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ein/ /blick: Was genau sind Kollokationen? Prof. Christine Konecny: Als Kollokationen werden ge- bräuchliche, nicht- oder nur teilidiomatische Wortverbin- dungen bezeichnet, die für eine Sprache charakteris- tisch sind und von Sprache zu Sprache oft voneinander abweichen. Ein Beispiel ist etwa der italie- nische Ausdruck „la lezione salta“, der im Deutschen mit „die (Unterrichts-)Stunde fällt aus“ oder „entfällt“ zu übersetzen ist, d. h. man kann nicht einfach „springen“ als wörtliche Übersetzung von „saltare“ verwenden, und genauso wenig wäre im Italienischen eine Verbindung mit „cadere“ akzeptabel. Weitere Kollokationen sind z. B. „il caldo soffocante – die brütende/drücken- de Hitze“ und „un segreto di Pulcinella – ein offenes Geheimnis“. 20 // Ausblick // Wie viele Kollokationen finden sich in dem Wörterbuch, an dem Sie arbeiten? Wir sind dabei, die typischen Kollokationen zu ca. 900 Substantiven des italienischen Grundwortschatzes zu erfassen. Diese Sub- stantive entsprechen gleichzeitig den Einträ- gen des Wörterbuchs. Wie viele Kollokatio- nen genau das Buch schlussendlich umfassen wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, jedenfalls aber mehrere Tau- send. Was die Wortarten der Bestandteile betrifft, so werden Kollokationen bestehend aus Substantiv + Verb, aus Substantiv + Ad- jektiv sowie aus Substantiv + Präpositional- phrase in die Einträge aufgenommen. An wen richtet sich das Wörterbuch? Unser Hauptzielpublikum sind fortgeschrit- tene Italienisch- oder Deutschlerner, die am besten eine der beiden Sprachen als Mutter- sprache haben oder bilingual sind, weswe- gen das Wörterbuch gerade für Südtiroler in- Jede Sprache verfügt über eigene Wortverbindungen. Wer diese wortwörtlich übersetzt, sorgt schnell für unfreiwillige Komik oder wird nicht verstanden. Ein Beispiel dafür ist „Pulcinellas Geheimnis“. Was die Italiener als „segreto di Pulcinella“ kennen, wird im Deutschen als „offenes Geheimnis“ bezeich- net. Christine Konecny, Assistenzprofessorin am Institut für Romanistik der Universität Innsbruck, beschäftigt sich mit solchen Wortverbindungen, den sogenannten Kollokationen. Noch in diesem Jahr erscheint das erste vergleichende Wörterbuch zu Kollokationen im Deutschen und Italienischen. Christine Konecny im Gespräch mit Monika Obrist Pulcinellas Geheimnis … oder: Wortverbindung im Deutschen und Italienischen im Vergleich Ein Auszug aus dem Wörterbuch „Kollokationen Italienisch-Deutsch“, das im Buske Verlag erscheinen wird. Ass.-Prof. Mag. Dr. Christine Konecny

20 // Ausblick // Pulcinellas Geheimnis · 2019. 10. 7. · 22 // Ausblick // /Sprache/ Vortrag: Was hilft gegen „hinkende“ Stühle und „tanzende“ Zähne? Wie man im Deutschen

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  • ein/ /blick: Was genau sind Kollokationen? Prof. Christine Konecny: Als Kollokationen werden ge-bräuchliche, nicht- oder nur teilidiomatische Wortverbin-dungen bezeichnet, die für eine Sprache charakteris-tisch sind und von Sprache zu Sprache oft voneinander

    abweichen. Ein Beispiel ist etwa der italie-nische Ausdruck „la lezione salta“, der im Deutschen mit „die (Unterrichts-)Stunde fällt aus“ oder „entfällt“ zu übersetzen ist, d. h. man kann nicht einfach „springen“ als wörtliche Übersetzung von „saltare“ verwenden, und genauso wenig wäre im Italienischen eine Verbindung mit „cadere“ akzeptabel. Weitere Kollokationen sind z. B. „il caldo soffocante – die brütende/drücken-de Hitze“ und „un segreto di Pulcinella – ein offenes Geheimnis“.

    20 // Ausblick //

    Wie viele Kollokationen finden sich in dem Wörterbuch, an dem Sie arbeiten?Wir sind dabei, die typischen Kollokationen zu ca. 900 Substantiven des italienischen Grundwortschatzes zu erfassen. Diese Sub-stantive entsprechen gleichzeitig den Einträ-gen des Wörterbuchs. Wie viele Kollokatio-nen genau das Buch schlussendlich umfassen wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, jedenfalls aber mehrere Tau-send. Was die Wortarten der Bestandteile betrifft, so werden Kollokationen bestehend aus Substantiv + Verb, aus Substantiv + Ad-jektiv sowie aus Substantiv + Präpositional-phrase in die Einträge aufgenommen.

