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Der Traum Heimtrainer: Neuner, 23, am Schießstand in Luttensee; Neureuther, 25, im Kraftraum in Garmisch Text ALEXANDRA KRAFT, MATHIAS SCHNEIDER Fotos THOMAS RABSCH Die Biathletin Magdalena Neuner und der Slalomfahrer Felix Neureuther sind Deutschlands Lieblinge bei den Olympischen Winterspielen. Der stern heftete sich lange vor Vancouver an ihre Fersen – und lernte zwei junge Menschen kennen, die sich selbst manchmal die größten Gegner sind 2 Sport

2 Sport - alexandrakraft.files.wordpress.com · Vor dem Sieg die Folterkammer Muskelspiel: Neureuther an der Langhantel. Mit den beinen balanciert er auf einer Wippe . 7/2010 stern

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  • Der Traum von Gold

    Heimtrainer:Neuner, 23, am Schießstand in Luttensee; Neureuther, 25, im Kraftraum in Garmisch

    Text ALexANdrA KrAft, MAtHiAS ScHNeider Fotos tHoMAS rAbScH

    Die Biathletin Magdalena Neuner und der Slalomfahrer Felix Neureuther sind Deutschlands Lieblinge bei den Olympischen Winterspielen. Der stern heftete sich lange vor Vancouver an ihre Fersen – und lernte zwei junge Menschen kennen, die sich selbst manchmal die größten Gegner sind

     ■2 Sport

  • Der Traum von Gold 7/2010 stern 111

  • Vor dem Sieg die Folterkammer

    Muskelspiel: Neureuther an der Langhantel. Mit den beinen balanciert er auf einer Wippe

  • 7/2010 stern 113

  • Die Angst der Schützin vor der Scheibe

    Nervenspiel: Neuner (r., liegend) und trainer Uwe Müssiggang (am fernglas) in finnland

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  • Ein Akrobat, kein Kraftprotz

    Anspannen: Neureuther übt mit verzwickten Übungen die Koordination – seine große Stärke

  • ie kennen sich kaum. Reisen zwar den ganzen Winter von Bergdorf zu Bergdorf, ein Leben im Schnee. Aber Biathleten und Slalomfahrer treffen sich selten. Nur der Höhe-punkt ihrer Kreuzfahrten ist in diesem Jahr derselbe: die Olympi-schen Spiele von Vancouver, die an diesem Freitag an Kanadas Westküste eröffnet werden. Magdalena Neuner, 23, und Felix Neureuther, 25, sind zwei hoch talentierte, aber mitunter nerven-zerfetzend flatterhafte Bayern, die die Deutschen mitzittern lassen werden. Der stern hat die beiden über Monate begleitet, folgte ihnen in Trainingslager und Heimaturlaub, erlebte überra-schende Selbstzweifel und jähe Glücksmomente.

    Mittenwald in oberbayern, 5. 8. 2009Dieser verdammte Schießstand. Wie so oft, seit sie Anfang 2009 bei einem Rennen in Antholz fünf von fünf Scheiben verfehlte, dreht sich im Leben von Magda- lena Neuner alles nur ums Schießen. Auch an diesem Mor-gen auf dem Truppenübungsplatz Luttensee, zehn Kilometer von ihrem Heimatdorf Wallgau ent-fernt, versucht sie die Dämonen zu vertreiben. Neuner steht vorm Schießstand

    am Straßenrand, lädt die Waffe. Weil ihre Trainingsstrecke eine Durchgangsstraße ist, wäre sie beim Laufen auf Rollerski gerade

