert und wird deshalb als Prinzip von Archimedesbezeichnet. Es ist eines der ältesten immer noch gül-tigen physikalischen Gesetze.

2.9.8 Auftriebsmessungen

Abbildung 2.132: Der Holzblock klebt am Bodendes Wassertanks.

Man kann die Kraft auf die Unterseite eliminieren,indem man den Körper so auf dem Boden drückt,dass keine Flüssigkeit darunter bleibt. Abb. 2.132zeigt einen Holzblock, der am Boden des mit Was-ser gefüllten Glasgefäßes klebt. Weil unter dem Kör-per kein Wasser ist, wirkt dort ein hydrostatischerDruck, der Körper erfährt keinen Auftrieb. Erst nacheiner gewissen Zeit gelangt Wasser wieder darunterund erzeugt Auftrieb.

Der Auftrieb reduziert das Gewicht des schwimmen-den Körpers. Dabei steigt jedoch der Flüssigkeitspe-gel und damit der Schweredruck, der auf den Bodendes Gefäßes wirkt. Die Gewichtskraft des schwim-menden Körpers wird somit auf den Boden des Ge-fäßes übertragen. Dies kann man z.B. mit der Was-serglaswippe nachweisen: Hier werden 2 teilweisemit Wasser gefüllte Bechergläser auf einer Waage imGleichgewicht gehalten. Taucht man einen Finger in

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2 Mechanik

eines der Bechergläser, so steigt dessen Wasserober-fläche und es wird schwerer als das auf der Gegen-seite.

Abbildung 2.133: Messung des Auftriebs.

Der Auftrieb kann experimentell gemessen werden,indem man die Reduktion der Gewichtskraft misst,wenn der Körper in eine Flüssigkeit eingetaucht wird(! Abb. 2.133). Die verdrängte Flüssigkeitsmengewird dadurch gemessen, dass sie in einem Becher-glas aufgefangen wird. Wird sie anschließend in denoberen Behälter gegossen, welcher am gleichen Fe-derkraftmesser hängt wie der Aluminiumblock, somisst man wieder die gleiche Kraft wie ohne dieWirkung des Auftriebs.

Eine Messung des Auftriebs kann auch dazu verwen-det werden, um die Dichte eines Körpers zu bestim-men. Misst man sein Gewicht ohne Auftrieb, so istes gegeben durch

FG = mg = grV.

Misst man das Gewicht mit Auftrieb in einer Flüs-sigkeit der Dichte rFl , so erhält man

FG,A = g(r�rFl)V.

Das Verhältnis ist

FG,A

FG=

r�rFl

r

.

Somit ist die Dichte des Körpers

r =rFl

1�FG,A/FG.

Der Legende nach nutzte Archimedes dies, um dieDichte des Metalls in der Krone von König HieronII von Syrakus zu bestimmen. Beispiel: Das Gewichtbetrage in Luft 13,5 N und in Wasser 12,214 N. Diesergibt

r =1000

1�12,214/13,5kgm3 = 10498

kgm3 .

Dies passt gut zur Dichte von Silber (r = 10,49g/cm3).

Ein wichtiges Beispiel ist Eis in Wasser. Die Dich-te von Eis liegt bei etwa 0,92 g/cm3. Deshalbschwimmt es auf dem Wasser, wobei rund 92% desVolumens eines Eisblocks unter Wasser sind.

Im Fall der cartesischen Taucher kann man die Dich-te der Körper über den Druck steuern: Sie enthaltenLuftkammern, welche bei entsprechendem Druckkomprimiert werden. Durch die Verkleinerung desVolumens steigt die Dichte und die Taucher sinkenab.

2.9.9 Auftrieb in Luft

Abbildung 2.134: Ballonflug.

Nicht nur in Flüssigkeiten, sondern auch in Luft undanderen Gasen existiert dieser Auftrieb. Dies ist z.B.die Grundlage für den Ballonflug (! Abb. 2.134),kann aber auch anhand eines einfachen Laborexpe-rimentes nachgewiesen werden.

92

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2 Mechanik

Abbildung 2.135: Auftriebswaage.

Man kann den Effekt u.a. nachweisen, indem mandie Luft entfernt (siehe Abb. 2.135). Im Experimentwird der Auftrieb für 2 Körper gemessen, welche inder Atmosphäre gleich schwer sind. Der eine davonbesteht aus Blei, der andere aus Styropor.

FG

Styropor

in Luft mit Auftrieb

Blei

FA

Fres FG

FA

Fres

Abbildung 2.136: Gleichgewicht in Luft.

In Luft sind die beiden Körper im Gleichgewicht.Wie in Abb. 2.136 gezeigt, ist die Summe Fres ausSchwerkraft FG und Auftrieb FA ist für beide gleich.Wird die Luft abgepumpt, so verschwindet der Auf-trieb. Da dieser für den größeren Körper erheblichgrößer ist, als für den kleinen Körper sinkt er ab.

Der Auftrieb für den eingetauchten Körper bedeu-tet umgekehrt, dass das Gefäß, welches die Flüssig-keit enthält, entsprechend schwerer wird. Man kanndies dadurch verstehen, dass die Flüssigkeitssäule,welche auf den Boden des Gefässes drückt, entspre-chend dem verdrängten Volumen höher gewordenist.

2.9.10 Kompressibilität

Unter dem Einfluss des Druckes ändert jedes realeMedium sein Volumen um DV . In linearer Näherungist die Volumenänderung proportional zum VolumenV und zur Druckänderung Dp:

DVV

=�kDp =DpK

, [k] = m2N�1 ,

wobei die Proportionalitätskonstante k als Kompres-sibilität bezeichnet wird. Sie ist das Inverse desKompressionsmoduls K.

Die Dichte eines Mediums ist definiert als Masse proVolumen; da das Volumen mit zunehmendem Druckabnimmt, steigt somit die Dichte an. Für infinitesi-male Änderungen gilt

Dr

r

=�DVV

= k Dp .

Diese Gleichungen gelten sowohl für Flüssigkeitenwie auch für Gase; bei Flüssigkeiten ist die Kom-pressibilität jedoch sehr viel geringer als bei Gasen.Typische Werte für die Kompressibilität von Flüs-sigkeiten sind rund zwei Größenordnungen höher alsbei Festkörpern. Einige Beispiele sind (bei 20 �C, 1atm):

Flüssigkeit k

Quecksilber 0,4·10�10m2/NWasser 5·10�10m2/NBenzol 10·10�10m2/NÄthanol 10·10�10m2/N

Für ein ideales Gas ist die Kompressibilität kig =1/p, bei Normaldruck also 10�5 m2/N und damit umrund 4 Größenordnungen über dem entsprechendenWert für eine typische Flüssigkeit. Die Größenord-nung der Kompressibilität ist somit, neben der Dich-te, das wesentliche Kriterium, welches Flüssigkeitenvon Gasen unterscheidet.

Man kann damit z.B. die Kompression von Wasserin einer Tiefe von 4000 m (=mittlere Meerestiefe)ausrechnen. Hier beträgt der Druck 4·107 N/m2 unddie entsprechende Volumenänderung etwa

DVV

=�k p =�5 ·10�10 ·4 ·107 =�0.02 =�2%.

93

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2 Mechanik

Eine Volumenänderung wird auch durch eine Tem-peraturänderung erzeugt:

DVV

= gDT [g] =1K

.

Die Proportionalitätskonstante wird als Volumen-ausdehnungskoeffizient bezeichnet. Wie bei derKompressibilität ist der Volumenausdehnungskoeffi-zient für Flüssigkeiten sehr viel kleiner als für Gase.Für ideale Gase ist g = 1/T (~1/300K bei Raumtem-peratur).

