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Die Monatszeitschrift Herausgeber: Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr.Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff In dieser Ausgabe: Die auch unter www.juris.de Topthema: Die Abschiebung von aus- reisepflichtigen Ausländern – Ein Blick in die Praxis StVerwDir Dietmar Martini-Emden Haftung von Airbnb für unwirksame Stornierungs- bedingungen Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur. Die rechtliche Stellung sowie Aufgaben des Ver- fahrensbeistands RA’in und Mediatorin Simone Mayer Die Weiterwanderung von Asylsuchenden inner- halb der EU VRi’inVG Dr. Stephanie Gamp M 4 April 2017

2017 Die Monatszeitschrift - juris.de · Nr. 8 Airbnb-NB noch weiter, indem festgelegt wird, dass Airbnb Ireland keine Mitglieder oder Unterkünfte empfehle und zudem keine Gestaltung

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Die Monatszeitschrift

Herausgeber:Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel Holger Radke Prof. Dr. Thomas Voelzke Prof. Dr. Stephan Weth RA Prof. Dr. Christian Winterhoff

In dieser Ausgabe:

Die auch unter www.juris.de

Topthema:

Die Abschiebung von aus-reisepflichtigen Ausländern – Ein Blick in die PraxisStVerwDir Dietmar Martini-Emden

Haftung von Airbnb für unwirksame Stornierungs-bedingungenProf. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur.

Die rechtliche Stellung sowie Aufgaben des Ver-fahrensbeistandsRA’in und Mediatorin Simone Mayer

Die Weiterwanderung von Asylsuchenden inner-halb der EUVRi’inVG Dr. Stephanie Gamp

M 4 April

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INHALT

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Topthema:

Expertengremium:Wolfgang Ball | RA Prof. Dr. Guido Britz | Prof. Dr. Harald Dörig | Dr. Heinz-Jürgen Kalb | Prof. Dr. mult. Michael Martinek | Dr. Wolfram Viefhues

Haftung von Airbnb für unwirksame StornierungsbedingungenProf. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur. S. 134

Die rechtliche Stellung sowie Aufgaben des VerfahrensbeistandsRA’in und Mediatorin Simone Mayer S. 140

Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises beim Online-BankingBGH, Urt. v. 26.01.2016 - XI ZR 91/14RiAG Dr. Frank O. Fischer S. 146

Zu Risiken und Nebenwirkungen im ArbeitskampfBAG, Urt. v. 26.07.2016 - 1 AZR 160/14RA Ulrich Fischer S. 149

Die Abschiebung von ausreisepflichtigen Ausländern – Ein Blick in die PraxisStVerwDir Dietmar Martini-Emden S. 151

Die Weiterwanderung von Asylsuchenden innerhalb der EUVRi’inVG Dr. Stephanie Gamp S. 159

Voraussetzungen und Folgen der RechnungsberichtigungBFH, Urt. v. 20.10.2016 - V R 26/15RiBFH Dr. Gerhard Michel S. 165

Errichtung eines Betriebsgebäudes auf dem Grundstück des Nichtunternehmer-Ehegatten – doppelte AfA ohne Ver steuerung stiller ReservenBFH, Urt. v. 09.03.2016 - X R 46/14RiBFH Dr. Egmont Kulosa S. 167

Zivil- und Wirtschaftsrecht

Arbeitsrecht

Verwaltungsrecht

Steuerrecht

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AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

INHALT

„Firmenbestattung“ und Bankrott -straf barkeitLG Saarbrücken, Urt. v. 26.06.2015 - 2 KLs 23/14Ri‘in Annika Ruppert S. 170

Das Einheitliche Europäische Patent gericht kommt – warum eigentlich?Interview mit RiBGH Dr. Klaus Grabinski S. 173

Lüdtke/Berchtold, SozialgerichtsgesetzRiBSG Dr. Thomas Flint S. 175

Strafrecht

INTERVIEW

BÜCHERSCHAU

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EDITORIAL

Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff,Hamburg

mit diesen Worten gewährleistet Art. 16a Abs. 1 GG das Grundrecht auf Asyl. Allerdings wird die Reichweite des Grundrechtsschutzes durch die nachfolgenden Absätze des Art. 16a GG eingeschränkt, sodass nur die wenigsten An-tragsteller als Asylberechtigte anerkannt werden. Die sich deswegen aufdrängende Frage, wie mit ausreisepflichtigen Ausländern umzugehen ist, wird schon seit längerem kon-trovers diskutiert. In der Vergangenheit erfolgte eine Voll-streckung der Ausreisepflicht durch Abschiebung aus politi-schen Gründen oft gar nicht oder nur bei einem geringen Teil der betroffenen Personen. Doch seit Beginn der Flücht-lingskrise und der Verübung islamistisch motivierter An-schläge in Deutschland steht das Thema Abschiebung weit oben auf der politischen Agenda. Dies ist zum einen der Fall, weil die staatlichen Integrationsbemühungen an-gesichts der großen Zahl der nach Deutschland strömenden Menschen auf die wirklich Schutzbedürftigen konzentriert werden sollten. Und zum anderen muss dafür Sorge getra-gen werden, dass insbesondere von ausreisepflichtigen Islamisten keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus-geht.

Wie zuletzt der durch den ausreisepflichtigen Tunesier Anis Amri verübte Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz gezeigt hat, bestehen bei der Vollziehung der Ausreisepflicht erhebliche Defizite. Beruht dies nur auf praktischen Schwierigkeiten bei der Koopera-tion mit den Herkunftsstaaten, oder ist das deutsche Recht

mitursächlich zumindest für einen Teil der Probleme? Wie ein erfahrener Praktiker, nämlich der langjährige Leiter des Amtes für Ausländerangelegenheiten der Stadt Trier und Stadtverwaltungsdirektor Dietmar Martini-Emden, die Lage beurteilt, erfahren Sie im nun vor Ihnen liegen-den April-Heft der jM. Der Beitrag schildert nicht nur die geltende Rechtslage, sondern illustriert auch, vor welchen praktischen Problemen die zuständigen Behörden bei der Abschiebung von Ausländern stehen. Stichworte sind in-sofern das Problem fehlender Pässe, die zum Teil schwieri-ge Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten, Krankheit als Abschiebungshindernis und die Zulässigkeit von Ab-schiebungshaft. Der Aufsatz von Martini-Emden zeigt darüber hinaus auf, inwiefern das geltende Recht reform-bedürftig ist.

Gewissermaßen einige Schritte früher setzt der Beitrag der Vorsitzenden Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Stepha-nie Gamp zur Weiterwanderung von Asylsuchenden inner-halb der Europäischen Union an. Er widmet sich dem Phä-nomen, dass viele Asylbewerber nicht in dem Mitgliedstaat verbleiben, in dem sie erstmals das Unionsgebiet betreten haben, sondern – teils mehrfach – zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten hin- und herreisen und dort um Schutz nachsuchen. Die sich daraus ergebenden rechtlichen Schwierigkeiten, die durch das sog. Dublin-Verfahren gelöst werden sollen, sind Gegenstand unseres zweiten verwal-tungsrechtlichen Beitrages zum Themenschwerpunkt Aus-länder- und Asylrecht. Der Aufsatz illustriert sowohl die rechtlichen Strukturen als auch die Schwierigkeiten bei der Anwendung der Dublin-Regeln und arbeitet heraus, dass auch in diesem Bereich Reformbedarf besteht.

Weitere Themen des vorliegenden Heftes sind u.a. die Haf-tung von Airbnb, eines Online-Marktplatzes für die Bu-chung und Vermietung von Unterkünften, für unwirksame Stornierungsbedingungen, die Voraussetzungen eines An-scheinsbeweises beim Online-Banking und – in Gestalt unseres Interviews – das geplante europäische Patentge-richt. In dem Interview mit Dr. Klaus Grabinski, Richter am BGH und dort zuständig für Patent- und Gebrauchsmuster-recht, erfahren Sie, warum es künftig eine eigenständige europäische Patentgerichtsbarkeit geben wird, welche Aus-gestaltung derselben geplant ist und welche Auswirkungen die neue Gerichtsbarkeit auf die Rechtspraxis in Deutsch-land haben wird.

Eine interessante Lektüre der April-jM wünscht Ihnen, auch im Namen der anderen Herausgeber und Experten, Ihr

Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht –

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Die Monatszeitschrift

AUFSÄTZE UND ANMERKUNGEN

Zivil- und Wirtschaftsrecht

A. Problemstellung und Überblick

Die Airbnb, Inc. (nachfolgend: Airbnb) mit Sitz in San Fran-cisco betreibt eine gleichnamige Online-Plattform, über welche Zimmer und Wohnungen weltweit angeboten wer-den. Nutzer außerhalb der USA und von China kontrahieren mit Airbnb Ireland UC (nachfolgend: Airbnb Ireland). Für die Zahlungsabwicklung ist Airbnb Payments, Inc. (nachfol-gend: Airbnb Payments) verantwortlich. Zugrunde liegen die Airbnb-Nutzungsbedingungen in der aktuellen Fassung vom 27.10.2016 (nachfolgend: Airbnb-NB) sowie die Airbnb-Zahlungsbedingungen vom selben Tag (nachfol-gend: Airbnb-ZB). Danach soll sich die Rolle von Airbnb da-rauf beschränken, eine Online-Plattform zur Verfügung zu stellen, „über die Gastgeber Inserate zu Unterkünften er-stellen und Gäste sich über Unterkünfte informieren und diese direkt bei den Gastgebern buchen können“ (Nr. 2 Airbnb-NB). Dennoch gibt Airbnb seinen Gastgebern eine verpflichtende Auswahl von vorformulierten Stornierungs-bedingungen vor, aus denen eine Option gewählt werden muss. Daraus resultiert die Problematik, welche Auswirkun-gen die Unwirksamkeit solcher Stornierungsbedingungen nach dem anwendbaren materiellen Recht auf die Rechts-beziehungen des Gastes zu Airbnb hat. Vorgeschaltet sind Rechtsanwendungsfragen, da zumindest mit Airbnb eine außerhalb von Deutschland ansässige Partei beteiligt ist und häufig auch die Unterkunft grenzüberschreitende Be-züge aufweist. Abschließend ist auf Fragen der Rechts-durchsetzung einzugehen.

B. Rechtsbeziehungen

Zu unterscheiden ist zwischen den Rechtsbeziehungen des Gastes zu seinem Gastgeber sowie von Airbnb jeweils zu Gast und Gastgeber. Ausgeblendet bleibt das nicht notwen-dig bestehende Mietverhältnis zwischen dem Gastgeber und seinem Vermieter.1

I. Rechtsverhältnis von Airbnb zu seinen Mitgliedern (Gast und Gastgeber)

1. Airbnb als „neutraler Matchmaker“

Zwischen Airbnb Ireland und ihren Nutzern kommt ein durch die Airbnb-Nutzungsbedingungen ausgestalteter

Nutzungs- bzw. Plattformvertrag zustande. Die Nutzungs-bedingungen von Airbnb Ireland konzipieren das Airbnb-Angebot als schlichte Online-Plattform und Marktplatz, „damit Gäste und Gastgeber sich online treffen und Bu-chungen von Unterkünften direkt untereinander vorneh-men können“ (Nr. 5 Airbnb-NB). Airbnb Ireland sieht sich in der Rolle als neutraler Dritter, als „matchmaker“, der weder Verantwortung für den Inhalt von Inseraten noch die Quali-tät der angebotenen Unterkünfte übernehme. Ausdrücklich heißt es in Nr. 5 Airbnb-NB abschließend: „Alle Buchungen werden dementsprechend auf eigenes Risiko des Mitglieds durchgeführt bzw. akzeptiert.“2 Bestätigt wird diese Ein-ordnung u.a. nochmals unter Nr. 7 Airbnb-NB, wonach die Gastgeber sich damit einverstanden erklären müssen, dass Airbnb weder als ihr Versicherer noch als ihr Vertreter han-dele. Der Vertrag komme ausschließlich zwischen Gast und Gastgeber zustande, „Airbnb ist hierbei keine Partei“ (Nr. 7 Airbnb-NB). Das Neutralitätsgebot verfeinert schließlich Nr. 8 Airbnb-NB noch weiter, indem festgelegt wird, dass Airbnb Ireland keine Mitglieder oder Unterkünfte empfehle und zudem keine Gestaltung der Online-Plattform als eine solche Empfehlung ausgelegt werden könne. Schließlich sieht Nr. 25 Airbnb-NB einen weitreichenden Haftungsaus-schluss für das Verhältnis von Airbnb Ireland zu seinen Mit-gliedern vor; die Nutzung der Plattform erfolge „in ihrem alleinigen Risiko“.3

2. Zahlungsabwicklung

Für die Nutzung der Online-Plattform mittels einer Buchung berechnet Airbnb Ireland Servicegebühren (Nr. 9D Airbnb-NB), die dem Gast zusammen mit der Miete berechnet wer-den. Die Bezahlung im Verhältnis zwischen Gast und Gast-geber wird über Airbnb Payments abgewickelt. Für die Mitglieder ist die Nutzung von Airbnb Payments verpflich-tend (Nr. 6C Airbnb-ZB). Airbnb Payments tritt dabei als In-kassobeauftragter des Gastgebers auf (Nr. 6D Airbnb-ZB). Hat der Gast an Airbnb Payments gezahlt, so soll damit

Haftung von Airbnb für unwirksame Stornierungsbedingungen

Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur.

1 Dazu BGH, Urt. v. 08.01.2014 - VIII ZR 210/13 sowie Solmecke/Len-gersdorf, MMR 2015, 493, 495 (Überblick) und mit Einzelheiten Bueb, ZWE 2016, 207 ff.; zu den bau- und ordnungsrechtlichen Problemen vgl. Schröer/Kullick, NZBau 2013, 624 ff., Schröder, GewA 2015, 392 ff. und Ingold, DÖV 2016, 595 ff.; zur Regulierung in Belgien Terryn, EuCML 2016, 45, 46 f.

2 Im Original in Großbuchstaben.3 Im Original in Großbuchstaben.

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seine Pflicht gegenüber dem Gastgeber zur Entrichtung der „Unterkunftsgebühren“ entfallen (Nr. 6D Airbnb-ZB).

3. Stornierungsbedingungen

Sieht sich Airbnb Ireland zwar nicht als Partei, sondern als neutraler Dritter ohne jegliche Haftung gegenüber seinen Mitgliedern für die angebotenen Unterkünfte an, so hindert dieses Rollenbild Airbnb Ireland dennoch nicht, ihren Mit-gliedern die Stornierungsbedingungen für über die Platt-form geschlossene Mietverträge zu diktieren. Eine bestätig-te Buchung soll vom Gast nur nach den im Inserat vom Gastgeber angegebenen Stornierungsbedingungen stor-niert werden können (Nr. 9E „Stornierung und Rückerstat-tungen“ Abs. 1 Airbnb-NB). Demgegenüber sehen die Nut-zungsbedingungen für die Stornierung einer bestätigten Buchung durch den Gastgeber keinerlei Voraussetzungen, sondern lediglich bestimmte Rechtsfolgen vor (Nr. 9E „Stor-nierung und Rückerstattungen“ Abs. 2 und 3 Airbnb-NB). Airbnb Ireland ist in einem solchen Fall nicht nur befugt, dem Gast die geleisteten Zahlungen zurückzuerstatten, sondern auch „Strafen“ gegen den Gastgeber zu verhän-gen: eine automatisierte negative Bewertung im Profil des Gastgebers, eine Weitervermietungssperre für die betroffe-ne Unterkunft und den betroffenen Zeitraum sowie eine Stornogebühr, die an Airbnb Ireland zu leisten ist. Für das Rechtsverhältnis zwischen Gast und Gastgeber soll die Stornierung hingegen jenseits der Aufhebung des Mietver-trages und der Rückerstattung der Unterkunftsgebühren keine Auswirkungen haben.

Bei der Erstellung eines Inserats muss der Gastgeber zwi-schen drei standardisierten und von Airbnb Ireland formu-lierten Stornierungsbedingungen4 wählen: flexibel, mo-derat oder streng. Für Anmietungen ab 29 Tagen Aufenthalt (Langzeitmiete) gelten Sonderregeln. Wählt der Gastgeber die flexible Variante, kann der Gast ohne Angabe von Grün-den bis einen Tag vor Check-in stornieren und erhält eine volle Rückerstattung abzüglich der Servicegebühr. Airbnb Ireland empfiehlt die flexiblen Stornierungsbedingungen für „Inserate in Deutschland“.5 Bei den moderaten Stornie-rungsbedingungen erhält der Gast eine vollständige Rück-erstattung nur bei einer Stornierung bis fünf Tage vor Check-in, bei einer kürzeren Zeitspanne vor dem Check-in nur einen um die Miete für die erste Nacht und 50 % der Miete für die Folgenächte gekürzten Betrag. Die strengen Stornierungsbedingungen sehen bei einer Stornierung bis sieben Tage vor Check-in eine Rückerstattung von 50 % der Übernachtungskosten vor, danach erfolgt keine Erstattung mehr. Darüber hinaus gehen noch die Stornierungsbedin-gungen bei einer Langzeitmiete. Die Zahlung für den ersten Monat wird bei einer Stornierung nicht erstattet, danach gilt eine Kündigungsfrist von 30 Tagen.

Ergänzt werden die Stornierungsbedingungen durch ein einseitiges Recht von Airbnb Ireland, in bestimmten Kon-stellationen eine Stornierung mit voller Rückerstattung durch den Gast zuzulassen, obwohl eine solche nach den allgemeinen Stornierungsbedingungen nicht eröffnet wäre (Nr. 9E „Stornierung und Rückerstattungen“ Abs. 4 Airbnb-NB). Diese Entscheidung steht im alleinigen Ermessen von Airbnb Ireland, wobei Airbnb Ireland sich über die Richtlinie über außergewöhnliche Umstände6 eine gewisse Selbstbin-dung auferlegt hat. Zu den außergewöhnlichen Umständen werden gezählt: „[u]nerwarteter Todesfall oder schwere Krankheit eines Gastgebers, Gastes oder eines unmittelba-ren Familienmitglieds[; [s]chwere Verletzung, die die Reise-fähigkeit eines Gastes direkt beeinträchtigt oder einen Gastgeber daran hindert, Gäste zu empfangen[;] [a]kute Reisewarnungen oder dringende Sicherheitshinweise, die nach der Buchung von einer geeigneten nationalen oder internationalen Behörde (z. B. von einer Regierungsbehör-de oder einem ihrer Ämter) veröffentlicht wurden; [e]ine ansteckende Krankheit, die von einer renommierten natio-nalen oder internationalen Behörde (z. B. vom US-Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention oder der Welt-gesundheitsorganisation) festgestellt wurde“. Schließlich kann nach der Richtlinie für Rückerstattungen an Gäste („Erstattungsrichtlinie“)7 eine Rückerstattung unabhängig von den allgemeinen Stornierungsbedingungen erfolgen, wenn ein sog. Reiseproblem vorliegt. In der Definition des Begriffs ist ein Katalog enthalten, der sich im Wesentlichen mit Mängeln der Unterkunft befasst.

II. Rechtsverhältnis von Gast und Gastgeber

Zwischen Gast und Gastgeber kommt ein Mietvertrag zu-stande. Nach deutschem Sachrecht stellt die Freigabe des Inserats für die Online-Plattform zunächst nur eine invitatio ad offerendum dar. Der Grund liegt in dem zwischen-geschalteten Anfrageverfahren, wonach der Gastgeber eine über die Online-Plattform abgesendete Buchungsanfrage noch bestätigen muss, bevor die Buchung abgeschlossen ist. Das eigentliche Angebot unterbreitet daher der Gast, wenn er den Buchungsprozess auf der Online-Plattform abge-schlossen hat und die Anfrage absendet. Diese Willenserklä-rung übermittelt sodann Airbnb Ireland als Botin auf der Grundlage des Nutzungsvertrages mit ihren Mitgliedern an den potenziellen Gastgeber. Akzeptiert er die Buchung, liegt

4 Abrufbar unter https://www.Airbnb.de/home/cancellation_policies.5 Damit dürften Inserate zu in Deutschland gelegenen Mietobjekten ge-

meint sein, da grds. der Belegenheitsort der Mietsache kollisionsrecht-lich für das einschlägige Schuldstatut entscheidend ist.

6 Abrufbar unter https://www.Airbnb.de/help/article/1320/what-is-Airbnb-s-extenuating-circumstances-policy.

7 Abrufbar unter https://www.Airbnb.de/terms/guest_refund_policy.

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Die Monatszeitschrift

darin die Annahme des Vertragsangebots. Zu diesem Zeit-punkt kommt der bindende Mietvertrag zustande.8

C. Internationales Privatrecht

I. Plattformvertrag zwischen Airbnb und seinen Mitgliedern

Für den Nutzungsvertrag zwischen Airbnb Ireland und ihren Mitgliedern findet sich in Nr. 33 Airbnb-NB eine Rechts-wahlklausel zugunsten des irischen Rechts. Ausgenommen davon sind ausdrücklich die Verbraucherschutzvorschriften des Landes, in welchem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Die Wahl des irischen Rechts korrespondiert aus Sicht von Airbnb Ireland damit, dass Vertragspartner für Mitglie-der, die weder in den USA noch in China wohnen, nicht Airbnb als Muttergesellschaft, sondern Airbnb Ireland wird (Nr. 1 Abs. 2 Airbnb-NB). Für Nutzer mit europäischem Wohnsitz kommt daher der Nutzungs- bzw. Plattform-vertrag mit Airbnb Ireland zustande.

Grundsätzlich gewährt Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO eine freie Rechtswahl.9 Einschränkungen ergeben sich jedoch gene-rell aus Art. 3 Abs. 3 und 4 Rom I-VO sowie für Verbraucher-verträge aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO. Die Rechtswahl erfasst nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bei reinen Inlandssach-verhalten die zwingenden Vorschriften dieses Staates nicht. Allerdings bestehen Zweifel an einer Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, da der Sitz von Airbnb Ireland in Irland liegt und damit ein hinreichender Auslandsbezug ge-geben sein könnte.10 Einschlägig ist auch nicht Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO, da es sich beim EU-Mitglied Irland nicht um einen Drittstaat im Sinne der Vorschrift handelt.11

Die Rechtswahlfreiheit wird jedoch durch Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO eingeschränkt, sofern das Mitglied von Airbnb Ireland als Verbraucher handelt. Airbnb Ireland ist Unternehmerin i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO12 und richtet – ausweislich der deutschsprachigen Website Airbnb.de und einer deutschsprachigen Hotline – ihre gewerbliche Tätig-keit auch auf Deutschland aus (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b) Rom I-VO). Die Rechtswahl darf daher nicht dazu führen, dass dem Verbraucher ein Schutz entzogen wird, der ihm nach dem Recht zukäme, das ansonsten nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO anzuwenden wäre. Bei einem Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland handelte es sich demzufolge um das deutsche Schuldrecht. Zu den rechts-wahlresistenten Vorschriften des deutschen Schuldrechts zählen u.a. die §§ 305 ff. BGB.13

Hinzu tritt, dass eine Rechtswahlklausel im Anwendungs-bereich von Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO nach der vom EuGH14 gebilligten Auffassung der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung15 hinreichend klar und verständlich

herausstellen muss, in welchem Umfang die Rechtswahl im Lichte von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO eingreift; ansons-ten soll die Klausel wegen Verstoßes gegen das Transpa-renzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) unwirksam sein. In Nr. 33 Airbnb-NB heißt es: „Diese Rechtswahl hat keinen Ein-fluss auf Ihre Rechte als Verbraucher gemäß den Verbrau-cherschutzvorschriften des Landes in dem Sie Ihren Wohn-sitz haben.“ Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO erklärt jedoch nicht nur Verbraucherschutzvorschriften für rechtswahl-resistent, sondern sämtliche nationale Rechtsvorschriften, von denen „nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf“.16 Insofern enthält die Klausel eine inhaltlich unzu-treffende und für den Verbraucher nachteilige Darstellung der Rechtslage, führt damit den Verbraucher in die Irre und ist wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirk-sam. Damit findet im Ergebnis nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO das deutsche Sachrecht auf den Nutzungsvertrag Anwen-dung, sofern ein Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland als Mitglied handelt.

II. Mietvertrag zwischen Gast und Gastgeber

Mangels Rechtswahl findet auf den Mietvertrag zwischen Gast und Gastgeber nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. c) Rom I-VO das Belegenheitsortsrecht der Mietsache Anwendung.17 Bei einem Gast mit Verbrauchereigenschaft und gewöhn-lichem Aufenthalt in Deutschland kann über Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO aber deutsches Mietrecht auch dann Geltung be-anspruchen, wenn die gebuchte Unterkunft außerhalb von Deutschland belegen ist. Häufig treten auf Gastgeberseite keine Gelegenheitsvermieter auf, die klischeehaft ihr priva-tes Gästezimmer (unter-)vermieten und sich eher der Völ-kerverständigung als der Gewinnsteigerung verschrieben haben, sondern professionelle Marktteilnehmer, die zahl-

8 Vgl. zur Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit des geltenden Verbraucher-schutzrechts für diese Transaktionsverträge Terryn, EuCML 2016, 45, 48 ff.

9 Zum anwendbaren Recht auf Plattformverträge bei fehlender Rechts-wahl vgl. Gläser, MMR 2015, 699, 700 f.

10 Vgl. zu den möglichen Anknüpfungspunkten Wendland in: BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rn. 233 ff.

11 Vgl. Wendland in: BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rn. 262.12 Zum Begriff Magnus in: Staudinger, BGB, 2016, Art. 6 Rom I-VO

Rn. 51 ff.13 BGH, Urt. v. 19.07.2012 - I ZR 40/11 Rn. 33.14 EuGH, Urt. v. 28.07.2016 - C-191/15 Rn. 61 ff. - „Amazon“; kritisch

Mankowski, NJW 2016, 2705 ff.15 BGH, Urt. v. 19.07.2012 - I ZR 40/11 Rn. 32 ff.; kritisch Pfeiffer, LMK

2013, 343552.16 EuGH, Urt. v. 28.07.2016 - C-191/15 Rn. 70 - „Amazon“; Rühl in:

BeckOGK, Art. 6 Rom I-VO Rn. 221; Magnus in: Staudinger, BGB, 2016, Art. 6 Rom I-VO Rn. 140.

17 Mak, EuCML 2016, 19, 22 f.

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reiche Wohnungen nur zwecks Vermietung über Online-Plattformen wie Airbnb halten; ihnen kommt die Unterneh-mereigenschaft zu. Wegen der Ausrichtung der genutzten Online-Plattform auch auf Deutschland (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b) Rom I-VO) findet in diesen praktisch nicht selte-nen Fällen deutsches Mietrecht Anwendung. Eine abwei-chende Rechtswahl, die wegen der standardisierten Aus-gestaltung des Buchungsprozesses durch Airbnb Ireland ausgeschlossen ist, unterläge weiterhin den Grenzen aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO.

D. Deutsches Schuldstatut

I. Bedeutung der Airbnb-Nutzungsbedingungen

Technisch stellen die Airbnb-Nutzungsbedingungen Allge-meine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB dar, die unmittelbar den Inhalt des Nutzungs- bzw. Plattform-vertrags regeln. Die Nutzungsbedingungen enthalten je-doch auch zahlreiche Bestimmungen, die sich in ihrer Ziel-richtung nicht auf das plattformvertragliche Verhältnis zwischen Airbnb Ireland als Plattformbetreiberin und den Mitgliedern als Plattformnutzern beschränken, sondern sich auf das mietvertragliche Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber auswirken. Dazu zählen insbesondere die Stor-nierungsbedingungen für Buchungen über Airbnb. Letztere gelangen nicht als bloße Auslegungshilfen für die Transak-tionsverträge zwischen Gast und Gastgeber zum Einsatz,18 sondern die Stornierungsbestimmungen werden ein – von Airbnb Ireland vorgegebener – Teil der mietvertraglichen Einigung.

II. Wirksamkeit der Stornierungsbedingungen

Die Stornierungsbedingungen von Airbnb Ireland, die von den Gastgebern für Vermietungen an ihre Gäste verwendet werden müssen, könnten zum einen gegen § 309 Nr. 5 BGB und zum anderen gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen.

1. Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen

Die Einbehaltung eines Teils der gezahlten Miete stellt rechtstechnisch eine konkludente Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch des Gastgebers dar. Durch die generell-abstrakten Prozentsätze aus den Stornierungsbe-dingungen findet eine Pauschalierung statt, für welche § 309 Nr. 5 BGB enge Grenzen aufstellt. Unwirksamkeit tritt ein, wenn entweder die Pauschale über den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden hinausgeht (Buchst. a) oder dem Vertragspartner nicht aus-drücklich der Nachweis eines geringeren eröffnet wird (Buchst. b). Der Nachweis eines geringeren Schadens wird in den Stornierungsbedingungen explizit eröffnet. Zudem

fordert Airbnb Ireland den Gastgeber auf, sicherzustellen, „dass eine etwaige Rückerstattung an deine Gäste in an-gemessener Höhe erfolgt und dass nicht erstattete Beträge nicht höher sind als der zu erwartende Schaden“.

Es bestehen durchgreifende Zweifel, ob durch diese sehr offene Formulierung § 309 Nr. 5 Buchst. a) BGB hinreichend Rechnung getragen wird, denn die aufgestellten und ein-zelfallunabhängigen Erstattungssätze bleiben davon unbe-rührt. Als Maßstab gilt der branchenübliche Durchschnitts-schaden,19 wobei die Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB eingreift.20 Schadensrechtlich ist eine eigene Kosten-ersparnis im Wege der Vorteilsausgleichung21 zu berück-sichtigen. Auch nur geringfügige Überhöhungen der Scha-denspauschalierung genügen für einen Verstoß.22 Ebenso greift keine Einschränkung bei betragsmäßig geringen Pauschalen.23 Der vollständige Ausschluss der Erstattung für die erste Nacht bei Stornierungen innerhalb von 24 Stunden (flexible Stornierungsbedingungen) bzw. fünf Tagen (moderate Stornierungsbedingungen) vor dem Check-in trägt nicht dem Umstand Rechnung, dass bei einer Nicht-anreise typischerweise geringere Kosten (z.B. für Heizung, Wasser, Strom, Abnutzung des Mietobjekts) als bei einer durchgeführten Vermietung anfallen. Gleiches gilt für die Stornierungsbedingungen bei Langzeitmiete (ab 29 Tagen), die einen Einbehalt der ersten Monatsmiete durch den Gastgeber vorsehen. Es wäre diesbezüglich ein pauscha-lierter Abschlag auf die Miete geboten. An der Kosten-ersparnis ändert sich nichts dadurch, dass sich bei einer kurzfristigen Stornierung typischerweise für die erste Nacht keine anderweitige Vermietung mehr erzielen lässt; inso-fern kann ein entgangener Gewinn in die Schadenspau-schale eingestellt werden. Eine solche Kostenersparnis tritt sowohl bei gewerblichen Vermietern als auch bei Gelegen-heitsvermietern der „sharing economy“24 ein. Hinzu tritt der Umstand, dass nicht stets davon ausgegangen werden kann, dass die gebuchte Unterkunft an jedem Tag vermietet werden kann.25 Im Ergebnis sind die Stornierungsbedin-gungen wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 5 Buchst. a) BGB unwirksam.

18 Vgl. zu eBay-Nutzungsbedingungen BGH, Urt. v. 08.06.2011 - VIII ZR 305/10 Rn. 15 ff.; BGH, Urt. v. 08.01.2014 - VIII ZR 63/13 Rn. 18.