    fast von einem Auto über den Haufen gefahren worden. Ihr Heimtrainer Bernhard Kröll sagt: „Das passiert hier öfter.“ Im Schlagloch zu ihren Füßen steht eine braune Brühe, ein paar Meter weiter klebt der platte Kadaver einer Kröte auf der Fahr-bahn. Nebel und Regen. Für eini-ge Sekunden geben die Wolken den Blick auf Karwendel und Zug-spitze frei. Aber nicht für Neuner, die ist gerade mit sich beschäftigt, macht sich Mut: „Ich habe sechs Weltmeistertitel. So schlecht kann ich gar nicht schießen.“Wie wenig sie ihren Worten

    glaubt, sieht man Minuten später. Immer wenn Magdalena Neuner alle Zielscheiben getroffen hat, brummt sie: „Geht doch.“ Aber als in der letzten Runde ein Schuss danebengeht, legt sie sofort neu an. „Ich will mit einem Erfolgs-erlebnis nach Hause gehen“, sagt sie. Trotzig schiebt sie die Unter-lippe vor. Nickt noch mal. Schon eine Stunde später, im

    Parkhotel Wallgau, präsentiert sich Neuner wieder makellos. Das Lächeln sitzt, der Händedruck ist fest. Spricht sie über Vancouver, wirken ihre Sätze wie auswendig gelernt. Natürlich freue sie sich darauf, mit anderen Sportlern zu-sammen zu sein. Und so weiter. Dann rührt sie in der leeren Tasse und sagt auf einmal: „Bei Olym-pia kann man Legende werden.“ Sie schüttelt sich, für Sekunden

    erstarrt sie. Sie, die sonst meist ohne Punkt und Komma spricht, schweigt. Als sei sie von sich über-rascht, weil sie sich traut, das aus-zusprechen. Sucht sich ein neues Thema. Plappert drauflos, dass ihre acht Jahre ältere Teamkolle-gin Martina Beck ihr gesagt habe, nicht mehr ihr Vorbild sein zu können. „Sie meinte, mit meinen Titeln sei ich jetzt selber ein Idol.“ Dann lacht Magdalena Neuner.

    Pitztal, Österreich, 1. 10.Da ist dieser Traum. Er kommt nicht im Schlaf, sondern kurz da-vor. Manchmal ist der Traum ein Freund, Felix Neureuther möchte sich dann an ihn schmiegen. „Ich mache die Augen zu“, sagt er, „und stelle mir vor, wie ich runterfahre,

    Sund die Eins leuchtet bei Olympia auf. Ein Hammergefühl.“ Gänse-haut kriecht seine Unterarme empor. Er spürt diesen Lauf schon jetzt, viereinhalb Monate vor den Spielen, möchte am liebsten los-fahren, sofort hier, im Foyer des Hotels Vier Jahreszeiten. Das Gletschertraining ist für

    heute beendet. Wie jeden Mor-gen hat er seine Bahnen auf den gekrümmten Carvingski durch die Stangen gefräst, umhüllt von Protektoren, gewärmt von einer milden Herbstsonne. Und immer lief die Uhr mit. Sie ist sein wich-tigster Kritiker. Diesmal war sie gut zu ihm. Die Zeiten stimmten. Und doch sind da auch diese

    anderen Träume: „Da mache ich die Augen zu, fahre runter und scheide plötzlich aus.“ Er hält sich die Hände vors Gesicht. Nein, er mag nicht daran denken. Schon so lange tobt in ihm dieser Kampf zwischen dem guten Felix und dem bösen Felix. Oft verliert der gute. „Ich habe mich schon vor Rennen gefragt, wie es sein wird, wenn ich wieder verliere. Es ging nur noch darum, dieses Gefühl zu vermeiden“, sagt Neureuther.

