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1895 kam Peter Tschaikowskis «Schwanensee» erstmals auf die Bühne. RBTH erzählt, wie ein vorrevolutionäres Ballett zum Putsch-Symbol 1991 und zu einer der meist gespielten klassischen Tanzdarbietungen der Welt wurde. SEITE 7 Die russische Filmindustrie stecke in einer Krise, sagen Kritiker und auch die jüngsten Erfolge sorgen für Diskussionen. „Leviathan“ von Andrej Swjaginzew hat gute Aussichten auf einen Oscar, „Unter Stromwolken“ von Aleksej German tritt bei der Berlinale an. SEITE 8 Die letzten Monate des vergangenen Jahres brachten vielen Russen die Gewissheit: Die Krise, von der seit Langem die Rede war, ist nun auch im eigenen Portemonnaie angekommen. Die Preise schnellten in die Höhe. Demnächst dürften bei vielen Unternehmen Lohnkürzungen und Entlassungen auf der Tagesordnung stehen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird im laufenden Jahr spürbar sinken. Die größten Probleme des Landes, die sich bereits in der Krise 2008 offenbarten, etwa die fatale Abhängigkeit vom Ölpreis, wurden nicht gelöst. Zusätzlich verunsichern die Sanktionen ausländische Investoren. Nur eine merkliche Erholung des Ölpreises sowie eine geopolitische Entspannung könnten die Lage beruhigen. SEITEN 4–6 Auch in Russland ist die erneute Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen im Magazin Charlie Hebdo auf Kritik gestoßen. Russische Muslime, vor allem in Tsche- tschenien, fühlen sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt und gingen auf die Straße. SEITE 2 «SCHWANENSEE»: 120 JAHRE DES BERÜHMTESTEN BALLETTS OSKARNOMINIERT: «LEVIATHAN» VON ANDREJ SWJAGINZEW TSCHETSCHENIEN: ZENTRUM DES MUSLIMISCHEN PROTESTS de.rbth.com FÜR DEN INHALT IST AUSSCHLIESSLICH DIE REDAKTION VON RUSSIA BEYOND THE HEADLINES (RUSSLAND) VERANTWORTLICH. Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times, La Repubblica and El Pais. Freitag, 6. Februar 2015 Ausgabe für Luxemburg Diese Beilage erscheint exklusiv im Der Rubel sinkt, die Wirtschaft wankt MÖCHTEN SIE EIN INTERNATIONALES PUBLIKUM ERREICHEN, PLATZIEREN SIE IHRE WERBUNG BEI UNS. Kontaktieren Sie unser Moskauer Büro via e-mail: [email protected] RBTH-Archiv: de.rbth.com/e-paper Werden Sie Fan auf Facebook oder folgen Sie uns auf Twitter! /RUSSLANDHEUTE /RBTH_DE RBTH IST EIN MEHRSPRACHIGES INFORMATIONSANGEBOT ÜBER RUSSLAND UND DESSEN ROLLE IN DER WELT. ES BIETET ARTIKEL ZU RUSSISCHER POLITIK, DEM GESCHÄFTSLEBEN, KULTUR UND WISSENSCHAFT, DARÜBER HINAUS ANALYTISCHE BEITRÄGE UND REVIEWS FÜR EINE BREITE LESERSCHAFT UND FÜR EXPERTEN. WER WIR SIND 20 Webseiten 30 Millionen Leser 13% einflussreiche Leser 2 Millionen Besucher monatlich 24 Länder 16 Sprachen 30 Printausgaben DPA/VOSTOCK-PHOTO PRESS EBILD

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Februar-Ausgabe: Der Rubel sinkt, die Wirtschaft wankt

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1895 kam Peter Tschaikowskis «Schwanensee» erstmals auf die Bühne. RBTH erzählt, wie ein vorrevolutionäres Ballett zum Putsch-Symbol 1991 und zu einer der meist gespielten klassischen Tanzdarbietungen der Welt wurde.SEITE 7

Die russische Filmindustrie stecke in einer Krise, sagen Kritiker – und auch die jüngsten Erfolge sorgen für Diskussionen. „Leviathan“ von Andrej Swjaginzew hat gute Aussichten auf einen Oscar, „Unter Stromwolken“ von Aleksej German tritt bei der Berlinale an. SEITE 8

Die letzten Monate des vergangenen Jahres brachten vielen Russen die Gewissheit: Die Krise, von der seit Langem die Rede war, ist nun auch im eigenen Portemonnaie angekommen. Die Preise schnellten in die Höhe. Demnächst dürften bei vielen Unternehmen Lohnkürzungen und Entlassungen auf der Tagesordnung stehen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird im laufenden Jahr

spürbar sinken. Die größten Probleme des Landes, die sich bereits in der Krise 2008 offenbarten, etwa die fatale Abhängigkeit vom Ölpreis, wurden nicht gelöst. Zusätzlich verunsichern die Sanktionen ausländische Investoren. Nur eine merkliche Erholung des Ölpreises sowie eine geopolitische Entspannung könnten die Lage beruhigen.SEITEN 4–6

Auch in Russland ist die erneute Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen im Magazin Charlie Hebdo auf Kritik gestoßen. Russische Muslime, vor allem in Tsche-tschenien, fühlen sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt und gingen auf die Straße. SEITE 2

«SCHWANENSEE»: 120 JAHRE DES BERÜHMTESTEN BALLETTS

OSKARNOMINIERT: «LEVIATHAN» VON ANDREJ SWJAGINZEW

TSCHETSCHENIEN: ZENTRUM DES MUSLIMISCHEN PROTESTS

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F Ü R D E N I N H A L T I S T A U S S C H L I E S S L I C H D I E R E D A K T I O N V O N R U S S I A B E Y O N D T H E H E A D L I N E S ( R U S S L A N D ) V E R A N T W O R T L I C H .

Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times, La Repubblica and El Pais.

Freitag, 6. Februar 2015

Ausgabe für Luxemburg

Diese Beilage erscheint exklusiv im

Der Rubel sinkt, die Wirtschaft wankt

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2Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

POLITIK

Freitag, 6. Februar 2015

COMING UP IN FEBRUARYAhead of the Munich Security Con-ference, which will be held from Feb. 6-8, we take a look at the implica-tions of the Ukraine crisis for global security. How did it change Russia’s relations within the post-Soviet space? Can we predict what Russian actions in other parts of the world will be? And, most importantly, has the Ukraine crisis changed what wars will look like in the future?

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MARINA OBRASKOWARBTH

Zur Kundgebung hatte der

tschetschenische Präsident Ramsan

Kadyrow aufgerufen. Experten

vermuten eine politische Strategie

hinter den Ereignissen.

«Charlie» ruft auch in Grosny muslimische Proteste hervor

TSCHETSCHENIEN Rund eine Million Menschen demonstrierten gegen die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen

Nach Schätzungen von Polizei und Re-gierung waren es rund eine Million Menschen, die am 19. Januar in Tsche-tscheniens Hauptstadt Grosny zu einer Protestkundgebung zusammenkamen. Sie demonstrierten gegen die neuerli-che Veröffentlichung von Karikaturen

des Propheten Mohammed in der fran-zösischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, nachdem bei einem Anschlag auf die Redaktion des Blatts durch ra-dikale Muslime zwölf Mitarbeiter ums Leben gekommen waren. Ramsan Kadyrow, Präsident Tschet-scheniens und Initiator der Veranstal-tung, sagte den Versammelten vom Po-dium aus, dass Beleidigungen des Pro-pheten nicht hinnehmbar seien: „Wir werden es nicht ungestraft lassen, dass der Name des Propheten geschändet wird. Wir alle sehen, dass europäische Journalisten und Politiker unter der Losung der Meinungsfreiheit und De-mokratie die Freiheit der Grobheit, der Kulturlosigkeit und die Verletzung re-ligiöser Gefühle predigen.“

Experten sind sich uneinsExperten diskutieren nun die Frage, welche Auswirkungen die große Em-pörung der Muslime in Tschetscheni-en haben könnte. Der Mufti von Mos-kau und Zentralrussland Albir Krga-now beispielsweise ist überzeugt, dass es in Russland keine gewalttätigen Ausschreitungen geben werde. „Ter-roranschläge sind schicht inakzepta-bel. Aber gleichzeitig müssen auch Mei-nungsfreiheit und das Recht auf Selbst-verwirklichung in Einklang stehen“, fi ndet er. „Das Gesetz zur Verletzung der Gefühle von Gläubigen hilft dem Land, Balance zu halten.“ Er hofft, dass die Ereignisse in Tschetschenien nicht als politische Handlung, sondern als großes Gebet angesehen werden.Dieser Einschätzung kann Nikolaj Schaburow, Direktor des Zentrums für Religionsforschung der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität in Moskau, nicht folgen. Wenn es nur um religiöse Diskussio-nen gegangen wäre, hätten alle Ge-spräche in Moscheen stattgefunden, glaubt er. „Man muss sich bewusst sein, dass Religion hier in Politik übergeht und man die Bereiche nicht getrennt voneinander betrachten kann“, erläu-tert Schaburow. „Die große Teilneh-merzahl erklärt sich durch eine An-weisung Kadyrows. Er verfügt in der Republik über absolute Macht.“ In an-deren russischen muslimisch gepräg-

ten Regionen wäre eine so große De-monstration undenkbar gewesen.Politikwissenschaftler Georgij Mirskij merkt an, dass islamische Traditionen in den einzelnen Regionen Russlands ganz unterschiedlich gelebt werden. Im Kaukasus spiele der Islam eine große Rolle im Alltag, während in Ta-tarstan die Menschen sehr europakon-form seien und ihre Religion weniger auslebten. „Ganz allgemein und über-all auf der Welt ist die muslimische Gemeinschaft empört, aber dies zu un-terschiedlichen Graden. Alles hängt von den Traditionen des Landes, dem Temperament und dem Bildungsni-veau ab“, glaubt Mirskij. „In der Mehr-zahl der arabischen Länder gab es öf-fentliche Proteste, und Grosny ist Teil dieser Empörungswelle.“