19 BGH, Urt. v. 16.01.1984 - II ZR 100/83; BGH, Urt. v. 14.04.2010 - VIII ZR 123/09 Rn. 22.

20 BGH, Urt. v. 18.02.2015 - XII ZR 199/13 Rn. 22.21 Vgl. dazu Oetker in: MünchKomm, BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 Rn. 228 ff.

m.w.N.22 OLG Frankfurt, Urt. v. 15.06.1982 - 11 U 1/82.23 Weiler in: BeckOGK, § 309 BGB Rn. 106.24 Zum Konzept vgl. Solmecke/Lengersdorf, MMR 2015, 493 ff.25 OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.11.1990 - 4 U 90/89 zur Autovermietung.

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Die Monatszeitschrift

2. Transparenz der Kündigungsrechte

Nicht nur individualvertraglich, sondern auch in Formular-verträgen ist es nach der Rechtsprechung26 grds. zulässig, asymmetrische Kündigungsfristen für Mieter und Vermieter vorzusehen. Ausnahmen können sich jedoch aus einer be-sonderen Einseitigkeit,27 einer Störung des Äquivalenzver-hältnisses28 und sonst bei einer „stark asymmetrischen Ausgestaltung“29 ergeben. Danach wurde bspw. eine Klau-sel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Inter-netproviders für unangemessen gehalten, die dem Internet-provider eine Kündigungsfrist von vier Wochen und dem Kunden von einem Jahr einräumte.30

Die Nutzungs- und Stornierungsbedingungen von Airbnb Ireland sehen zwar Restriktionen für den Gast, nicht aber für den Gastgeber vor. Der Gastgeber wäre bis zur Überlassung der Unterkunft frei, die Buchung aufzuheben. Lediglich die systeminternen „Strafen“, wie eine negative Bewertung oder die Sperre für eine Weitervermietung des Objekts im selben Zeitraum, hat er unter Umständen zu ertragen. Dem-gegenüber wäre der Gast in seiner Dispositionsfreiheit durch die Einbehaltsquoten erheblich eingeschränkt. Zudem wird der Vertragszweck – Zurverfügungstellung einer Unter-kunft am vereinbarten Ort und im vereinbarten Zeitraum – ad absurdum geführt, hätte er bis zur Anreise das Risiko zu tragen, dass der Gastgeber kurzfristig nochmals seine Ent-scheidung abändert und an einen anderen Abnehmer zu einem höheren Preis vermietet. Darin läge eine unangemes-sene Benachteiligung des Kunden nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Aus der zivilrechtlichen Regelungsdürre in den Nutzungs- und Stornierungsbedingungen für die Kündigung durch den Gastgeber ergibt sich jedoch durch Auslegung, dass subsi-diär das dispositive – sofern erforderlich kollisionsrechtlich bestimmte – Gesetzesrecht eingreift. Nach deutschem Sachrecht gelten für die Vermietung von Wohnraum zum vorübergehenden Gebrauch, wie es regelmäßig bei Pensi-ons- und Hotelzimmern sowie bei Ferienwohnungen der Fall ist, nach § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB gewisse Erleichterun-gen für die Kündigung des Vermieters. Insbesondere sind die Kündigungsfristen nach § 573c Abs. 3, § 573d Abs. 2, § 575a Abs. 3 BGB modifiziert. Auch unterliegt ein Zeitmiet-vertrag nicht den Beschränkungen des § 575 BGB.31 Aller-dings handelt es sich bei den auf Airbnb angebotenen Unterkünften in aller Regel um solche, die für eine be-stimmte Zeit vermietet werden. Während dieses Zeitraums ist eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen.32 Aus der Fassung der Stornierungsbedingungen von Airbnb Ireland lässt sich nicht entnehmen, dass der Gastgeber bei dem Regeltypus eines Mietvertrags auf bestimmte Zeit nur zur außerordentlichen Kündigung berechtigt ist. Dem Gast wird vielmehr bei Lektüre des Inserats, das die von Airbnb

Ireland vorgegebenen Stornierungsmodelle implementiert, vorgespiegelt, dem Gastgeber stehe ein jederzeitiges Kün-digungsrecht ohne Kündigungsgrund zu. Die aus dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB folgende Pflicht des Gastgebers, „die Rechte und Pflichten der Ver-tragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustel-len“,33 wird damit erheblich verletzt. Ein inhaltsleerer Blan-kettverweis auf das „lokale Recht“ ändert daran nichts. Es besteht kein rechtfertigendes Rationalisierungsinteresse von Airbnb Ireland, in allen betroffenen Rechtsordnungen die identischen Stornierungsbedingungen zu verwenden. Geboten und zumutbar wären entweder ein Verzicht auf die zwingende Vorgabe von Stornierungsbedingungen oder die Vorhaltung einer rechtsordnungsspezifischen Klausel. Damit verstoßen die Stornierungsbedingungen von Airbnb auch gegen das Transparenzgebot und sind daher wegen unangemessener Benachteiligung des Gastes nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.

III. Haftung für unwirksame Stornierungsbedin-gungen

1. Haftung des Gastgebers

In der deutschen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedin-gungen zu einer Haftung des Verwenders aus culpa in con-trahendo (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB) führen kann.34 Diese Judikatur gründet auf dem allgemei-neren Grundsatz, dass die Partei eines unwirksamen Ver-trages aus culpa in contrahendo haftbar sein kann, sofern sie die Unwirksamkeit zu vertreten hat.35 Die Stornierungs-bedingungen von Airbnb Ireland sind, wie gezeigt, nach deutschem AGB-Recht unwirksam. Daraus folgt eine Haf-tung des Gastgebers gegenüber dem Gast im mietvertrag-lichen Verhältnis, da die Vorformulierung durch einen Drit-ten (Airbnb Ireland) aus Sicht des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB

26 BGH, Urt. v. 30.05.2001 - XII ZR 273/98; BGH, Urt. v. 24.02.2016 - XII ZR 5/15 Rn. 43; OLG Hamm, Urt. v. 12.06.1987 - 7 U 39/87; OLG Hamburg, Urt. v. 11.09.1991 - 4 U 89/91.

27 OLG Hamm, Beschl. v. 12.08.1988 - 15 W 327/88; OLG Hamburg, Urt. v. 11.09.1991 - 4 U 89/91.

28 Graf v. Westphalen, EWiR § 9 AGBG 25/91, 1041, 1042.29 Fuchs in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 307

BGB Rn. 162.30 OLG Koblenz, Urt. v. 30.10.2003 - 2 U 504/03.31 Bieber in: MünchKomm, BGB, 7. Aufl. 2016, § 549 Rn. 27.32 BGH, Urt. v. 11.12.2013 - VIII ZR 235/12 Rn. 12; Bieber in: Münch-

Komm, BGB, 7. Aufl. 2016, § 542 Rn. 20.33 BGH, Urt. v. 10.02.2016 - VIII ZR 137/15 Rn. 18 m.w.N.34 BGH, Urt. v. 12.11.1986 - VIII ZR 280/85; BGH, Urt. v. 27.05.2009 -

VIII ZR 302/07 Rn. 10; BGH, Urt. v. 11.06.2010 - V ZR 85/09 Rn. 24.35 BGH, Urt. v. 12.11.1986 - VIII ZR 280/85 m.w.N.

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nicht schadet36 und zudem gegenüber Verbrauchern die Erleichterung aus § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB eingreift.

2. Haftung von Airbnb

Allerdings lässt sich auf diese Weise noch keine Haftung von Airbnb Ireland begründen. Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Mietvertrag ist nicht Airbnb Ireland, sondern der Gastgeber. Das Verwendungsverlan-gen äußert aus Sicht des buchenden Gastes37 der Gast-geber und nicht der Plattformbetreiber. Dennoch darf nicht ausgeblendet werden, dass Airbnb Ireland die Stornie-rungsbedingungen ohne jegliche inhaltliche Einflussmög-lichkeit des Verwenders vorformuliert hat und sämtliche Gastgeber auf der Online-Plattform zwingt, eines der Stor-nierungsmodelle für ihre Inserate auszuwählen.38 Die in den Nutzungsbedingungen vorgegebene Rolle als neutraler Technik- und Plattformanbieter verträgt sich nicht mit der spürbaren Einmischung in die Vertragsgestaltung zwischen Gast und Gastgeber.39 Entweder beschränkt sich der Platt-formanbieter, wie es bspw. bei eBay im Wesentlichen der Fall ist, auf das bloße Matchmaking und liefert über seine Nutzungsbedingungen schlichte Auslegungshilfen für die Transaktionsverträge zwischen den Mitgliedern – oder der Plattformbetreiber mischt sich bestimmend in die Vertrags-gestaltung zwischen den Mitgliedern ein, wofür er dann auch ein Haftungsrisiko übernimmt.

Parteien eines Schuldverhältnisses stehen allgemein in einer besonderen Nähebeziehung zueinander und haben alles zu unterlassen, was den Vertragszweck gefährdet.40 Zweck des Nutzungsvertrages zwischen Airbnb Ireland und ihren Mitgliedern ist es, dem Gast einen Zugang zu Insera-ten auf der von Airbnb Ireland betriebenen Online-Platt-form zu eröffnen und sodann eine Unterkunftsbuchung zu ermöglichen. Der Gastgeber soll hingegen in die Lage ver-setzt werden, den Vertrieb seiner Unterkünfte über die On-line-Plattform von Airbnb Ireland zu organisieren. Mit die-ser Zwecksetzung steht es in massivem Widerspruch, wenn Airbnb Ireland ihre Mitglieder zur Verwendung von unwirk-samen Stornierungsbedingungen zwingt. Der Gastgeber läuft damit in eine Haftung aus culpa in contrahendo gegenüber dem Gast, während beim Gast die Fehlvorstel-lung hervorgerufen wird, die Stornierungsbedingungen sei-en für das Rechtsverhältnis zum Gastgeber maßgeblich. Damit verletzt Airbnb Ireland eine aus den Nutzungsver-trägen resultierende Nebenleistungspflicht durch die Zur-verfügungstellung von unzulässigen Allgemeinen Ge-schäftsbedingungen. Airbnb Ireland haftet in der Folge auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB.41 Eine Exkulpation nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB kommt bei einem in über 190 Ländern agierenden Unternehmen42 mit einem Jahresum-satz im (einstelligen) Milliardenbereich43 nicht in Betracht.

Es ist Airbnb mit seinen Tochtergesellschaften zuzumuten, entweder auf die Erzwingung der Verwendung seiner Stor-nierungsbedingungen zu verzichten oder für jede betroffe-ne Rechtsordnung wirksame Stornierungsbedingungen formulieren zu lassen.

E. Rechtsdurchsetzung

I. Individualklage

Mitglieder von Airbnb können ihre nach deutschem Recht bestehenden Schadensersatzansprüche selbst vor Gericht geltend machen. Ist das Mitglied in seiner Eigenschaft als Verbraucher betroffen, kann es seine Vertragspartnerin Airbnb Ireland nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO auch vor den Gerichten des Mitgliedstaats verklagen, in welchem es sei-nen Wohnsitz hat. Airbnb Ireland richtet mit seiner deutsch-sprachigen Website Airbnb.de und einem deutschsprachi-gen Kundenservice seine gewerbliche Tätigkeit explizit auch auf Deutschland aus, sodass eine Verbrauchsache i.S.d. Art. 17 Abs. 1 Buchst. c) EuGVVO vorliegt. Diese ge-setzliche Regelung spiegelt auch Nr. 33 Airbnb-NB wider. Ist das Mitglied hingegen Unternehmer, greift die Gerichts-standsklausel in Nr. 33 Airbnb-NB zugunsten von Irland ein (vgl. Art. 25 Abs. 1 EuGVVO). Die internationale Zuständig-keit der irischen Gerichte folgte auch aus Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) EuGVVO.

II. Verbandsklage

Die Unwirksamkeit der Stornierungsbedingungen kann gegenüber Airbnb Ireland auch im Wege des Verbands-

36 Vgl. BGH, Beschl. v. 14.12.2010 - VIII ZR 143/10 zu durch einen Makler vorbereiteten Formularmietvertrag; allgemein zur Zurechnung Schlos-ser in: Staudinger, BGB, 2013, § 305 Rn. 28 m.w.N.

37 Zur objektiven Empfängerperspektive vgl. Lehmann-Richter in: BeckOGK, § 305 BGB Rn. 126.

38 Zum Haftungskriterium der Einflussnahme auf den Inhalt des Trans-aktionsvertrages de lege ferenda ebenso Busch, EuCML 2016, 3, 8 f. sowie Art. 18 Abs. 2 Buchst. c) des Diskussionsentwurfs einer „Direc-tive on Online Intermediary Platforms“ (abgedruckt in EuCML 2016, 164, 166 ff. und bei Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787, 790 ff.).

39 Ähnlich Mak, EuCML 2016, 19, 21.40 Stellvertretend Olzen in: Staudinger, BGB, 2015, § 241 Rn. 173 ff.

m.w.N.41 Vgl. ähnlich zur Haftung für Pflichtverstöße nach § 312i BGB Wende-

horst in: MünchKomm, BGB, 7. Aufl. 2016, § 312i Rn. 36; allgemein zum Dreiecksverhältnis zwischen dem Plattformbetreiber und den Par-teien des Transaktionsvertrages im Lichte des unionalen Sekundär-rechts Wendehorst, EuCML 2016, 30, 31 f.

42 Vgl. https://www.Airbnb.de/about/about-us.43 Vgl. https://www.sec.gov/Archives/edgar/data/

1559720/000116840415000029/xslFormDX01/primary_doc.xml.

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klageverfahrens nach §§ 1, 3 UKlaG geltend gemacht wer-den. Airbnb Ireland erlangt die Passivlegitimation als Emp-fehlerin i.S.d. § 1 UKlaG. Als Empfehler kommen etwa Verfasser von Formularbüchern44 und allgemein alle Stellen in Betracht, die eine Klausel veröffentlichen lassen und dabei als Verfasser zu erkennen sind.45 Einführend heißt es in den Airbnb-Stornierungsbedingungen: „Airbnb lässt Gastgeber zwischen drei standardisierten Stornierungs-bedingungen wählen (flexibel, moderat und streng), die wir durchsetzen ...“. An der Empfehlereigenschaft von Airbnb Ireland bestehen danach keine Zweifel.

F. Zusammenfassung

I. Im Dreiecksverhältnis von Airbnb als Plattformbetreiber und seinen Nutzern als Parteien des Transaktionsvertrags ordnet sich Airbnb in seinen Nutzungsbedingungen als neu-traler Dritter ein, der sich auf die technisch-organisatorische Ermöglichung des „matchmaking“ beschränkt. Mit dieser Beschreibung steht jedoch u.a. in Widerspruch, dass Airbnb seinen Nutzern die Verwendung einer Auswahl von vorfor-mulierten Stornierungsbedingungen vorgibt, die zwingend Bestandteil des Transaktionsvertrags werden müssen.

II. Handelt ein Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland als Nutzer, so findet auf das Vertragsverhältnis mit Airbnb Ireland nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO das deutsche Schuldstatut Anwendung. Der Mietvertrag zwischen Gast

und Gastgeber unterliegt hingegen nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. c) Rom I-VO dem Belegenheitsortsrecht der Miet-sache.

III. Die Stornierungsbedingungen von Airbnb Ireland versto-ßen sowohl gegen § 309 Nr. 5 Buchst. a) BGB als auch gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Daher sind sie sowohl im Verkehr mit Verbrauchern als auch mit Unternehmern unwirksam.

IV. Die Unwirksamkeit der Stornierungsbedingungen be-rührt auch das Rechtsverhältnis von Airbnb Ireland zu sei-nen Nutzern. Airbnb Ireland verstößt gegen eine Nebenleis-tungspflicht aus dem Plattformvertrag, indem AGB-rechtlich unzulässige Stornierungsbedingungen nicht nur empfoh-len, sondern zur Verwendung vorgeschrieben werden. Da-raus folgt ein Schadensersatzanspruch des Gastes gegen Airbnb nach § 280 Abs. 1 BGB.

V. Verbraucher können Airbnb Ireland gem. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO vor den Gerichten des Mitgliedstaats verklagen, in welchem sie ihren Wohnsitz haben. Für Klagen von Unterneh-mern gegen Airbnb Ireland sind die irischen Gerichte interna-tional zuständig. Hinzu tritt die Statthaftigkeit einer Verbands-klage gegen Airbnb Ireland als Empfehlerin nach §§ 1, 3 UKlaG.

44 BT-Drs. 7/5422, S. 10.45 BGH, Urt. v. 24.07.2008 - VII ZR 55/07 Rn. 12; vgl. im Einzelnen Schlos-

ser in: Staudinger, BGB, 2013, § 1 UKlaG Rn. 30 ff. m.w.N.

Die rechtliche Stellung sowie Aufgaben des Verfahrensbeistands*

RA’in und Mediatorin Simone Mayer

A. Einleitung

„Wer schert sich eigentlich um das Wohl der Kinder, wenn über ihr Schicksal vor den Familiengerichten entschieden wird?“ Diese oftmals gestellte Frage ist berechtigt. Denn von allen Beteiligten in familiengerichtlichen Verfahren gehören sicher die Kinder zu denen, die am meisten des Schutzes be-dürfen. Anders als etwa die Kindeseltern, die sich der Hilfe von spezialisierten Anwälten bedienen können, um ihre Interes-sen zu schützen, sind Kinder nicht von sich aus in der Lage, ihr Interesse vor Gericht in angemessener Form zur Geltung zu bringen. Damit droht ihnen, zum reinen „Verfahrensgegen-stand“ herabgestuft zu werden. Um dieser Gefahr zu begeg-nen, hat der Gesetzgeber den „Verfahrensbeistand“ als „An-walt des Kindesinteresses“ etabliert. Welche rechtliche Stellung nimmt der Verfahrensbeistand dabei ein, wie ist sein Verhältnis zu beteiligten Personen und Organisationen und

was sind nun genau seine Aufgaben? Diesen Fragen wird der nachfolgende Beitrag ebenso nachgehen, wie Vergütungsfra-gen. Möglichen Vorurteilen im Hinblick auf die Tätigkeit des Verfahrensbeistands und die damit verbundenen Verfahrens-kosten wird die Sinnhaftigkeit der Bestellung eines Verfah-rensbeistands in der Praxis entgegen gestellt. Einige daten-schutzrechtliche Hinweise schließen den Beitrag.**

* Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den die Verfasserin am 10.11.2015 beim „Arbeitskreis der saarländischen Familienrichterinnen und Familien-richter, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, psychologischen Sachver-ständigen in Familiensachen“ gehalten hat. Der besseren Lesbarkeit we-gen wird nachfolgend lediglich die männliche Bezeichnung des Verfahrensbeistands verwendet, wie sie auch im Gesetz zu finden ist.

** Dieser Beitrag ergänzt den in jM 2016, 272 erschienenen Beitrag, der sich mit der Bestellung eines Verfahrensbeistands befasst.

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B. Rechtliche Stellung

I. Die rechtliche Stellung gegenüber dem Minder-jährigen, den Kindeseltern sowie anderen Bezugspersonen

Der Verfahrensbeistand ist Interessenvertreter des Kindes und nicht an dessen Weisungen und Wünsche gebunden.1 Falls das Interesse des Kindes es erfordert, ist er zur Einlegung von Rechtsmitteln verpflichtet, er kann aber von dem Kind keines-falls „gezwungen“ werden. Die Feststellung des kindlichen Interesses erfolgt insbesondere durch Gespräche mit dem be-troffenen Kind selbst. Dabei ist der Verfahrensbeistand auf die Mitwirkung und Willensbekundung des Kindes ihm gegenüber angewiesen. Er ist zwar berechtigt, außergerichtlich Kontakt mit dem Kind aufzunehmen. Er kann dies aber nicht gegen den Willen der Eltern zwangsweise durchsetzen, weil den Eltern das Recht zur Bestimmung des persönlichen Umgangs ihres Kindes nicht entzogen oder eingeschränkt worden ist. Aus demselben Grund sind sie zur Einräumung einer persönlichen Kontaktaufnahme nicht verpflichtet.2 Denn er wird durch seine Bestellung nicht zum gesetzlichen Vertreter des Kindes (§ 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG). Auch die Möglichkeit der gerichtlichen Anordnung einer Duldung der Kontaktaufnahme gibt es nicht.3 Es kann deshalb nur versucht werden, über das Einwirken Drit-ter (Gericht, Rechtsanwalt, Jugendamt, Verwandte) die Erlaub-nis für einen Gesprächskontakt zu erreichen. Die Anwesenheit des Verfahrensbeistands bei der gerichtlichen Anhörung kann durch die gesetzlichen Vertreter jedoch nicht verhindert wer-den (vgl. § 159 Abs. 4 Satz 3 FamFG). Die Kindeseltern können den Verfahrensbeistand auch nicht wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen. Die entsprechenden Vorschriften zur Besorgnis der Befangenheit von Gerichtspersonen und von Sachverständigen (vgl. etwa § 6 FamFG) finden auf den Verfahrensbeistand keine Anwendung.4

II. Die rechtliche Stellung gegenüber dem Gericht

Mit der Bestellung erlangt der Verfahrensbeistand alle Rechte und Pflichten eines vom Gericht unabhängigen Verfahrensbeteiligten i.S.d. § 7 FamFG mit Antrags- und Beschwerderechten nach § 158 Abs. 4 Satz 5 FamFG. Der Verfahrensbeistand besitzt ein volles Akteneinsichtsrecht (§ 7 FamFG i.V.m. § 13 FamFG). Ihm sind alle gerichtlich eingehenden Schriftsätze zuzustellen. Er hat das Recht, an allen Gerichtshandlungen (z.B. Anhörungen gem. § 159 FamFG; siehe dazu unten C.I.3.) teilzunehmen.

III. Das Verhältnis zum Jugendamt und zu anderen mit dem Kind oder Jugendlichen befassten Fach-kräften und Institutionen

Obwohl Jugendamt und Verfahrensbeistand rechtlich un-abhängig voneinander arbeiten, kommt eine konstruktive

Zusammenarbeit des Verfahrensbeistands mit dem Jugend-amt im gerichtlichen Verfahren den kindlichen Interessen entgegen. Das Jugendamt hat häufig vor dem gerichtlichen Verfahren Kontakt zur Familie. Der Verfahrensbeistand kann das Jugendamt deshalb um Mitteilung bitten, ob und ggf. welche Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch – Achtes Buch – angeboten oder erbracht wurden. Er kann seiner-seits gegenüber dem Jugendamt auf Einzelheiten der kind-lichen Bedürfnisse und Gesprächsergebnisse mit den Kin-deseltern hinweisen. Auch kann er das Jugendamt bspw. vor einem Erörterungstermin um die Klärung der Verfügbar-keit möglicher Hilfen zur Erziehung bitten. Weiterhin kann er das Jugendamt um Informationen bitten, die auf eine Kindeswohlgefährdung hinweisen. Allerdings liegt es im Er-messen des Jugendamtes, dem Verfahrensbeistand Aus-kunft zu erteilen.5 Wird vonseiten des Jugendamtes keine Auskunft erteilt, kann der Verfahrensbeistand bei Gericht anregen, dass aktuelle oder frühere Hilfepläne vorgelegt werden.

Neben der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ist häufig auch eine Zusammenarbeit mit dem Kind oder Jugendli-chen befassten Fachkräften und Institutionen hilfreich, z.B. Kindergärten, Schulen, Hebammen, Sozialpädagogische Fa-milienhelfer, Mutter-Kind-Heime, Notaufnahmeheime und Bereitschaftspflegefamilien oder Therapeuten. Gespräche mit den Personen, die unmittelbar mit dem Kind arbeiten, gewähren nämlich umfangreiche und häufig entschei-dungsrelevante Einblicke in den aktuellen Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen sowie die familiären wie außerfamiliären Beziehungen.

Allerdings sollte der Verfahrensbeistand nicht anstelle des Jugendamtes dessen Aufgaben oder die freien Träger der Jugendhilfe wahrnehmen, etwa die Begleitung von Um-gangskontakten oder Erziehungsberatung der Kindes-eltern.6

IV. Die Stellung gegenüber dem Sachverständigen

Die Entscheidung, ob ein Sachverständigengutachten ein-geholt wird, obliegt allein dem Gericht (vgl. §§ 30, 163 FamFG i.V.m. §§ 404 ff. ZPO). Stellt der Verfahrensbeistand

1 Vgl. auch OLG Dresden, Beschl. v. 24.01.2014 - 22 WF 15/14; Prenzlow in: Menne/Weber, Professionelle Kooperation zum Wohle des Kindes, 2011, S. 64; Bauer in: Salgo, Verfahrensbeistandschaft, 3. Aufl. 2014, Rn. 290.

2 KG, Beschl. v. 31.10.2006 - 25 WF 132/06.3 Vgl. Bauer in: Salgo, Verfahrensbeistandschaft, 3. Aufl. 2014, Rn. 293.4 OLG München, Beschl. v. 22.07.2004 - 17 WF 1219/04 zu § 50 FGG

a.F.; Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 158 Rn. 35.5 Vgl. Bauer in: Salgo, Verfahrensbeistandschaft, 3. Aufl. 2014, Rn. 396.6 Vgl. Bauer in: Salgo, Verfahrensbeistandschaft, 3. Aufl. 2014, Rn. 304.

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allerdings Bedingungen fest, die eine psychologische oder kinder- und jugendpsychologische Begutachtung notwen-dig erscheinen lassen, gehört es zu seinen Aufgaben, eine solche Begutachtung beim Gericht anzuregen. Er kann auch auf eine Abänderung und Ergänzung des Gutachten-auftrags hinwirken, soweit dies im Kindesinteresse erfor-derlich ist. Einem Verfahrensbeistand steht es nämlich nicht zu, psychologische Sachverhalte, wie etwa die Beurteilung der Erziehungsfähigkeit von Eltern, selbst zu bewerten.7 Als Verfahrensbeteiligter kann der Verfahrensbeistand außer-dem einen Befangenheitsantrag gegen den Gutachter stel-len. Sobald ein Sachverständiger im Verfahren bestellt ist, sollte der Verfahrensbeistand die Gutachtertätigkeit abwar-ten, um zu viele Termine in der Familie und damit mögliche weitere Belastungen für das Kind zu vermeiden. Nichtsdes-totrotz ist der Verfahrensbeistand im Fall von Fragen oder Undeutlichkeiten ansprechbar für das Kind. Dies sollte dem Kind auch erklärt werden. Das fertiggestellte Gutachten hat der Verfahrensbeistand kritisch zu würdigen und das Er-gebnis dem Kind zu erläutern. Der Verfahrensbeistand kann ggf. beantragen, den Sachverständigen zur Erläuterung sei-nes Gutachtens anzuhören.

C. Die originären und zusätzlichen Aufgaben des Verfahrensbeistands

Der Aufgabenkreis des Verfahrensbeistands ergibt sich un-mittelbar aus dem Inhalt der Bestellung. Das Gesetz unter-scheidet insoweit zwischen dem originären Aufgabenkreis gem. § 158 Abs. 4 Satz 1 und 2 FamFG (sog. kleine Bestel-lung) und dem erweiterten Aufgabenkreis gem. § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG (sog. große Bestellung).

I. Der originäre Aufgabenkreis des Verfahrens-beistands (§ 158 Abs. 4 Satz 1 und 2 FamFG)

1. Die Ermittlung und Wahrnehmung des Kindes-interesses

Der Verfahrensbeistand ist nach § 158 Abs. 4 Satz 1 FamFG den Interessen des Kindes verpflichtet. Der Verfahrensbei-stand hat dabei sowohl das subjektive Interesse des Kindes (Wille des Kindes) als auch das objektive Interesse des Kin-des (Kindeswohl) einzubeziehen.8 Ist er für mehrere Kinder bestellt, hat er die Interessen des jeweiligen Kindes zu ver-treten (keine Vertretung von Gruppeninteressen). Dies schließt aber Gespräche im Rahmen von gemeinsamen Treffen der Geschwister nicht aus. Um das Kindesinteresse feststellen zu können, ist der persönliche Kontakt mit dem Kind regelmäßig unverzichtbar. Die Gespräche mit dem Kind sollten in Abwesenheit aller Bezugspersonen an einem Ort erfolgen, der dem Kind genügend Sicherheit und Ver-trautheit vermittelt, damit ihm eine Darstellung der eige-

nen Bedürfnisse überhaupt möglich wird.9 Ein solcher Ort kann und wird regelmäßig das jeweilige Lebensumfeld des Kindes sein. Je nachdem, wie ausgeprägt der Elternkonflikt oder der Interessengegensatz zwischen Kind und Eltern ist, kann auch das Treffen an einem neutralen Ort eine gute Vertrauensgrundlage schaffen. Der Verfahrensbeistand hat im Rahmen seines Gesprächs die Situation und die Bedürf-nisse des Kindes zu ermitteln und die Wünsche des Kindes mit diesem zu besprechen. Sollte der Verfahrensbeistand das Kindesinteresse nicht hinreichend feststellen können, hat er dem Gericht die Notwendigkeit einer Bestellung mit erweitertem Aufgabenkreis gem. § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG (sog. große Bestellung) zu erläutern und um eine entspre-chende Ausweitung des Bestellungsauftrages zu bitten. Eine Erweiterung des Aufgabenkreises wird regelmäßig er-forderlich sein, wenn das Kind aufgrund seines Alters oder seiner Entwicklung nicht in der Lage ist, eine Unterhaltung mit dem Verfahrensbeistand zu führen.10

2. Die Informationspflicht

Nach § 158 Abs. 4 Satz 2 FamFG hat der Verfahrensbeistand das Kind über den Gegenstand des Verfahrens (Umgang, Sorgerecht, Herausnahme- oder Verbleibensanordnung, Abstammung oder Adoption), den Ablauf und den mögli-chen Ausgang des Verfahrens zu informieren. Der Verfah-rensbeistand hat dabei insbesondere das Kind darüber auf-zuklären, dass das objektive Kindesinteresse (Kindeswohl) im Einzelfall dem subjektiven Interesse des Kindes (Kindes-wille) widersprechen kann. Es gehört zu seinen Aufgaben, dem Kind zu vermitteln, welchen Standpunkt er warum ent-wickelt hat.11

3. Die gerichtliche Anhörung

Die persönliche Anhörung des Kindes soll gem. § 159 Abs. 4 Satz 3 FamFG in Anwesenheit des Verfahrensbeistands er-folgen. Dies bedeutet, dass dem Verfahrensbeistand zwar ein „Recht“ auf Teilnahme an der persönlichen Anhörung zusteht und er zum Anhörungstermin zu laden ist, aber kei-ne „Pflicht“ zur Beteiligung des Beistands an der Anhörung besteht, falls dieser von seinem Recht ersichtlich keinen Gebrauch zu machen beabsichtigt. Allein bei „unfreiwilli-

7 Vgl. Johnson, FPR 2012, 377, 379.8 BT-Drs. 16/6308, S. 239.9 So auch die „Standards Verfahrensbeistand der BAG Verfahrensbei-

stand/Interessenvertretung für das Kind und Jugendliche e.V.“.10 So auch Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 158

Rn. 13, 46.11 Vgl. Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 2. Aufl. 2014, S. 168 und

Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrensbeistandschaft/Interessenver-tretung für Kinder und Jugendliche e.V., Standards Verfahrensbeistand nach § 158, 2012, S. 15; Johnson, FPR 2012, 377, 379.