    V ielleicht orientiert er sich deshalb so gern an den Ame-rikanern, mit denen er diesen Sommer in Neuseeland trainiert hat. Wie die sich vor jedem Trai-ning einschworen auf Vancouver, so positiv. Er ballt die Faust. Ein bisschen sein wie sie, coole Jungs, die die Hänge hinunterknallen. Nicht so ernst nehmen, was die Leute denken. Das wär’s. Felix Neureuther sagt: „Ich habe das Gefühl, ich bin bereit, Rennen zu gewinnen.“

    Muonio, finnland, 15. bis 17. 11.Es ist einer dieser Tage, an denen es am Polarkreis nicht mal ansatz-weise hell wird. Dichter Nebel. Minus elf Grad. Wind treibt den Schnee vor sich her. Im Flutlicht leuchtet der Schießstand gespens-tisch aus der Dunkelheit. Die Brillengläser von Bundestrainer Uwe Müssiggang sind von einer dünnen Eisschicht überzogen. Während er putzt, sagt er: „Für uns ist das perfekt hier.“

    Ich stelle mir vor, wie ich runter- fahre, und die Eins leuchtet auf. Ein Hammer- gefühl

    felix Neureuther

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  • Für zwei Wochen Trainingsla-ger ist das deutsche Biathlon-Team in Holzhütten im Wald gezogen. Sie wohnen zu zweit in kleinen Zimmern. „Länger sollten wir nicht bleiben“, sagt der Trainer. „Sonst bekommen die Mädels Lagerkoller.“ Die Loipe beginnt direkt vor der Haustür. Das nächste Dorf ist weit, die ein-zige Ablenkung sind Internet und Sauna. Höhepunkt der Woche: gemeinsames Waffelbacken. Beim Nachmittagstraining wird

    viel geschwiegen. Trainer Müssig-gang steht mit einem Fernglas am Rand der Loipe. Nacheinander tru-deln Neuner, Beck und Kati Wil-helm ein. Nuscheln kurz „Hallo“, kramen in ihren Taschen. Müssig-gang nickt nur. Wie bei einem al-ten Ehepaar, das weiß, was der an-dere denkt. So laufen auch alle ir-gendwann wie auf ein geheimes Signal gleichzeitig los.

    Bald sprintet Magdalena Neu-ner auf ihren Brettern zum zehnten Mal einen Hang hinauf. Während Martina Beck neben ihr einen hochroten Kopf hat, scheint sie nicht einmal zu schwitzen. Neuner sagt: „Bei mir dauert es vielleicht länger, bis es wehtut.“ Eine Läuferin des russi-schen Teams, das auch hier trai-niert, übergibt sich ein paar Me-ter weiter laut würgend in den Schnee.Erst nach dem Training wirkt

    Magdalena Neuner verwundbar. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nie eine gute Schützin werde“, sagt sie leise. „Damals in Antholz hatte ich vorm Schießen plötzlich Angst. Das war ein Schock, ich dachte, ich lasse mei-

    ne Waffe fallen.“ Drei Tage lang habe sie geheult. Und: „Ich dach-te: Ich bin eine totale Loserin.“ Magdalena Neuner ist eine Ge-

    triebene. Seit sie als Neunjährige mit dem Biathlon begann, ist sie auf der Suche nach dem Glück. Jedes Mal, wenn sie auf dem Sie-gerpodest steht und ihr der Kopf sagt, dass sie sich freuen müsse. Aber sich nichts regt. Noch nicht einmal, als sie Weltmeisterin wurde. „Ich stand da und habe nur gedacht: tralala.“ Und: „Ich bewundere die Leute, die sich von Herzen freuen oder gar wei-nen, ich konnte das nie.“ In eine Sportjacke eingepackt, sitzt sie in einer Ecke des Restaurants Olos. Das harte Training hat Spuren hinterlassen. Ihre Augen sind müde. Dann sagt sie: „Meine Er-folge habe ich bis vor ein paar Wochen gar nicht begriffen.“ Wie taub sei sie innerlich gewesen. Weil sie nun vor Olympia das

