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2 Symmetrie und Struktur 2.1 Ordnung in Festkörpern 2.1.1 Atomtheorie Die griechischen Philosophen stellten als erste die Frage, ob es möglich sei, einen bestimmten Körper beliebig oft zu teilen. Demokrit von Abdera beant- wortete diese Frage als erster negativ, in dem er for- derte, dass alle Materie aus identischen Teilchen auf- gebaut sein sollte, den Atomen. Diese Ansicht wur- de dann von Aristoteles widersprochen, und erst im 18 Jh. fanden die aufblühenden Naturwissenschaf- ten wieder Hinweise darauf, dass es doch solche Teilchen geben sollte. Dafür sprachen insbesondere auch Beobachtungen der Kristallographen. Sie stell- ten fest, dass Kristalle, wenn sie wachsen oder wenn sie gespalten werden, beinahe perfekte Oberflächen bilden, und dass zwischen verschiedenen solchen Oberflächen nur ganz bestimmte Winkel auftreten. 100 110 Abbildung 2.1: NiO Kristall mit Wachstumsebenen. Dieser Befund konnte relativ leicht erklärt werden, wenn man davon ausging, dass diese Kristalle aus einer Vielzahl von identischen Teilchen zusammen- gesetzt waren (R.J. Haüy, traite de crystallographie, Paris 1801). Abb. 2.1 zeigt als Beispiel einen NiO Kristall mit deutlichen Wachstumsebenen, sowie ein Schema, wie man sich die Bildungs solcher Wachs- tumsebenen vorstellen kann. Nicht nur beim Kristallwachstum erhält man Kri- Abbildung 2.2: Spaltebenen. stallflächen mit gleichen Winkeln, man findet auch, dass bestimmte Flächen beim Spalten von Kristal- len bevorzugt auftreten. Die Idee, dass Kristalle aus atomaren Einheiten bestehen, wurde später durch unterschiedliche Methoden betätigt, v.a. natürlich durch Beugungsexperimente (Friedrich, Knipping und Laue, 1912). Strom Elektronik Abbildung 2.3: Prinzip der Raster- Tunnelmikroskopie und damit gemessene Ni-Atome. Seit einigen Jahren ist es auch möglich, die atoma- re Struktur von Festkörpern auch direkt zu beobach- ten, z.B. mit Hilfe der Tunnelmikroskopie (STM). Abb. 2.3 zeigt das Funktionsprinzip, sowie das Bild einer Nickeloberfläche, die mit STM gemssen wur- de. Heute gehen wir deshalb selbstverständlich da- von aus, dass Festkörper aus Atomen oder Molekü- len aufgebaut sind. 15

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2 Symmetrie und Struktur

2.1 Ordnung in Festkörpern

2.1.1 Atomtheorie

Die griechischen Philosophen stellten als erste dieFrage, ob es möglich sei, einen bestimmten Körperbeliebig oft zu teilen. Demokrit von Abdera beant-wortete diese Frage als erster negativ, in dem er for-derte, dass alle Materie aus identischen Teilchen auf-gebaut sein sollte, den Atomen. Diese Ansicht wur-de dann von Aristoteles widersprochen, und erst im18 Jh. fanden die aufblühenden Naturwissenschaf-ten wieder Hinweise darauf, dass es doch solcheTeilchen geben sollte. Dafür sprachen insbesondereauch Beobachtungen der Kristallographen. Sie stell-ten fest, dass Kristalle, wenn sie wachsen oder wennsie gespalten werden, beinahe perfekte Oberflächenbilden, und dass zwischen verschiedenen solchenOberflächen nur ganz bestimmte Winkel auftreten.

100

110

Abbildung 2.1: NiO Kristall mit Wachstumsebenen.

Dieser Befund konnte relativ leicht erklärt werden,wenn man davon ausging, dass diese Kristalle auseiner Vielzahl von identischen Teilchen zusammen-gesetzt waren (R.J. Haüy, traite de crystallographie,Paris 1801). Abb. 2.1 zeigt als Beispiel einen NiOKristall mit deutlichen Wachstumsebenen, sowie einSchema, wie man sich die Bildungs solcher Wachs-tumsebenen vorstellen kann.

Nicht nur beim Kristallwachstum erhält man Kri-

Abbildung 2.2: Spaltebenen.

stallflächen mit gleichen Winkeln, man findet auch,dass bestimmte Flächen beim Spalten von Kristal-len bevorzugt auftreten. Die Idee, dass Kristalle ausatomaren Einheiten bestehen, wurde später durchunterschiedliche Methoden betätigt, v.a. natürlichdurch Beugungsexperimente (Friedrich, Knippingund Laue, 1912).

Strom

Elektronik

Abbildung 2.3: Prinzip der Raster-Tunnelmikroskopie und damitgemessene Ni-Atome.

Seit einigen Jahren ist es auch möglich, die atoma-re Struktur von Festkörpern auch direkt zu beobach-ten, z.B. mit Hilfe der Tunnelmikroskopie (STM).Abb. 2.3 zeigt das Funktionsprinzip, sowie das Bildeiner Nickeloberfläche, die mit STM gemssen wur-de. Heute gehen wir deshalb selbstverständlich da-von aus, dass Festkörper aus Atomen oder Molekü-len aufgebaut sind.

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2.1.2 Langreichweitige Ordnung

Die Atome oder Moleküle können auf unterschiedli-che Weise im Festkörper angeordnet sein. Man kannsie insbesondere auf Grund des Grades an Ordnungauf unterschiedlichen Längenskalen klassifizieren.

kristallin polykristallin

Abbildung 2.4: Kristalline vs. polykristalline Ord-nung.

• kristallin: periodische, langreichweitige Ord-nung. Dieses Idealbild ist Ausgangspunkt dermeisten Theorien im Bereich der Festkörper-physik.

• polykristallin: Auf kurzen Längenskalen sinddiese Systeme kristallin. Der makroskopischeKörper umfasst jedoch viele einzelne Kristalle.

Abbildung 2.5: Quasikristalle.

• quasikristallin: Quasikristalle weisen lang-reichweitige Ordnung auf, sind aber nicht pe-riodisch. Sie besitzen 5- oder 10-zählige Sym-metrie.

• amorph: In amorphen Materialien ist die direkteUmgebung eines Atoms oder Moleküls relativgut (aber nicht perfekt) definiert.

Auf einer Skala von typischerweise einigen Nano-metern nimmt der Grad der Ordnung ab und auf ei-ner Skala von mehr als 10 Nanometern sind amorpheMaterialien homogen und isotrop. Zu den amorphen

Abbildung 2.6: Amorphe Materialien: Nahordnung,aber keine Fernordnung.

Materialien gehören v.a. Gläser und Polymere, dar-unter auch viele biologische Materialien. Viele Ei-genschaften von amorphen Materialien hängen starkvon ihrer Herstellung ab. So kann man Gläser als“unterkühlte Flüssigkeiten, welche zu kalt sind zumeinfrieren” betrachten: ihre Viskosität ist zu hoch alsdass sie in den energetisch tiefer liegenden kristal-linen Zustand übergehen könnten. Diese Abhängig-keit von der Herstellung ist ein wichtiger Grund da-für, dass z.B. die Herstellung von Gläsern lange Zeitmehr eine Kunst als eine Wissenschaft war.

Abbildung 2.7: Flüssigkristalle und Flüssigkristall-Polymere.

• flüssigkristallin: Flüssigkristalline Materialienzeigen langreichweitige Ordnung, wobei z.B.nur die Orientierung der Moleküle diese Ord-nung zeigen kann, oder die Position in einer Di-mension. Sie besitzen jedoch im Gegensatz zuFestkörpern keine Formbeständigkeit, d.h. ihrSchermodul verschwindet. Ihre Position besitztauch keine Fernordnung (ausser in maximal ei-ner Dimension). Flüssigkristalle haben inzwi-schen in verschiedenen Bereichen eine wichtige

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Rolle erhalten, nicht nur in Anzeigen, sondernauch in Polymeren.

Abbildung 2.8: Flüssigkristalline Ordnung einerbiologischen Membran.

Flüssigkristalle spielen auch in der Biologie einewichtige Rolle: Membranen von Zellen sind flüs-sigkristallin, d.h. die Moleküle sind im Mittel allegleich ausgerichtet und befinden sich in einer Ebene.Diese Ebene ist jedoch leicht verformbar, da die Mo-leküle in der Ebene frei beweglich sind. Diese Mem-branen werden primär aus fettsäureähnlichen Mo-lekülen gebildet, ähnlich wie Seifenschaum. Darineingelagert “schwimmen” eingelagert Proteine.

Die Physik hat sich vor allem mit der Untersuchungperfekter Kristalle beschäftigt, wobei Defekte undVerunreinigungen als Störungen betrachtet wurden.Dieses Vorgehen hat enorme Erfolge gebracht undz.B. die Grundlagen für die Halbleiterindustrie ge-legt. In den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhun-derts haben dann einige Physiker auch entdeckt, dassdie Physik auch zur Untersuchung von amorphenSystemen einiges beitragen kann.

Abbildung 2.9: Pierre Gilles de Gennes.

Ein wichtiger Schritt war hier die Verleihung desNobelpreises 1991 an Pierre Gilles de Gennes. Die

Untersuchung von Materialien ohne langreichweiti-ge Ordnung dürfte in Zukunft eine zunehmend wich-tige Rolle spielen, da Polymere und Gläser (z.B. me-tallische Gläser, amorphes Silizium) auch industriellzunehmend wichtiger werden. In dieser Vorlesungwerden wir aber auf die detaillierte Diskussion sol-cher Systeme verzichten und uns auf Systeme mitTranslationssymmetrie beschränken. Der Grund da-für ist einerseits unser Curriculum, andererseits auchdie Tatsache, dass die Beschreibung von amorphenSystemen noch nicht so weit ist, dass sie sich füreinen Einführungskurs gut eignet.

2.1.3 Translationssymmetrie

Wie bereits erwähnt, betrachtet man in der Festkör-perphysik zunächst ideale Kristalle. Darunter stelltman sich einen unendlich ausgedehnten Körper mitperiodisch wiederholten Einheiten vor. Es soll hieraber klar gemacht werden, dass solche Körper in derNatur nicht existieren, und zwar aus 2 Gründen:

• Bei endlicher Temperatur ist ein System oh-ne Fehler, welches damit perfekt geordnet wäreund Entropie null hätte, thermodynamisch in-stabil.

• Ein idealer Kristall ist immer unendlich ausge-dehnt, da eine Oberfläche einen Bruch der Sym-metrie bewirkt.

Diese Grundannahme bedeutet auch, dass Oberflä-cheneffekte (in dieser Näherung) nicht berücksich-tigt werden.

Abbildung 2.10: Kristallgitter.

Die Wiederholung der Grundeinheit erfolgt so, dassdie resultierende Anordnung Translationssymmetriezeigt. Das bedeutet, dass es möglich ist, diese Anord-nung um einen bestimmten Betrag zu verschieben,

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und dadurch das System in ein ununterscheidbaresSystem überzuführen. In Abb. 2.10 sind zwei sol-che Möglichkeiten dargestellt: Verschiebungen um~a1 aund ~a2. Es gibt aber eine unendliche Zahl vonTranslationen, welche diese Bedingung erfüllen. Esist allerdings nicht nötig, diese Operationen einzelnaufzuzählen, man kann sie nach einer einfachen For-mel zusammenfassen.

Abbildung 2.11: Basis-Translationsvektoren.

Man benötigt für jede Dimension einen Basis-Translationsvektor, welche wir als ~a1, ~a2 und ~a3 be-zeichnen. Eine allgemeine Translation ~T in drei Di-mensionen wird dann definiert als die Operation

~r0 =~r +u1~a1 +u2~a2 +u3~a3 =~r +~T ,

wobei die Indizes ui beliebige ganze Zahlen darstel-len. Diese Beziehung gilt für jeden Punkt des Kri-stalls, nicht nur für die Position der Atome. Die Ge-samtheit der Translationen ~T definiert das Raumgit-ter oder Bravais-Gitter.

quadratisch rechteckig hexagonal

Abbildung 2.12: Translationsgitter.

Je nach relativer Länge und Orientierung der erzeu-genden Translationsvektoren unterscheidet man ver-schiedene Arten von Translationsgittern. In zwei Di-mensionen kann man quadratisch (Vektoren senk-recht aufeinander, gleich lang), hexagonal (gleichlang, Winkel 60, resp, 120 Grad), und rechteckig(senkrecht aufeinander unterscheiden.