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ger Abwesenheit“ des Verfahrensbeistands ist die Anhö-rung zu vertagen und zu wiederholen.12 In der Praxis ver-fahren die Gerichte sehr unterschiedlich hinsichtlich der Terminierung von Kindesanhörungen. Teilweise finden die Kindesanhörung und die Erörterung des Gerichts mit den übrigen Beteiligten an unterschiedlichen Tagen statt. Gegen eine solche Handhabung spricht, dass sich das Gericht kei-nen eigenen Eindruck vom Verhalten der Kinder im Kontakt zu den Elternteilen verschaffen kann. Außerdem führt die Anhörung an unterschiedlichen Tagen zu einem erhöhten zeitlichen Aufwand nicht nur für das Gericht, sondern auch für den Elternteil, der das Kind zum Termin begleitet, und für den Verfahrensbeistand. Vorzugswürdig scheint deshalb eine Kindesanhörung zeitlich unmittelbar vor der Erörte-rung der übrigen Beteiligten. Zum einen haben die Kinder keine Wartezeiten zu „ertragen“, während derer ihre eige-ne Anhörung noch ungewiss vor ihnen liegt und in denen auch der Verfahrensbeistand nicht mehr zur Entlastung der Situation für das Kind aktiv beitragen kann, weil er selbst als Beteiligter am Erörterungstermin mit den sonstigen Ver-fahrensbeteiligten teilnimmt. Zum anderen bietet die Vo-ranstellung der Anhörung des Kindes den übrigen Beteilig-ten die Möglichkeit, kurzfristig bei Gericht eingegangene Schriftstücke inhaltlich zur Kenntnis zu nehmen.

II. Der erweiterte Aufgabenkreis des Verfahrens-beistands (§ 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG)

1. Gesprächsführung mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen

Nach § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG kann das Gericht, soweit nach den Umständen des Einzelfalls ein Erfordernis be-steht, dem Verfahrensbeistand die zusätzliche Aufgabe übertragen, Gespräche mit den Eltern und weiteren Be-zugspersonen des Kindes zu führen. Denn das Gespräch mit den Bezugspersonen kann dazu beitragen, die subjektiven Interessen des Kindes besser einzuordnen und mögliche Unvereinbarkeiten mit seinem wohlverstandenen Interesse offenzulegen.13 Eine Pflicht zur umfassenden Sachverhalts-ermittlung ist mit der erweiterten Bestellung nicht verbun-den. Wenn das Gericht aufgrund der Tatsachenfeststellun-gen in einer Stellungnahme des Verfahrensbeistands Anlass hat, an bestimmten Absichten eines Kindeselternteils zu zweifeln, muss es den diesbezüglichen Sachverhalt viel-mehr eigenständig aufklären.14 Es bedarf weder einer ab-schließenden gerichtlichen Festlegung, mit welchen kon-kreten Bezugspersonen der Verfahrensbeistand Gespräche führen soll, noch ist der Verfahrensbeistand auf Gespräche mit in dem Bestellungsbeschluss etwa bezeichneten Be-zugspersonen beschränkt.15 Der Verfahrensbeistand ent-scheidet eigenverantwortlich, mit welchen Personen er zur Ermittlung des Kindesinteresses Gespräche führt. Regelmä-

ßig werden allerdings Gespräche des Beistands mit allen wichtigen Bezugspersonen des Kindes erforderlich sein. Denn die Vertretung der kindlichen Interessen ist nicht von einem Verständnis seines Lebensumfeldes zu trennen.16 Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich Kinder entwick-lungsbedingt nur begrenzt oder nicht hinreichend differen-ziert ausdrücken können. Dabei ist es nicht Aufgabe des Verfahrensbeistands, den Willen der Eltern, sondern den des Kindes zu ermitteln und in das Verfahren einzuführen.17 Der Verfahrensbeistand sollte deshalb immer wieder das Kindesinteresse in den Mittelpunkt der Unterhaltung stel-len und versuchen, den Kindeseltern – soweit möglich – die Sichtweise des Kindes zu eröffnen. Gerade das kindzen-trierte Gespräch kann in konfliktträchtigen Fällen deeska-lierend wirken.18 Im Umgang mit den meist belasteten Fa-milien oder Beteiligten ist es für den Verfahrensbeistand hilfreich, einen stabilen, für die Beteiligten überschaubaren und transparenten Rahmen zu schaffen. Der Verfahrensbei-stand hat deshalb über seinen Auftrag, seine Funktion und Vorgehensweise zu informieren; ebenso dass ihm die Ge-richtsakte bekannt ist und dass die Dinge, die die Bezugs-personen sagen, auch Eingang in das Verfahren finden wer-den.

2. Mitwirkung an einer einvernehmlichen Regelung

Im Rahmen einer sog. „großen Bestellung“ hat der Verfah-rensbeistand nach § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG auch an einer einvernehmlichen Regelung mitzuwirken. Der Verfahrensbei-stand soll einen Beitrag zu einer einvernehmlichen Regelung der Beteiligten leisten und als Vermittler tätig werden.19 Er darf insbesondere Gespräche führen, die ihm sachgerecht er-scheinen, etwa um Anknüpfungspunkte für eine mögliche Einigung zu gewinnen.20 In der Praxis wird der Verfahrens-beistand versuchen, zu erreichen, dass trotz des streitgegen-ständlichen Konflikts der elterliche Blick wieder auf die

12 OLG Naumburg, Beschl. v. 18.10.2011 - 8 UF 204/11.13 Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrensbeistandschaft/Interessenver-

tretung für Kinder und Jugendliche e.V., Standards Verfahrensbeistand nach § 158, 2012, S. 11; betreffend die objektiven Kindesinteressen vgl. insgesamt auch Ziegenhain/Fegert, Kindeswohlgefährdung und Vernachlässigung, 2. Aufl. 2008.

14 BVerfG, Beschl. v. 06.11.2009 - 1 BvR 1410/08.15 OLG Celle, Beschl. v. 28.02.2013 - 10 UF 12/13.16 Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, 2. Aufl. 2014, S. 174.17 OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20.01.2011 - 6 UF 106/10.18 So auch Niestroj in: Salgo, Verfahrensbeistandschaft, 3. Aufl. 2014,

Rn. 1780.19 Zum Folgenden vgl. Prenzlow in: Menne/Weber, Professionelle Koope-

ration zum Wohle des Kindes, 2011, S. 65 und Prenzlow, FPR 2012, 367, 368.

20 OLG Celle, 28.02.2013 - 10 UF 12/13.

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Die Monatszeitschrift

Bedürfnisse des Kindes gerichtet wird. Insbesondere wird er in seinen Gesprächen mit den Bezugspersonen darauf hin-weisen, dass das Kind nicht in die Position des „Entschei-ders“ gedrängt werden darf. Außerdem kann der Verfahrens-beistand in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit und Wirkung der Eltern- oder Paarberatung und Mediation hin-weisen. Eine Mediation durch den Verfahrensbeistand selbst ist vom Aufgabenbereich allerdings nicht erfasst.21

Ist es im Gerichtstermin gelungen, mithilfe des Verfah-rensbeistands ein Einvernehmen der Kindeseltern herzu-stellen, hat der Verfahrensbeistand dieses dahin gehend zu überprüfen, ob die vergleichsweise Regelung mit dem Willen des Kindes und dessen Wohl zu vereinbaren ist. Eventuelle Bedenken gegen eine vergleichsweise Rege-lung der Beteiligten hat der Verfahrensbeistand ins Ver-fahren einzubringen (§ 158 Abs. 4 Satz 1 FamFG). Un-einigkeit besteht hinsichtlich der Frage, ob der Ver-fahrensbeistand der Regelung zum gerichtlich gebilligten Vergleich als Verfahrensbeteiligter gem. §§ 7 Abs. 2 Nr. 2, 158 Abs. 3 Satz 3 FamFG zustimmen muss. Eine Meinung bejaht dies nur für den Fall, wenn dem Verfahrensbeistand die zusätzliche Aufgabe übertragen worden ist, am Zu-standekommen einer einvernehmlichen Regelung mitzu-wirken (§ 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG).22 Hiergegen ist Fol-gendes einzuwenden: Die Gesetzesbegründung zu § 156 FamFG sieht eine solche Differenzierung nicht vor.23 Außerdem stellt der Gesetzeswortlaut des § 156 Abs. 2 FamFG ausdrücklich nur auf die Verfahrensbeteiligung ab. Im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut ist da-her unabhängig davon, ob der Verfahrensbeistand mit dem einfachen oder mit dem erweiterten Wirkungskreis bestellt wurde, seine Zustimmung zur einvernehmlichen Regelung der Beteiligten erforderlich.24

III. Der Bericht des Verfahrensbeistands25

Der Verfahrensbeistand berichtet schriftlich oder mündlich gegenüber dem Gericht.26 Für die Praxis ist grds. ein schrift-licher Bericht anzuraten, damit die Interessen des Kindes umfassend dokumentiert und den Gerichtsakten zugeführt werden. Grundlage des Berichts bilden schriftlich doku-mentierte Gesprächs- oder Beobachtungsverläufe mit dem Kind bzw. den Bezugspersonen. In dem Bericht selbst soll-ten die Umstände und Personen der Informationsgewin-nung im Einzelnen bezeichnet und deutlich zwischen eige-nen Eindrücken und wörtlichen Wiedergaben differenziert werden. Notwendiger Bestandteil des Berichts ist insbeson-dere die Wiedergabe der verbalen Äußerungen des Kindes. Darüber hinaus ist unter Umständen auch das Verhalten des Kindes, seine Gestik und Mimik zu beschreiben, wenn dies eine bessere Bewertung des Gesagten zulässt. Auch wird regelmäßig auf wichtige Ereignisse und Personen in

der Lebensgeschichte sowie auf prägende Lebenssituatio-nen des Kindes hinzuweisen sein. Durch solche Hinweise ergeben sich häufig – wenn nicht neue, so doch weitere – Anhaltspunkte, die für das Gericht bei seiner Amtsermitt-lung nach § 26 FamFG, für die Kindesanhörung (§ 159 FamFG) und die Anhörung der Eltern (§ 160 FamFG) be-deutsam sein können.27 Eigene (auch vorläufige) Schluss-folgerungen und Empfehlungen schließen den Bericht des Verfahrensbeistands ab.

D. Vergütungsfragen

Die Vergütung des Verfahrensbeistands ist in § 158 Abs. 7 FamFG geregelt. Sie gilt auch für die als Berufsverfahrens-beistände tätigen Rechtsanwälte (§ 1 Abs. 2 RVG). Die Ver-gütung richtet sich danach, ob der Verfahrensbeistand be-rufsmäßig tätig wird.28 Für die in der Praxis übliche berufsmäßig geführte Verfahrensbeistandschaft gilt:

Bei Wahrnehmung des originären Aufgabenkreises ist eine Fallpauschale von 350 € zu zahlen. Diese erhöht sich bei Übertragung der zusätzlichen Aufgaben nach § 158 Abs. 4 Satz 3 FamFG auf 550 € (§ 158 Abs. 7 Satz 3 FamFG). Die Pauschale (gleichgültig ob die erhöhte oder die Grundpau-schale) entsteht, wenn der Verfahrensbeistand „in irgend-einer Weise im Kindesinteresse tätig geworden ist“, wobei die Entgegennahme des Bestellungsbeschlusses allein nicht genügt.29

Der jeweilige Pauschalbetrag fällt jeweils in voller Höhe und ohne Anrechnung an

• für jeden Rechtszug (jede Instanz), insbesondere noch-malig bei Aufhebung und Zurückverweisung des Verfah-rens in die erste Instanz;30

21 Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 158 Rn. 49.22 Bumiller in: Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, § 156 Rn. 10.23 BT-Drs. 16/6308, S. 237.24 Schlemm in: Bahrenfuss, FamFG, 2. Aufl. 2013, § 156 Rn. 7; Lorenz in:

Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 156 FamFG Rn. 3; Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 156 Rn. 52 m.w.N.

25 Die Verfasserin folgt den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemein-schaft Verfahrensbeistandschaft/Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche e.V., Standards Verfahrensbeistand nach § 158, 2012.

26 BT-Drs. 16/6308, S. 239.27 So auch BVerfG, Beschl. v. 06.11.2009 - 1 BvR 1410/08.28 Zur Voraussetzung des „berufsmäßig tätigen“ Bauer in: Salgo, Verfah-

rensbeistandschaft, 3. Aufl. 2014, S. 607; erforderlich ist zumindest die Erwartung, dass dem Verfahrensbeistand in absehbarer Zukunft in einem solchen Umfang Verfahrensbeistandschaften übertragen wer-den, dass er sie nur im Rahmen seiner Berufsausübung führen kann.

29 BGH, Beschl. v. 27.11.2013 - XII ZB 682/12.30 OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.12.2012 - 9 WF 409/12.

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• für jedes Kind, für das der Verfahrensbeistand bestellt worden ist;31

• für Hauptsache und einstweiliges Anordnungsverfahren als jeweils selbstständige Verfahren, auch wenn sie den gleichen Verfahrensgegenstand betreffen;32

• für jeden Verfahrensgegenstand (§ 151 FamFG), für den ein Verfahrensbeistand bestellt ist, gesondert, selbst wenn sie in einem Verfahren verhandelt werden.33

Es ist nicht unüblich, dass in einem Termin unterschiedliche Verfahrensgegenstände verhandelt werden, so etwa dass in einem Sorgerechtsverfahren eine umfassende Umgangs-regelung erörtert und anschließend als gerichtlich gebillig-ter Vergleich beschlossen wird. Rechtsanwälte sind regel-mäßig hierzu berechtigt, da sie regelmäßig umfassend mandatiert sind. Der Verfahrensbeistand aber ist in einem solchen Moment verfahrensfremde Person, wenn seine Be-stellung nicht von vorneherein den zusätzlich verhandelten Verfahrensgegenstand erfasst. Um eine Verletzung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit (§ 170 GVG) zu vermei-den und dem Verfahrensbeistand die Möglichkeit der Mit-wirkung zu geben, muss deshalb seitens des Gerichts – ähnlich der Erweiterung der Verfahrenskostenhilfe auf den Vergleichsüberhang – ein entsprechender Beschluss zur Erweiterung der Bestellung auf den zu verhandelnden Ver-fahrensgegenstand getroffen werden. Das hat auch der BGH zwischenzeitlich klargestellt.34

Die Fallpauschale beinhaltet sämtliche entstandenen Auf-wendungen und Kostenpositionen, selbst wenn diese er-heblich sind.35 Sie beinhaltet insbesondere die auf die Ver-gütung anfallende Umsatzsteuer. Uneinheitlich wird die Frage bewertet, ob es sich bei vorgerichtlichen Dolmet-scherkosten um Aufwendungen handelt, die von der Fall-pauschale umfasst sind. Vorzugswürdig ist insoweit die Auffassung, dass es sich jedenfalls bei ausdrücklicher ge-richtlicher Gestattung der Hinzuziehung um gesonderte Auslagen handelt, die nicht der Verfahrensbeistand zu tra-gen hat. Denn dies kommt einer Beauftragung des Dolmet-schers durch das Gericht selbst gleich.36

E. Berufsbedingtes Zeugnisverweigerungsrecht, Verschwiegenheitspflicht und Datenschutz

Den Verfahrensbeistand trifft hinsichtlich aller Tatsachen, von denen er im Rahmen seiner Tätigkeit Kenntnis erlangt, eine Verschwiegenheitspflicht. Diese folgt zwar nicht aus § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen durch be-stimmte Berufsgruppen oder Amtsträger)37 und auch nicht aus § 43a Abs. 2 BRAO,38 aber aus der Natur der berufli-chen Tätigkeit des Verfahrensbeistands.39

Übereinstimmend wird dem Verfahrensbeistand auch ein Zeugnisverweigerungsrecht über Tatsachen zugebilligt, von

denen er im Zuge seiner Tätigkeit Kenntnis erlangt hat.40 Das wird zutreffend aus § 29 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO abgeleitet. Denn der Verfahrensbeistand wird als parteilicher Interessenvertreter des Kindes tätig und ihm wird in dieser Funktion ein zu schützendes Ver-trauen entgegengebracht. Dies kann nur auf der Basis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit geschehen, die sich je-doch nur dann tragfähig entfalten kann, wenn sie zugleich auch vor den Individualinteressen der Eltern oder irgend-welcher Dritter geschützt ist.41

Zu erwähnen ist schließlich, dass der Verfahrensbeistand hinsichtlich aller personenbezogenen Daten (Name, Adres-se, Geburtsdatum) und personenbeziehbaren Daten (Ak-tenzeichen, Telefonnummern) den datenschutzrechtlichen Anforderungen unterliegt. Für alle selbstständig tätigen Verfahrensbeistände ist insoweit das Bundesdatenschutz-gesetz maßgeblich.42 § 68 SGB VIII findet keine Anwen-dung. Denn der Verfahrensbeistand ist gerade nicht gesetz-licher Vertreter des Kindes (§ 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG). Seine Aufgabe ist auf das Gerichtsverfahren beschränkt und besteht darin, das Interesse des Kindes festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen (§ 158 Abs. 4 Satz 1 FamFG).43 Daraus folgt, dass der Ver-fahrensbeistand die Einwilligung der jeweils Betroffenen zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten benötigt. Empfohlen wird eine Dokumentation der Einwilli-gung, etwa durch eine Erklärung zur Entbindung von der

31 BGH, Beschl. v. 15.09.2010 - XII ZB 209/10 und BGH, Beschl. v. 19.01.2011 - XII ZB 496/10.

32 BGH, Beschl. v. 17.11.2010 - XII ZB 478/10.33 OLG München, Beschl. v. 22.02.2013 - 11 WF 250/13 - FamRZ 2013,

966 im Anschluss an BGH, Beschl. v. 01.08.2012 - XII ZB 456/11; Borth in: Musielak/Borth, FamFG, 5. Aufl. 2015, § 158 Rn. 24.

34 Vgl. für die Bestellung eines Verfahrensbeistands in einem Sorgerechts-verfahren und dessen weiterer Bestellung im Gerichtstermin für das gleichfalls erörterte Umgangsrecht BGH, Beschl. v. 01.08.2012 - XII ZB 456/11.

35 Vgl. BGH, Beschl. v. 13.11.2013 - XII ZB 612/12 für Fahrtkosten.36 OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.10.2013 - 5 WF 249/13; Lorenz in: Zöller,

ZPO, 31. Aufl. 2016, § 158 FamFG Rn. 13 m.w.N.; a.A. OLG Hamm, Beschl. v. 03.04.2014 - 6 WF 241/13.

37 Morat/Kramer, ZKJ 2014, 139.38 Holzer/Menne, FamFG, 2011, § 158 Rn. 88.39 Vgl. OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.02.2012 - 1 WF 19/12; im Ergeb-

nis ebenso Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2014, § 158 Rn. 35, dort allerdings mit Bezug auf § 68 SGB VIII analog.

40 Hierzu ausführlich mit weiteren Verweisen Menne, FamRZ 2012, 1356 ff.

41 OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.02.2012 - 1 WF 19/12.42 So im Ergebnis für den verfahrensbeistandlich tätigen Rechtsanwalt

Morat/Kramer, ZKJ 2014, 139.43 Kirchhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 68 SGB

VIII Rn. 15.1.

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Die Monatszeitschrift

Schweigepflicht der Betroffenen.44 Betroffene i.S.d. § 4a Abs. 1 Satz 1 BDSG sind das Kind, dessen Eltern, Erzie-hungsberechtigte, Betreuer, Kindergartenpersonal, Lehrer oder etwa der Sachbearbeiter des Jugendamtes. Wenn und soweit Fachkräfte auf datenschutzrechtliche Regelungen hinweisen, sollte der Verfahrensbeistand den gerichtlichen Bestellungsbeschluss vorlegen und ggf. eine entsprechende Schweigepflichtentbindungserklärung der Sorgeberechtig-ten einholen. Fehlt hinsichtlich der Weitergabe von perso-nenbezogenen Daten eine Einwilligung, so kann der Ver-fahrensbeistand eine Abwägungsentscheidung gem. § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG treffen, d.h., der Verfahrensbeistand darf die Daten dann verarbeiten, wenn sie zur Wahrung berech-tigter Interessen des Verfahrensbeistands dienen und be-rechtigte Interessen des Betroffenen nicht entgegenste-hen.45 Gegen den Willen des Sorgeberechtigten und/oder des Kindes kann der Verfahrensbeistand keine dem Daten-schutz unterliegenden Informationen (z.B. Auskünfte von Ärzten, vom Kindergarten, von Lehrern und Therapeuten) erlangen. Die Verarbeitung und Nutzung der Daten unter-liegt einer strengen Zweckbindung, d.h., sie darf allein der Interessenwahrnehmung des Kindes dienen (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG).

44 Morat/Kramer, ZKJ 2014, 139, 140.45 Morat/Kramer, ZKJ 2014, 139, 141.

Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises beim Online-BankingBGH, Urt. v. 26.01.2016 - XI ZR 91/14

RiAG Dr. Frank O. Fischer

A. Problemstellung

In dieser Entscheidung geht es um die Frage, ob bei der Durchführung eines Zahlungsvorgangs im Online-Banking, der mittels „PIN“ und „SMS-TAN“ (auch mTAN genannt) durchgeführt wurde, gem. § 675w Satz 3 BGB der An-scheinsbeweis dafür spricht, dass der Zahlungsvorgang vom Nutzer veranlasst wurde. Dabei bedeutet „PIN“ eine Persönliche Identifikationsnummer, mit der man sich in das Konto über das Internet einwählt und „SMS-TAN“ eine Transaktionsnummer, die per Kurznachricht auf ein Mobil-telefon geschickt wird, um eine spezielle Transaktion, z.B. eine Überweisung, zu autorisieren. Damit betrifft diese Ent-scheidung eine sich alltäglich tausendfach ereignende Pro-blematik und hat weitreichende Auswirkungen. Es handelt

sich um die erste (und zugleich eine ungewöhnlich lange – 33 Seiten im Originalabdruck!) Grundsatzentscheidung des „Bankensenats“ zu diesem Problemkomplex.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

I. Sachverhalt

Die klagende Sparkasse verlangte von der beklagten Fir-ma den Ausgleich eines Schlusssaldos eines Geschäftsgi-rokontos. Der Geschäftsführer der Beklagten erhielt für das Konto eine PIN. Im Juli 2011 kam es im Rahmen von Umstellungen der EDV bei der Klägerin zu Störungen beim Online-Banking-System. Aus nicht geklärten Umständen wurden am 15.07.2011 dem Konto der Beklagten zwei Beträge i.H.v. fast 250.000 € gutgeschrieben. Die Stornie-rungen dieser Gutschriften durch die Klägerin wurden erst am Montag, den 18.07.2016, ausgeführt. Am 15.07.2016 wurde kurz vor Mitternacht unter Verwendung der PIN des Geschäftsführers der Kontostand abgefragt und anschlie-ßend eine Überweisung i.H.v. 235.000 € an den Streithel-fer der Klägerin ausgeführt. Die dafür erforderliche TAN war an das Mobiltelefon des Geschäftsführers versandt worden. Die TAN wurde zur Autorisierung der Transaktion benutzt.

Der Streithelfer der Klägerin, ein Rechtsanwalt, hat behaup-tet, vom Geschäftsführer der Beklagten, einen Auftrag zur Weiterleitung des Geldes erhalten zu haben, sich aber im Übrigen auf seine Schweigepflicht berufen. Die Beklagte hat behauptet, der Geschäftsführer sei zum Zeitpunkt der Überweisung in Urlaub gewesen. Er habe keine Zugriffs-möglichkeit auf das Konto gehabt und die Transaktion nicht autorisiert. Das Mobiltelefon sei zu dem fraglichen Zeit-punkt im Gewahrsam eines Mitarbeiters der Klägerin ge-wesen. Dieser habe die Transaktion aber auch nicht autori-siert, sondern die übermittelte TAN für „SPAM“ (uner -wünschte Information, oft Werbung) gehalten. Dem ent-sprechenden Beweisantritt bezüglich dieses Vorbringens waren die Tatsacheninstanzen nicht nachgegangen. Land-gericht und Oberlandesgericht hatten der Klage vielmehr stattgegeben, im Wesentlichen mit der Begründung, dass für die Klägerin ein Anscheinsbeweis streite. Diesen An-scheinsbeweis habe die Beklagte nicht durch geeigneten Vortrag entkräftet. Das Mobiltelefon sei nicht von einem Spezialisten überprüft worden. Es bleibe unklar, wie ein Dritter an die Zugangsdaten hätte gelangen können. Diese Auffassung teilt der BGH jedoch nicht.

II. Entscheidung

Anspruchsgrundlage waren hier die § 670, § 675c Abs. 1, § 675 BGB. Hierfür bedarf es zur Begründung des Soll-

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saldos einer Autorisierung des Zahlungsvorgangs nach § 675j Abs. 1 BGB bezüglich der umstrittenen Transak-tion, hier der Überweisung, die nach § 675w BGB nach-gewiesen werden muss. Den förmlichen Nachweis der ordnungsgemäßen Verbuchung, Aufzeichnung und Stö-rungsfreiheit gem. § 675w Satz 1, 2 BGB hatte die Kläge-rin hier erbracht. Entscheidend war nun § 675w Satz 3 BGB, der wie folgt lautet: „Wurde der Zahlungsvor -gang mittels eines Zahlungsauthentifizierungsinstru-ments ausgelöst, reicht die Aufzeichnung der Nutzung des Zahlungsauthentifizierungsinstruments einschließ-lich der Au thentifizierung durch den Zahlungsdienstleis-ter allein nicht notwendigerweise aus, um nachzuweisen, dass der Zahler 1. den Zahlungsvorgang autorisiert, 2. in betrügerischer Absicht gehandelt, 3. eine oder mehrere Pflichten gemäß § 675l verletzt oder 4. vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen eine oder mehrere Bedingungen für die Ausgabe und Nutzung des Zahlungsauthentifizie-rungsinstruments verstoßen hat.“ Diese Vorschrift, die die Zahlungsdienste-Richtlinie umgesetzt hat,1 lässt al-lerdings offen, ob von einem Anscheinsbeweis ausgegan-gen werden kann. Es ist demgemäß bereits streitig, ob diese Vorschrift überhaupt die Möglichkeit eines An-scheinsbeweises eröffnet oder nicht. Mit der h.M. geht der BGH jedoch davon aus, dass ein Anscheinsbeweis grds. möglich ist. Allerdings sind besondere Anforderun-gen an die Ausgestaltung dieses Anscheinsbeweises zu stellen: Es müssen zum einen die praktische Sicherheit und die Einhaltung des Sicherheitsverfahrens im konkre-ten Einzelfall feststehen. Zum anderen darf vom Nutzer kein Vortrag dazu abverlangt werden, auf welche Weise Schutzvorrichtungen überwunden werden können, an-sonsten müsste der Nutzer ja über kriminelles Täterwis-sen verfügen. Es können zur Widerlegung des Anscheins-beweises auch Tatsachen außerhalb des technischen Zahlungsvorgangs herangezogen werden. Wendet man diese Grundsätze auf den konkreten Fall an, so zeigt es sich, dass die Tatsacheninstanzen zum einen die Voraus-setzungen für den Anscheinsbeweis verkannt und zum anderen die Anforderungen an die Erschütterung dessel-ben überspannt haben.

Zunächst hätten Funktionsweise und allgemeine praktische Unüberwindbarkeit des verwendeten SMS-TAN-Verfahrens von der Klägerin dargelegt und im Zweifel nachgewiesen werden müssen. Weiterhin hätte geklärt werden müssen, ob das Sicherheitssystem der Klägerin ein ausreichendes Niveau für die Anwendung des Anscheinsbeweises geboten hätte. Darüber hinaus hätten die Einhaltung des Sicher-heitsniveaus und dessen fehlerfreie Funktion beim konkre-ten Zahlungsauftrag überprüft werden müssen, zumal es vorher bei der Klägerin technische Probleme gegeben hat-

te. Weiterhin sind von den Tatsacheninstanzen die Anforde-rungen an die Erschütterung des Anscheinsbeweises über-spannt worden. Der oben geschilderte Vortrag der Beklagten war vielmehr relevant, die angebotenen Beweise hätten erhoben werden müssen.

Alsdann prüft der BGH noch, ob die Entscheidung der Tat-sacheninstanzen möglicherweise deshalb aufrechterhalten werden kann, weil sie aus anderen Gründen richtig ist (§ 561 ZPO). Hierzu bestand deswegen Anlass, weil in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten wird, ein Nutzer müsse sich Zahlungsaufträge Dritter unter missbräuchlicher Authentifizierung nach Rechtsschein-grundsätzen zurechnen lassen. Der BGH äußert erheblichen Zweifel daran, ob die Grundsätze der Anscheinsvollmacht neben den § 675j Abs. 1 Satz 4, § 675u und § 675v BGB angewandt werden können. Letztlich bleibt dies offen, weil die Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht bei einem einmaligen Missbrauch in dem hier zu beurteilenden Sach-verhalt nicht vorliegen können.

Abschließend prüft der BGH noch, ob der Klägerin gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch nach § 675f Abs. 2 BGB zustehen könnte. Nach dieser Vorschrift muss der Nutzer Schadensersatz leisten, wenn er den Zahlungs-vorgang zwar nicht autorisiert, aber durch betrügerische Absicht oder grobe fahrlässige Pflichtverletzungen herbei-geführt hat. Ein derartiges Verhalten der Beklagten wurde vorliegend nicht dargelegt. Es stellt sich aber erneut die umstrittene Frage, ob hier nicht ein Anscheinsbeweis greift. Dies lehnt der BGH jedoch ausdrücklich ab. Allein die Tatsache, dass eine PIN sowie eine TAN verwendet wurden, rechtfertigt nicht die Annahme, der Zahler habe grob fahrlässig gehandelt. Anderenfalls würde auch ein Wertungswiderspruch zu den obigen Erkenntnissen vor-liegen.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts wurde somit auf-gehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Ent-scheidung zurückverwiesen. Der BGH stellt sich den wei -teren Verlauf des Verfahrens wie folgt vor: Es ist zunächst – erstens – Beweis zu erheben über das verwendete Sicher-heitssystem, und zwar dahin gehend, ob dieses nach heuti-gem Kenntnisstand (!) zum Zeitpunkt der Autorisierung im Allgemeinen praktisch unüberwindbar war und ob dieses Sicherheitsniveau auch im konkreten Fall trotz der techni-schen Schwierigkeiten bei der Klägerin gewahrt wurde. Wenn das Berufungsgericht dann von einem Anscheinsbeweis aus-

1 Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrecht-lichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29.07.2009 (BGBl. I, 2355), in Kraft getreten am 31.10.2009.

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gehen möchte, hat dann – zweitens – die Beklagte die Mög-lichkeit, Beweis zu dessen Erschütterung anzubieten, und zwar im Hinblick auf vermutete konkrete Sicherheitsmängel. Alsdann kann – drittens – natürlich noch die Beklagte durch außerhalb des technischen Verfahrens liegende Umstände und deren Nachweis den Anscheinsbeweis – so von ihm auszugehen sein wird – erschüttern. Unabhängig davon bleibt – viertens – natürlich für die Klägerin die Möglichkeit bestehen, die Autorisierung auf anderem Wege nachzuwei-sen. Insoweit wurde auch von der Klägerin Beweis angetre-ten (u.a. die Vernehmung des Streithelfers), der nunmehr auch zu erheben ist.

Wichtig ist noch Folgendes: Nach der Auffassung des BGH steht ein allgemeines Interesse der Kreditwirtschaft an der Geheimhaltung von Sicherheitssystemen dieser Sicht der Dinge nicht entgegen. Im Zweifel müssen nach § 172 Nr. 2 GVG die Öffentlichkeit ausgeschlossen und gem. § 174 Abs. 3 GVG die Verfahrensbeteiligten zur Verschwiegenheit verpflichtet werden.

C. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung bedeutet zunächst, dass es im Rahmen derartiger Prozesse regelmäßig keinen „kurzen Prozess“ mehr geben wird. Der Verfahrensaufwand wird erheblich sein. Es wird im Zweifel regelmäßig auf eine „Gutachten-schlacht“ technischer Sachverständiger hinauslaufen, deren Ausführungen die Juristen überwiegend kaum oder nur sehr schwer werden folgen können. Es wird sich in der Praxis je-doch empfehlen, zunächst allen anderen Beweisantritten nachzugehen, bevor man die „Gutachtenschlacht“ eröffnet. Möglicherweise kann der Rechtsstreit dann entschieden werden, ohne dass es darauf ankommt, ob ein Anscheins-beweis greift. Das Gericht kann sich durchaus aufgrund von vorgetragenen Umständen sowie einer Beweisaufnahme davon überzeugen, dass die Zahlung doch autorisiert wurde oder eben nicht. Im konkreten Fall könnte eine solche Über-zeugung z.B. durch die Vernehmung des Streithelfers und die Anhörung des Geschäftsführers entstehen.

Ob diese Entscheidung zu vermehrten Prozessen führen wird, bleibt abzuwarten. Die Geheimhaltungsverpflichtung wird allerdings im Hinblick auf die Sicherheitsmängel ein eher stumpfes Schwert sein. Klarzustellen ist schließlich, dass diese Entscheidung nicht Debit- und Kreditkartenzah-lungen betrifft.

D. Bewertung

Eine andere Entscheidung konnte schwerlich getroffen werden. Ansonsten bestünde die naheliegende Gefahr, dass die Banken die Rechtslage ausnutzen könnten und stets auf eine „Black-Box“ verweisen, die nicht nachvoll-ziehbar, aber dennoch rechtswirksam einen Anscheinsbe-weis begründen soll. So kann es nicht sein, denn bei realis-tischer Betrachtungsweise werden die Banken durchaus ihre eigenen Interessen und nicht diejenigen der Kunden wahren. Diese Binsenweisheit hat sich schon in vielen Pro-zessen und bei vielen Fallkomplexen bewahrheitet. Dem-gemäß ist die Entscheidung in den ersten Anmerkungen auch wohlwollend begrüßt worden.2

Eine abschließende Bewertung der Entscheidung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Es muss zu-nächst abgewartet werden, wie der konkrete Fall ausgeht. Dies wird man jedoch voraussichtlich frühestens in ein bis zwei Jahren wissen. Immerhin muss das Oberlandesgericht voraussichtlich mehrere Beweisaufnahmen durchführen. Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob in dem konkreten Fall von einem Anscheinsbeweis wird ausgegangen werden können: Die TAN-Übertragung auf ein Mobiltelefon ist inso-fern ein Sicherheitsrisiko als ein sog. Man-in-the-Middle-Angriff (auch „Janusangriff“ genannt, d.h. ein Manipulator schaltet sich zwischen Bank und Kunden; dies soll insbe-sondere bei Mobiltelefonen mit dem Betriebssystem Andro-id möglich sein) möglich bleibt. Vor einiger Zeit ist ein Straf-urteil des LG Osnabrück3 bekannt geworden, wonach mehrere Täter wegen Missbrauchs des hier geschilderten SMS-TAN-Verfahrens wegen gewerbsmäßigen Computer-betruges zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, wobei ein Schaden i.H.v. ca. 790.000 € entstanden war. Offenbar wur-den die SIM-Karten der Mobiltelefone dupliziert und die SMS darauf umgeleitet. Letztlich könnte die Entscheidung des BGH damit dazu führen, dass der Anscheinsbeweis fak-tisch nicht mehr greifen kann. Auch über eine Anscheins-vollmacht wird eine Autorisierung hinfort nicht mehr zu begründen sein. Auf die zukünftige Entwicklung sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht wird man da-her wirklich sehr gespannt sein dürfen!

2 Omlor, LMK 2016, 378373; Knops, NJW 2016, 2032.3 LG Osnabrück, Urt. v. 15.07.2016 - 15 KLs 12/14.

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Zu Risiken und Nebenwirkungen im ArbeitskampfBAG, Urt. v. 26.07.2016 - 1 AZR 160/14

RA Ulrich Fischer

A. Problemstellung

Another brick in the wall. Es ist bisher nicht bekannt ge-worden, ob der für das Arbeitskampfrecht zuständige 1. Se-nat des BAG bei seinem auch in der allgemeinen Öffentlich-keit viel beachteten Urteil vom 26.07.2016 zu den Risiken und Nebenwirkungen eines Streiks von Vorfeldfluglotsen auf dem Frankfurter Flughafen an die ikonische Pink-Floyd-Hymne dachte. Zwar ist sich das BAG schon von Anbeginn seiner Rechtsprechung zum Arbeitskampfrecht darüber klar, dass es angesichts des Fehlens einer gesetzlichen Arbeitskampfregelung, die erneut und gebetsmühlenartig zu beklagen der Verfasser dieses Beitrages sich versagt, no-lens volens dazu berufen ist, dem Arbeitskampf eine recht-liche Heimstatt zu schaffen, die zwar auch aus Wänden be-steht. Doch nach dem Selbstverständnis des BAG ist sie eher als tragendes Gebäude zu verstehen, das (Back-)Stein auf Stein errichtet wird. Möglicherweise haben jedoch die Parteien des Rechtsstreites angesichts sowohl dessen Er-gebnis als auch Begründung an „Wände“, allerdings völlig unterschiedlicher Zweckrichtung, gedacht. Während die be-klagte Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF) ihr Streikrecht eingemauert sieht, sehen sich die unterliegenden klagen-den Fluggesellschaften unüberwindlichen Mauern gegen-über, die sie daran hindern, den bei ihnen entstandenen mittelbaren Streiksschaden durch Ersatzforderungen kom-pensieren zu können. Dabei gehört es zu den Besonderhei-ten des deutschen Arbeitskampfrechtes, dass die bundes-arbeitsgerichtlichen Bauarbeiten an dessen Gestaltung und Weiterentwicklung tendenziell eher die Ausnahme als die Regel darstellen. Denn der eigentliche Arbeitskampfverlauf und seine rechtliche Durchdringung wird regelmäßig im einstweiligen Verfügungsverfahren, also ohne revisions-richterliche Kontrolle, vorgenommen. Da sich die Kampf-parteien überwiegend nach Ende einer tariflichen Ausei-nandersetzung auf eine alle weiteren prozessualen Aus -einandersetzungen beendende Verständigung einigen, ist das BAG auf die wenigen Konstellationen angewiesen, in denen die aufgezeigten Mechanismen nicht wirken. Genau das war hier der Fall. Deswegen hatte in der hier bespro-chenen Entscheidung der 1. Senat des BAG die Gelegen-heit, zum einen seine bisherige – durch seine Urteile vom 25.08.2015 (1 AZR 754/13 und 1 AZR 875/13) dokumen-

Arbeitsrecht

tierte – Rechtsprechungslinie zur Beschränkung der Scha-densersatzverpflichtung einer einen rechtswidrigen Arbeits-kampf durchführenden Gewerkschaft auf unmittelbare betriebsbezogene Schäden des bestreikten Tarifpartners und Arbeitskampfgegners zu bestätigen und damit zu festi-gen (siehe unten C.III.). Des Weiteren hatte das BAG die Frage zu beantworten, ob auch eine nur relativ marginale Verletzung der Friedenspflicht durch Einbeziehung einer dieser noch unterliegenden Nebenforderung im gesamten Paket der Tarifauseinandersetzung diese insgesamt infiziert und damit rechtswidrig macht (siehe unten C.I.). Bei Beja-hung dieser Frage musste es sich dann mit der Überlegung auseinandersetzen, ob die Rechtsfigur des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ geeignet ist, das an sich schon relativ große Arbeitskampfrisiko kleiner Gewerkschaften zu mini-mieren (siehe unten C.II.). Dabei ließ es sich das BAG, man kann es ihm nicht verdenken, nicht nehmen, sein arbeits-kampfrechtliches Gebäude, nun ergänzt durch einen weite-ren wichtigen Eckstein, als so stimmig, geschlossen und standfest erstrahlen zu lassen, dass der Ruf nach dem Ge-setzgeber als nur störend empfunden werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die je nach Vorverständnis als Funktionseliten-, Sparten- oder Berufsgewerkschaft bezeichnete GdF erstrebte für ihre Mitglieder bei der Betreibergesellschaft des Frankfur-ter Flughafens neue tarifliche Regelungen, ohne dass es zu einer Einigung der Tarifpartner kam. Ein daraufhin einge-schalteter Schlichter empfahl ein Einigungspaket, das u.a. auch Regelungen zu einem tariflichen Sachkomplex ent-hielt, für den (noch) Friedenspflicht bestand, der dennoch aber in der Schlichtung thematisiert worden war. Als eine Einigung darauf nicht zustande kam, beschloss die GdF zur Durchsetzung der „den Tarifparteien vorgelegten Schlich-terempfehlung“, die mit „einigen Anpassungen“ versehen wurde und auch den noch friedenspflichtigen Sachkomplex beinhaltete, den Streik ihrer Mitglieder. Dieser führte zu Flugausfällen und Verspätungen, damit zu Einnahmeverlus-ten bei der Betreibergesellschaft, aber auch zu mittelbaren Folgewirkungen bei Fluggesellschaften, die ihr Geschäft über den Frankfurter Flughafen abwickeln, auch im Sinne von Buchungsannullierungen und Umbuchungen auf ande-re Gesellschaften. Was die GdF als Erfolgsmeldung verkün-dete, empfanden der Flughafenbetreiber und zwei Flugge-sellschaften als gegenteilig und verklagten die kampf -führende Gewerkschaft auf Schadensersatz. Die Tatsachen-instanzen folgten dem nicht. Das BAG bestätigte deren Urteil bezüglich der Fluggesellschaften. Im Verhältnis zum

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Flughafenbetreiber sah es jedoch einen unmittelbaren de-liktischen Eingriff in dessen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und wies den Rechtsstreit insoweit an das LArbG Frankfurt zurück, damit von diesem die Schadens-höhe im Einzelnen ausgeurteilt wird.

C. Kontext der Entscheidung und Bewertung

I. Angesichts komplexer tarifvertraglicher Regelungen sind die Zeiten, in denen um eindimensionale Ziele gestritten wurde, wohl endgültig vorbei. Auch im vorliegenden Fall ging es um mehrdimensionale Tarifforderungen, die unter-schiedlichste Regelungskomplexe erfassten. Sind diese Komplexe in getrennten Tarifverträgen geregelt oder auch in einem Tarifvertrag jeweils mit unterschiedlichen Kündi-gungsfristen versehen (wie im besprochenen Fall), entste-hen schnell Konstellationen, in denen nicht nur in der Hek-tik des Kampfgeschehens, sondern auch in der Komplexität der Verhandlungsstrukturen der Überblick über friedens-pflichtige und nicht mehr friedenspflichtige Sachverhalte verloren geht. Die zugrunde liegende Fallkonstellation ist geradezu paradigmatisch, weil sie deutlich macht, dass die Verhandlungsebene und auch die Schlichtungsebene etwas völlig anderes als die Kampfebene ist. Zu diesen Ebenen, ihrer verhandlungstechnischen und rechtlichen Relevanz und insbesondere über die bei dem Übergang von der einen auf die andere Ebene auftretenden Fallstricke und Besonderheiten habe ich mich so ausführlich geäußert, dass ich darauf im Rahmen dieser Besprechung verweisen muss.1 Hier hatte die GdF mit den von der Schlichtungs-empfehlung geblähten Segeln übersehen bzw. vernachläs-sigt, dass der Schlichter keinen Arbeitskampf zu führen ge-dachte und es deshalb für absolut legitim und kon -sensfördernd hielt, friedenspflichtige Elemente in sein Vor-schlagspaket einzubauen. Völlig zu Recht stellt das BAG deshalb fest, dass die Einbeziehung dieses Teils der Schlich-terempfehlung in die Arbeitskampfforderung der Gewerk-schaft eine (teilweise) Verletzung der noch bestehenden Friedenspflicht darstellte. Wenn der 1. Senat daraus dann aber die Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks ableitet, kann ich ihm im konkreten Fall nicht zustimmen. Abstrakt und jenseits der gerade von den Arbeitsgerichten glückli-cherweise ansonsten stets zur Kenntnis genommenen so-zialen Realität, also im Wolkenkuckucksheim, ist es natür-lich richtig, dass ein ahnungsloser Arbeitgeber bei einer mehrdimensionalen Tarifforderung nicht wissen kann, wel-che arbeitnehmerseitigen Forderungen Beiwerk, welche Wunsch und welche unabdingbar sind. Nur spielen sich Arbeitskämpfe nicht im Niemandsland ab, sondern in einem kommunikativen Kontext, der meines Erachtens jus-tiziabel ist und entgegen der Auffassung des BAG zulässt, mehrgliedrige Forderungen je nach Relevanz – ohne dass

es auf eine grammgenaue Gewichtung ankommt – abzu-schätzen. Diese Abschätzung ist auch deshalb nötig, um die vom BAG selbst nicht so genannte Rühreitheorie, nach der eine verdorbene Streikforderung den gesamten Streikku-chen ungenießbar macht, zur Anwendung zu bringen. Denn die „Rühreitheorie“ verkennt meines Erachtens, dass, um im Bilde zu bleiben, bspw. die Forderung nach einer Ge-haltserhöhung ein Ei sein mag, dass aber möglicherweise die Forderung nach einer längeren unbezahlten Pause kein Ei, sondern ein Würstchen ist, das auch weiterhin genießbar bleibt, wenn das Ei verdorben ist. Meiner Meinung nach vernachlässigt das Urteil den inhaltlichen Unterschied zwi-schen einer additiven, objektiven Gemengelage und einem „Motivbündel“, also einer subjektiven Kategorie, bezüglich dessen völlig zu Recht angenommen wird, dass bei einer Mehrheit von Motiven bereits ein rechtswidriges das da-raus folgende Handeln abschließend und endgültig (eben als rechtswidrig) charakterisiert. Jedenfalls meine ich, dass die Anhänger der Auffassung, die man auch als „Infektions-these“ bezeichnen könnte, Anlass hätten, darüber nachzu-denken, ob nicht die Dosis das Gift macht. Dieses Nach-denken erscheint mir umso dringlicher, als (nicht nur) das Arbeitsrecht, aber dieses insbesondere, vom Verhältnismä-ßigkeitsgrundsatz geprägt wird. Ist es wirklich verhältnis-mäßig, eine minimale Infektion als ausschlaggebend für das „Todesurteil“ über den gesamten Körper anzunehmen oder muss hier genauer und intensiver geprüft werden, ob es gerechtfertigt ist, angesichts der quantitativen und qua-litativen Größenverhältnisse der jeweiligen Forderungs-komplexe zueinander, einen „Totalverriss“ auszusprechen? Dabei bin ich mir natürlich im Klaren darüber, dass es sehr viel einfacher ist, die Dinge so zu sehen wie der 1. Senat. Doch sollte das hohe Gut des Art. 9 Abs. 3 GG den Schweiß der Edlen im Sinne einer differenzierten Herangehensweise wert sein.

II. Kritisch sehe ich auch, dass das BAG, anders als das Lan-desarbeitsgericht, der Gewerkschaft versagt hat, sich auf die Rechtsfigur des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu berufen. Denn für die apodiktische Behauptung, ein von der GdF zum gleichen Zeitpunkt geführter Streik ohne die frie-denspflichtigen Komponente sei „ein anderer Arbeits-kampf“ gewesen, findet sich weder eine empirische noch eine überzeugende dogmatische Begründung. Wohl nie-mand käme auf den Gedanken, dass ein rechtmäßiger Streik zur Durchsetzung einer Lohnforderung von 4 % und zwei zusätzlichen Urlaubstagen deshalb ein „anderer“ Streik wird, wenn die Gewerkschaft während des laufen-den Streiks auf die Urlaubsforderung verzichtet. Bei aller

1 Fischer, NZA 2015, 1303.

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zutreffender Betonung der Bedeutung der Streikforderung für das gesamte Arbeitskampfgeschehen, der ich voll zu-stimme, darf meines Erachtens dessen außerrechtliche Spe-zifik nicht übersehen werden, die sich ja schon darin zeigt, dass es so ziemlich das einzige Rechtsgebiet erzeugt hat, in dem die Zufügung von Schäden gesellschaftlich, ja sogar verfassungsrechtlich gebilligt wird. Die Vorstellung, dass die Meinungsbildung der Streikteilnehmer im Hinblick auf einen von ihrer Gewerkschaft ausgerufenen Streik sich sklavisch am Wortlaut der „offiziellen“ Streikforderungen festmacht, ist ebenso irrig wie der Glaube, die Arbeitgeber gingen davon aus, dass eine Gewerkschaft nur dann zum Frieden zurückkehrt, wenn ihre Vorstellungen sämtlich er-füllt sind. Mit anderen Worten: Tarifforderungen sind etwas anderes als Tarifverträge, sie wollen und können für sich (jedenfalls in der Wirklichkeit unserer Wirtschaftsordnung) nicht beanspruchen, als ehernes Gesetz, eingemeißelt in die Rechtsordnung, zu gelten. Sie sind und bleiben letztlich dynamisch.

III. Nach so viel Schelte nun das Lob. Dieses gilt der Klarheit, mit der das BAG seine Urteile vom 25.08.2015 (1 AZR 754/13 und 1 AZR 875/13) bestätigt. So verständlich es ist, dass mittelbar von einer Streikaktion einer Gewerkschaft,

sei sie rechtmäßig oder rechtswidrig, betroffene Dritte sich selten erfreut über die bei ihnen eintretenden Störungen, Belastungen, ja Schädigungen zeigen, so wichtig ist es, dass das BAG an seinem absolut zutreffenden Ausgangs-punkt festhält. Ein deliktischer Schadensersatzanspruch kommt nur bei einem unmittelbaren, betriebsbezogenen Eingriff, also im Verhältnis der Tarifvertragsparteien zuei-nander, in Betracht. Es ist nun einmal die Konsequenz einer arbeitsteiligen Wirtschaftsordnung, die sich gerade in den letzten Jahren dadurch ausgezeichnet hat, dass sie nach immer weiterer Spezialisierung und der damit einhergehen-den Notwendigkeit der Vernetzung strebt, dass ein Eingriff in einen Wirtschaftsteilnehmer nicht nur bei diesem, son-dern auch bei den vernetzten Unternehmen zu Folgewir-kungen führt. Letztlich entsteht so eine unendliche Kaska-de von Kausalitäten, die bei einer a.A. als der des BAG zwangsläufig irgendwann, möglicherweise sogar recht schnell, das Ende des Streikrechts zur Folge hat und die Wiedereinführung kollektiver Bettelei.

D. Auswirkungen für die Praxis

Another brick in the wall (of a building).

Verwaltungsrecht

A. Einleitung

Flüchtlingswelle 2015, Silvestervorfälle in Köln, Terroran-schläge in Würzburg, Ansbach und zuletzt auf dem Weih-nachtsmarkt in Berlin. Alle diese Ereignisse haben in den Medien, der Gesellschaft und der Politik zunehmend das Interesse an der Frage geweckt, wie Abschiebung funktio-niert und warum Abschiebungen nicht vollzogen werden. Der Asylantrag des Berliner Attentäters Anis Amri war im Frühsommer abgelehnt worden und er war ausreisepflich-tig, wie viele Tausend andere auch. Und er war ein den Sicherheitsbehörden bekannter Gefährder. Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass bei den zu-ständigen Behörden ein höchstes Interesse daran bestand, ihn möglichst schnell abzuschieben. Warum geschah es nicht? Der entscheidende Punkt war, dass es trotz inten-sivster Bemühungen Monate dauerte, bis Tunesien seine

Zustimmung zur Aufnahme erteilte – zwei Tage nach seiner Bluttat in Berlin. Mit diesem Aufsatz soll versucht werden, die rechtliche und praktische Realität von Abschiebungen aus der Erfahrung des Leiters einer Ausländerbehörde nä-her zu betrachten, der zugleich die Zentralstelle für Rück-führungsfragen in Rheinland-Pfalz leitet. Der Beitrag gibt jedoch ausschließlich die persönliche Auffassung des Au-tors wieder.

B. Die Rechtslage

Die Rechtslage nach dem Ausländergesetz ist so klar wie einfach: Ausreisepflichtige Ausländer, die ihrer Verpflich-tung zur freiwilligen Ausreise nicht nachgekommen sind, sind abzuschieben. Zuständig für die Durchführungen der Abschiebungen sind die Ausländerbehörden. Nach Anga-

Die Abschiebung von ausreisepflichtigen Ausländern – Ein Blick in die Praxis

StVerwDir Dietmar Martini-Emden

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ben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge halten sich derzeit rund 208.000 ausreisepflichtige Ausländer in Deutschland auf. Die Kommunen rechnen damit, dass es bis Jahresende 2017 sogar 450.000 werden könnten, weil im-mer mehr Asylanträge entschieden werden, die Menschen aber nicht schnell abgeschoben würden.

Einer Abschiebung können rechtliche oder tatsächliche Gründe entgegenstehen. Liegen solche vor, muss der Aus-länder geduldet werden (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Rechtliche Duldungsgründe können etwa darin liegen, dass eine Abschiebung bei einem Asylfolgeantrag nicht möglich ist. Sie ist nämlich aufgeschoben, bis das zuständige Bun-desamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geprüft hat, ob Gründe für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen oder Vorwirkungen von Art. 6 GG wegen einer bevorstehenden Eheschließung oder Geburt eines deutschen Kindes oder seit August 2016 auch die (altersun-abhängige) Aufnahme einer Ausbildung (§ 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Hinzu kommt dann bei minderjährigen Auszubildenden, dass die Restfamilie ebenfalls geduldet werden muss. Während rechtliche Duldungsgründe gesetz-lich normiert und damit vom Gesetzgeber so gewollt sind, stellt sich die Frage, welche tatsächlichen, also faktischen Gründe in der ausländerbehördlichen Praxis den vom Ge-setz geforderten Vollzug hindern.

C. Die Probleme der Passbeschaffung

Eine Abschiebung ist immer ein komplexer Prozess. Er be-inhaltet einen hohen organisatorischen Aufwand, ist recht-lich anspruchsvoll, es ist eine Vielzahl von Akteuren betei-ligt und er hängt von nicht planbaren Umständen ab. Da ist zunächst die Passlosigkeit zu nennen. Eine Abschiebung ist immer mit einem Grenzübertritt verbunden, und zwar so-wohl bei der Ausreise, vor allem aber auch bei der Einreise in den Zielstaat. Unter geregelten Umständen werden alle Einreisewilligen von der Grenzschutzbehörde mithilfe des Passes im Hinblick auf Identität, Nationalität und Einreise-voraussetzungen überprüft. So auch bei Abschiebungen.

Asylbewerber gaben bislang bei ihrer Asylantragstellung zu 60 – 80 % an (herkunftsstaatenabhängig), über keinen Pass zu verfügen. Man hat ihn auf der Flucht verloren oder nie einen besessen und man verfügt auch nicht über sons-tige Unterlagen oder Dokumente, die die Identität und Her-kunft belegen können. Natürlich hat man auch vergessen, für den Notfall Fotos seiner Dokumente in die sonst all-gegenwärtigen Smartphones zu speichern. Dies ist zweifel-los Ausfluss einer Strategie, die zum Programm der Schlep-per gehört, um eine später eventuell drohende Abschiebung zu verhindern. Ohne Pass, keine Abschiebung – also muss die Ausländerbehörde und/oder Bundespolizei sich bei dem

angegebenen Herkunftsstaat, d.h. bei der Botschaft oder dem zuständigen Generalkonsulat, um die Ausstellung eines Passes oder im Regelfall eines Passersatzpapieres be-mühen.

Kommt es zu einem spektakulären Fall, wie bei dem tunesi-schen Attentäter Amri, wird sofort von allen Seiten mehr oder weniger vorwurfsvoll die Frage gestellt, warum der tunesische Staat ihm denn kein Passersatzpapier ausge-stellt hat, sodass er vor der Tat hätte abgeschoben werden können. Hier kommt man jetzt an das Thema „Koopera-tionsverhalten von Herkunftsstaaten“. Auch wenn noch nicht alle Details des Falles Amri bekannt sind, steht doch fest, dass Tunesien in Fragen der Passersatzbeschaffung in der Vergangenheit immer ein schwieriger Partner war. Die Passersatzbeschaffung war immer langwierig und selten erfolgreich. Doch muss die Sache zunächst einmal nüchtern betrachtet werden.

Nach dem Völkerrecht ist jeder Staat verpflichtet, seine eigenen Staatsangehörigen aufzunehmen.1 So weit, so gut, dann hätte Tunesien ihm doch zunächst gefälligst ein Pass-ersatzpapier ausstellen müssen, mag man denken. Aber ist es wirklich so, dass ein Staat schon verpflichtet ist, jeman-den aufzunehmen und ihm dazu einen Pass auszustellen, nur weil er oder die deutschen Behörden behaupten, dass er Tunesier sei?

Das Völkerrecht sieht dazu vor, dass der abgebende Staat (in diesem Fall Deutschland) dem aufnehmenden Staat (also Tunesien) beweisen muss, dass dieser völkerrechtlich zur Aufnahme verpflichtet ist, weil es sein Staatsangehöri-ger ist. Ohne Pass, keine einfache Aufgabe. Amri hatte wäh-rend seines Aufenthaltes in Deutschland 14 unterschiedli-che Personalien und mindestens zwei verschiedene Nationalitäten benutzt. Ein irgendwie gearteter Beweis, dass Amri ein tunesischer Staatsangehöriger ist, lag offen-bar zunächst nicht vor. Ende Oktober 2016 gab es dann einen Interpol-Treffer, den der deutsche Verbindungsbeam-te gefunden hat und wo man hätte meinen können, dass Tunesien ihn bei seinen Recherchen auch hätte finden müs-sen, aber dazu später mehr.

So viel zunächst zur Ausgangslage, wie sie die Ausländer-behörden in zehntausenden Fällen bei der Passbeschaffung beschäftigt. Nun unterscheiden sich die Verfahren einzelner Herkunftsstaaten bei der gleichen Ausgangslage dennoch erheblich. Für das Ergebnis entscheidend ist die Frage, wie kooperativ sich der potenzielle Herkunftsstaat bei der Iden-tifizierung und Rückübernahme verhält. Die jahrelangen

1 Hailbronner in: Hailbronner/Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeits-recht, 5. Aufl. 2010, Grundlagen, Kap. E, Rn. 99.

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Erfahrungen der für die Passersatzbeschaffung in den Bun-desländern eigens geschaffenen Dienststellen, den sog. Clearingstellen für Passbeschaffung, zeigen, dass es hier eine große Spanne von kooperativ bis destruktiv gibt. Aber auch dabei kann regelmäßig kein Schwarz-Weiß-Bild ge-zeichnet werden. Unter Berücksichtigung des beschriebe-nen Umstandes, dass von keinem Staat der Welt erwartet werden kann, dass er ungeprüft und quasi auf Zuruf Pass-dokumente für eine Rückführung ausstellt, ist es nach An-sicht des Autors bei der Frage der Kooperation entschei-dend, wie hoch der Staat die Beweislatte legt und welche Anstrengungen er bereit ist, zu unternehmen, an der Be-weisbeschaffung mitzuwirken.

Als Negativbeispiel kann man hier den Iran nennen, der selbst bei kurzfristig erst abgelaufenen iranischen Reise-pässen eine Rückführung durch die Verweigerung zur Aus-stellung eines Passersatzpapieres verhindert. Solche Rück-reisedokumente werden von der iranischen Botschaft nur ausgestellt, wenn der Betroffene persönlich in der Bot-schaft erklärt, freiwillig ausreisen zu wollen. Kuba verwei-gert bislang seinen eigenen Staatsangehörigen die Wieder-einreise, wenn sie länger als zwei Jahre außer Landes waren und Äthiopien antwortet seit 2014 nicht mehr und nimmt seit 2015 überhaupt keine Anträge auf Ausstellung von Rückreisedokumenten mehr an. Bei diesen Staaten fehlt es an der notwendigen Bereitschaft zur Kooperation.

Bei anderen Staaten muss man die Frage des Kooperations-willens letztlich mit dem Umfang der (zumutbaren) Bemü-hungen und den bestehenden Möglichkeiten der Verifizie-rung der Person und ihrer Staatsangehörigkeit festmachen. Nimmt man bspw. Staaten, die biometrische Unterlagen über ihre Staatsangehörigen speichern, kann man von einem kooperativen Staat verlangen, dass man diese zur Identitätsklärung nutzt, was Tunesien im Fall Amri wohl unterlassen hat. Mit biometrischen Daten, wie Fingerab-drücken, ist man völlig unabhängig von den alphanumeri-schen Daten, wie Name und Geburtsort, die der Betroffene angegeben hat. Aber hier sind systembedingt auch oft Ein-schränkungen zu verzeichnen, weil das Ergebnis vom bio-metrischen Erfassungsgrad der Bevölkerung abhängt. Ab-gesehen von den bei kriminellen Delikten üblicherweise in fast allen Staaten der Welt bestehenden polizeilichen Er-fassungssystemen von Fingerabdrücken sind in den meis-ten Staaten biometrische Datenbanken in Verbindung mit Reisepässen oder Identitätskarten erst vor wenigen Jahren eingeführt worden und damit noch im Aufbau. So auch in Tunesien und den anderen Maghrebstaaten. Die Erfahrun-gen zeigen, dass offensichtlich die polizeilichen Fingerab-druckspeichersysteme für Identitätsprüfungen bei Rück-kehrentscheidungen nicht genutzt werden – siehe Fall Amri. Entscheidend für ein positiv zu erzielendes Ergebnis

ist somit der Zeitpunkt der Ausreise. Damit bleibt auch bei Staaten, die seit einiger Zeit biometrische Daten bei der Ausstellung von Pässen und Ausweisen erfassen, eine Viel-zahl von Altfällen ungelöst.

Für diese Fälle gilt dann das Gleiche wie für andere Staa-ten, die keine Überprüfung mittels biometrischer Daten vor-nehmen können. Hier hängt dann das Überprüfungsverfah-ren grds. schon mal von den im Herkunftsland vorhandenen Strukturen ab. Gibt es ein Bevölkerungsregister, ist dies zentral oder dezentral, wie gut ist die Verwaltung organi-siert und wie valide sind die Daten? Unabhängig von der Form der Register ist diesen allen gemein, dass ein positi-ves Ergebnis nur zu erzielen ist, wenn die zu überprüfenden Angaben weitestgehend identisch sind. Wenn man sich nun ein solches Überprüfungsverfahren vorstellt, bekommt man schon einen ersten Eindruck von den Problemen, die eine solche Identitätsfeststellung als Voraussetzung für eine Passbeschaffung in sich birgt. Dazu eine kurze Schilderung des Ablaufs eines solchen Verfahrens:

Die Clearingstelle reicht einen Passersatzantrag bei der Auslandsvertretung (Botschaft, Generalkonsulat) des ver-mutlichen Herkunftsstaates ein. Die Auslandsvertretung schickt diesen zur Überprüfung an sein Außenministerium, von dort geht das Überprüfungsersuchen dann i.d.R. an das Innenministerium, das das Ersuchen schließlich an die zu-ständige Polizei- oder Registerbehörde vor Ort weiterleitet. Das Ergebnis geht dann auf dem gleichen Wege zurück. Schon bei einigermaßen gut funktionierenden Verwal-tungssystemen dauert dies meist Monate. Bei schlecht funktionierenden entsprechend länger und häufig gibt es auch keinerlei Antwort. Und gibt es eine Antwort, ist diese meist negativ, weil es schon reicht, dass z.B. der Gesuchte nur einen falschen letzten Wohn- oder Geburtsort angege-ben hat. Bei China ist es schon die falsche Hausnummer, die zu einem negativen Ergebnis führt.

