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Stolberg Düren Aachen Alsdorf Herzogenrath 2001 – 2011 Heerlen 2012 die euregiobahn die euregiobahn Krimi-Leseheft

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Stolberg Düren

Aachen

Alsdorf

Herzogenrath

2001 – 2011

Heerlen

10 Jahre euregiobahn

2012

Vielen Dank

www.euregiobahn.de

die euregiobahn

die euregiobahnKrimi-Leseheft

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Kaffee mit Schuss

Luftkurmord

Eifelbaron

Das Schwert des Julius Caesar

10 Jahre euregiobahn - Krimi-Leseheft

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Im Juni 2001 nahm die euregiobahn auf dem ersten Abschnitt von Stolberg-Altstadt über Aachen und Herzogenrath nach Heerlen Fahrt auf. In den kommenden Jahren wurden viele ehemalige Strecken in der Region reaktiviert und der Abschnitt von Weisweiler nach Langerwehe neu gebaut. Heute reicht das Netz von Heerlen bzw. Alsdorf bis nach Eschweiler, Langerwehe und Düren.Viele Fahrgäste haben sich seitdem von den Vorzügen der modernen, komfortablen und umweltfreundlichen »Talent«-Züge der euregiobahn und den schnellen Verbindungen überzeugt. Heute nutzen täglich rund 11.000 Fahrgäste die euregiobahn für ihre Fahrt zur Arbeit, zur Schule, zum Einkauf oder in der Freizeit.

Und so geht‘s weiter

Noch in diesem Jahr wird die euregiobahn um die drei neuen Haltepunkte Alsdorf-Kellersberg, Alsdorf-Mariadorf und Alsdorf-Poststraße erweitert. Voraussichtlich Ende kommenden Jahres soll die Reaktivierung der kompletten Ringbahn zwischen Alsdorf und Stolberg Hbf mit zwei weiteren neuen Haltepunkten in Eschweiler-St. Jöris und Merzbrück erfolgen.

Aktionswochenende »Krimi, Kult und Kultur«

Der 10. Geburtstag ist für uns euregiobahn-Projektpartner (Aachener Verkehrsverbund, DB Regio NRW GmbH und EVS EUREGIO Verkehrsschienennetz GmbH) Grund genug sich bei Ihnen zu bedanken. Aus diesem Anlass haben wir am langen Wochenende vom 30. September bis 3. Oktober 2011 be-sondere Fahrgäste eingeladen – Musiker, Krimiautoren und Kabarettisten werden Sie in der euregiobahn begleiten.

Freitag, 30.9. ab 20:32 Uhr: Abends läuten »Smoooth« das Jubiläums-Wochenende mit weichem, pointiertem Jazz ein.

Samstag, 1.10. ab 20:32 Uhr: Elke Pistor und Rudolf Jagusch laden zur Krimi-Time. Sie entführen Sie in die Welt des Verbrechens in einer gewöhnlich ruhigen Gegend – der Eifel. Für musikalische Untermalung sorgen »Smoooth«.

Sonntag, 2.10. ab 14:32 Uhr: Nachmittags gilt es gemeinsam mit der Autorin Eva Steins das Geheimnis rund um »Das Schwert des Caesar« zu lüften. Ein Rate-Krimi für alle ab 8.

Montag, 3.10. ab 14:32 Uhr: Am »Tag der Deutschen Einheit« sind Ihre Lachmuskeln gefragt. Jupp Hammerschmidt und Hubert vom Venn präsentieren humoristisches EifelKaba-rett. Am Saxophon begleitet sie Heribert Leuchter.

Alle Aktionen finden in den regulär verkehrenden euregiobah-nen auf den Strecken Stolberg-Altstadt – Aachen – Heerlen statt (keine Sonderfahrten). Beginn und Ende des Programms ist jeweils am Hauptbahnhof in Aachen. Interessierte können an allen Bahnhöfen und Haltpunkten unterwegs zu- oder aussteigen. Sie benötigen nur ein gültiges AVV-Ticket – außer dem regulären Fahrpreis wird kein zusätzli-cher Entritt erhoben. Alle, die noch kein Ticket besitzen, können dieses bei den Veranstaltungen ausnahmsweise auch im Zug erwerben.

Steigen Sie ein und lassen Sie sich verzaubern!

10 Jahre euregiobahn

Infos zum Programm, Fahrzeiten und Tickets unter www.euregiobahn.de

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In voller Ledermontur lehnte Fischbach an seiner Harley. Die Jacke mit dem großen »K-Heroes« auf dem Rücken ließ eher an den Chef einer Rockerbande denken als an einen Polizisten. Treffpunkt Kermeter, auf dem Parkplatz der Hirschleyroute, hatte es in der Einladung geheißen. Skeptisch sah er sich um. Einige Schritte entfernt standen zwei Frauen. Die eine las, während die andere gelangweilt in den grauen Himmel starrte. Fisch-bach hüstelte und beugte sich näher zu Welscher. »Wann kommen denn die anderen?« Welscher kramte sein Smartphone aus der Tasche. »Ich schau mal bei Doodle nach.« »Ah, ja«, murmelte Fischbach, »hätte ich auch selbst drauf kommen können.« Welschersahauf undlächeltesüffisant.»Klar,bindirnur zuvorgekommen.« Mit dem Daumen huschte er über das Display. Kurz darauf runzelte er die Stirn. »Was ist?« »Wenn ich das richtig sehe, sind wir nur zu viert. Die

anderen haben alle in letzter Minute abgesagt. Haben wohl Angst vor dem vorhergesagten Gewitter, die Weicheier.« Ruckartig steckte er sein Handy wieder ein und blickte Fischbach grimmig an. »Eifelköppe. Denen musst du das Dach über dem Kopf anzünden, damit die in der Freizeit mal rauskommen. Von wegen ein schöner Spaziergang mit Eventlesung am historischen Köhler-platz. Ha!« Welscher trat gegen einen herumliegenden Stein,derinhohemBogendavonflogunddiejüngerederbeiden Frauen am Hosenbein traf. Sie warf ihm einen bösen Blick zu. »Wir könnten uns auch noch verdrücken«, schlug Fisch-bach vor. »Bin extra aus Köln gekommen«, grummelte Welscher. »Wo bekommst du schon eine Lesung von zwei Eifel-Krimiautoren gratis präsentiert? Das lass ich mir nicht entgehen.« Fischbach seufzte. »Wenn du meinst.« Lieber wäre er wieder auf seine Harley gestiegen und nach Hause

Kaffee mit Schuss Kurzkrimi

Elke Pistor und Rudolf Jagusch

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gedüst. Aber Welscher hier im Stich zu lassen, wäre kein schöner Zug gewesen. »Dieschautzudirrüber«,flüsterteWelscherundzwinkerte ihm zu. Fischbach straffte sich. »Was willst du ... die ist doch viel zu jung.« Welscher verdrehte die Augen. »Die Ältere, nicht das Küken, du Pfeife.« Verstohlen warf Fischbach den beiden Frauen einen Blick zu. Stimmt, Welscher hatte recht. Einen Cent für deine Gedanken, dachte er und spürte, dass er errötete.

»Es könnte ›Kall-Heroes‹ heißen«, murmelte Ina Weinz, kickte einen Kieselstein mit der Schuhspitze in die Büsche und wandte sich vom Anblick der beiden Herren, die in einiger Entfernung herumlungerten, ab. »Was?« Judith Bleuler schreckte hoch, klappte das Buch, in dem sie seit ihrer Ankunft vor zwanzig Minuten gelesen hatte, zu und warf es durch die halb geöffnete Tür auf den Vordersitz des grünen VW Käfers. »Die Aufschrift auf seiner Lederjacke. Wahrscheinlich heißt es aber eher ›Kuchen-Heroes‹.« Ina grinste und wies mit einer knappen Geste auf den älteren der beiden Männer. »Seine Figur zumindest lässt entsprechende Rückschlüsse zu.« »Die beiden sind doch auch Polizisten! Wie kannst du da so lästern?« »Das macht sie nicht automatisch schöner.« Ina versenk-te die Hände in den Taschen ihrer Jeans und lehnte sich an den Käfer. Judith schob den Ärmel ihrer blütenweißen Bluse hoch und schaute demonstrativ auf die Uhr. »Kennst du einen von denen?« »Nein.« Judith nahm ihren Rucksack, öffnete ihn und holte ein Blatt Papier mit Fotos und kurzen Texten heraus. Sie musterte ihre Gegenüber und nickte dann. »Ich hab ein wenig recherchiert. Fischbach, Horst. Das ist der mit der Lederkluft. Der Jüngere heißt Jan Welscher und kommt aus Köln. Beide gehören nach Euskirchen, zum neuen

Morddezernat.« Sie faltete das Blatt sorgfältig und steckte es wieder in den Rucksack zurück. Um Inas Mundwinkel zuckte es, während sie ihre Praktikantin beobachtete, aber sie schaffte es, keine Bemerkung zu Judiths Recherchen zu machen. Stattdes-sen stieß sie sich vom Wagen ab, ging mit großen Schrit-ten auf die beiden Männer zu und streckte ihnen zur Begrüßung die Hand entgegen. »Bevor wir hier noch Wurzeln schlagen – Polizei-hauptkommissarin Ina Weinz, Dienststelle Schleiden, und das ...«, sie drehte sich um und wies auf Judith, die ihr langsam gefolgt war, »ist meine Praktikantin Judith Bleuler.« Nachdem sie sich begrüßt hatten, drehte sich Fischbach einmal im Kreis. »Wo bleibt denn dieser Förster?« »Ranger«, korrigierte Judith Bleuler. »Ich glaube, da kommt er«, sagte Welscher und wies auf den Wanderweg, der am Rande des Parkplatzes endete. Fischbach beugte sich vor und sah an seinem Kollegen vorbei. Ein schlaksiger Mann stampfte auf sie zu. Er trug ein beigefarbenes Hemd, eine grüne Hose und auf dem Kopf einen Hut mit breiter Krempe. »Ah«,rief Welscheraus,»ihrEiflerfeiertalsoauchKarneval. Wenn ich das gewusst hätte ...« Er brach ab und musterte Fischbach. »Obwohl«, er zupfte an der Lederjacke, »du wusstest es ja offensichtlich. Hast dich als Lederschwein verkleidet.« »Herzlich willkommen«, rief der Ranger und ignorierte Welschers Bemerkung. »Mein Name ist Tom. Eigent-lichThomas,aberichfinde,TompasstbesserzueinemRanger.« Irritiert blickte er sich um. »Der Rest kommt wohl noch? Mir wurden zwanzig Teilnehmer gemeldet.« »Abgesagt«, informierte Welscher ihn. »Wir vier sind die Einzigen, die die Polizei zurzeit aufbieten kann.« »Polizei?«, stieß der Ranger hervor. Sein Gesicht verlor jegliche Farbe. »Ja.Betriebsausflug.«InaWeinzmusterteihrGegen-über. Der Ranger schluckte trocken und schwankte leicht wie

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die Buchen im Wind am Rande des Parkplatzes. Fischbach runzelte die Stirn. »Ist Ihnen nicht gut?« »Nein, nein«, stieß der Ranger heiser aus. »Es ist nur ...« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Bin nur überrascht. Habe eine Gruppe von Fans der beiden Autoren erwartet, mehr nicht. Ein Gruppe Groupies sozusagen.« Er lachte gackernd. »Ich schlage vor, wir gehen los. Die Autoren warten schon. Es ist auch nicht weit. Zehn Minuten, wenn wir uns sputen.« Er drehte auf dem Absatz und marschierte in Richtung des Wanderwe-ges davon. Welscher zwinkerte den beiden Kolleginnen zu. »Dann roll mal hinterher, Hotte«, frotzelte er und gab Fischbach einen Schubs in den Rücken. »Die Köhlerei ist ein typisches Eifelhandwerk«, dozierte Judith, während sie alle hinter dem Ranger durch den Wald trabten. »1552 gab es nachweislich 32 Köhler in der Gegend, die die Eisen- und Hammerwerke mit Holzkoh-le versorgten.« Ina hörte Hotte Fischbach hinter sich schnaufen, drehte sich um und grinste ihn nach einem schnellen Seitenblick auf Welscher an. »Du hast doch auch eine Art Praktikant, dann kennst du so einen Diensteifer doch bestimmt. Oder gehen wir dir zu schnell?« Fischbach schüttelte den Kopf und stapfte schweigend weiter. Welscher wandte sich an Judith: »Du hast dich auf den Ausflugvorbereitet?« Judith nickte und ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Willst du mehr wissen?« Ohne seine Antwort abzuwarten, blieb sie stehen und setzte ihren Vortrag fort. »Es dauerte vier bis sechs Tage, bis so ein Meiler fertig war. Er wurde mit Grassoden und Asche abgedeckt und dann angezündet. Er durfte aber nicht brennen, sondern nur glimmen. Die Köhler erkannten an der bläulichen Farbe des Rauchs, dass die Holzkohle fertig war. Solange sie warteten und den Meiler Tag und Nacht bewachten, suchten sie Schutz in ihren Köhlerhütten, die sie neben den Meilern bauten.« Sie wies auf eine Art kleinen grünen Hügel, der sich in der Nähe hinter einigen

Bäumen abzeichnete. »Wenn Sie möchten, können Sie gerne in die Hütte kriechen und sich wie ein echter Köhler fühlen«, mischte sich der Ranger ein. »Das ist, glaube ich, grade keine so gute Idee.« Ina zog ihr Handy hervor und wählte. »Warum?« Judith kam näher und drückte sich an ihrer ChefinundanFischbachvorbei. »Weil«, Ina trat einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf eine kleine Köhlerhütte frei, die in der Nähe des Meilers stand und aus deren offenem Ende zwei Paar Füße herausragten, »hier wohl jemand Schutz gesucht hat, aber nicht sehr erfolgreich damit war.« »Oh, mein Gott«, rief der Ranger aus und eilte zum Hütteneingang. »Nichts anfassen«, warnte Welscher ihn und hielt ihn gerade noch rechtzeitig am Oberarm fest. »Funkloch. Mist, wieder kein Netz«, schimpfte Ina, als sie herangekommen war. Sie hielt ihr Handy in die Luft und drehte sich auf der Stelle wie eine Ballerina. Welscher warf einen prüfenden Blick auf sein Smart-phone. »Gib es auf. Ich habe auch keinen Empfang. Selbst in Afrika ist die Netzabdeckung besser als in der Eifel.« »Erste Hilfe«, rief Fischbach. An den Füßen zog er beide Körper so weit aus der Hütte, dass er beginnen konnte. »Die Spuren«, hörte er den Ranger hinter sich ausrufen. »Scheiß drauf«, antwortete er und drückte auf dem Brustkorb der Frau herum. »Vielleicht klappt es noch.« Ina versuchte den Mann zu reanimieren. »Das sind doch die beiden Krimiautoren«, rief Judith. »Ich kenne sie aus der Zeitung. Elke Pistor und Rudi Jagusch. Die wollten hier für uns lesen.« Fischbach war es egal. Seiner Meinung nach hatten selbst Schreiberlinge ein Recht darauf, im Hier und Jetzt zu bleiben, auch wenn sie allerhand Schund über die Polizeiarbeit schrieben. Wie ein Berserker drückte er auf dem Brustkorb der Frau herum. Als die erste Rippe knackte, hielt er kurz inne. »He, Jäger. Du hast doch

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bestimmt ein Funkgerät in deiner Karre. Sieh zu, dass du Hilfe holst.« »Ich komme mit«, entschied Welscher. »Vielleicht kriege ich doch ein paar Balken aufs Handy.« Er zog den Ranger mit sich. Der sträubte sich einen Moment, konnte den Blick nicht abwenden. Doch schließlich deutete er in Richtung Straße. »Nur ein Stück. Da ist ein kleiner Wanderparkplatz. Dort steht mein Wagen.« Fischbach beackerte weiter die Frau, die vor ihm lag. Schweiß rann ihm in die Augen, seine Muskeln brannten und sein Rücken schmerzte höllisch. Minutenlang gab er alles. Erst als er eine Hand auf der Schulter spürte, geriet er aus dem Rhythmus. Irritiert schaute er auf und sah in Inas Gesicht. »Es hat keinen Zweck mehr«, sagte sie. Fischbach wandte sich wieder den beiden Toten zu. Mit offenen, leblosen Augen starrten sie zum Himmel. Er ließ sich nach hinten fallen und setzte sich resigniert auf denfeuchtenBoden.»Scheiße«,fluchteererstleise.Er ballte die Fäuste und schlug in den Dreck neben sich. »Scheiße!«, brüllte er, »Scheiße! Scheiße! Scheiße!«