Politik und ReligionGeorgij Mirskij vermutet hinter der Kundgebung auch deutlich ein politi-sches Kalkül. Im Unterschied zu mus-limischen Protesten in anderen Län-dern sei der Initiator nicht etwa eine religiöse Persönlichkeit gewesen, son-dern das Oberhaupt der Republik. „Ka-dyrow hat beschlossen, im Namen aller russischen Muslime aufzustehen, und konnte damit gleich doppelt punkten: Er wird zu einer bedeutenden Figur für die weltweite Gemeinschaft der

„Ich liebe meinen Propheten“, heißt es auf dem vorde-ren Plakat, das ei-ne Demonstrantin in Grosny in die Höhe hält. Andere Teilnehmer ließen Luftballons mit ro-ten Herzen auf-steigen, um auf diese Weise Mo-hammed zu huldi-gen. Die Kundge-bung richtete sich gegen die Moham-med-Karrikatur in der jüngsten Char-lie-Hebdo-Ausga-be. Die Demons-tration wurde vom russischen Fernsehen live übertragen.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM sind den befragten Russen religiöse Werte wichtiger als Meinungsfreiheit. 25 Prozent von ihnen glauben, dass die Journalisten der Satirezeitschrift Charlie Hebdo den Angriff auf ihre Redaktion pro-voziert haben, und geben daran der französischen Regierung die Schuld (35 Prozent), weil diese „eine zu große Freizügigkeit im Umgang mit religiösen Werten“ an den Tag gelegt habe. Laut Umfrage verurteilt die große Mehrheit der Befragten den Terrorakt entschieden. 39 Prozent können jedoch die Gründe für den Anschlag zumindest nachvoll-ziehen, fünf Prozent gaben sogar an, ihn für richtig zu halten. Ebenso viele Teilnehmer machen die französischen Geheimdienste dafür verantwortlich. „Der Islam gilt als eine der traditionellen Religionen

Russlands, deshalb können die Russen nicht zulas-sen, dass jemand sie oder ihre Nachbarn in ihrem Glauben beleidigt“, kommentierte Walerij Fedorow, Leiter des WZIOMS, die Umfrageergebnisse gegen-über der Tageszeitung Kommersant. Die Umfrage fand am 17. und 18. Januar unter 1600 Menschen aus insgesamt 46 Regionen Russlands statt.

Charlie Hebdo: 40 Prozent der Russen können die Terroristen verstehen

Seit dem Anschlag in Frankreich deuten alle Zeichen auf eine off ene Konfrontation zwischen dem europäischen und muslimischen Kulturkreis.

SONDERBEILAGEN UND SONDERRUBRIKEN ÜBER RUSSLAND WERDEN VON RBTH, EINEM UNTERNEHMEN DER ROSSIJSKAJA GASETA (RUSSLAND), PRODUZIERT UND IN DEN FOLGENDEN ZEITUNGEN VERÖFFENTLICHT: THE DAILY TELEGRAPH, GROSSBRITANNIEN • THE NEW YORK TIMES, THE WALL STREET JOURNAL, THE INTERNATIONAL NEW YORK TIMES, THE WASHINGTON POST, USA • HANDELSBLATT, DEUTSCHLAND • TAGEBLATT, LUXEMBURG • LE FIGARO, FRANKREICH • EL PAÍS, SPAINIEN • LA REPUBBLICA, ITALIEN • LE SOIR, BELGIEN • GEOPOLITICA, SERBIEN • ELEFTHEROS TYPOS, GRIECHENLAND • THE ECONOMIC TIMES, INDIEN • MAINICHI SHIMBUN, JAPAN • HUANQIU SHIBAO, CHINA • THE NATION, PHUKET GAZETT, THAILAND • LA NACION, ARGENTINIEN • FOLHA DE SÃO PAULO, BRAZILIEN • EL OBSERVADOR, URUGUAY • JOONGANG ILBO, SÜDKOREA • THE SYDNEY MORNING HERALD, THE AGE, AUSTRALIEN • GULF NEWS, AL KHALEEJ, VAE.

Muslime und kann Moskau gleich-zeitig seine Macht demonstrieren. Welches Oberhaupt einer russischen Republik sonst kann binnen so kur-zer Zeit zu einer Demonstration sol-chen Ausmaßes mobil machen?“, so Mirskij.Dass der tschetschenische Präsident in Russland eine Sonderstellung ge-nieße, habe auch die Anwesenheit von Vertretern verschiedener anderer Kau-kasusrepubliken an der Kundgebung gezeigt. Das mache Kadyrow zum An-führer der gesamten Region und nicht nur der Republik Tschetschenien, be-tont Mirskij. Abgesehen von dieser per-sönlichen Machtdemonstration gibt der Politologe ein weit größeres politisches Ausmaß der Ereignisse zu bedenken. Seit dem Anschlag in Frankreich deu-teten alle Zeichen auf eine offene Kon-frontation zwischen dem europäischen und muslimischen Kulturkreis. Und Russland habe sich nun durch Kady-row auf der Seite der Opposition zum Westen positioniert. „Russland wird sich vor dem Hintergrund der Sank-tionen und der Meinungsverschieden-heiten mit dem Westen auf der Seite der muslimischen Welt wiederfi nden“, meint er. „Kadyrow tritt dabei als Be-schützer der traditionellen Werte auf. Ob diese nun muslimisch oder ortho-dox sind, ist dabei irrelevant.“

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3Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

DIE STADT

Freitag, 6. Februar 2015

BRYAN MACDONALDFÜR RBTH

ALEXEJ LOSSANRBTH

Anfragen gäbe es genug für Sotschi –

doch die Betten sind ausgebucht, die

Lifte überfüllt. Unkenrufe, das

olympische Gelände stände in Zukunft

leer, haben sich nicht bewahrheitet.

Die Olympischen Spiele in Sotschi

sollten der russischen Wirtschaft

Vorschub leisten. Allerdings haben

Sanktionen und fallende Ölpreise

diesen Effekt zunichte gemacht.

Ein Jahr nach Olympia

Wachstumsmotor Sotschi

SOTSCHI Moderne Liftanlagen, gigantische Arenen – das Olympiagelände wird nicht nur für den Wintersport genutzt

Internationale Medien haben prophe-zeit, dass Sotschi nach den Olympi-schen Winterspielen zu einer Geister-stadt mutiere. Heute, ein Jahr nach den Spielen, hat sich die Prognose nicht bewahrheitet. Erstaunlich, aber wahr: Ausgerechnet in der Wirtschaftskrise wachsen die Ski-Resorts, die für die Spiele errichtet wurden.Der Klub „Treugolnik“ in Adler, der südlichen Vorstadt von Sotschi unweit des Flughafens, ist voll wie eine Sar-dinenbüchse. Es ist Januar. Zum ers-ten Mal seit vier Jahren ist in Sotschis Küstenregion Schnee gefallen. Die lan-gen russischen Neujahrsferien neigen sich dem Ende zu.Der schwache Rubel, der Appell von Präsident Putin, die Ferien in der Hei-mat zu verbringen, und die neuen Sporteinrichtungen, die sich sehen las-sen können, treiben immer mehr Tou-risten in die Region. Menschenmassen stürmen auf die 40 Kilometer langen Bergpisten und reizen das Tageslimit von 10.500 Skifahrern bis an die Gren-zen aus.Sotschis Geschäftsleute können ihr Glück kaum fassen. Jedenfalls die, die ihre Häuser oder ihr Eigentum im Zuge der kontrovers diskutierten Zwangs-aufkäufe beim Bau der olympischn Stätten nicht verloren haben. Es ist noch nicht lange her, dass die Medien warnten, Sotschi würde eine Geister-stadt werden, wenn der olympische Zirkus einpackt und wegzieht.Doch nicht alles ist so rosig. Der Küs-ten-Cluster, das Herzstück der Spiele, bleibt außerhalb von Feiertagen gera-dezu unheimlich still, und manche Wohnhäuser stehen halb fertig da.Dmitrij Bogdanow, Direktor des Sa-natoriums „Znanie“, bedauert, dass die Stadt nicht noch mehr Besucher aufnehmen kann. „Das ganze Land braucht neue Tourismuseinrichtungen. Wegen fehlender Erfahrungen beim

Im Jahr 2014 besuchten die Region Kras-nodar, in der mit Sotschi die Winter-spiele 2014 ausgetragen wurden, insge-samt 13 Millionen Touristen, teilte die russische Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf die regionale Ver-waltung mit. Dortige Behörden führen die Beliebtheit Sotschis auf den „Effekt von Olympia“ zurück. Die Olympischen Spiele hätten der russischen Wirtschaft etwa 0,3 Prozent BIP-Wachstum be-schert, sagt der Analyst der Investment-gesellschaft FINAM Timur Nigma-tullin. „Das Projekt hat sich im Bezug auf die Effektivität staatlicher Investi-tionen als recht erfolgreich erwiesen“, meint er. Nach seiner Aussage stieg die Anzahl der Touristen, die Sotschi 2014 besuchten, um 31 Prozent und betrug fünf Millionen Menschen. Zehn Pro-zent von ihnen kamen aus dem Aus-land. Allerdings, fügt der Experte hinzu, hätten die Sanktionen den wirtschaft-lichen Nutzen der Spiele zunächst ein-mal zunichte gemacht.