2.10 Grenzflächeneffekte

2.10.1 Oberflächenspannung

An Grenzflächen treten besondere Effekte auf, wel-che im Volumen nicht beobachtbar sind. Die mole-kulare Grundlage dafür sind Kohäsionskräfte, d.h.Kräfte zwischen gleichartigen Atomen / Molekülen.In den meisten Flüssigkeiten dominieren dabei vander Waals Kräfte. Sie erniedrigen die Energie desMoleküls gegenüber einem Molekül im Vakuum undsind damit die Ursache dafür, dass sich Flüssigkeitenüberhaupt bilden. Eng verwandt damit sind Adhä-sionskräfte: diese wirken zwischen Molekülen ver-schiedener Stoffe, also z.B. zwischen einem Molekülin der Flüssigkeit und einer festen Oberfläche.

Abbildung 2.137: Berechnung der Oberflächenspan-nung.

Befindet sich ein Molekül an der Oberfläche einerFlüssigkeit so ist es weniger Kohäsionskräften aus-gesetzt und seine Energie ist höher als im Innern derFlüssigkeit. Auf solche Moleküle wirkt deshalb ei-ne Kraft ~Fresultierend nach innen. Mit einer Oberflächeist deshalb eine potenzielle Energie verbunden, die“Oberflächenenergie”. Diese ist in guter Näherungproportional zur Oberfläche. Somit erhält man eineuniverselle Beschreibung, wenn man die spezifischeOberflächenenergie, also den Quotienten aus Ener-gie und Oberfläche betrachtet:

sA =dWdA

[sA] =Nm

.

Diese Größe wird auch als Oberflächenspannung be-zeichnet. Die Energie dW muss dem System als Ar-beit zugeführt werden, um die Oberfläche um dA zu

94

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2 Mechanik

vergrößern (! Abb. 2.137). Im Gegensatz zu Span-nungen im Volumen handelt es sich hier aber um ei-ne Kraft pro Längeneinheit. Dies ist mit einem Blickauf Abb. 2.137 auch nachvollziehbar: je länger derBügel, desto mehr Kraft muss aufgewendet werden.

Abbildung 2.138: Messung der Oberflächenspan-nung.

Die Grenzflächenspannung kann gemessen werden,indem man an einem Bügel zieht, an den eine La-melle anschließt. Wie in Abb. 2.138 gezeigt, wirddabei di Oberfläche der Lamelle vergrößert, wobeider Oberflächenzuwachs auf beiden Seiten der La-melle erfolgt. Bei einem Radius r des Kreises wirddie Oberfläche der Lamelle um den Betrag

DA = 2Dh` = 2Dh2pr

vergrößert, wobei ` = 2pr den Umfang des Bü-gels darstellt und Dh die Höhenänderung. Der Faktor2 berücksichtigt, dass die Flüssigkeitslamelle zweiOberflächen besitzt. Die Kraft, welche für die Ver-größerung der Oberfläche benötigt wird, lässt sichberechnen aus der Änderung der OberflächenenergieWS pro Wegelement Dh:

F =WS

Dh= sA

DADh

= 4pr sA.

Im Experiment hat der Ring einen Radius von 1 cm.Man misst eine Kraft von ca. 10 mN, was einer Ober-flächenspannung von

sA =F

4pr=

0,014p0,01

Nm

= 0,08Nm

entspricht, in guter Übereinstimmung mit dem Lite-raturwert von 0.072 N/m (Wasser bei 20 �C).

Abbildung 2.139: Wasserläufer.

Die Oberflächenspannung wird häufig von kleinenTieren wie z.B. Wasserläufern durchgeführt (!Abb. 2.139): Sie können auf dem Wasser gehen, weilIhre Körpergewicht so klein ist, dass die Kraft aufdie Wasseroberfläche kleiner ist als die Kraft, wel-che benötigt würde, um ein Loch in der Wasserober-fläche zu drücken und damit die Oberfläche zu ver-größern.

Oberflächenspannungen kann es sowohl zwischenfesten Körpern und Gasen wie zwischen Flüssigkei-ten und Gasen oder zwischen zwei Flüssigkeiten ge-ben.

Am größten sind die Oberflächenspannungen beiMetallen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Me-tallatome eine sehr starke Wechselwirkung unterein-ander besitzen. Wasser besitzt im Vergleich mit an-deren Flüssigkeiten ebenfalls eine relativ hohe Ober-flächenspannung. Dies ist ein Hinweis auf die relativstarken intermolekularen Kräfte in Wasser, welcheauch für den relativ hohen Siedepunkt (im Vergleichzu gleich schweren Molekülen) verantwortlich sind.

2.10.2 Minimalflächen

Im Gleichgewicht besitzt ein System die niedrigstemögliche Energie. Dazu gehört offenbar, dass dieOberflächen möglichst klein sind. Oberflächen sinddeshalb Minimalflächen.

In Abb. 2.140 wird dies anhand von Einzelbil-dern beim Abfallen eines Wassertropfens gezeigt:Zunächst findet man ein Gleichgewicht von Ober-flächenspannung und Schwerkraft; erst wenn dieFlüssigkeitsmenge groß genug wird überwiegt die

95

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2 Mechanik

Abbildung 2.140: Entstehung eines Wassertropfens.

Schwerkraft und der Tropfen reist ab. Der Tropfennimmt darauf Kugelform (eine Minimalfläche) an,wobei transiente Schwingungen um die Gleichge-wichtsform beobachtet werden können.

1

Öl

wässrige Phase

Abbildung 2.141: Tenside an unterschiedlichenGrenzflächen.

Die Oberflächenspannung kann durch Zusatzstof-fe stark variiert werden. Die geschieht z.B. durchsogenannte Tenside. Das sind Moleküle, die sichan der Grenzfläche einordnen und sowohl mit derwässrigen, wie auch mit der anderen Phase (Luftoder Öl) eine anziehende Wechselwirkung haben,wie in Abb. 2.141 gezeigt. Solche Moleküle werdenz.B. in Waschmitteln verwendet, und sie spielen invielen biologischen Systemen eine wichtige Rolle,z.B. in der Lunge, wo sie eine wesentlich effizien-tere Atmung ermöglichen. Im Experiment nehmenÄthermoleküle in Wasser diese Funktion. Sie redu-zieren die Oberflächenspannung. Dadurch werdenbeim Abtropfen aus einem Glasrohr kleinere Trop-fen erzeugt, was z.B. über die Zunahme der Tropf-Frequenz gemessen werden kann.

Minimalflächen kann man z.B. erzeugen, indem

Abbildung 2.142: Minimalfläche in einem Würfel.

man Seifenlamellen aufspannt. Je nach Randbedin-gung (Drähte) erzeugen die Seifenlamellen diejeni-gen Oberflächen, welche die Größe der Lamelle mi-nimieren. Abb. 2.142 zeigt ein Beispiel.

2.10.3 Seifenblasen

Ein Beispiel wo keine Drähte benötigt werden, istdie Seifenblase. Hier ist das Volumen durch die ein-geschlossene Gasmenge vorgegeben. Die Minimal-fläche bei gegebenem Volumen ist eine Kugel. Durchdie Seife wird die Oberflächenspannung reduziertauf 30 mN/m. Wir untersuchen folgende Fragen:

• Wie hoch ist der Druck im Innern der Seifen-blase im Vergleich zum Außendruck?

• Was passiert, wenn eine große und eine kleineSeifenblase zusammenkommen?