»Die sind tot.« Der Notarzt richtete sich ächzend auf und zog einen Kugelschreiber aus der Brusttasche seiner orangen Weste. Ina sah kurz zu Fischbach und verdrehte die Augen. »Können Sie dazu was sagen?«, wandte sie sich an den Arzt. »Wozu? Zum Wetter?« »Hörma, Jung. Zum Witze machen treffen wir uns heute Abend an der Theke.« Fischbach verschränkte die Arme vor der Brust. Das Leder der Jacke knarzte. »Von dir wollen wir das ›Wann‹ und das ›Wie‹ wissen. Für das ›Wer‹ sind wir dann zuständig.« »Sie wissen doch, dass wir keine genauen Angaben machen können, bevor die Ergebnisse der Obduktio-nen vorliegen.« Der Arzt verschanzte sich hinter seinem Klemmbrett, das er die ganze Zeit über in den Händen gehalten hatte, und blätterte ein Formular um. »Das Einzige, was ich Ihnen sagen kann, ist das hier.« Er drehte das Klemmbrett um und hielt es Ina und Fisch-

bach hin. »Unnatürliche Todesursache« stand da unter beiden Namen. »Herr Jagusch hat Schaum in den Mundwinkeln.« Ina runzelte die Stirn und fuhr dann fort: »Und sein Gesicht ist blau.« Sie trat näher zur Köhlerhütte und beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Was ist mit der Thermoskanne?«, fragte sie einen der Kollegen der Spurensicherung, die wie Ameisen über den Boden krochen und nach verwertbaren Spuren suchten. »Habt ihr die schon zwischen gehabt?« Sie richtete sich wieder auf. »Wie es aussieht, haben beide daraus getrun-ken.« Sie deutete auf die beiden Aluminiumbecher, die dieKanneflankierten.»IchhabedenVerdacht...«DerRest des Satzes ging in einem heftigen Hustenanfall unter. »Herr, äh, Thomas? Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte Welscher und klopfte dem Ranger auf den Rücken. Der Ranger keuchte und starrte gebannt auf die Thermoskanne. Welscher folgte seinem Blick. »Ist das Ihre?« Er nickte stumm. Schweiß perlte von seiner Stirn. »Den Kaffee hatte ich ihnen dagelassen. Vorhin sah es ja nach Regen aus, da kann so was Warmes von innen nicht schaden, oder?« Er lachte unsicher. »Ich habe ihnen auch geraten, in der Hütte Schutz zu suchen. Man weiß ja nie, Gewitter und so.« Judith beugte sich über die Tote. »Frau Pistor ist aber nicht blau. Ihre Haut ist rot.« Sie öffnete den Mund und warf einen Blick hinein. »Die Schleimhäute sehen aus wie verbrannt.« Eindringlich sah sie den Notarzt an. »Schon seltsam, oder was meinen Sie?« Der Mann sah von seinem Klemmbrett auf und runzel-te die Stirn. Judith seufzte. »Sieht nach einer Blausäure-Intoxikation aus.« »Ah, okay«, sagte der Notarzt. »Mir ist klar, worauf Sie hinauswollen. Kaliumcyanid, nicht wahr? Eine Cyanid-vergiftung.« Judith runzelte die Stirn. »Hätte Ihnen eigentlich sofort auffallen müssen.«

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Der Notarzt lief rot an. »Ich habe doch unnatürliche Todesursache angekreuzt.« »Und was meine Kollegin eben erwähnen wollte, bevor der Husten des netten Rangers ihr dazwischen-funkte, war ...« »... dass ich bei Herrn Jagusch auf eine Vergiftung mit E605 tippe«, vollendete Ina nachdrücklich. »Parathion, ein Ester der Thiophosphorsäure, auch Thiophosgenannt«,ergänzteJudithbeflissen,»altesPflanzenschutzmittelausdemSchuppenvonderOma.« »Schwiegermuttergift. Sag das doch gleich«, brumm-te Fischbach. Er schnappte sich die beiden Kaffeebe-cher. Vorsichtig roch er daran. »Bittermandel, ganz klar. Also tatsächlich Cyanid.« Er hielt seine Nase über den anderen Becher. »Wenn überhaupt außer Kaffee, dann Knoblauch. Könnte tatsächlich E605 drin sein.« Er warf einen Blick in die Hütte. »Alles vollgekotz... bahh, ziemlich ekelhaft. Die beiden haben ihr Innerstes nach außen gekehrt.« Welscher hatte das Ganze aufmerksam verfolgt. »Passt bei einer Vergiftung. Und Bittermandelgeruch können viele Leute nicht wahrnehmen.« Er wandte sich an den Ranger und sah ihn streng an. »Wussten Sie davon? War Ihnen bekannt, dass Frau Pistor diese Schwäche hatte?« Der Ranger riss erschrocken die Augen auf. »Wieso ich? Was habe ich damit zu schaffen?« »Nicht so scheinheilig. Sie wirkten vorhin auffällig verstört, als wir uns als Polizisten vorstellten. Da wussten Sie wohl schon, was uns hier erwarten würde.« Er machte eine Pause und musterte den Ranger. »Weil Sie«, er zeigte mit dem Finger auf ihn, »die beiden vergiftet haben!« »Ich ... also ...«, der Ranger griff sich an seinen Hemdkragen und zog heftig daran, »ich habe damit nichts zu tun, wirklich nicht.« Kleine Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn. Fischbach und Ina traten gleichzeitig einen Schritt auf ihn zu. Ina hob die Nase und schnupperte. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Kannten Sie die beiden?« »Nein. Ja. Also ...« Tom stotterte. »Ich kenne sie seit ein paar Stunden. Vorher habe ich sie nie gesehen. Außer in

der Zeitung.« »Was für einen Grund könnte er haben, die beiden umzubringen?«, murmelte Fischbach und zog den Kragen seiner Jacke enger. »SindSiehauptberuflichRanger?« »Ja, aber ...« »Nun lassen Sie sich doch nicht alles so aus der Nase ziehen«, sagte Judith und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich ...«, kiekste der Ranger, hustete wieder und lief rot an. »Ich schreibe Kurzkrimis.« Alle blickten ihn stumm an. Fischbach baute sich drohend vor dem Ranger auf. »Und da dachten Sie sich, Sie bringen einfach den ein oder anderen Kollegen um. So rein aus Inspirationsgrün-den.« »Oder um die Konkurrenz auszuschalten«, ergänzte Welscher. »Nein!« Die Stimme des Rangers erreichte ungeahnte Höhen, kippte um und verlor sich. Ina umkreiste ihn. Wie ein Suchhund bewegte sie ihre Nase an Jacke und Hose des Rangers entlang. Als sie sich wieder aufrichtete, lag das zufriedene Grinsen einer satten Katze auf ihrem Gesicht. »Ich glaube Ihnen.« »Danke. Äh ...« Der Ranger schluckte. »Ich sage Ihnen ja, dass ich nichts damit zu tun habe.« Er zeigte auf die beiden toten Autoren. »Damit nicht. Aber trotzdem haben Sie einen Grund, so nervös zu sein.« Ina streckte dem Ranger ihre offene Hand entgegen. »Los, raus damit. Irgendwo haben Sie es versteckt. Oder wollen Sie wegen weit Schlimmerem belangt werden?« Der Ranger schüttelte den Kopf, riss seine Hosentasche auf und schmiss Welscher einen kleinen Lederbeutel vor dieFüße.»Da,daswarderGrund«,fiepteer.»Hinundwieder drehe ich mir einen Joint. Ich habe befürchtet ... Bitte sagen Sie meinem Chef nichts davon, der schmeißt mich ja sofort raus.« Er senkte den Blick und ließ die Schultern hängen. »Aber ich bringe doch niemanden

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um«,flüsterteer. »Jemand muss es gewesen sein.« Fischbach sah zu Ina und runzelte die Stirn. Ina fasste sich in die Haare und zog sie nach hinten. »So wie es aussieht, sind es zwei verschiedene Gifte. Was für ein Aufwand für einen Mörder.« »Vielleicht war Ihre Idee ja gar nicht so verkehrt«, warf Judith ein und sah Fischbach und Welscher nachdenklich an. »Was? Die Inspirationssache?«, fragte Fischbach. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Die Konkurrenz«, riefen Welscher und Judith gleichzeitig und strahlten sich an. »Das ist es!« »Wunderbar!« Fischbach rieb sich die Hände. »Dann können wir euch die Sache ja überlassen. Wir haben schließlich Freizeit.« Er drehte sich um, stapfte den Weg zurück, den sie zuvor gekommen waren, und winkte den anderen zu, ihm zu folgen. »Wie wäre es mit einem lecke-ren Gemünder Bier?«

»So wie es aussieht, haben sich die Pistor und der Jagusch gegenseitig umgebracht.« Die vier Polizisten saßen in einer gemütlichen Kneipe. »Sie schüttet ihm ihr Lieblingsgift in den Kaffee und er ihr seins?« Fischbach hob sein Glas und prostete Ina und Judith zu. »Wer macht denn so was? Das würden die doch höchstens in einer ihrer Räuber-Geschichten machen.« »Bei Krimiautoren weiß man ja nie, was echt ist und was nur erfunden.« Ina grinste und blies den Schaum von ihrem Bier. »Und ob so eine Geschichte überhaupt jemand lesen würde. Na ja. Ich weiß nicht.«

Elke Pistor,

Jahrgang 1967, ist in Gemünd in der Eifel

aufgewachsen. Nach dem Abitur in Schlei-

den zog es sie zum Studium nach Köln,

wo sie nach einem Zwischenstopp am

Niederrhein bis heute lebt. Sie arbeitet als

freie Seminartrainerin in der Erwachsenen-

bildung und leitet Schreibworkshops. Im

Emons Verlag sind ihre beiden Eifel Krimis

»Gemünder Blut« und »Luftkurmord«

sowie der Mystery-Roman »Das Portal«

erschienen.

Rudolf Jagusch,

geboren 1967 in Bergisch

Gladbach, arbeitet als Diplom-

verwaltungswirt bei einer

großen Behörde in Köln.

Er lebt mit seiner Familie

in Bornheim im Vorgebirge.

Im Emons Verlag erschienen

die beiden Vorgebirgs Krimis

»Nebelspur« und »Todesquelle«

sowie sein Eifel Krimi Debut

»Eifelbaron«.

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Am schlimmsten war der Gestank. Das Wasser kroch träge über den SchlammundhinterließkleineBachläufeauf derOberfläche.IhreFüßeversanken im Schlick und sie spürte, wie die Masse zwischen ihren Zehen hindurchquoll und den Knöchel umschloss. Die Kälte kroch ihre Waden hinauf, aber das störte sie nicht. Mit jedem Schritt gab es ein schmatzendes Geräusch, das sie an die unwillkommenen Küsse von Tante Rickarda erinnerte, und dann, wenn sie den Ast, auf den sie sich stützte, aus dem Boden zog, kam der Gestank. Nach faulen Eiern, nassem Dreck und nach Fisch. Sie schnaubte, versuchte durch den Mund zu atmen und balancierte weiter. Die anderen sollten es nicht merken. Die anderen durften es nicht merken. »Weiter, Erich!«, feuerte eine Stimme sie an. »Weiter!« Sie hörte das Kichern der beiden anderen Mädchen und wusste genau, was gerade hinter ihrem Rücken geschah und wie breit das Grinsen in den Gesich-tern ihrer Freundinnen hing. Aber umdrehen konnte sie sich nicht. Beide Füße steckten tief im Schlamm fest, und der Sog des Wassers wurde stärker. Trotzdem wollte sie es wissen. Sie wandte den Kopf. Sofort verlor sie das Gleichgewicht, ruderte mit beiden Armen in der Luft und hatte große Mühe, nicht umzufallen. Die anderen lachten. Noch vier Meter, dann hätte sie es geschafft. Das Rascheln der Blätter in den Baumkronen übertönte das Plätschern des Wassers. Ein Automotor heulte hoch über ihr auf, als sich der Wagen die steile Straße den Dürener Berg hinaufquälte. Sonst war alles still. Sie waren allein im Kurpark. Hans, Franz und sie, Erich. Wie die drei Spatzen in dem Gedicht von Christian Morgenstern, das sie in der Schule gelernt hatten. Sie fand die Namen blöd, vor allem, weil es Jungsnamen waren, aber Hans hatte gemeint, wenn man eine Bande war, dann müsste man geheime Namen haben. Geheime Namen für eine geheime Bande. Sie umklammerte den Stock und zog. Ihre Fingerknöchel wurden weiß vor Anstrengung. Wieder ein Stück. Wenige Schritte nur. Das Wasser ging ihr jetzt bis zu den Oberschenkeln, und als sie den rechten Fuß anhob, blind nach vorne schob und neuen Halt suchte, stießen ihre Zehen an einen Stein. Angestrengt blinzelte sie auf die glitzernde Oberfläche,aberaußereinemdunklenSchattenerkanntesienichts. »Jetzt mach mal schneller!«, rief Franz. »Schneller geht nicht!«, schrie sie zurück und bereute es sofort, als sie das aufgesetzte Stöhnen vom Ufer hörte. Sie biss die Zähne zusammen. Sie war zehn Jahre alt. Nach den Sommerferien, die in zwei Wochen begannen, würde sie auf das Gymnasium in Schleiden gehen. Da durfte

L

Luftkurmord Eifel Krimi • Leseprobe

Elke Pistor

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man keine Angst haben. Weiter. Noch ein Stück. Das Wasser zerrte an ihr. Aber jetzt konnte sie den Reifen sehen. Er hatte sich im Gestrüpp knapp unterhalb des Wehrs verfangen. Sie blieb stehen. Es war gefährlich, und eigentlich dürfte sie gar nicht hier sein. Mama würde fürchterlichschimpfen,wennsieesherausfindenwürde.Sie war froh, dass Papa morgens das Auto brauchte, um zur Arbeit zu fahren, sonst würde Mama nach den Ferien bestimmt noch auf die Idee kommen, sie genau-so ins acht Kilometer entfernte Schleiden in die Schule zu fahren, wie sie es in Gemünd gemacht hatte. Bis vor die Tür. Mama wollte nicht, dass sie gefährliche Sachen machte, und verbot ihr eigentlich alles, was Spaß machte. Aber das hier machte ihr keinen Spaß. Das hier machte ihr Angst. Vorsichtig hob sie den anderen Fuß auf den glitschigen Stein und schob ihn langsam vorwärts. Das war besser als der Schlamm. Sie zitterte. Nicht nur weil es kalt war im Wasser. Sie fürchtete sich. Die Urft war zwar nur ein kleiner Fluss, aber direkt hier, hinter dem Wehr, strudelte das Wasser ganz schön heftig, obwohl es vom Ufer aus nicht so aussah. Sie blieb stehen. Franz und Hans riefen ihr etwas zu, aber sie konnte sie nicht verstehen. Diesmal klappte es mit dem Umdrehen. Die anderen standen dicht nebeneinander an der Uferbö-schung und schauten zu ihr hinüber. Ihre nassen Haare klebten an den Köpfen. Aus den abgeschnittenen Jeans und nassen T-Shirts tropfte das Wasser. Zwei schwarze Reifen lagen neben ihnen und trockneten in der Sonne. Sie hatten die Arme vor der Brust verschränkt und starr-ten sie an. Warteten darauf, was passieren würde. Ob sie es schaffen würde. Sie ließ die Arme hängen und seufzte. Es ging nicht. Dann war der Reifen eben weg. Auch egal. Es hatte ihr eh keinen Spaß gemacht, mit den Autoreifen über die Urft zu schwimmen. Sie wäre lieber ins richtige Schwimmbad gegangen. Dann würde es auch später keinen Ärger geben, wenn Mama es rausbekommen würde. Und das würde sie, da war sie sich ganz sicher. »Was ist?«, rief Hans. »Bist du festgefroren?« Sie schüttelte den Kopf und klammerte sich an den