    Gefühl hatte, es müsse sich etwas ändern, hat sie sich Hilfe gesucht. Bei einem Heilpraktiker, der einfach nur zuhörte. „Viele Dinge waren in meinem Inneren wegge-schlossen, jetzt kommen sie end-lich raus. Ich will mein Glück ge-nießen können.“ Und sie beginnt zu erzählen, wie sie in den vergan-genen Wochen von Vancouver ge-träumt habe. Sich kurz vorm Sieg sah. „Mit Gold in Kanada wäre ich entspannt.“ Ob sie dann in Rente gehe? Nein, sagt sie schnell. Klar, sie träume von drei Kindern. Wol-le Hausfrau sein. „Aber doch jetzt noch nicht. Erst mache ich es mir als Biathletin schön.“

    Das war zuletzt anders. 2009 geriet sie in die Krise. Sie rannte von Termin zu Termin. Es galt, ihr Image der jungen Harfe spielen-den und strickenden Bayerin zu Geld zu machen. Dabei mochte sie selbst dieses Bild nicht. „Das hatte sich mein Management aus-gedacht.“ Damals schwieg sie. Machte mit. Sie wusste nicht, dass man sich wehren kann.Dazu kam ein Stalker, der droh-

    te, sie zu ermorden. Irgendwann streikte die Psyche. Sie sei zwar nicht depressiv gewesen, aber „es gab eine Phase, in der ich sagte, ich kann, ich will nicht mehr“.

    S ie hätte Ruhe gebraucht, statt-dessen begann die neue Sai-son. Alle erwarteten Siege, sie selbst auch: „Zweite Plätze wa-ren eine Niederlage.“ Sie schlepp-te sich weiter, gewann trotzdem wichtige Rennen. Heute sagt sie: „Ich hätte zerbrechen können. Manchmal hatte ich vorm Telefon-klingeln Angst, weil ich dachte, es will schon wieder jemand was von mir.“ Da habe sie begriffen, dass sich etwas ändern müsse. „Ich habe alle störenden Faktoren aus-geschaltet.“ Sie trennte sich von ihrem damaligen Freund, ein neu-er Pressesprecher blockt alle un-nötigen Termine ab. Und: keine Bilder mehr mit Harfe.

    Garmisch-Partenkirchen, 15. 12.Ein satter Schneeteppich erstickt jeden Laut an diesem Morgen. Felix Neureuther betritt um 8.30 Uhr den Kraftraum des Olym- piastützpunktes. Kahle weiße Wände, Linoleumboden, eine Beinpresse und ein paar Matten, es ist der Charme einer altmodi-schen Kraftkammer. An der Wand hängt ein Plakat: „Vancouver 2010 … und mir misch’n mit.“ Einen Zettel mit Übungen hat ihm sein Freund und Konditionstrai-ner Max Rieder in die Hand ge-drückt. Neureuther nennt es „mein Max-Programm“. Er stellt sich unter eine Langhantel und beginnt mit Kniebeugen. 80 Kilo-gramm hängen an der Stange. Die Adern treten hervor, der Kopf färbt sich rot. Zwischen den Wie-derholungen Rückengymnas-

    Abspannen: Neuner in ihrer

    Hütte im finnischen Muonio. Hinter ihr

    liegt ein langer tag im trainingslager

    Ich bewundere die Leute, die sich von Herzen freuen. Ich konnte das nie

    Magdalena Neuner

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     ■2 Sport

    der WeG ...

    Magdalena Neuner Trainingskilometer pro Jahr: ca. 6500 Dopingtests: 14 (zwischen März 2009 und Januar 2010) Training pro Tag: 4 bis 8 StundenRuhetag: SonntagSchüsse pro Jahr: ca. 10 000Skiverbrauch: 8–10 pro Saison

    ... NAcH VANcoUVer

    felix Neureuther Trainingstore: ca. 25 000 Dopingtests: 3 (2009, noch keinen 2010) Training pro Tag: 5 Stunden Stürze: 7 in der Saison 2009/10Massagen: 250 Skiverbrauch: 80–90 Paar pro Saison