Wir berechnen zunächst die Arbeit, welche benötigtwird, um den Radius der Kugel von r auf r + dr zuvergrößern. Die Kraft ist gegeben durch das Produktaus Druckdifferenz p und Oberfläche A. Der zurück-gelegte Weg ist gegeben durch die Änderung dr desRadius. Damit wird die Arbeit

dW = F dr = pAdr = p4pr2 dr,

Diese Arbeit wird benötigt, um die Oberflächenener-gie zu vergrößern,

dW = sdA = s [4p(r +dr)2�4pr2]

= s [4pr2 +8prdr�4pr2] = s8prdr,

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2 Mechanik

wobei wie üblich der Term µ dr2 (quadratisch ineiner infinitesimalen Größe) weggelassen wurde.Gleichsetzen der beiden Terme ergibt

p4pr2 dr = s 8pr dr ! p = 2s

r. (2.19)

Für eine Seifenblase mit einem Radius von r = 1.8cm erhält man z.B. einen Überdruck von p = 3.33N/m2.

1

%

&

!

Abbildung 2.143: Druckausgleich zwischen 2Seifenblasen.

Der Druck ist indirekt proportional zum Radius, d.h.in größeren Seifenblasen ist der Druck kleiner. Wer-den zwei Seifenblasen durch ein Rohr so verbunden(!Abb. 2.143), dass Gas aus der einen in die ande-re fließen kann, so pumpt die kleinere die größereauf. Die resultierende gemeinsame Seifenblase be-sitzt wiederum eine minimale Oberfläche.

Die Abhängigkeit (2.19) des Drucks vom Durch-messer der Seifenblase hat wichtige Konsequenzen,z.B. für unsere Lunge. Zweck der Atmung ist es,Sauerstoff aus der Luft in die Blutbahn zu überfüh-ren und CO2 aus dem Blut in die Luft. Damit die-ser Austausch effektiv stattfindet, benötigt die Lun-ge eine große Oberfläche von rund 100 m2. Da-mit diese im Brustkorb Platz findet, wird sie aufkleine Lungenbläschen aufgeteilt: diese besitzen eingroßes Oberflächen/Volumen Verhältnis. Der Nach-teil ist, dass damit laut Gleichung (2.19) ein sehrhoher Druck entsteht, den unser Atemsystem nichtüberwinden könnte. Die Natur hat dieses Problemmit Hilfe von oberflächenaktiven Substanzen gelöst,welche die Oberflächenspannung und damit den be-nötigten Druck reduzieren.

2.10.4 Benetzung

Befinden sich Flüssigkeiten auf Oberflächen, soexistieren drei verschiedene Arten von Grenzflä-chen (fest-flüssig, fest-gas und flüssig-gas). Dadurchkommt es zu einem Wettbewerb zwischen Kohäsi-onskräften und Adhäsionskräften. Adhäsionskräfteerniedrigen die Energie eines Moleküls, welches inKontakt ist mit einer festen Oberfläche.

1

flüssig

keine BenetzungBenetzung

Adhäsionskraft > Kohäsionskraft Adhäsionskraft < Kohäsionskraft

Ausbreitung der Flüssigkeit auf der Oberfläche

gasförmig

fest

Flüssigkeit zieht sich tropfenförmig zusammen

flüssiggasförmig

fest

Abbildung 2.144: Benetzung und Definition desKontaktwinkels.

Ist die Adhäsion stärker als die Kohäsion, wird dieKontaktfläche zwischen Flüssigkeit und Oberflächevergrößert. Dies ist z.B. für Wasser auf Glas derFall. Man quantifiziert das Verhältnis von Kohäsi-on zu Adhäsion über den Randwinkel a (! Abb.2.144). Dieser stellt sich als Gleichgewichtswert da-durch ein, dass die drei Grenzflächenspannungen(fest-flüssig, fest-gasförmig und flüssig-gasförmig)gleichzeitig minimiert werden müssen. Ist der Be-netzungswinkel kleiner als 90� so spricht man vonBenetzung; liegt er bei 0� so handelt es sich um voll-ständige Benetzung. Bei a > 90� liegt eine nicht be-netzende Flüssigkeit vor.

Einige Beispiele für Benetzungswinkel:

Grenzfläche a

Wasser auf fettfreiem Glas ⇡ 0�

Wasser auf Paraffin 105-110Quecksilber auf Glas 140Quecksilber auf Stahl 154

Quecksilber ist ein typisches Beispiel einer nicht be-netzenden Flüssigkeit. In diesem Fall sind die Ko-häsionskräfte stärker als die Adhäsionskräfte. Das

97

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2 Mechanik

System verkleinert deshalb die Kontaktfläche. DieseEigenschaft ist eine Folge der hohen Oberflächen-spannung von Quecksilber.

2.10.5 Kapillarkräfte

Grenzflächeneffekte erzeugen auch die so genann-ten Kapillarkräfte: Die Energie, welche ein Systemdurch die Vergrößerung der Kontaktfläche gewinnt,kann dazu verwendet werden, um die Flüssigkeit aufeine größere Höhe anzuheben.

Flüssigkeit, z.B. Wasser

Rohr

Steighöhe

Abbildung 2.145: Kapillarkräfte.

Die Kraft, welche die Flüssigkeit in der Kapillarenach oben zieht, kann in erster Näherung berechnetwerden, wenn man die Oberfläche in der Kapillareals Halbkugel annähert, was etwa dem in Abb. 2.145gezeigten Fall entspricht. Dann ist die Druckdiffe-renz gegeben durch Gleichung (2.19) und die Kraft,welche die Flüssigkeitssäule nach oben zieht, als dasProdukt aus Druckdifferenz und QuerschnittflächeA:

F" = A2sA

R,

wobei R den Krümmungsradius der Oberfläche be-zeichnet (!Abb. 2.145). Wird die Kapillare voll-ständig benetzt (Kontaktwinkel a ⇡ 0) so ist dieserKrümmungsradius gerade gleich dem Radius r derKapillare. Diese Kraft muss gerade die Gewichts-kraft der Flüssigkeit in der Kapillare kompensieren,welche

FG = mg = rAhg

beträgt. Offenbar ist das Gleichgewicht erreichtwenn die beiden Kräfte gleich sind, F" = FG. Dieswird bei der Höhe

h =2sA

r r g

erreicht. Die Steighöhe ist somit proportional zurOberflächenspannung und invers proportional zumRadius der Kapillare. Für Wasser (sA = 0.072 N/m)in einer Kapillare von 0.1 mm Radius erhält man so-mit eine Steighöhe von 0.144 m ~ 14 cm.

1

Anordnung der Platten Flüssigkeitspiegel

α d

xx = 20 mm

h = 11 mm

Abbildung 2.146: Kapillarkräfte zwischen 2 Glas-platten. Links blickt man vonoben auf die Anordnung, rechtsvon der Seite.

Man kann dies auch mit Hilfe von Glasplatten zei-gen. Wie in Abb. 2.146 links dargestellt, stehenzwei Glasplatten unter einem spitzen Winkel, so dassder keilförmige Bereich dazwischen unterschiedli-che Kapillardurchmesser darstellt. Man findet einehyperbolische Abhängigkeit der Steighöhe von derPosition und damit vom Abstand der Platten.

Ist die Benetzung nicht vollständig (d.h. der Kontakt-winkel a > 0�), so fällt der Effekt entsprechend ge-ringer aus.

h =2sA

r r gcosa .