Stock, der noch neben dem Stein im Schlamm steckte, während sie im Strom des Wassers hin- und herschwank-te. Es ging nicht. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, als sie langsam vom Stein herabstieg und wieder mit den Füßen im Schlick versank. »Jetzt hol endlich meinen Reifen da raus, wenn du schon so dusselig bist und ihn reinwirfst.« »Du kannst meinen haben.« »Ich will deinen nicht. Der ist mir zu klein.« Sie zögerte. Hans war die Anführerin ihrer Bande. Vielleicht ginge es ja, wenn sie mit dem Stock nach dem Reifen hangeln würde. Außerdem wollte sie kein Angst-hase sein. Sie zog den Stock aus dem Boden, und ihre Füße suchten wieder den harten Untergrund. Es ging. Sogar noch ein Stückchen weiter als beim ersten Versuch. Sie lehnte sich nach vorne, streckte den Arm weit aus und stieß mit dem Stock nach dem Reifen. Wenn sie ihn doch losbekommen könnte. Es fehlte nur noch ein kleines bisschen. Beinahe berührte die Stockspitze das schwarze Gummi. »Mach endlich!« Sie sah die Bewegung im Wasser, bevor sie die Berüh-rung spürte, und schrie auf. Eine Welle von Ekel überrollte sie. Mit der Rechten umklammerte sie den Stock, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, mit der Linken zog sie an dem schwarzen Ding, das sich an ihrem Oberschenkel festgesaugt hatte. Es ging nicht weg. Panik stieg in ihr hoch. Sie vergaß ihre Vorsicht, wandte sich um und stakste so schnell, wie es ihr möglich war, auf die Böschung zu. Sie schrie immer noch, als sie schon fast das Ufer erreicht hatte. »Ach, stell dich nicht so an. Es ist doch nur ein Blutegel.« Franz begutachtete den schwarzen Wurm. »Was?« Sie spürte, wie ihre Knie weich wurden. Das Ding wand sich und glitt ihr durch die Finger. Sie packte es fester und riss daran. »Es blutet, wenn du ihn abmachst.« Ein Junge stand mit einem Mal neben ihnen und zeigte auf den Blutegel. »Er muss von allein abfallen.« Sie hatte nicht gesehen, wo er hergekommen war. Er stieg von seinem Fahrrad, ließ es

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auf die Wiese fallen und kam näher. »Aber es ist so eklig und …« Hans schob sich zwischen sie und den Jungen. »Was weißt du Knirps denn schon?« Der Junge zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es halt.« Sie kannte ihn vom Schulhof. Er ging erst in die dritte Klasse. Trotzdem fand sie ihn nett. »Soll ich dir den Reifen aus dem Wasser holen?«, fragte er und lächelte. Sie schüttelte den Kopf. »Das ist zu gefährlich«, murmelte sie und kratzte an dem Blutegel. Sie schüttelte sich, packte das Tier an der Stelle, wo es sich festgesaugt hatte, und drehte. Es tat weh. Sie biss die Zähne zusammen. Schließlich löste sich derDruck,undderBlutegelwandsichinihrerHandflä-che. Angeekelt warf sie ihn weg. Blut lief aus der Wunde ihr Bein hinunter. »Das ist nicht gefährlich, du bist zu feige!« Franz’ Stimme bohrte sich in ihre Seele. Sie wischte ihre Hand an der nassen Hose ab und schob die Spitze ihres Mittel-fingersindenMund.DasregelmäßigeKnackenbeijedem Biss auf den Nagel beruhigte sie. »Ich mach es«, sagte der Junge und nickte ihr zu. Dann kletterte er die Böschung hinunter, ohne auf die Brenn-nesseln zu achten, die sicher an seinen Beinen brannten. Knack. Sie beobachtete ihn. Knack. Er machte das für sie. Mit dem Finger im Mundwinkel lächelte sie. Knack. Er ruderte mit beiden Armen, um sein Gleichgewicht nicht zu verlieren, und schaffte es in der Hälfte der Zeit bis zu dem Stein in der Mitte des Baches. Aber er war kleiner als sie. Das Wasser ging ihm bis zur Hüfte. Er stemmte sich gegen die Strömung, drehte sich zu ihnen um und winkte. Dann sprang er und schwamm mit kurzen, schnellen Zügen auf das Gestrüpp zu. Hans und Franz johlten neben ihr und feuerten den Jungen an, bis er das Gestrüpp erreicht und nach dem Reifen gegriffen hatte. Er schob seinen Arm hindurch und zerrte daran. Doch der Reifen saß fest. Sie sah, wie er tauchte. Sein Kopf verschwandunterderWasseroberfläche. »Der traut sich was!« Franz verschränkte ihre Arme und nickte anerkennend.

Sie starrte auf die Stelle, an der er verschwunden war. Der Reifen bewegte sich, ruckelte hin und her, tauchte tiefer ein und schien sich zu lösen. Knack. Es dauerte so lange. Knack. Sie schmeckte Blut.

***

Der Tod ist ekelhaft, dachte Kai Rokke Hornbläser und wandte sich ab. Er schluckte, kämpfte gegen die Übelkeit und sah erneut hin. Der milchige Schimmer der Augen, der Geruch nach modriger Fäulnis und das blasse Fleisch der offenen Wunde, an der die Fische gefressen hatten, ließen keinen Zweifel. Der Körper musste einige Zeit im Wasser gelegen haben. Das Gewebe am Kopf war aufgequollen und wirkte unnatürlich vergrößert, der Leib aufgebläht. Er starrte auf den Entenkadaver. Widerlich! Er schüttel-te sich. Jemand musste das tote Tier entsorgen, bevor in fünf Stunden die Regatta begann. Über dem Fluss lag ein feiner Dunst. Gestern hatte es den ganzen Tag geregnet. Nicht heftig, sondern in diesem feinen Nieseldunst, der sich auf alles legte und dessen Feuchtigkeit langsam, aber stetig in das Gewebe der Kleider kroch und sich über die Haut ausbreite-te. Auch heute würde es nicht besser werden. Auf den weißen Planendächern der Pavillons standen kleine Pfützen, die sich in unregelmäßigen Abständen über den Rand ergossen und zu Boden platschten. Kai Rokke ignorierte den Kadaver, so gut es ging, und runzelte die Stirn. Es würde schwierig werden. Er war früh aufgestanden und hatte den Wohnmobilplatz am anderen Ende des Kurparks verlassen. Die Betrei-ber nannten den Platz »Wohnmobilhafen«. Genau der richtige Aufenthaltsort für ihn und seine »Lydia«. Er war hierhergefahren und hatte sein Gefährt mühsam in einen der schmalen Parkplätze hinter der Fußgängerzone rangiert, um ungestört diese Trainingsrunde absolvie-ren zu können. Ohne die Kommentare, Ratschläge und Bemerkungen seiner Mitstreiter ertragen zu müssen. »Hornblower«, so hatten sie ihn gestern sofort genannt,

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nachdem er sich vorgestellt und die »Lydia« zu Wasser gelassen hatte. Wie einfallsreich. Er hasste das. So wie er vieles hasste, nicht mochte oder ablehnte. In feinen Abstufungen. Große Menschenmengen waren ihm zuwider. Laute Musik verursachte bei ihm Übelkeit, aufgedrängte Gespräche Schweißausbrüche. Er hasste Geschrei. Ebenso Hundebellen. Und Essen. Er verab-scheute Fisch. Ekelte sich vor Fleisch. Mochte kein Gemüse und kein Obst. Nur Nudeln gingen, wenn sie aus Hartweizen waren und der Parmesan darauf nicht geschmolzen. Brot, Marmelade, Kartoffeln. Alles Fehlan-zeige. Als Kind hatte er einmal einen Film über Tiertransporte gesehen und seitdem die Lust am Fleisch verloren. Aber warum er auch die anderen Lebensmittel verweigerte, konnte weder er, noch der Therapeut, den er irgendwann zurate gezogen hatte, erklären. Es war ihm inzwischen auch egal. Er mochte es einfach nicht. Das war der Grund, warum er seit Jahren nur mit dem Wohnmobil unterwegs war. Kein Hotel konnte ihn als Gast ertragen. Und er kein Hotel. Er stand auf, trat ein paar Schritte zurück und betrach-tete das Schiff in seiner Halterung. Das handgefertig-te Modell war sein ganzer Stolz. Die sechsunddreißig KanonenderFregatte,dieSegel,sogardieGalionsfigurmit dem gespannten Bogen, alles war maßgetreu verar-beitet und bis ins Detail nachempfunden. Über zwei Jahre hatte ihn die »Lydia« in Beschlag genommen. So lange hatte er es bisher noch mit keiner Frau ausgehalten. Kai Rokke wusste nicht, ob er diesen Umstand bedau-ern oder begrüßen sollte. Sicher, er hätte gerne Kinder gehabt. Nicht, um mit ihnen zusammen zu sein. Nur um sagen zu können, er habe eine Familie. Das gehörte dazu. Irgendwie. Gab einem wie ihm den Anschein der Normalität. Er selbst brauchte es nicht. Er brauchte niemanden. Kai Rokke Hornbläser war gerne allein. Er wischte sich die Hände an den Seiten seiner Jeans trocken, griff in das Innenfutter seines langen schwar-zen Mantels und nahm ein Päckchen Tabak heraus. Mit klammen Fingern drehte er eine Zigarette, schob sie sich

in den Mundwinkel und suchte dann mit beiden Händen in den Taschen nach einem Feuerzeug. In dem Faltmäppchen mit dem Werbeaufdruck des Gemünder Hotels Friedrich, das er schließlich in den Tiefen entdeckte, befand sich nur noch ein einziges Streichholz. Er brach es heraus und rieb den Schwefel-kopf überdieZündfläche.DerGeruchvonVerbranntemstieg ihm in die Nase, ein kleiner Funke blitzte auf, aber es kam keine Flamme. »Mist.« Er ließ die Zigarette aus dem Mundwinkel in seineHandflächefallen,stopftesieindenTabaksbeutelund sah sich um. Die beiden einander im spitzen Winkel gegenüberliegenden Brücken über die Urft und die Olef waren menschenleer. Auf dem kleinen Plateau über ihm,amZusammenflussderFlüsse,drängeltensichdiePavillonsumdiesteinerneNepomukfigur.InwenigenStunden würden hier zahlreiche Besucher mit Bratwürs-ten und Bier in der Hand die Modellschiffregatta verfol-gen, aber jetzt war alles ruhig. Der Steg schwankte und das Holz knarrte unter Kai Rokkes Füßen. Die rot-weißen Plastikbänder, als vorübergehende Absperrungen zum Wasser gedacht, knatterten leise wie Segel. Für einen Moment überkam ihn das Gefühl, auf einem richtigen Schiff zu stehen. Er genoss es und schloss die Augen. »Enten geangelt, schon am frühen Morgen?« Die Stimme kam von weit oben. Kai Rokke zuckte zusam-men und wandte den Kopf in Richtung des Brücken-geländers über der Urft. Niemand war zu sehen. Seine Handinnenflächenwurdenfeucht. »Da sollten Sie sich aber nicht mit erwischen lassen!« Ein heiseres Lachen, gefolgt von einem Hustenanfall. Kai Rokke legte den Kopf in den Nacken und entdeck-te den Mann an einem Fenster des Hotels neben dem Fluss. »Die war schon vorher Geschichte«, rief er, stieß den Kadaver mit der Schuhspitze an und verzog das Gesicht. Der Kopf der Ente rutschte über den Rand des Stegs und hing ins Wasser. Einzelne Federn bauschten sich und ließen es so aussehen, als ob das Tier noch atmen würde.

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Rokke widmete sich wieder der »Lydia«, richtete einige Segel und ließ das Boot behutsam zu Wasser. »Ach, Sie sind das, Kapitän Hornblower«, hustete die Stimme wieder, und Kai Rokke beobachtete aus den Augenwinkeln, wie der Mann sich weiter aus dem Fenster lehnte. »Tolles Schiff. Alle Achtung, Skipper!« Er lächelte wider Willen, blieb aber stumm und spürte, wie ihm der Schweiß unter den Achseln ausbrach. »Gestern hat es wohl nicht so geklappt, was?« Der Mann gab nicht auf. Jetzt erkannte Kai Rokke ihn. Er hatte mit seiner Mannschaft den ersten Platz der Liga-Meisterschaft belegt, und wenn er sich recht erinnerte, war er innerhalb seines Teams der Beste gewesen. »Wir waren nicht so gut, wie wir hätten sein können«, rief er nach oben, ohne den Mann anzusehen, schaltete dann seine Fernsteuerung ein und ging in Gedanken den festgelegten Parcours durch die Bojentore durch. Gestern hatte er zu viele Strafpunkte wegen Berührens der rot-weißen Hindernisse einkassiert, heute musste es besser werden. Die »Lydia« schob sich in die Wellen. Er legte den Vorwärtsgangeinundhorchteauf denhohen,flirrendenTon. Der Motor lief rund. Kein Stottern. Kein Ruckeln. Perfekt. Der Nebeldunst war verschwunden. Am gegenüberliegenden Ufer schälten sich zwei Enten aus den Schatten einer dichten Hecke. Sie spreizten die Flügel, reckten die Hälse und watschelten behäbig ins Wasser. Langsam näherten sie sich dem Steg. Im weiten Bogen schwammen sie um ihn herum, paddelten gegen die Strömung und ließen sich dann zu der Stelle treiben, anderderKadaverlag.IhredunklenAugenfixiertenihn.Hatte das tote Tier zu ihnen gehört? Die Enten verharr-ten einen Moment. Dann tauchten sie ab und kamen einige Meter weiter in der Flussmitte wieder hoch. Jetzt erstfielKaiRokkederAbstandauf,densiedieganzeZeit über zwischen sich ließen. Wie eine Lücke. Er schüt-telte den Kopf und riss sich von dem Anblick los. So ein Unsinn. Enten trauerten nicht. Für sie ging die Welt weiter. Einfach so.

Er konzentrierte sich wieder auf sein Schiff, testete dessen Reaktion auf die Strömungen und das Verhalten in den Wellen, die an der Mündung entstanden. Ein Stück weiter verschwand der Fluss hinter einer Biegung. Er wusste, dass dort das Wehr lag, auch wenn er es jetzt nicht hören konnte. Er hatte es sich gestern angesehen und kannte den Weg dorthin. Über die Olefbrücke, ein Stück durch die Fußgängerzone und dann an der Wiese entlang bis zum Eingang des Kurparks. Das Wehr war nicht groß und nicht gefährlich für die Modelle. Aber er musste achtgeben, wenn er das hinterste Bojentor nehmen und das Boot wieder in seine Richtung lenken würde. Die »Lydia« fuhr eine weite Kurve, neigte sich zur Seite und kämpfte gegen den stärker werdenden Sog des Wehrs an. Das Geräusch des Elektromotors wurde höher, je weiter er den Hebel der Fernbedienung nach vorne kippte. Er reckte den Hals, balancierte bis zur äußersten Kante des Stegs und stellte sich auf die Zehen-spitzen, um sein Boot nicht aus den Augen zu verlieren. Hatte er die Strömung doch unterschätzt? »Verdammte Scheiße!«, knurrte er, als die weißen Segel mit einem Ruck nach links aus seinem Blick-feld verschwanden, der Motor hochdrehte und dann verstummte. Er drückte den Starterknopf und schüttelte die Fernbedienung. Nichts geschah. Stille. Nur unterbro-chen vom vereinzelten Quaken der Enten, die ungerührt ihre Bahnen schwammen. Noch einmal drückte er den Startknopf und lauschte. Wieder nichts. Er legte den Kopf in den Nacken und suchte den Mann am Fenster des Hotels. Vielleicht konnte er etwas erken-nen. Aber das Fenster war verschlossen und die Gardi-nen zugezogen. Er drehte sich um, bückte sich nach der Transporttasche und öffnete den Reißverschluss. Dann schüttelte er den Kopf und richtete sich wieder auf. Bestimmt würde niemand an einem Sonntagmorgen um sechs eine fast leere Reisetasche mit dem Werbeaufdruck eines Hämorrhoidenmittels stehlen wollen. Er verschloss die Tasche wieder, stieg die Steintreppe zum Plateau

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hinauf und wandte sich nach rechts. Die Kirchturmuhr schlug. Erst vier kurze, helle, dann sechs lange, dunkle Schläge. Die Enten auf dem Fluss antworteten mit lautem Geschnatter. So früh war niemand in der Fußgängerzone unterwegs. Die Häuser lagen im Halbdunkel, und eine einzelne Laterne verteilte ihr Licht über die Straße. Nach fünfzig Metern öffnete sich rechts eine schmale Gasse. Kai Rokke fühlte sich eingekeilt zwischen der Häuserwand und einer leeren Schaufensterfront. Am Ende der Gasse war ein kleiner Park. Er ging jetzt schneller. Über die Wiese auf das Wehr zu. Er sah sich um. Das Rauschen und Murmeln kam näher. Hinter einer Reihe von Büschen und Sträuchern staute sich das Wasser, bevor es über eine Schwelle in das tiefer gelegene Bachbett lief. Er versuchte, durch die Büsche zum Ufer zu gelangen. Irgendwo dort musste die »Lydia« liegen. Vermutlich hatte sie sich im Gestrüpp verheddert und hing mit zerfetzten Segeln fest. Er presste die Lippen zusam-men. Ob er noch einmal so ein Originaltuch bekommen könnte? Sicher nicht. Brombeerranken piekten in seinen Mantel und zogen kleine Fäden aus dem Gewebe. Hier kam er nicht durch. Aber er musste zum Wasser gelangen und die »Lydia« retten. Vielleicht ein Stück weiter rechts? Er trat auf kleinere Äste, stampfte das dichte Unterholz nieder, fand aber keinen Durchgang. »ScheißGrünzeugs!«,fluchteerundstolperteauf die Wiese zurück. Dann musste es eben anders gehen. Nur wenige Meter weiter führte ein Metallsteg über dieSchleuse.ErfühltedieraueOberfläche,alsersichüber das Geländer beugte. Die »Lydia« lag in drei Meter Entfernung längsseits zur Kante des Wehrs. Wasser schlug übers Deck. Die Fregatte drohte zu kentern, stell-te sich aber wie von Fäden gehalten immer wieder auf. Er richtete die Fernbedienung aus, drückte den Starter-knopf und hörte ein hohes Flirren. Der Motor lief, aber die Schraube saß vermutlich fest. Er hob einen Ast auf, stieg über die Absperrung auf den Gitterrostboden des Schleusenstegs und hangelte nach dem Motorboot,

während er sich weit über das Geländer beugte. Der Ast war zu kurz. Kai Rokke richtete sich auf und zuckte zusammen. Ein Dorn hatte sich in seine Hand gebohrt. Blut quoll aus der kleinen Wunde. Er wischte es an seiner Hose ab und lehnte den Ast gegen das Geländer. Auf derglattenWasseroberflächespiegeltensichdieamUferstehenden Büsche. Darunter erkannte er nur Schwärze. Vielleicht Algen? Oder Blätter? Er zog seinen Mantel aus und kletterte wieder über die Absperrung. Am Ende des Geländers fand er eine kleine Lücke im Gebüsch. Er balancierte den kurzen, steilen Hang hinun-ter, die Arme weit von sich gestreckt, mit unsicherem Gang. Als er über eine Wurzel im Boden stolperte, schrie er auf, strauchelte und stürzte vornüber. Die Fernbedie-nungfielihmausderHandundverschwandimDickicht.ErrissdieHändenachvornundfielinsWasser,zuseinergroßen Verwunderung nicht sehr tief. Etwas bewegte sich unter ihm, wich aus, und er versank tiefer im Wasser. Prustend kam er hoch. Die Nässe in seiner Kleidung machte den Stoff schwer. Mühsam richtete er sich auf. Die »Lydia« hatte sich bewegt, trudelte in der Strömung und drohte das Wehr hinunterzustürzen. Kai Rokke hechtete nach vorn und packte sein Schiff. Was darunter, dichtunterderOberflächeschwamm,erkannteererstauf den zweiten Blick.