Um dieses aufwendige und oft ergebnislose Verfahren von vorneherein einzugrenzen, manchmal aber auch erst nach einem negativen Ergebnis aus der Heimat, führen einige Auslandsvertretungen – sofern sie dazu überhaupt bereit sind – obligatorisch oder auf Ersuchen der Clearingstellen ein Gespräch mit dem ausreisepflichtigen Ausländer. Die Betroffenen werden dazu – nach einer ergebnislosen Auf-forderung zur freiwilligen Vorsprache – auf der Grundlage des § 82 Abs. 4 AufenthG in der Botschaft oder dem Gene-ralkonsulat durch Mitarbeiter der Clearingstellen vorge-führt. Bei größeren Fallzahlen werden Sammelvorführun-gen organisiert. Es finden bei einigen Staaten auch sog. Expertenverfahren statt, bei denen Mitarbeiter der Einwan-derungs- und Grenzbehörden der Herkunftsstaaten nach Deutschland eingeladen werden, um über Interviews die Entscheidung über eine Rückübernahme zu treffen.

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Logischerweise ergibt Identitätsprüfung im Heimatland auf schriftlichem Wege mit den Angaben im Passantrag meist wenig Sinn, wenn der Staat über keine landesweit funktio-nierende Verwaltung und/oder über keine aussagekräftigen Personenregister verfügt, wie dies bspw. in einigen west-afrikanischen Staaten immer noch der Fall ist. Hinzu kommt, dass in diesen Staaten oft das gesamte Urkundswesen wenig bis gar nicht den Ansprüchen westlicher Standards genügt.

Wenn es kein überprüfbares Registersystem gibt und keine die Herkunft belegenden Dokumente vorhanden sind, findet die Prüfung der Herkunft und die Entscheidung über eine Rückübernahme ausschließlich auf der Grundlage des per-sönlichen Eindrucks im Rahmen eines Interviews statt. Wie oben bereits erwähnt, werden solche Interviews als Einzel- oder Sammelvorführungen oder durch die erwähnten Exper-tenverfahren durchgeführt. Die Entscheidungsgründe blei-ben dabei i.d.R. intransparent. Bei grenzüberschreitend angesiedelten Ethnien ist eine fehlende Eindeutigkeit der Zuordnung, insbesondere über die gesprochene Sprache, natürlich schon eher nachvollziehbar. Entscheidend ist aber auch hier die Wahrhaftigkeit der Aussagen des Betroffenen. Wenn er denn zutreffende Detailkenntnisse zu seinem an-geblichen Geburts- oder letzten Wohnort machen kann – sofern er dies überhaupt will –, sollte dies eine Zusage der Rückübernahme auslösen.

D. Die Zusammenarbeit mit Auslandsvertretungen

Was vorstehend beschrieben wurde, sind die allgemeinen Rahmenbedingungen, unter denen auch bei kooperieren-den Staaten ein Passbeschaffungsverfahren durchzuführen ist. Es dürfte dabei hinreichend deutlich geworden sein, dass hierin schon genügend Schwierigkeiten enthalten sind, die nachvollziehbar machen, dass Passlosigkeit das wohl am schwierigsten zu überwindende Rückführungs-problem darstellt. Die tägliche Praxis der Clearingstellen hält aber noch eine Vielzahl von Phänomen bereit, die eine erfolgreiche Passbeschaffung in Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten oft erheblich und zusätzlich erschweren.

Dazu gehört, dass die Verfahren und Verfahrensvorgaben von Auslandsvertretungen desselben Herkunftsstaates sich deutlich unterscheiden können. Was also die Botschaft in Berlin verlangt, kann in einem Generalkonsulat in Hamburg oder Frankfurt keine Rolle spielen oder nur modifiziert an-gewendet werden und umgekehrt. Es kommt also auf die Vorstellungen des Botschafters oder des Generalkonsuls zur sachgerechten Arbeitsweise an. Da diese Repräsentan-ten regelmäßig, zumeist in einem Vier-Jahres-Rhythmus, ausgewechselt werden, müssen sich die deutschen Behör-den auch bei der Passersatzbeschaffung immer wieder auf

neue Anforderungen und Verfahren einstellen. Dies kann man noch als hinderlich, aber letztlich nicht entscheidende Erschwernis abtun.

Deutlich gravierender sind andere Probleme. Dazu gehört, dass eine Reihe von Staaten die Rechtmäßigkeit der deut-schen Ausreiseentscheidungen hinterfragt und zum Gegen-stand ihrer Entscheidung über die Ausstellung eines Rück-reisedokumentes macht. Die Staaten verlangen z.B. den Nachweis, dass alle Rechtsmittel ausgeschöpft worden sind, teilweise auch ohne die erforderliche Kenntnis des deutschen Rechtsmittelsystems. Bestandskraft ohne Ge-richtsurteil ist dann nur schwer zu vermitteln oder auch, dass anhängige Strafverfahren nicht zwingend etwas mit der Vollziehbarkeit einer Ausreisepflicht zu tun haben. Zu einem solchen Hinterfragen kann auch gehören, dass man sich mit dem Anwalt des Betroffenen in Verbindung setzt und von dort verständlicherweise nur selten die Auskunft bekommt, dass in diesem Fall nichts mehr zu machen ist. Man sieht vielmehr, dass sich hier eine neue Chance auftut, eine Abschiebung zu verhindern. Manchmal reicht es auch schon, wenn der Betroffene erklärt, dass er noch keine Mit-teilung über die Beendigung seines Verfahrens erhalten habe.

Während es bei den Rechtsmitteln noch um Verfahrensfra-gen geht, wird es noch deutlich komplizierter und schwieri-ger, wenn die inhaltliche Bewertung der Rechtmäßigkeit einer Aufenthaltsbeendigung im Sinne von Zumutbarkeit für den Betroffenen gestellt wird. Die konsularischen Ver-treter verstehen sich dann gelegentlich als Anwälte der Be-troffenen. Man hört sich die Nöte der Ausreisepflichtigen an, weshalb die Entscheidung der deutschen Behörden und Gerichte zu Unrecht ergangen sei und wie jammervoll es wäre, wenn er tatsächlich zurückkehren müsste. Taten wer-den beschönigt und Besserung gelobt. All dies wird eher selten mit den deutschen Behördenvertretern offen disku-tiert. Zumeist erfährt man nur durch die Art der Nachfragen, die gestellt werden, wo der Hase im Pfeffer liegt. Es gibt auch eher selten eine klare Absage, sondern das Verfahren wird permanent hinaus gezögert. Eventuell gibt es dann doch noch ein (erwartungsgemäß) negatives Ergebnis, ohne Begründung oder mit der Begründung, dass die Per-son nicht habe identifiziert werden können.

Besonders intensiv treten die geschilderten Probleme bei nordafrikanischen Staaten und solchen aus dem arabischen Raum auf, wenn es um Fälle geht, bei denen Familienbezü-ge, insbesondere zu in Deutschland lebenden Kindern eine Rolle spielen. Soweit diese Fragestellungen überhaupt of-fen diskutiert werden, wird immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass es mit der eigenen kulturellen Überzeugung und/oder dem innerstaatlichen Rechtssystem schlicht un-vereinbar sei, dass man z.B. einen Vater von seinem Kind

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trennt. Der deutschen Rechtslage, dass nur – und auch das nicht immer – das Sorgerecht oder zumindest ein tatsäch-lich gelebtes Umgangsrecht aufenthaltsrechtlich berück-sichtigt werden können, stößt auf völliges Unverständnis. Auch nachweisbare Belege über die völlige Interessenlosig-keit an dem Umgang mit dem Kind helfen meist nicht. Die-se Passbeschaffungsfälle bleiben dann meist ungelöst. Selbstverständlich wissen die Väter dann auch sehr gut, auf dieser Klaviatur zu spielen.

Erkennbar ist auch, dass bei einigen Staaten die persönli-che Einstellung von Entscheidungsträgern zu Rückfüh-rungsfragen oft eine entscheidende Rolle spielt. Werden Personen ausgetauscht, ändern sich die Erfolgsaussichten und die Ergebnisse zum eher Positiven oder zum eher Ne-gativen.

Um diesen Problemen zumindest in Teilbereichen zu begeg-nen, hat Deutschland und später die EU mit zahlreichen Staaten Absprachen und Regularien über das Verfahren der Identitätsklärung und Rückübernahme getroffen. Dies ge-schah und geschieht in Form eines Memorandum of Un-derstanding, Protokollen oder Abkommen. Insbesondere die auf dem Prinzip von Gegenseitigkeit beruhenden EU-Rückübernahmeabkommen sind mittlerweile ziemlich stan-dardisiert und legen solche Dinge fest, wie die zuständige Behörde, die zu verwendenden Formulare, die Beantwor-tungsfristen in Verbindung mit einer Zustimmungsfiktion (wenn keine fristgerechte Beantwortung erfolgt), das Inter-viewverfahren sowie mit welchen Unterlagen und Doku-menten die Staatsangehörigkeit nachgewiesen oder glaub-haft gemacht werden kann. Um den Herkunftsstaaten einen Anreiz zum Abschluss solcher Abkommen zu bieten, geht das Angebot zumeist mit erleichterten Visaregelungen einher.

Verträge und Abkommen sind bekanntlich nur so gut, wie sie von beiden Seiten eingehalten werden. Bei Rücküber-nahmeabkommen oder entsprechenden Rückübernahme-protokollen kann man sagen, dass einige wirklich ihren Zweck erfüllen, wenn auch selten im vollen Umfange. Sie haben im Großen und Ganzen zu einer Verbesserung der formalen Verfahrensabläufe und der technischen Abwick-lung geführt. Inhaltlich bleibt allerdings nach wie vor eine Vielzahl von Fällen ohne identitätsbelegende Unterlagen ungeklärt. Hier schließt sich der Kreis zu den eingangs zu diesem Aufsatz gemachten Ausführungen zur Feststellung der Identität als Voraussetzung für eine Prüfung der Staats-angehörigkeit und der damit einhergehenden völkerrecht-lichen Verpflichtung zur Rückübernahme.

Und noch eine weitere Anmerkung dazu: Zumindest alle EU-Rückübernahmeabkommen enthalten die Regelung, dass im Fall der Nichtbeantwortung des Rückübernahme-ersuchens innerhalb der vertraglich festgelegten Frist die

Zustimmung zur Rückübernahme als erteilt gilt (Zustim-mungsfiktion). Folglich müsste der angefragte Staat bei Fristüberschreitung für diese Person ein Rückreisedoku-ment ausstellen – nur tut es kein Einziger. Die Souveränität des Staates, selbst und positiv darüber zu entscheiden, wem er die Einreise erlauben will, wird hier über Vertrags-regelungen gesetzt.

Wie man sieht, hat allein die Problematik der Beschaffung von Passersatzpapieren, die für eine Abschiebung bei Per-sonen ohne Pass nun mal zwingend ist, eine Menge an Schwierigkeiten zu bieten. Aber Passbeschaffung ist nicht das einzige Problem, das Abschiebungen verzögert oder verhindert. Wenn dem so wäre, könnten alle Ausreisepflich-tigen aus den Westbalkan-Staaten gleich nach Ablauf der ihnen gesetzten Ausreisefrist abgeschoben werden, denn Passbeschaffung spielt hier derzeit keine Rolle, da die Bun-desregierung durch Absprache mit diesen Staaten erreichen konnte, dass diese ein von den deutschen Behörden aus-gestelltes EU-Laissez-Passer als Grenzübertrittsdokument anerkennen.

Die Einreise von Asylbewerbern ohne Pass kann man kaum verhindern und die Übernahme von nicht als eigene Staats-angehörige identifizierten Personen wird man auch in Zu-kunft nicht von den vermuteten Herkunftsstaaten erwarten können.

E. Krankheit als Abschiebungshindernis

Manche Menschen sind krank und wer heute noch gesund ist, kann morgen krank werden. Diese banale oder manch-mal auch tragische Situation des menschlichen Lebens schließt Asylbewerber und Ausreisepflichtige natürlich nicht aus. Gibt der Asylbewerber in seinem Verfahren an, dass er krank ist und in seinem Herkunftsland nicht oder nicht optimal behandelt werden kann, so ist vom Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu prüfen, ob den Betroffenen deshalb Abschiebungsschutz zu gewähren ist. An diese Entscheidung sind die Ausländerbehörden gem. § 42 AsylG gebunden. Hat das BAMF entschieden, dass die vorgetragene Krankheit eine Abschiebung in das Herkunftsland nicht hindert, ist die Rechts- und Handlungs-grundlage für die Ausländerbehörde klar. Wenn die Person nicht freiwillig ausreist, muss sie abgeschoben werden.

Eine Abschiebung ist auch immer mit einer Reise verbun-den. Wer reisen will, muss von seinem Gesundheitszustand her in der Lage sein, die Reise durchzuführen. Er muss reise-fähig und wenn er fliegen will, muss er auch flugreisefähig sein. Während im privaten Bereich i.d.R. alles medizinisch Mögliche, insbesondere durch Einnahme geeigneter Medi-kamente, getan wird, um die Reisefähigkeit herzustellen, findet bei Abschiebungen genau das Gegenteil statt. Unter-

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schiedlichste Krankheitsbilder werden als Grund für eine nicht gegebene Reisefähigkeit herangezogen. Zumeist wird sogar eine Medikamenteneinnahme unterlassen, die unter Umständen das Problem leicht lösen könnte, behördlicher-seits aber nicht angeordnet werden kann.

Es ist auch offensichtlich kein Problem, sich ein ärztliches Attest zu besorgen, das eine Reisefähigkeit aus medizini-schen Gründen verneint. Interessant ist aber auch immer wieder zu sehen, wie viele Ärzte sich bei der Frage der Be-wertung der Reisefähigkeit auch gleichzeitig noch dazu in der Lage sehen, Bewertungen darüber abzugeben, ob die medizinische Situation im Herkunftsland eine Rückkehr zu-lässt oder nicht. Ein aktuelles Beispiel aus der Praxis des Autors: Eine angeblich kosovarische, aber als albanische Staatsangehörige identifizierte Asylbewerberin gab im Asylverfahren an, an Depressionen zu leiden und entspre-chende Medikamente einzunehmen. Das BAMF und das Verwaltungsgericht beschieden, dass die Krankheit in Alba-nien behandelbar sei. Nachdem die Abschiebung drohte, wurde ein Attest eines Arztes für Psychotherapie vorgelegt, das u.a. folgende Aussagen enthielt:

• Nicht unerheblich ist zum einen das Unrecht, das ihrem Ehemann widerfahren ist ... (Der Ehemann wurde in Al-banien wegen Mordes verurteilt).

• Auf dem Boden dieser Vulnerabilität kamen dann in den letzten Jahren die Morddrohungen im Rahmen der Blutrachepraxis (bei wenig ausgeprägtem Rechtsstaats-system) ... hinzu.

• ... es handelt sich um einen dringend behandlungsbe-dürftigen Zustand, der im Ursprungsland nicht therapiert werden kann. Frau E. ist zudem nicht reisefähig.

• Ich gehe davon aus, dass erst in Jahresfrist über neue Maßnahmen diskutiert werden kann; bis dahin muss dringend die Unversehrtheit der Betroffenen gewähr-leistet sein und ein sicherer Platz bereitgestellt werden.

Dieser Arzt beansprucht für sich die Kenntnis, dass die alba-nische Justiz ein gravierendes Fehlurteil gefällt hat, die Frau Blutrache befürchten muss und dass Albanien ein wenig ausgeprägtes Rechtsstaatssystem hat. Er sieht sich auch zu einer Aussage zur medizinischen Versorgung im Herkunfts-land imstande, wonach eine Depression in Albanien nicht therapiert werden kann.

Ein Attest, wonach jemand krank ist und deswegen nicht ab-geschoben werden kann, bringt immer einen neuen Prüfungs-aufwand mit sich. Erfolgen die Einwendungen erst kurz vor dem Abschiebungstermin oder gar während des laufenden Vollzugsprozesses, wird es zeitlich oft knapp und führt auch immer wieder zum Abbruch der Maßnahme. In der Vergan-genheit war die späte Vorlage von Attesten daher eine gerne und oft geübte Praxis. Um diese erkennbar missbräuchliche Praxis zu unterbinden, hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz

zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, das am 12.03.2016 in Kraft getreten ist, einige neue Regelungen (§ 60a Abs. 2c und 2d AufenthG) eingeführt. Dazu gehört, dass es sich bei dem Attest um eine qualifizierte ärztliche Beschei-nigung handeln muss, die von einem approbierten Arzt aus-gestellt sein muss und die hinsichtlich der Aussagen zu dem Grund der Reiseunfähigkeit bestimmte Merkmale, wie bspw. die Grundlage der fachlichen Beurteilung, die Methode der Tatsachenerhebung und der Diagnosen enthalten soll.2

Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Vermutung (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG), dass der Abschiebung gesundheit-liche Gründe nicht entgegenstehen, hindern Atteste, die den formalen Anforderungen nicht entsprechen, grds. die Ab-schiebung nicht mehr (formale Präklusion). Dennoch wird die Ausländerbehörde, außer in klaren Missbrauchsfällen und bei erkennbaren Gefälligkeitsattesten eher zurückhal-tend bei der Nichtberücksichtigung agieren und möglichst noch eine Überprüfung durch einen Amtsarzt durchführen lassen. Im Zweifel will man keine gesundheitliche Gefähr-dung riskieren und dafür hinterher – auch wenn formal die Rechtmäßigkeit außer Frage steht – in den Medien als igno-ranter Vollstrecker da stehen. Die Option der zusätzlichen Überprüfung des Attestes hat begrüßenswerterweise der Gesetzgeber ausgeschlossen, wenn der Abzuschiebende eine solche ärztliche Bescheinigung zwar schon besessen, aber zurückgehalten hat, um damit noch kurzfristig den Ab-schiebungsprozess zu stoppen. Die Ausländerbehörde darf ein solches Attest nicht mehr berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an einer früheren Vorlage gehindert (§ 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG).

Diese neuen Regelungen haben der Praxis schon ein Stück weit geholfen, um zumindest die größten Missbrauchsmög-lichkeiten zu reduzieren. Krankheit spielt dennoch in der Voll-zugsfrage immer noch eine sehr wichtige Rolle. Zum einen gibt es eine erhebliche Zahl von Fällen von Schwerkranken und Schwerstkranken, die erkennbar das Asylverfahren nur nutzen, um in Deutschland eine bessere medizinische Ver-sorgung zu erhalten. Diese Krankheitsbilder lassen i.d.R. eine Rückführung längerfristig oder auch dauerhaft nicht zu. Voll-zugsrelevant sind sie insoweit, weil diese Personen zumeist im Familienverband einreisen und die ausreisepflichtigen Familienmitglieder, wie Ehegatten und Kinder, dann ebenfalls nicht abgeschoben werden können.

Psychische Erkrankungen wie Posttraumatische Belas-tungsstörungen (PTBS), Depressionen und Suizidalität ha-ben immer einen besonderen Stellenwert bei der Durchset-zung von Ausreisepflichten. Neben den tatsächlichen Erkrankungen werden solche Krankheitsbilder auch gerne

2 Ähnlich schon BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 Rn. 15 f.

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ins Feld geführt, weil sie hinsichtlich ihrer Ernsthaftigkeit und der von ihr ausgehenden Gefahr nur schwer zu dia-gnostizieren, zu bestätigen oder zu widerlegen sind. Die Androhung, sich bei einer Abschiebung umzubringen, er-folgt oft. Die Abschätzung der Ernsthaftigkeit birgt immer ein gewisses Risiko, dennoch kann nicht jede Abschiebung abgebrochen werden, nur weil eine solche Drohung aus-gesprochen wird. Letztlich müssen die Einsatzkräfte von Ausländerbehörde und Polizei vor Ort die Entscheidung treffen, ob es eine eher leere Drohung ist oder ob eventuell ein Arzt hinzugezogen werden muss.

Eine besondere Form der medizinischen Problemstellungen ergibt sich immer wieder im Zusammenhang mit dem poli-zeilichen Zugriff bei nicht angekündigten Abschiebungen. Das seit März 2016 geltende gesetzliche Verbot der Ankün-digung von Abschiebungen verhindert in vielen Fällen das kurzfristige Untertauchen der Person oder das gerne prakti-zierte Unterbringen eines Kindes an einem den Behörden unbekannten Ort. Das überraschende Erscheinen der Poli-zei mit der Aufforderung, die Sachen zu packen, weil die Abschiebung in den nächsten Stunden erfolgen soll, produ-ziert verständlicherweise oft Stresssituationen, die auch medizinisch relevante Reaktionen hervorrufen können. Ins-besondere bei Familien steigert man sich gegenseitig – laut jammernde Mütter, dadurch verstörte Kinder, aggressive Väter – in eine Stimmung, die tatsächlich oder gewollt Symptome wie Hyperventilation, Schreikrämpfe und Versu-che von Selbstverletzungen hervorruft, die eine sofortige medizinische Abklärung erforderlich erscheinen lassen. Dann müssen Notärzte hinzu gerufen werden und oft rei-chen die vor Ort bestehenden diagnostischen Möglichkei-ten nicht aus, mit Unbedenklichkeit eine aktuelle Reisefä-higkeit zu diagnostizieren – also Abbruch der Maßnahme.

Bei dieser kurzen Betrachtung der medizinisch begründe-ten Vollzugshindernisse muss noch darauf hingewiesen werden, dass es insbesondere in ländlichen Gebieten oft an der notwendigen medizinischen Infrastruktur, wie Kliniken, Fach- und Amtsärzten fehlt, um die erforderlichen Begut-achtungen und Reisefähigkeitsuntersuchungen in ange-messener Zeit durchführen zu können. Bis zu einer notwen-digen psychiatrischen Untersuchung können dann schon einmal ein paar Monate vergehen. Und es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass noch lange nicht alle Ärzte – auch Amtsärzte – bereit sind, durch ihre Mitarbeit Abschiebun-gen zu fördern oder zu ermöglichen. Nicht wenige lehnen dies aus ethischen oder weltanschaulichen Gründen ab.3

F. Die Abschiebungshaft

Sind alle administrativen Voraussetzungen für eine Ab-schiebung geschaffen, geht es an die konkrete Ablaufpla-

nung. Soweit die betroffene Person nicht in Straf- oder U-Haft sitzt, stellt sich der Ausländerbehörde als Erstes die Frage: Was kann oder muss ich tun, damit der Abzu-schiebende am Flugtag zur Verfügung steht? Plane ich eine Direktabschiebung, d.h. Abholung in der Wohnung oder Unterkunft mit anschließendem Transport zum Flug-hafen, mit dem Risiko, dass der oder die Betroffenen nicht da sind und die Abschiebung dann platzt, oder kann man sie sicherheitshalber mit dem notwendigen zeitlichen Vor-lauf in Abschiebungshaft nehmen lassen? In der Tat dient das Institut der Abschiebungshaft der Sicherung der Ab-schiebung. Da es sich hierbei aber um einen Freiheitsent-zug handelt und damit um einen tiefen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Rechtsgut der Freiheit, hat der Gesetzgeber und die Rechtsprechung der Haft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung enge Grenzen gesetzt. Unzulässig ist die Abschiebungshaft, wenn der Sicherungszweck durch andere, mildere Mittel erreicht werden kann, z.B. durch eine Sicherheitsleistung (§ 62 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

Sie ist auch unzulässig, wenn feststeht, dass die Abschie-bung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Das Gesetz enthält zudem verschiedene Tatbestandsmerkmale, bei de-ren Erfüllung der Ausländer auf richterliche Anordnung in Abschiebungshaft zu nehmen ist. Die Ausländerbehörde muss in einem Haftantrag die Umstände und Tatsachen darlegen, die nach ihrer Auffassung die Tatbestandsmerk-male als erfüllt erscheinen lassen. Der Haftrichter muss prü-fen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Bejaht er dies, muss er Haft anordnen.

Ein derartiger Eingriff in die Freiheit muss nicht nur erfor-derlich sein, er muss auch verhältnismäßig sein. Um die Verhältnismäßigkeit einer Haftanordnung prüfen zu kön-nen, muss das Gericht nicht nur das Ziel der Haft (die Siche-rung der Abschiebung), sondern auch die Schwere des Ein-griffs beurteilen. Dafür muss es wissen, wie lange die Freiheitsentziehung tatsächlich nötig sein wird, um eine Abschiebung des Betroffenen durchzuführen. Dazu muss laut BGH-Rechtsprechung der Haftantrag nicht nur Ausfüh-rungen enthalten, ob und innerhalb welcher Zeit Abschie-bungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind und wann erfahrungsgemäß mit der Ausstellung eines

3 Vgl. dazu den Abschnitt über Menschenrechte/Asylbewerber im Be-schlussprotokoll des 111. Deutschen Ärztetages vom 20. bis 23.05.2008, S. 96 ff. - abrufbar unter: http://www.bundesaerztekam-mer.de/fileadmin/user_upload/downloads/111DAETBeschlussproto-koll200808251.pdf.

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Passersatzpapiers zu rechnen ist.4 Er muss vielmehr auch angegeben werden, auf welcher Tatsachengrundlage diese Angaben beruhen. Bedenkt man all die Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten, die alleine die Frage der Passbeschaf-fung bei mal mehr oder weniger kooperierenden Herkunfts-staaten mit sich bringen, wird deutlich, auf welch unsiche-rem Terrain man sich hier befindet. Was ist „üblicherweise“ bei einem Spektrum der Verfahrensdauer bei der Passbe-schaffung von einigen Wochen bis über viele Monate und Jahre und ungewissem Ausgang? Und es ist ja nicht nur die Zeit für die Passbeschaffung, nein, es geht um den komplet-ten Zeitraum vom Haftantrag bis zur durchgeführten Ab-schiebung. Zudem darf bei der Haftbeantragung nicht fest-stehen, dass die (komplette!) Abschiebung innerhalb von drei Monaten nicht durchgeführt werden kann, es sei denn, der Ausländer hat die längere Dauer zu vertreten.5 Auch wenn er die Passlosigkeit selbst zu vertreten hat, die Ver-fahrensdauer der Passbeschaffung gehört nicht dazu.

Schwierigkeiten bereitet zudem die Vielzahl von kleinen und kleinsten formalen Anforderungen, die die umfangrei-che Rechtsprechung des BGH entwickelt hat, bei deren Nichtbeachtung der Haftantrag bereits als unzulässig be-wertet wird.6 Als Beispiel sei hier nur genannt, dass die schriftliche Mitteilung des BAMF, dass die Abschiebungs-androhung aus dem negativen Asylbescheid vollziehbar ist, dem Gericht nicht ausreichen darf. Es muss sich eine Kopie der Postzustellungsurkunde, mit der der Asylbescheid zu-gestellt worden ist, in der Ausländerakte befinden. Postzu-stellungsurkunden befinden sich üblicherweise aber nur bei der den Bescheid zustellenden Behörde, dem BAMF; wenn die unter Umständen umfangreiche Ausländerakte noch einen Hinweis auf ein polizeiliches Ermittlungsverfahren wegen eines irgendwo begangenen Ladendiebstahls ent-hält, ist ein Haftantrag erst zulässig, wenn die Ausländer-behörde die nach § 72 Abs. 4 AufenthG notwendige Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Abschiebung ein-geholt hat.

Die immer wieder von Kritikern des Ausländerrechts publi-zierten Aussagen über eine große Zahl von Fällen, in denen der BGH rechtswidrig Haftanordnungen aufgehoben hat und damit die Betroffenen zu Unrecht in Haft genommen worden sind, beruhen fast immer auf rein formalen Fehlern. Nur sehr selten hat nach Kenntnis des Autors der BGH ent-schieden, dass der eigentliche Haftgrund, die Sicherungs-notwendigkeit, nicht vorgelegen hat.

Bei ungeplanten Festnahmen stehen der Ausländerbehörde für den Haftantrag i.d.R. nur wenige Stunden zur Verfü-gung, bis sie den Betroffenen dem Haftrichter vorführen muss. Dazu muss ein Haftantrag mit allen Elementen und formalen Anforderungen vorgelegt werden, es muss ein Dolmetscher besorgt werden und es muss der Termin mit

dem Haftrichter und der Transport zum Gericht organisiert werden. Die beschriebenen formalen Probleme gelten dann nicht, wenn die Ausländerbehörde nur eine einstweilige Anordnung von Abschiebungshaft (Höchstdauer sechs Wo-chen) beantragt. Eine solche liegt allerdings im Ermessen des Richters und das Verfahren lässt die Frage offen, ob die verfassungsmäßig gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Grundlage eines unvollständigen Antrags über-haupt erfolgen kann. Diese formalen Schwierigkeiten sind Ausfluss des Umstandes, dass 2008 mit dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenhei-ten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) die Regelun-gen über Freiheitsentziehung auch für Abschiebungshaft-fälle getroffen worden sind. Damit gelten für Ab -schiebungshaft die gleichen formalen Anforderungen wie z.B. für die Unterbringung von psychisch Kranken. Ein klarer Missstand, der den praktischen Anforderungen für eine Ab-schiebungshaft deutlich widerspricht.

Zurückblickend auf den Fall Amri und die bisher dazu ver-öffentlichten Erkenntnisse ist es aus Sicht des Autors ein-deutig, dass es eine Reihe von Haftgründen gab, aber es ist gleichzeitig zumindest mehr als fraglich, ob ein Haftantrag bzw. die Aufrechterhaltung der bereits vom AG Ravensburg angeordneten Haft (vermutlich war es nur eine polizeiliche Gewahrsamnahme über ein Wochenende zum Zweck der späteren Abschiebungshaftbeantragung) bei der großen Unsicherheit hinsichtlich der Passersatzausstellung durch Tunesien, von wo erst im Oktober ein negatives Ergebnis zu Amri kam, rechtlich tragfähig gewesen wäre.

G. Die Abschiebung

Sind alle die vorbeschriebenen Umstände auf allen Gebie-ten gelöst oder gar nicht aufgetreten, kann dann letztlich abgeschoben werden. Aber nur, wenn der Abzuschiebende nicht noch dermaßen randaliert, dass der Flugkapitän eine Mitnahme verweigert. Es kommt auch vor, dass noch schnell ein asylrechtlicher Folgeantrag durch den Anwalt gestellt wird. Diese Schwierigkeiten können beim nächsten Versuch mit Charterflügen, auch mal mit teuren Kleinst-chartermaßnahmen überwunden werden. Es gibt aber auch Staaten wie Marokko und Algerien, wo selbst das nicht funktioniert, denn sie lehnen Charterflüge generell ab, weil sie keine Rückführung „in Würde“ gewährleisteten.

4 BGH, Beschl. v. 15.09.2011 - V ZB 123/11; BGH, Beschl. v. 27.10.2011 - V ZB 311/10; BGH, Beschl. v. 20.03.2014 - V ZB 169/13; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 10.12.2014 - 1 C 11/14 Rn. 22.