    An wen richtet sich das Wörterbuch?Unser Hauptzielpublikum sind fortgeschrit-tene Italienisch- oder Deutschlerner, die am besten eine der beiden Sprachen als Mutter-sprache haben oder bilingual sind, weswe-gen das Wörterbuch gerade für Südtiroler in-

    Jede Sprache verfügt über eigene Wortverbindungen. Wer diese wortwörtlich übersetzt, sorgt schnell für unfreiwillige Komik oder wird nicht verstanden. Ein Beispiel dafür ist „Pulcinellas Geheimnis“. Was die Italiener als „segreto di Pulcinella“ kennen, wird im Deutschen als „offenes Geheimnis“ bezeich-net. Christine Konecny, Assistenzprofessorin am Institut für Romanistik der Universität Innsbruck, beschäftigt sich mit solchen Wortverbindungen, den sogenannten Kollokationen. Noch in diesem Jahr erscheint das erste vergleichende Wörterbuch zu Kollokationen im Deutschen und Italienischen.

    Christine Konecny im Gespräch mit Monika Obrist

    PulcinellasGeheimnis

    … oder: Wortverbindung im Deutschen und Italienischen im Vergleich

    Ein Auszug aus dem Wörterbuch „Kollokationen Italienisch-Deutsch“, das im Buske Verlag erscheinen wird.

    Ass.-Prof. Mag. Dr. Christine Konecny

  • /Sprache/

    teressant sein dürfte. Frühestens würden wir es ab Niveau B1/B2 empfehlen. Noch besser ist es dann aber ab dem Niveau C geeignet (das schon Richtung Muttersprachenniveau geht), vor allem wenn man bedenkt, dass Kollokationen auch in der Muttersprache oft falsch gebraucht werden und im Hinblick auf einen guten Stil relevant sind. Besonders könnte das Wörterbuch aber auch als Anre-gung für Italienisch- und Deutschlehrer die-nen, die ausgehend von den Wörterbuchbei-spielen selbst entsprechende Übungen für ihre Schüler erstellen können.

    Nehmen solche festen Wortverbindungen in Lehrwerken für Deutsch oder Italienisch als Fremdsprache einen wichtigen Platz ein oder werden sie eher vernachlässigt?Hier trifft, zumindest bisher, Letzteres zu, d.h. sie werden in Lehrbüchern eher ver-nachlässigt, vor allem im Hinblick auf das Italienische. Dies ist umso erstaunlicher, als es etwa im Bereich des Englischen schon seit den 80er Jahren Materialien zum Kollo-kationslernen und -lehren gibt und beinahe jedem Englischlerner „collocations“ ein Be-griff sind. Seit einigen Jahren ist die Situa-tion allerdings im Ändern begriffen und es lässt sich nun auch für das Italienische ein regelrechter „Kollokationsboom“ verzeich-nen: So sind zwischen 2009 und 2013 die vier ersten einsprachigen Kollokationswörterbü-cher des Italienischen erschienen. Aus die-sem Grund ist zu erwarten, dass den Kollo-kationen bald auch in Lehrwerken vermehrt Rechnung getragen wird.

    Wer im Fremdsprachenunterricht Wortver-bindungen in der Zielsprache vermittelt, sollte auch die Entsprechung in der Erstspra-che der Lernenden kennen. Sind Lehrperso-nen damit oft überfordert? In Südtirol dür-fen die Fächer Deutsch und Italienisch ja nur von Muttersprachlern unterrichtet werden.Ich halte es für einen großen Vorteil, dass in Südtirol Italienisch und Deutsch als Schulfä-cher ausnahmslos von muttersprachlichen Lehrern unterrichtet werden, denn immer-hin kennen diese in der Regel die korrekten Kollokationen in der Zielsprache und kön-nen hier gesicherte Auskunft geben. Um mögliche Fehlerursachen zu erkennen, wäre es aber zweifellos gut, wenn den Lehrperso-

    nen auch die Kollokationen in der Mutter-sprache der Lernenden bekannt wären, dies besonders deswegen, weil für Fehler oft so genannte Interferenzen verantwortlich sind, bei denen Versprachlichungsmodelle der Muttersprache fälschlicherweise direkt auf die Fremdsprache übertragen werden, im Sinne wortwörtlicher Übersetzungen.

    In Grenzländern wie Südtirol setzen sich für feste Wortverbindungen manchmal wort-wörtliche Übersetzungen durch. So wird beispielweise von „grünen Nummern“ oder „jungfräulichen Ölen“ gesprochen. Kann ein Kollokationswörterbuch hier helfen?Ein Kollokationswörterbuch kann hier si-cherlich von Nutzen sein, allerdings wäre die Voraussetzung dafür, dass die Sprecher über-haupt Zweifel haben und in einem Kollokati-onswörterbuch nachschlagen. Zuerst müss-te daher ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass solche Verbindungen nicht der deutschen Standardsprache angehören bzw. nur für Südtiroler verständlich sind, während Sprecher etwa aus Österreich oder Deutsch-land sie als seltsam empfinden oder gar nicht verstehen. Hier würde den Lehrpersonen an der Schule eine wichtige Rolle zukommen, indem sie z.B. auf besonders häufige, Südti-rol-spezifische Fehler eingehen und entspre-chende Übungen vorsehen könnten.