***

Hermann lag mit geschlossenen Augen auf meiner Brust und schnurrte. »Er wird sterben, Ina.« Steffen saß neben mir auf dem Bett rand und streichelte den Kopf des Katers. »Ich weiß.« »Willst du es ihm nicht leichter machen?« »Er hat keine Schmerzen.« »Aber so ist es kein Zustand.« Steffen stand auf. Er schob beide Hände in die Taschen seiner Jeans und starrte abwechselnd auf mich und den Kater in meinen Armen. »Du solltest ihn erlösen.« Ich schluckte und fühlte, wie es hinter meinen Augen

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brannte. Stumm schüttelte ich den Kopf. »Er kann nicht mehr allein laufen, er frisst nur noch, was du ihm direkt vor die Nase hältst, und auf sein Klo musst du ihn tragen.« Ich hörte das Mitleid in Steffens Stimme. Mit dem Tier. Und mit mir. »Esdauertnichtmehrlange«,flüsterteichundmerkte,wie mir nun doch eine Träne über die Wange rann. »Er hat ein Recht darauf, es allein zu Ende zu bringen. Und ich werde bei ihm sein.« Wieder dieser Knoten in meiner Kehle. »Es tut ihm nichts weh«, murmelte ich. Das war mein Mantra. Seit vor fünf Tagen die Tierärztin zuerst Hermann sehr lange und dann mich nur kurz angesehen hatte, stand mir die Wahrheit zwar vor Augen, aber ich weigerte mich immer noch, sie zu sehen. »In einer Stunde fängt deine Schicht an. Was ist dann?« Ich zuckte mit den Schultern und kraulte Hermann an der Stelle hinter seinem rechten Ohr, an der er es so gerne hatte. Hermann war bei mir, seit ich dreißig Jahre und er vier Tage alt gewesen war. Beinahe neunzehn Jahre lang. Er hatte meine Ehe mitgemacht und meine Scheidung. Er hatte nie geschimpft, wenn ich mitten in einem Fall steckte und nur zum Schlafen und Duschen nach Hause kam. Er war sechsmal mit mir umgezogen. Zuletzt vor einem Dreivierteljahr von Köln hierher in die Eifel, als ich mich entschieden hatte, der Stadt und der dortigen Mordkommission den Rücken zu kehren und zu meinem Vater und meinem Bruder nach Gemünd zu ziehen. Und zu Steffen. Es hatte eine Zeit gedauert, bis ich mich dazu hatte durchringen können. Ein Grund für mein Zögern war die Eifel selbst gewesen. Wollte ich wirklich wieder aufs Land ziehen? Dorthin, von wo ich als junge Frau förmlichindieStadtgeflohenwar?SchneeschaufelnimWinter? Weite Entfernungen? Pampa? Den anderen Grund hatte ich mir nur unwillig eingestanden: Steffens Alter. Mein neuer Freund war acht Jahre jünger als ich, und ich hatte, obwohl ich es nicht offen zugeben wollte, Schwierigkeiten mit dieser Tatsache. Aber die Ereignisse des letzten Sommers,

der Mordverdacht, der auf Steffen lastete, und mein Anteil an der Aufklärung des Falles hatten mich davon überzeugt, es mit der Eifel, mit Steffen und mit einem neuen Leben zu probieren. Versuchsweise. Die Wohnung in Köln war immer noch nicht gekündigt, wenn auch mit einem Untermieter besetzt. Meine Möbel standen in der Garage meines Vaters und brachten meinen Bruder zur Weißglut. Ich wohnte abwechselnd im familiären Gästezimmer und bei Steffen. Auf Dauer war das kein Zustand, aber ich tat mich schwer mit einer endgülti-gen Entscheidung. Im Gegensatz zu Steffen. Er war im letztenJahrzumOberförsteroder,wieesoffiziellhieß,»Forstoberinspektor« ernannt worden, glücklich mit seinem Nationalparkbezirk auf der Dreiborner Hoch-flächeundfreutesichseinesLebens,indemichinseinenAugen einen wesentlichen Teil einnahm. Hermann war ein Stück meines alten Lebens, das ich jetzt loslassen musste. »Du hast die ganze Nacht kaum ein Auge zugemacht, Ina.« »Ich schaff das schon.« Vorsichtig hob ich Hermann hoch, legte ihn in das Unterteil seiner Transportkis-te und klappte sie zu. Mit einem Klacken sprangen die Scharniere in ihre Halterungen. Das Türchen schloss ich aus reiner Gewohnheit. Der Kater würde nicht mehr weglaufen. Ich biss mir auf die Unterlippe und schlug die Bettdecke zurück. Dann holte ich tief Luft und stand auf. »Ich habe heute frei. Ich bleibe bei ihm«, sagte Steffen, drehte sich um und ging durch den Flur in die Küche. Trotzdem hatte ich gesehen, wie er sich mit dem Handrücken über die Augen gewischt hatte. »Danke.« Ich schlurfte durch den Flur hinter Steffen her und lehnte mich gegen den Türrahmen. Die Kaffeemaschine spuckte einen Caffè Latte aus und verstummte. »Judith kommt mich gleich abholen«, sagte ich und seufzte. Die Glasscheibe in der Küchentür warf ein unfreundliches Spiegelbild zu mir zurück. Meine blonden HaarestandeninalleRichtungenundwarendefinitivzu lang, um noch als Frisur zu gelten. Bis vor Kurzem

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hatte ich sie jeden Morgen mit Gel zum Igel gestachelt,aberdasgefielmirnichtmehr.Dummerweise war ich mir auch noch nicht im Klaren darüber, was mir denn nun gefal-len würde, also tat ich das, was mir in dieser Situation der Entscheidungsschwäche am sinnvollsten erschien. Nichts. Die dunklen Ringe unter den verquollenen Augen trugen auch nicht zu einer attraktiven Erscheinung bei. »Duschen könnte helfen«, murmelte ich meinem Spiegelbild zu und verschwand Richtung Bad. Das warme Wasser tat gut. Es verdrängte die Müdigkeit und die traurigen Gedanken. Durch das Rauschen hörte ich die Türglocke dreimalhintereinanderschellen.Ichfischteein Handtuch von der Stange, schlang es um mich und bürstete mir durch die Haare. »Ina?« Es klopfte an der Badezimmertür. »Ich komme«, sagte ich und öffnete im selben Moment die Tür. Neben Steffen stand eine junge Frau in Uniform. »Morgen, Judith.« Ich drängte mich im engen Flur an den beiden vorbei ins Schlafzimmer und zog mich an. »Du bist zu früh.« »Sorry, aber wir haben einen ersten Angriff hier im Ort.«

In ihrem zweiten Eifel Krimi bietet Elke Pistor

wieder fesselnde, gut ausgefeilte Charaktere, einen

Plot, der Spannung bis zur letzten Seite bietet,

und jede Menge Lokalkolorit. Die Figuren sind

eindringlich geschildert und mit emotionalen Ecken

und Kanten versehen, und auch im Privatleben der

Protagonistin Ina Weinz steht eine folgenschwe-

re aber notwendige Entscheidung an. Zunächst

bekommt sie es aber mit einem facettenreichen

und dichten Kriminalfall zu tun, der für den Leser

bis zum Schluss spannend und überraschend bleibt.

Geschickt spielt die Autorin mit der Leseerwar-

tung, präsentiert Verdächtige und Spuren und lässt

doch nie tief genug blicken, um der Auflösung des

verwickelten Falles auf die Spur zu kommen. Das

ist beste Krimikunst, nicht nur für Leser aus der

Eifel, sondern für alle Fans des Genres.

Ein vermeintlicher Selbstmord und ein umstrittenes Bauprojekt halten den Luftkurort Gemünd in Atem

Sie ist jung. Sie ist einsam. Und sie ist tot. Der Schock über den vermeintlichen

Selbstmord der Stadtangestellten sitzt tief. Aber nicht tief genug, um das Thema

Nummer 1 im Luftkurort Gemünd zu verdrängen: den Protest gegen den geplan-

ten Wiederaufbau eines historischen Hotels mitten im Nationalpark Eifel.

Als die Wortführerin der Protestbewegung, eine Freundin der Toten, spurlos

verschwindet, beginnt Kommissarin Ina Weinz zu ermitteln. Wie weit gehen die

Gegner des Projekts? Wer sind die Drahtzieher? Als eine weitere Leiche an der

Hotelbaustelle gefunden wird, erkennt Ina die Zusammenhänge und bringt sich

damit in größte Gefahr.

Broschur • 13,5 x 20,5 cm • 224 Seiten • ISBN 978-3-89705-883-5 • 9,90 Euro

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Welscher nahm die B 51 bis Kreuzweingarten. Immer noch prasselte eisiger Schneeregen auf die Windschutz-scheibe. Die Wischer zogen Schlieren, der Austausch der Gummis war schon lange überfällig. Rund um Welschers Auto verschwamm die Landschaft in Grautönen und passte somit zu seiner Stimmung. Hinter Kreuzweingarten wusste er nicht weiter, hielt auf Höhe der Münsterbergstraße an und trommelte nervös auf das Lenkrad. Sofort beschlugen die Scheiben von innen. »Scheiße«,fluchteerleiseundwischtemitderflachenHand über das Verbundglas. Angestrengt spähte er hinaus. »Irgendwo hier war das doch.« Hätte er sich doch nur die genaue Adresse mitgeben lassen. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als die holde Schützenkönigin mit der kratzigen Stimme anzurufen. Nach seinem Abgang vorhin würde die sich schön ins Fäustchen lachen. Er kramte sein Handy aus der Manteltasche. Die Anzei-gebalken signalisierten einen miserablen Empfang. »Alles Käffer hier. Technik von anno Pief«, murmelte er und stieg aus. Ein tiefergelegter Golf schoss auf ihn zu und haarscharf an der geöffneten Tür vorbei. Mit röhrendem Auspuff und zu hoher Geschwindigkeit verschwand er in der Ferne. »Proll«, schimpfte Welscher wütend. »Dich werden die Kollegen auch noch mal aus irgendeiner Baumrinde kratzen.«

Sicherheitshalber umrundete er das Heck seines Wagens. Sollte der verhinderte Walter Röhrl zurückkommen oder einer seiner bekloppten Rennbrüder auftauchen, konnte er bei Bedarf seine Gesundheit mit einem Sprung hinter die Leitplanke erhalten. ErlehntesichgegendenKotflügelundsuchteinseinerManteltasche die Telefonnummer der Behörde. Alles, was er fand, war ein Zwanzig-Cent-Stück. Na klasse, dachte er, jetzt muss ich mich auch noch über die 110 verbin-den lassen. Die Kollegen in der Einsatzleitstelle würden sich sicher nicht über einen derart banalen Anruf freuen. Ärgerlich haute er mit der Faust auf das Autoblech und blickte genervt über das matschige Feld, das sich vor ihm ausbreitete. Angestrengt kramte er in seinen Erinnerungen. Maria Rast. Da war er mal mit seinen Eltern eingekehrt. Pinguine kamen ihm in den Sinn. Nonnen, ja klar. Er hieb sich in die Hand. Richtig. Eine katholische Bildungsstätte. An einem Waldrand. Sie waren damals in Kreuzweingarten abgebogen, da war er sich plötzlich sicher. Welscher sprang wieder in seinen Fiesta, wischte erneut mit dem Handrücken den Beschlag von der Scheibe und wendete den Wagen. Vor dem Gasthaus »Zum Alten Brauhaus« bog er instinktiv links in die Antweiler Straße ein und folgte ihr, bis es rechts schließlich tatsächlich zum Parkplatz von Maria Rast hinaufging. Wenige hundert Meter weiter versperrte ihm ein quer gestellter blau-weißer Passat den Weg. Einer der beiden Streifenpolizisten stieg aus, stellte sich breitbeinig in Position und forderte ihn mit erhobener

Eifelbaron Eifel Krimi • Leseprobe

Rudolf Jagusch

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Hand auf, anzuhalten. Welscher hielt grinsend an. Der Kollege wirkte, als ob er Supermann wäre und einen heranrasenden Güterzug stoppen wollte. Er kurbelte die Scheibe hinunter. Sofort strich ihm ein eisiger Wind über die Wangen. »Presse ist nicht zugelassen«, grunzte der Mann und zog den Kragen seiner Lederjacke enger. Welscher zog seinen Dienstausweis aus dem Portemon-naie und hielt ihn so, dass der Kollege ihn sehen konnte. Der nickte. »Dich kenne ich noch nicht«, beschied er ihn und zündete sich eine Zigarette an. Der Beamte, der es vorgezogen hatte, im warmen Wagen sitzen zu bleiben, stieg jetzt aus und gesellte sich zu ihnen. Welscher stieg ebenfalls aus und stellte sich vor. »Erster Tag heute«, offenbarte er. Die beiden Grün-Weißen lachten. Es klang nicht amüsiert. »Und dann gleich so was. Herzlichen Glückwunsch auch«, sagte der mit der Zigarette. »Was genau ist denn eigentlich los?«, wollte Welscher wissen. »Wenn ich sehe, was für ein Fuhrpark hier herum-steht, schwant mir nichts Gutes.« Er deutete mit dem Kinn auf den Parkplatz vor dem Waldrand. Dort standen zwei weiße vw Bullys und ein nachtblauer Bentley. Der Kollege mit der Zigarette nickte. »Da liegst du richtig. Im Wald oben liegt eine Leiche. Vermutlich Mord, sieht zumindest ziemlich zugerichtet aus, der arme Kerl. Der Förster hat ihn heute Morgen gefunden. Etwa zweihundert Meter von hier. Brauchst nur mittig vom Parkplatz aus dem Weg in den Wald folgen.« Er deutete in die Richtung. Welscher schluckte schwer und zog eine Grimasse. Na toll. Erst die überraschende Zuweisung in die Einöde vor gut zwei Stunden. Und dann auch gleich voll ins Einge-machte. Nix mit gemütlich ankommen und alles in Ruhe kennenlernen. Wenn sich herausstellen sollte, dass es sich tatsächlich um einen Mord handelte, dann konnte er seinen Besuch heute Abend im Kölner Gloria, auf den er sich schon seit Wochen freute, vergessen. DerWindfingsichinWelschersblondenHaarenund

zerzauste seinen Scheitel. Mit einer unwirschen Handbe-wegung strich er die Strähnen aus dem Gesicht. Hinter sich hörte er ein näherkommendes Grollen. Er drehte sich um und blickte hangabwärts. Ein Motorrad tauchte auf der Straße auf und donnerte heran. Der deutlich überge-wichtige Fahrer trug einen Stahlhelm und Lederkleidung. Ein Dreitagebart kämpfte mit einer riesigen roten Nase um Aufmerksamkeit. Trotz des diffusen Tageslichtes trug er eine Sonnenbrille. Ein Schal mit einem Aufdruck wehte im Wind. Wenn Welscher es aus der Entfernung richtig deuten konnte, stand dort »The K-Heroes«. Was zum Teufel sollte das denn bedeuten? K wie kaputt? »Leute, Kundschaft«, witzelte er. »Bekloppter Lokalre-porterdeshiesigenKäseblatteserscheintauf derBildflä-che.« Die beiden Kollegen sahen ihn mit verwirrtem Gesichts-ausdruck an. »Was denn für ein Reporter?« »Wie, bekloppt?« WelscherwedeltemitderflachenHandvorseinemGesicht herum. »Mensch, wir haben höchstens ein, zwei Grad über Null. Und der fährt mit seiner Honda rum. Dem muss doch die Sicherung durchgebrannt sein.« »Das ist eine Harley«, berichtigte ihn der Kollege. »Und mit Reporter liegst du auch daneben. Das ist der Hotte.«