Katalysator für StrukturreformenDer Kerneffekt der Veranstaltung soll-te ein BIP-Wachstum im Jahresmittel sein. Laut Erwartungen der russischen Zentralbank hätte das BIP um 1,5 bis 1,8 Prozent steigen müssen. Zudem hät-ten die Olympischen Spiele nach Pro-gnosen von Merrill Lynch zu einem Ka-talysator für Strukturreformen werden können. Diese sind zur Beschleunigung wirtschaftlichen Wachstums und zur

Managen solcher touristischer Riesen-projekte gibt es heute einige Proble-me mit den Kapazitäten und nachhal-tiger Rentabilität“, sagt er. „Ich erin-nere mich an die Sowjetzeiten, als über 1,5 Millionen Menschen im Jahr kamen. Vor ein paar Jahren waren es gerade mal 50.000. Klar, wir haben noch ei-niges Wachstumspotenzial.“

Leoparden im Bolschoj-EispalastDer Cluster um das Olympische Sta-dion, das schon während des Baus als Fehlinvestition bezeichnet wurde, scheint die meiste Zeit über leer zu stehen. Doch Andrej Ponomarenko, Geschäftsführer des G8-Sprachen-dienstes und eng in die internationale Öffentlichkeitsarbeit von Sotschi ein-gebunden, sagt, der Schein trüge. „Bei den Spielen des lokalen Eishockey-Teams, der Sotschi-Leoparden, kom-men im Bolschoj-Eispalast zwischen 7000 und 9500 Fans zusammen. Im September hat dort der Channel One Cup mit Mannschaften aus aller Welt stattgefunden. Der Schaiba-Eispalast beherbergt im Februar den Cirque du Soleil, und in der Eisberghalle lief sechs Monate lang ein Musical mit fünf Vorstellungen pro Woche.“Das Sprachtalent erläutert: „Im Speed-Skating-Zentrum ist seit fast einem Jahr eine Tennis-Akademie. An an-deren Veranstaltungsorten fanden un-terschiedliche Events statt: die Schach-weltmeisterschaft, Wirtschaftsforen, Ausstellungen. Interessanterweise waren die Küstenhotels während der Olympischen Spiele nicht komplett be-legt, wohl aber im letzten Herbst beim russischen Formel-1-Grand-Prix.“In Krasnaja Poljana war die Überfül-lung das größte Problem in diesem Winter. Die Hotels waren lange vor den Neujahrsferien ausgebucht. Die Preise für einen sechstägigen Skipass wurden auf 13.500 Rubel (170 Euro) angehoben, am Ende konnten nur noch Hotelgäste den Pass ergattern. Die Stadtregierung ließ im Dezember Wer-bespots im Fernsehen laufen, um die einheimische Bevölkerung davon ab-zubringen, im Januar in die Berge zu fahren.Bogdanow sagt, dass die Schwäche des Rubels gegenüber dem Euro, dem Dol-lar und Pfund ein Geschenk des Him-mels sei, gibt aber zu bedenken, dass dies nicht von langer Dauer so sein könnte. „Die Menschen gaben uns die-sen Winter eine Chance, weil die Finanzen eine wesentliche Rolle bei ihrer Reiseplanung spielten. Jetzt kommt es darauf an, Ihnen einen Ser-vice zu bieten, der sie davon überzeugt, auch wiederzukommen. Das ist die große Herausforderung.“

Optimierung staatlicher Regulierungs-mechanismen in Russland notwendig. Aufgrund der Sanktionen und fallen-den Ölpreise sank das BIP-Wachstum 2014 allerdings auf 0,6 Prozent gegen-über 1,3 Prozent im Vorjahr. Darüber hinaus wuchs die Wirtschaft am lang-samsten seit 2009. Zum Vergleich: 2012 stieg das russische BIP um 3,4 Prozent, 2011 um 4,3 Prozent und 2010 um 4,5 Prozent. „Die Winterolympiade 2014 war in erster Linie ein politisches Vor-haben, weswegen anfänglich niemand ernsthaft davon ausging, dass das Pro-jekt sich voll und ganz auszahlt“, sagt Sergej Bespalow vom Zentrum für öf-fentliche Politik und Staatsführung am Institut für Gesellschaftswissenschaf-ten der Russischen Akademie für Wirt-schaft und Verwaltung. Seinen Anga-ben zufolge wurde der größte Teil der Ausgaben dabei nicht in Stadien, son-dern in den Ausbau der Infrastruktur von Sotschi investiert, dem wichtigsten Urlaubsort Russlands.

ZukunftsaussichtenNach Einschätzung von Timur Nig-matullin schaffte das gute Vorausset-zungen, um den Fremdenverkehr suk-zessive anzukurbeln. Die Schwäche des

Rubels sei im Moment der Motor für die wachsende Binnennachfrage im Rei-sesektor. „Das erfolgreiche Formel-1-Rennen in Sotschi im Herbst 2014 ist ebenfalls der Olympiade zu verdanken: Die Rennstrecke wurde im Olympischen Park gebaut“, sagt Sergej Bespalow. Ihm zufolge bewirken allein die publikums-wirksamen Formel-1-Veranstaltungen, dass zumindest ein Teil der enormen Ausgaben für Olympia wieder herein-komme. „In Zukunft wird Sotschis At-traktivität für ausländische und russi-sche Touristen davon abhängen, ob die Behörden es schaffen, große internati-onale Wettkämpfe, allen voran die Win-tersportweltmeisterschaften, nach Sot-schi zu holen.„Aber die Eskalation der geopolitischen Spannungen und die Sanktionen wer-den zuzeit kaum dazu beitragen, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen, die durch die Olympischen Spiele ge-schaffen wurden, in vollem Umfang zum Tragen kommen“, sagt Bespalow. Zu-gleich könne man aber, wenn sich die Situation entspanne, damit rechnen, dass große Investoren bei ihren Ent-scheidungen hinsichtlich Russlands die positiven Erfahrungen von Sotschi berücksichtigten.

Erstmals machen die Olympiastadt Sotschi und das Skigebiet Rosa Khutor (oben) den Alpen Konkurrenz. Anfang Januar waren die Hotels komplett ausge-bucht.

Der schwa-che Rubel und die neuen Sport-einrichtun-gen treiben immer mehr Touristen in die Region.

1,8 ProzentBIP-Wachstum pro-gnostizierte die Zentralbank auf-grund der Olympi-schen Spiele 2014.

5.000.000Menschen besuch-ten Sotschi im Jahr 2014, zehn Prozent von ihnen kamen aus dem Ausland.

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4Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, MoskauFreitag, 6. Februar 2015

DAS THEMA

Es ist nunmehr traurige Gewissheit. Russlands Wirtschaft wird im laufen-den Jahr in die Rezession schlittern. Fraglich bleibt allerdings das Ausmaß des Einbruchs. Laut offizieller Progno-se des Wirtschaftsministeriums wird das russische Bruttoinlandsprodukt um mehr als ein Prozent sinken. Sollte der Ölpreis auf dem Niveau von um die 40 US-Dollar pro Barrel bleiben, wird diese Prognose deutlich nach unten korrigiert werden müssen. Dann, so das Ministe-rium, wird die Wirtschaftsleistung um etwa fünf Prozent zurückgehen.Dabei sanken bereits in der ersten Woche des Jahres 2015 die Ölpreise unter 50 US-Dollar pro Barrel. Das ist der niedrigste Stand seit sechs Jah-ren. Der Preis fi el erneut, nachdem die OPEC angekündigt hatte, die Förder-mengen nicht zu reduzieren. Aleksandr Proswirjakow, Berater für Finanz-, Handels- und Rohstoffope-rationen von PricewaterhouseCoopers in Russland, erklärt, dass die Entwick-lung der russischen Wirtschaft von der Entwicklung der Rohölpreise abhän-ge, denn der größte Teil der Einnah-men des russischen Staatshaushaltes stammt aus dem Energieexport. Der Haushaltsplan für 2015 basierte auf einem Rohölpreis von durchschnitt-lich 100 US-Dollar. Sollte dieser nun lediglich um die 50 US-Dollar betra-gen, geht auch Alexej Kozlow, Chef-

BILLIGE ENERGIE UND DRUCK VON AUSSEN ZIEHEN DIE WIRTSCHAFT IN EINEN SUMPF VON PROBLEMEN

RUSSLANDS KRISE

REZESSION WEGEN ÖLPREIS UND SANKTIONEN

sowie eine erwartete erneute Ver-schlechterung der Bonitätsnote Russ-lands und russischer Unternehmen durch internationale Ratingagenturen negative Auswirkungen. Durch die Ab-wertung des Rubels hingegen könne der niedrige Ölpreis teilweise kompen-siert werden.