Die Tatsache, dass die meisten Festkörper, welcheaus wenigen Bauelementen zusammengesetzt sind,

Abbildung 2.13: Struktur von GaAs.

in periodischen Strukturen erstarren, lässt sich leichtals eine Konsequenz der Energieminimierung verste-hen: Wenn ein Atom, Ion oder Molekül in einer be-stimmten Umgebung die geringste Energie besitzt,so muss dies auch für alle anderen Atome, Ionenoder Moleküle der gleichen Art gelten. Die Nach-barschaft aller gleichartigen Atome sollte also diegleiche sein. Dies ist aber identisch mit der Aussa-ge, dass man die Nachbarschaft eines Atoms auf dieUmgebung eines anderen abbilden kann.

2.1.4 Einheitszelle und Basis

Um eine Kristallstruktur zu definieren, braucht manoffensichtlich zusätzliche Information. Das Gittersagt, auf welche Art die Bausteine aneinander gefügtwerden müssen. Wir brauchen aber noch die Kennt-nis der Bausteine. Diese werden als Einheitszelle be-zeichnet, die darin enthaltenen Atome bilden die Ba-sis. Ihre Position kann geschrieben werden als

~r j = x j~a1 + y j~a2 + z j~a3,

mit j als Index des entsprechenden Atoms.

Wird die Basis jeweils um einen Translationsvektordes Gitters verschoben, so erhält man den gesamtenKristall. In Abb. 2.14 ist das für den zweidimensio-nalen Fall dargestellt. Die Einheitszellen können aufbeliebige Weise definiert werden, so lange sie unterden Translationen des Gitters den Kristall vollstän-dig füllen. Eine nahe liegende Möglichkeit zur De-finition der Einheitszelle ist deshalb die Menge allerPunkte, welche durch

~r = x1~a1 + x2~a2 + x3~a3 0 xi 1

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Abbildung 2.14: Gitter und Basis.

bestimmt wird. Dies entspricht dem in Abb. 2.11gezeigten Parallel-Epiped. Das Volumen der Zellekann mit Hilfe der Vektoralgebra bestimmt werden:

V = |~a1 ·~a2 ⇥~a3|.

WSZEZ

Abbildung 2.15: Wigner-Seitz Konstruktion (WSZ)der Einheitszelle.

Eine andere Methode zur Konstruktion einer Ein-heitszelle ist die von Wigner und Seitz. Dazu ziehtman von einem Gitterpunkt Verbindungslinien zu al-len Nachbarn und fällt darauf die mittelhalbierendeEbene. Die Kombination dieser Linien begrenzt dieWigner-Seitz Zelle. Bei der Wigner-Seitz Zelle be-findet sich der Gitterpunkt im Zentrum der Einheits-zelle, im Gegensatz zur konventionellen Wahl, wodie Punkte sich auf den Ecken befinden und die Formeine andere ist.

Auch mit der Wigner-Seitz Einheitszelle kann manjedoch den Raum füllen. Abb. 2.16 zeigt ein Beispielin zwei Dimensionen.

Ähnlich kann man das Wigner-Seitz Verfahren in 3Dimensionen anwenden. Man fällt hier jeweils diemittelhalbierende Ebene. In der linken Hälfte vonAbb. 2.17 wurde die Konstruktion auf ein raumzen-

Abbildung 2.16: Flächenfüllung mit der Wigner-Seitz Einheitszelle.

Abbildung 2.17: Links: Wigner-Seitz Einheitszellein 3D; rechts: raumfüllende Anord-nung von WS-Zellen.

triertes Gitter angewendet. Das Zentrum der Ein-heitszelle ist im Zentrum eines Würfels, die nächstenNachbarn sitzen an den Ecken des Würfels. Auchdiese Einheizszelle füllt den gesamten Raum wennsie durch die Gitteroperationen verschoben wird. DieEinheitszelle enthält im allgemeinen mehrere Ato-me, auch bei primitiven Gittern. Einatomige Ein-heitszellen kommen nur bei Kristallen vor, welcheaus einer einzigen Atomsorte bestehen, und auchdann nur wenn sämtliche Atome durch Translatio-nen ineinander übergeführt werden können.

2.1.5 Rotationssymmetrie

Kristallgitter können nicht nur durch Translationenin sich selbst übergeführt werden, sondern auchdurch andere Symmetrieoperationen, insbesondereDrehungen und Spiegelungen.

Wir betrachten zunächst den Effekt solcher Opera-tionen auf einzelne Elemente. Man unterscheidet diefolgenden Symmetrieelemente:

• Drehachsen Ci oder Ai.

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• Inversion I oder i führt~r ! �~r über.

• Spiegelebene s : Invertiert die Komponentesenkrecht zur Ebene, z.B. (x,y,z) ! (x,y,�z)

• Drehinversionsachsen Si

Inversionszentrum und Spiegelebene ändern dieHändigkeit eines Objektes, sie führen also eine lin-ke Hand in eine rechte Hand über. Kristalle mit in-trinsischer Händigkeit können somit keines dieserSymmetrieelemente enthalten. Ein Kristall, welcherMoleküle mit entgegengesetzter Händigkeit enthältkann hingegen Spiegelebenen enthalten, welche dieeine Form in die andere überführen.

C4

Abbildung 2.18: Transformation eines Objektsdurch eine 4-zählige Rotationsach-se.

Abb. 2.18 zeigt als Beispiel eine vierzählige Rotati-onsachse, welche die vier L-förmigen Objekte inein-ander überführt. Allgemein entspricht eine n-zähligeRotationsachse einer Symmetrieachse, welche Dre-hungen um ganzzahlige Vielfache von 2p/n bewirkt.Wie in den Übungen gezeigt wird, können als mög-liche Werte für n nur n = 1,2,3,4 und 6 auftreten.

Meistens treten diese Elemente nicht einzeln auf,sondern in Kombinationen. In diesem Beispiel exi-stiert auch eine Spiegelebene, welche senkrecht zurRotationsachse liegt und durch die vier Elementeläuft. Wären die beiden Schenkel dieser Elementegleich lang, so würden ausserdem vier zweizähligeRotationsachsen existieren, welche in der Ebene lie-gen würden.

Es sind nicht beliebige Kombinationen von Symme-trieelementen möglich, da die Symmetrieelementeselber unter den Symmetrieoperationen der übrigenElemente auch erhalten bleiben müssen. So könneneinzelne Symmetrieachsen nur senkrecht zueinanderoder in einer Ebene liegen. Zwei Symmetrieebenen

können nur senkrecht zueinander stehen, aber dreiEbenen können einen Winkel von jeweils 60� unter-einander einschliessen. Ausserdem erzeugt die Kom-bination von zwei Elementen häufig ein drittes Ele-ment. So erzeugen zwei Symmetrieebenen, die senk-recht aufeinander stehen, eine zweizählige Drehach-se in ihrer Schnittgeraden. Ein wesentlicher Unter-schied zwischen Punktsymmetrie-Operationen undTranslationen ist, dass bei den Punktymmetrien min-destens ein Punkt fix bleibt.

2.1.6 Gruppen

Im mathematischen Sinn bildet die Menge der Sym-metrieoperationen, welche ein Objekt invariant lässt,eine Gruppe. Allgemein ist in der Mathematik ei-ne Gruppe G definiert als eine nicht leere MengeG = {Ai} von Objekten Ai und einer binären Ope-ration · zwischen den Objekten, welche folgende Ei-genschaften erfüllt:

• Das Resultat einer Operation Ai ·A j = Ak ist sel-ber ein Mitglied der Gruppe.

• Es existiert eine Einheit e mit der Eigenschafte ·Ai = Ai · e = Ai für alle Ai.

• Es existiert zu jedem Element ein inverses Ele-ment A�1

i mit Ai ·A�1i = A�1

i ·Ai = e.

Die verschiedenen Kombinationen von Symmetrie-elementen erfüllen diese Anforderungen. Die ver-schiedenen Gruppen werden nach zwei verschiede-nen Systemen klassiert. Es existieren einerseits diesog. Schönflies-Symbole, andererseits die Klassifi-kation nach Hermann-Maugin, welche auch als in-ternational bezeichnet wird. Für die Bezeichnungennach Schönflies1 verwendet man die folgenden Sym-bole:

• Drehgruppen: Cn (n=2, 3, 4, 6) j-fache Rotati-onsachse. Die Drehgruppe Cn enthält die Ele-mente Cn = {e,Cn,C2

n , . . . ,Cn�1n }.

• Drehspiegelgruppen: Sn; wird durch eine Dreh-spiegelachse erzeugt.

1Arthur Moritz Schoenflies (1853 - 1928), deutscher Mathe-matiker

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2 Symmetrie und Struktur

• D j: Diedergruppen. Werden durch eine Ro-tationsachse Cn sowie n dazu senkrechte C2-Achsen erzeugt.

• T : Tetraedergruppen: vier 3-fache und drei 2-fache Rotationsachsen in einem Tetraeder.

• O: Ikosaedergruppen: 4 3-fache und 3 4-facheRotationsachsen in einem Oktaeder.

C4

C4

C4

C3C3C3

C3

Abbildung 2.19: Oktaeder mit 3- und 4-zähligen Ro-tationsachsen. Nicht eingezeichnetsind 6 C2-Achsen und 9 Spiegele-benen.

Die Gruppen können neben den Rotationsachsenauch Spiegelebenen enthalten. Diese werden durchdie tiefgestellten Symbole h (für horizontal, d.h.senkrecht zu Cn), v (für vertikal, d.h. Cn liegt in derEbene) oder d (ebenfalls senkrecht, aber zwischenden horzontalen C2-Achsen) bezeichnet.

2.2 Ideale Kristalle

2.2.1 Primitive und nichtprimitve Gitter

Die Menge der Translationsvektoren ergibt das Git-ter. Da sie die Symmetrieoperationen zusammenfas-sen, sind Kristallgitter ein wichtiges Hilfsmittel zurCharakterisierung von Kristallen. Das bedeutet abernicht, dass ein gegebener Kristall eindeutig zu einembestimmten Gitter zugeordnet werden kann. Häufiggibt es verschiedene Möglichkeiten, ein Gitter zuspezifizieren. Eine gegebene Anordnung von Ato-men oder Molekülen kann auf unterschiedliche Wei-

se in eine Einheitszelle und ein Gitter zerlegt wer-den.

a1

a2

primitiv 2

a1

a2

nicht primitiv

a1a2

primitiv 1

Abbildung 2.20: Unterschiedliche Wahl der Ele-mentarzelle in einem hexagonalenGitter in 2 Dimensionen.

Abb. 2.20 zeigt eine zweidimensionale Anordnungvon Atomen, die in der Natur relativ häufig vor-kommt. Offensichtlich gibt es mehrere verschiedeneMöglichkeiten, die Gittervektoren~a1 und~a2 zu defi-nieren. Die ersten beiden Möglichkeiten sind hierbeigleichwertig. Die dritte hingegen unterscheidet sichdadurch, dass es mit den hierdurch definierten Trans-lationen nicht möglich ist, die dunklen Atome auf diePositionen der hellen zu bringen. Dementsprechendenthält die dritte Elementarzelle zwei Atome, wäh-rend bei den ersten beiden Varianten die Elementar-zelle jeweils nur ein Atom enthält. Man bezeichnetdie ersten beiden Gitter als primitiv, das dritte alsnicht primitiv.

Bei der Ermittlung der Anzahl Atome pro Ele-mentarzelle muss berücksichtigt werden, dass dieAtome am Rand der Zelle zu mehreren Zellen beitra-gen, aber nur einmal gerechnet werden dürfen. Manhat die Wahl, entweder die Elementarzelle leicht zuverschieben, so dass alle Atome nur in einer Zelleliegen, oder man zählt bei einem Atom, welches zu nZellen beiträgt, jeweils nur 1/n. Offenbar entsprichtbei einem Atom in der Seitenfläche n = 2, auf einerKante n = 3 oder 4, und auf der Ecke eines Würfelsn = 8.

Die Symmetrie eines Kristalls ergibt sich nun durchdie Kombination der Punktsymmetriegruppen, ange-wendet auf die Einheitszelle, mit der Translations-gruppe des Gitters. Nicht alle möglichen Punktsym-

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metriegruppen sind aber mit periodischen Gitternverträglich. Insgesamt gibt es 32 Punktsymmetrie-klassen, die auch in periodischen Systemen vorkom-men können. Diese enthalten Spiegelebenen, sowieRotationsachsen mit 2, 3, 4 und 6 zähliger Symme-trie. Fünf oder zehnzählige Achsen sind nur möglich,wenn das Gitter nicht räumlich periodisch ist.

Bei allen Symmetrieoperationen bleibt eine Mengevon Gitterpunkten fest, nämlich die Punkte, welcheauf das Symmetrieelement fallen.

Abbildung 2.21: Punktsymmetriegruppen.

Die Tabelle in Abb. 2.21 fasst alle 32 Punktsymme-triegruppen zusammen, welche mit Translationsgit-tern kompatibel sind. Die Bezeichnungen sind nachSchönflies und nach Herrmann-Maugin angegeben.