Fischbach bremste vor dem Streifenwagen und drehte den Zündschlüssel. Der Motor erstarb mit einem heiseren Röcheln. Er wuchtete die Harley auf den Ständer, nahm den Helm ab und stopfte die Handschuhe hinein. »Istarschkalt«,empfingihnderKollegevondenGrün-Weißen mit hochgezogenen Schultern und den Händen tief in den Taschen seiner Lederjacke vergraben. »Wie hältst du das nur aus?« Der andere deutete mit dem Daumen in Richtung Wald. »Da geht’s lang. Der arme Kerl liegt bei den Überresten der Burg. Lasst eure Karren ruhig hier stehen. Wir passen auf.« Fischbach nickte und musterte dann den schlaksigen Kerl neben den beiden. Zu schlaksig, fast dürr, missmu-

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tiger Gesichtsausdruck. Für seinen Geschmack zu lange Haare, ein überschminkter Pickel auf der Nase. Wohl ein wenig eitel, der Neue, amüsierte sich Fischbach stumm. »Jan Welscher?«, fragte er. Erstaunt riss der junge Mann die Augen auf. »Ja. Woher …« »Kriminalhauptkommissar Hotte Fischbach«, stellte sich Fischbach vor und gab Welscher die Hand. »Hab gerade erfahren, dass du jetzt zu uns gehörst. Komm mit.« Er stapfte los. Der neue Kollege gesellte sich leichtfüßig an seine Seite, tänzelnd fast. Fischbach dagegen schnaufte nach wenigen Metern. »Geht es dir nicht gut?«, wollte Welscher von ihm wissen. Fischbach sah ihn von der Seite an, bemerkte das spötti-sche Lächeln und entschied, nicht darauf einzugehen. Was wusste die Jugend schon, wie sich das Alter anfühlte? Schließlich wurde er nächstes Jahr fünfzig. Aus dem Straßengraben sprang aufgeregt ein Kaninchen heraus und rannte mit wilden Sprüngen über die mit Raureif überzogene Wiese davon. Fischbachs Knie schmerzten. Der Spott verschwand aus Welschers Gesicht. »Gewöhn dich nicht an mich. Bin nur auf der Durchreise. Werde mich, so schnell es geht, wieder in die Stadt versetzen lassen. Wer will schon in der Scheiß-Eifel Dienst schieben?« »Ist mir auch lieber. Ich mag so junges Gemüse nicht«, knurrte Fischbach, ohne es wirklich ernst zu meinen. Aber die Verachtung seiner geliebten Heimat, die in Welschers Stimme mitschwang, ärgerte ihn. Wie konnte man diese Landschaft nicht mögen? So abwechslungsreich, wie der liebe Gott die Erdkruste hier in der Eifel modelliert hatte, waren nur wenige auf Erden. Die geheimnisvollen Maare, riesigen Laubwälder und saftigen Wiesen. Dazu ein knorri-ges Völkchen, das zwar lange brauchte, um jemanden ins Herz zu fassen, ihn dafür dann aber auch niemals wieder losließ. So etwas musste man doch mögen. Sie hatten die Stelle fast erreicht. Wenige Meter vor ihnen kramte ein Mann im weißen einteiligen Schutzanzug im geöffneten Heck ei nes Kleintransporters.

Fischbach zeigte in seine Richtung. »Unsere Tatort-gruppe.« »Jeder Kontakt hinterlässt eine Spur«, murmelte Welscher. »Wie weise«, frotzelte Fischbach. »Ist nicht von mir, sondern von Edmond Locard«, stellte Welscher richtig und ergänzte, als Fischbach ihn fragend anblickte: »Französischer Pionier der Forensik. Hatte gedacht, es hätte sich auch bis hierher rumgesprochen.« Schon wieder so eine abfällige Bemerkung. Fischbach riss sich zusammen und unterdrückte den Wunsch nach einer Retourkutsche. Er musste sich die Finger nicht schmut-zig machen. Wenn der Neue dieses Verhalten auch den anderen im Team gegenüber an den Tag legte, dann würde er sich spätestens am Nachmittag heulend auf der Toilette einschließen. Er freute sich jetzt schon auf den Augenblick, in dem er Welscher ein Taschentuch in die Hand drücken könnte. Der Mann im weißen Anzug ging vor ihnen über den Parkplatz, bog rechts in einen Pfad ein. Fischbach und Welscher folgten ihm. Laub raschelte unter ihren Füßen. Die Buchen streckten dem Himmel ihre nackten Kronen entgegen. Feiner Nebel hing zwischen den Stämmen und dämpfte jedes weitere Geräusch. Große, runde Misteln an den Ästen saugten den Bäumen die Nährstoffe aus. Die Wipfel rauschten. Fischbach hielt kurz an und tippte mit der Fußspitze auf eine zugefrorene Pfütze. »Gefroren«, stellte er fest. »Knochenhart.Wirdschwerwerden,Abdrückezufinden.« Aus seiner Hosentasche klangen die Akkorde von »Highway to Hell«. »Ah, ac/dc. Gerade als brandheißer Newcomer in eure Top Ten eingestiegen, was?«, lästerte Welscher. »Jung, dat han ech schon jehört, do biste noch mit demm Trömmelche öm der Chressboom jeloofe«, murrte Fisch-bach, klemmte sein Handy ans Ohr und meldete sich. »Andrea hier. Wie lange brauchst du noch?«, hörte er die aufgeregte Stimme seiner Kollegin fragen. »Ich seh dich schon«, antwortete er und winkte. Ihre rote Daunenjacke leuchtete in der schmutzig braunen, von zwei Scheinwerfern erleuchteten Umgebung unwirklich grell. Sie

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trat von einem Bein auf das andere. Ihre dunkelblonden, mit hellen Strähnen durchzogenen, schulterlangen Haare klebten feucht am Kopf. Fischbach verspürte Mitleid mit ihr. Es war offensichtlich, dass Andrea Lindenlaub bis auf die Knochen durchgefroren war. Ein rot-weißes Absperrband war in einem Radius von circa zwanzig Metern um den Tatort von Baum zu Baum gespannt. Beim Näherkommen zählte Fischbach fünf Kollegen der Kriminaltechnik, alle in weißen Schutzanzü-gen und mit Schutzhauben auf dem Kopf. Sie werkelten emsig um ein Stück alte Mauer, das nicht viel größer als ein Garagentor war. Moos hatte sich in den Ritzen ausgebrei-tet und schimmerte feucht. Links an den Bruchsteinen saß eine lebensgroße Steinstatue, von der nur noch der Rumpf und die Oberschenkel vorhanden waren. Fischbach schluckte trocken, als sein Blick auf den Leich-namfiel.DerTotesaßmitdemRückenindenWinkelgedrückt, den die Statue zur Mauer bildete. Kuschelig. Auch dem Opfer fehlte der Kopf. Knochensplitter, Blut und Gehirnmasse klebten an der Steinwand, an der der Leichnam lehnte. »Gütiger Gott. Der Kopf ist ja explodiert«, sagte er leise. Neben Andrea Lindenlaub fröstelte Guido Büscheler, totenbleich und heftig an einer Zigarette ziehend. »Wenn du dem noch die Hände und Füße abhackst, sieht erauswiedersteinerneKollege«,flüsterteerrau. Büscheler stand kurz vor der Pensionierung. Fischbach wusste, dass er mit den Nerven runter war, und hätte ihm die ganze Sache hier gerne erspart. Doch bei der speziellen Sachlage konnte er auf einen so routinierten, zuverlässigen und emsigen Kollegen nicht verzichten. »Na dann mal rein ins Vergnügen«, seufzte Fischbach und hieb seinem neuen Kollegen aufmunternd auf die Schulter.

Welscher gab jedem die Hand und stellte sich vor. Dabei vermied er es, zum Toten zu blicken. Wenn er eins hasste, dann waren es Leichen. Nicht gerade von Vorteil in seinem Beruf, das wusste er selbst. Regelmäßig rebellierte sein Magen. Auch jetzt spürte er bereits die aufsteigende Säure in seiner Speiseröhre. Stumm bemitleidete er sich selbst.

Offensichtlich hatte sich heute alles gegen ihn verschwo-ren. Es gab keinen gerechten Gott, entschied er. »Er wird uns unterstützen«, erläuterte Fischbach. »Mehr nachher im Büro. Lasst uns erst mal hier unsere Arbeit machen.« »Wann kommen die Bonner?«, wollte Büscheler wissen, während er seine Kippe auf dem gefrorenen Boden austrat. Er hustete röchelnd in die hohle Hand, räusperte sich und spuckte gelben Schleim auf den Boden. »Blöde Erkältung«, murmelte er und zündete sich direkt eine neue Zigarette an. Wohl eher die Raucherlunge, dachte Welscher. »Die kommen gar nicht«, antwortete Fischbach und ernte-te allseits überraschte Gesichter. »Wie?Wassolldasdennheißen?«,echauffiertesichAndrea Lindenlaub. »Feiern die alle ihre Überstunden ab, oder was? Wenn es das ist, fehlt mir jegliches Verständnis. Ich bin auch schon fünfzehn Stunden im Dienst. Die sollen mal ihre Hintern …« »Beruhige dich«, bremste Fischbach sie. »Das wird sich nachher alles aufklären. Jetzt kümmern wir uns erst mal um den Tatort.« Welscher legte den Kopf schief. Da war er ja mal gespannt. Normalerweise leitete ein Kollege vom Bonner Polizeipräsidium die Mordermittlungen, das war ihm bekannt. Was war hier los? Ein nicht autorisierter Allein-gang? Den würde er schnellstmöglich unterbinden, wenn es denn so wäre. Vielleicht könnte er sich so seine baldige Versetzung verdienen. Köln, ich komme, frohlockte er stumm. »Bringt uns mal auf Stand«, forderte Fischbach. Büscheler zog an seiner Zigarette und wies mit dem Kinn in Andrea Lindenlaubs Richtung. »Mach du. Du warst zuerst hier.« Sie nahm ihr Notizbuch und schlug eine Seite auf. »Der Anruf ging um vier Uhr siebzehn in der Leitstelle ein. Anrufer war ein gewisser Adolf Bachem, wohnhaft in Kreuzweingarten. Beruf Förster. Er war auf Inspektion, als er hier gegen drei Uhr fünfundvierzig vorbeikam. Der Streifenwagen und der Rettungsdienst trafen zeitgleich um zwanzig vor fünf ein. Der Notarzt kam zehn Minuten

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später. Er attestierte Tod durch Fremdeinwirkung.« Sie lachte unlustig. »Was unschwer zu erkennen gewesen sein dürfte. Zwischenzeitlich hat man mich aus dem Bett geholt. Scheiß-Bereitschaft, die raubt mir noch den letzten Nerv. Eingetroffen bin ich um kurz vor sechs. Das Rettungsteam war schon wieder weg, die Kollegen von der Streife wiesen mich ein.« Sie stockte einen Moment und machte eine fahrige Handbewegung in Richtung des Leichnams. »Die Tatwaffe warnirgendszufinden,daherkönnenwirSelbstmordwohlausschließen. Ich alarmierte also die Staatsanwaltschaft und die Tatortgruppe. Die Techniker trafen um sieben hier ein, Guido um kurz vor acht. Die Staatsanwältin wollte so schnell wie möglich kommen, ist aber noch nicht aufge-taucht.« »Sie wird bald hier sein«, meinte Fischbach. »Es gab noch ein paar Dinge zu klären.« Mist, doch kein Alleingang, stellte Welscher enttäuscht fest. Wenn jemand von der Staatsanwaltschaft eingeweiht war, konnte er dem dicken Kollegen nicht mehr ans Bein pinkeln. Die Spitzen des Kölner Doms, denen er sich eben bereits so nahe gefühlt hatte, verblassten in seinen Gedan-ken. »Wissen wir was über den Toten?«, horchte Fischbach nach. »Aber ja doch«, erwiderte Andrea Lindenlaub. »Der hatte seine kompletten Papiere dabei. Ich hab sie in der Innen-tasche seines Sakkos gefunden. Es handelt sich um einen gewissen Bruce Baron, wohnhaft in Mechernich. Sein Wagen steht unten auf dem Parkplatz.« »Der Baron«, betonte Büscheler und sah Fischbach an. »Der mit der Firma in Kall.« Überrascht stieß Fischbach ein »Oh!« aus. »Lokale Promi-nenz also. Was ist mit diesem Jäger?« »Förster«, korrigierte ihn Andrea Lindenlaub. »Mehr, als dass er hier vorbeigekommen ist und das Opfer gefunden hat, konnte er nicht berichten. Hab den armen Kerl vorhin nach Hause geschickt. Ich hatte echt Sorge, dass der mir hier umkippt. Er sah aus wie der lebende Tod.« Also wie der Kollege Büscheler, dachte Welscher mit

einem Seitenblick auf den kleinen Mann. »Er hält sich zu unserer Verfügung«, fuhr Andrea Linden-laub fort. »Wir können uns also später in aller Ruhe um ihn kümmern. Weitere Zeugen kann ich dir nicht präsentieren.« Fischbach seufzte. »Wäre ja auch zu schön gewesen. Sonst noch was Wichtiges?« Sie zog eine Schnute und wies stumm auf einen in einen einteiligen Schutzanzug gekleideten Mann, der am Fuß der Mauer hockte und Fotos schoss. Büscheler griff nach seiner Zigarettenschachtel und hielt sie Welscher einladend hin. »Nein, danke. Bin Nichtraucher«, lehnte er ab. »Selbst schuld«, keuchte Büscheler und steckte sich eine an. »Heinz, alter Miesepeter, wie lange braucht ihr noch?«, rief Fischbach dem Mann am Fuß der Mauer zu. Der sah mit mürrischer Mie ne auf, erhob sich dann sichtlich widerwillig und kam zu ihnen rüber. Seine Kamera trug er an einem Tragegurt über der Schulter, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ein riesiges Feuermal verunstaltete sei ne linke Gesichtshälfte. Welscher musterte den Kriminaltechniker. Dessen Aug-äpfel sprangen wie irr hin und her und schienen keinen Punkt länger als einige Sekunden anzuvisieren. »Ein neues Gesicht«, stellte der Mann mit tiefer Bassstim-me fest und huschte mit seinem Blick bereits weiter. Er reichte Welscher die Hand, ohne ihn anzublicken. »Heinz Feuersänger. Wir sehen uns dann ja jetzt vermutlich öfter.« Feuersänger? Das kann doch nicht wahr sein, dachte Welscher, wie grotesk. Der arme Kerl wurde vermutlich sein Leben lang gehänselt. Welscher schlug ein. »Schaun wir mal.« Feuersänger wandte sich an Fischbach. »Wir sind schon vier Stunden hier«, sagte er. Ein leiser Vorwurf schwang in seiner Stimme mit. Vermutlich beneidete er den Kommis-sar, der noch gemütlich zu Hau se hatte frühstücken können, kombinierte Welscher. »Ihr seid die wahren Helden. Ohne euch wäre alles nichts«, lobte Fischbach übertrieben. »Trotzdem kein Grund, hier den Miesepeter zu mimen. Wir haben nämlich