Auch hier kann der umgekehrte Fall eintreten, dassdie Kohäsionskräfte stärker sind. In diesem Fall ist a

> 90� und cosa < 0: es kommt also zu einer Kapillar-depression, d.h. die Flüssigkeitsoberfläche im Innernder Kapillare ist tiefer als außen, wie in Abb. 2.147gezeigt.

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2 Mechanik

Flüssigkeit, z.B. Quecksilber

Rohr

Abbildung 2.147: Kapillardepression.

2.11 Hydrodynamik undAerodynamik

Genau wie die Hydrostatik behandelt die Hydrody-namik, respektive die Aerodynamik, Fluide. Im Ge-gensatz zur Hydrostatik, wo sich das Medium imstationären Gleichgewicht befindet, wird hier jedochein bewegtes Medium behandelt. Durch die Bewe-gung kommen 2 Aspekte dazu, welche bei der Hy-drostatik nicht diskutiert wurden:

• In bewegten Fluiden existieren Scherspannun-gen auf Grund der endlichen Viskosität. Dieseinnere Reibung ist proportional zum Geschwin-digkeitsgradienten.

• Bewegte Fluide besitzen kinetische Energie. Esfindet deshalb eine Umwandlung von potenzi-eller (Höhe, Druck) in kinetische Energie (undumgekehrt) statt.

Der wichtigste Unterschied zwischen strömendenFlüssigkeiten und strömenden Gasen ist, dass manbei Flüssigkeiten meist davon ausgehen kann, dassdie Volumenänderungen der Flüssigkeit gering sind,d.h., dass es sich um ein inkompressibles Mediumhandelt. Im Falle der Aerodynamik (bei Gasen) mussdie Kompressibilität berücksichtigt werden.

2.11.1 Stromlinien undGeschwindigkeitsfelder

Um ein strömendes Medium zu beschreiben, gibtes verschiedene Methoden. Die Lagrange-Methode

entspricht einer zeitlichen Verfolgung der Masse-elemente dm. Einfacher ist die Euler-Methode beider zu einem beliebigen Zeitpunkt die Geschwindig-keitsvektoren der einzelnen Masseelemente betrach-tet werden.

vFlüssigkeits-

element

Stromlinie

Abbildung 2.148: Darstellung eines Flussfeldes mitFlusslinien.

Die Gesamtheit dieser Geschwindigkeitsvektorenwird als Geschwindigkeitsfeld bezeichnet. Zur Dar-stellung verwendet man meist Stromlinien (! Abb.2.148). Dabei handelt es sich um orientierte Kur-ven, welche den Weg der Flüssigkeitselemente ver-folgen. Die momentane Tangente an diese Kurvenergibt jeweils die lokale Richtung der Strömungs-geschwindigkeit. Im Rahmen der Vorlesung werdendie Stromlinien meist als stationär angenommen.

v

Gebiet hoher Geschwindigkeit

Gebiet niedriger Geschwindigkeit

Abbildung 2.149: Stromliniendichte als Maß für dielokale Geschwindigkeit.

Die Dichte der Stromlinien ist ein Maß für den Be-trag der Geschwindigkeit: Je größer die Anzahl derStromlinien durch eine Fläche sind, desto größer istdie Stromdichte und damit die lokale Geschwindig-keit. Wie in Abb. 2.149 gezeigt kann man dies zei-gen, indem man gleiche Volumina (rot eingezeich-net) betrachtet, welche durch Stromlinien einge-schlossen werden. Die Länge des Volumenelements

99

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2 Mechanik

entspricht der Verschiebung pro Zeiteinheit. Für in-kompressible Fluide muss somit die Geschwindig-keit in einem Bereich hoher Stromliniendichte höhersein, als in einem Gebiet niedriger Stromliniendich-te.

Diese Stromlinien können auch sichtbar gemachtwerden; sie sind nicht nur ein theoretisches Konzept.Man injiziert dafür z.B. gefärbtes Wasser oder kleinePartikel in das fließende Medium.

Abbildung 2.150: Laminare Strömung um einen Zy-linder.

In Abb. 2.150 werden die Stromlinien beim Umflie-ßen eines Zylinders dargestellt. Sie zeigen, dass aufder Vorder- und Hinterseite ein Stau entsteht, also ei-ne Region geringer Geschwindigkeit, und auf beidenSeiten eine Region hoher Geschwindigkeit.

Abbildung 2.151: Automobil im Windkanal.

Abb. 2.151 stellt entsprechende Untersuchungen aneinem Automobil in einem Windkanal dar. Die Strö-mungslinien werden sichtbar gemacht, indem Rauchin den Gasstrom geblasen wird. Solche Experimen-te spielen z.B. für den Entwurf von Fahrzeugen undFlugzeugen eine wichtige Rolle.

Strömungen werden als stationär bezeichnet, wenn

die Stromlinien zeitlich konstant sind. Es gibt lami-nare und turbulente Strömungen.

1

langsam laminar

schnell turbulent

ungefärbtes Wasser

gefärbtes Wasser

Wirbel

Abbildung 2.152: Laminare und turbulente Strö-mungen.

In Abb. 2.152 geht die Strömung von laminar nachturbulent über. Dies geschieht z.B. bei höherer Ge-schwindigkeit. Die Charakterisierung von turbulen-ten Strömungen gehört ins Gebiet der nichtlinearenDynamik und kann in diesem Zusammenhang nichtdiskutiert werden.

2.11.2 Kontinuitätsgleichung

Geschwindigkeiten in bewegten Flüssigkeiten be-schreiben den Transport von Materie. Lokal kanndieser Transport durch die Massenstromdichte

~j = r~v

quantifiziert werden.

Volumen- element j

dA

Abbildung 2.153: Massenbilanz für ein Volumenele-ment.

Wir betrachten die Änderung der Masse in einemVolumen V aufgrund der Zu- und Abflüsse (! Abb.

100

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2 Mechanik

2.153). Der Anteil des Massenstroms dm/dt durchein kleines Flächenelement d~A ist

dmdt

= ~j ·d~A = |~j|dA cosa ,

wobei a den Winkel zwischen der Fließrichtung undder Oberflächennormalen darstellt. Integration überdie geschlossene Oberfläche ergibt die gesamte Än-derung der Masse im Volumen pro Zeiteinheit als

m =ZZ

A~j ·d~A =

ZZA

r~v ·d~A = 0 ,

da Masse weder erzeugt noch vernichtet wird. DieGleichung besagt einfach, dass die Summe der Zu-und Abflüsse verschwinden muss. Sie kann über denSatz von GaußZZ

O~v ·d~A =

ZZZV

div~v = 0.

(die Integralgrenzen sind O = Oberfläche und V =Volumen) auch geschrieben werden als

div~v = 0,

da die Gleichung für beliebige Volumina V geltenmuss. Dies ist eine Bedingung für das Geschwindig-keitsfeld einer inkompressiblen Flüssigkeit: es ent-hält weder Quellen noch Senken.

∆V

∆x1

∆x2 A1

A2

v1 v2 p1 p2

∆V

Abbildung 2.154: Transport eines Volumenelemen-tes in einer laminaren Strömung.

Diese Aussage gilt für beliebige Körper. Wir kön-nen z.B. einen Flussschlauch betrachten, der aufder Außenseite von Flusslinien begrenzt wird (~v ·~dA = 0) und an den Stirnflächen von zwei Schei-ben mit Flächen A1 und A2 (siehe Abb. 2.154). Dadie Seitenwände durch Flusslinien gebildet werden,

fließt kein Material durch diesen Teil der Oberflä-che. Damit sind Ein- und Ausfluss gegeben durchdie Durchflussmenge durch die beiden Flächen linksund rechts.