  • tik. Dann steigt er auf einen Gym-nastikball und jongliert mit drei Kilogramm schweren Eisenku-geln. Dazu vollführt er Knie-beugen, wie aus dem Lehrbuch eines Akrobaten. „Was die Koor-dination angeht, ist Felix einer der Allerbesten“, sagt Rieder. Neureuther verfügt über mächti-ge Beine, die bis zu 180 Kilo-gramm drücken, er ist ein Kraft-paket und doch eher schmächtig im Vergleich zu manchem Riva-len. An diesem Morgen muss er sich im Kraftraum zwingen. Die Leichtigkeit der Vorbereitung ist der Schwermut gewichen.

    Erst am Abend zuvor ist er aus Val d’Isère zurückgekommen. Acht Saisonrennen sind absol-viert, achtmal reichte es nicht zu einem Rang unter den besten 15. Zum Mittagessen mag er nicht ins Restaurant gehen. „Lass uns etwas mitnehmen und zu meinen Eltern fahren. Ich gehe nicht so gern weg im Moment.“ Kurz darauf in der Küche des Einfamilienhauses von Rosi Mittermaier und Christian Neureuther. Die Wände sind mit Holz verkleidet, das Wohnzimmer bietet einen Panoramablick auf die Berge. Auf dem Fenstersims stehen Bilder von Felix und der Tochter Ameli, die für Joop in Ber-lin Kleider entwirft. Die Haushäl-terin Marianne hat einen Kuchen gebacken. Neureuther nennt sie „zweite Mama“. Er drückt am Kaf-feeautomaten herum, will ein gu-ter Gastgeber sein. Leider ist die Milch seit einer Woche abgelau-fen. Neureuther schüttelt mit ge-spielter Entrüstung den Kopf. Die Mutter. Typisch. Es steckt viel Zuneigung in der Geste.

    Wie konnte der Misserfolg die Zuversicht so schnell schlucken? „Ich nehme die Emotionen aus meinem Umfeld extrem auf“, ant-wortet er. „Es gab schon Zeiten, da wäre ich gern jemand anders gewesen.“ Er sei schon nach ein paar Rennen wieder gebückt durch die Fußgängerzone gelau-fen, weil aus Anerkennung Mit-leid werde. „Oder man bildet sich das ein. Das zieht mich alles bru-tal runter.“ Es muss einen, der so sehr in den Köpfen der anderen lebt, viel Kraft kosten, wieder zu sich zu finden. Der Trainer Man-fred Widauer sagt, er wünsche sich manchmal, dass der „Felix mehr eine Drecksau wäre. Er tut oft cool, aber cool ist er nicht“. Christian Neureuther und Rosi

    Mittermaier, einst selbst Weltklas-se, schenkten dem Sohn eine Bilderbuchkindheit. Nie musste er sich die Liebe der Eltern mit Ergebnissen verdienen. Mit den Kumpeln um die Häuser ziehen, den Mädels in der Nachbarschu-le, Weiberbunker genannt, hin-terherpfeifen, ihr Felix war dabei, ein harmloser Bengel. Wie als Zeugnis einer unbeschwerten Ju-gend steht auf dem Sims ein ver-schwommenes Schwarz-Weiß-Bild, das den jungen Felix, um die 20, mit Freunden Grimassen schneidend in einem Auto zeigt. Dreimal hätten sie durch die Geschwindigkeitskontrolle fah-ren müssen, bis das blöde Ding blitzte, erzählt er und prustet. Gerade ist er mit seiner lang-

    jährigen Freundin in eine 150 Quadratmeterwohnung gegen-über gezogen. Er will den Eltern nahe sein, jetzt, auch nach der Karriere. Den Vater nennt er sein Vorbild, Vertrauten, Manager und Mentor. „Er tut alles für mich. Das ist eine unglaubliche Kraft.“ Von der Mutter habe er sein Phlegma und die Wärme. Sie sei die Seele der Familie. „Sie will nur, dass ich am Tisch sitze und gesund bin, dann ist alles gut.“ Hat der Sohn am Ende zu viel