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einen Job zu erledigen. Und zufällig hat der etwas mit dem Kerl da zu tun.« Fischbach wedelte mit der Rechten in Richtung des Toten. Andrea Lindenlaub und Büscheler schmunzelten. Offen-sichtlichgefielesihnen,dassFischbachsichFeuersängerzur Brust nahm. Gequält verzog Feuersänger das Gesicht. Das Mal auf seiner Wan ge leuchtete jetzt stärker. »Spar dir den Mist. Fünf Minuten noch, dann dürft ihr stürmen.« Fischbach verschränkte die Arme vor der Brust und straffte sich. »Nix fünf Minuten. Deine erste Einschätzung, raus damit.« Bevor Feuersänger antworten konnte, rief ihm einer seiner Männer zu: »Wir haben alles, Heinz. Sollen wir einpacken?« »Wenn du möchtest, kannst du der Leiche gerne noch länger Gesellschaft leisten«, rief Feuersänger zurück. »Was für eine blöde Fra ge. Wir nehmen uns jetzt den Wagen vor!« Er wandte sich wieder an Fischbach. »Sind klasse, die Jungs. Nur manchmal ein wenig uneigenständig. Aber um auf unseren Freund da drüben zurückzukommen: Fußspuren gibt es einige. War allerdings auch nicht anders zu erwarten, da die Ruine für Wanderer von Interesse ist, selbst zu dieser Jahreszeit. Frische Abdrücke haben wir allerdings nicht sichern können. Dafür ist der Boden schon zuhartgefroren.Auchkonntenwirnirgendsetwasfinden,was auf ein Gerangel oder einen Kampf hindeuten würde. Das Laub sieht aus wie überall hier. Wir haben aber zumin-dest das Projektil gefunden. Es steckte in einem der Steine. Außerdem einige Zigarettenkippen, Glasscherben, ein paar alte Kaugummis und zwei verrostete Bierdosen.« Die vier anderen Techniker schleppten Koffer an ihnen vorbei. »Wir sind dann wohl fertig«, stellte Feuersänger fest und zog sei ne Kapuze vom Kopf. Welscher erschrak. Das Feuermal lief von der Wange weiter die Kopfhaut hoch. Es bedecktedenhalbenSchädeldesglatzköpfigenTechni-kers.WelscherfühltesichandenJokererinnert,denfiesenGegenspieler von Batman, dessen eine Gesichtshälfte

durch Säure entstellt war. Er schluckte und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Mehr habt ihr nicht?«, drängte Fischbach. Feuersänger streifte seine Handschuhe ab. »Weißt du, es wimmelt nur so von Spuren. Doch die werden uns wenig helfen. Schau …« Er vollführte eine ausholende Handbe-wegung. »Lass hier mal am Wochenende zehn, zwanzig Wanderer vorbeikommen. Jeder verliert Haa re, Spucke und Hautschuppen. Hier und da wird sich auch einer erleichtert haben.« Welschers Magen machte einen Sprung. Nervös blickte er sich um. Er verspürte keine Lust auf Exkremente an seinen Schuhsohlen. Möglichst unauffällig legte er den Hand-rücken auf seine Lippen und atmete tief ein. »Bestenfalls können wir später, wenn ihr einen Tatver-dächtigen ermittelt habt, nachweisen, dass er hier vor Ort war«, schloss Feuersänger. »Die dna feiern hier ‘ne Party«, murmelte Büscheler. »Genau«, bestätigte Feuersänger. »Aber schmeißt nicht sofortdieFlinteinsKorn.VielleichtfindenwirimLabordoch noch was. Die Tatortbilder mache ich euch als Erstes fertig. So, jetzt muss ich aber. Ihr könnt zur Leiche. Ich war so frei und habe den Abtransport geregelt.« Er zog seinen ReißverschlussbiszurMittederBrustauf,fingerteeinenZettel aus seinem Anzug hervor und drückte ihn Andrea Lindenlaub in die Hand. »Ist die Handynummer. Brauchst nur noch Bescheid geben, sobald ihr hier fertig seid.« Er nickte zum Abschied und lief den anderen nach. »Der hat es aber eilig«, bemerkte Welscher, als Feuersän-ger außer Hörweite war. Die anderen drei grinsten bloß und sahen einander wissend an. »Was?«, fragte er und spürte, dass er rot wurde. Hatte er sich ei nen Fauxpas geleistet? Aber es war doch nur eine harmlose Feststellung gewesen. »Drei«,flüsterteBüscheler. »Zwei«, sagte Andrea Lindenlaub eine Sekunde später. Fischbach schloss mit »Eins« an, bevor alle drei im Chor verhalten »Jetzt« murmelten. Als ob Feuersänger es gehört hätte, blieb er stehen, drehte

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sich um und kam zurück. »Fast hätte ich es vergessen. Ich bin aber manchmal auch … Entschuldigt bitte«, keuchte er. Seine Augäpfel tanzten Samba. Vorsichtig zupfte er eine durchsichtige Tüte unter seinem Overall hervor. »Das wollte ich euch noch dalassen. Haben wir in einer der Taschen des Toten gefunden.« Fischbach nahm das Tütchen entgegen. Die anderen schar-ten sich um ihn. Zu sehen war Bruce Barons Visitenkarte. »Schau mal auf die Rückseite«, forderte Feuersänger ihn auf. »Da hat er etwas draufgekritzelt.« Fischbach drehte das Tütchen um. »Klinikum Aachen. Und eine Telefonnummer«, murmelte Büscheler. Welscher fragte sich, ob der Kollege jemals etwas in nor- maler Laut stärke äußern würde. Oder hatte er eine Form von Kehlkopfkrebs? Bei dem Zigarettenkonsum wäre es kein Wunder. »Obdaswichtigist,müsstihrselbstherausfinden«,warf Feuersänger in die Runde, drehte sich um und eilte den Weg hinunter. »Drei, zwei, eins, jetzt?« Welscher blickte einen Kollegen nach dem anderen an. »Macht der das etwa immer so?« Fischbach zuckte mit den Schultern. »Was interessieren dich die Marotten der Kollegen? Du bist doch bald wieder weg, oder?«

Fischbach hatte sich den Spruch trotz aller guten Vorsät-ze,demjungenKollegenbeiseinemEinstiegbehilflichzusein, nicht verkneifen können. Der Bursche stand hier in der Runde, als ob ihn alles wenig angehen würde. So leicht kommst du mir nicht davon, Jüngelchen, dachte er und rieb sich die Hände. Die Kälte griff nach seinen Gelenken. Er hätte seine Handschuhe mitnehmen sollen. Die lagen in seinem Helm auf der Sitzbank des Motorrads. »Los jetzt«, sagte er und stapfte zum Leichnam an der Mauer. Es sah fast so aus, als ob Bruce Baron sich an die Statue angelehnt hätte, um ein kurzes Nickerchen zu halten – wenn er denn ein Gesicht gehabt hätte. Über den Schultern klebte eine breiige Masse in dem Spalt zwischen Statue und

Mauerwerk, die die Steine gräulich rot färbte. Schädelsplitter steckten in den Fugen. Fischbach würgte. Hinter sich hörte er die gleichen Geräusche, dann ein »Oh Gott«. Er wandte sich halb um und sah Welscher davonstürmen. Ein paar Meter schaffte der junge Kollege noch, dann erbrach er sich auf seine Schuhe. Fischbach spürte Mitleid, kämpfte er doch selbst gegen seine aufsteigende Magensäure an. Unzählige Tote hatte er während seiner gut dreißigjährigen Laufbahn gesehen. Strangulierte, Erschossene, übel riechende Wasser-leichen und Stromtote, vieles war ihm bisher untergekom-men. Trotzdem hatte sich bei ihm nie eine distanzierte Routine eingestellt. Jeder Todesfall kratzte an seiner Psyche und erinnerte ihn sofort an seinen persönlich schlimmsten Fall, an den von Brands Wellem, der hinten in Antweiler mit dem Mähbalken seines Deutz Traktors seinem Sohn die Füße abgesäbelt hatte. Der Junge war verblutet, bevor der Rettungswagen eintraf. Das war in den Siebzigern gewesen, aber die Bilder in Fischbachs Kopf waren so klar, als ob es erst gestern gewesen wäre. Der Junge hatte friedlich ausgesehen, fast so, als ob er seinem Vater im Angesicht des Todes verziehen hätte. Aber die abgerissenen Füße und die schrecklichen Wunden an den Beinen hatten Fischbach noch wochenlang in seinen Träumen verfolgt. Immer wieder hatte er damals überlegt, ob er das Handtuch werfen sollte. Obwohl es ein Unfall gewesen war, kam er nur sehr langsam darüber hinweg. Es machte ihm zu schaffen, dass er dienst-lich gezwungen war, sich aus nächster Nähe mit dem Tod eines so jungen Lebens zu befassen. Die Distanz, die andere zum Selbstschutz aufbauten, die gab es bei ihm nicht. Zu allemÜberflusshattensiekurzdarauf BrandsWellemvomDachbalken seiner Scheune abschneiden müssen. »Und da bist du ran?«, presste Fischbach hervor und sah Andrea Lindenlaub an. »Das sieht doch aus wie durch den Wolf gedreht.« »Ich denke dann einfach an was Schönes«, erklärte Andrea Lindenlaub. Sie wirkte kühl und abgeklärt. Nur ein Zucken ihres linken Augenlides verriet ihre Anspannung. »An was Schönes?«, entfuhr es Welscher, der in zehn Metern Entfernung mit hängendem Kopf an einem Baumstamm lehnte. »Bei dem Anblick? Wie kann man denn

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da … was soll das denn sein, was Schönes? Ein Mettbröt-chen?« Andrea Lindenlaub wirbelte herum. »Hör mal, du Klugscheißer. Mein Vater war Metzger. Was glaubst du, wie oft ich als Kind zu Schlachtungen mitgenommen wurde? Das ist …« Fischbach legte ihr eine Hand auf den Unterarm. »Lass gut sein, Andrea«, beschwichtigte er. Auch Büscheler war inzwischen näher zum Leichnam getreten und starrte ihn an. »Das wirkt auf mich wie ein Selbstmord. Hm. Keine Kampfspuren, alles scheint so … friedlich. Trotz der schlimmen Verletzung«, murmelte er. Fischbach trat an seine Seite. »Es ist aber keine Waffe da.« »Ich weiß. Vielleicht hat sie ja jemand mitgenommen.« »Abwegig, oder? Bei dem Anblick geht doch normaler-weise jeder sofort stiften.« Stumm standen sie eine Weile beisammen, während Fischbach in die Knie ging und so die Perspektive änderte. Er versuchte, sich jedes Detail einzuprägen. Baron trug einen dunkelblauen Anzug, das weiße Hemd war blutdurchtränkt. Die dunkel bestrumpften Füße steckten in edlen schwarzen Lackschuhen. An der rechten Hand trug er einen goldenen Ring, links am Arm eine edle Uhr. Die Fingernägel waren manikürt. Im Schritt war die Hose durchnässt. Es roch penetrant nach Urin. Ächzend stemmte sich Fischbach in die Höhe und wedelte mit der Hand vor seiner Nase herum. »Ich habe genug gesehen. Was ist mit euch? Brechen wir die Zelte ab und fahren zurück?« Die anderen murmelten zustimmend. »Was ist mit der Staatsanwältin?«, gab Andrea Lindenlaub zu bedenken. Fischbach deutete über ihre Schulter in Richtung des Weges, und sie drehte sich um. Eine Frau im Pelzmantel stapfte auf hohen Schuhen auf sie zu. »Fahrt schon mal vor«, ordnete Fischbach an. »Ich übernehme das. Und Andrea, gib bitte noch durch, dass sie die Leiche jetzt holen können.«

Rudolf Jagusch wechselt das Revier:

Nachdem seine letzten beiden Krimi-

nalromane im Vorgebirge spielten,

lässt er jetzt erstmals in der Eifel

ermitteln. Mit Eifelbaron ist ihm dabei

ein facettenreicher Plot mit viel Witz,

interessanten Charakteren und einer

guten Portion Lokalkolorit gelungen.

Jagusch präsentiert einen verzwickten

und bis zum Schluss rätselhaften Fall, in dem eine Menge

Tatverdächtiger auftreten, die allesamt über schlüssige

Motive verfügen. Einen besonderen Charme erhält die

Geschichte durch das ungleiche Ermittlerpaar, das eigenwillig

und scharfsinnig durch die Handlung führt. Hier hat der Autor

ein Krimipersonal mit Serienpotenzial eingeführt.

Ein ermordeter Unternehmer und ein Kommissar, der niemals in die alte Heimat zurückkehren wollte ...

Im Wald von Mechernich macht der Förster bei seinem

Rundgang einen grausigen Fund: An einem Steindenkmal

lehnt eine kopflose männliche Leiche. Der Eifeler Hauptkom-

missar Horst Fischbach von der neu eingerichteten Mord-

kommission Euskirchen und sein Kölner Kollege Welscher

übernehmen die Ermittlungen. Dabei weht ihnen nicht nur

die eisige Winterluft der Eifel entgegen, sondern sie müssen

auch in die tiefsten Abgründe menschlicher Verkommenheit

blicken …

Broschur • 13,5 x 20,5 cm • 320 Seiten • ISBN 978-3-89705-884-2 •

10,90 Euro

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1. Kapitel

Lukas verlässt das Haus seiner Eltern an der Hohe Straße und rennt, so schnell ihn seine Füße tragen, in Richtung Dom. Er läuft so dicht an Ritas Obstwagen vorbei, dass Enzo, Ritas Hund, auf- schreckt und wütend versucht, nach Lukas‘ Beinen zu schnappen. Er nimmt die Abkürzung durch die Passage, rennt am Heinzelmännchenbrunnen vorbei, dann quer über den Roncalliplatz, zwischen Dom und dem Römisch-Germa-nischen-Museum hindurch, springt die Treppenstufen zum Rhein hinunter und rast nach links.

Unter der Hohenzollernbrücke muss er plötzlich einem entgegenkommenden Radfahrer ausweichen und rutscht dabei fast aus. »Pass doch op!«, ruft der Mann hinter ihm her, aber Lukas hat keine Zeit zum Aufpassen. Er muss zu seinem Freund Ben. Ben wohnt gleich neben Sankt Kunibert, und bis dahin sind es noch rund fünfhundert Meter. Lukas hastet keuchend weiter, um Ben die tolle Neuigkeit zu erzählen. Ach was, Neuigkeit, es ist eine Sensation! So was kann man auf keinen Fall am Telefon weitergeben, zumal wenn man eine jüngere Schwester hat, die ihre Nase in alles, aber auch wirklich alles steckt – Lukas‘ Gedanken tanzen wild durcheinander. Zum Glück ist die Fußgängerampel an der Rheinuferstraße gerade grün, und er kann ohne anzuhalten zur Machabäerstraße hinüberrennen. Noch ein paar Schritte nach rechts durch die Kunibertsgasse, dann hat er endlich den Spiel-platz neben der Kirche erreicht, auf dem Ben schon auf ihn wartet. Lukas wirft sich über die Palisaden aus Waschbeton und keucht. Sein Hals brennt, und es wummert in den Ohren. Ben hängt cool auf der Schaukel. »Was is‘n los? Was machst du für ‘n Stress am Telefon?«

Das Schwert des Julius Caesar Kinder Krimi • Leseprobe

Eva Steins

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Lukas schiebt sich über die rauen Steine und plumpst auf der anderen Seite in den Sand. »Ich hab ihn gefunden«, japst er. »Wen gefunden?« Ben drückt die Beine durch, die Schaukel schwingt leicht nach hinten. »Den Keller«, keucht Lukas. Ben zieht eine Augenbraue hoch. »Hast du ‘n Rad ab? Das konntest du mir am Telefon nicht sagen?« »Mensch, kapier doch endlich. Den Keller.« Lukas stemmt sich aus dem Sand und setzt sich auf die Schau-kel neben Ben. »Den Keller«, wiederholt er und sieht sich nach allen Seiten um. »Keinen Schimmer.« Ben zieht Augenbrauen und Schul-tern hoch. »Den Römerkeller, über den meine Mutter gestern gesprochen hat. Ich hab ihn gefunden«, sagt er. »Ach so. Der unter eurem Haus sein soll?« Ben scheint nicht wirklich interessiert. »Ich glaube schon, dass er es ist. Jedenfalls hab ich vorhin mit einem Besenstiel das ganze Lager im Keller abgeklopft und dabei eine Stelle entdeckt, die total dumpf klingt. Ganz anders als der übrige Betonboden. Es muss ein Hohlraum drunter sein.«…»Ach, Lukas, das heißt noch lange nicht, dass da unten der Römerkeller ist«, winkt Ben ab. »Das kann alles Mögliche sein, ein Kanal vielleicht.« »Genau. Und deshalb müssen wir da rein.« »Wir? Ich höre immer wir. Du willst da rein. Du bist hier der Römer- und Ritterfan. Mir ist der ganze Uralt-kram völlig piepe. Und wer weiß, ob‘s überhaupt stimmt. Vielleicht hat deine Mutter auch nur totalen Quatsch erzählt.« »Wenn meine Mutter sagt, dass da Römermauern sind, dann sind da Römermauern!« »Und woher will sie das so genau wissen? War sie schon mal unten?« »Nein, war sie nicht. Aber mein Opa. Der hat die Mauern selbst gesehen.« »Na, und wenn schon. So ‘n paar alte Mauern, wen

interessieren die?« Ben lehnt sich gelangweilt zurück. »Mich!«, sagt Lukas. Für die alten Römer hat er sich seit er denken kann interessiert…»Ben, lass mich nicht hängen, bitte!« Ben schließt die Augen, scheint nachzudenken. »Und wieso hat deine Mutter dir überhaupt was von den Mauern im Keller erzählt?« »Na ja, ich habe mich schon immer gefragt, warum unsere Nachbarhäuser zwei Keller untereinander haben, wir aber nur einen. Vermutet habe ich so was ja schon lange, aber gestern habe ich meine Mutter damit so genervt, dass sie endlich mit der Geschichte rausgerückt ist.« »Und?« »Das war so. Mein Opa war schon ziemlich alt und krank, und ein paar Tage bevor er starb, hat er meiner Mutter erzählt, wie es damals gewesen ist, nach dem Krieg, als er das Haus gekauft hat, und wie er dann im Keller unter dem Keller die Mauern entdeckte. Damals musste ihm sofort klar gewesen sein, dass sie aus der Römerzeit stammen, aber er wollte auf keinen Fall, dass die Archäologen im Keller rumbuddeln, weil er doch so schnell wie möglich sein Geschäft eröffnen wollte. All die fremden Leute in seinem Keller – er hat befürchtet, dass seine Ware geklaut würde. Deshalb hat mein Opa den Kellereinstieg einfach zugemauert.« Lukas sieht Ben erwartungsvoll an. »Kapiert?« »Und?«, fragt Ben. »Weiter?« »Und als nach seinem Tod sein Sohn, also mein Vater, das Geschäft übernahm, hat der auch nichts gemeldet. Der wollte nämlich auch nicht, dass irgendwelche Leute unter dem Haus graben. Und außerdem ..., na ja, meinen Vater interessieren die alten Römer nicht die Bohne. Er meint, in Köln gäbe es schon genug alten Krempel, da müsste unserer nicht auch noch ausgegraben werden.« »Kann er Recht haben«, brummt Ben. »Mensch, Ben! Kapier doch endlich! Ich will da rein. Ich will die Mauern unbedingt sehen. Ich will sie anfassen. Duweißtdoch,wietollichdieRömerfinde.Ben,ich