Die Flüssigkeitsmenge, welche pro Zeiteinheit durcheine Stirnfläche fließt, ist proportional zum Pro-dukt aus Querschnittsfläche und Fließgeschwindig-keit vdm = r Av, da die Geschwindigkeit senkrechtauf der Fläche steht. Bei konstanter Dichte kann dieMassenbilanz somit geschrieben werden als

v1A1 = v2A2 (2.20)

oder

v2 = v1A1

A2.

Dies entspricht der Quantifizierung der oben ge-machten Aussage, dass nahe beieinander liegen-de Stromlinien hohe Geschwindigkeiten markierenund geringe Stromliniendichte einer langsamen Ge-schwindigkeit entspricht.

Für kompressible Flüssigkeiten muss die Gleichungum die Dichte erweitert werden:

v1r1A1 = v2r2A2 .

Für wirbelfreie Strömungen kann man das Ge-schwindigkeitsfeld ~v(~r) als Gradient eines Ge-schwindigkeitspotenzials f(~r) schreiben:

~v(~r) = grad f(~r) = ~—f(~r) .

Solche Strömungen werden deshalb auch als Poten-zialströmungen bezeichnet.

2.11.3 Druck und kinetische Energie

Wir betrachten eine Strömung in einem Rohr, dassich verengt. Die Zunahme der Geschwindigkeit auf-grund der Verengung bedeutet laut Gleichung (2.20)für die Flüssigkeitselemente eine Beschleunigung.Die dafür notwendige Kraft stammt aus einer Druck-differenz.

Wir betrachten eine dünne Scheibe der Flüssigkeit,wie in Abb. 2.155 gezeigt. Die Masse des Zylindersmit Querschnittfläche A und Dicke dx beträgt

dm = r Adx.

101

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2 Mechanik

dm

p(x)

A

p(x+dx)

dx

Abbildung 2.155: Druckkraft auf dünneFlüssigkeitsscheibe.

Das Newton’sche Axiom für dieses Flüssigkeitsele-ment lautet

dF =�Ad p = adm = (r Adx)dvdt

.

Hier bezeichnet d p = p(x + dx)� p(x) die (infini-tesimale) Druckdifferenz, a die Beschleunigung undr die Dichte der Flüssigkeit. Offenbar ist die Bezie-hung unabhängig von der Querschnittfläche:

�d p = r vdv.

Integration zwischen zwei Punkten 1 und 2 ergibt

p1� p2 =r

2(v2

2� v21)

oder

p1 +r

2v2

1 = p2 +r

2v2

2.

Offenbar wird eine Zunahme der Geschwindigkeit(Zunahme der kinetischen Energie) durch eine Ab-nahme des Druckes (Reduzierung der potenziellenEnergie) kompensiert.

Abbildung 2.156: Herleitung der Bernoulli-Gleichung.

Abb. 2.156 zeigt die Verhältnisse für ein Rohr mitunterschiedlichen Querschnitten. Die Geschwindig-keit ist am Punkt B am höchsten und deshalb derDruck am niedrigsten.

Die Größe 12 rv2 hat die Dimension einer Energie-

dichteE

V

�=

Jm3 =

Nmm3 =

Nm2 =

FA

�= [p]

und gleichzeitig der des Drucks und wird als Stau-druck bezeichnet. Offenbar ist die Summe aus stati-schem Druck und Staudruck für eine reibungsfreieFlüssigkeit konstant. Man bezeichnet dies als Ge-samtdruck und schreibt

p+12

rv2 = pges

für eine reibungsfreie Flüssigkeit.

Abbildung 2.157: Daniel Bernoulli (1700-1782).

Dies wird als die Bernoulli’sche Gleichung bezeich-net (nach Daniel Bernoulli, 1700-1782). Sie be-schreibt im Wesentlichen die Erhaltung der mecha-nischen (potenzielle + kinetische) Energie und giltnur so lange wie die Reibung vernachlässigt werdenkann.

Der Staudruck kommt durch die Impulsänderung desGases zustande. Er wird u.a. in Kraftwerken genutzt,wo der Staudruck auf die Turbinenschaufeln drückt.Der Effekt kann noch verstärkt werden, wenn dasWasser so umgeleitet wird, dass seine Geschwindig-keit v nicht auf 0 reduziert wird, sondern es nachrückwärts abgelenkt wird: Dv =�v�v =�2v. Dieswird z.B. bei der Pelton-Turbine genutzt, welche vorallem in Hochdruck-Wasserkraftwerken verwendetwird.

102

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2 Mechanik

2.11.4 Druckänderung in einer Strömung

linearer Druckabfall

v1 v2 v1

p1

p2p3

Abbildung 2.158: Experimentelle Verifizierung derBernoulli-Gleichung.

Die Voraussagen der Bernoulli Gleichung könnenexperimentell leicht überprüft werden. Im Experi-mente von Abb. 2.158 verwendet man dafür einRohr, das in der Mitte verengt ist, an beiden Endenaber den gleichen (größeren) Querschnitt zeigt. Inden beiden äußeren Rohren steigt das Wasser höher;an dieser Stelle ist offenbar der statische Druck hö-her als in der Mitte, wo das Wasser schneller fließt.Da die Strömung im Experiment nicht reibungsfreiist findet man zusätzlich zum Staudruck auch einenlinearen Druckabfall, welcher die Reibungsverlusteenthält.

Bezeichnung Drucksonde Pitot-RohrPrandtl’sches Staurohr

pstat pstat+pStau pStau

Differenzmessung von Pitot-Rohr und Drucksonde

Aufbau

Messgröße statischer Druck statischer Druck + Staudruck

Staudruck, Strömungs-

geschwindigkeit

v v v

Abbildung 2.159: Messgeräte für unterschiedlicheArten von Druck.

Geeignete Druckmessgeräte können diese unter-

schiedlichen Beiträge messen, wie in Abb. 2.159 ge-zeigt. Die Drucksonde misst den statischen Druck,während das Pitot-Rohr den Gesamtdruck misst. DasPrandtl’sche Staurohr besitzt zwei Öffnungen fürden statischen und den Gesamtdruck, welche aufunterschiedlichen Seiten der Flüssigkeit angeordnetsind. Die Höhendifferenz ist dann direkt proportio-nal zum Staudruck.

v1 , p1 , h1

v2 , p2 , h2

Abbildung 2.160: Beitrag des Schweredrucks zurBernoulli-Gleichung.

Eine etwas allgemeinere Form der Bernoulli-Gleichung erhält man, wenn man zusätzlich denSchweredruck berücksichtigt. Dann ist der Gesamt-druck zusätzlich von der Höhe abhängig; er beträgtdann

p0 +r gh+12

r v2 = pges.

Insgesamt sind beide Formen der Bernoulli-Gleichung Ausdrücke der Energieerhaltung: jederTerm stellt eine Energiedichte, d.h. Energie pro Vo-lumen dar; der erste enthält die elastische Energie,der zweite die potenzielle Energie der Gravitation,der dritte die kinetische Energiedichte.

Eine weitere Konsequenz davon ist das Gesetz vonTorricelli: Tritt Flüssigkeit aus einem kleinen Lochin einem Behälter aus, so ist seine Fließgeschwindig-keit v =

p2gh, mit h der Distanz unterhalb der Flüs-

sigkeitsoberfläche. Dies ist die gleiche Geschwin-digkeit, die sie hätte, wenn sie von der Flüssigkeitso-berfläche frei gefallen wäre und entspricht der Um-wandlung von potenzieller in kinetische Energie.