Kein Vergleich zur Krise 2008/2009Russische Wirtschaftsexperten erin-nern an die Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009. Auch damals stürzte der Ölpreis ab, von 100 US-Dollar auf 40. Die wirtschaftliche und politische Situation war zu dieser Zeit jedoch an-ders. „Unser Land war damals keinen wirtschaftlichen Sanktionen ausge-setzt. Zudem ist heute der Markt mit Öl übersättigt“, sagt Daniil Kirkow, Partner der Unternehmensgruppe vv-Cube. Anton Soroko, Analyst bei Finam, glaubt, dass die Ölpreise ab-gestürzt sind, weil in den USA die Kos-

ten für die Gewinnung von Schiefer-gas gesunken seien und gleichzeitig die Nachfrage geringer werde. „Die Weltwirtschaft wächst nicht in glei-chem Maße wie 2009, als die Investo-ren noch größere Erwartungen hat-ten“, bemerkt er. Unter anderem decke die Nachfrage Chinas die Förderka-pazitäten der USA nicht ab. In Russ-land wirke sich der Ölpreisverfall stär-ker auf den Kurs des Rubels aus, weil „anders als in den Jahren 2008 und 2009 heute nur wenig ausländisches Kapital im Land ist. Ausländische Un-ternehmen investieren weit weniger als zuvor in Russland“, meint Soroko. Auch damals sei die russische Wirt-schaft schon abhängig vom Energie-export gewesen, sagt UFS-Analyst Alexej Kozlow. Jedoch wäre der Druck heute aufgrund der Sanktionen, einer steigenden Infl ation und geopolitischer Risiken größer. Und die Aussichten seien nicht eben poitiv. Das mache den Unterschied aus.

analyst der Investmentgesellschaft UFS, von einem Minus von fünf Pro-zent aus.Sergej Herstanow, Dozent an der Fa-kultät für Finanz- und Bankenwesen der Akademie für Volkswirtschaft und öffentlichen Dienst, rechnet sogar mit minus 5,8 Prozent. Russland habe sich mit der „holländischen Krankheit“ in-fi ziert: Die Dominanz des Rohstoffex-ports angesichts hoher Ölpreise mache andere Wirtschaftsbereiche de facto konkurrenzunfähig. „Der Verfall der anderen Branchen begann Anfang der 2000er-Jahre und schritt mit der Zeit voran. Genau deswegen ist auch die Abhängigkeit der russischen Wirt-schaft vom Öl gestiegen“, erläutert er.Denn nicht nur der Ölpreis wirke sich auf das BIP aus. „Für die Entwick-lung des BIP spielen auch der Wech-selkurs, die Steuerbelastung und der Kapitalabfl uss eine wichtige Rolle“, sagt Herstanow. Andererseits hätten auch die Sanktionen gegen Russland

Entwicklung des Ölpreises (Brent) in US-Dollar 2008–2015

ALEXEJ LOSSAN RBTH

Russlands Staatshaushalt droht wegen

des Ölpreisverfalls ein Milliardenloch.

Lediglich die Etats für Verteidigung

und Sozialleistungen sollen von den

Sparmaßnahmen verschont bleiben.

Das Loch ist gewaltig. Etwa 39,7 Mil-liarden Euro – um diesen Betrag wird das Budget des russischen Staatshaus-halts 2015 geringer ausfallen, damit beträgt es nur noch etwa 159 Milli-arden Euro. Grund dafür sind vor allem die weltweit niedrigen Preise für Energieträger. Diese Zahlen verkündete Russlands Finanzminister Anton Siluanow auf dem Gaidar-Wirtschaftsforum in Moskau. Das Finanzministerium will versuchen, das Haushaltsdefizit in einem Rahmen von zwei bis drei Pro-zent des Bruttoinlandsprodukts zu halten und hat deshalb angekündigt, die Ausgaben um zehn Prozent zu re-duzieren. Die beiden größten Posten des russischen Staatshaushalts, die Etats für Verteidigung und Sozial-ausgaben, sollen dabei allerdings nicht angetastet werden.Xenija Judajewa, stellvertretende Vor-sitzende der russischen Zentralbank, nannte auf dem Gaidar-Forum zwei Entwicklungen, die zur Herausforde-rung für Russlands Staatshaushalt

Haushaltskürzung: Regierung muss den Gürtel enger schnallen

STAATSFINANZEN Russlands Finanzminister Anton Siluanow verordnet Sparkurs

und gleichermaßen für die Wirtschaft geworden sind: den Ölpreisverfall und die Rubelkrise. Die russische Wirt-schaft brauche Zeit, sich diesen Ent-wicklungen anzupassen, sagte Juda-jewa. Dabei gelte: „Je schneller wir die Periode der Anpassung durchlau-fen, desto besser kann sich unsere Wirtschaft unter den neuen Vorzei-chen weiterentwickeln.“

Strukturelles UngleichgewichtTatjana Golikowa, Vorsitzende der Rechnungskammer der Russischen Föderation, einer einfl ussreichen Ins-titution zur Finanz- und Ausgaben-kontrolle, sprach sich gegen Haus-haltskürzungen aus. „Im ersten Quar-tal 2015 erscheint es sinnvoll, keine Korrekturen am russischen Haushalt vorzunehmen“, sagte Golikowa in Moskau und erklärte: „Wir brauchen diese Zeit, um objektive Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung im Jahr 2014 zu erhalten.“Die Zahlen zeigten zudem, dass trotz bestehender Schwierigkeiten auch neue Einnahmequellen geschaffen worden seien. „Damit der Haushalts-plan eingehalten werden kann, wurde ein Anti-Krisen-Fonds eingerichtet“, berichtete sie. Sie gab zu bedenken, dass Kürzungen, die den Verteidi-gungsetat und die Sozialausgaben außen vor ließen, zu einem noch deut-

licheren Missverhältnis der Ausga-benverteilung führen würden. „Der-zeit entfallen 76 Prozent der Ausga-ben des föderalen Haushalts auf diese beiden Bereiche. Nach den geplanten Kürzungen bleiben sie unangetastet. Deshalb wird die Struktur des Haus-halts noch unausgeglichener sein“, warnte Golikowa.Experten sehen indes keine Alterna-tive zu dem Sparprogramm. „Im Fi-nanzministerium sorgt man sich um die Erfüllung der Haushaltsvorgaben. Daher sind Kürzungen unerlässlich und nicht die schlechteste Option“, meint Ilja Balakirew, Chefanalyst der Investmentgesellschaft UFS, und fügt hinzu: „Die Alternative wäre eine Ein-nahmensteigerung, aber das würde Steuererhöhungen bedeuten und wäre eine größere Belastung für Bürger und Unternehmen.“ Stattdessen schlägt er vor, „zweifelhafte Projekte“, wie er sie nennt, zurückzustellen, etwa „die Erschließung der Arktis oder die

steigenden Rüstungsaufträge“. Ande-rerseits mache die russische Rüs-tungsindustrie große Entwicklungs-fortschritte, was zur Importsubstitu-tion beitrage. Weitere Investitionen in die Rüstungsindustrie würden helfen, den Importersatz im Bereich der Hochtechnologie noch schneller vor-anzutreiben, glaubt Balakirew.Anton Soroko, Analyst bei Finam Ma-nagement, sieht noch einen weiteren Grund, warum der Verteidigungsetat nicht von den Kürzungen betroffen ist. Die Höhe der Ausgaben für Ver-teidigung sei von strategischer Bedeu-tung und daher eine politische Ent-scheidung, erläutert er. Daran kön-nen auch die Finanzbehörden nicht rütteln. In den Bereichen Bildung und Gesundheit seien Kürzungen jedoch kritisch, wie Soroko weiter anmerkt. Er schlägt vor, sich um eine Effekti-vitätssteigerung der Ausgaben zu be-mühen: „Jeder eingesetzte Rubel muss sich mehrfach auszahlen!“

ALEXEJ LOSSAN RBTH

Aktuelle Wirtschaftsprognosen lassen

die Erinnerungen an den Einbruch von

2008/2009 wach werden. Dabei

könnte die Lage heute sogar ernster

sein als bei der letzten Krise.

2008 war Russland eines von vielen Krisen-ländern. Heu-te kommt zur Wirtschafts-krise der internatio-nale Druck hinzu.

In der ers-ten Woche des Jahres 2015 sanken die Ölprei-se unter 50 US-Dollar pro Barrel.

Experten sehen keine Alternative zum Spa-ren. Höhere Steuern wür-den Bürger und Firmen zusätzlich belasten.