    Geborgenheit abbekommen? „Wir haben viel Watte um den Felix ge-packt, jetzt versuchen wir, die Watte ein bisschen wegzubekom-men“, sagt Christian. Die ganze

    Männer-Mannschaft baut der Deutsche Skiverband seit Jahren um das Supertalent Felix herum. Die Trainer wechselten, niemand stellte je den Jungen infrage. Irgendwann begann der, all die Prophezeiungen einer großen Karriere zu glauben. „Es ist alles zu leicht gegangen, nun fehlt mir oft die Härte“, sagt der Sohn. Doch der Vater, selbst ehrgei-

    zig, wollte seinen Felix niemals unter Druck setzen. Zu groß ist bis heute die Sorge, ihn erst vor sich her und irgendwann von sich wegzutreiben. „Dass mir meine Kinder entgleiten, das ist die größ-te Angst in meinem Leben.“ Die Mutter Rosi zuckt mit den Schul-tern. Ihr Felix, der helfe eben lieber, sogar Rivalen, aber das sei doch gut, nicht schlecht. Felix Neureuther verabschiedet

    sich zur Einheit auf dem Ergome-ter. Er wirkt müde. Noch hat er die Qualifikation für Olympia, zwei Plätze unter den besten 15, nicht erfüllt. Ein Nervenspiel.

    Wallgau, im dezember 2009Gleich zu Saisonbeginn ein Rück-schlag für Magdalena Neuner: Wegen eines grippalen Infektes fehlt sie beim ersten Weltcup in Östersund, Schweden. Sie, die so ungern still sitzt, muss sich die Rennen zu Hause anschauen. Neuner richtet per Mail aus: „Ich bin ja vernünftiger geworden. Früher wäre ich vermutlich halb-krank an den Start gegangen.“

    Garmisch, 13. 1. 2010.Seit drei Tagen kann Felix Neureut-her für Vancouver planen. Einem 9. Platz in Zagreb folgte ein 11. Rang in Adelboden. Eine „krasse Situation“ sei das gewesen, erzählt er. Er spricht vom Slalom in Alta Badia vor Weihnachten, in dem er früh ausschied. Zum Kollaps sei es mit seinen Coaches gekommen, das Training zu sehr an seinen Stärken ausgerichtet gewesen. „Die Freude war weg. Ich hatte die Überlegung, alles hinzuschmeißen.“ Er ver-kroch sich an Weihnachten im Schoß der Familie. „Ich brauchte die Pause, um nachzudenken. Ich liebe das Skifahren doch, warum lasse ich mich so runterziehen?“

    Es gab schon Zeiten, da wäre ich gern jemand anders gewesen

    Kraftquelle: im dezember findet der frustrierte felix Neureuther (oben) Halt bei den eltern rosi und christian

    felix Neureuther

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     ■2 Sport

  • Wer LäUft WANN?

    olympia im tV Biathlon, Damen: 7,5 km Sprint am 13. 2. um 22 Uhr (ARD); 10 km Verfolgung am 16. 2. um 19.30 Uhr (ZDF); 15 km Einzel am 18. 2. um 19 Uhr (ZDF), 12,5 km Massenstart am 21. 2. um 22 Uhr (ARD); Staffel am 23. 2. um 20.30 Uhr (ARD)Ski Alpin, Herren: Riesenslalom – 21. 2. um 19 Uhr (ARD); Slalom – 27. 2. um 19 Uhr (ZDF)

    Mit dem Vater hat er kurz vor Sil-vester auf dem geliebten Gudiberg trainiert, dort, wo alles begann. Sie rammten ein paar Stangen in den Berg, dann rauschte er hinunter. „Da hab ich gespürt, was das für ein geiles Gefühl ist.“ Das Feuer brenne wieder. Als lägen alle Zweifel ein halbes Leben zurück, nicht vier Wochen.

    ruhpolding, 15. bis 17. 1. 2010Sie schüttelt die Beine vor dem Start. Ist nervös. Nachdem sie aus Oberhof wegen einer Steißbein-prellung abreisen musste, will Magdalena Neuner jetzt den ihr so wichtigen Platz in der Staffel erobern. Das Rennen ist die letzte Chance vor Olympia.