Jede dieser Punktsymmetriegruppen kann durch ei-nes oder mehrere Symmetrieelemente erzeugt wer-den, wobei teilweise unterschiedliche Möglichkeitenbestehen, diese Elemente zu wählen. Die Zahl W be-zeichnet die Anzahl äquivalenter Positionen in allge-meiner Lage.

2.2.2 Kristallsysteme

ab

c

Abbildung 2.22: Definition der Achsen und Winkel.

Die Kombination der Punktsymmetriegruppen mitdem Translationsgitter ergibt insgesamt 230 unter-schiedliche Raumgitter oder Raumgruppen. Diesewerden eingeteilt in sieben Kristallsysteme, welcheunterschieden werden aufgrund von Bedingungen andie Achsen a,b,c der Einheitszelle, sowie die Win-kel a,b ,g .

kubisch

� = � = � = 90�a = b = c

a 6= b 6= c� = � = 90� 6= �

monoklin

aa

triklin

a 6= b 6= c� = � = � = 90�

orthorombisch

rhomboedrisch (trigonal)a = b = c� = � = � 6= 90� < 120�

hexagonal

a = b 6= c

� = � = 90�, � = 120�

a = b 6= c

� = � = � = 90�

tetragonal

Abbildung 2.23: Übersicht über die Kristallsysteme.

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2 Symmetrie und Struktur

2.2.3 Bravais-Gitter

Diese sieben Kristallsysteme werden weiter diffe-renziert in 14 Bravais-Gitter. Ein primitives Bravais-Gitter ist definiert als die Menge aller Translations-vektoren

~T = u1~a1 +u2~a2 +u3~a3, (2.1)

welche die entsprechende, unendlich ausgedehn-te Kristallstruktur invariant lassen. In einem nicht-primitiven Gitter werden zustätzliche Punkte eing-fügt, so dass jede Elementarzelle mehr als einenPunkt enthält, welche nicht durch die in (2.1) defi-nierten Gittervektoren erreicht werden. Trotzdem istdie Umgebung dieser Punkte identisch zur Umge-bung aller anderen Gitterpunkte.

Zu jedem Kristallsystem gibt es ein primitives Gitter.Beim monoklinen gibt es ausserdem ein basiszen-triertes, d.h. die Einheitszelle besitzt nicht nur Git-terpunkte an den Ecken, sondern auch im Zentrumder durch a und b aufgespannten Fläche. Dieses Git-ter ist also nicht primitiv. Beim orthorombischen gibtes ebenfalls ein basiszentriertes Gitter, sowie zusätz-lich ein raumzentriertes (oder innenzentriertes) undein flächenzentriertes. Beim tetragonalen Gitter gibtes ein raumzentriertes und beim kubischen ein raum-zentriertes und ein flächenzentriertes.

r2 = (1/2, 1/2, 1/2)

Abbildung 2.24: Kubisch primitives. innenzentrier-tes und flächenzentrierte Einheits-zellen.

Die vielleicht einfachste Kristallstruktur ist das pri-mitiv kubische Gitter (Abb. 2.24 links). Die Ato-me sind in diesem Fall auf den Ecken eines Wür-fels angeordnet, so dass jede Einheitszelle ein Atomenthält. In einem flächenzentrierten kubischen Gitter(Abb. 2.24 rechts) sind drei weitere Atome pro Ein-heitszelle vorhanden, zentriert in den Seitenflächendes Würfels.

~a2

~a3

~a1

Abbildung 2.25: fcc Gitter mit einer (alternativen)primitiven Einheitszelle.

Ein basiszentriertes oder raumzentriertes Gitter be-sitzen zwei Gitterpunkte pro Einheitszelle, ein flä-chenzentriertes Gitter vier. Natürlich wäre es bei al-len nichtprimitiven Gittern ebenfalls möglich, eineandere Einheitszelle zu wählen, sodass das Gitterprimitiv würde. Abb. zeigt als Beispiel ein fcc Gittermit einer alternativen Einheitszelle. Diese entsprichteinem rhomboedrischen Gitter. Diese Einheitszelleenthält nur einen Gitterpunkt und ist damit vier malkleiner. Häufig sind aber die Rechnungen einfacherin einem nichtprimitiven Gitter durchzuführen, z.B.wenn man dann ein orthonormiertes Koordinaten-system verwenden kann. Insgesamt erhalten wir diefolgenden 7 Kristallsysteme und 14 Bravais-Gitter:

1. Triklin: a 6= b 6= c, a 6= b 6= g : keine Symmetrie

2. Monoklin: a 6= b 6= c, a = g = 90� 6= b : 1 C2;a) primitiv, b) basiszentriert

3. Orthorombisch: a 6= b 6= c, a = b = g = 90� :3 C2 a) primitiv, b) basiszentriert, c) raumzen-triert, d) flächenzentriert

4. Hexagonal: a = b 6= c, a = b = 90�, g = 120�

: 1 C6 primitiv

5. Rhomboedrisch (trigonal): a = b = c, a = b =g 6= 90� < 120�; : 1 C3 primitiv

6. Tetragonal: a = b 6= c, a = b = g = 90�, : 1 C4a) primitiv, b) raumzentriert

7. Kubisch: a = b = c, a = b = g = 90� : 4 C3 a)primitiv, b) raumzentriert, c) flächenzentriert

2.2.4 Miller Indizes

In der Kristallographie spielen die sog. Netzebeneneine große Rolle. Dabei handelt es sich um (gedach-

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2 Symmetrie und Struktur

te) Ebenen, die mit Atomen oder Gitterpunkten be-setzt sind. Wie man sich leicht überzeugen kann,sind die Atome in einer solchen Ebene ebenfalls pe-riodisch angeordnet, wobei die Periodizität größersein kann als die Periodizität des Kristalls. DieseNetzebenen können durch jeweils drei ganze Zahleneindeutig charakterisiert werden.

a

b

Abbildung 2.26: Netzebene mit Achsenabschnitten3, 1.

Dafür bestimmt man die Abschnitte, an denen dieEbene die Achsen schneidet. Die Achsenabschnittewerden in Vielfachen der Einheitszelle (also nichtder primitiven Elementarzelle) bestimmt. Im Bei-spiel von Abb. 2.26 sind dies die Zahlen 3 und 1.Die Miller Indizes erhält man, indem man den Kehr-wert der Achsenabschnitte bildet (hier: 1/3, 1/1) unddas kleinste ganzzahlige Verhältnis bestimmt (hier:1, 3). Für Achsenabschnitte 6, 2, 3 erhält man somitdie Kehrwerte 1/6, 1/2 = 3/6, 1/3 = 2/6 und damitMiller Indizes (132). Liegt die Netzebene parallel zueiner Achse, so beträgt der entsprechende Achsenab-schnitt unendlich und der Index 0. Negative Achsen-abschnitte werden mit einem Querstrich bezeichnet.

z z

xy

z

xy

xy

(100) (110) (111)

Abbildung 2.27: Beispiele für Netzebenen.

Einige Beispiele von Miller Indizes für häufig ver-wendete Ebenen sind in Abb. 2.27 zusammenge-stellt. Jede Netzebene entspricht einer Netzebenen-schar, d.h. einer unendlichen Schar von äquivalentenEbenen, welche parallel zueinander in einem festen

Abstand liegen. Diese Netzebenen entsprechen auchmöglichen Spaltflächen oder Wachstumsebenen vonKristallen.

Meist sind aufgrund der Symmetrie des Gitters meh-rere Netzebenen äquivalent zueinander. Ein einfa-ches Beispiel sind die Ebenen (100), (010), und(001) des einfach kubischen Gitters. Solche Grup-pen von äquivalenten Netzebenen fasst man zusam-men, indem man die Indizes in geschweifte Klam-mern setzt, also z.B. {100}.

2.2.5 Dichteste Kugelpackung

Festkörper bilden sich, weil die darin enthaltenenBausteine sich gegenseitig anziehen. Die Energie ei-nes Kristalls kann deshalb meist optimiert werden,wenn die Bestandteile möglichst dicht gepackt sind.Es stellt sich somit die Frage, welche Anordnung denRaum optimal füllt. Für die meisten Bestandteile istdie Antwort nicht analytisch, aber für den wichtigenFall, dass die Bestandteile durch karte Kugeln ange-nähert werden könne, lässt sich die Frage beantwor-ten. Kugelförmige Bestandteile sind eine gute Nähe-rung für viele Ionenkristalle.

In einer Dimension wird die dichteste Kugelpackungdurch eine Reihe direkt aneinander gelegter Kugelnrealisiert.

Abbildung 2.28: Links: dichteste Kugelpackung ineiner Ebene; rechts: 2 hexagonaldichtest gepackte Ebenen gestapelt.

In zwei Dimensionen kann man Reihen von Ku-geln jeweils um eine halbe Gitterkonstante verscho-ben aneinander fügen und erhält eine dichteste Ku-gelpackung, welche einem hexagonalen Gitter ent-spricht. Fügt man zwei solcher Schichten aufeinan-der, so wird der Schichtabstand minimal, wenn sichdie Kugeln der oberen Lage über einer Lücke der un-teren Lage befinden (siehe Abb. 2.28 rechts).

24

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2 Symmetrie und Struktur

Abbildung 2.29: 3 hexagonal dichtest gepackte Ebe-nen gestapelt.

Fügt man eine dritte Schicht auf diese beiden, sokann dies auf zwei Arten optimiert werden: Man legtdie dritte Schicht vertikal über die erste oder manverschiebt sie nochmals in die gleiche Richtung wiebeim ersten Schritt, so dass die dritte über die ge-meinsame Lücke der blauen und roten Schicht zu lie-gen kommt. Die erste Folge wird als ABAB charak-terisiert, die zweite als ABCABC. Beide Variantenkommen in der Natur vor, und es sind auch gemisch-te Fälle möglich, d.h. die Stapelfolge kann variie-ren. In allen Fällen gilt für identische Kugeln, dassdas Volumen der Kugeln 74 % des Kristallvolumensausmacht. Das Verhältnis der Kugelvolumina zumgesamten Volumen wird als Raumfüllung bezeich-net. Da diese beiden Packungen die maximal mögli-che Raumfüllung aufweisen, werden sie als ‘dichte-ste Kugelpackung’ bezeichnet.

Schicht A

Schicht BSchicht A

A

B

CA

Abbildung 2.30: Anordnung der Schichten in der he-xangonal dichtesten Kugelpackung(links) und in der fläcenzentriertendichtesten Kugelpackung (rechts).

Ist die Stapelfolge ABAB, so wählt man normaler-weise eine hexagonale Einheitszelle, wie in Abb.2.30 links dargestellt. Diese Struktur wird als hexa-gonal dichteste Kugelpackung bezeichnet oder kurz

als hcp (=hexagonal close packed). Die Stapelrich-tung entspricht der c-Achse des hexagonalen Kri-stallsystems.

Für die Beschreibung des Gitters, das durch die Sta-pelfolge ABCABC erzeugt wird, verwendet mandas kubisch flächenzentrierte Gitter, welches in Abb.2.30 rechts dargestellt ist. Die Stapelrichtung ent-spricht der Raumdiagonale des Würfels. Dieser Fallwird kurz als fcc (=face centered cubic) bezeichnet.Die Raumfüllung beträgt in beiden Fällen (hcp undfcc) 74%. In einem kubisch innenzentrierten Gitter(bcc = (body centered cubic) ist die Raumfüllung68%, in einem einfachen kubischen Gitter 52%, undin einem Diamantgitter 34%.

2.2.6 Diamant-Gitter

0 0

0 0

01/2 1/2

1/2

1/2

1/4

1/4

3/4

3/4

Abbildung 2.31: Struktur von Diamant als 3D Dar-stellung und Projektion in die xy-Ebene mit den z-Koordinaten derAtome.

Eine relativ wichtige Struktur ist diejenige von Dia-mant. Zusätzlich zu einem flächenzentrierten kubi-schen Gitter enthält Diamant jeweils ein Atom an derStelle (1/4, 1/4, 1/4) und den entsprechenden äquiva-lenten Positionen.

Viele Halbleiter, wie z.B. Si oder GaAs kristallisie-ren in der Diamantstruktur. Bei den binären Halb-leitern werden die Gitterplätze abwechselnd mit Gaoder As belegt.

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2 Symmetrie und Struktur

Abbildung 2.32: Struktur von GaAs.

Abbildung 2.33: Struktur von NaCl (links) und CsCl(rechts).

Kristalle, die aus mehr als einer Atomsorte beste-hen, enthalten dementsprechend mehrere Atome proEinheitszelle. Ein relativ einfaches Beispiel ist NaCl(Kochsalz). Da die Na+-Ionen kleiner sind als dieCl�-Ionen ist in diesem Fall ein kubisch flächenzen-triertes Gitter energetisch am günstigsten. Dies be-deutet, dass in einem Untergitter, welches nur die Cl-, resp. Na-Ionen enthält, jeweils Ecken und Flächen-mittelpunkte eines Kubus besetzt sind. Man kanndas Gitter aber auch als primitiv kubisches Gitter(mit der halben Gitterkonstante, d.h. 1/8 Volumender Einheitszelle) beschreiben, bei dem die Gitter-plätze alternierend mit Cl, resp. Na besetzt sind.