    Wer sich in einem italienischen Hotel ein „letto a castello“ bestellt und dann ein Stockbett antrifft, könnte vielleicht ent-täuscht sein. Wie sehr prägen solche sprach-

    // Ausblick // 21

    Deutsch und Italienisch – zwei Sprachen und ihre Wortverbindungen sind Ge-genstand des Projektes „Kollokationen“ an der Uni Innsbruck.

  • lichen Ausdrücke auch die Bilder, die wir im Kopf haben?Inwieweit die ursprüngliche Bildlichkeit der Verbindung bei Muttersprachlern noch be-wusst präsent ist bzw. ein italienischer Mut-tersprachler noch ein richtiges „castello“ und ein deutscher Muttersprachler bei Stockbett noch ein Stockwerk im Kopf hat, ist wahr-scheinlich von Mensch zu Mensch unter-schiedlich. In der Kollokationsforschung geht man aber prinzipiell davon aus bzw. konnte nachgewiesen werden, dass Mutter-sprachler über Kollokationen meist gar nicht mehr bewusst nachdenken und sie als etwas ganz Normales empfinden. Fremdsprachen-lerner nehmen Kollokationen hingegen als besonderen Sprachgebrauch bzw. als auffäl-lig wahr, wenn die Ausdrücke von jenen der Muttersprache abweichen. Hier prägen sie dann sicherlich auch viel mehr die Bilder, die wir uns merken, eben gerade weil diese in der Fremdsprache so besonders bzw. anders sind.

    Wie kann man sich als Lernender Kollokati-onen leicht einprägen? Muss es stures Aus-wendiglernen sein?Nein, stures Auswendiglernen soll und muss natürlich nicht sein, und prinzipiell soll-te die Freude am Entdecken von Neuem im Vordergrund stehen, wie auch immer man lernt. Eine Chance bieten hier die erwähn-ten, besonders plastischen Beispiele, die über konkrete Bildlichkeiten leicht einpräg-sam sind. Ratsam ist es auch, dass man viel liest und dabei ganz bewusst auf Kollokati-onen achtet. Außerdem ist uns aufgefallen, dass manchmal gewisse Muster und Wör-ter wiederkehren und zugleich Bestandteil mehrerer Kollokationen sind. So kommt „vergine“ auf Grund seiner Mehrdeutigkeit nicht nur in „olio vergine“ vor, sondern z. B. auch in „CD/DVD vergine“ und „foresta ver-gine“. Für solche Muster kann man im Laufe der Zeit ein Gefühl entwickeln und dadurch beginnen, sich besser in die Fremdsprache hineinzudenken und nicht mehr nur von der Muttersprache aus zu übersetzen.

    Sie arbeiten auch mit Schulen zusammen. Wie wird das Thema für die Schüler aufbe-reitet?Hier versuchen wir einen lockeren, spiele-rischen Zugang zu bieten, um so bei den Schülern Neugier zu wecken und sie für Unterschiede erstmal grundsätzlich zu sen-sibilisieren. Besonders viel arbeiten wir mit Bildern, indem die Schüler sowohl selbst Zeichnungen zur Bildlichkeit von Kolloka-tionen anfertigen können, als auch indem wir ihnen schon fertige Bilder zeigen, da-mit sie sich die Ausdrücke so leichter ein-prägen können. Wichtig ist uns auch, dass wir immer einen Zusammenhang zu bereits vorhandenem Vorwissen der Schüler her-stellen, z.B. durch Alltagsfloskeln, die sie schon kennen und bei denen im Deutschen und Italienischen Unterschiede bestehen, wie bei „Quanti anni hai? – Wie alt bist du?“ So kommen auch Erfolgserlebnisse nicht zu kurz und wir hoffen, dadurch den Schülern die Freude am Sprachenlernen ganz allge-mein und an Kollokationen im Speziellen zu vermitteln, sodass sie später von sich aus in diese Richtung weiter an ihren Sprachkom-petenzen arbeiten können und es auch gerne tun. //

    /Sprache/22 // Ausblick //

    Vortrag: Was hilft gegen „hinkende“ Stühle und „tanzende“ Zähne? Wie man im Deutschen und Italienischen die richtige Wortverbindung findet

    Referentin: Ass.-Prof. Mag. Dr. Christine Konecny, Universität Innsbruck

    Donnerstag, 27. März 2014, 20 UhrLandesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann, Armando-Diaz-Straße 8, BozenEintritt frei

    Eine gemeinsame Veranstaltung der Sprach-stelle im Südtiroler Kulturinstitut und der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann, unterstützt von der Abteilung deutsche Kultur der Südtiroler Landesregierung.

    Das Wörterbuch „Kollokationen Italienisch-Deutsch“ von Christine Konecny und Erica Autelli erscheint im Sommer 2014 im Buske Verlag (978-3-87548-677-3) und wird von der Stiftung Südtiroler Sparkasse gefördert.

    Mehr Informationen zum Projekt „Kollo-kationen“ unter www.kollokation.at. Das Projekt wird von der Südtiroler Landesregie-rung unterstützt.

    Veranstaltungstipp und Info