5 BGH, Beschl. v. 27.10.2011 - V ZB 311/10 Rn. 6.6 Vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Bumiller/Harders/Schwamb,

FamFG - Freiwillige Gerichtsbarkeit, 11. Aufl. 2015, § 417 Rn. 5 ff.

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H. Schlussbemerkung

Die vorstehend geschilderten rechtlichen und tatsächlichen Widrigkeiten sind nicht die einzigen, die den Ausländerbehör-den das Leben bei der Abschiebung ausreisepflichtiger Aus-länder schwer machen. Eine Unterarbeitsgruppe der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung hat die Probleme in einem Bericht vom Frühjahr 2015 wie folgt zusammengefasst:7

• Abschiebungen finden seit vielen Jahren in einem ge-sellschaftlichen Klima der Ächtung und Ablehnung statt.

• Wenn in den Medien und der öffentlichen Diskussion die Rückführung von Ausreisepflichtigen thematisiert wird, dann stets mit dem Tenor des Skandalisierens des be-hördlichen Handelns bei gleichzeitiger Überhöhung der Darstellung des Schicksals des einzelnen Ausländers.

• Einflussreiche gesellschaftliche Gruppen (Kirchen, Gewerk-schaften, Wohlfahrtsverbände, politische Parteien) stellen Abschiebungen als einen Akt des inhumanen staatlichen Handelns dar, das eines Rechtsstaates nicht würdig ist.

• Den Behörden wird die gesetzliche Legitimation ihres Handelns abgesprochen, weil eine vermeintliche Mehr-heit der Gesellschaft zwangsweise Rückführung ableh-ne, da dieses mit einer Willkommenskultur nicht verein-bar sei.

• Verantwortungsträger aus der Politik tabuisieren das Thema „Abschiebung“ bestenfalls, häufiger aber schlie-ßen sie sich dem Mainstream an.

• Rückführungen werden nicht mehr als politisch gewoll-tes und gesetzlich vorgegebenes Mittel zur Bekämpfung der ungesteuerten illegalen Zuwanderung anerkannt.

• Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt (z.B. Aktionen zur Verhinderung von Abschiebungen) wird nicht mehr straf-rechtlich sanktioniert; im Gegenteil sie gilt als anerken-nenswerte Form der Zivilcourage.

War dies über viele Jahre mit zunehmender Tendenz das öffentliche und politische Umfeld, in denen die Ausländer-behörde ihre schwierige und oft nicht immer angenehme Arbeit verrichten musste, zeichnet sich jetzt eine Trendwen-de ab. Abschiebungen werden als das angesehen, was sie immer schon waren: eine notwendige rechtsstaatliche Auf-gabe. Das ist positiv zu bewerten, ebenso die Beschlüsse von Bund und Ländern vom Februar 2017 zur Erleichterung von Abschiebungen. Es ist aber nur ein erster Schritt, dem viele weitere Schritte der praktischen Umsetzung folgen müssen. Dazu zählt die personelle Ausstattung der Auslän-derbehörden. Denn in der Realität sind Ausländerbehörden insbesondere im Bereich der Aufenthaltsbeendigung oft völlig unzureichend besetzt und die eingesetzten Mitarbei-ter überwiegend Beamte des mittleren Dienstes oder der Eingangsämter des gehobenen Dienstes, vergleichbar dem Sachbearbeiter für Gaststättengewerbe oder Wohngeld-zahlungen. Und dennoch sind viele sehr engagiert und leis-ten gute Arbeit. Die schiere Anzahl der jetzt durch die zig-tausend negativen Asylbescheide auf die Ausländerbehörden zurollenden Fälle von Aufenthaltsbeendigung lässt aller-dings für die Zukunft hier nichts Gutes erwarten. Ange-sichts der Bedeutung, die das Thema konsequente Aufent-haltsbeendigung aktuell gewonnen hat, müssen die or -ganisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen auf allen Ebenen verbessert werden. Und es muss in manchen Rathäusern und Kreisverwaltungen der Wille zu Vollzug von Abschiebungsmaßnahmen wachsen, auch wenn sie im Ein-zelfall unpopulär sein mögen.

7 http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Kurzmeldungen/bund-laender-bericht-hindernisse-abschiebungen.pdf?__blob=publi-cationFile.

A. Einleitung

Asylbewerber bleiben i.d.R. nicht im ersten Mitgliedstaat der EU. Sie wandern weiter in diejenigen Länder, in denen bereits eine Gemeinschaft ihrer Landsleute existiert oder in denen sie sich über den bloßen Schutz hinaus einen gewis-sen Wohlstand erhoffen. Sie flüchten oft jahrelang und ver-suchen nach Rückschlägen mehrfach und auf anderen We-gen, irgendwie an ihr Ziel zu gelangen. Dabei durchqueren sie i.d.R. mehrere Länder und geraten in unterschiedlicher Weise mit den jeweiligen Behörden in Kontakt. Die Bundes-

republik Deutschland kann dabei aufgrund ihrer geografi-schen Lage – von den seltenen Fällen der Einreise mit dem Flugzeug einmal abgesehen – nicht der erste Mitgliedstaat der EU sein, den der Schutzsuchende erreicht hat. Sie stellt aber nach einer langen Flucht oft ihr Ziel dar. Hier stellen die Betroffenen dann (erneut) ein Schutzgesuch beim Bun-desamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bun-desamt). Nun beginnt die Suche nach dem zuständigen Mitgliedstaat, und sie zieht sich lange hin. Denn wenn das Bundesamt seinen Bescheid hierzu erlassen hat, wird oft-

Die Weiterwanderung von Asylsuchenden innerhalb der EU

VRi’inVG Dr. Stephanie Gamp

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mals gerichtlicher Rechtsschutz gesucht. So vergehen Jah-re, in denen nur um die Zuständigkeit desjenigen Staates gestritten wird, der das Gesuch inhaltlich zu prüfen hat. Hieraus resultieren zahlreiche asylrechtliche Probleme. Ex-emplarisch hierfür stehen zwei syrische Antragsteller, die zusammen über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Ma-zedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich und Deutschland nach Schweden gereist sind. Die Bedingun-gen, die sie dort vorfanden, sagten ihnen jedoch aus ver-schiedenen Gründen nicht zu. Sie warteten daher den Aus-gang ihrer Asylverfahren nicht ab, sondern kehrten über Dänemark zurück nach Deutschland und stellten hier er-neut ein Schutzgesuch. Nachdem das Bundesamt sie nach Schweden überstellen wollte, suchten sie gerichtlichen Eil-rechtsschutz beim VG Berlin; ich komme hierauf noch zu-rück.

B. Überblick

Die rechtliche Lösung hängt von mehreren Faktoren ab. Von zentraler Bedeutung ist, ob der Flüchtling im Europäischen Binnenraum schon registriert worden ist, ob es mithin einen Eurodactreffer der Kategorie 1 oder 2 gibt. Ist dies nicht der Fall – wie bei vielen Asylsuchenden, die im Som-mer und Herbst 2015 in das Bundesgebiet eingereist sind – findet das sog. nationale Verfahren statt. Andernfalls ist das Dublin-System dazu berufen, den zuständigen Mit-gliedstaat zu bestimmen. Abweichendes gilt aber, wenn dem Schutzsuchenden bereits in einem anderen Mitglied-staat der EU eine Form des internationalen Schutzes ge-währt worden ist.

C. Die nationalen Verfahren

Ohne Eurodactreffer ist die Sekundärmigration nicht nach-weisbar, sie wirft daher auch keine (rechtlichen) Probleme auf. Das Schutzgesuch wird nach den Bestimmungen des Asylgesetzes inhaltlich geprüft. Das Bundesamt stellt fest, ob die Voraussetzungen der §§ 3 ff. AsylG erfüllt sind. Ist dies der Fall, wird der Flüchtlingsstatus zuerkannt. Der sub-sidiäre Schutz wird gewährt, wenn die Anforderungen des § 4 AsylG erfüllt sind. Um eine Anerkennung als Asylberech-tigter i.S.d. Art. 16a § 2 AsylG geht es den vorliegenden Fällen typischerweise nicht. Ggf. stellt das Bundesamt zu-mindest nationale Abschiebungshindernisse nach den § 60 Abs. 5, § 7 Satz 1 AufenthG fest oder trifft eine Befristungs-entscheidung nach den § 75 Nr. 12, § 11 AufenthG.

Das Bundesamt gewährt dabei den Flüchtlingen, die ange-ben, aus dem Herkunftsland Syrien zu stammen, i.d.R. (nur) einen subsidiären Schutz und lehnt den Asylantrag im Übri-gen ab.1 Hiergegen wird in zahlreichen Fällen gerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen, was vor allem auf die

eingeschränkte Möglichkeit für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zurückzuführen ist (vgl. § 104 Abs. 13 AufenthG). Aus dieser Vielzahl von Klagen resultiert aktuell eine ganz außerordentliche Belastung der Verwal-tungsgerichte im gesamten Bundesgebiet. So haben im Jahr 2016 insgesamt 173.000 Asylantragsteller neue Klagever-fahren bei diesen Gerichten eingeleitet. Allein am VG Berlin sind bis zum 31.12.2016 insgesamt 10.559 asylrechtliche Verfahren eingegangen, das ist mehr als das Vierfache des Vorjahres. Ein großer Teil hiervon entfällt auf diese „Aufsto-cker“-Klagen, die deshalb inzwischen in „Paketen“ auf mehrere Kammern des Gerichts verteilt werden.

D. Die Dublin-Verfahren

Ist der Schutzsuchende hingegen (irgendwo) registriert worden, dann ist es grds. Aufgabe des Dublin-Systems, den für die Bearbeitung des Asylgesuchs zuständigen Mitglied-staat zu definieren. Rechtsgrundlage für die Dublin-Be-scheide waren ursprünglich die §§ 27a, 34a AsylG a.F. Seit den Änderungen des Asylgesetzes durch das Integrations-gesetz vom 31.07.2016 werden sie auf die § 29a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), § 34a AsylG gestützt. Der Tenor lautet: „Der Asylantrag wird als unzulässig abgelehnt“, § 31 Abs. 6 AsylG. Zeitlich ist inzwischen regelmäßig die Dublin III-Ver-ordnung einschlägig, Art. 49 Abs. 2 Dublin III-VO.2 Die in ihr getroffenen Regelungen wollen eine klare und praktikable Formel für die Verteilung liefern. Die Zuständigkeitsbestim-mung soll auf objektiven und für die Mitgliedstaaten sowie die Betroffenen gerechten Kriterien basieren und rasch er-folgen (vgl. ihren 4. und 5. Erwägungsgrund). Das ist keine leichte Aufgabe angesichts der aktuellen Flüchtlingsströme.

Die Einzelheiten der Zuständigkeitsverteilung ergeben sich aus dem Kapitel III der Dublin III-Verordnung. Zentrale Norm ist hierbei Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO, der regelt, dass der-jenige Mitgliedstaat zuständig ist, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Schutzsuchender aus einem Drittstaat kom-mend illegal überschritten hat. Die illegale Einreise aus einem Drittstaat ist mithin entscheidend, nicht die Antrag-stellung (vgl. jedoch Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO). Ist ein zu-ständiger Staat gefunden, bestimmen sich dessen Pflichten nach dem Kapitel V der Verordnung. Insbesondere ist er zur Aufnahme des Schutzsuchenden und (Fortführung der)

1 Bestätigt durch VGH München, Urt. v. 12.12.2016 - 21 ZB 16/30338 u.a. (Pressemitteilung); OVG Münster, Beschl. v. 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A Rn. 3 ff.; OVG Schleswig, Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 (Pressemitteilung).

2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013, ABl. L 180/31.

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inhaltlichen Prüfung seines Gesuchs zuständig, Art. 18 Dublin III-VO. Wenn jedoch innerhalb der in Kapitel VI der Dublin III-Verordnung geregelten Fristen keine Überstellung in den anderen Mitgliedstaat stattfindet, dann ist dieser nicht mehr zur Übernahme verpflichtet. Die Zuständigkeit geht auf die Bundesrepublik Deutschland über, das Schutz-gesuch ist nach den nationalen Bestimmungen zu prüfen. Dies folgt aus Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO. Sehr viele Dublin-Rechtsschutzverfahren erweisen sich so im Nach-hinein als überflüssig. Das ist nicht nur wegen der knappen Ressourcen des Bundesamtes und der Verwaltungsgerichte ein unhaltbarer Zustand. Vor allem wohnt dem Rechts-staatsprinzip die Vorstellung inne, dass gerichtliche Ent-scheidungen auch vollzogen werden. Vor diesem Hinter-grund stellt es eine sinnvolle geplante Änderung der Dublin-Bestimmungen dar, dass der Ablauf von Fristen grds. nicht mehr zu einer Verlagerung der Zuständigkeit zwischen den Mitgliedstaaten führen soll.3

I. Fehlerfreie Anwendung der Zuständig-keitskriterien

Wie viel Rechtsschutz kann ein Flüchtling einfordern, um die Einhaltung der „objektiven“ und „gerechten“ Kriterien ge-richtlich überprüfen zu lassen? Das lenkt den Blick auf die Frage, ob die Dublin III-Verordnung nur organisatorische Re-gelungen für die einzelnen Mitgliedstaaten beinhaltet oder zumindest teilweise auch subjektive (einklagbare) Rechte schützt. Der EuGH hat unlängst entschieden, dass die fehler-hafte Anwendung der in Kapitel III der Dublin III-Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriterien von einem Schutzsu-chenden geltend gemacht werden kann.4 Dies stellt eine deutliche Abkehr von der zur Dublin II-Verordnung vertrete-nen Rechtsauffassung dar.5 Danach durfte ein Asylbewerber nämlich nur dann nicht an den nach den Dublin-Bestimmun-gen zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbe-werber in diesem Mitgliedstaat aufgrund systemischer Män-gel, mithin regelhaft defizitär waren und damit zu befürchten stand, dass auch ihm dort mit beachtlicher Wahrscheinlich-keit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Bei (fort-)bestehender Übernahmebereitschaft eines Mitgliedstaates konnte ein Schutzsuchender nicht umfas-send zur gerichtlichen Prüfung stellen, ob die Dublin-Zustän-digkeitsregelungen objektiv-rechtlich richtig angewendet worden sind, an sich die Frist für ein Übernahmegesuch ab-gelaufen gewesen ist oder sonst das Bundesamt das Verfah-ren nicht mit der gebotenen Beschleunigung durchgeführt hat.6 Es war weitgehend anerkannt, dass den allgemeinen Zuständigkeits- und Fristenregelungen der Dublin II-Verord-nung keine individualrechtschützende Wirkung zukam.7 Ab-weichendes galt nur für unbegleitete Minderjährige.8

Welche Auswirkungen die geänderte Rechtsprechung des EuGH hat, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass die Verwal-tungsgerichte nunmehr zu prüfen haben, ob die vom Unionsgesetzgeber festgelegten Zuständigkeitskriterien im konkreten Einzelfall fehlerfrei angewandt worden sind. Das BVerwG hat unter Hinweis auf diese Entscheidungen be-reits entschieden, dass die Fristenregelungen der Dublin III-Verordnung drittschützend sind.9

In nicht wenigen Dublin-Eilverfahren wird inzwischen ver-sucht, die neue Rechtsprechung fruchtbar zu machen, was grundsätzliche Fragen zu ihrer Reichweite aufwirft. So lag es auch in dem eingangs geschilderten Fall der beiden Syrer, die durch ganz Europa bis nach Schweden gereist waren, um dann über Dänemark in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren. Einen Eurodactreffer gab es nur für Schweden. Sie legten erstmals im gerichtlichen Ver-fahren Fähr- und Zugtickets vor, die belegten, dass sie vor ihrem Aufenthalt in Schweden durch das Bundesgebiet ge-reist sind. Hiermit versuchten sie unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH, die Unzuständigkeit Schwedens und die Zuständigkeit Deutschlands zu begründen. Dies er-scheint deshalb nicht unproblematisch, weil die Gefahr be-steht, dass nicht mehr objektive und für die Mitgliedstaaten gerechte Kriterien der Dublin III-Verordnung über die Zu-ständigkeit eines Mitgliedstaates entscheiden. Es kann nicht in der Hand eines Schutzsuchenden liegen, durch Vor-lage entsprechender Dokumente i.S.d. Anhangs II Verzeich-nis B der Durchführungsverordnung10 aus dem Land seiner Wahl die Zuständigkeitsentscheidung zu beeinflussen oder nachträglich infrage zu stellen. Denn es ist nicht die Auf-gabe des mit der Prüfung eines Rechtsbehelfs befassten Gerichts, die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantra-ges einem nach Belieben des Antragstellers bestimmten Mitgliedstaat zu übertragen. Es hat allein zu überprüfen, ob die unionsrechtlichen Zuständigkeitskriterien fehlerfrei an-

3 Vgl. Art. 30 in den Änderungsvorschlägen der Kommission, BR-Drs. 390/16, S. 69 f.

4 EuGH, Urt. v. 07.06.2016 - C-63/15 Rn. 30 ff. - „Ghezelbash“ und EuGH, Urt. v. 07.06.2016 - C-155/15 Rn. 22 ff. - „Karim“.

5 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12 Rn. 62 - „Abdullahi“.6 Siehe BVerwG, Urt. v. 27.10.2015 - 1 C 32/14 Rn. 20; BVerwG, Beschl.

v. 19.03.2014 - 10 B 6/14 Rn. 4 ff.7 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 27.10.2015 - 1 C 32/14 Rn. 20.8 BVerwG, Urt. v. 16.11.2015 - 1 C 4/15 Rn. 25.9 BVerwG, Urt. v. 09.08.2016 - 1 C 6/16 Rn. 22.10 Durchführungsordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom

30.01.2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsange-hörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 39/1.

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gewandt worden sind. So verhielt es sich hier. Denn auch in Ansehung des eigenen Vorbringens der Antragsteller konn-te die Zuständigkeit Deutschlands nach der Dublin III-Ver-ordnung nicht gegeben sein. Der Vortrag und die vorgeleg-ten Indizien wiesen gerade nicht kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert auf eine solche Zuständigkeit hin und waren damit von vornherein nicht geeignet, das Beweismittel des schwedischen Eurodactreffers zu wider-legen.11

II. Systemische Mängel

Zentralen Raum nimmt innerhalb des Dublin-Rechtsschut-zes daneben die Frage ein, ob es systemische Mängel i.S.d. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO in dem Mitgliedstaat gibt, in den überstellt werden soll. Solche können im dorti-gen Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber liegen. Zu den Voraussetzungen dieser Män-gel und zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Vorliegens ver-halten sich zahlreiche gerichtliche Entscheidungen12 und Veröffentlichungen,13 sodass ausführliche Darlegungen hier entbehrlich sind. Die Verwaltungsgerichte hatten dabei schon mehrfach zu Überstellungen von Flüchtlingen nach Ungarn zu befinden.14 Auch in nahezu allen Verfahren von Überstellungen nach Bulgarien15 oder Italien16 wird disku-tiert, ob systemische Mängel bestehen. Im Grunde genom-men wird kein Mitgliedstaat von derartigen Überlegungen der Schutzsuchenden ausgenommen; auch in Bezug auf Frankreich, Kroatien, Polen, Rumänien, Schweden, Norwe-gen, die Niederlande oder Spanien werden solche Mängel regelmäßig geltend gemacht. Unumstritten ist nur, dass das griechische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebe-dingungen (bislang)17 systemische Mängel aufweisen.18

III. Feststellung zu zielstaatsbezogenen Abschie-bungshindernissen

Das Bundesamt ist nunmehr bei jeder Entscheidung über unzulässige Asylanträge gem. § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ver-pflichtet, eine Entscheidung zu den zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und § 7 Satz 1 AufenthG zu treffen. Hierbei geht es vor allem um die Be-handlungsmöglichkeiten bestimmter Erkrankungen im Ziel-staat.19 Das stellt bei den Dublin-Bescheiden inhaltlich eine (unnötige) Dopplung dar.20 Denn die in diesem Bereich vor-gesehene Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG darf ohnehin erst dann ergehen, wenn keine inländischen oder zielstaatsbezogenen Vollstreckungshindernisse vorliegen.21 Da die Änderungen des Asylgesetzes durch das Integra-tionsgesetz von 2016 ohne Übergangsregelungen in Kraft traten und nach § 77 Abs. 1 AsylG stets die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist, gibt es nicht wenige (Alt-)Verfahren, in

denen der Bescheid noch keine Entscheidung zu diesen Ab-schiebungshindernissen enthält.22

E. Die Schutzgewährung durch einen anderen Mit-gliedstaat

Ist dem Flüchtling schon eine Form des internationalen Schutzes zuerkannt worden, geht es nicht mehr um die ra-sche Bestimmung eines zuständigen Staates. Es hat sich bereits ein Mitgliedstaat für zuständig gehalten und sogar Schutz gewährt. Nach überwiegender Ansicht war bzw. ist das kein Fall (mehr) für die Dublin III-Verordnung;23 kommt es zu den derzeit diskutierten Änderungen der Dublin-Be-stimmungen, mag dies zukünftig anders zu sehen sein.24 Was folgt daraus rechtlich für die Flüchtlinge, die weiter-wandern? Sie stellen im Bundesgebiet i.d.R. einen weiteren Asylantrag und der Eurodactreffer weist auch hier auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates hin. Das Bun-desamt erfährt von der Schutzgewährung typischerweise nicht von den Flüchtlingen selbst, sondern erst dadurch, dass das auf das Dublin-System gestützte Übernahmeersu-chen von der Dublin Unit des anderen Staates unter Hinweis auf den schon gewährten Schutz zurückgewiesen wird.

11 Vgl. VG Berlin, Beschl. v. 19.07.2016 - VG 23 L 327/16 A - EA S. 3 ff. und VG Berlin, Beschl. v. 19.07/2016 - VG 23 L 426/16 A - EA S. 3 ff.; siehe auch VG Berlin, Beschl. v. 29.07.2016 - VG 23 L 270/16 A - EA S. 3.

12 Vgl. einerseits VGH Mannheim, Urt. v. 05.07.2016 - A 11 S 974/16 Rn. 24 ff. m.w.N. und andererseits OVG Lüneburg, Urt. v. 15.11.2016 - 8 LB 92/15 Rn. 34 ff., 40 f.

13 Etwa Dörig, jM 2015, 196, 198 ff.14 Siehe VGH Mannheim, Urt. v. 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 Rn. 25 ff.;

OVG Lüneburg, Urt. v. 15.11.2016 - 8 LB 92/15 Rn. 42 ff. jeweils m.w.N.15 Dazu VGH Mannheim, Urt. v. 01.04.2015 - A 11 S 106/15 Rn. 36 ff.;

VGH München, Beschl. v. 15.11.2016 - 13a ZB 16/50064 Rn. 4 f. jeweils m.w.N.

16 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.07.2016 - 13 A 1859/14.A Rn. 41 ff. m.w.N.17 Siehe Empfehlung der Europäischen Kommission vom 08.12.2016

unter http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-16-4253_de.htm.18 Vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09.19 Siehe § 60 Abs. 7 Sätze 2, 3 und 4 AufenthG.20 Vgl. VG Potsdam, Beschl. v. 14.10.2016 - 6 L 899/16.A Rn. 6: gesetz-

geberisches Versehen.21 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.09.2014 - 2 BvR 1795/14 Rn. 9; OVG Berlin-

Brandenburg, Beschl. v. 01.02.2012 - OVG 2 S 6.12 Rn. 4.22 Vgl. hierzu VG Schwerin, Urt. v. 26.09.2016 - 16 A 1757/15 As SN

Rn. 123 ff. m.w.N. und Bethke/Hocks, Asylmagazin 2016, 336, 339.23 VG Berlin, Urt. v. 04.06.2015 - VG 23 K 906/14 A Rn. 17 f.; VG Berlin,

Urt. v. 25.01.2016 - 34 K 162/15 A Rn. 28 ff.; VG Düsseldorf, Urt. v. 18.09.2015 - 13 K 2288/15.A Rn. 17 ff.; a.A. OVG Münster, Urt. v. 22.09.2016 - 13 A 2448/15.A Rn. 47 ff.; VG Berlin, Urt. v. 10.09.2015 - 33 K 113/15 A Rn. 19 ff. jeweils m.w.N.

24 Vgl. Art. 20 Abs. 1e, Art. 3 Abs. 5, Art. 9 Abs. 1 in den Änderungsvor-schlägen der Kommission, BR-Drs. 390/16, S. 45, 50, 56.

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Das Bundesamt hat in diesen Fällen bis zu den Neuregelun-gen des Asylgesetzes im Sommer 2016 i.d.R. einen sog. Drittstaatenbescheid nach § 26a AsylG a.F. erlassen und die Abschiebung in diesen Mitgliedstaat gem. § 34a AsylG a.F. angeordnet. Der Blick auf die damit verbundenen Frage-stellungen lohnt auch heute noch, weil sich nicht alle Pro-bleme durch die Neuregelungen in § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35 AsylG erledigt haben dürften.

I. Rechtslage bis zum Inkrafttreten der Änderungen im Asylgesetz durch das Integrationsgesetz

Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat die Heran-ziehung des § 26a AsylG a.F. seinerzeit für rechtmäßig ge-halten, und zwar auch dann, wenn lediglich subsidiärer Schutz gewährt worden ist.25

Hiergegen sprach insbesondere nicht, dass nach der Recht-sprechung des BVerwG26 der (weitere) Antrag eines im Aus-land anerkannten Schutzberechtigten unzulässig ist, weil – gestützt auf § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG – kein Anspruch auf eine neuerliche Statusentscheidung be-stehe. Denn ihr lässt sich nicht entnehmen, wie materiell über einen entsprechenden Antrag zu entscheiden ist. § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG regelt allein den Abschiebungs-schutz und beantwortet nicht die Frage, auf welche konkre-te gesetzliche Vorschrift das Bundesamt seine Entscheidung über den Asylantrag zu stützen und wie es hierbei den Te-nor zu formulieren hat. Demgegenüber konnte § 26a AsylG a.F. – auch historisch – als speziellere Regelung für eine Teilmenge der von § 60 Abs. 1 AufenthG erfassten Perso-nengruppe verstanden werden.27

Sogar diejenigen Fälle des in einem anderen Mitgliedstaat gewährten subsidiären Schutzes haben sich auf § 26a AsylG a.F. stützen lassen, in denen der Asylantrag bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Asylverfahrensrichtli-nie28 zum 20.07.2015 gestellt worden war. Zwar hat das BVerwG entschieden,29 dass vor diesem Datum gestellte Asylanträge nicht allein deshalb als unzulässig behandelt werden dürften, weil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden ist. Jedoch hat sich diese Rechtsprechung nicht zur Ableh-nung eines Asylantrages nach § 26a AsylG a.F. verhalten. Die Ausführungen des BVerwG waren vielmehr (erneut) be-zogen auf § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, den das Bundesamt in der Vorinstanz herangezogen hatte.30 Allein in diesem Zusammenhang war im Lichte der europarechtlichen Vor-gaben darüber zu befinden, ob die Norm die Ablehnung eines Asylantrages „als unzulässig“ nur bei andernorts zu-erkannter Flüchtlingseigenschaft oder aber auch bei ge-währtem subsidiärem Schutz erlaubt. Diese Erwägungen haben sich jedoch nicht auf die Drittstaatenregelung über-tragen lassen.31

Für eine kurze Zeit ist das Bundesamt in diesen Fällen der Schutzgewährung durch einen anderen Staat in besonderer Weise verfahren. Es hat den Tenor nicht gem. § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylG a.F. abgefasst, sondern tenoriert: „Der Asyl-antrag ist unzulässig“, hierfür aber keine Rechtsgrundlage angegeben. Zur Begründung zitierte die Behörde lediglich die bereits erwähnte, auf § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG bezogene Entscheidung des BVerwG,32 wonach ein erneutes Anerkennungsverfahren unzulässig sei. Das war mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren. Angesichts der differenzierten Regelungen im Asylgesetz muss ein Bescheid vielmehr eindeutig erkennen lassen, nach welcher Rechtsgrundlage ein Asylantrag abgelehnt wird. Nur so wird deutlich, welche Anforderungen an die Rechtmäßigkeit in formeller und materieller Hinsicht gelten und welche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in zuläs-siger Weise auf sie gestützt werden können. Diesen Erfor-dernissen genügte jenes „Bescheidmodell“ nicht.33

Ungefähr zeitgleich änderte das Bundesamt in einer Viel-zahl von Drittstaatenbescheiden, die sich schon im Klage-verfahren befunden haben, die Abschiebungsanordnungen in Abschiebungsandrohungen. Zur Begründung verwies die Behörde darauf, eine Androhung sei gegenüber der Anord-nung das mildere Mittel. Dieser Argumentation folgten mehrere Gerichte nicht.34 Vielmehr ergab die Auslegung der Bestimmungen des Asylgesetzes, dass ein Drittstaaten-bescheid nur mit einer Abschiebungsanordnung gem. § 34a AsylG a.F. verbunden werden konnte; Abschiebungsanord-nung und Abschiebungsandrohung stellen keine teilidenti-schen Vollstreckungsmaßnahmen dar.35

25 Vgl. VG Berlin, Urt. v. 04.03.2016 - 23 K 323/14 A Rn. 15 ff.; VG Berlin, Urt. v. 25.01.2016 - 34 K 162/15 A Rn. 23 ff.; a.A. VG Berlin, Urt. v. 10.09.2015 - 33 K 113/15 A Rn. 17 ff. jeweils m.w.N.

26 BVerwG, Urt. v. 17.06.2014 - 10 C 7.13 Rn. 28 ff. In diesem Sinne auch Dörig, jM 2015, 196, 200.

27 OVG Koblenz, Urt. v. 18.02.2016 - 1 A 11081/14 Rn. 27; VG Berlin, Urt. v. 04.06.2015 - 23 K 906/14 A Rn. 20, 37; VG Stade, Urt. v. 15.12.2015 - 4 A 980/15 Rn. 33 m.w.N.

28 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), ABl. L 80/60.

29 BVerwG, Beschl. v. 23.10.2015 - 1 B 41/15 Rn. 11 f.30 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 29.04.2015 - A 11 S 57/15 Rn. 14.31 Vgl. erneut OVG Koblenz, Urt. v. 18.02.2016 - 1 A 11081/14 Rn. 27; VG

Berlin, Urt. v. 04.03.2016 - 23 K 323/14 A Rn. 20; VG Berlin, Urt. v. 25.01.2016 - 34 K 162/15 A Rn. 35.

32 BVerwG, Urt. v. 17.06.2014 - 10 C 7/13 Rn. 29.33 VG Berlin, Urt. v. 22.02.2016 - 23 K 349/15 A Rn. 13 ff.; VG Berlin, Urt.

v. 22.02.2016 - 23 K 183/15 A Rn. 13 ff.; VG Berlin, Urt. v. 15.03.2016 - 9 K 167/15 A - EA S. 4 ff.

34 VG Ansbach, Urt. v. 29.07.2016 - AN 14 K 15/50037 Rn. 33 ff.; VG Ber-lin, Urt. v. 04.06.2015 - 23 K 906/14 A Rn. 32 ff.; VG Stade, Urt. v. 15.12.2015 - 4 A 980/15 Rn. 28 ff.; a.A. VG München, Urt. v. 21.06.2016 - M 12 K 16/30933 Rn. 26 jeweils m.w.N.

35 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.10.2015 - 1 B 41/15 Rn. 15.