2.2.7 Quasikristalle

Wie bereits erwähnt, sind fünfzählige Rotations-achsen in einem System mit Translationssymme-trie nicht möglich. Auch in zwei Dimensionen istes nicht möglich, die Ebene mit Einheitszellen mitfünfzähliger Symmetrieabzudecken. Man hat des-halb lange Zeit geglaubt, dass solche Kristalle nicht

existieren würden. Erst 1984 wurden erstmals inBeugungsexperimenten 10-zählige Symmetrieach-sen gefunden, und etwas später konnte man dieseSymmetrie auch makroskopisch nachweisen.

Abbildung 2.34: Morphologie eines Quasikristalls(links) und zugehöriges Beugungs-muster (rechts).

Mit Hilfe der Elektronenmikroskopie findet man diefünfzählige Symmetrie sowohl in der Morphologieder Kristalle wie auch in der atomaren Struktur. Diegleiche Symmetrie findet man auch in hochauflö-senden Mikroskopie Bildern, welche direkt die ato-mare Struktur darstellen. Da diese Materialien zwareinen hohen Ordnungsgrad, aber keine Translations-symmetrie aufweisen, werden sie als Quasikristallebezeichnet. Die Details dieser Strukturen sind nochnicht in allen Fällen vollständig verstanden. Sie ba-sieren jedoch auf räumlich nichtperiodischen Struk-turen.

Abbildung 2.35: Zwei Beispiele, wie eine Ebenemit einem nichtperiodischen Mu-ster abgedeckt werden kann.

In zwei Dimensionen können Kombinationen von2 Elementen den Raum vollständig abdecken, ohnedass sie Translationssymmetrie aufweisen. Bekannt

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2 Symmetrie und Struktur

dafür sind vor allem die Elemente von Penrose.

2.3 Strukturbestimmung

Die atomare Struktur eines Körpers kann viele seinerEigenschaften erklären und ist deshalb immer vongroßem Interesse. Um diese Struktur zu bestimmenbenötigt man ein Werkzeug, welches in atomarenGrößen arbeiten kann. In erster Linie benutzt mandafür elektromagnetische Wellen mit kurzer Wel-lenlänge, d.h. Röntgenstrahlen. Auch Materiewellensind mit Erfolg eingesetzt worden, in erster LinieElektronen oder Neutronenstrahlen, aber neuerdingsauch Atomstrahlen.

2.3.1 Feld-Ionen Mikroskopie

+

V

He

Spitze

Schirm

Abbildung 2.36: Prinzip der Feldionenmikroskopie.

Die erste Methode, welche Atome direkt sichtbarmachte, war die Feld-Ionen Mikroskopie. Es han-delt sich dabei um ein relativ einfaches Gerät: imWesentlichen benötigt man eine sehr scharfe Spitze,an die man eine positive elektrische Spannung an-legt. Dadurch erhält man an der Spitze ein sehr ho-hes elektrisches Feld. Ausserhalb der Spitze befin-det sich mit niedrigem Druck ein Gas, typischerwei-se Helium. Wenn ein Heliumatom in die Nähe derSpitze gelangt, wird es durch dieses enorme elek-trische Feld ionisiert, das heisst diese Metallspitzezieht eines der Elektronen des Heliumatoms weg.Dadurch wird das Heliumatom zu einem positiv ge-ladenen Heliumion und wird nun durch das starkeelektrische Feld sehr rasch von der Spitze weg be-schleunigt. Nach einer Distanz von etwa 10 cm trifft

es auf einen Schirm, wo es sichtbar gemacht wird.Da sich die Atome auf dem direktesten Weg von derSpitze entfernen, entsteht dadurch auf dem Schirmein Bild der Spitze. Die Vergrößerung kommt durchdas Verhältnis des Radius der Spitze zur Distanz vomSchirm zustande und benötigt keine weiteren abbil-denden Elemente. Man erhält also auf diese Weiseauf dem Schirm ein Bild dieser Spitze mit sehr ho-her Auflösung. Allerdings ist das Bild ziemlich starkverzerrt.

Abbildung 2.37: Atome, die sich auf einer Metall-spitze bewegen. Das obere ist einRhenium-, das untere ein Wolfram-Atom.

Diese Art von Mikroskopie ist inzwischen mehr als40 Jahre alt, sorgt aber immer noch für spektakuläreBilder, wie z.B. die Serie von Bildern in Abb 2.37,welche zeigen, dass man damit nicht nur atomareAuflösung erhält, also einzelne Atome sehen kann,sondern auch deren Bewegung über die Oberflächebeobachten kann. In Abb. 2.37 ist die Oberfläche ei-ner Wolframspitze dargestellt, auf der sich zwei ein-zelne Atome bewegen, welche durch die dreiecki-gen Pfeile markiert sind. Beim unteren handelt essich um ein Wolfram-Atom, beim oberen um einRhenium-Atom. (Aus T.T. Tsong, Atomprobe fieldion microscopy, Cambridge University Press, Cam-bridge (1990).)

2.3.2 Elektronenmikroskopie

Um ein weniger verzerrtes Bild einer beliebigen ato-maren Struktur zu erhalten, benötigt man eine Ab-

27

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2 Symmetrie und Struktur

bildungsoptik, die unabhängig vom abzubildendenObjekt ist. Die Wellenlänge des abbildenden Feldesmuss dazu kleiner sein als die abzubildenden Struk-turen. Verwendet man elektromagnetische Wellen(d.h. Röntgenstrahlen), sind abbildende Linsen prak-tisch nicht herstellbar.

Abbildung 2.38: Funktionsprinzip eines Elektronen-mikroskops.

Verwendet man jedoch Elektronen für die Abbil-dung, so können Linsen mit elektromagnetischenFeldern erzeugt werden.

Abbildung 2.39: Elektronenmikroskopische Auf-nahme eines Molekülkristalls.

Hochgezüchtete Systeme sind in der Lage, Ato-me direkt abzubilden. Dafür muss allerdings eineVergrößerung um mindestens 7 Größenordnungenerreicht werden. Aufgrund der damit verbundenentechnischen Schwierigkeiten ist dies erst seit weni-

gen Jahren möglich und stellt immer noch kein Rou-tineverfahren dar.

2.3.3 Rastersonden Mikroskopie

Die Methode, mit der man die strukturelle Infor-mation erhält, hängt stark davon ab, welches dieserWerkzeuge man verwendet. Im Falle der Rasterson-den Mikroskopie ist die Methode sehr direkt: mantastet den Gegenstand mit der Probe ab und zeichnetdie Position der Probe auf, um so direkt ein Bild derOberfläche zu erhalten.

Elektronik

Strom

Abbildung 2.40: Funktionsprinzip der Raster-Tunnelmikroskopie.

Diese Methode wurde 1982 von Binnig und Roh-rer am IBM Forschungslaboratorium in Rüschlikonentwickelt. Dabei wurde eine feine Spitze über eineOberfläche geführt, wobei der Abstand zwischen derSpitze und der Oberfläche konstant gehalten wur-de. Indem man die Position der Spitze aufzeichnete,konnte man ein Bild der Oberfläche erhalten. Mantastet also die Oberfläche mit einer Spitze ab, benutztalso eine Art verfeinerten Tastsinn, um die Oberflä-che sichtbar zu machen.

Insbesondere hat man auch gelernt, mit dem Mi-kroskop Atome zu verschieben, nicht nur zu beob-achten. Abb. 2.41 zeigt als Beispiel einen Ring aus48 Eisenatomen, welche mit einer Rastertunnelspit-ze auf der Oberfläche eingesammelt und an einen Ortgebracht wurden. Anschliessend wurde das gleicheMikroskop dafür verwendet, sie abzubilden.

Die Raster-Sonden Mikroskope verwendeten die ex-ponentielle Abhängigkeit des sog. Tunnelstroms, al-

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2 Symmetrie und Struktur

Abbildung 2.41: STM Bild eines Kreises aus 48 Ei-senatomen.

so eines elektrischen Stroms durch ein nichtleiten-des Medium wie das Vakuum, um ein Bild zu er-halten. Diese Technik wird deshalb als Tunnelmikro-skopie (STM = scanning tunneling microscopy) be-zeichnet. Die Notwendigkeit für einen elektrischenStrom beschränkt diese Technik auf leitende Ober-flächen. Später kamen andere Arten von Sonden da-zu, wie die Raster-Kraftmikroskopie (AFM = atomicforce microscpy) die magnetische Wechselwirkung(MFM = magnetic force microscopy) oder die opti-sche Nahfeld Mirkroskopie (SNOM = scanning nearfield optical microscopy). Alle diese Techniken sindhervorragend für die Untersuchung von bestimmtenOberflächen geeignet, jedoch nicht für die Untersu-chung von Volumenkristallen.

2.3.4 Röntgenbeugung

Vor der Entwicklung der direkten Methoden wardie einzige Möglichkeit, mit atomarer AuflösungInformationen über Kristallstrukturen zu erhalten,die Verwendung von Beugungsmethoden, also dieStreuung einer Welle an einer periodischen Struk-tur. Voraussetzung dafür ist, dass die Wellenlängeder verwendeten Strahlung von der gleichen Größen-ordnung ist wie die Abstände zwischen den Atomen,also weniger als 1 nm.

Die Beugung von Wellen an periodischen Struktu-ren wurde u.a. von Bragg erklärt. Seine Erklärungist sehr anschaulich und liefert das richtige Resultat.Man betrachtet dabei eine Reihe von parallelen Ebe-nen. Im Kristall sind dies natürlich keine wirklichenEbenen, sondern Netzebenen, also zweidimensiona-le Anordnungen von Atomen.

Cl- Na+

a0

a0

Abbildung 2.42: Struktur von NaCl.

Röntgenstrahl

d

d

� �

� �

� �

Abbildung 2.43: Interferenz von Teilstrahlen and be-nachbarten Netzebenen.

Jede dieser Ebenen reflektiert einen Teil der einfal-lenden Welle. Wie groß dieser Anteil ist, hängt vonder Welle selber ab, sowie von der Netzebene: wiedicht sind die Atome gepackt, was für eine Art vonAtomen sind es etc. Typische Werte für die Reflekti-vität einer einzelnen Ebene liegen bei 10�5 . . .10�3.

Für die Herleitung der Bragg-Bedingung bezeichnenwir den Abstand zwischen diesen Ebenen als d. Fallsder Brechungsindex dieser Ebenen von demjenigendes übrigen Materials abweicht, wird an diesen Ebe-nen jeweils ein Teil der Welle reflektiert. Da es sichum eine Welle handelt, tritt beim Beobachter Inter-ferenz ein, d.h. die gesamte reflektierte Welle ergibtsich durch lineare Superposition der einzelnen Wel-len.

Damit positive Interferenz entsteht, muss der Lauf-zeitunterschied zwischen den einzelnen Teilwellenein Vielfaches der Wellenlänge sein, d.h.

2d sinq = nl . (2.2)

Der Winkel q ist hier der Winkel zwischen der Ein-fallsrichtung des Röntgenstrahls und der Netzebe-

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2 Symmetrie und Struktur

d sin �d}

Abbildung 2.44: Berechnung der Bedingung fürkonstruktive Interferenz.

ne und damit die Hälfte des Ablenkwinkels für denRöntgenstrahl.

Dies ist die sogenannte Bragg-Bedingung: Beu-gungsreflexe können nur dann auftreten, wenn derEinfallswinkel des Röntgenstrahls auf die Netzebe-ne durch das obige Verhältnis zwischen Netzebe-nenabstand und Wellenlänge gegeben ist. Die Bedin-gunge kann offenbar nur dann erfüllt werden, wenndie Wellenlänge l kleiner ist als der doppelte Ab-stand, l 2d. Um gut aufgelöste Beugungsbilderzu erhalten, benötigt man Wellen, deren Wellenlän-ge vergleichbar ist mit dem Abstand der untersuch-ten Netzebenen, also im Bereich von ⇡ 1A . . .1nm.

Wie diese Herleitung zeigt, erzeugt jede Schar vonNetzebenen einen Beugungsreflex. Ein Beugungs-muster enthält deshalb viele Reflexe, welche jeweilseiner Netzebene zugeordnet werden können. DieBragg-Bedingung bestimmt jedoch nur die mögli-chen Reflexionsrichtungen, sie sagt nichts über dieIntensität des Beugungsmaximums.