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brauche aber deine Hilfe, allein schaffe ich‘s nicht. Wir beide zusammen ..., wir kriegen das hin.« Ben lehnt sich auf der Schaukel so weit zurück, dass er kopfüber die Spitze des dicken Westturms von Sankt Kunibert sehen kann und seine roten Haare den Sand berühren. Er schweigt und überlegt. »Ben, bitte, wir könnten erst mal nur ein kleines Loch bohren. Zum Reinsehen. Wie ein Schlüssel-loch. Wenn was anderes da unten ist, okay, dann machen wir das Loch wieder zu, und nix ist passiert. Wenn es aber der Römerkeller ist ...« BenfixiertnochimmerdieTurmspitze.SeinGesicht ist jetzt so rot wie seine Haare. »Na gut. Ich mach mit. Aber nur, weil du‘s bist. Wie soll denn die Bohrung überhaupt abgehen?«, fragt er. »Und womit? Hast du ‘nen Presslufthammer?« »Hab mir auch schon Gedanken drüber gemacht«, nickt Lukas. »Fürs Erste könnten wir die Bohrma-schine von meinem Vater nehmen, und dann ..., sag mal, arbeitet dein Vater nicht auf dem Bau? Der hat doch bestimmt Werkzeug.« Ben richtet sich wieder auf. »Hat er. Ich kann ihn ja mal fragen, was man so braucht. Keine Sorge, Lukas, ich verrate nix. Ich gehe mal davon aus, dass dein Vater von dem Bohrloch nix wissen darf, oder? Also, wenn wir die Aktion starten, dürfen deine Eltern auf keinen Fall im Haus sein. Und die Zicke von Schwester erst recht nicht«, fügt Ben hinzu. »Und der Typ, der neben euch wohnt, auch nicht. Tote Hose im Haus, klaro?« »Der Hansen geht sowieso nach Feierabend direkt vom Lager in seine Stammkneipe am Heinzelmänn-chenbrunnen, und wenn er abends heimkommt, ist er froh, dass er die Stufen nach oben schafft. Der sieht und hört nix mehr außer seinem eigenen Schnarchen.« »Gefährlich ist es aber doch. Ist der Typ nicht auch euer Hausmeister und hat ‘nen Schlüssel fürs Lager? Er kann also theoretisch jederzeit da rein. Stimmt

doch, oder?« »Hm ...«, Lukas kratzt sich hinterm Ohr. »Stimmt. Aber morgen könnte es gehen. Morgen ist Samstag. Der Laden ist am Nachmittag zu, der Hansen geht dann immer einen trinken und ist stundenlang weg, und meine Eltern sind zu einer Hochzeit eingela-den. Alli will mit.« »Und du?«, fragt Ben. »Musst du nicht mit zu der Hochzeit?« »Nee, nee«, Lukas schüttelt den Kopf. »Ich bin nicht scharf auf Familienfeste. Außerdem muss ich büffeln. Wenn der Nemann am Montag in der zweiten Stunde die Lateinarbeit schreibt, will ich das drauf haben. Wir sagen eben, dass wir beide morgen den ganzen Nachmittag lang zusammen lernen wollen. Und irgendwie stimmt das sogar, ich meine, wenn wir doch sozusagen für die Römer arbeiten.« »Cool. Meine Eltern werden sich tierisch freuen, wenn sie hören, dass ich mit dir lernen will«, grinst Ben. »Erst wird echt gepaukt, und dann machen wir‘nenAusflugindieRömerzeit.Passtwirklichoptimal.« Lukas klopft mit beiden Händen den Sand aus seinen Klamotten. »Dann ist ja alles klar. Morgen wird gebohrt. Ich muss mal wieder. Tschüss dann, bis morgen.« LukasundBenschlagendieHandflächenzusam-men, dass es nur so klatscht. Zweimal. Einmal von oben, einmal von unten, dann trabt Lukas zurück.

2. Kapitel

»Du hast mir gar nix zu sagen!«, kreischt Alina und wirft mit einem Kissen nach Lukas, trifft aber nur seine Zimmertür, weil er sie gerade noch vor dem Geschoss zuschlagen kann. »Ich kann machen, was ich will!« »Blöde Kuh!«, brüllt Lukas zurück. »Zickenschwes-ter!«

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Er ist sauer auf Alina. Sie hat heute Morgen ihren Eltern erklärt, sie könne leider nicht mitfahren zu der Hochzeit. Es täte ihr »schrecklich« Leid, aber auch sie müsse lernen – für die Mathearbeit. Division natürlicher Zahlen–daseisienochnichtrichtigfit. Ob Alli vielleicht doch irgendetwas mitbekommen hat, fragt sich Lukas. Wie machen Mädchen das nur? Haben die einen sechsten Sinn eingebaut? »Jetzt hört mal zu, ihr beiden!« Die Stimmer der Mutter dröhnt aus dem Wohnzimmer. »Ich kann auch anders. Wenn jetzt das Gezanke wieder losgeht, bleibt ihr auf keinen Fall allein im Haus. Dann kommt ihr beide mit. Lukas im Anzug und Alina im Kleid.« »Mist!«, murmelt Lukas. Auch Alina gibt augenblicklich Ruhe. Jedenfalls hört Lukas, dass sie die Tür zu ihrem Zimmer leise, wirklich sehr leise, schließt. Die muss echt was spitzgekriegt haben, die gibt doch sonst nicht so schnell auf, denkt er. »Luki! Alli!« Lukas hasst es wie die Pest, wenn seine Mutter ihn Luki ruft. Er ist zwölfeinhalb! »Tschüss, ihr beiden. Wir fahren jetzt los.« Lukas öffnet seine Tür, Alina gegenüber auch. Sie sehen sich für eine Viertelsekunde an. War da ein Grinsen in Allis Gesicht? »Versprechtmir,fleißigzuarbeitenundeuchnichtzustreiten. Und wenn irgendwas ist, ruft ihr uns auf dem Handy an, ja?« Lukas und Alina nicken, ihre Mutter winkt zum Abschied und verlässt die Wohnung. »So, Kinder, dann macht‘s mal gut.« Der Vater steht noch im Flur, das Geschenk in der einen Hand, den Schlüssel in der anderen. »Es kann ein bisschen später werden, also amüsiert euch gut beim Fernsehen ... äh ... beim Lernen.« Einer von Papas Witzen, denkt Alina und verdreht die Augen. »Ja, machen wir. Und gute Fahrt und schöne Grüße und kommt gut heim und so weiter.« Lukas setzt das Lächeln derMarke»höflicherJunge«auf.

Halt! Im letzten Augenblick sieht er den Schlüssel in der Hand seines Vaters. Der General! Der Schlüssen für alle Türen. Ohne den kommt er weder ins Geschäft noch ins Lager. Jetzt cool bleiben. »Papa? Ich glaub, ich hab mein Kickboard im Laden stehen lassen. Damit wollten Ben und ich eigentlich nach dem Lernen eine Runde auf dem Roncalliplatz drehen. Kann ich den Ladenschlüssel ...?« Er hält die Hand auf. Lukas bemerkt, dass Alina Glotzaugen macht und rüberstarrt, weil das Kickboard in seinem Zimmer, gut sichtbar für Papa, direkt neben der Tür parkt. Auweia, denkt Lukas, das war wirklich eine blöde Ausre-de. Wenn er es jetzt sieht, oder sagt, bis vier Uhr seien sowieso die Verkäufer im Laden, bin ich aufgeschmissen. Glück gehabt, denkt Lukas und hält noch immer die Luft an, Papa hat nix gemerkt. Der Vater drückt Lukas den Schlüssel in die Hand und mahnt: »Verlier ihn nicht! Das wird sonst ein teurer Spaß.« Schnell schiebt Lukas den General auf seinen eigenen Schlüsselring. Der Vater scheint zufrieden und macht sich auf den Weg. »Puhhh ...«, schnauft Lukas, als die Wohnungstür ins Schloss fällt. Das wäre beinahe schief gegangen.…Um vier Uhr klingelt es endlich. Zweimal kurz, einmal lang: Ben – ja – miiin. Ben klingelt immer seinen Namen. »Ist für mich«, ruft Lukas in Alinas Richtung und springt mit einem Satz zur Türsprechanlage. »Ben?« »Nee, Mister Bean«, antwortet Ben. Lukas drückt auf. »Ihr solltet euch wirklich mal einen Aufzug zulegen«, schnauft Ben, als er oben ankommt. Lukas ist sauer. »Warum kommst du so spät? Wir wollten doch vorher noch zusammen lernen.« »Hatte keine Zeit«, nuschelt Ben. »Ich schreibe dann morgen von dir ab.« »Pfff ...«, macht Lukas. »Das wird sich noch zeigen.« Er zieht Ben in sein Zimmer, damit Alina ihn nicht zu fassen kriegt.

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Komisch, die hat sich gar nicht gerührt, nicht mal durch den Türspalt gelinst. Auch egal. »Hast du eigentlich was mitgebracht? Werkzeug oder so?« »Nee, ging nicht. Mein Vater war die ganze Zeit zu Hause und sowieso schon komisch drauf, weil ich immer um seine Sachen rum geschlichen bin. Ich konnte nur den hier auf die Schnelle einpacken.« Ben zieht aus seinem Rucksack einen extra langen Bohraufsatz und grinst. »XXL, für Beton.« »Wahnsinn!«, sagt Lukas und nimmt die Bohrma-schine, die er vorsorglich in einen Stoffbeutel gewickelt und ganz unten in seinem Kleiderschrank versteckt hat. »Boah! Achthundertfünfzig Watt!«, nickt Ben anerkennend. »Das is ja ‘n Hammerteil. Na dann los, oder ist er da?« Ben zeigt mit dem Daumen hinter sich in Richtung Treppenhaus. »Hansen? Nö, der ist weg. Aber ...«, Lukas deutet auf Alinas Zimmertür. »Deine Schwester?«, fragt Ben genervt. Lukasnicktundflüstert:»DiemussMathepauken.Ich glaube, es wäre besser, sofort in den Keller runterzugehen. Wenn wir jetzt noch lange Latein pauken, ist Alli vielleicht mit Mathe fertig und will womöglich mit.« »Dann mach mal hinne! Auf die Zicke kann ich prima verzichten«, sagt Ben. »Ich hab jetzt sowieso keine Antenne für Latein.« »Alli?«, ruft Lukas durch die geschlossenen Tür. »Ich muss mit Ben mal kurz runter. Wir sind bald wieder zurück.« »Alles klar! Viel Spaß beim Kickboard fahren!«, antwortet Alina mit zuckersüßer Stimme. Ben und Lukas sehen sich an und zucken die Schultern. »Weiber!«…In der ersten Etage des Treppenhauses hängt vor der Stahltür, die zum Geschäft führt, an der Wand ein kleiner Kasten, kaum größer als eine Zigaretten-

schachtel, mit Tasten darauf, wie auf einem Telefon. An der Oberseite leuchten fünf kleine rote Lichter. Das bedeutet: Die Alarmanlage ist scharf. Lukas hört Ben neben sich aufstöhnen: »Scheiben-kleister! Was jetzt?« Lässig tippt Lukas fünf Zahlen ein, und ein rotes Licht nach dem anderen wird grün. »Voll abgefahren, Mann!« Ben staunt. Der Weg ist frei – beinahe jedenfalls. Moment! War da nicht ein Geräusch oben im Treppenhaus? Sie lauschen, aber es ist nichts mehr zu hören. Dann schließt Lukas mit dem General die Stahltür auf. Sie betreten einen Vorraum, gehen am Büro vorbei zu der Treppe, die erst in den Verkaufsraum und dann ins Lager hinunterführt. »Wo ist es denn jetzt die Stelle?«, drängelt Ben. »Warte. Ich muss erst noch aufschließen.« Widerwillig quietschend lässt sich die schwere Lagertür zur Seite schieben. »Boah ...!« Ben ist ziemlich überrascht. Er hatte keine Ahnung, dass in diesem Lager so viele Regale voller Kartons herumstehen. Radios, CD-Player, Computerspiele, Videorecorder, Kameras, Compu-terzubehör und noch viel mehr. »Kein Wunder, dass ihr alles so verrammeln müsst. Steht ja ‘ne Menge Zeugs bei euch rum.« »In dem Raum da um die Ecke ist die Stelle. Direkt vor Hansens Schreibtisch. Pass mal auf.« Lukas rollt den alten klapprigen Bürostuhl zur Seite, langt nach dem Besenstil, den er gestern in der Lücke zwischen zwei Regalen versteckt hatte, schwenkt ihn kopfüber und beginnt, mit dem Stielende gegen den Fußboden zu stoßen. Lukas sieht Ben erwartungsvoll an. Tack-tack-tack tack-tack-tack bumm-bumm-bumm »Na?«, fragt er. Ben klappt den Mund auf und legt den Kopf schräg. Das macht er auch, wenn Herr Nemann lateinische Grammatikregeln und deren Ausnahmen erklärt.

