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Neue Zürcher Zeitung WI RT SC HAFT Mittwoch, 22. Oktober 2008 · Nr. 247 27

2008 10 22 Entschädigung für neu geworbene Kunden end

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Neue Zürcher Zeitung WIRTSCHAFT Mittwoch, 22. Oktober 2008 · Nr. 247 27

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Entschädigung für neu geworbene Kunden Grundsatzurteil des Bundesgerichts zugunsten des Alleinabnehmers

Von Christian Alexander Meyer* Das Bundesgericht gewährt Allein- abnehmern in einem Grundsatzurteil den Anspruch auf Entschädigung für die angeworbenen Kunden bei Beendigung des Vertrags. Nicht abschliessend geklärt ist, wann der Alleinabnehmer genau schutzbedürftig und wie seine Entschädi- gung zu berechnen ist. Ratsam bleibt, dieses Risiko vertraglich zu regeln.

1992 räumt eine Genfer Lieferantin von angese- henen Markenkosmetik- und Körperpflegepro- dukten ihrer Abnehmerin das Alleinvertriebs- recht für die Tschechoslowakei ein. 1993 wird der Vertrag ergänzt: Die Abnehmerin verkauft in

Kundschaftsentschädigung habe. Die Kunden des Alleinabnehmers würden nicht diejenigen des Lieferanten, wurde argumentiert. Der fragliche Artikel im Agenturrecht sei singulär und zwinge eine Partei, der anderen nachvertraglich einen Vorteil abzugelten, den diese in Erfüllung ihrer Pflichten geschaffen habe. Eine Analogie für den Alleinvertrieb würde alsbald zur Anwendbarkeit des Anspruchs auf Kundschaftsentschädigung auf alle Verträge führen. Lehre und Rechtsprechung waren sich seither uneinig. Aufgrund der damali- gen ablehnenden Beurteilung wurden viele Kon- flikte dieser Art gütlich beigelegt. Ausnahms- weise wurden bescheidene Entschädigungen be- zahlt. Das Prozessrisiko für jeden Alleinabneh- mer war in der Vergangenheit hoch.

Kenntnis der Marktentwicklung. Zwar seien ge- wisse Kunden persönlich mit dem Abnehmer ver- bunden. Im beurteilten Fall folgten die Kunden aber dem Markeninhaber wegen der Sogwirkung der Marke. Immerhin betont das Bundesgericht, dass oft gerade der Markeninhaber und Lieferant den Ruf der Marke erst geschaffen hat und so den Vertrieb erleichtert.

Das Bundesgericht bejaht mithin die Kund- schaftsentschädigung für den Alleinabnehmer, soweit er sich wirtschaftlich in der gleichen Situa- tion wie ein Agent befindet. Dieses Kriterium bleibt vage. Der Lieferant muss zur Abwehr des Anspruchs nun die unternehmerische Freiheit des Abnehmers, eben die wirtschaftlichen Unter- schiede zum Agenten und die Unbilligkeit der Entschädigung, zeigen.

Kreditrisiko oder Delkredere ist gemäss Gesetz nicht Teil der Kundschaftsentschädigung. Wegen der Unterschiede fordert die Lehre als Faustregel für die Berechnung der Kundschaftsentschädi- gung des Alleinabnehmers: 5% bis 10% des Um- satzes oder ein Drittel seiner Nettogewinnmarge – also nur ein Drittel dessen, was der Agent maxi- mal zugute hätte.

Mögliche strukturelle Folgen Ob all jene, welche sich in Zukunft auf diesen Ent- scheid stützen, das nötige kaufmännische Wissen haben, die Entschädigung richtig zu berechnen wird sich weisen. In einer dem Agenten vergleich- baren Situation kann der Alleinabnehmer auf die Entschädigung nicht zum Voraus verzichten. Des- halb ist es besonders wichtig, diesen Punkt ver-

Tschechien, und ihre Schwestergesellschaft be- treut die Slowakei. Weil Schwankungen in den Bestellungen der Lieferantin 2001 Lieferproble- me bereiten, kündigt sie die beiden Alleinver- triebsverträge. Die Alleinabnehmer klagen in Genf. Sie verlangen Schadenersatz wegen Liefer-

Entschädigung für den Alleinabnehmer 2008 hatte nun das Bundesgericht Gelegenheit, seine Praxis zu ändern und eine Analogie zum Agenturrecht zuzulassen. Bei der Analogiebil- dung folgt das Bundesgericht der Mehrheit der Lehre und der Rechtsentwicklung im Ausland. Es