2.3.5 Beugung von Materiewellen

Anstelle von Röntgenstrahlen kann man auch Mate-riewellen für Beugungsuntersuchungen verwenden.Gemäss de Broglie beträgt die Wellenlänge einesTeilchens mit Impuls p

l =hp

oder k =ph.

Für nichtrelativistische Elektronen der Energie E er-hält man den Impuls als

p =p

2mE

und daraus die Wellenlänge als

l =1.2p

E(p

eVnm)

oder rund 150 eV für eine Wellenlänge von 0.1 nm.

Röntgen Elektronen

Vergleich der Beugungsmuster von Röntgen und Elektronenstrahlen

Elektronenkanone

Detektor

Abbildung 2.45: Elektronenbeugung.

Elektronenstrahlen ergeben deshalb sehr ähnlicheBeugungsmuster wie Röntgenstrahlen. Die Ein-dringtiefe von Elektronen dieser Energie ist rechtklein (15 nm), sodass sich Elektronenbeugung in er-ster Linie für die Untersuchung von Oberflächen eig-net.

Ebenfalls recht häufig verwendet werden Neutronen.Da diese rund 1836 mal schwerer sind als Elektro-nen haben sie eine sehr viel kürzere Wellenlänge, re-sp. eine sehr viel niedrigere Energie bei der gleichenWellenlänge: 0.1 nm wird erreicht bei einer Energievon 80 meV.

Sowohl Neutronen wie auch Elektronen zeigen ei-ne andere Abhängigkeit zwischen Energie und Wel-lenlänge als Photonen. Wie in Abb. 2.46 gezeigt istdie Wellnlänge bei massiven Teilchen µ E �1/2, beiPhotonen µ E �1. Für den relevanten Wellnlängen-

30

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2 Symmetrie und Struktur

10

Photonenenergie in keVNeutronenenergie in 0,01 eVElektronenenergie in 100 eV

Wel

lenl

änge

in Å

Photonen

Neutronen

Elektronen

1 10 1000,1

1

Abbildung 2.46: Wellenlänge als Funktion der Ener-gie für Elektronen, Neutronen undPhotonen.

bereich kann man sie ausdrücken als

lR(A) =12.4

E(keV)

le(A) =12p

E(eV)

lN(A) =0.28pE(eV)

. (2.3)

2.3.6 Neutronenbeugung

Der wesentliche Unterschied zwischen Elektronen(oder Röntgenstrahlen) und Neutronen liegt in derArt ihrer Wechselwirkung: Neutronen wechselwir-ken in erster Linie mit den Atomkernen, nicht mitden Elektronen, und die Stärke der Wechselwirkunghängt nicht von der Ladung ab. Sie kann deshalb fürKerne mit ähnlicher Ordnungszahl oder für Isotopedes gleichen Elementes stark variieren. Neutronensind attraktive Sonden für die Messung an leichtenKernen, welche mit Röntgenstrahlen fast unsichtbarsind. Die Eindringtiefe kann sehr stark variieren, vonwenigen um bis zu mehreren Zentimetern.

Neutronen können allerdings nicht im Labor-massstab genutzt werden: Man benötigt als Quelleeinen Reaktor (wie hier am ILL in Grenoble) oder

Abbildung 2.47: Erzeugung von Neutronen im For-schungsreaktor (ILL Grenoble).

einen Beschleuniger (wie in der geplanten Neutro-nenquelle ESS).

Abbildung 2.48: Neutronen-FlugzeitspektrometerIN6 am ILL Grenoble.

Auch die eigentlichen Spektrometer sind sehr auf-wändige Großgeräte, welche nur an wenigen For-schungszentren zur Verfügung stehen, wie z.B. amInstitut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble. Nebenden Reaktoren gibt es als Neutronenquellen Spallati-onsquellen: Hier werden relativistische Protonen aufein Target geschossen, aus dem dadurch Neutronenaustreten.

Bezüglich der reinen Strukturaufklärung unterschei-den sich Neutronen von Röntgenstrahlung vor al-lem durch den Streuquerschnitt: sie bilden nicht dieElektronendichte ab, sondern die Position der Kerne.

31

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2 Symmetrie und Struktur

Deshalb sind sie z.B. nützlich für die Messung derPosition von Wasserstoffatomen, welche wegen ih-rer geringen Anzahl Elektronen in Röntgenmessun-gen schlecht sichtbar sind. Außerdem können sie zurMessung von Kernbewegungen, magnetischer Ord-nung und Isotopenverteilung eingesetzt werden.

2.4 Das reziproke Gitter

Die Bragg-Bedingung (2.2) liefert zwar eine Bedin-gung für das Auftreten von Röntgenreflexen, aber esist zum einen keine hinreichende Bedingung, zumzweiten liefert sie keine Intensitäten. Wie groß dieIntensität der gestreuten Welle ist, hängt davon ab,wie stark die einzelnen Ebenen reflektieren. Im Fal-le der Röntgenstrahlung ist die Beugungseffizienzim Wesentlichen proportional zur Elektronendichte.Für die Berechnung der Streuintensität müssen wirdeshalb die räumliche Abhängigkeit der Elektronen-dichte betrachten.

2.4.1 Periodizität der Elektronendichte

Aufgrund der Periodizität des Kristalls muss dieElektronendichte n(~r) ebenfalls periodisch sein,

n(~r +~T ) = n(~r),

wobei ~T einen Translationsvektor

~T = u1~a1 +u2~a2 +u3~a3

darstellt.

Daraus folgt, dass man die Elektronendichte alsFourier-Reihe schreibenkann. In einer Dimensionwird sie dann

n(x) = n0 + Âp>0

Cp cos2p px

a+Sp sin

2p pxa

oder in komplexer Schreibweise

n(x) =•

Âp=�•

npei2p px/a.

k0

b(k-a)

2ʌ/a

k0 2ʌa

4ʌa

6ʌa

x

Harmonische Funktionf(x) = cos(2!x/a)

x

Periodische Funktiong(x) Diskrete Funktion

F{f(x)} =

Z ��

��e�ikxf(x) dx

F{g(x)} =

Z ��

��e�ikxg(x) dx

Abbildung 2.49: Fourier-Zerlegung einer eindimen-sionalen Funktion.

Damit die Elektronendichte reell wird, muss geltenn⇤

�p = np. Geht man nun zu drei Dimensionen, soerhält man

n(~r) = Âpqs

npqsei2p px/aei2pqy/bei2psz/c,

wobei p, q und s über alle (positiven und negati-ven) ganzen Zahlen laufen. Dies kann auch in Vek-torschreibweise geschrieben werden

n(~r) = ÂG

n~Gei~G·~r,

Der Vektor

~G =

✓2p p

a,2pq

b,2ps

c

wird definiert durch drei diskrete Zahlen p,q,s. Erstellt also einen Punkt in einem Gitter dar, ähnlichwie die Translationsvektoren ~T . Dieses Gitter be-findet sich allerdings nicht im gewöhnlichen dreidi-mensionalen Raum, sondern hat offenbar die Dimen-sion einer inversen Länge. Es wird üblicherweise alsreziprokes Gitter bezeichnet.

2.4.2 Definition des reziproken Gitters

Eine mögliche Definition des reziproken Gitters istdie folgende:

Das reziproke Gitter besteht aus denjenigen Wel-lenvektoren ~k, die eine Funktion ei~k·~r definieren,welche im direkten Raum die Periodizität des di-rekten Gitters aufweist.

32

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2 Symmetrie und Struktur

Alternativ können wir das reziproke Gitter konstruk-tiv definieren, indem wir zunächst seine Basisvekto-ren definieren:

~b1 = 2p

~a2 ⇥~a3

~a1 ·~a2 ⇥~a3= 2p

~a2 ⇥~a3

V

~b2 = 2p

~a3 ⇥~a1

V~b3 = 2p

~a1 ⇥~a2

V.

Aufgrund dieser Konstruktion steht~b1 senkrecht auf~a2 und ~a3 und entsprechendes gilt für die anderenVektoren. Sakalarprodukte zwischen Basisvektorendes direkten und reziproken Gitters werden somit

~bi ·~a j = 2pdi j.

Diese Konstruktion kann auch in Matrixform ge-schrieben werden. Wir definieren die Matrix

A = (~a1,~a2,~a3) =

0

@a1x a2x a3xa1y a2y a3ya1z a2z a3z

1

A

der primitiven Gittervektoren.

~a2

~a3

~a1

Abbildung 2.50: Primitive EZ im fcc-Gitter mit denBasisvektoren des reziproken Git-ters.

Für die primitive Einheitszelle des kubisch flächen-zentrierten Gitters (siehe Abb. 2.50), z.B., erhaltenwir

A =a2

0

@1 0 11 1 00 1 1

1

A ,

wobei a wie üblich die Kantenlänge des Würfels dar-stellt. Entsprechend können wir eine Matrix B für dieBasisvektoren des reziproken Gitters definieren. Ausder Orthogonalitätsbeziehung folgt A†B = 2p oder

B = 2p

�A†��1

.

Damit ist es möglich, die Bestimmung des rezipro-ken Gitters auf eine Matrixinversion zurückzufüh-ren. Im obigen Fall erhalten wir

B =2p

a

0

@1 �1 11 1 �1

�1 1 1

1

A .

2.4.3 Gitterelemente

Das gesamte Gitter erhält man wiederum durch Li-nearkombination der Basisvektoren

~G = v1~b1 + v2~b2 + v3~b3

mit ganzzahligen vi. ~G wird als Punkt oder Vektordes reziproken Gitters bezeichnet. Die Dimensiondieser Vektoren beträgt m�1, wie man leicht aus derDefinition der Basisvektoren ersieht. Falls die Vekto-ren ~ai die Basisvektoren des primitiven Gitters sind,so sind auch die Vektoren ~bi die Basisvektoren desprimitiven reziproken Gitters.

Die Punkte des reziproken Gitters sind Fourierkom-ponenten des Kristalls und damit in erster Liniemathematische Hilfsmittel. Um sie doch etwas zuveranschaulichen, kann man sich aber vorstellen,dass sie ein Objekt des direkten Raumes beschrei-ben, welches eine bestimmte Periodizität besitzt. EinGitterpunkt, der im zweidimensionalen reziprokenRaum die Koordinaten (r,s) besitzt, entspricht derKomponente

sin2prx

asin

2psyb

.

Abb. 2.51 zeigt zwei Beispiele. Ein Vektor des rezi-proken Gitters entspricht damit immer einer entspre-chenden Periodizität im direkten Raum. Damit ent-hält die Wellenfunktion des Kristalls eine Kompo-nente ei~k·~r. Aufgrund der Beziehung von de Broglie

33

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2 Symmetrie und Struktur

Abbildung 2.51: Punkte im reiproken Gitter und ihreFouriertransformierten.

kann dies auch so interpretiert werden, dass ein Im-puls in Richtung~k vorhanden ist. Mit anderen Wor-ten: das reziproke Gitter ist eine Zerlegung des Fest-körperimpulses.

Aus der Konstruktion der Basisvektoren, resp. derOrthogonalitätsbeziehung~bi ·~a j = 2pdi j folgt für be-liebige Vektoren ~T des direkten Gitters und ~G desreziproken Gitters

~T · ~G = (u1v1 +u2v2 +u3v3)2p

= (ganzeZahl)2p

oder

ei~T ·~G = 1. (2.4)

Dies entspricht der ersten Definition des reziprokenGitters in 2.4.2.

2.4.4 Reziproke Gittervektoren undEbenenscharen

Eine wichtige Beziehung besteht auch zu den Netz-ebenen des direkten Gitters: Ist eine Ebene durch dieMiller Indizes hkl gegeben, so steht der Vektor

~G =

0

@hkl

1

A = h~b1 + k~b2 + l~b3;

des reziproken Gitters senkrecht auf dieser Ebene.Beweis: wir zeigen, dass dieser Vektor senkrecht auf

zwei linear unabhängigen Vektoren~v1 und~v2 des di-rekten Gitters steht, welche die Ebene (hkl) aufspan-nen. Wir wählen

~v1 =1h~a1 � 1

k~a2 , ~v2 =

1k~a2 � 1

l~a3.

~v1 =1

h~a1 � 1

k~a2

1

h~a1

1

k~a2

~a2

~a1

Abbildung 2.52: Definition von~v1.

Wie in Abb. 2.52 gezeigt, liegt der Vektor ~v1 in derSchnittgeraden von (hkl) und der Ebene, die von ~a1und ~a2 aufgespannt wird. Entsprechend liegt ~v2 inder Schnittgeraden von (hkl) und (~a2,~a3), und ge-meinsam spannen die beiden Vektoren die Netzebe-ne auf. Das Skalarprodukt mit dem reziproken Git-tervektor ~G ist

~G ·~v1 =⇣

h~b1 + k~b2 + l~b3

⌘·✓

1h~a1 � 1

k~a2

◆.

Die Orthogonalitätsrelation zwischen den Basisvek-toren des direkten und reziproken Raums ergibt

~G ·~v1 = ~G ·~v2 = 2p (1�1) = 0.