ZITAT

ANTON SILUANOW,RUSSLANDS FINANZMINISTER

Der russische Haushalt wird 2015 39,7 Mil-liarden Euro weniger ver-buchen auch aufgrund des Preisverfalls für Energie-träger.

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QUELLE: YANDEX.RU/QUOTES

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5Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

DAS THEMA

Freitag, 6. Februar 2015

Infl ation in Russland 1991–2014 (in Prozent gegenüber dem Vorjahr)

Infl ation in Russland 2014

Nach Angaben der Statistik-behördeRosstat sind Obst und Gemüse um 22 Prozent teurer geworden, Fisch um 19 Prozent und Fleisch und Gefl ügel um satte 21 Prozent.

MARIA KARNAUCHRBTH

Der gestiegene Dollarkurs hat die

Russen härter getroffen, als sie ahnen

konnten: Vor allem Lebensmittel,

Kleidung und Haushaltsgeräte sind

teurer geworden.

Die Preise vieler Waren sind 2014 schneller gestiegen als die Infl ations-rate, die die Statistikbehörde Ros-stat mit 11,4 Prozent beziffert hat. So legten Lebensmittelpreise im Schnitt um 15,4 Prozent zu. Zum Hö-hepunkt des Anstiegs kam es im Dezember, als auch die stärksten Schwankungen der Währungskurse registriert wurden. Experten erklä-ren dies durch die starke Abhängig-keit Russlands vom Import.Nach Angaben von Rosstat sind Obst und Gemüse um 22 Prozent teurer geworden. Im Winter wird für ge-wöhnlich das meiste Obst und Ge-müse importiert. Wegen der von Russ-land eingeführten Sanktionen haben viele ein Defi zit auf dem Markt er-wartet, erklärt Julia Maruewa, Part-ner von Nielsen Russia. Das hat die Preise für importiertes Obst und Ge-müse in die Höhe getrieben. Fleisch und Gefl ügel sind um 20,1 Prozent teurer geworden, womit sie die Infl a-tionsrate um fast das Doppelte über-treffen. Die Preise für Fisch sind um 19,1 Prozent gestiegen. Hierbei spielt ebenfalls das Embargo für europäi-schen Fisch sowie Gerüchte über ein bevorstehendes Defi zit eine Rolle. Die Preise für Milch und Milchprodukte sind im vergangenen Jahr um 14,4 Prozent gestiegen.„Neben der Unsicherheit heizen auch die gestiegenen Rohstoffkosten der Hersteller, die nicht selten ihre Vor-produkte aus dem Ausland beziehen, die Infl ation an. Hier wirken sich der starke Rückgang des Rubelkurses und

Das Leben der Russen wird deutlich teurerPREISE steigen nicht nur bei importierten Gütern und Lebensmitteln

die gestiegenen Preise der Rohstoff-lieferanten besonders negativ aus“, er-klärt Julia Maruewa.Den größten Preisanstieg gab es im Dezember, als der Rubel gegenüber dem Dollar und dem Euro dramatisch an Wert verlor. Den Nachhall dessen spürten die Konsumenten in den ers-ten zehn Tagen des neuen Jahres. Während der russischen Weihnachts-ferien wurden die Lebensmittel noch einmal um vier bis zehn Prozent teurer.Die Teuerung hat bereits auch die Re-gierung auf den Plan gerufen. Pre-mierminister Dimitrij Medwedjew wies die zuständigen Beamten an, keine „ungerechtfertigten Preiserhö-hungen“ zuzulassen. Gegen den „gren-zenlosen“ Preisanstieg müssten die Strafverfolgungsbehörden und der Antimonopoldienst Russlands konse-quent ankämpfen.

Fernseher als GeldanlageWeil der Rubelkurs gefallen ist, sind auch importierte Elektroartikel und elektronische Haushaltswahren teu-rer geworden. „Im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation und der instabilen nationalen Währung sind die Preise seit Beginn 2014 um 30 bis 40 Prozent gestiegen“, heißt es bei M.Video, einem der größten rus-sischen Elektronikmärkte. „Zurzeit sind die Preise aber stabil auf dem Niveau von Ende 2014.“Angesichts des großen Preissprungs haben sich die Verkaufszahlen bei M.Video im Dezember zum Vorjah-resmonat mehr als verdoppelt. Viele Russen versuchten mit dem Kauf von Elektogeräten zumindest einen Teil ihrer Rubel-Ersparnisse zu retten. Andere, die bereits Dollars auf der hohen Kante hatten, witterten dage-gen ein lukratives Geschäft, weil die Preisentwicklung dem Dollarkurs hinterherhinkt.

Doch schon im Januar haben einige ihren Impulskauf bereut und versu-chen nun, die Geräte wieder zurück-zugeben. Wie bei M.Video bestätigt wurde, gibt es im Moment mehr Rück-gaben als noch vor einem Jahr, auch wenn man noch nicht von einer Mas-sentendenz sprechen kann. Andere versuchen, die Waren im Netz wieder zu Geld zu machen.

Kleider werden besonders teuerDer hohe Dollarkurs wirkte sich auch auf die Modebranche aus. Laut Darja Jaderny, Direktorin der Analyseab-teilung der EsperGroup, sind die Prei-se für Kleidung im Marktdurchschnitt seit Mitte Dezember um 16,4 Prozent gestiegen. Einige Hersteller, zum Bei-spiel Zara (Anstieg um 27 Prozent) und Massimo Dutti (Anstieg um mehr als 30 Prozent), liegen sogar noch weit darüber. „Sowohl ausländische als auch russische Hersteller haben die Preise angehoben, russische Herstel-ler lassen auch hauptsächlich im Aus-land produzieren, meist in China“, er-klärt die Expertin. „Außerdem kau-fen russische Unternehmen Rohstoffe

und die Ausrüstung für ihre Fabriken im Ausland.“Die Experten sehen das Ende der Preisspirale noch nicht erreicht und sagen einen weiteren Anstieg der In-fl ationsrate voraus. Die Situation könn-te sich lediglich durch eine spürbare Stabilisierung des Wechselkurses der Landeswährung ändern. Preisregu-lierungen dürften dagegen wenig ef-fektiv sein.

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beträgt der Ölpreis, der dem ursprünglichen Haushalt für das laufende Jahr zugrunde liegt.

beträgt in etwa der Anteil der Einkünfte aus dem Energiesektor am föderalen Haushalt.

könnte laut Wirtschafts-minister Uljukajew das BIP bei einem Ölpreis von 60 US-Dollar sinken.

96$ 50% -3%ZAHLEN

SHUTTERSTOCK/LEGION-MEDIA

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QUELLE: ROSSTAT

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6Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

MEINUNG

Freitag, 6. Februar 2015

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES (RBTH) IST EIN INTERNATIONALES MEDIENPROJEKT, DAS VON DEM VERLAG ROSSIJSKAJA GASETA FINANZIELL UNTERSTÜTZT WIRD. RBTH WIRD AUS ANZEIGENGESCHÄFTEN UND SPONSORING SOWIE ZUSCHÜSSEN VON STAATLICHEN BEHÖRDEN IN RUSSLAND FINANZIERT. DIE REDAKTION VON RBTH IST UNABHÄNGIG UND HAT ZUM ZIEL, DEN LESERN EIN MÖGLICHST BREITES SPEKTRUM AN EXPERTENMEINUNGEN ÜBER DIE ROLLE RUSSLANDS IN DER WELT UND ZU EREIGNISSEN INNERHALB RUSSLANDS ZU BIETEN. DABEI IST DIE REDAKTION BEMÜHT, HÖCHSTEN JOURNALISTISCHEN ANSPRÜCHEN ZU GENÜGEN. SO SOLL EINE WICHTIGE LÜCKE IN DER INTERNATIONALEN MEDIENBERICHTERSTATTUNG GESCHLOSSEN WERDEN. DIE PRINTBEILAGEN VON RBTH ERSCHEINEN WELTWEIT IN 26 RENOMMIERTEN ZEITUNGEN IN 23 LÄNDERN UND IN 16 SPRACHEN. AUSSERDEM

GEHÖREN ZU RBTH 19 ONLINEAUSGABEN IN 16 SPRACHEN. BEI FRAGEN UND ANREGUNGEN WENDEN SIE SICH BITTE AN: [email protected] ROSSIJSKAJA GASETA VERLAG, UL. PRAWDY 24 STR. 4, 125993 MOSKAU, RUSSISCHE FÖDERATION, TEL. +7 495 775-3114, FAX +7 495 988-9213 HERAUSGEBER: JEWGENIJ ABOW CHEFREDAKTEUR VON RBTH: PAVEL GOLUB CHEFREDAKTEURIN DER DEUTSCHEN UND LUXEMBURGER AUSGABE: JEKATERINA IWANOWA REDAKTIONSASSISTENZ: JULIA SCHEWELKINA COMMERCIAL DIRECTOR: JULIA GOLIKOVA ANZEIGEN: [email protected] ARTDIRECTOR: ANDREJ SCHIMARSKIY PRODUKTIONSLEITUNG: MILLA DOMOGATSKAJA LAYOUT: ILJA OWTSCHARENKO LEITER BILDREDAKTION: ANDREJ SAJZEWVERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT: JEKATERINA IWANOWA, ZU ERREICHEN ÜBER RBTH-REPRÄSENTANZ DEUTSCHLAND C/O KAISERCOMMUNICATION GMBH, ZIMMERSTRASSE 79–80, 10117 BERLINCOPYRIGHT © FGUB ROSSIJSKAJA GASETA, 2014. ALLE RECHTE VORBEHALTENAUFSICHTSRATSVORSITZENDER: ALEXANDER GORBENKO GESCHÄFTSFÜHRER: PAWEL NEGOJZA CHEFREDAKTEUR: WLADISLAW FRONIN ALLE IN RUSSIA BEYOND THE HEADLINES VERÖFFENTLICHTEN INHALTE SIND URHEBERRECHTLICH GESCHÜTZT. NACHDRUCK NUR MIT GENEHMIGUNG DER REDAKTION