Die knappe Beschreibung der Berechnung der Kundschaftsentschädigung durch das Bundes- gericht ist falsch und offenbart kaufmännische Defizite. Das Gericht sagt, der Anspruch sei auf den jährlichen Nettogewinn zu beschränken, der sich aus dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre

traglich zu regeln. Alleinabnehmern soll vertrag- lich eine Entschädigung zugesichert werden wenn sie sich in einer dem Agenten vergleichba- ren wirtschaftlichen Situation befinden. Dabei soll die Entschädigung gemäss der vorgenannten Faustregel berechnet werden. Ist die Berechnung

verzögerungen und eine Abgeltung für die ange- worbenen Kunden (Kundschaftsentschädigung).

setzt sich ausführlich mit der kantonalen Praxis, der Lehre und Rechtsprechung auseinander und

ergibt. Der jährliche Nettoverdienst des Agenten sei der erzielte Verdienst abzüglich aller dafür

der Entschädigung vertraglich bestimmt, entfällt der falsche Bezug zur Provision. Die Provision des

Beide verlieren vor erster und zweiter Instanz. Auch das Bundesgericht verneint den Schaden- ersatzanspruch mangels genügender Beweise.

kommt zum Schluss, dass die Position des Allein- abnehmers wirtschaftlich mit derjenigen des Agenten vergleichbar sein könne. Die Rechtspre-

notwendigen Kosten. Danach verweist es lediglich auf dieses Zitat, das nur für den Agenten gilt. Eine derart ungenügende Definition der Berech-

Agenten ist keine Händlermarge. Offen bleibt, ob die Entschädigung mit einem Teil der Gewinn- marge kumulierend abgegolten werden kann.

Der Anspruch des Agenten als Ursprung Absatzmittler sind so alt wie der Handel selber. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Rechte des Agenten in der Schweiz gesetzlich geregelt. Zwin- gendes Recht schützt den Agenten. Der erfolg- reiche Kundenwerber bekam damals einen unab- dingbaren Anspruch auf eine angemessene Ent- schädigung, falls der Auftraggeber nach Beendi- gung des Vertrages von den vom Agenten gewor- benen Neukunden profitierte. Dagegen verneinte das Bundesgericht 1962 die Frage, ob auch der Alleinabnehmer einen Anspruch auf eine solche * Dr. Christian Alexander Meyer ist Rechtsanwalt in Zürich.

chung Deutschlands spreche dem Vertragshänd- ler eine Kundschaftsentschädigung zu, und zwar bei dessen Integration in die Verkaufsorganisa- tion des Lieferanten und gleichzeitiger Verpflich- tung, die neu geworbene Kundschaft auf irgend- eine Art auf den Lieferanten zu übertragen.

Konkret seien die Abnehmer aufgrund zahl- reicher Pflichten weit davon entfernt gewesen, ihre Geschäfte als unabhängige Unternehmer nach eigenem Gutdünken zu führen. Das Bun- desgericht erwähnt freilich nicht, dass es ja im Interesse aller Absatzmittler liegt, den Absatz ge- eignet zu strukturieren. Es verneint weiter das klassische Gegenargument, Marktdaten offen und rasch auszutauschen diene nur der besseren

nungsgrundlage und die irrtümliche Gleichset- zung der Nettoprovision des Agenten mit der Nettogewinnmarge des Alleinabnehmers wurden von der Lehre seit Jahren kritisiert. Der Agent ist zwar selbständig, hat aber ein geringes Unterneh- merrisiko. Die Provision deckt primär seinen Ver- mittlungsaufwand.

Im Unterschied zum Agenten deckt der Alleinabnehmer mit seiner Marge sein gesamtes Unternehmerrisiko. Er finanziert damit seine ge- samte Struktur: Verkaufsgebäude, Verkaufsper- sonal, Warenlager und Ersatzteile. Kann er Ware nicht verkaufen oder verliert das Inventar an Wert, muss er beide abschreiben. Er trägt das Währungs-, Preis- und Kreditrisiko. Gerade das

Die Bejahung der Gleichsetzung der wirt- schaftlichen Situation von Agent und Allein- abnehmer setzt vertiefte Wirtschaftskenntnis vor- aus. Sie bedarf weiterer Klärung durch die Praxis International war es für Lieferanten bisher rat- sam, das Schweizer (Agentur- und) Vertriebs- recht zu wählen, um die Ansprüche auf Kund- schaftsentschädigung klein zu halten. Möglicher- weise hat die Schweizer Rechtsordnung durch den neuen Entscheid einen weiteren kleinen Wettbe- werbsvorteil verloren, dafür aber zufriedenere Absatzmittler gewonnen. Ob dies die Lieferanten zur rascheren Integration ihrer Absatzkanäle be- wegt, wird die Zukunft zeigen. Urteil 4A_61/2008 vom 22. 5. 08 – BGE-Publikation.