    Sie schaut kühl, selbstbe- wusst. Um die Konkurrenz zu beeindrucken. Warum auch nicht? In den letzten Mona-ten traf Magdalena Neuner oft ins Schwarze. Im Training immer wieder. Kein Wackler. Aber trotz-dem wurde sie nicht sicher, es ist noch immer wie in Finnland. Sie hadert mit sich im Stillen. Einer dieser Momente: Wie sie im Trai-ning alles trifft und Uwe Müssig-gang in seinem sanften Singsang sagt: „Magdalena, nimm das gute Gefühl mit.“ Neuner, im Umdre-hen: „Wenn das so einfach wäre.“In Ruhpolding holt sie im Ren-

    nen die Angst wieder ein. Sie denkt zu viel. Beginnt zu zittern – und feuert fünf Mal vorbei. Ihr Team wird nur Vierter. „Ich war von der Rolle“, flüstert sie. Ihre roten Augen blicken ins Leere. Doch kurz darauf ist die alte

    Magdalena wieder da. Ausgerech-net in Antholz, wo das Drama sei-nen Lauf nahm. Wenn das mit dem Schießen schon nicht klappt, macht sie, was sie am besten kann: wahnsinnig schnell laufen. Obwohl sie reihenweise vorbei-ballert, siegt sie zweimal, wird in der Verfolgung Zweite. „Ich bin im Kopf locker, die Beine fühlen sich leicht an, am Schießstand bin ich entspannt“, sagt sie. Wenn es nur so einfach wäre.

    Kitzbühel, Österreich, 24. 1.Das größte Rennen im Weltcup, 30 000 Fans. Neureuther fühlt

    sich gut, sehr gut. Die Eltern sind da, auch Alois Vogl, 37, vor fünf Jahren letzter deutscher Sieger, längst zurückgetreten. Für Neu-reuther ist Vogl wie ein großer Bruder. „Er gibt mir Ruhe.“Der Deutsche kommt im ersten

    Durchgang als Dritter ins Ziel, eine Stunde später rauscht er zu seinem ersten Weltcupsieg. Der Vater weint vor Glück. Vor 31 Jahren siegte er selbst am Gans-lernhang. Der Junior wirkt in dem Trubel, als begreife er nichts.Als er nach Dutzenden Inter-

    views im Sponsorenzelt endlich seine Mutter trifft, sagt die nur: „Hättest du nicht wärmere Schu-he anziehen können, wenn du hier im Schnee herumläufst.“ Um 19 Uhr sinkt Neureuther auf sein Hotelbett. Die Skiklamotten trägt er noch am Leib. „Ich war zum ersten Mal allein, da kamen die ganzen Emotionen hoch“, wird er später erzählen. Er spricht von einer „krassen Genugtuung“. Noch am Abend bricht er mit Kumpel Vogl zum Rennen nach Schladming auf. Sie halten an der gleichen Tankstelle wie früher, kaufen sich ein Sixpack wie frü-her und leeren es im Hotel. Jeder drei Flaschen. Wie früher. Felix Neureuther will auch in

    Zukunft nicht so laut von Siegen reden. „Es tut mir gut, mich nicht so unter Druck zu setzen“, sagt er. Daheim am Gudiberg, nicht weit vom Elternhaus, will er sich auf Olympia vorbereiten. Und end-lich wieder durch die Fußgänger-zone gehen. Aufrecht. 2

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