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DAS JAHR WIRD SCHMERZHAFT

RUBELKRISE LÄSST RUSSEN WEITGEHEND KALT

KONSTANTINKORISCHTSCHENKOÖKONOM

GEORGIJBOWTPOLITOLOGE

Leiter des Lehrstuhls für Fondsmärkte und Finanzinstru-mente an der Rus-sischen Akademie für Volkswirtschaft und öff entlichen Dienst

Russischer Polito-loge und Journalist bei der unabhän-gigen Online-Zei-tung Gazeta.ru

Der Kursverlust des Rubels von fast 50 Prozent gegenüber den gängigen Währungen bereitet nicht nur den Konsumenten

Probleme, sondern auch westlichen Fir-men. Deshalb ist es sinnvoll herauszu-fi nden, womit die russische Wirtschaft 2015 rechnen muss. Um diese Frage be-antworten zu können, sollte man sich daran erinnern, wie sich Russlands Wirt-schaft in den vergangenen Jahren ent-wickelt hat.Während der zehn Jahre zwischen 2003 und 2013 nahm der Realwert des Ru-bels um nahezu 45 Prozent zu – das ist ein beachtlicher Wert. Im Vergleich dazu verteuerten sich die National-währungen der wachstumsstarken Länder wie China und Indien nur um zehn Prozent. Allerdings stieg dort das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner wesentlich schneller als in Russland. Während in diesem Zeitraum der An-stieg des Bruttoinlandsproduktes in Russland rund 85 Prozent betrug, waren es in China 206 Prozent und in Indien immerhin noch 120 Prozent.Russland vermochte den Lebensstan-dard vor allem durch die Stärkung sei-ner Nationalwährung und schnell stei-gende Löhne zu heben. Aber diese Si-tuation konnte nicht ewig währen: Die stärkere Währung und die hohen Fer-tigungskosten ließen die internationa-le Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sinken. Deshalb setzte 2012 ein zu-nehmend negativer Trend ein, der zu einer geringeren Rentabilität in sämt-lichen Wirtschaftsbereichen, mit Aus-nahme der Petrochemie, zu schrump-fenden Investitionen und einem Ab-klingen des Reallohnanstiegs führte. Unterm Strich entwickelte sich die rus-sische Wirtschaft in jeder Hinsicht we-sentlich langsamer als zuvor.2014 verschärfte sich die Situation auf-grund der zunehmenden geopolitischen Spannungen, der Sanktionen, des Weg-falls der Außenmärkte und des erheb-lichen Kapitalabfl usses ins Ausland. Im Sommer gesellte sich dann auch noch der rapide Verfall des Erdölprei-ses hinzu. Es war nun nicht länger möglich, den Rubelkurs weiterhin auf seinem relativ hohen Niveau zu hal-ten. Als dann zur Politik einer frei fl oa-tenden Währung übergegangen wurde, begann der Rubel rasant zu fallen.

Der Dezember war ein wilder Monat für den Rubel. Zehn- oder gar 20-prozentige Kurs-schwankungen an einem Han-

delstag würden für viele andere Länder wohl einer Katastrophe gleichkommen. Die jeweilige Regierung würde wahr-scheinlich zum Rücktritt gezwungen werden und es käme zu Tumulten unter der Bevölkerung. Von außen betrachtet könnte man mei-nen, auch das verarmte russische Volk müsse auf die Straße gehen, und der Präsident könnte gezwungen sein, Med-wedjews Kabinett zu opfern. Es ge-schieht jedoch nichts dergleichen. Um die Gelassenheit der Russen zu verste-hen, genügt ein Blick auf die vergan-genen Jahrzehnte: In diesem Zeitraum hat das Land gleich mehrere Abwer-tungen des Rubels überstanden. So war beispielsweise die Situation 1998 viel schlimmer als gegenwärtig. Die letzte große Abwertung liegt gerade einmal sechs Jahre zurück. Nie hat das bisher zu irgendwelchen spürbaren sozialen

2015 wird Russlands Bevölkerung weniger konsumieren.

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Ein Großteil der Russen lebt in einer Rubelwelt und kommt mit ausländischer Währung nicht in Berührung.

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Von den äußeren Faktoren ist zunächst vor allem der Erdölpreis relevant. Wenn dieser nicht weiter fällt und sich auf einem bestimmten Niveau einpendeln sollte, dürfte dies das erste Anzeichen einer Kehrtwende der Wirtschaft sein. Die meisten Analysten stimmen darin überein, dass sich die Nachfrage nach Erdöl an der Entwicklung der Welt-wirtschaft ausrichtet. So war es in der Vergangenheit, so ist es gegenwärtig, und so wird es auch in Zukunft sein. Ein Rückgang der Nachfrage oder ein sprunghaft ansteigendes Angebot wie gegenwärtig durch das Schieferöl der USA sind lediglich eine vorübergehen-de Erscheinung – langfristig jedoch wird der Erdölpreis steigen. Und in dem Maße, wie sich der Erdölpreis sta-bilisieren wird, wird sich auch der Ru-belkurs wieder erholen.Zweitens wird die Politik der Zentral-banken Einfl uss auf die russische Wirt-schaft haben. Während in Japan die Notenpresse weiter auf Hochtouren läuft und innerhalb der EZB der ge-plante Aufkauf von Staatsanleihen auf den Widerstand Deutschlands stößt,

nimmt in den USA im Gegensatz dazu der Prozess der Abschöpfung „über-fl üssiger“ Liquidität vom Markt immer mehr an Fahrt auf. Das wird den Euro und den Yen gegenüber dem US-Dol-lar auch in der nächsten Zeit höchst-wahrscheinlich noch weiter schwä-chen. Zieht man in Betracht, dass die wichtigsten Exportgüter immer noch in US-Dollar gehandelt werden, wird dies den Druck auf die Rohstoffprei-se erhöhen.Innerhalb der russischen Wirtschaft wird der Kampf der Moskauer Zen-tralbank gegen die Infl ation und für die Stabilisierung des Rubels die Mög-lichkeit eines Wirtschaftswachstums drastisch einschränken. Das hängt damit zusammen, dass unter den Be-dingungen einer frei fl oatenden Wäh-rung die Geldemission und die Zins-rate die Hauptsteuerinstrumente sind. Gegenwärtig sind Einschränkungen bei der Kreditvergabe und entspre-chend hohe Zinssätze zu beobachten. Eine solche Politik verhindert tatsäch-lich das Aufflammen der Infl ation und hält die Spekulanten im Zaum. Aber

sie verhindert auch den Zufl uss fri-schen Kapitals in die Wirtschaft. In-folgedessen werden die Unternehmen, da ihnen der Zugang zu Krediten vor-erst versperrt bleibt, ihre Investitions-projekte einfrieren und sich um eine Senkung vor allem der Fertigungskos-ten bemühen.Unterm Strich wird das Jahr 2015 für Russland also eher ein weiteres Ab-fl auen der Wirtschaftsaktivitäten mit sich bringen. Die Unternehmen müs-sen sich in diesem Jahr an die neuen Bedingungen anpassen, die sonst eher kauffreudige Bevölkerung wird ihren Konsum einschränken. Dennoch kann man dies als eine unumgängliche Etap-pe beim Übergang von der durch den Export von Erdöl und Erdgas gepräg-ten Wirtschaft zur Wirtschaft eines ausgeglichenen und nachhaltigen Wachstums ansehen. Leider zeigt die Erfahrung anderer Länder, dass ein solcher Transformationsprozess sehr schmerzhaft verlaufen kann. Aber der aktive Einsatz von Marktmechanis-men kann diese negative Phase erheb-lich verkürzen.

und erst recht nicht politischen Pro-testen geführt – selbst nicht zu Zeiten, als die Opposition wesentlich stärker und besser organisiert war.Ein wichtiger Grund für die entspann-te Reaktion der Russen liegt darin, dass ein Großteil der Bevölkerung aus-schließlich in einer „Rubelwelt“ lebt und mit ausländischen Währungen nicht in Berührung kommt. Die Spar-einlagen der Bürger bei russischen Ban-ken haben gegenwärtig ein Gesamtvo-lumen von etwa 16,8 Billionen Rubel (225 Milliarden Euro). Dabei sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass der allergrößte Teil dieser beachtlichen Ein-lagen einem relativ kleinen Teil der Be-völkerung gehört. 71 Prozent verfügen, Umfragen zufolge, über keinerlei Spar-guthaben. Ein Sparkonto in der einen oder anderen Form, und dabei ist nicht nur die Rede von Girokonten, auf die das Gehalt überwiesen wird und von denen man Geld am Geldautomaten abheben kann, besitzen lediglich zehn Prozent der Bevölkerung.