Der kürzeste Vektor ~G des reziproken Gitters, dersenkrecht auf den Netzebenen steht, hat die Länge

|~G| = 2p

d,

wobei d den Abstand zwischen benachbarten Netze-benen darstellt. Diese Beziehung folgt aus der Tatsa-che, dass die Funktion ei~G·~r im direkten Raum einePeriode von 2p/|~G| hat, welche dem Abstand zwi-schen Netzebenen entsprechen muss.

Für den Spezialfall eines rechteckigen Gitters in 2Dimensionen berechnen wir den Abstand d2 zwi-schen aufeinander folgenden Netzebenen gemäßAbb. 2.53

d2a1h

=a2kq

a21

h2 +a2

2k2

.

34

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2 Symmetrie und Struktur

~a2

~a1{a2

ka1

h

{d2

Abbildung 2.53: Abstand der Netzebenen.

Daraus erhalten wir den Abstand

d2 =a1a2q

a21k2 +a2

2h2=

1qk2

a22+ h2

a21

=2p

|G|

in zwei Dimensionen.

2.4.5 Brillouin-Zonen

Im reziproken Gitter kann man genau so wie im di-rekten Gitter Einheitszellen definieren. Eine beson-ders wichtige Rolle spielt die Wigner-Seitz Zelle desreziproken Raums. Sie wird als die erste Brillouin-Zone bezeichnet.

Wir berechnen als Beispiel das reziproke Gitter desprimitv kubischen Gitters. Die Basisvektoren des di-rekten Gitters sind in diesem Fall die Vektoren ~ax,~ay und ~az. Die Basisvektoren des reziproken Git-ters sind im Fall des kubischen Gitters in die glei-che Richtung orientiert und ihre Länge beträgt 2p/a.Das Volumen der ersten BrillouinZone beträgt da-mit (2p/a)3. Da bei der üblichen Wigner-Seitz Kon-struktion der ersten Brillouin-Zone der Gitterpunktim Zentrum liegt, reicht die Zone von �b/2 bis+b/2, d.h. von �p/a bis +p/a. Die Form ist, wiebeim direkten Raum, die eines Würfels.

2.5 Beugung

2.5.1 Streuung an kontinuierliche Medien

Wir hatten im Kapitel 2.3.4 die Bragg-Bedingung fürdas Auftreten eines Beugungsreflexes durch Reflexi-on an Netzebenen diskutiert. Diese Netzebenen sindnützliche mathematische Hilfsmittel, aber in Wirk-lichkeit erfolgt die Streuung der Röntgenstrahlung

nicht an den Netzebenen, sondern an den Elektronendes Materials, d.h. an einer kontinuierlichen Vertei-lung. Außerdem liefert die Bragg-Bedingung für dieNetzebenen keine Amplituden für die Beugungsre-flexe.

Den physikalischen Prozess der Röntgenstreuung anden Elektronen kann man sich am besten so vorstel-len, dass die einfallende Welle in der Elektronen-dichteverteilung eine erzwungene Schwingung er-zeugt, welche ihrerseits eine Welle abstrahlt. DiePhase dieser gestreuten Welle ist starr an die der ein-laufenden Welle gekoppelt. Wir nehmen im Folgen-den an, dass die gestreute Welle selber nicht mehrgestreut wird. Dies wird als erste Born’sche Nähe-rung bezeichnet und ist für die Streuung von Rönt-genlicht in Kristallen fast immer eine gute Nähe-rung. Mehrfachstreuung kann nur in wenigen Fäl-len überhaupt beobachtet werden. Der Grund dafürist der geringe Streuquerschnitt für die Streuung vonPhotonen an Elektronen: er ist von der Größenord-nung r2

e ⇡ 10�29 m2, wobei

re =1

4pe0

e2

mec2 ⇡ 2,818 ·10�15 m

den klassischen Elektronenradius darstellt.

0

Quelle Detektor

~r

dV

~k~k�

Abbildung 2.54: Streuungsbeitrag des Volumenele-ments dV.

Wir gehen aus von einem einfallenden Röntgen-strahl, der durch den Wellenvektor ~k beschriebenwird, und bestimmen die Intensität eines Strahls, derin Richtung ~k0 gestreut wird. Dazu berechnen wirden Beitrag jedes Volumenelementes des Kristalls.Ein Element dV an der Stelle ~r erzeugt einen Bei-trag, der proportional ist zur Elektronendichte n(~r)an diesem Ort. Wir gehen davon aus, dass die ein-laufende Welle als ebene Welle beschrieben werden

35

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2 Symmetrie und Struktur

kann und dass der Detektor so weit vom Kristall ent-fernt ist, dass die gestreute Welle (welche einer Ku-gelwelle um dV entspricht) in guter Näherung beimDetektor ebenfalls als ebene Welle beschrieben wer-den kann.

Gegenüber einer Referenz-Phasenfläche durch denUrsprung O des Koordinatensystems erhält die ein-fallende Welle bis zum Volumenelement dV einePhasenverzögerung um~k ·~r. Die gestreute Welle er-hält auf dem Weg zum Detektor ebenfalls eine Pha-senverzögerung, um �~k0 ·~r. Somit ergibt sich insge-samt für den Beitrag des Volumenelements bei~r einePhasenverschiebung um den Betrag

j(~r) =~k ·~r �~k0 ·~r =⇣~k �~k0

⌘·~r = D~k ·~r,

mit D~k =~k �~k0 als Änderung des Impulses beimStreuprozess. Bei elastischer Streuung sind die Be-träge der beiden Vektoren gleich, |~k| = |~k0|.

2.5.2 Bragg-Bedingung

Die gesamte Amplitude am Detektor erhalten wirdurch Integration über das Volumen des Kristalls,wobei die einzelnen Beiträge mit der entsprechen-den Elektronendichte gewichtet werden:

F =Z

dV n(~r)e�iD~k·~r. (2.5)

Das Integral entspricht einer Fouriertransformati-on. Damit ist die Streuamplitude proportional zurFourier-Amplitude der Elektronendichte n(~r) bei derräumlichen Frequenz D~k. Da die Elektronendich-te periodisch ist, können wir sie als Fourier-Reiheschreiben:

n(~r) = ÂG

n~Gei~G·~r.

Damit erhalten wir für die gestreute Amplitude

F =Z

dV ÂG

n~Gei(~G�D~k)·~r. (2.6)

Das Integral kann nur dann von Null verschiedensein, wenn

~G = D~k,

d.h. wenn D~k ein Vektor des reziproken Gitters ist.Somit findet man nur dann einen Beugungsreflex,wenn der Streuvektor einem Vektor des reziprokenGitters entspricht. Dies ist einer der wesentlichstenGründe dafür, dass wir in erster Linie kristalline Ma-terialien untersuchen.

b1

b2

Text

Abbildung 2.55: Beugungsreflexe von Muskovit(KAl2(AlSi3O10)(F,OH)2).

Die Schärfe dieser Bedingung ist gegeben durch dieGröße des Kristalls; die Unschärfe nimmt ab mit derAnzahl der Elementarzellen, welche zur Streuungbeitragen.

Diese Bedingung kann quantenmechanisch auch alsImpulserhaltung verstanden werden: h~k ist der Im-puls der einfallenden Welle, h~k0 der Impuls der ge-beugten Welle. Aufgrund der Impulserhaltung kannBeugung nur auftreten, wenn der entsprechende Im-pulsunterschied vom Material, d.h. vom Gitter zurVerfügung gestellt wird. Diese Möglichkeit ist ge-nau dann gegeben, wenn ein entsprechender Vektorim reziproken Gitter existiert.

2.5.3 Ewald-Konstruktion

Mit dieser Bedingung allein könnte für jeden einfal-lenden Röntgenstrahl eine unendliche Zahl von Beu-gungsmaxima auftreten. Für die Strukturaufklärungist jedoch vor allem ein Spezialfall wichtig, nämlichder Fall der elastischen Streuung, d.h. dass die Wel-lenlänge der gebeugten Welle gleich derjenigen dereinfallenden Welle ist, |~k| = |~k0|. Mit dieser zusätzli-chen Bedingung ist die Bedingung für das Auftretenvon Beugung nicht mehr automatisch erfüllt.

36

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2 Symmetrie und Struktur

reziprokes Gitter

keinfallender Strahl

elastische Streuung:|k| = |k’|

k’

2e

6k

gestreuter Strahl

Abbildung 2.56: Ewald-Konstruktion.

Die Bedingung dafür, dass ein Röntgenreflex auftritt,kann mit Hilfe der Ewald-Konstruktion dargestelltwerden (siehe Abb. 2.56). Ausgangspunkt sind dieBedingungen

|~k| = |~k0| , ~k �~k0 = ~G

für das Auftreten eines Reflexes. Man stellt dabeiden einfallenden Röntgenstrahl durch einen Vektor~k dar, wobei seine Spitze auf einem Gitterpunkt desreziproken Raumes liegt. Der reflektierte Strahl wirddurch einen Vektor~k0 dargestellt, dessen Spitze wie-derum auf einem Gitterpunkt liegen muss und dessenUrsprung mit demjenigen des einfallenden Strahlszusammenfällt. Der Streuvektor D~k = ~G ist dann einVektor des reziproken Gitters. Der Winkel 2q zwi-schen den beiden Vektoren entspricht der Bragg-Bedingung.

Die Ewald-Konstruktion zeigt, dass das Auftretenvon Beugung nur für wenige spezielle Wellenvekto-ren auftritt. Man findet diese Vektoren, wenn maneinen Kreis mit Radius k verschiebt, bis er durchzwei Gitterpunkte läuft. Die Konstruktion zeigtauch, dass |~k| � |~G|min sein muss, d.h. der Betrag deseinfallenden Wellenvektors muss mindestens gleichder Hälfte des Betrags des kleinsten Gittervektorssein.

2.5.4 Beugung an Pulvern

Da ein einfallender Röntgenstrahl i.A. keinen Re-flex erzeugt, sind verschiedene Methoden entwickelt

worden, um Röntgenbeugung zu beobachten. Dieeinfachste Methode ist die Pulver- oder Debye-Scherrer Methode: man bestrahlt ein Pulver.

nach Debye-Scherrer

Abbildung 2.57: Beugung an Pulvern (Debye-Scherrer).

Da darin all möglichen Orientierungen vorkommen,sind immer einige Kristallite richtig orientiert, sodass Reflexe auftreten. Aus Symmetriegründen istdie gebeugte Röntgenstrahlung in diesem Fall ko-nisch, d.h. die Beugung hängt nur vom Winkel ge-genüber der Strahlrichtung ab. Wie in Abb. 2.57 ge-zeigt wird die Probe in das Zentrum eines Zylindersgelegt, und die Innenseite des Zylinders mit einemFilm belegt. Auf dem Detektor findet man deshalbkonzentrische Ringe. Offensichtlich eignet sich die-ses Verfahren nicht für eine vollständige Strukturbe-stimmung. Es kann aber verwendet werden, um Git-terkonstanten zu bestimmen.

Beugungswinkel (Grad)

Inte

nsitä

t

50 100

Abbildung 2.58: Beugungsmaxima für Si-Pulver.

Abb. 2.58 zeigt das Beugungsmuster, welches vonSilizium-Pulver gemessen wurde. Die einzelnenBeugungsmaxima sind mit den zugehörigen Miller-Indizes bezeichnet. Im Bereich 0� < 2q < 180� fin-det man Reflexe zu allen Gittervektoren, welche kür-

37

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2 Symmetrie und Struktur

zer sind als 2 |k|. Während ihre Richtung sich ausdem Pulvermuster nicht bestimmen lässt, erhält manihre Länge aus der Bedingung

|G| = 2k sinq .

2.5.5 Einkristall-Verfahren

Kollimatoren

Röntgenstrahl

transmittierter Strahl(nicht verwendeteWellenlängen)

Probenkristall

Detektor

Monochromator

Abbildung 2.59: Drehkristall-Verfahren.

Ein Verfahren, welches vollständige Strukturanaly-sen von Einkristallen erlaubt, ist das Bragg- oderDrehkristallverfahren. Dabei wird der Kristall ge-dreht. Da das reziproke Gitter starr an das direkteGitter gekoppelt ist, wird es dabei mit gedreht. Ineinem Koordinatensystem, welches an das rezipro-ke Gitter gekoppelt ist, wird damit die Ewald-Kugelgedreht und es treten bei bestimmten OrientierungenReflexe auf. Dabei werden alle Reflexe gemessen,welche im Lauf der Drehung auftreten.

Für diese Art von Messungen benötigt man mono-chromatische Röntgenstrahlung. Ist die verwende-te Quelle breitbandig, so wird deshalb ein Mono-chromator benötigt, um die gewünschte Wellenlängeherauszufiltern. Dafür verwendet man normalerwei-se ebenfalls Bragg-Beugung an einem Kristall.