2.11.5 Demonstrationen zurBernoulli-Gleichung

Einige interessante Konsequenzen können leicht de-monstriert werden.

103

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2 Mechanik

1

Abbildung 2.161: Strömung zieht Platte an.

Bläst man durch ein Loch in einer Platte auf einezweite Platte so dass das Gas zwischen den beidenPlatten entweichen muss (! Abb. 2.161), so erzeugtdie hohe Geschwindigkeit des Gases zwischen denbeiden Platten einen Unterdruck, welcher stark ge-nug ist, das Gewicht der Platte zu halten und dieKraft zu überwinden, welche durch die Impulsände-rung des strömenden Gases auf die freie Platte aus-geübt wird.

!

Abbildung 2.162: Tanzender Ping-Pong Ball.

Bläst man auf einen Pingpong Ball schräg nach oben(! Abb. 2.162), so fällt er nicht zu Boden, sonderngelangt in eine Gleichgewichtsposition etwas unter-halb der Mitte des Luftstrahls: an dieser Stelle istdie Geschwindigkeit des Gases oberhalb etwas grö-ßer als unterhalb, so dass eine Auftriebskraft wirkt,welche groß genug ist, die Gewichtskraft zu kom-pensieren.

Verwendet man einen Trichter, so kann man sogarnach unten auf den Ball blasen, wie in Abb. 2.163gezeigt; da die Luft sich oberhalb des Balls schneller

1

Abbildung 2.163: Ping-Pong Ball in einem Trichter.

bewegt als unten, fällt er nicht zu Boden.

2.11.6 Viskosität

Eine Flüssigkeit bewegt sich nie widerstandsfrei.

1

reiner Reibungswiderstand

reiner Druckwiderstand

Reibungs- und Druckwiderstand

längs überströmte Platte

quer überströmte Platte

überströmte Kugel

Abbildung 2.164: Widerstand in einer Flüssigkeit.

Der Strömungswiderstand kommt aufgrund von Rei-bungswiderstand und Druckwiderstand zustande.Der zweite Effekt kann vor allem auf Verwirbelun-gen zurückgeführt werden. Abb. 2.164 zeigt typischeAnordnungen, bei denen die beiden Effekte relevantsind.

Der Reibungswiderstand wirkt außerdem auch imInnern einer Flüssigkeit, wo keine Wände vorhandensind. Er wird dann als innere Reibungs bezeichnet.Abb. 2.165 zeigt eine typische Messanordnung: diezu untersuchende Flüssigkeit befindet sich zwischen2 parallelen Platten. Eine davon wird fest gehalten,die andere mit einer konstanten Geschwindigkeit v

104

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2 Mechanik

1

Oberfläche A

Ges

chw

indi

gkei

t

exte

rne

Kraf

tRe

ibun

g

stat

ionä

re P

latte

Flüs

sigk

eit

bewegte Platte

Abbildung 2.165: Geschwindigkeitsdifferenzenzwischen Flüssigkeitsschichten.

nach oben bewegt. Direkt an der Oberfläche der bei-den Platten ist die Flüssigkeit gegenüber der Platte inRuhe. Dazwischen beobachtet man eine lineare Zu-nahme der Geschwindigkeit der Flüssigkeitsschich-ten. Für viele Substanzen kann er beschrieben wer-den als eine Kraft

FR = hAdvdx

[h ] =Nsm2 = Pas. (2.21)

Diese ist proportional zur Fläche A, an der die Rei-bungskraft angreift, und zur Änderung dv/dx derGeschwindigkeit mit der Entfernung x von der Ober-fläche. Gilt diese Beziehung nicht, so spricht manvon nicht-Newton’schen Flüssigkeiten. Die Propor-tionalitätskonstante h zwischen Kraft und Flächemal Geschwindigkeitsgradient wird als Viskositätoder Zähigkeit bezeichnet. Neben der SI-Einheit Ns / m2 wird häufig auch noch die ältere Einheit Poise(= 0.1 N s / m2) verwendet. Sie stellt eine Materi-aleigenschaft dar, welche stark von der Temperaturabhängt.

Die Reibungskraft wirkt parallel zur Fläche A undist somit eine Scherkraft, respektive eine Scherspan-nung. Während Scherkräfte in statischen Flüssig-keiten verschwinden, treten sie in der Form dyna-mischer Kräfte bei nicht verschwindender Viskosi-tät auf. Diese quantifiziert somit die Scherkräfte ineinem fluiden Medium. Bei sehr hoher Viskosität(Glas) verhält sich eine Flüssigkeit praktisch wie einFestkörper.

Die Viskosität von Wasser und ähnlichen Flüssigkei-ten liegt bei etwa 10�3 N s m�2. Die Werte für Gase

sind etwa hundertmal niedriger; da die Dichte vonLuft etwa 1000 mal niedriger ist als die von Was-ser, ist aber die Viskosität pro Masse bei Luft grö-ßer als bei Wasser. Die Viskosität wie in Gleichung(2.21) definiert wird auch als dynamische Viskosi-tät bezeichnet, das Verhältnis h/r aus dynamischerViskosität und Dicht als kinematische Viskosität.

T [oC]

0

1

0 20 40

Wasser

Äthanol

Quecksilber

Flüssigkeiten

1

2

0 100 200

Gase

Luft

Kohlendioxid

Wasserdampf

T [oC]

�[1

0�3N

s

m2]

�[1

0�3N

s

m2]

Abbildung 2.166: Temperaturabhängigkeit der Vis-kosität von Flüssigkeiten und Ga-sen.

Die Viskosität von Flüssigkeiten nimmt mit steigen-der Temperatur ab, da dann die molekularen Bin-dungen gegenüber der Bewegung der Moleküle anBedeutung verlieren. Das Extrembeispiel dafür istGlas, wo die Viskosität beim Abkühlen kontinu-ierlich um viele Größenordnungen zunimmt. Abb.2.166 zeigt den Verlauf für unterschiedliche Flüssig-keiten (links) und Gase (rechts). Bei Gasen nimmtoffenbar die Viskosität mit steigender Temperaturzu, da sie auf der Bewegung von Molekülen be-ruht, deren Geschwindigkeit mit der Temperatur zu-nimmt.

2.11.7 Reibungswiderstand in Flüssigkeiten

Die viskose Reibungskraft wirkt als Bremskraft fürdie Flüssigkeit und führt gleichzeitig dazu, dass strö-mende Flüssigkeiten eine Kraft auf den Behälteroder den umströmten Körper ausüben. Für einenKörper in einer Flüssigkeit oder einem Gas schreibtdie resultierende Kraft als

FR =�kv. [k] =Nsm

.

105

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2 Mechanik

In Übereinstimmung mit Gleichung (2.21) ist dieKraft proportional zur Geschwindigkeit. Die Propor-tionalitätskonstante k wird als Widerstandsbeiwertbezeichnet. Sie hängt sowohl von der Form des Kör-pers ab, wie auch von der Viskosität der Flüssigkeit.Für eine Kugel mit Radius r beträgt sie

kK = 6p hr.

Dies wird als Stokes’sches Reibungsgesetz bezeich-net. Die Tatsache, dass die Kraft proportional ist zurGeschwindigkeit, führt z.B. dazu, dass ein fallenderKörper in der Erdatmosphäre nach einer kurzen Be-schleunigungsphase eine konstante Geschwindigkeiterreicht. Diese ist dadurch bestimmt, dass die Rei-bungskraft gerade die Gewichtskraft aufhebt.

Abbildung 2.167: Freier Fall einer Kugel in Öl.