Eine „Sparrücklage“ beginnt im Ver-ständnis des Durchschnittsrussen bei dem relativ bescheidenen Betrag von 250.000 Rubel (etwa 3500 Euro). Viele bewahren ihre Ersparnisse zu Hause auf, vor allem wenn eine größere In-vestition bevorsteht. In Fremdwährun-gen legen, so die Ergebnisse verschie-dener Umfragen, ihr Geld nur vier bis sieben Prozent der Bevölkerung an.Natürlich interessieren sich die Leute für den Umtauschkurs. Sie tun das aber äußerst distanziert, als ob die Gescheh-nisse in erster Linie nur die „satten Moskauer“ oder schlicht nur die Rei-chen beträfen. Natürlich spüren Aus-landsreisende die Abwertung auch. Aber einen Reisepass besitzen lediglich 15 Prozent der Bevölkerung, und davon fährt der überwiegende Teil lediglich einmal im Jahr nach Ägypten oder in die Türkei. Nur zwischen drei und fünf Prozent der Bevölkerung reist regel-mäßig in den Westen.Der Verfall des Rubels wirkt sich in Russland natürlich in Form von Preis-

anstiegen aus, und dieser Trend wird in den nächsten Monaten noch zuneh-men. Fällt der Rubel gegenüber dem US-Dollar um zehn Prozent, verursacht dies allerdings lediglich ein Prozent an Infl ation. Der rasante Preisanstieg ist selbstverschuldet – durch eine Wirt-schaft, die unzureichend diversifi ziert, die monopolisiert und kaum wettbe-werbsfähig ist. Aber selbst ein Preis-anstieg von 20 bis 30 Prozent treibt die Menschen nicht auf die Straße, weil diese Erscheinung für Russland abso-lut nichts Neues oder Ungewöhnliches darstellt.Die gegenwärtige Situation unterschei-det sich von vorherigen Währungskri-sen zudem darin, dass der Präsident und die Regierung ein für die postsow-jetische Zeit beispielloses Vertrauen in der Bevölkerung genießen – besonders vor dem Hintergrund der Konfronta-tion mit dem Westen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist der Überzeugung, dass Russland in diesem Konfl ikt im Recht sei. Gegenwärtig ver-trauen mindestens 80 Prozent der Rus-sen dem Präsidenten. So besagen es Umfragen des Lewada-Zentrums von Ende November. Damit hat das Ver-trauen der Bevölkerung innerhalb eines Jahres um 50 Prozent zugenommen. Die Zahl derer, die glauben, dass Wladi-mir Putin kein Vertrauen verdiene, fi el innerhalb desselben Zeitraums von zwölf auf vier Prozent.

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7Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

KUNST

Freitag, 6. Februar 2015

NATALJA PREBLAGINA TASS

Tschaikowskis Ballett „Schwanensee“

wurde 1877 uraufgeführt und floppte

promt. Erst eine überarbeitete Version

aus dem Jahr 1895 brachte den Erfolg

– der bis heute ungebrochen anhält.

Ende Januar 1895 wurde das heute le-gendäre Ballett „Schwanensee“ von Peter Tschaikowski erstmals im Pe-tersburger Mariinski-Theater aufge-führt. Die Inszenierung von Marius Petipa und Lew Iwanow war nicht der erste Versuch einer Umsetzung, aber diejenige, die den weltweiten Sieges-zug des Werkes einleitete. In den da-rauffolgenden 120 Jahren sollte sich „Schwanensee“ zum meistinszenierten Ballett der Welt entwickeln. Die Uraufführung fand unter der Regie von Wenzel Reisinger am 4. März 1877 auf der Bühne des Moskauer Bolschoi-Theaters statt. Doch die Inszenierung hatte bei den Zuschauern kaum Er-folg und wurde bald wieder aus dem Programm genommen. Anfang der 1890er Jahre schrieb der Choreograph Marius Petipa das Li-bretto gemeinsam mit dem Bruder von Peter Tschaikowski um. Mithilfe des Komponisten Riccardo Drigo wurde auch die Partitur überarbeitet. Peti-pa und Lew Iwanow nahmen sich schließlich gemeinsam der Inszenie-rung an. Die Premiere fand im Jahr 1895 anlässlich einer Benefi zvorstel-lung der bekannten Sankt Petersbur-ger Ballerina Pierina Legnani statt. Ihr Partner war Pawel Gerdt, der an-schließend viele Jahre die Rolle des Siegfried auf der Bühne des Mariins-ki-Theaters tanzte. „Das Ballettwun-der entstand aus einem geglückten Zu-sammenspiel der autarken Musik Peter Tschaikowskis und der dramaturgisch akribischen Choreographie von Peti-pa und Iwanow“, sagt Olga Makarowa aus der Verlagsabteilung des Mariins-ki-Theaters. Zeitgenössische Aufführungen unter-scheiden sich jedoch gravierend von den ersten Inszenierungen. Ende des

BALLETT Die legendäre Inszenierung des „Schwanensee“ 1895 im Mariinski-Theater Sankt Petersburg hat bis heute Gültigkeit

19. Jahrhunderts führten Männer im klassischen Tanz keine komplizierten Sprünge aus. Die Tänzer liefen meist in schönen Schritten über die Bühne, nahmen elegante Posen ein und stütz-ten bei Bedarf die alle überstrahlende Primaballerina. Die Tänzerinnen ih-rerseits sahen ebenfalls anders aus: Sie trugen bis zum Hals zugeknöpfte Kos-tüme und durften die Beine auf der Bühne nicht allzu hoch schwingen – dies galt als anstößig.

Das Ballett aller BalletteDas Sujet von „Schnanensee“ wurde im Laufe der Zeit gleich mehrmals überarbeitet. In den 1930er Jahren setzte die legendäre Primaballerina und Choreographin Agrippina Waga-nowa soziale Akzente und änderte das Libretto von Grund auf. In ihrer Ins-zenierung war Rotbart kein böser Zau-berer mehr, sondern ein verarmter Baron, der seine Tochter verheiraten wollte und nach einer guten Partie für sie suchte. Am Ende erlag Odette einem Schuss von Rotbart, und Siegfried er-stach sich mit einem Dolch.1950 entstand eine neue Fassung des Choreographen Konstantin Sergejew, und zwar erstmals mit einem Happy End. Während Odette und Siegfried in früheren Interpretationen von den stürmischen Wellen des Sees ver-schlungen wurden, besiegte Siegfried in der neuen Inszenierung den Zau-berer in einem Zweikampf, indem er ihm einen Flügel abriss und somit der Macht des Bösen ein Ende setzte. Sergejew knüpfte an die Choreogra-phie von Petipa und Iwanow an, baute jedoch in die Tanznummern Elemente des zeitgenössischen Balletts ein. Seine Inszenierung läuft am Mariinski-The-ater bis heute. Der große George Balanchine bezeich-nete „Schwanensee“ als Visitenkarte des russischen Balletts und scherzte: „Man sollte alle Ballette ‚Schwanen-see‘ nennen. Das Publikum würde immer kommen.“ Die Rolle der Odette-Odile tanzten zu verschiedenen Zei-ten herausragende Ballerinen wie An-

na Pawlowa und Galina Ulanowa. „Schwanensee“ ist nach wie vor das am häufi gsten auf dem Spielplan ste-hende Ballett des Mariinski-Theaters. Jede Aufführung ist ausverkauft. Wenn ausländische Vermittler das Mariins-ki-Ballett auf Gastspielreisen einlad-en, bitten sie meistens darum, den „Schwanensee“ mitzubringen.

Symbol des Putsches von 1991Für die Bevölkerung des postsowje-tischen Raumes ist „Schwanensee“ zu einem Symbol des Putsches von 1991 geworden. Am 19. August ertönte im Rundfunk nur klassische Musik, und im Fernsehen lief ununterbrochen das Hauptballett der Sowjetära – eine Aufzeichnung der Inszenierung am Bolschoi-Theater. Zuvor war so etwas nur beim Tod eines Staatschefs vor-gekommen, aber an jenem Tag wurde ein Staatsstreich begangen. Der Ver-such, Michail Gorbatschow gewaltsam seines Amtes als Präsident der UdSSR zu entheben, und die Torpedierung des neuen Unionsvertrages – all dies wurde für die Sowjetbürger mit der Tschai-kowski-Musik überspielt.Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Nachrichtenagentur ITAR-TASS.