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II. Rechtslage seit dem Inkrafttreten der Änderun-gen im Asylgesetz durch das Integrationsgesetz

Die Vielzahl rechtlicher Fragen zeigt, dass es ein großes Be-dürfnis für eine gesetzgeberische Regelung dieser Fälle gab. Seit dem 06.08.2016 gilt nunmehr § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) der Asylverfahrensricht-linie umsetzt. Der (erneute) Asylantrag ist in den Fällen der Schutzgewährung durch einen anderen Staat „unzulässig“ und wird vom Bundesamt nicht materiell geprüft. Für diese Konstellationen sieht § 35 AsylG allein den Erlass einer Ab-schiebungsandrohung vor; die Ausreisefrist von einer Wo-che folgt aus § 36 Abs. 1 AsylG. Eilrechtsschutz gegen die Abschiebungsandrohung ist nach § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG innerhalb einer Woche ab Bekanntgabe möglich.

Damit scheint einiges geklärt zu sein, vor allem die zuvor streitige Frage, ob eine Abschiebungsandrohung im vorste-henden Zusammenhang erlassen werden darf oder nicht.36 Was aber bleiben dürfte, ist der Streit um diejenigen Kon-stellationen, in denen in dem anderen Mitgliedstaat nur subsidiärer Schutz gewährt und der Antrag vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Asylverfahrensrichtlinie gestellt worden ist. Er stellt sich jetzt nur nicht mehr bei § 26a AsylG a.F. bzw. § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG, sondern im Rahmen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Es geht um die Frage, ob eine europarechtskonforme Einschränkung der Ablehnung eines Gesuchs „als unzulässig“ geboten ist, wenn in dem anderen Mitgliedstaat nur subsidiärer Schutz gewährt und der Asylantrag vor dem 20.07.2015 gestellt worden ist. Dies haben inzwischen schon mehrere Verwal-tungsgerichte unter Hinweis auf den erwähnten Beschluss des BVerwG vom 23.10.201537 bejaht. Das Bundesamt muss das Gesuch in diesen Fällen inhaltlich prüfen, weil das Unionsrecht für die in Umsetzung der Asylverfahrens-richtlinie getroffene Regelung in Bezug auf den subsidiären Schutz einen zeitlichen Anwendungsbereich (erst) für An-träge ab diesem Datum vorgibt.38

Auch die zur früheren Rechtslage in vielen Verfahren39 dis-kutierte Frage, ob es sich bei dem für die Überstellung in Aussicht genommenen Mitgliedstaat der EU tatsächlich um einen sicheren Drittstaat40 handelt, stellt sich nicht mehr. Die Fälle sind jetzt dogmatisch aus § 26a AsylG herausge-löst und eigenständig in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verankert worden. Weder das nationale Recht noch Unionsrecht se-hen eine weitergehende Prüfung als Voraussetzung für die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig vor, ob der Be-troffene im Fall einer Überstellung mit beachtlicher Wahr-scheinlichkeit Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder er-niedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden.41 Diese Problematik wird nunmehr allein im Rah-men der Abschiebungshindernisse des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG relevant, zu denen das Bundesamt jetzt

auch im hiesigen Zusammenhang gem. § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG eine Entscheidung zu treffen hat.42

Im Übrigen gibt es auch in dieser Konstellation wegen der fehlenden Übergangsregelungen im Integrationsgesetz nicht wenige (Alt-)Verfahren, in denen eine zunächst recht-mäßig erlassene Abschiebungsanordnung inzwischen rechtswidrig geworden ist, weil das Gesetz jetzt allein eine Abschiebungsandrohung vorsieht.43 Die Umdeutung eines alten § 26a-Ausspruches in eine Entscheidung nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist hingegen zulässig; immerhin bleibt die im Verwaltungsakt getroffene Regelung unangetastet und wird nur auf eine neue Rechtsgrundlage gestützt.44

F. Ausblick

Auch nach den asylrechtlichen Änderungen durch das Inte-grationsgesetz bleiben Fragen offen. Zudem gibt es weitere Probleme, deren Lösung mit der bisherigen Gesetzeslage nicht zufriedenstellend gelingt. Gemeint sind vor allem die Fälle der wiederholten Einreise von Asylsuchenden in das Bundesgebiet. Mit den zunehmenden Rückführungen steigt nämlich auch die Zahl derjenigen Flüchtlinge, die nur kurze Zeit später ein zweites oder drittes Mal ins Bundesgebiet einreisen und sich nochmals mit einem Schutzgesuch an das Bundesamt wenden. Was muss diese Behörde dann prüfen, worin liegt die Rechtsgrundlage für eine Ableh-nung? Ist erneut ein Dublin-Verfahren durchzuführen? Wenn ja, woran knüpfen die Fristen an? Verbraucht sich eine Abschiebungsanordnung oder -androhung mit der Überstellung? Hierzu wird in Kürze eine Entscheidung des EuGH ergehen.45

36 Vgl. auch § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG.37 BVerwG, Beschl. v. 23.10.2015 - 1 B 41/15 Rn. 11 f.38 Zum Vorstehenden VG Düsseldorf, Beschl. v. 14.11.2016 - 22 L

2936/16.A Rn. 16 ff.; VG Kassel, Beschl. v. 18.10.2016 - 4 L 1781/16.KS.A Rn. 2 ff.; VG Potsdam, GB v. 30.08.2016 - VG 6 K 4927/15.A - EA S. 3; ebenso Bethke/Hocks, Asylmagazin 2016, 336, 341; a.A. VG Ham-burg, Urt. v. 22.11.2016 - 16 A 5054/14 Rn. 30 ff.

39 Etwa VG Berlin, Urt. v. 04.03.2016 - 23 K 323/14 A Rn. 21 ff. (Ungarn) oder VG Berlin, Urt. v. 10.03.2016 - 23 K 10/16 A Rn. 20 ff. (Bulgarien) jeweils m.w.N.

40 Vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 Rn. 181, 185, 189 f.

41 OVG Münster, Urt. v. 24.08.2016 - 13 A 63/16.A Rn. 41.42 Erneut Dopplung, vgl. § 35, § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG.43 Vgl. VG Berlin, Beschl. v. 10.10.2016 - 23 L 757/16 A - EA S. 2.44 Vgl. in diesem Zusammenhang OVG Münster, Urt. v. 24.08.2016 -

13 A 63/16.A Rn. 28 ff.; Bethke/Hocks, Asylmagazin 2016, 336, 341 f. m.w.N.

45 BVerwG, EuGH-Vorlage v. 27.04.2016 - 1 C 22/15 Rn. 11 ff.; vgl. auch VG Berlin, Beschl. v. 21.10.2016 - 23 L 999/16 A - EA S. 3 f.

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Steuerrecht

Voraussetzungen und Folgen der RechnungsberichtigungBFH, Urt. v. 20.10.2016 - V R 26/15

RiBFH Dr. Gerhard Michel

A. Problemstellung

Jahr für Jahr werden im Geschäftsverkehr unzählige Rech-nungen erstellt. Mit ihnen macht der Leistende jeweils Zah-lungsforderungen gegen den Leistungsempfänger geltend. Handelt es sich beim Leistenden um einen Unternehmer, der Lieferungen oder sonstige Leistungen an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausführt, ist er nach § 14 Abs. 2 UStG verpflichtet, dem Empfänger eine Rech-nung mit zahlreichen Einzelangaben auszustellen (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 10 UStG). Aus Unkenntnis oder Nachlässig-keit sind viele Rechnungen fehlerhaft, weil sie eine oder mehrere der erforderlichen Angaben nicht oder nicht voll-ständig bezeichnen. Für den Rechnungsaussteller bleiben solche Fehler meist folgenlos, nicht aber für den Leistungs-empfänger:

Wird die Finanzverwaltung auf Rechnungsfehler aufmerk-sam, wurde bislang der Vorsteuerabzug für das Jahr der erstmaligen Rechnungsausstellung versagt; dies geschah selbst dann, wenn es dem Leistungsempfänger nach der Beanstandung gelang, dem Finanzamt eine berichtigte und damit einwandfreie Rechnung vorzulegen. Der Vorsteuer-abzug wurde dann zwar für das Jahr gewährt, in dem die berichtigte Rechnung vorlag, sodass der Unternehmer nicht an der gezahlten Umsatzsteuer „hängen“ blieb. Nachteilig war jedoch, dass die Nichtanerkennung der fehlerhaften Erstrechnung zu Nachzahlungszinsen für mehrere Jahre und daher in oft beträchtlicher Höhe führte (§ 233a AO). Dieser Praxis wird mit dem Besprechungsurteil in vielen Fällen die Grundlage entzogen. Nunmehr kann der Unter-nehmer grds. noch bis zum Schluss einer mündlichen Ver-handlung vor dem Finanzgericht berichtigte Rechnungen vorlegen, die zu einer Anerkennung des Vorsteuerabzugs im Jahr der erstmaligen/ursprünglichen Rechnungsausstellung führen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

I. Der entschiedene Sachverhalt

Die Klägerin betreibt ein Dentallabor. Aufgrund einer Be-triebsprüfung erließ das beklagte Finanzamt geänderte

Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre. Dabei berück-sichtigte es für das Jahr 2005 Vorsteuer aus den Rechnun-gen eines Rechtsanwalts und für die Jahre 2006 und 2007 Vorsteuer aus Rechnungen einer Unternehmensberatung nicht, da in den Rechnungen die Art der erbrachten Leistun-gen nicht hinreichend genau bezeichnet war. Nach erfolg-losem Einspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Finanz-gericht und legte dem Finanzamt während des Klage -verfahrens Rechnungen vor, in denen der Gegenstand der Leistung ordnungsgemäß bezeichnet war. Das Finanzge-richt wies die Klage ab, weil die Berichtigung jedenfalls dann keine Rückwirkung entfalte, wenn die berichtigten Rechnungen erst nach Ergehen der Einspruchsentschei-dung vorgelegt würden. Mit der Revision verfolgte die Klä-gerin ihr Begehren weiter.

II. Die Aussagen des BFH

Das Besprechungsurteil klärt, dass eine Rechnungsberichti-gung im Umsatzsteuerrecht zurückwirkt, welche Rechnun-gen berichtigt werden können und darüber hinaus, dass Rechnungsberichtigungen noch bis zum Schluss der münd-lichen Verhandlung vor dem Finanzgericht zulässig sind.

1. Rechnungsberichtigung mit Rückwirkung

Die wichtigste, wenn auch nicht überraschende Konse-quenz des Besprechungsurteils ist, dass eine ordnungsge-mäße Rechnungsberichtigung nunmehr auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungsausstellung zurückwirkt.

a) Der BFH folgt insoweit der Entscheidung des EuGH im Urteil „Senatex GmbH“ vom 15.09.2016.1 Danach ist es unionsrechtlich unzulässig, dass nationalen Vorschrif-ten der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe keine Rückwirkung zukomme.

b) Die Umsetzung des EuGH-Urteils in nationales Recht erfolgt durch richtlinienkonforme Auslegung des § 31 Abs. 5 UStDV. Eine Berichtigung nach dieser Vorschrift wirkt daher auf den Zeitpunkt zurück, in dem die Rech-nung ursprünglich ausgestellt wurde. Seine frühere Rechtsprechung, wonach die Vorsteuer aus einer be-richtigten Rechnung erst im Besteuerungszeitraum der Berichtigung abgezogen werden konnte,2 gibt der Senat ausdrücklich auf (Rechtsprechungsänderung).

1 EuGH, Urt. v. 15.09.2016 - C-518/14 - „Senatex GmbH“.2 BFH, Urt. v. 24.04.2006 - V R 16/05.

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2. Mindestinhalt einer Rechnung

Die unter 1. beschriebene Rechtsfolge gilt allerdings nur, wenn eine berichtigungsfähige Rechnung vorliegt. Dies be-deutet, dass nicht jedes Papier, das mit „Rechnung“ über-schrieben ist oder in dem über eine ausgeführte Lieferung oder Leistung abgerechnet wird, mit Rückwirkung berichtigt werden kann. Erforderlich ist vielmehr, dass die unvollständi-ge Erstrechnung bestimmte Mindestanforderungen erfüllt.

a) Erforderlich sind insbesondere Angaben• zum Rechnungsaussteller,• zum Leistungsempfänger,• zur Leistungsbeschreibung,• zum Entgelt und• zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer.

b) Enthält eine Rechnung die aufgezählten Angaben, ist wei-ter erforderlich, dass diese „nicht in so hohem Maße un-bestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sind, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen“. Wann dies bei der Bezeichnung des Ausstellers, Empfängers oder der Leistung oder Empfängers in concreto der Fall sein wird, dürfte im Hinblick auf den unbestimmten Wortlaut und den damit eingehenden subjektiven Auslegungsspielräumen in Zukunft für Streit mit den Finanzbehörden führen.

3. Zeitliche Grenze der Rechnungsberichtigung

Liegt eine berichtigungsfähige Erstrechnung vor, kann die-se nicht nur bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens, sondern sogar noch bis zum Schluss der mündlichen Ver-handlung beim Finanzgericht berichtigt werden.

a) Da sich weder aus den EuGH-Entscheidungen „Senatex GmbH“3 und „Petroma Transports SA“4 noch aus § 31 Abs. 5 UStDV eine zeitliche Grenze für die Berichtigung ergebe, entschied der V. Senat, dass die Berichtigung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht möglich sei. Maßgebend hierfür war, dass das Finanzgericht nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonne-nen Überzeugung entscheidet. Zu diesem Gesamtergebnis gehören alle rechtserheblichen Umstände tatsächlicher Art, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.5

b) Im Streitfall wurden die Rechnungen im Januar 2013, mithin vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht berichtigt. Da auch die übrigen Vor-aussetzungen des Vorsteuerabzugs erfüllt waren, konn-ten die streitgegenständlichen Rechnungen mit Rückwir-kung auf das Jahr ihrer Erstellung berichtigt werden.

C. Kontext der Entscheidung

Die Problematik der (rückwirkenden) Rechnungsberichti-gung stellt sich rechtssystematisch erst, wenn ein Mangel

der Erstrechnung feststeht, diese also unvollständig oder unzutreffend ist (vgl. § 31 Abs. 5 UStDV). Der BFH hat im Streitfall offengelassen, ob die Leistungsbeschreibung eines Rechtsanwalts unter dem Betreff „Beratervertrag“6 und die ähnlich formulierte einer Unternehmensberatung7 hinreichend bestimmt waren. Nach der bisherigen Recht-sprechung des Senats sowie dem EuGH-Urteil „Barlis 06“8 genügen derartig pauschale Formulierungen nicht. Der V. Senat hat es bereits im Beschluss vom 16.12.20089 als ge-klärt angesehen, dass eine mit „Beratungsleistung“ be-zeichnete Leistung nicht ausreichend beschrieben wird. Zu-dem ergibt sich aus dem Urteil vom 08.10.2008,10 dass die Bezeichnung als „technische Beratung und technische Kon-trolle“ den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht wird. Diese Rechtsprechung wird durch das EuGH-Urteil „Barlis 06“ bestätigt. Darin führt der EuGH unter Hinweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin vom 18.02.201611 aus, dass die Bezeichnung „juristische Dienstleistungen“ ein breites Spektrum von Dienstleistungen abdeckt und auch dann keine hinreichende Leistungsbeschreibung dar-stellt, wenn die Tätigkeit um zeitliche Angaben (Erbringung juristischer Dienstleistungen ab dem XX.YY.ZZZZ ... oder vom XX.YY.ZZ bis zum heutigen Tag) ergänzt wird. Eine se-parate Angabe des Umfangs einer Dienstleistung kann da-nach allenfalls dann entfallen, wenn sich bereits aus der Beschreibung ihrer Art ihr Umfang hinreichend ergibt, z.B. „Vertretung im Gerichtsverfahren X vor dem Gericht Y“.12

D. Auswirkungen für die Praxis

I. Das Besprechungsurteil ist eine Grundsatzentscheidung zum Vorsteuerabzug mit überaus großer Breitenwirkung.

1. In allen noch laufenden Verfahren, die den Vorsteuerabzug aus mangelhaften Rechnungen betreffen, kann der Steuer-pflichtige nunmehr noch bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht berichtigte Rechnungen vorlegen und da-mit den Vorsteuerabzug im Jahr der Erstrechnung „retten“. Erforderlich ist lediglich, dass es sich bei der Erstrechnung um eine berichtigungsfähige Rechnung im Sinne der Ausfüh-

3 EuGH, Urt. v. 15.09.2016 - C-518/14 - „Senatex GmbH“.4 EuGH, Urt. v. 08.05.2013 - C-271/12 - „Petroma Transports SA“.5 BFH, Urt. v. 12.12.2013 - X R 33/11 Rn. 26.6 „Ich erlaube mir, das vereinbarte Beraterhonorar wie folgt abzurech-

nen ...“.7 „Für allgemeine wirtschaftliche Beratung im ... berechnen wir Ihnen

pauschal wie vereinbart“ und „für zusätzliche betriebswirtschaftliche Beratung ... berechnen wir Ihnen pauschal wie vereinbart“.

8 EuGH, Urt. v. 15.09.2016 - C-516/14 - „Barlis 06“.9 BFH, Beschl. v. 16.12.2008 - V B 228/07.10 BFH, Urt. v. 08.10.2008 - V R 59/07.11 Schlussanträge der Generalanwältin v. 18.02.2016 - C-516/14.12 Schlussanträge der Generalanwältin v. 18.02.2016 - C-516/14 Rn. 63.

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rungen zu B.II.2. handelt und die berichtigte Rechnung die fehlenden oder unvollständigen Angaben enthält.

2. Darüber hinaus entfällt nach rückwirkender Rechnungs-berichtigung die definitive Belastung durch Nachzahlungs-zinsen (§§ 233a, 238 AO). Denn die Änderung der Steuerbe-scheide führt auch zur Änderung der Zinsbescheide. Dies gilt zumindest dann, wenn sich der den Vorsteuerabzug begeh-rende Unternehmer – wie im Besprechungsurteil – mit einem Rechtsbehelf gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs wendet oder zugunsten des Unternehmers eine andere Kor-rekturvorschrift als § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eingreift.

II. Scheidet eine Rechnungsberichtigung aus, weil keine be-richtigungsfähige Rechnung vorliegt oder der Rechnungsaus-steller nicht willens oder (wegen Insolvenz, Übernahme, Tod) nicht in der Lage ist, eine berichtigte Rechnung zu erstellen, könnte ein Vorsteuerabzug nach Ergänzung der fehlenden oder unvollständigen Angaben durch den Leistungsempfän-ger in Betracht kommen. Nach den Ausführungen des EuGH in der Entscheidung „Barlis 06“ darf die Finanzverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb verweigern, weil eine Rechnung die in Art. 226 Nr. 6 MwStSystRL aufge-stellten Voraussetzungen nicht erfüllt, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die für dieses Recht geltenden materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei hat sie auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Infor-mationen zu berücksichtigen.13 Im Besprechungsurteil hat der BFH die Frage des Vorsteuerabzugs ohne formale Rechnungs-berichtigung ausdrücklich offengelassen, sodass durch die weitere Rechtsprechung zu klären ist, ob den Aussagen des EuGH eine derart weitreichende Bedeutung zukommt.

13 EuGH, Urt. v. 15.09.2016 - C-516/14 Rn. 43 und 44 - „Barlis 06“.

Errichtung eines Betriebsgebäudes auf dem Grundstück des Nichtunternehmer-Ehegatten – doppelte AfA ohne Ver steuerung stiller ReservenBFH, Urt. v. 09.03.2016 - X R 46/14

RiBFH Dr. Egmont Kulosa

A. Problemstellung

Die einkommensteuerlich „richtige“ Lösung eines relativ simplen Sachverhalts ist seit Jahrzehnten umstritten, und zwar auch innerhalb der BFH-Rechtsprechung: Der Be-triebsinhaber errichtet mit eigenen Mitteln ein betrieblich genutztes Gebäude auf einem Grundstück, das (ganz oder

teilweise) auch seinem Ehegatten gehört. Eine besondere Nutzungsvereinbarung wird nicht getroffen.

Zivilrechtlich ist die Sache klar: Der Eigentümer des Grund und Bodens (der Nichtunternehmer-Ehegatte) wird so-gleich auch Eigentümer des errichteten Gebäudes (§ 94 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die steuerrechtliche Beurteilung ist viel schwieriger. Dabei geht es vor allem um die beiden folgen-den Problemkreise:

• Ist der Unternehmer-Ehegatte Inhaber eines Wirtschafts-guts in Bezug auf das zivilrechtlich im Eigentum des Nichtunternehmer-Ehegatten stehende Gebäude (bzw. den ideellen Gebäudeanteil) geworden? Die Beantwor-tung dieser Frage ist wichtig für die Absetzung für Ab-nutzung (AfA) sowie die Möglichkeit der Inanspruchnah-me von Sonderabschreibungen. In Betracht kommt die Annahme wirtschaftlichen Eigentums, eines materiellen Wirtschaftsguts ohne gleichzeitige Annahme wirtschaft-lichen Eigentums, eines immateriellen Wirtschaftsguts (Nutzungsrecht) oder einer bloßen Bilanzierungshilfe. Alle Varianten sind in der BFH-Rechtsprechung schon einmal vertreten worden.1 Dabei hat der BFH auch zi-vilrechtlich ein wenig „herumexperimentiert“, indem er bisweilen angenommen hat, dem Bauherrn stehe nach §§ 951, 812 BGB ein Ausgleichsanspruch gegen seinen Ehegatten (den zivilrechtlichen Eigentümer) zu, der stets auf den aktuellen Verkehrswert des Gebäudes gerich-tet sei.2 Mit der BGH-Rechtsprechung dürfte dies kaum kompatibel gewesen sein.

• Was passiert, wenn die betriebliche Nutzung des Gebäu-des endet? Geht die in der Steuerbilanz des Bauherrn ge-bildete Position einfach unter? Oder kann die Bilanzposi-tion Sitz stiller Reserven sein, die nun zu versteuern sind (wie es beim Verkauf oder der Entnahme eines „echten“ Gebäudes der Fall wäre)? Beide Varianten wurden in der bisherigen BFH-Rechtsprechung bereits angenommen.3

Das hier zu besprechende BFH-Urteil hat nun beide Fragen geklärt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

I. Sachverhalt

Der Sachverhalt ist – wie immer in diesen Fällen – recht einfach: Ein Betriebsinhaber – der Vater (V) des Klägers – hat vor vielen Jahren ein betrieblich genutztes Gebäude auf

1 Vgl. die umfangreichen Nachweise in Rn. 20 ff. des BFH, Urt. v. 09.03.2016 - X R 46/14.

2 BFH, Urt. v. 11.12.1987 - III R 188/81.3 Vgl. einerseits BFH, Urt. v. 10.03.1999 - XI R 22/98; andererseits BFH,

Urt. v. 29.04.2008 - VIII R 98/04.

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einem Grundstück errichtet, das zur Hälfte im Miteigentum seiner Ehefrau (der Mutter M des Klägers) steht. V hat die gesamten Baukosten in seiner Bilanz aktiviert und darauf steuermindernd AfA vorgenommen. Diese Handhabung entsprach der ganz herrschenden steuerrechtlichen Auffas-sung. Mittlerweile ist das Gebäude nahezu abgeschrieben. Nun überträgt V seinen Betrieb unentgeltlich auf seinen Sohn (den Kläger). Gleichzeitig schenken beide Elternteile dem Kläger die ihnen als Miteigentümern gehörenden be-bauten Betriebsgrundstücke.

II. Rechtliche Problemlage und Begehren des Klägers

Soweit es um die betrieblichen Wirtschaftsgüter geht, die im Eigentum des V stehen, ist die Lösung klar: Der Betrieb geht zum Buchwert auf den unentgeltlichen Rechtsnachfolger über (§ 6 Abs. 3 EStG; in dem sehr weit in die Vergangenheit zurückreichenden Streitfall war noch die inhaltsgleiche Vor-schrift des § 7 Abs. 1 EStDV anzuwenden). Der Übergeber V braucht insoweit keine stillen Reserven aufzudecken und zu versteuern. Im Gegenzug entsteht beim Übernehmer (dem Kläger) aber auch kein neues AfA-Volumen, das sich künftig bei ihm steuermindernd auswirken könnte.

Steuerrechtlich stellt – abweichend vom Zivilrecht – der Grund und Boden ein eigenes Wirtschaftsgut dar, das ge-trennt vom Gebäude zu bilanzieren ist. Auf dieser Grund-lage ist ebenfalls eindeutig, dass derjenige Teil des Grund und Bodens, der vor der Schenkung im Eigentum der M stand, aus deren Privatvermögen in das Betriebsvermögen des Sohnes übergeht. Es handelt sich daher um eine Einla-ge (§ 4 Abs. 1 Satz 8 EStG), die mit dem aktuellen Teilwert zu bewerten ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Der steuerrechtliche Teilwert entspricht im Regelfall dem Verkehrswert. Ist der Grundstückswert im Vergleich zum Zeitpunkt des Baube-ginns nominell gestiegen (was in den letzten Jahrzehnten schon zumeist allein durch die Auswirkungen der Inflation der Fall war), kann der Sohn in seiner Bilanz daher den ak-tuellen, höheren Wert ansetzen. Dies ist für ihn günstig, da die bisher eingetretenen Wertsteigerungen dann bei ihm nicht steuerverhaftet sind.

Streitig war die Behandlung der zuvor im Eigentum der M stehenden „ideellen Gebäudehälfte“ (die Zivilrechtler, bei denen es so etwas nicht gibt, mögen diese Wortschöpfung dem Steuerrechtler, der sie zwingend benötigt, verzeihen). V hatte hierfür einen Bilanzposten aktiviert und davon ge-winnmindernd AfA vorgenommen. Der aktuelle Teilwert des Gebäudes war erheblich höher als der fast abgeschrie-bene Restwert in der Bilanz des V. Der übernehmende Sohn (Kläger) wollte nun – ebenso wie dies unstreitig beim Grund und Boden möglich war – eine Einlage des Gebäu-deteils zum Teilwert vornehmen. Da der aktuelle Teilwert

sehr hoch war, hätte ihm dies für die Zukunft hohe gewinn-mindernde Abschreibungen beschert, ohne dass er eigene Anschaffungskosten für dieses Wirtschaftsgut hatte.

Das Finanzamt wollte dieser Behandlung zunächst zustim-men, aber im Gegenzug – unter Berufung auf frühere BFH-Rechtsprechung – bei V einen Gewinn aus der Übertragung des Bilanzpostens besteuern. Auf den Einspruch des V hin rückte das Finanzamt von dieser Beurteilung ab und beließ den Übertragungsvorgang bei diesem steuerfrei. Daraufhin wollte es aber beim Kläger keine nochmalige AfA vom Teil-wert zulassen. Es ging daher davon aus, der Kläger habe den Restwert der von V für die Baukosten gebildeten Posi-tion aus dessen Bilanz zu übernehmen. Dies hatte zur Folge, dass es die hohen AfA-Beträge in den Folgejahren nicht mehr anerkannte.

III. Lösung des BFH

Der BFH hat der Klage stattgegeben und dem Kläger die AfA vom (hohen) aktuellen Teilwert gewährt. Für dieses letztlich eindeutige Ergebnis war aber ein erheblicher Begründungs-aufwand erforderlich. Zunächst stellt der BFH umfassend die bisherige – sehr divergente – Rechtsprechungsentwicklung dar (dazu noch unter C.).4 Anschließend entscheidet er, dass der zivilrechtliche Eigentümer (hier also der Nichtunterneh-mer-Ehegatte) auch steuerrechtlich die einzige Person ist, der ein Wirtschaftsgut für das Gebäude zugerechnet werden kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Obwohl der Unter-nehmer-Ehegatte die gesamten Baukosten getragen hat, ist in seiner Bilanz kein Wirtschaftsgut anzusetzen, sondern le-diglich ein „Aufwandverteilungsposten“. Ein solcher Auf-wandverteilungsposten kann aber nicht Sitz stiller Reserven sein, so sich der von V gebildete Posten im Zeitpunkt der Eigentumsübertragung auf den Kläger trotz der zwischen-zeitlichen erheblichen Wertsteigerung des Gebäudes steuer-neutral verflüchtigt.5 Vielmehr liegt eine Einlage aus dem Privatvermögen der M vor, die beim Kläger mit dem Teilwert zu bewerten ist. Eine gesetzliche Grundlage, dem Kläger die AfA vom hohen Teilwert zu versagen, hat der BFH nicht er-kennen können.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung steht im Kontext der bisherigen Recht-sprechungsentwicklung zu dem dargestellten Problemkreis und schließt diese ab. Die bisherige Rechtsprechung lässt sich in drei Phasen einteilen:6

4 BFH, Urt. v. 09.03.2016 - X R 46/14 Rn. 20 ff.5 BFH, Urt. v. 09.03.2016 - X R 46/14 Rn. 40 ff.6 Zu Nachweisen vgl. BFH, Urt. v. 09.03.2016 - X R 46/14 Rn. 20 ff.

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• In der ersten Phase, die vom Beginn der 1970er Jahre bis etwa 1995 reichte, nahm der BFH an, der Unternehmer-Ehegatte habe durch seine Baukosten ein immaterielles Wirtschaftsgut („Nutzungsrecht“) geschaffen, auch wenn es an einer eindeutigen Vereinbarung zwischen den Ehe-leuten über eine Nutzungsbefugnis gerade fehlte. Die Rechtsprechung gewährte nur die (relativ geringe) AfA für immaterielle Wirtschaftsgüter (§ 7 Abs. 1 EStG); die Finanzverwaltung war damals großzügiger und ließ auch die für Gebäude geltenden Sonderabschreibungen sowie die Übertragung stiller Reserven nach § 6b EStG zu. Bei Beendigung der Nutzung des Gebäudes ging die (hier al-lerdings nicht eindeutige) Rechtsprechung überwiegend davon aus, dass die stillen Reserven zu versteuern seien.

• Die zweite Phase begann im Jahr 1995 mit einem Be-schluss des Großen Senats des BFH.7 Darin wurde fest-gelegt, dass der beim Nichteigentümer zu bildende Bilanz-posten „wie ein materielles Wirtschaftsgut“ zu behandeln sei. Daraus folgte nun auch nach Auffassung der Recht-sprechung die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen (die damals sehr hoch waren; man denke nur an die 50 %ige Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz für Gebäude in den neuen Bundes-ländern) sowie der Übertragung stiller Reserven nach § 6b EStG. In dieser Phase hat die Rechtsprechung zunehmend wirtschaftliches Eigentum des Unternehmers an der im zivilrechtlichen Eigentum seines Ehegatten stehenden Ge-bäudehälfte angenommen und daher bei Beendigung der Nutzung die stillen Reserven versteuert.

• Die dritte Phase begann im Jahr 2008 mit Entscheidun-gen des VIII. und IV. Senats des BFH, in denen jegliches Wirtschaftsgut beim Unternehmer-Ehegatten verneint und daher auch keine Grundlage für eine Verstrickung stiller Reserven gesehen wurde.8

Der X. Senat des BFH hat diese eingeleitete Entwicklung der dritten Phase nun bestätigt, aber auch die notwendigen weiteren Konsequenzen aufgezeigt und gezogen. Es er-staunt durchaus, dass eine derart grundlegende Neuorien-tierung der Rechtsprechung, wie sie in der Zeit seit 2008 stattgefunden hat, ohne die Anrufung des Großen Senats (§ 11 FGO) möglich gewesen sein soll. Immerhin haben in der Vergangenheit verschiedene Senate des BFH – mit unterschiedlichen Begründungen – entschieden, im Zeit-punkt der Beendigung der betrieblichen Nutzung seien die stillen Reserven zu versteuern.