Diese kann gemessen werden, indem man die Sink-geschwindigkeit von Kugeln in einer viskosen Flüs-sigkeit misst. Abb. 2.167 zeigt ein Beispiel. Nacheiner “Anlaufstrecke” erreicht die Kugel eine kon-stante Geschwindigkeit. Diese ist dadurch bestimmt,dass die Schwerkraft gerade gleich groß wie und ent-gegengesetzt gerichtet zur Reibungskraft ist:

FG = (mK�mFl)g = g(rk�r f l)4p

3r3

= FR = 6phrv .

Hier ist mK die Masse der Kugel und mFl die Mas-se der verdrängten Flüssigkeit, welche Auftrieb er-zeugt. Wir schreiben diesen Ausdruck als

(rK�rFl)4p

3r3g = 6phrv

und lösen auf nach der Geschwindigkeit v:

v = (rK�rFl)2g9h

r2 .

Größere Kugeln sollten also schneller fallen. Dieswird im Experiment bestätigt. Hier werden 2 Kugelnverglichen. Ihr Durchmesser beträgt 4 und 8 mm unddie Dichte 1,42 g/cm3. Die gemessenen Fallzeitensind 110, respektive 25 s, was nahe beim erwartetenVerhältnis von 4 liegt.

2.11.8 Turbulente Reibung undLuftwiderstand

Wenn Luft einen Körper umströmt, wird häufig Tur-bulenz erzeugt. Durch die Turbulenz wird kinetischeEnergie sehr effektiv dissipiert und der Widerstandwächst mit zunehmender Geschwindigkeit. Die Rei-bungskraft wird dadurch näherungsweise proportio-nal zum Quadrat der Geschwindigkeit:

FR = dv2.

Der Luftreibungskoeffizient d hängt von Form undOberfläche des Körpers, aber auch von der Art desströmenden Mediums ab. Eine übliche Beschreibungverwendet den Widerstandsbeiwert cw:

d =12

cwr A,

wobei r die Dichte des Mediums und A die Quer-schnittfläche darstellt, während cw in erster Linie vonder Form des Gegenstands abhängt.

Abb. 2.168 zeigt Stromlinienfelder für unterschied-liche Körper und die resultierenden Widerstandsbei-werte. Der unterste Körper erzielt den geringstenWiderstand, indem er die Bildung von Wirbeln durcheine scharfe Kante auf der Windschattenseite ver-meidet.

2.11.9 Rohrdurchfluss

In einem Rohr führt der Strömungswiderstand da-zu, dass der Druck in einem System nicht gleich-mäßig verteilt ist, sondern abfällt in Richtung der

106

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2 Mechanik

1

Stromlinien Wirbelfeld

cw = 1,98

cw = 0,45

cw = 0,06

Abbildung 2.168: Widerstandsbeiwerte für unter-schiedliche Körper.

Strömung. Dieser Druckgradient wird benötigt, umdie Reibungsverluste aufgrund der inneren Rei-bung zu kompensieren. Der Strömungswiderstandbeschränkt deshalb auch den Durchfluss durch einRohr.

1p1

p2

Rr

Fp

Abstand r-R R

v

0

vmax

v

Abbildung 2.169: Durchfluss durch ein zylindri-sches Rohr und resultierendes Ge-schwindigkeitsprofil.

Außerdem ist die Fließgeschwindigkeit nicht homo-gen, sondern das Geschwindigkeitsfeld bildet sichso, dass der Fließwiderstand minimal wird. Die Flüs-sigkeitskomponenten in der Nähe der Rohroberflä-che werden durch die Reibung am stärksten ge-bremst und bewegen sich deshalb am langsamsten;die Komponenten in der Mitte werden am wenig-sten gebremst und bewegen sich am schnellsten. Wie

in Abb. 2.169 gezeigt, ist deshalb die Strömungsge-schwindigkeit im Zentrum am höchsten, in der Näheder Rohrwand nimmt sie auf Null ab.

Um den Durchfluss zu berechnen, ist es sinnvoll,die rotationssymmetrischen Randbedingungen zuberücksichtigen. Diese führen dazu, dass die Ge-schwindigkeit nur vom Abstand r von der Zylinder-achse abhängt. Man teilt deshalb das Flüssigkeits-volumen in konzentrische Zylinder ein, wie in Abb.2.169 gezeigt. Auf einen Flüssigkeitszylinder mitRadius r und Länge ` wirkt die Reibungskraft an sei-ner Außenwand

FR = h Advdr

= h 2pr`dvdr

.

Diese muss kompensiert werden durch eine Druck-differenz Dp = p2� p1, welche von außen erzeugtwerden muss, um die Strömung aufrecht zu erhalten.Die Druckkraft auf diesen Zylinder beträgt

Fp =�Dppr2.

Im dynamischen Gleichgewicht sind die beidenKräfte entgegengesetzt und gleich groß, so dass

h 2pr`dv = Dppr2 dr

oder

dv =Dp2h`

r dr.

Die Randbedingung ist, dass die Geschwindigkeit ander Oberfläche des Rohrs verschwindet, v(r = R) =0. Damit ergibt die Integration

v(r) =Dp4h`

(r2�R2).

Dp beschreibt hier die Druckänderung; da der Druckin Fließrichtung abfällt, ist die Druckänderung Dp <0. Wie in Abb. 2.169 gezeigt, wird die Geschwin-digkeit deshalb bei r = 0 maximal und fällt mit demAbstand vom Zentrum des Rohr parabolisch ab.

2.11.10 Das Gesetz von Hagen-Poiseuille

Der Maximalwert der Geschwindigkeit beträgt (inder Mitte des Rohrs)

vmax = v(0) =� Dp4h`

R2.

107

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2 Mechanik

Sie ist somit positiv wenn Dp negativ ist, d.h. wennder Druck in der Fließrichtung abnimmt, und siewächst linear mit der Querschnittfläche des Rohrs,respektive quadratisch mit dessen Radius R.

Die mittlere Geschwindigkeit über den Querschnitterhält man, indem man über konzentrische Kreisrin-ge mittelt. Integriert man die Geschwindigkeit überden gesamten Querschnitt, so erhält man den Vo-lumenfluss. Dividiert man diesen durch die Quer-schnittsfläche A = pr2 so erhält man die mittlere Ge-schwindigkeit. Jeder Kreisring hat die Fläche 2pr dr,mit r als innerem und r+dr als äußeren Radius. DerMittelwert ist somit

v =1

pR2

Z R

0v(r)2pr dr =

=2

R2Dp4h`

Z R

0(r2�R2)r dr

=Dp

2R2h`

r4

4� r2R2

2

�R

0

= � Dp2R2

h`

R4

4=�DpR2

8h`=

vmax

2.

Der gesamte Durchfluss durch das Rohr beträgt dem-nach

I = vA =�DppR4

8h`.

Dies ist bekannt als das Gesetz von Hagen-Poiseuille: Der Durchfluss durch ein gerades Rohrist proportional zur vierten Potenz des Rohrradius,zum Druckabfall Dp/` und invers proportional zurViskosität h .

Im Experiment (! Abb. 2.170) kann der konstan-te Wasserdruck dadurch erzeugt werden, dass beisinkender Flüssigkeitssäule ein abnehmender Luft-druck über der Flüssigkeit steht: es wird nur sovielLuft nachgezogen, dass am unteren Ende des Roh-res gerade der Druck p0, d.h. der atmosphärischeAußendruck entsteht, unabhängig von der Höhe derFlüssigkeitsoberfläche. Es wird die Flüssigkeitsmen-ge gemessen, welche in 30 Sekunden durch jeweilsein Rohr mit gegebenem Querschnitt fließt. Das Ver-hältnis der beiden Rohr-Innendurchmesser beträgt0.8 / 1.5 mm; wir erwarten somit ein Verhältnis der

Zweiweghahn

Luftblasen

Abbildung 2.170: Verifizierung des Gesetzes vonHagen-Poiseuille. Die Anordnungstellt sicher, dass der Druck beimAusfluss konstant is, auch wenndie Flüssigkeitsoberfläche sinkt.