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Also immer dann, wenn er nix kapiert. Lukas legt nach: Tack-tack-tack ... bumm-bumm-bumm »Super!« Ben macht große Augen, denn plötzlich hat er Spaß an der Aktion. Und wie immer will er auch jetzt sofort alles. Das ganze Programm. »Los, her mit der Bohrmaschine, ‘n Zwölfer Betonbohrer dran und wie durch Butter in ‘n Keller.« »Moooment!«, bremst Lukas. »Erst denken, dann handeln! Fass mal hier an!« Mit Bens Hilfe zieht Lukas den Schreibtisch von Lager-verwalter Hansen von der Wand weg, mitten in den Raum hinein. Neue Probe mit dem Besenstil: bumm-bumm-bumm ... Dreißig Zentimeter vor der Wand markiert Lukas mit Filzstift die Stelle auf dem Boden. Dann zieht er aus dem mitgebrachten Einkaufsbeutel nicht nur die Bohrmaschi-ne, sondern auch eine schmale Stabtaschenlampe, wie die Cops in New York sie benutzen, ein dünnes Nylonseil und eine Webcam samt Kabel. »Cool, Mann! Du hast ja echt an alles gedacht«, sagt Ben. Grinsend nimmt Lukas jetzt den Karton mit der Bohrmaschine aus dem Beutel und schiebt ihn zu Ben rüber. »Ich denke, das kannst du besser.« Ben steckt genüsslich den dicken Bohraufsatz in das Futter, schraubt ihn fest, drückt den Stecker in die Steck-dose und gibt der Bohrmaschine probeweise Saft. Sie jault bereitwillig auf, und dann setzt Ben den Zwölfer mitten auf Lukas‘ Markierung. Seine Augen fragen erwartungsvoll: Okay? LukaslässtdenausgestrecktenZeigefingernachuntenschnellen: Okay! Achthundertfünfzig Watt jagen den Zwölfer in den Beton und machen dabei eine Menge Lärm.…Es jault, es kreischt, es knurrt, es dröhnt und hämmert. Und es staubt. Es staubt sogar mächtig. Feinster Beton-puder schwebt durch den Raum und legt sich gleichmä-ßig über alles. Lukas hat plötzlich Zweifel: Ob das hier so

richtig ist? Vielleicht hätte er wenigstens Mama einweihen sollen. Würde sein Vater von dieser Aktion Wind bekom-men, wäre was gebacken, das weiß Lukas. Megastress gäbe das. Und dann fällt ihm plötzlich ein, was sein Vater früher mal über Grabungen in Köln gesagt hat: Die Hauseigentümer könnten einem wirklich Leid tun. Monatelang müssten sie die buddelnden Archäologen im Haus ertragen. Er hatte Archäologen dabei mit »sch« ausgesprochen. Lukas erinnert sich genau, und er muss schlucken. Dann kämen die Kulturheinis vom Museum, um den alten Kram rauszureißen, oder sie machten den Keller gleich zu einem öffentlichen Ausstellungsraum. Jeder-mann dürfe ins Haus, und der Umsatz sei im Eimer. Kein Mensch könne ein Geschäft normal führen, wenn sich im Keller diese Gehirnakrobaten austoben. So was würde er niemals dulden. Damals hatte Lukas nicht mal geahnt, dass unter dem eigenen Haus Römermauern sein könnten. Jetzt kann er sich denken, warum sein Vater sich so aufgeregt hat. Seine Mutter hatte ihn gestern gebeten, dieses Thema lieber nicht anzusprechen. »Besser, er weiß nicht, dass du es weißt«, hatte sie gesagt. »Er geht sonst in die Luft.« »Mist!«, denkt Lukas laut und stampft mit dem Fuß auf. »Hä?«, Ben brüllt durch den Lärm. »Was is‘n los?« Lukas schüttelt den Kopf und zeigt Ben an: Weiterma-chen! Nach einer ganzen Weile gibt es endlich einen Ruck, und der dicke Bohraufsatz verschwindet komplett im Boden. »Wir sind durch!«, brüllt Ben und schaltet die Bohrma-schine ab. »Ist aber dicker als ich gedacht hab.« Sein Gesicht leuchtet vor Anstrengung verkehrsampelrot. »Wo seid ihr durch?«, fragt der alte Hansen, und eine leichte Bierfahne weht über die Köpfe der Jungen hinweg.

Lukas hat das Gefühl, auf der Stelle zu einem Eisblock zu gefrieren. Er glotzt den alten Mann, der plötzlich aus dem Nichts, aufgetaucht ist, sprachlos an. Seine Hände

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werden glitschig, und sein Herz hämmert in der Brust, im Hals, im Kopf. Er kann sich einfach nicht aus seiner Erstarrung lösen. Auch Ben steht steif wie eine Säule. Dann reagiert Lukas. Wie ein computergesteuerter Schutzschild springt er auf und stellt sich breitbei-nig vor die Bohrstelle, die von Hansens Schreib-tisch ohnehin halb verdeckt ist. Seine Nackenhaare richten sich auf, und seine Schweißdrüsen arbeiten mit Hochdruck. Kurz darauf hat er sich wieder voll im Griff. Er weiß, dass er ein sehr schnelles Reaktionsvermögen hat, und dass er in Krisensituationen stark ist. »Hallo, Herr Hansen«, lächelt er. »Sie haben uns ganz schön erschreckt. Papa hat gar nicht gesagt, dass sie uns helfen sollen.« Hansen hat den Sinn des Satzes offenbar nicht verstanden. »Wo seid ihr durch?«, wiederholt er seine Frage. »Was ist denn hier für ein Lärm? Wo ist eigentlich dein Vater?« Lukas gibt sich Mühe, gelassen zu wirken. Es gelingt ihm sogar zu lächeln, obwohl Bens Keuchen in seinem Rücken jeden Trottel darauf bringen muss, dass hier etwas nicht stimmt. »Papa wollte noch etwas hierfür besorgen.« Lukas macht eine vage Handbewegung zur Wand hin. Misstrauisch versucht Hansen um seinen Schreib-tisch herumzuschielen. »Und was wird das?« »Also, hinter ihrem Schreibtisch wäre der ideale Platz für ein Regal mit Katalogen und Bestelllisten.« Lukas lässt jetzt bewusst seinen Vater aus dem Spiel. So kann er später dem Vater gegenüber behaupten, er habe sich das als Überraschung für ihn ausgedacht und mit Bens Hilfe gleich in die Tat umgesetzt. Schließlich weiß er, wie sehr sein Vater sich wünscht, Lukas interessiere sich mehr für das Geschäft. »Wir bohren jetzt erst einmal die Löcher für die Verankerungsdübel in den Boden.« Lukas lächelt tapfer weiter. »Hier soll später ja schließlich nichts

umfallen.« Das versteht der auf Sicherheit bedachte Herr Hansen. »Ach so«, sagt er. »Dann ist ja alles in Ordnung.« Er will schon gehen, da fällt ihm ein: »Und wo ist nun dein Vater? Lässt er euch«, er deutet auf Ben, »lässt er euch beide einfach so allein?« »Die sind nicht allein«, meldet sich plötzlich Alina von der Treppe her zu Wort. Dann schlängelt sie sich lächelnd am alten Hansen vorbei durch den Türrahmen. »Ich bin ja bei ihnen.« Sie drückt Ben eine Flasche kalte Limo in die Hand. »Hier, für euch! Von Papa. Gegen den Staub im Hals. Er sucht oben noch nach den passenden Halterungen. Ihr sollt schon mal weitermachen. Es kann noch eine Weile dauern, bis er wieder runter-kommt.« Lukas und Ben schlucken. Sie glotzen von Hansen zu Alina und von Alina zu Hansen. »Cool«, sagt Ben, als er nach der kalten Flasche greift, und diesmal stimmt es sogar. »Eh ... ja ... dann geh ich mal wieder«, sagt Hansen und wendet sich zur Treppe. »Ich hoffe, der Bohrlärm stört sie nicht zu sehr«, säuselt Alina, und ihre Stimme klingt wie Honig, süß und ein bisschen klebrig. »Nö, stört mich nicht. Ich gehe sowieso nicht in die Wohnung rauf. Macht also ruhig weiter.« Bevor die Jungs in Jubelgeheul ausbrechen können,legtAlinadenZeigefingerauf ihrenMund.Sie späht über ihre Schulter Richtung Treppe und sagt laut: »Papa hat gesagt, dass ihr den Dreck wegschaffen sollt. Wenn er zurückkommt, soll es hier wieder sauber sein.« Alina stemmt die Fäuste in die Hüften und strahlt die Jungen an. Oben fällt die schwere Stahltür ins Schloss. Hansen ist weg. »Woher hast du gewusst, dass wir hier sind?« Lukasflüstert,ausSorge,Hansenkönntedochnoch lauschen.

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Über so viel brüderliche Ahnungslosigkeit kann Alina nur schmunzeln. »Euer Baustellenlärm war ja nun wirklich nicht zu überhören. Und da Papas Bohrmaschine seit gestern nicht mehr beim Werkzeug im Regal liegt – na, was glaubst du wohl, was ich mir da zusammenreimen konnte.« Ben ist fassungslos über Alinas Kombinationsver-mögen. »Weißt du überhaupt, um was es hier geht?« Lukas kneift die Augen zusammen. Alina grinst. »Ich denke, dass wir mal nachsehen wollen, ob es die Römermauern unter unserem Keller wirklich gibt.«

Die Geschwister Lukas und Alina

wohnen in der obersten Etage

ihres Hauses an der Hohe Straße.

Im Erdgeschoss betreiben die

Eltern ein Geschäft, im Keller

ist das Warenlager, und unter

diesem liegt das Familienge-

heimnis: ein zugemauerter

zweiter Keller aus der Römerzeit.

Niemand darf davon erfahren, denn der Vater fürchtet die

Störung des Geschäftsablaufs durch die Archäologen.

Kölner Abenteuer über fast 2000 Jahre

Als die Eltern für drei Tage verreist sind, wagen Alina,

Lukas und sein Freund Ben den Durchbruch in die

Vergangenheit. Aus dem »Nur-mal-gucken-wollen« wird

nicht nur ein großes Loch in der Wand, sondern auch ein

großes Abenteuer. Die Kinder stehen vor einem Rätsel,

ihnen und den Lesern öffnet sich der Blick ins römische

Köln des Jahres 69: die Ernennung eines Kaisers, seine

Flucht vor Verrätern – sogar ein Mord. Ein abenteuer-

licher Bogen spannt sich über fast zweitausend Jahre und

erklärt, wie es in den Keller kam: das Schwert des Julius

Caesar.

Broschur • 13,5 x 20,5 cm • 192 Seiten •

ISBN 978-3-89705-277-2 • 8,50 Euro

Eva Steins,

studierte Kommunikation und

Marketing, und arbeitete zunächst

als Werbetexterin. Heute schreibt

sie unter anderem Drehbücher für

Fernsehproduktionen und macht das,

was sie immer schon wollte: Sie

schreibt Kinder- und Jugendbücher.

Eva Steins lebt seit ein paar Jahren in

Hürth bei Köln.

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SMOOOTH30.9.2011 • Groove in der euregiobahn

10 Jahre euregiobahn, das feiern wirAn diesem Freitag gibt es Jazz in der euregiobahn. Egal, ob Sie von der

Arbeit nach Hause fahren, das Wochenende in Aachen einläuten wollen

oder eigens für diesen Gig eingestie-

gen sind: genießen Sie die besondere

Athmosphäre dieser Fahrt. Csaba

Sékely, Manfred Hilgers und Danh Thai

sind „Smoooth“. Sie sind die Musiker

des Abends, die Sie mit weichen,

pointierten Jazzrhythmen in die richtige

Stimmung bringen für einen unvergess-

lichen den Abend.

Jupp Hammerschmidt und Hubert vom Venn lassen die Stimmung sieden. Musikalisch werden sie begleitet von Heribert Leuchter.Jupp Hammerschmidt und Hubert vom Venn verabschieden sich mit diesem

Programm als Duo von den Eifeler Bühnen. Es ist Zeit, tschüss zu sagen.

Bevor es so weit ist, geht es allerdings nochmal richtig hoch her im Dorf.

Eines Tages rumpelt es, es blitzt und donnert, es kracht und bebt. Hochwür-

den Hubert ist davon überzeugt, dass das Ende der Eifel naht, dass die Erde

sich auftun wird, um alles zu verschlingen. Jupp, der rote Bürgermeister,

hält das für horrenden Nonsens und sucht ganz alltägliche Gründe für die

Erschütterungen. Der Pastor argumentiert mit der Konstellation der

Gestirne und zitiert die Prophezeiungen des Nostradamus, der Bürgermeis-

ter entdeckt rumpelnde Mistfuhren, unterwegs in Richtung Pfarrhaus, und

auf einmal ist der Hahn vom Kirchturm verschwunden – wie konnte das

passieren? Hubert bringt apokalyptische Reiter ins Spiel, die Trompeten von

Jericho erklingen – oder sind es ganz

ordinäre WM-Vuvuzelas? Ein Panther

eilt quer durch die Eifel, Bürgermeister

Jupp will wenigstens sein Stadtarchiv

retten, er argwöhnt, dass der Pfaffe,

diese hinterlistige schwarze Socke, insge-

heim längst mit dem Bau einer Arche

begonnen hat, um seine Schäfchen ins

Trockene zu bringen. Hubert wiederum

hätte absolut nichts dagegen, wenn die

rote Socke in einem Krater verschwinden würde – am besten mitsamt seinen

Genossen, und am besten auf ewig.

Bei allem Krach finden die beiden zwischendurch immer mal wieder Zeit,

den Eifeler als rauen, aber äußerst liebenswürdigen und hochintelligenten

Zeitgenossen zu preisen und die eine oder andere Anekdote zum Besten zu

geben.

Es wäre doch jammerschade, wenn von dieser wunderschönen Eifel und vor

allem von diesen herzlichen Menschen am Ende nur ein Häufchen Vulkan-

asche übrigbleiben würde. Aber kommt es wirklich zum GAU? Und welches

Schicksal erleiden die beiden so unterschiedlichen Helden ...?

Heribert Leuchter ist seit 1982 als Saxophonist, Komponist, Bandleader

Musikproduzent für Konzert- und Theaterbühnen, Film- und Fernsehmusiken

tätig. Leuchter ist der Gründer des LUX-Orchesters und des Heribert Leuchter

Trio. Er dirigierte das Art´n Schutz Orchester. Ausserdem betreibt er das

eigene Plattenlabel LUXaries Records.

Jupp Hammerschmidt & Hubert vom Venn3.10.2011 • Das letzte Programm der beiden Eifelkabarettisten

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GewinnspielPreisfrage:

Zwischen welchen beiden Städten verkehrte die euregiobahn im Jahr der Eröffnung 2001 (Endstation zu Endstation)?

TeilnahmebedingungenUnter allen richtigen Einsendungen verlosen wir ein iPad sowie weitere Sachpreise. Die Gewinner werden benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Eine Barauszahlung der Gewinne ist ausgeschlossen.Mitarbeiter des Aachener Verkehrsverbundes, der Verkehrsunternehmen im AVV sowie jeweils deren Angehörige sind von der Teilnahme ausge-schlossen. Durch die Teilnahme erklärt sich der Teilnehmer ausdrücklich damit einverstanden, dass die AVV GmbH die dazu erforderlichen Daten für die Dauer des Gewinnspiels und zum Zwecke der Gewinnabwicklung speichern darf. Der AVV verpflichtet sich, die gesetzlichen Bestimmungen zum Datenschutz zu beachten. Zur Teilnahme am Gewinnspiel ist unbedingt erforderlich, dass sämtliche Personenangaben der Wahrheit entsprechen. Andernfalls kann ein Ausschluss erfolgen.

Preise

1. Preis ein Apple iPad 2 16 GB schwarz (Wi-Fi + 3G) + 1 Hörbuch: In Vino Veritas, ein kulinarischer Kriminalroman von Carsten Sebastian Henn (gelesen von Jürgen von der Lippe)

2. Preis ein Apple iPod touch 4G 32 GB + 1 Hörbuch: In Vino Veritas, ein kulinarischer Kriminalroman von Carsten Sebastian Henn (gelesen von Jürgen von der Lippe)

3. Preis ein Apple iPod 6G 8 GB + 1 Hörbuch: In Vino Veritas, ein kulinarischer Kriminalroman von Carsten Sebastian Henn (gelesen von Jürgen von der Lippe)

4. - 5. Preis je ein Büchergutschein im Wert von 30,00 Euro

6. - 10. Preis je ein euregioticket im Wert von 16,00 Euro

Senden Sie Ihre Antwort bitte an

Aachener Verkehrsverbund GmbHNeuköllner Straße 152068 Aachen

oder an [email protected]

Einsendeschluss ist der 8. Oktober 2011.

Aachener Verkehrsverbund GmbH | Neuköllner Straße 1 | 52068 Aachen | Tel.: 02 41 - 9 68 97-0 | Fax: 02 41 - 9 68 97-20 [email protected] | www.avv.de | m.avv.de

Impressum

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Sie können überall unterwegs zu- und aussteigen. Es gilt der AVV-Tarif. Fahrkarten sind während der Events ausnahmsweise auch im Zug erhältlich. Infos, Fahrplan und Gewinnspiel unter:

www.euregiobahn.de

Jahre euregiobahnStolberg Düren

Aachen

Alsdorf

Herzogenrath

2001 – 2011

Heerlen

10 Jahre euregiobahn

2012

Vielen Dank

www.euregiobahn.de

Aachen Hbf Stolberg-Altstadt HeerlenAachen Hbf Aachen Hbf

ab Aachen Hbf 20:32 Uhr – 23:01 Uhr Musik

Jazz-Trio »Smoooth« ab Aachen Hbf 20:32 Uhr – 23:01 Uhr Krimi-Lesungen

Elke Pistor »Luftkurmord«Rudolf Jagusch »Eifelbaron«

ab Aachen Hbf 14:32 Uhr – 17:01 Uhr Ratekrimi

Eva Steins »Das Schwert des Julius Caesar« für Kids ab 8 Jahre

ab Aachen Hbf 14:32 Uhr – 17:01 Uhr Eifelkabarett und Jazz-Musik

Jupp Hammerschmidt, Hubert vom Venn und Heribert Leuchter

30.9.Freitag

2.10.Sonntag

3.10.Montag

1.10.Samstag

Krimi, Kult und KulturAktionswochenende im Zug

die euregiobahn

Einsteigen, lauschen

und gewinnen!

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