Eine weitere Möglichkeit für Messugen an Einkri-stallen ist das sogenannte Laue-Verfahren. Dabeibenutzt man kontinuierliche Röntgenstrahlung ausdem Bremsstrahlungsbereich. Wenn ein breiter Be-reich von k-Vektoren (und damit Radien der Ewald-Kugel) vorkommen, gibt es immer die Möglichkeit,die Bragg-Bedingung zu erfüllen. Dieses Verfahren

reziprokes Gitter

~k

~k�

Abbildung 2.60: Ewald-Konstruktion für das Laue-Verfahren.

eignet sich wiederum nicht für die Strukturbestim-mung, da man nicht weiss, welche Wellenlänge wel-chen Reflex erzeugt hat. Man kann das Verfahrenaber benutzen, um Änderungen von Zellkonstanten(z.B. mit der Temperatur) zu beobachten, oder umKristalle mit bekannter Struktur zu orientieren.

2.5.6 Laue-Bedingung

Unterschiedliche Formen der Bedingung für dasAuftreten eines Röntgenreflexes können bei derAnalyse von bestimmten Situationen nützlich sein.Allgemein gilt die Impulserhaltung, resp. die Bedin-gung, dass der einfallende und der gestreute Strahlsich um einen Vektor des reziproken Gitters unter-scheiden müssen,

~k0 =~k + ~G.

Für elastische Streuung können wir daraus eine Be-dingung für die Längen ableiten:

���~k + ~G���2= k2 oder 2~k · ~G+G2 = 0

oder, da dies auch für �~G gelten muss, welcherebenfalls ein Gittervektor ist,

2~k · ~G = G2.

Wenn wir beide Seiten dieser Gleichung durch 4 di-vidieren, erhalten wir

~k · 12~G =

✓12

G◆2

. (2.7)

Diese Bedingung eignet sich wiederum für eine geo-metrische Konstruktion.

38

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2 Symmetrie und Struktur

D

G

O

12

k

Abbildung 2.61: Laue-Konstruktion der Beugungs-bedingung.

Ausgangspunkt ist diesmal der Streuvektor D~k = ~G,welcher die Punkte O und D im reziproken Gitterverbinden soll. Um diejenigen einfallenden Wellen-vektoren ~k zu finden, welche die Beugungsbedin-gung erfüllen, fällen wir die Mittelsenkrechte aufden Vektor ~G. Jeder Vektor, dessen Ursprung in Oliegt und auf dieser Mittelsenkrechten endet, erfülltoffenbar die Bedingung (2.7).

Diese Konstruktion entspricht offenbar gerade derWigner-Seitz Konstruktion für die Einheitszelle, d.h.der ersten Brillouin-Zone. Streuung findet somit im-mer dann statt, wenn der Wellenvektor des einfallen-den Strahls auf der Grenze der Brillouin-Zone liegt.

2.5.7 Streuamplitude und Strukturfaktor

Wir möchten als nächstes die Stärke eines Reflexesberechnen, also die Streuamplitude in die entspre-chende Richtung. Wenn ein Reflex auftritt, d.h. wennder Streuvektor D~k ein Vektor des reziproken Gittersist, wird exp(i(~G � D~k) ·~r) = 1. Damit vereinfachtsich die Bragg-Bedingung (2.6) zu F µ n~G.

qq=0

qq=2�

66k = G

qq=4�

Abbildung 2.62: Reflexion an der 100 Ebene.

Offenbar ist die räumliche Abhängigkeit im Inte-granden verschwunden. Dies bedeutet, dass alle Ein-heitszellen identische Beiträge zur Streuamplitudeliefern, wobei die Amplitude durch die entsprechen-de Amplitude der Elektronendichte im reziprokenGitter gegeben ist. Diese ist definiert als

n~G =Z

dV n(~r)e�i~G·~r.

Damit wird die Streuamplitude

F = n~G =Z

dV n(~r)e�i~G·~r. (2.8)

Aufgrund der Periodizität der Elektronendichte kanndas Integral über den Kristall auf ein Integral über ei-ne Einheitszelle und eine Multiplikation mit der Zahlder Einheitszellen reduziert werden: Für ~G einenVektor des reziproken Gitters und ~T einen beliebi-gen Vektor des direkten Gitters gilt gemäß (2.4):

e�i~G·(~r+~T ) = e�i~G·~r.

Damit können wir das Integral in (2.8) auf eine Ein-heitszelle reduzieren,

F = NZ

EZdV n(~r)e�i~G·~r = N S~G,

wobei N die Anzahl Zellen im Kristall darstellt und

S~G =Z

EZdV n(~r)e�i~G·~r

als Strukturfaktor bezeichnet wird. Der Strukturfak-tor ist also die Fouriertransformierte der Elektronen-dichte über eine Einheitszelle.

2.5.8 Atomare Beiträge

Als nächstes teilen wir die Elektronendichte in Bei-träge der einzelnen Atome auf. Die Zuordnung ein-zelner Elektronen zu bestimmten Atomen ist natür-lich eine Näherung. Für Elektronen in der K-Schaleist diese Näherung sehr gut, für Valenzelektronenin kovalent gebundenen Atomen oder Metallen eherschlecht. Die Mehrheit der Elektronen ist jedoch re-lativ gut lokalisiert, und die Näherung hilft sehr gutbeim Verständnis für die Berechnung der Beugungs-intensitäten.

39

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2 Symmetrie und Struktur

Wir bezeichnen mit ~r j die Position eines Atoms.Dann stellt die Funktion n j(~r�~r j) den Beitrag diesesAtoms zur Elektronendichte dar. Die gesamte Elek-tronendichte am Ort~r ist gegeben durch die Summeüber die s Atome der Basis:

n(~r) =s

Âj=1

n j(~r �~r j).

Dies erlaubt uns, auch den Strukturfaktor in Beiträgeder einzelnen Atome aufzuteilen:

S~G =Z

EZdV

s

Âj=1

n j(~r �~r j)e�i~G·~r

dVrj

r

ll

Elektronenhülle des Atoms j

Streuzentrum

Abbildung 2.63: Relativkoordinaten zur Berech-nung der Streuampitude.

Wir definieren die Koordinate r =~r �~r j des Elek-trons bezogen auf die Position~r j des Kerns j. Damitwird~r = ~r j +~

r und der Strukturfaktor

S~G =Z

ZelledV

s

Âj=1

n j(~r)e�i~G·~r e�i~G·~r j .

Damit ist

f j =Z

dV n j(~r)e�i~G·~r (2.9)

der Beitrag des j-ten Atoms. Er wird als Atom-formfaktor bezeichnet. Die Integration erstreckt sichhier über den gesamten Raum. Der Atomformfaktorentspricht also im Wesentlichen der Fouriertransfor-mierten der Elektronendichte eines Atoms und kannin erster Näherung als eine atomare Eigenschaft be-trachtet werden. Diese Näherung impliziert, dass dieElektronendichte des Kristalls als Summe der ato-maren Elektronendichten geschrieben werden kann.

Mit dieser Definition können wir den Strukturfaktorschreiben als

S~G =s

Âj=1

f j e�i~G·~r j . (2.10)

d.h. der Strukturfaktor setzt sich additiv aus den Bei-trägen der einzelnen Atome zusammen, wobei jederBeitrag mit einem Phasenfaktor multipliziert wird,der seine Position codiert. Die Phase entspricht der-jenigen, welche eine Welle mit Wellenvektor ~G aufdem Weg vom Ursprung des Koordinatensystemszur Position~r j des Atoms akkumulieren würde.

2.5.9 Beispielsrechnung

Wir berechnen zunächst den Phasenfaktor e�i~G·~r j ei-nes Atoms an der Stelle~r j. Dafür schreiben wir fürdie Position des Atoms innerhalb der Elementarzelle

~r j = x j~a1 + y j~a2 + z j~a3.

Damit erhalten wir für den Reflex, welcher dem Git-tervektor

~G =⇣

v1~b1 + v2~b2 + v3~b3

entspricht, das Skalarprodukt

~G ·~r j =⇣

v1~b1 + v2~b2 + v3~b3

·(x j~a1 + y j~a2 + z j~a3)

= 2p (v1x j + v2y j + v3z j) .

Damit wird der Strukturfaktor

S~G =s

Âj=1

f j e�i2p(v1x j+v2y j+v3z j).

Der Strukturfaktor ist im Allgemeinen komplex. Ge-messen wird allerdings nicht direkt die gestreuteAmplitude, sondern die Intensität, welche gegebenist durch |S|2 = S⇤S, und somit immer reell ist.

Wie oben gezeigt, ist die Streuamplitude proportio-nal zur Anzahl N der Elementarzellen des Kristalls.Die Intensität wird damit proportional zu N2. Gleich-zeitig nimmt aber die Breite eines Reflexes mit 1/N

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2 Symmetrie und Struktur

r2 = (1/2, 1/2, 1/2)

Abbildung 2.64: Einheitszelle des kubisch innen-zentrierten Gitters.

ab, sodass die integrierte Intensität eines Reflexesnur mit N ansteigt.

Wir berechnen als Beispiel den Strukturfaktor desinnenzentrierten kubischen Gitters. Die Basis die-ses Gitters besteht aus zwei identischen Atomen beix1 = y1 = z1 = 0 und x2 = y2 = z2 = 1/2. Damit wirdder Strukturfaktor

S~G = f⇣

1+ e�ip(v1+v2+v3)⌘

.

Wir berücksichtigen, dass vi ganze Zahlen sein müs-sen. Der Beitrag des zweiten Atoms kann somit �1oder +1 betragen un der Strukturfaktor kann zweimögliche Werte annehmen:

S = 0 wenn v1 + v2 + v3 = ungeradeS = 2 f wenn v1 + v2 + v3 = gerade.

Offenbar verschwindet die Streuamplitude, wenn dieSumme der drei Indizes ungerade ist. Das Fehlen desBeugungsreflexes für eine ungerade Summe ist einedirekte Konsequenz davon, dass das bcc Gitter nichtprimitiv ist.

qq=0qq=�qq=2�qq=�

Abbildung 2.65: Destruktive Interferenz im innen-zentrierten Gitter.

Betrachten wir z.B. die Beugung an den Netzebe-nen 100. Für das primitiv kubische Gitter erhaltenwir einen Reflex der Stärke f , welcher gerade demersten Summanden entspricht. Zwischen jeweils 2Ebenen, welche die Würfelflächen enthalten, liegtaber auch eine Ebene, welche durch das Zentrumder Einheitszelle läuft, und symmetrieäquivalent ist.Während der Phasenunterschied zwischen zwei Teil-wellen, welche an der (100) Ebene reflektiert wer-den, 2p beträgt, ist der Weglängenunterschied fürdie dazwischen liegenden Ebenen gerade halb sogroß. Die Phase beträgt hier somit gerade p . Damitentsteht destruktive Interferenz und der Reflex ver-schwindet.

2.5.10 Symmetriebdingte Auslöschung

Atom A oder B

Atom B

Atom A

ungeordnet geordnet

Abbildung 2.66: Struktur von FeCo; links : ungeord-net; rechts : geordnet.

Man kann diesen Effekt z.B. in der Verbindung FeCodirekt beobachten: Die Intensität des 100 Reflexesist proportional zu ( fA � fB)2, wobei fA und fB dieAtomformfaktoren der Atome auf den Gitterplätzen(000) und ( 1

212

12 ) beschrieben. Im reinen Eisen oder

Kobalt verschwindet er deshalb (A = B). In der Ver-bindung FeCo sind die Ecken der Einheitszelle durchFe, das Zentrum durch Co besetzt (resp. umgekehrt,je nach Wahl der Einheitszelle). Dann sind die bei-den Formfaktoren leicht unterschiedlich und der Re-flex tritt auf. Die Zahl der Elektronen ist allerdingsrelativ ähmlich für die beiden Atome (Z(Fe) = 26,Z(Co) = 27), so dass diese Reflexe relativ schwachsind.

Die Verbindung tritt jedoch auch in einer ungeordne-ten Struktur auf, in der jeder Gitterplatz im Schnittgleich häufig von Fe und Co besetzt ist. In diesem

41

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2 Symmetrie und Struktur

FeCo

Abbildung 2.67: Beugungsreflexe an FeCo.

Fall gilt im Schnitt wiederum fA = fB und der Re-flex verschwindet wieder, wie im unteren Teil vonAbb. 2.67 gezeigt.

Abbildung 2.68: Struktur von NaCl, KCl und KBr.

Man kann den Effekt auch an den beiden Substan-zen KBr und KCl beobachten. In beiden Substan-zen bilden die Kationen und die Anionen jeweils einkubisch flächenzentriertes Gitter, welche gegenein-ander um eine halbe Kantenlänge verschoben sind.Unterscheidet man nicht zwischen den Atomen er-hält man somit ein kubisch primitives Gitter mit derhalben Kantenlänge.