Flüssigkeitsmengen von (1.5/0.8)4 = 12.4. Experi-mentell finden wir ein Verhältnis von ca. 12.

Die Druckdifferenz, welche benötigt wird, um einemittlere Geschwindigkeit durch das Rohr zu erzie-len, beträgt

Dp =�v8h`

R2 ,

d.h. sie sinkt mit der Querschnittsfläche des Rohrs,während die Durchflussmenge ansteigt. Im stati-schen Grenzfall (v! 0) verschwindet der Druckab-fall, wir erhalten das hydrostatische Gleichgewicht.

Daraus können wir auch den Widerstandsbeiwert fürdie Strömung durch das Rohr berechnen als

k =�FR

v=�Dpp

R2

v= 8h`p.

Er hängt somit nur von der Viskosität des Mediumsund der Länge der Rohres ab, aber nicht vom Radius.Die zunehmende Oberfläche wird gerade kompen-siert durch den kleineren Gradienten der Geschwin-digkeit.

2.11.11 Ähnlichkeit von Strömungen

Die Viskosität spielt auch eine wichtige Rolle beider Charakterisierung von Strömungen. So wird der

108

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2 Mechanik

Übergang von laminaren zu turbulenten Strömungenoder die Art des Strömungswiderstandes durch dasVerhältnis aus kinetischer Energie zu Reibungsener-gie beeinflusst. Ist dieses Verhältnis gleich, so sprichtman von ähnlichen Strömungen.

Abbildung 2.171: Osborne Reynolds (1842 - 1912).

Ob zwei Strömungen ähnlich sind, kann man einfachanhand der dimensionslosen Reynolds-Zahl (nachOsborne Reynolds, Abb. 2.171) bestimmen:

Re =rvdh

. [Re] = 1

Hier stellen r und h die Dichte und Viskosität desMediums, v die Strömungsgeschwindigkeit und deine typische Dimension des Körpers dar. NiedrigeReynolds-Zahlen findet man z.B. bei kleinen Dimen-sionen (z.B. Einzeller in Wasser) oder großen Di-mensionen (z.B. Meeresströmungen).

Abbildung 2.172: Einsetzen von Turbulenz.

Bei kleinen Geschwindigkeiten (und damit klei-nen Reynolds-Zahlen) sind Strömungen laminar, bei

großen Reynolds-Zahlen werden sie turbulent. Abb.2.172 zeigt schematisch das unterschiedliche Ver-halten. Im Bereich der turbulenten Strömung bil-den sich Wirbel auf unterschiedlichen Längenska-len. Die kinetische Energie des strömenden Medi-ums wird dabei von großen auf kleinere Skalen über-tragen, wo die Reibung sie effizient in Wärme um-wandelt. Da hier mehr Energie dissipiert wird, steigtder Strömungswiderstand stark an. Biologische Sy-steme, wie z.B. das Blut-Kreislaufsystem des Men-schen, sind deshalb darauf optimiert, Turbulenz zuvermeiden.

Wirbel können auch an Unstetigkeiten in den Rand-bedingungen entstehen, wie z.B. an den Endenvon Flugzeugflügeln. Unter bestimmten Bedingun-gen sind Wirbel recht stabil und können über län-gere Zeiten bestehen bleiben und dabei erheblicheDistanzen zurücklegen.

2.11.12 Strömende Gase (Aerodynamik)

Bei der Diskussion der Strömung von Gasen musszusätzlich die Kompressibilität berücksichtigt wer-den. Qualitativ bleiben die bisher diskutierten Ergeb-nisse jedoch erhalten. Quantitative Ergebnisse sollenhier auch nicht erhalten werden.

1

Druckverlauf um Tragflügel

Resultierende Kraft = Auftrieb + Luftwiderstand

anströmende Luft A

uftri

eb

Widerstand

Abbildung 2.173: Auftrieb an einem Flugzeugflü-gel.

So kann z.B. der Auftrieb eines Flugzeugflügelsmit Hilfe der Bernoulli-Gleichung diskutiert wer-den. Abb. 2.173 stellt schematisch einen Flugzeug-flügel dar, welcher von Luft umströmt wird. Auf der

109

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2 Mechanik

Oberseite ist die Geschwindigkeit höher und dar-um der Druck geringer als auf der Unterseite. Diegesamte am Flügel angreifende Kraft besteht ausder Auftriebskraft und der Widerstandskraft, welchemit Hilfe eines Motors oder Triebwerks überwundenwird.

Abbildung 2.174: Strömungsabriss.

Voraussetzung für diesen Effekt ist eine laminareStrömung. Macht man den Anstellwinkel zu groß,so wird die Strömung am hinteren Ende des Flügelsturbulent, wie in Abb. 2.174 gezeigt. Damit wird dieGeschwindigkeit geringer und der Druck höher, sodass der Auftrieb “abbricht”. Man spricht vom Strö-mungsabriss.

Ähnliche Strömungsprofile findet man auch bei Se-gelbooten oder Windsurfern.

2.11.13 Der Magnus-Effekt

1

ω R

voben

vunten punten

poben

v

F

Abbildung 2.175: Links: der Magnus-Effekt.Rechts: Flettner-Rotor alsSchiffsantrieb.

Eine etwas andere Anwendung des Bernoulli’schenPrinzips verwendet der Flettner-Rotor, der z.T. fürSegelschiffe verwendet wurde. Das zu Grunde lie-gende Prinzip wird als Magnus Effekt bezeichnet.Das Schiff verwendet senkrecht stehende Zylinder,welche um ihre Achse rotieren (! Abb. 2.175).

Von der Seite anströmende Luft fließt dann aufgrundder Oberflächenreibung bevorzugt in Drehrichtungum den Zylinder. Auf der Vorderseite ist deshalb dieStrömungsgeschwindigkeit größer und der statischeDruck geringer. Das Schiff erhält damit eine Kraft inVorwärtsrichtung.

Die Geschwindigkeiten betragen

voben = v+wR ; vunten = v�wR,

mit R als Radius des Zylinders und v der Geschwin-digkeit der Luft ohne den Rotor. Aus dem Bernoulli-Gesetz folgt, dass der Gesamtdruck, bestehend ausstatischem plus Staudruck auf beiden -Seiten gleichsein muss:

poben +12

r(v+wR)2 = punten +12

r(v�wR)2.

Somit existiert eine Druckdifferenz

Dp = poben� punten =�12

r(4wRv) =�2rwRv.

Diese Druckdifferenz ergibt eine antreibende Kraft

F = Ae f f Dp =�2RL(2rwRv) =�4R2Lrwv,

mit Ae f f = 2RL als Querschnittfläche des Zylindersund L dessen Höhe.

Der Effekt kann in einem einfachen Experiment ge-zeigt werden. Dazu wird eine Kunststoffrolle wieein Jojo an einer Schnur fallengelassen, so dass siesich dabei dreht. Dadurch erhält man die Kombina-tion von Drehung und Relativgeschwindigkeit, wel-che für den Magnus-Effekt benötigt werden: die Rol-le fällt in einem Bogen.

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