Der Schwanfeiert 120-jähriges Jubiläum

Primaballerina Diana Wischnjowa als Odetta;unten: die be-rühmte Peters-burger Ballerina Pierina Legnani; Bühnenbild zum „Schwanensee“ der Aufführung von 1895 im Mariinski Theater

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Russisches Ballett genießt weltweit einen hervorragenden Ruf. Was auf der Bühne so leicht aussieht, ist das Ergebnis harter Arbeit. Nur wenige der Ballettschülerinnen schaff en es bis an die Spitze. Und mit Ende 30 endet die Karriere bereits wieder. Weiter lesen Sie auf unserer Webseite:de.rbth.com/32333

Arbeitsmigration nach Russland geht zurück

de.rbth.com/32655 de.rbth.com/32585 de.rbth.com/32379

Ukraine und Russland ringen

um Identität

Surgut: Öl, Ski und

Rentierreiten

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PRESSEBILD

© ARTEM JITENEV / RIA NOVOSTI

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8Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

FILM

Freitag, 6. Februar 2015

Dreharbeiten zum russischen Block-buster „Stalin-grad“, rechts auf dem Bild Regis-seur Fjodor Bon-dartschuk im Ge-spräch mit einem Darsteller; der Film war die erste 3D-Produktion des russischen Kinos.

DMITRIJ VACHEDIN FÜR RBTH

Die russische Filmindustrie entwickelt

sich widersprüchlich. In diesem Jahr

hat das Land nach langer Zeit wieder

eine aussichtsreiche Oskar-Nomi-

nierung. Das freut längst nicht alle.

Im Februar werden in Berlin Berlina-le-Bären und in Los Angeles Oscars verliehen. Bekommt „Leviathan“ von Andrej Swjaginzew den Oscar für den besten ausländischen Film und wird der Film „Unter Stromwolken“ von Alexej German in Berlin ausgezeich-net, wird man sicherlich von einem großen Erfolg des russischen Kinos sprechen. Wird dies nicht passieren, werden wohl einige Filmkritiker die Situation im russischen Kino als kri-senhaft bezeichnen. Durchbruch und Krise. Erfolg und Sta-gnation. In Wirklichkeit ist die russi-sche Filmindustrie so ambivalent, dass beide Thesen irgendwie stimmen. Je nach Perspektive, je nach den Krite-rien. Doch alles der Reihe nach.

Die Zahlen lassen sich sehenIm europäischen Vergleich schneidet der russische Kinomarkt statistisch gesehen gar nicht schlecht ab: So gibt es in Russland 170 Millionen Kinobe-sucher pro Jahr. Der Umsatz der Film-theater beträgt jährlich etwa eine Mil-liarde Euro. Der Anteil einheimischer Filme liegt bei 18 Prozent. Dominiert wird der Markt wie in vielen ande-ren Ländern von Produktionen aus Hollywood.Man muss zugeben: Russische sowie sowjetische Filme waren nie interna-tionale Kassenhits. „Bei uns ist es ein glücklicher Einzelfall, wenn ein rus-sischer Film überhaupt die Staatsgren-ze überquert und einen beschränkten Verleih im Ausland fi ndet. Noch nie gab es die Situation, dass ein russi-scher Film 100 bis 200 Millionen Dollar im internationalen Verleih kas-sierte“, meint der wohl bekannteste russische Produzent Aleksandr Rod-njanskij. Dennoch schaffen es einzel-ne russische Filme, im Lande die 50-Millionen-Dollar-Marke zu durch-brechen, so auch der Streifen „Stalin-grad“ von Fjodor Bondartschuk.Doch das war vor der Krise. Die Fol-gen der rasanten Schwächung des Rubels sind noch nicht absehbar. Russ-land hat es in den vergangenen Jah-ren geschafft, vor allem in Millionen-städten eine moderne Kinoinfrastruk-tur aufzubauen, die allerdings eher amerikanische Blockbuster als euro-päische Autorenfi lme bedient. Momentan gibt es aber trotz der un-sicheren Zeiten keine Anzeichen dafür, dass Russen massenweise auf die Kino-besuche verzichten würden. In den tra-ditionell sehr langen russischen Weih-

nachtsferien haben die Kinos in die-sem Jahr zehn Prozent mehr Umsatz gemacht als im Vorjahr.

Kein Platz für junge ChaotenGefährlicher als die Krise scheinen manche staatliche Initiativen – wie das Gesetz gegen den Gebrauch von Schimpfwörtern. Viele Filme, beson-ders junge, freche, provokative Werke der jungen Filmemacher – wie „Kom-binat Nadezhda“ von Natalia Mesch-tschaninowa, ein Super-Erfolg beim Filmfestival in Rotterdam – haben auf-grund des Gesetzes keine Chance, in russischen Kinos gezeigt zu werden. So steckt jeder russische Filmemacher jetzt in dem Dilemma, den eigenen Film ausschließlich für Festivals zu produzieren oder ihn durch Eigenzen-sur „kindgerecht“ zu machen.Ein weiterer, nicht weniger fataler Schritt wäre die Quoteneinführung für russische Filme, über die derzeit diskutiert wird. „Bei der 50-Prozent-Quote werden alle russischen Film-theater nach einem Monat dichtge-macht. Bei der 30-Prozent-Quote wer-den wohl manche Kinos überleben, zumindest für ein paar Jahre“, sagt Produzent Sergeij Seljanow. Die Quo-ten wären ein harter Schlag für die Industrie und werden wohl nur ein-treten, wenn der antiwestliche Kurs härter wird. Dennoch hat Russland „weltoffene, aber patriotische Zuschauer“, wie es der Filmkritiker Iwan Kudrjawzew

RUSSISCHES KINO Trotz restriktiver Gesetze und Kritik schafft ein russischer Film seit Langem wieder eine Oscar-Nominierung

Ausge-rechnet der system-kritische Film „Leviathan“ wurde mit staatlichen Geldern unterstützt.

Andrej Swjaginzews „Leviathan“ ist der erfolgreichste russische Film des letzten Jahrzehnts. Nominierungen für Auszeichnungen der European Film Academy, bestes Drehbuch in Cannes, Golden Globe – das ist nur eine unvoll-ständige Aufzählung der Ehrungen. Nun hat Swjaginzews Werk sogar Aussichten, den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ zu gewinnen. „Leviathan“ ist der aktuellste und provo-kanteste Film, der seit Langem in Russ-land gedreht wurde. Es geht darin um den Kampf eines einfachen Handwerkers gegen den Staatsapparat, den Thomas Hobbes einst Leviathan nannte. Doch der Film ist keine bloße Verurteilung des Systems, sondern eine tiefergehen-de Analyse seiner Wurzeln. Die große Fangemeinde des Werks schätzt daran weniger das Porträt von Putins Russland als vielmehr seinen universellen Aus-druck. Wie der Humor, so auch die Lyrik Swjaginzews: Sein philosophischer Blick auf den Stellenwert des Menschen in der Natur und im Kosmos hat allgemeine Gültigkeit und ist länderübergreifend.

„Leviathan“ – mehrfach ausgezeichnet

und im eigenen Land umstritten

Bittersüße Oscar-Träumeformuliert. „Der Zuschauer akzeptiert es nicht, wenn das einheimische Pro-dukt komplett durch das ausländische ersetzt wird“, meint er. Der Markt braucht russische Filme.

Mal wieder sozialInteressant, dass ausgerechnet im Jahr des Schimpfwortgesetzes die russische Kinoindustrie durch neue starke Na-men erstmals richtig „sozial“ wurde: „Die Korrekturklasse“ von Iwan Twer-dowski (umjubelt beim 24. Filmfesti-val des osteuropäischen Films in Cott-bus), wo die Förderklasse in einer rus-sischen Schule für die auf einen Rollstuhl angewiesene Lena zur Hölle wird, das schon erwähnte „Kombinat Nadezhda“, ein verbittertes Porträt einer Provinzstadt im Norden Russ-lands, und nicht zuletzt „Leviathan“ von Andrej Swjaginzew, der den ers-ten Golden Globe für einen russischen Film seit 1969 einheimste und ein hei-ßer Oscar-Kandidat ist.Kein Regisseur seit Nikita Michalkow schaffte es so weit nach oben wie An-drej Swjaginzew. Sein Werk ist in Russland umstritten: für die einen Me-tapher – lupenreiner Realismus für die

anderen. Doch selbst Kulturminister Vladimir Medinskij, ein Anhänger pa-triotischer Kostümdramen, hat vor Kurzem erklärt, dass er sich über den Erfolg von „Leviathan“ in Europa freue. Auch wenn er die Darstellung der Kirche im Film „unterirdisch“ fi ndet. Da das russische Kulturministerium den Film mitfi nanziert hat, darf der Minister das auch als eigenen Erfolg verbuchen. „Ich hoffe, dass der über-aus begabte Andrej Swjaginzew das nächstes Mal einen Film mit unse-rer Unterstützung ohne diese existen-tielle Hoffnungslosigkeit kreiert“, so Medinskij.Ob wirtschaftliche Krise oder ein un-durchsichtiges System der Staatsfi nan-zierung – letztlich wird in Russland ein paralleles System aufgebaut, das jun-gen Autoren starke Debüts ermöglicht. Patriotische Initiativen des Kulturmi-nisteriums beschneiden die künstleri-sche Freiheit, doch gleichzeitig wird der systemkritische Film „Leviathan“ mit Staatsgeldern unterstützt. Das Land isoliert sich und wird zugleich für die Außenwelt immer interessanter. Russ-land bleibt ein Kinoland.

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