Im Fall von KCl besitzen K+ und Cl� jeweils 18Elektronen. Dadurch sind die Elektronendichten derbeiden Ionen fast gleich, so dass auch die Atom-formfaktoren praktisch gleich sind und Auslöschungstattfindet. Man findet deshalb praktisch nur Reflexemit einer geraden Summe der Indizes. Brom hat ei-ne doppelt so große Zahl von Elektronen (Br : 36), sodass hier die beiden Atomarten deutlich unterschied-

Streuwinkel 2!80o60o40o20o

KCl

KBr

Streuwinkel 2!80o60o40o20o

(200)

(220)

(222) (400) (420)

(200)

(220)

(222) (400) (420)(111)(311)

(331)

Abbildung 2.69: Vergleich der Beugungsreflexe vonKCl und KBr.

lich zum gestreuten Signal beitragen. Die (genäher-te) Symmetrie entfällt und man beobachtet auch un-geradzahlige Reflexe.

2.5.11 Atomformfaktor

Der Atomformfaktor für ein Atom mit kugelsymme-trischer Elektronendichteverteilung kann vereinfachtwerden, wenn wir Kugelkoordinaten ~

r =(r,q ,j)einführen. Wir wählen ~G entlang der z-Achse. Da-mit wird (2.9) zu

f j =Z

dr r2 sinq dq dj n j(r)e�iGr cosq

= 2p

Zdr r2d(cosq)n j(r)e�iGr cosq .

Integration über cosq gibt

f j = 2p

Zdr r2 n j(r)

eiGr � e�iGr

iGr

= 4p

Zdr n j(r)r2 sin(Gr)

Gr.

Für kleine Streuvektoren, G ! 0, kann sin(Gr)/(Gr)über den Bereich des Atoms (r < 10�10m) nähe-rungsweise durch eins ersetzt werden. Damit redu-ziert sich das Integral auf die Anzahl der Elektronen.

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2 Symmetrie und Struktur

Vorwärtsstreuung Rückwärtsstreuung

~k

~k�~G = �~k

~k~k�

~G = �~k

Abbildung 2.70: Streuvektoren bei Vorwärts- undRückwärtsstreuung.

Für endliche Streuvektoren berücksichtigt der Atom-formfaktor die destruktive Interferenz zwischen Tei-len der Elektronendichteverteilung, die weit ausein-ander liegen. Bei gegebener Wellenlänge entsprichtein kleiner Streuvektor einem kleinen Streuwinkel,d.h. der Vorwärtsstreuung, ein großer Streuvektor ei-nem großen Streuwinkel, also Rückwärtsstreuung.Wird das Produkt Gr groß gegen eins, so wird derFaktor sin(x)/x kleiner als eins und damit die Streu-amplitude kleiner.

Beispiel : Eisen

Fe(110)

(200)(211)

(220)(310)

(321)(330)

(411)

sin �/�0 0.2 0.4 0.6

0

5

10

15

20

25

Atom

form

fakt

or f F

e

Abbildung 2.71: Atomformfaktor von Eisen.

Wir erwarten deshalb, dass der Atomformfaktor klei-ner wird, wenn wir Reflexe beobachten, welcheeinem großen Streuwinkel entsprechen. Abb. 2.71zeigt dies für das Beispiel von Eisen. Die einzelnenPunkte zeigen den Atomformfaktor für unterschied-liche Reflexe, welche unterschiedlichen Streuvekto-ren ~G entsprechen. Die Wellenlänge der Röntgen-strahlug beträgt 0,709 nm.

Die Situation is anders, wenn anstelle von Rönt-genstrahlen Neutronen gestreut werden: In diesemFall findet die Wechselwirkung mit den Atomkernenstatt, welche für alle praktischen Belange punktför-mige Teilchen sind. Ihre Fourier-Transformierte ist

damit eine ausgedehnte, d.h. isotrope Funktion.

2.5.12 Das Phasenproblem

Die Streuamplitude

S =Z

dV n(~r)e�i~G·~r

ist nichts anderes als die Fouriertransformierte derElektronendichte, welche man eigentlich messenmöchte.

Abbildung 2.72: Elektronendichteverteilung vonNaCl.

Abb. 2.72 zeigt als typisches Beispiel die Elektro-nendichte in Kochsalz. Die Fouriertransformationkann relativ einfach und effizient invertiert werden.Leider wird aber in einem Röntgenbeugungsexperi-ment nicht die Streuamplitude S gemessen, sonderndie Intensität I = |S|2 = S⇤S. Bei der Bildung des Ab-solutquadrates geht die Phaseninformation verlorenund damit ist die Fouriertransformation nicht mehrumkehrbar. Dieses Problem ist als das Phasenpro-blem bekannt. In der Optik ist es möglich, die Pha-se der gestreuten Welle in einem interferometrischenExperiment zu bestimmen. Im Bereich der Röntgen-strahlen sind die experimentellen Voraussetzungendafür aber bisher noch nicht erfüllt. Man muss des-halb wesentlich aufwendigere Verfahren benutzen,um die Kristallstruktur aus der gemessenen Intensi-tätsverteilung zu bestimmen.

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2 Symmetrie und Struktur

Die ‘normale’ Methode besteht darin, aufgrund einervermuteten Struktur das entsprechende Beugungs-muster zu rechnen. Aus den Unterschieden zwi-schen gemessener und beobachteter Struktur be-stimmt man anschliessend eine neue Näherung unditeriert dieses Vorgehen bis es konvergiert.

Dieses rechnerische Vorgehen kann unterstützt wer-den durch experimentelle ‘Tricks’. So kann manschwere Atome in eine Struktur einbauen. Diese ha-ben so viele Elektronen, dass das Beugungsmusterdurch sie dominiert wird. Man hat dadurch ein we-sentlich einfacheres Beugungsmuster und bestimmtzunächst nur die Anordnung der schweren Atome.Die Bestimmung der übrigen Atome in diesem Git-ter wird danach wesentlich einfacher, da die bekann-ten Beiträge der schweren Atome gewissermassenals Phasenreferenz dienen können.

e-Strahl

Röntgen-Strahl

Abbildung 2.73: Bauprinzip eines freien Elektro-nenlasers.

Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass diese aufwen-digen Prozeduren in der Zukunft überflüssig wer-den. So sind seit einigen Jahren relativ kohärenteRöntgenquellen verfügbar, wie z.B. freie Elektro-nenlaser oder Röntgenlaser. Deren Kohärenzeigen-schaften sind allerdings bisher noch ungenügend, umdie Phase der gestreuten Welle interferometrisch zumessen.

Eine weitere Limitierung der Strukturmessung durchBeugungsexperimente ist durch eine Symmetrie ge-geben: Die Streudichte ist eine reelle Größe, so-fern Absorption vernachlässigt werden kann. Da-durch wird die Streuamplitude symmetrisch bezüg-lich Inversion:

S~G = S�~G.

Dadurch enthält das Beugungsmuster immer ein In-

versionszentrum. Eine dreizählige Symmetrieachseerscheint als eine sechszählige Achse und es istnicht möglich, aufgrund von Röntgenbeugungsmes-sungen die Händigkeit einer Struktur ohne Inversi-onszentrum zu bestimmen. Dieses Problem kann ge-löst werden, indem man Röntgenstrahlung verwen-det, welche in der Nähe einer Absorptionskante liegt.Allerdings wird dadurch die Analyse des Beugungs-musters deutlich aufwändiger.

2.5.13 Thermische Bewegung

Bisher sind wir davon ausgegangen, dass die Ato-me perfekt auf bestimmten Gitterplätzen liegen. InWirklichkeit führen sie aber thermische Bewegun-gen um diese Gitterplätze aus, und sogar am abso-luten Nullpunkt besteht eine gewisse Ortsunschärfe.Interessanterweise führt diese Bewegung nicht zu ei-ner Verbreiterung der Reflexe. Sie führt aber zu ei-ner Reduktion der Intensität der Beugungsreflexe, daein Teil der einfallenden Strahlung inelastisch ge-streut wird. Dies erscheint als diffuser Untergrundzwischen den Reflexen.

Um die Reduktion der Intensität zu berechnen, be-schreiben wir die Position des Atoms als

~r(t) =~r j +~u(t),

wobei~r j die Ruhelage darstellt und~u(t) eine Zufalls-bewegung um die Ruhelage (d.h. h~u(t)i = 0. Wennwir dies in die Definition (2.10) des Strukturfaktorseinsetzen und über die Zufallsbewegung mitteln, er-halten wir

S~G = Âj

f je�i~G·~r jhe�i~G·~u(t)i.

Wir entwickeln die Exponentialfunktion in eineTaylor-Reihe und erhalten

he�i~G·~u(t)i = 1� ih~G ·~u(t)i

�12h⇣~G ·~u(t)

⌘2i+ . . . .

Da ~G und ~u statistisch nicht korreliert sind, könnenwir die Mittelwerte einzeln ausrechnen. Damit folgt

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für den linearen Term h~G ·~u(t)i = ~Gh~u(t)i. Die Aus-lenkung ~u ist so definiert, dass ihr Mittelwert ver-schwindet, h~u(t)i = 0. Der lineare Term in der Tay-lorreihe verschwindet deshalb.

Für die Mittelung des quadratischen Terms setzenwir

h⇣~G ·~u(t)

⌘2i = G2hu2 cos2

b i = G2hu2ihcos2b i,

wobei b den Winkel zwischen ~G und ~u darstellt undsomit ebenfalls eine Zufallsgröße ist. Die Mittelungdes Winkelanteils über alle möglichen Orientierun-gen ergibt

hcos2b i =

14p

Zp

0db cos2

b sinb

=1

4p

2p

✓�1

3

◆cos3

b |p0 =13.

Damit erhalten wir

he�i~G·~u(t)i = 1� 16

G2h~u(t)2i.

Wir betrachten dies als die ersten beiden Terme einerTaylor-Reihe, so dass wir den Strukturfaktor schrei-ben können als

S = S0e� G2hu2i6 .

Hier stellt S0 den Strukturfaktor für statische Ato-me dar. Gemessen wird allerdings die Streuintensität(d.h. das Quadrat der Amplitude)

I = I0e� G2hu2i3 .

hu2i stellt hier die mittlere quadratische Verschie-bung des Atoms dar. Dies kann in erster Liniedurch thermische Anregung zustande kommen, aberauch durch die quantenmechanische Unschärfe imSchwingungs-Grundzustand.

2.5.14 Debye-Waller Faktor

Wir betrachten zunächst den Fall der thermischenAnregung. Dafür beschreiben wir die Bewegung desAtoms als harmonischen Oszillator mit der Frequenz

w . Dafür können wir die mittlere quadratische Ver-schiebung aus der mittleren Energie berechnen, wel-che in drei Dimensionen 3kBT beträgt. Die mittle-re kinetische Energie Mhv2i/2 = Mhu2iw2/2 unddie mittlere potenzielle Energie Chu2i/2 betragen imMittel jeweils die Hälfte der thermischen Energie,

12

Chu2i =12

Mw

2hu2i =32

kBT

oder

hu2i =3kBTMw

2 .

Dabei ist M die Masse des Atoms und C eine Kraft-konstante. Damit wird die Streuintensität

I = I0e� G2kBTMw

2 .

Temperatur / K

Inte

nsitä

t / w

illk.

Ein

heite

n

(200)

(400)

(600)

(800)

(10,00)

100 200 3001

2

4

3

5

678

Abbildung 2.74: Temperaturabhängigkeit des De-bye-Waller Faktors von Alumini-um.

Diese Reduktion der Intensität mit steigender Tem-peratur und Streuvektor wird als Debye-Waller Fak-tor bezeichnet. Es handelt sich hier um eine klas-sische Näherung, welche bei hohen Temperaturenrecht gut ist. Offenbar ist die Abnahme dann amkleinsten, wenn die Masse der Atome groß ist (d.h.für schwere Kerne) und wenn die Frequenz hoch ist(d.h. das Gitter starr ist).

Bei niedrigen Temperaturen muss auch die Ortsun-schärfe aufgrund der Unschärfenrelation berücksich-tigt werden. Wir bestimmen sie über die Nullpunkts-

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energie des harmonischen Oszillators. In drei Di-mensionen beträgt diese 3hw/2. Wir teilen sie wie-der zwischen kinetischer und potenzieller Energieauf, so dass

12

Mw

2hu2i =34

hw ! hu2i =3h

2Mw

und damit für die Intensität

I = I0e�hG2/2Mw .

Typische Zahlenwerte sind G = 1011m�1, M =10�25kg (entspricht etwa Nickel), w = 1014s�1. Un-ter diesen Bedingungen werden am absoluten Null-punkt rund 90% der maximalen Streuintensität er-reicht.

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