D. Auswirkungen für die Praxis

I. Auswirkungen zugunsten der Steuerpflichtigen

Die unmittelbare Auswirkung der Entscheidung liegt in der Eröffnung eines neuen Steuersparmodells. Aufwendungen,

die nur einmal angefallen sind, können einkommensteuer-lich doppelt abgeschrieben werden: Zunächst kann der Bauherr (der ursprüngliche Betriebsinhaber) die AfA auf seine Baukosten vornehmen. Hierfür kommt es nicht darauf an, dass ihm kein Wirtschaftsgut zuzurechnen ist, weil es um die Verteilung des ihm tatsächlich entstandenen be-trieblichen Aufwands geht. Überträgt der ursprüngliche Be-triebsinhaber den Betrieb auf einen Dritten (z.B. auf einen Angehörigen der nächsten Generation) und erhält dieser gleichzeitig das Grundstück vom anderen Ehegatten ge-schenkt, handelt es sich um eine Einlage, die zum aktuellen Teilwert (Verkehrswert) zu bewerten ist. Dies ermöglicht es, das bereits nahezu abgeschriebene Gebäude nochmals ab-zuschreiben, und zwar von einer erheblich höheren Bemes-sungsgrundlage.

Dieses „Modell“ funktioniert auch ohne einen Generatio-nenwechsel. So könnte der Nichtunternehmer-Ehegatte (im Urteilsfall: M) seinen Grundstücksanteil unentgeltlich an den Betriebsinhaber (V) übertragen. Auch dies wäre als Ein-lage des Gebäudes in das Betriebsvermögen des V anzuse-hen, der nunmehr (nochmals) vom Teilwert AfA vornehmen könnte. Hier ergeben sich dann sogar doppelte AfA bei der-selben Person.

II. Auswirkungen zulasten der Steuerpflichtigen

Im Gegenzug zu der Aussage, dass der Aufwandvertei-lungsposten nicht Sitz stiller Reserven sein kann, hat der BFH nun auch ausgesprochen, dass solche stillen Reserven nicht „gewillkürt“ in diese Bilanzposition hineinverlagert werden können. Der Steuerpflichtige kann daher in Bezug auf diese Bilanzposition solche Steuervergünstigungen, die auf Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens beschränkt sind, nicht mehr in Anspruch nehmen.9 Nachdem in den letzten Jahren aber ohnehin zahlreiche Steuersubventionen abgeschafft worden sind, betrifft dies im aktuell geltenden Steuerrecht nur noch die Übertragung stiller Reserven nach § 6b EStG sowie die erhöhten Sätze der linearen AfA für Betriebsgebäude (§ 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG).

Die Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen, die unterschiedslos für Wirtschaftsgüter des Betriebs- und Pri-vatvermögens gelten, bleibt möglich. Bei diesen Normen hat sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden, die Vergünstigung auch dann zu gewähren, wenn die dadurch entstehenden stillen Reserven nicht steuerverstrickt sind. Dies betrifft im geltenden Recht die erhöhten Absetzungen

7 BFH, Beschl. v. 30.01.1995 - GrS 4/92.8 BFH, Urt. v. 29.04.2008 - VIII R 98/04; später auch BFH, Urt. v.

19.12.2012 - IV R 29/09.9 BFH, Urt. v. 09.03.2016 - X R 46/14 Rn. 42.

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nach §§ 7h, 7i EStG (für Baudenkmale sowie Gebäude in Sanierungsgebieten). Möglicherweise tritt noch in diesem Jahr ein neuer § 7b EStG zur Liste der Steuersubventionen hinzu; diese Norm soll den Bau preisgünstiger Mietwoh-nungen durch eine Sonderabschreibung von insgesamt 30 % in den ersten drei Jahren fördern und auch für Privat-vermögen gelten.

III. Übergangsprobleme

In der Vergangenheit haben Rechtsprechung und Finanz-verwaltung es zugelassen, dass in den Aufwandvertei-lungsposten hohe stille Reserven gelegt wurden (insbeson-dere durch die Übertragung stiller Reserven nach § 6b EStG sowie die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen in den neuen Bundesländern). Diese stillen Reserven sind nach der neuen BFH-Rechtsprechung nicht steuerverstrickt; im Fall der Beendigung der betrieblichen Nutzung des Ge-bäudes verflüchtigen sie sich unbesteuert.

Dass diese Rechtslage zu Brüchen – wenn auch zugunsten der betroffenen Steuerpflichtigen – führt, sieht auch der BFH. Er hat deswegen den Gesetzgeber geradezu aufgefor-dert, für diese Fälle eine Übergangsregelung zu treffen.10 Diese könnte auch im Wege der unechten Rückwirkung an-ordnen, dass bei (künftiger) Beendigung der Nutzung eines

Gebäudes, auf dessen Aufwandverteilungsposten stille Re-serven übertragen wurden, eine Nachversteuerung vorzu-nehmen ist.

E. Bewertung

Die aktuelle Entscheidung des X. Senats des BFH ist dog-matisch wohl als konsequent anzusehen. Sie beendet eine lange Phase der Rechtsunsicherheit. Die Rechtsausführun-gen zum Aufwandverteilungsposten, der nicht Sitz stiller Reserven sein kann, wurden in der mündlichen Verhand-lung auch von dem anwesenden Vertreter des Bundesfi-nanzministeriums akzeptiert. Es ist daher damit zu rechnen, dass sich die Finanzverwaltung der neuen dogmatischen Struktur anschließen wird. Probleme hat die Finanzverwal-tung allerdings mit der Zulassung der nochmaligen AfA vom Teilwert. Hier könnte mit einer abweichenden gesetz-lichen Regelung zu rechnen sein. Als Vorbild könnte § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG dienen, der bereits seit 1999 auf be-stimmte Einlagevorgänge anwendbar ist, die hier darge-stellten Fallgestaltungen nach seinem eindeutigen Wort-laut aber nicht erfasst.

10 BFH, Urt. v. 09.03.2016 - X R 46/14 Rn. 48.

Strafrecht

„Firmenbestattung“ und Bankrott-strafbarkeitLG Saarbrücken, Urt. v. 26.06.2015 - 2 KLs 23/14

Ri‘in Annika Ruppert

A. Problemstellung

Nach wie vor beschäftigt das Phänomen der „Firmenbe-stattung“1 die strafrechtliche Praxis. Hierunter wird die Ab-wicklung und Liquidation insolventer Gesellschaften unter Umgehung einer ordnungsgemäßen Insolvenz sowie der Gläubigerschutzvorschriften verstanden, mit der eine insol-venzrechtliche Haftung der geschäftsführenden Gesell-schafter verhindert und diesen ein unbelastetes weiteres Agieren am Markt ermöglicht werden soll. Im Fokus der Diskussion steht dabei die Frage, wie dieses Vorgehen – über eine mögliche Strafbarkeit wegen Verletzung der In-solvenzantragspflicht gem. § 15a InsO hinausgehend – strafrechtlich zu beurteilen ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das LG Saarbrücken2 befasste sich in der vorliegenden Ent-scheidung mit der Strafbarkeit verschiedener Akteure einer „Firmenbestattung“.

Die Angeklagten E. und T. waren Geschäftsführer und Ge-sellschafter (im Folgenden: Altgeschäftsführer) der E. GmbH. In Kenntnis der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der E. GmbH fassten sie den Entschluss, ihrer Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages durch die Vornahme einer „Firmen-bestattung“ zu entgehen. Ziel war es, sich der Gesellschaft unter Ausschluss einer zivil- oder strafrechtlichen Haftung zu entledigen und dabei das der E. GmbH verbliebene Vermö-gen so in eine neue Gesellschaft zu transferieren, dass der Zugriff der Gläubiger hierauf verhindert würde. Zu diesem Zweck nahmen die Altgeschäftsführer die Hilfe des Ange-

1 BT-Drs. 16/6140, S. 26.2 LG Saarbrücken, Urt. v. 26.05.2015 - 2 KLs 23/14.

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klagten F. in Anspruch. Dieser warb im Internet damit, aus einer etwaigen Haftung bei Zahlungsunfähigkeit oder Über-schuldung einer Gesellschaft zu befreien. Er bot dabei den Kauf der insolventen Gesellschaften durch eine von ihm zur Verfügung gestellte Nachfolgegesellschaft mit einer einher-gehenden Sitzverlegung und Umfirmierung der abzuwickeln-den Gesellschaft, die Neubestellung von Geschäftsführern sowie den Transfer der Forderungen in eine von den Altge-schäftsführern neu zu gründende Gesellschaft an.

Entsprechend dem von dem Angeklagten F. angeratenen Vorgehen traten die Altgeschäftsführer die Forderungen der E. GmbH an eine von dem Angeklagten F. gelenkte Ge-sellschaft ab, durch welche die jeweiligen Debitoren zur Zahlung an sie aufgefordert wurden. Der Angeklagte F. be-auftragte den von ihm vergüteten Angeklagten S., über eine von diesem geführte Gesellschaft die Gesellschaftsan-teile der E. GmbH zu übernehmen, sowie die Angeklagte K., als neue Geschäftsführerin der E. GmbH zu fungieren. S. und K. war dabei die geplante Abwicklung der E. GmbH bekannt. In der Folge unterzeichneten die Altgeschäftsfüh-rer, K. und S., einen notariellen Vertrag, in welchem die Ge-sellschaftsanteile an der E. GmbH an die von S. geführte Gesellschaft übertragen, die Altgeschäftsführer abberufen und die K. zur neuen Geschäftsführerin bestellt wurde. Zu-gleich wurde die E. GmbH umbenannt und der Sitz verlegt, wobei es sich bei der neuen Adresse nach dem Wissen und Willen aller Beteiligten um eine reine Briefkastenadresse handelte. Zu einer Handelsregistereintragung der verein-barten Änderungen kam es aufgrund eines formellen Man-gels bei Abschluss des notariellen Vertrages nicht.

Die Altgeschäftsführer zahlten das vereinbarte Honorar an den „Firmenbestatter“, erklärten den Arbeitnehmern rück-wirkend die betriebsbedingte Kündigung und brachten an dem Briefkasten der E. GmbH den Hinweis auf die Sitzver-legung an. Der Angeklagte F. organisierte den Abtransport der Firmenunterlagen der E. GmbH. Die Angeklagte K. ver-handelte in der Folge die Beendigung der Arbeitsverträge mit den Arbeitnehmern, regelte den Schriftverkehr mit der Arbeitsagentur und trat nach außen gegenüber den Debito-ren und der Presse als Geschäftsführerin auf. Da sich die betroffenen Arbeitnehmer an die Medien und die Polizei wandten, wurde die Vorgehensweise der Angeklagten be-reits nach wenigen Tagen aufgedeckt. Die Unterlagen der E. GmbH wurden zurückgebracht und das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E. GmbH wurde auf Antrag einer der Altgeschäftsführer eröffnet.

Durch das nach Revision der Angeklagten S. und F. inzwi-schen rechtskräftige3 Urteil wurden die Angeklagten E. und T. wegen Insolvenzverschleppung in Tatmehrheit mit Bank-rott, die Angeklagte K. wegen Bankrott und die Angeklag-

ten F. und S. wegen Beihilfe zum Bankrott verurteilt. Die Bankrottstrafbarkeit begründet das LG Saarbrücken nach § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB. Entsprechend dem gemeinsa-men Tatplan seien bei der eingetretenen Zahlungsunfähig-keit der E. GmbH deren wirkliche geschäftliche Verhältnisse verschleiert worden.

Dabei geht das Landgericht von einer Unwirksamkeit der Abberufung der Altgeschäftsführer aufgrund der hiermit be-absichtigten Gläubigerbenachteiligung und der Umgehung der insolvenzrechtlichen Pflicht zur Antragstellung in ana-loger Anwendung von § 241 Nr. 4 AktG aus. Der entspre-chende Gesellschafterbeschluss sei aufgrund der intendier-ten Gläubigerbenachteiligung nach seinem inneren Gehalt auf eine sittenwidrige Schädigung nicht anfechtungsberech-tigter Personen gerichtet gewesen. Dementsprechend be-jaht das Landgericht die Sonderdeliktsfähigkeit der Altge-schäftsführer. Diese nimmt das Landgericht auch betreffend die Neugeschäftsführerin an. Denn die Angeklagte K. sei nach ihrer formal erfolgten Bestellung zur Geschäftsführerin als Vertretungsberechtigte der Gesellschaft aufgetreten und habe im Außenverhältnis durch ihre Erklärungen gegenüber Arbeitnehmern, Debitoren und der Presse faktisch die Ge-schicke der Gesellschaft geleitet.

Das Landgericht bejaht die Bankrotthandlung i.S.d. § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB. Diese ist als Auffangtatbestand dann erfüllt, wenn der Täter in einer den Anforderungen einer ord-nungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlicht oder verschleiert. Nach der Rechtsprechung des BGH4 betref-fen die geschäftlichen Verhältnisse auch die Umstände, die für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit des in der Krise be-findlichen Schuldners erheblich sind. Hierzu zählen damit auch grundlegende unternehmerische Gesichtspunkte, na-mentlich Investitionsvorhaben, Planungsmaßnahmen und die zukünftige Entwicklung des Unternehmens. Insbeson-dere über Letztere würden die Gläubiger im Rahmen einer „Firmenbestattung“ getäuscht, wenn durch den Wechsel des Gesellschafters/Geschäftsführers ohne die Absicht, das Unternehmen fortzuführen, verschleiert würde, dass die Ge-sellschaft tatsächlich liquidiert wird, keine weitere unterneh-merische Tätigkeit entfaltet wird und deshalb feststeht, dass die Gesellschaft – entsprechend dem Willen der handelnden Organe – ihre Verbindlichkeiten nicht begleichen können wird. Entscheidend sei dabei auch, ob hierdurch sowie durch flankierende Maßnahmen, wie bspw. die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft oder die Umfirmierung, die Position der Gläubiger dadurch verschlechtert wird, dass diese davon abgehalten werden können, in Vermögensgegenstände der

3 BGH, Beschl. v. 07.04.2016 - 5 StR 571/15 - nicht veröffentlicht.4 BGH, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 StR 199/12.

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Gesellschaft zu vollstrecken. Angesichts des alleinigen Ziels der Gläubigerbenachteiligung seien diese Handlungen als grob wirtschaftswidrig zu beurteilen. Das Landgericht be-urteilt das Verschleiern der geschäftlichen Verhältnisse dem-gemäß nach einer Gesamtbetrachtung der einzelnen vorge-nommenen Teilakte, wobei es die von den Altgeschäftsführern und der Neugeschäftsführerin vorgenommenen Handlungen jeweils wechselseitig gem. § 25 Abs. 2 StGB aufgrund der mittäterschaftlichen Begehungsweise zurechnet.

Weiterhin geht das Landgericht davon aus, dass der Ange-klagte F. sich der Beihilfe zum Bankrott gem. § 283 Abs. 1 Nr. 8, § 27 StGB strafbar gemacht habe, weil er als „Firmen-bestatter“ die Organisation der angebotenen „Firmenbe-stattung“ übernommen sowie die hierfür erforderlichen Strukturen und Mitarbeiter gestellt habe. Gleiches gelte für den Angeklagten S., der in Kenntnis der geplanten „Firmen-bestattung“ über eine von ihm geführte Gesellschaft die Gesellschaftsanteile an der E. GmbH übernommen habe.

C. Bewertung

In zwei höchstrichterlichen Entscheidungen wurde bereits eine Richtlinie für die strafrechtliche Beurteilung einer „Fir-menbestattung“ als Bankrott gem. § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB aufgezeigt. Hierzu hat zunächst der 5. Strafsenat5 in einem obiter dictum erwogen, die mit der „Firmenbestat-tung“ einhergehenden Rechtsgeschäfte wegen der Umge-hung der Gläubigerschutzvorschriften und der damit beab-sichtigten Gläubigerbenachteiligung als zivilrechtlich un -wirksam anzusehen und daher als Bankrotthandlung i.S.d. § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB zu beurteilen sind. Der 3. Straf-senat6 hat sich näher mit dem Merkmal der „geschäftlichen Verhältnisse“ befasst und dabei die dargestellte Umgren-zung vorgenommen.

Neben der grundsätzlichen Entscheidung, ob die im Rahmen einer „Firmenbestattung“ vorgenommenen Handlungen die Bankrottstrafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB er-füllen können, stellen sich in der Praxis zahlreiche weitere Probleme. Diese hängen im Wesentlichen damit zusammen, dass § 283 StGB ein echtes Sonderdelikt ist7 und Täter daher nur sein kann, wer selbst für die Erfüllung der Verbindlichkeit haftet sowie die i.S.d. § 14 StGB stellvertretend für diesen handelnden Personen. Entscheidend für die Strafbarkeit der beteiligten Personen als Täter oder Teilnehmer, aber auch für die Zurechnung der jeweiligen Tatbeiträge ist damit, inwie-weit die jeweils Handelnden als Verantwortliche i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzusehen sind.

Das Landgericht hat hierzu entschieden, dass die Abberufung der Altgeschäftsführer wegen der geplanten „Firmenbestat-tung“ unwirksam ist. Diese Frage wird durchaus kontrovers diskutiert,8 ohne dass sie bisher höchstrichterlich entschieden

wäre. Im vorliegenden Fall hat der BGH die Revisionen der Angeklagten F. und S. mit Beschluss gem. § 349 Abs. 2 StPO verworfen, ohne eigene Ausführungen zu tätigen. Insofern bleibt offen, ob der BGH von der Unwirksamkeit der Abberu-fung oder – wie in dem von dem 3. Strafsenat entschiedenen Fall – möglicherweise von einer Stellung der Altgeschäftsfüh-rer als „faktische Liquidatoren“ ausgegangen ist.

Über die durch das LG Saarbrücken erfolgte Verurteilung des „Firmenbestatters“ wegen Beihilfe zum Bankrott hinausge-hend wäre auch eine täterschaftliche Strafbarkeit desselben zu prüfen. Insofern käme jedenfalls eine Beurteilung des „Firmenbestatters“ als „faktischer Liquidator“ und damit Täter des Bankrottdelikts in Betracht, soweit dieser die Ge-schäftsvorgänge innerhalb der abzuwickelnden Gesellschaft vollständig beherrschte.9 Für eine solche Bewertung war al-lerdings in dem von dem Landgericht entschiedenen Fall auf-grund der tatsächlichen Feststellungen kein Raum.

D. Auswirkungen für die Praxis

Noch immer verzeichnen „Firmenbestatter“ einen großen Zulauf von Gesellschaftern und Geschäftsführern, die hoffen, sich auf diese Weise unter Umgehung der mit einer Insolvenz verbundenen Probleme einer maroden Gesellschaft zu ent-ledigen. Eine wirksame Eindämmung dieses Phänomens setzt ein konsequentes Vorgehen gegen alle hieran Beteilig-ten voraus. Gerade die strafrechtliche Verfolgung der „Fir-menbestatter“, die im Internet explizit mit ihren Diensten werben, erscheint erfolgversprechend. Zudem wäre auch die Rolle der an den „Firmenbestattungen“ beteiligten Notare einer Prüfung zu unterziehen. Denn die „Firmenbestatter“ beauftragen für die erforderlichen Beurkundungen i.d.R. je-weils die gleichen Notare. Der BGH hat insoweit entschieden, dass ein Notar, der in einer Vielzahl von Fällen Geschäftsan-teilsübertragungsverträge beurkundet, die erkennbar auf il-legale „Firmenbestattungen“ insolventer Gesellschaften ge-richtet sind, ein Dienstvergehen begeht.10 Auch eine strafrechtliche Beurteilung dieses Verhaltens als Beihilfe zum Bankrott liegt in diesen Fällen nicht fern.

5 BGH, Beschl. v. 24.03.2009 - 5 StR 358/08.6 BGH, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 StR 199/12.7 Tiedemann in: Laufhütte u.a., Leipziger Komm., 12. Aufl. 2009, § 283

StGB Rn. 225.8 Pro Unwirksamkeit: Kümmel, wistra 2012, 165, 167; Schütz, wistra

2016, 53, 54 f.; Werner, NZWiSt 2013, 418, 420 f.; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 03.06.2013 - 3 W 87/12; Contra: Brand/Reschke, ZIP 2010, 2134, 2136 f.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.04.2013 - 2 (7) Ss 89/12, 2 (7) Ss 89/12 - AK 63/12.

9 Vgl. Schütz, wistra 2016, 53, 57.10 BGH, Beschl. v. 23.11.2015 - NotSt (Brfg) 4/15.

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Die Bundesrepublik Deutschland hat am 19.02.2013 das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht unter-zeichnet. In diesem Zusammenhang wurde prognostiziert, mit dem Start des „neuen Systems“ sei in rund zwei Jahren zu rechnen. Dieser Zeitrahmen wurde nicht eingehalten, aber zum Jahresbeginn 2017 war vielfach zu lesen, das europäische Patentgericht solle nunmehr „trotz Brexit Ge-töse“ im Dezember 2017 starten – Anlass genug, das neue Gericht im Rahmen eines Interviews mit Dr. Klaus Grabinski näher zu betrachten. Er ist seit fast acht Jahren als Richter am BGH tätig und gehört seither ununterbrochen dem für Patent- und Gebrauchsmusterrecht zuständigen X. Zivilse-nat an.

Radke: Sehr geehrter Herr Dr. Grabinski, Deutschland hat eine funktionierende und fachkundig spezialisier-te Rechtsprechung auf dem Gebiet des Patentrechts. Welche Vorteile hat denn im Vergleich dazu eine eigenständige europäische Patentgerichtsbarkeit?

Grabinski: Die Frage lässt sich am besten beantworten, wenn man sich in die Position eines Patentanmelders ver-setzt, der eine Erfindung zum Patentschutz anmelden möchte. Dem Anmelder steht natürlich das nationale An-meldeverfahren zur Verfügung, d.h. er kann zum Deutschen Patent- und Markenamt gehen und dort ein deutsches Pa-tent beantragen. Das reicht aber in Zeiten des europäischen Binnenmarktes und der Globalisierung in vielen Fällen nicht aus, weil auch Patentschutz in anderen Ländern er-wünscht ist. Zu diesem Zweck ist bereits in den 1970er Jah-ren das Europäische Patent entstanden. Dieses wird von einer zwischenstaatlichen Organisation, dem europäischen Patentamt, erteilt und findet seine Grundlage im europäi-schen Patentübereinkommen. Derzeit hat dieses Über-einkommen 38 Vertragsstaaten. Dazu zählen neben allen Mitgliedstaaten der EU beispielsweise auch die Schweiz, die Türkei und Norwegen. Der Erfinder, der ein europäisches Patent anmeldet, hat den Vorteil, sich nicht an viele natio-nale Ämter wenden zu müssen, sondern nur an eine einzige Stelle im Sinne eines „one stop only“.

Aber schützen die nationalen Gerichte nicht auch das europäische Patent?

Doch. Das europäische Patent gewährt Schutz wie ein na-tionales Patent in den Vertragsstaaten, d.h. der Antragstel-ler bekommt, jedenfalls was die Schutzwirkung anbelangt, kein einheitliches Patent, sondern ein Bündel nationaler Patente. Wenn er ein solches Patent also durchsetzen möch-te, dann muss er sich derzeit in aller Regel an die nationa-len Gerichte wenden und dort sein Rechtsbegehren geltend machen. Das hat in der Praxis dazu geführt, dass oft paral-

lele Rechtsstreitigkeiten in mehreren Staaten geführt wur-den. Das ist aufwendig, kostenintensiv und Anlass gewe-sen, darüber nachzudenken, ob man nicht auch auf der Seite der Durchsetzung eines Patentes eine Vereinheitli-chung durchführen müsste. Jetzt ist das Vorhaben der Schaffung eines einheitlichen Gerichtes zur Durchsetzung europäischer Patente jedenfalls für EU-Mitgliedstaaten, die sich daran beteiligen möchten, sehr konkret geworden. Da-rüber hinaus soll es neben dem europäischen Bündelpatent auch ein europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung im Rahmen einer sog. verstärkten Zusammenarbeit einer Viel-zahl von Mitgliedstaaten der EU geben, für das ebenfalls das Einheitliche Patentgericht zuständig sein wird.

Es geht also um eine Rechtswegvereinfachung?

Nicht nur, es geht auch um eine Vereinheitlichung der Rechtsanwendung. Denn das Europäische Patentüberein-kommen wird in den Gerichten aller Vertragsstaaten zur Anwendung gebracht. Zudem gibt es viele Vorschriften des nationalen Patentrechts, die harmonisiert wurden, wie bei-spielsweise die Vorschriften, die die unmittelbare oder mit-telbare Patentverletzung regeln. Der deutsche Richter wen-det also letztlich dasselbe Recht an wie sein Kollege in Frankreich oder im Vereinigten Königreich. Auch wenn dies dazu geführt hat, dass sich die Rechtsprechung vielfach grenzüberschreitend aneinander orientiert, verbleiben Rechtsfragen, die von den jeweiligen nationalen Gerichten unterschiedlich beurteilt werden. Ein gemeinsames Gericht könnte hier weiter zur Vereinheitlichung des europäischen Patentrechts beitragen.

Wie wird die Struktur eines künftigen europäischen Patentgerichts aussehen?

Das künftige einheitliche Patentgericht wird einen zweistu-figen Gerichtsaufbau haben: In der ersten Instanz wird es eine Zentralkammer sowie Regional- und Lokalkammern geben. Der Unterschied zwischen einer Regional- und einer Lokalkammer liegt darin, dass es für eine Lokalkammer

Richter am Bundesgerichtshof

Dr. Klaus Grabinski hat das Bundesmi-nisterium der Justiz und für Verbraucher-schutz sowie die Europäische Kommis-sion (Direktion Binnenmarkt) zur Schaf -fung einer europäischen Patentgerichts-barkeit beraten – insbesondere in ver-fahrensrechtlichen Fragen.

Dr. Klaus Grabinski

INTERVIEW

Das Einheitliche Europäische Patentgericht kommt – warum eigentlich?

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einen „gastgebenden“ Mitgliedstaat geben wird, während sich bei einer Regionalkammer zwei oder mehr Mitglied-staaten zusammenschließen, um eine solche Kammer zu beherbergen. Die Zentralkammer wird in Paris ansässig sein, mit Außenstellen in London und München. Verlet-zungsklagen sind prinzipiell vor die Lokal- und Regional-kammern zu bringen, während Nichtigkeitsklagen vor die Zentralkammer gehören.

Berufungen sind vor einem zentralen Berufungsgericht in Luxemburg einzulegen. Das Einheitliche Patentgericht wird im Gerichtssystem der Europäischen Union eine Stellung haben wie ein nationales Gericht, d.h. wenn ungeklärte Fragen des Unionsrechtes relevant werden, besteht die Ver-pflichtung, diese Fragen dem EuGH vorab vorzulegen.

Was bedeutet eine künftige europäische Patentge-richtsbarkeit für die Rechtsprechung der deutschen Gerichte? Wird der nationale Rechtsschutz überflüs-sig werden?

Zunächst einmal die gute Nachricht: Die vom Fallaufkom-men her bedeutendsten Patentstreitkammern in Deutsch-land, nämlich Düsseldorf, Mannheim, München und Ham-burg, werden auch jeweils eine Lokalkammer des euro -päischen Patentgerichts bekommen. Im welchem Umfang Fälle statt vor den bestehenden Streitkammern der Land-gerichte nunmehr vor dem einheitlichen Patentgericht ein-geklagt werden, hängt von vielen Umständen ab, die der-zeit schwer zu beurteilen sind. Auf jeden Fall wird es in den ersten sieben Jahren des Bestehens eine Übergangsphase geben, in der europäische Patente wahlweise vor den na-tionalen Gerichten oder dem einheitlichen Patentgericht eingeklagt werden können, wenn die Patente nicht vom In-haber zuvor ausoptiert worden sind. Im letztgenannten Fall unterliegen die Patente weiterhin allein der Zuständigkeit der nationalen Gerichte.

Warum musste um die Realisierung so viele Jahre ge-rungen werden, und welche Rolle hat zuletzt der Bre-xit gespielt?

Die Bemühungen um ein einheitliches Patentgericht gehen bis in die 1950er Jahre zurück. Die Schwierigkeiten dieses Vor-habens würden für sich genommen einen abendfüllenden Vortrag rechtfertigen. Ein besonderes Problem liegt darin, dass das europäische Patent eine eigene Struktur aufweist, die neben der Struktur der Europäischen Union besteht.

Die Absicht des Vereinigten Königreichs, aus der Europäi-schen Union auszutreten, hat ein zusätzliches Problem ge-schaffen, weil das Inkrafttreten des zugrundeliegenden

Übereinkommens von der Ratifizierung durch die drei Mit-gliedstaaten der EU mit den meisten europäischen Patent-anmeldungen und damit auch von der Ratifizierung durch das Vereinigte Königreich mit abhängt. Es bestand also Un-sicherheit, ob dies nach dem Referendum über den Brexit noch erfolgen würde. Im November 2016 hat die zuständi-ge Fachministerin gegenüber dem Wettbewerbsrat der EU aber erklärt, dass man weiterhin beabsichtige, das Überein-kommen zu ratifizieren. Vor diesem Hintergrund wird damit gerechnet, dass das Übereinkommen im Frühjahr dieses Jahres vom Vereinigten Königreich ratifiziert werden wird und dann – wenn auch Deutschland es ratifiziert haben wird – die formalen Voraussetzungen für das Inkrafttreten vorliegen, so dass bei optimistischer Einschätzung das Ge-richt Ende 2017 seine Arbeit wird aufnehmen können.

Wer wird vor dem Europäischen Patentgericht auftre-ten dürfen, inwieweit werden beispielsweise Rechts-anwälte einer besonderen Zulassung bedürfen?

Alle Rechtsanwälte, die vor den Gerichten eines teilneh-menden Vertragsmitgliedstaates zugelassen sind, dürfen auch vor dem einheitlichen Patentgericht auftreten. Bei den Patentanwälten hängt dies von zwei Voraussetzungen ab: Zum einen müssen sie als Vertreter vor dem Europäischen Patentamt zugelassen sein, und zum anderen muss eine be-sondere Qualifikation nachgewiesen werden, was unter anderem durch ein Zertifikat zur Führung europäischer Pa-tentstreitverfahren erfolgen kann. Darüber hinaus soll es Übergangsregelungen zur Erleichterung des Zugangs von Patentanwälten geben.

Wie ist Ihre Prognose: Wird sich der europäische Rechtsweg gegenüber dem nationalen Rechtsschutz durchsetzen?

Das ist eine sehr schwierige Frage, weil sie die Zukunft be-trifft. Ich denke, dass sich langfristig der Weg des europäi-schen Patentrechtsschutzes durchsetzen wird. Ob dies auch schon kurz- und mittelfristig der Fall sein wird, hängt von vielen Faktoren ab, u.a. auch davon, welche Personen man zu Richtern ernennen wird, insbesondere, ob bei dieser Ent-scheidung mehr die fachliche Kompetenz oder eher geo-politische Erwägungen den Ausschlag geben werden. Das bleibt abzuwarten.

Ich bedanke mich für das angenehme Gespräch!

Das Interview wurde geführt von VPräsLG Holger Radke.

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BÜCHERSCHAU

Lüdtke/Berchtold, SozialgerichtsgesetzNomos Verlagsgesellschaft, 5. Aufl. 2017, 1.190 Seiten, gebunden, 90 €, ISBN 978-3-8487-2012-5

RiBSG Dr. Thomas Flint

Der Markt an einbändigen, gebundenen Kommentaren zum SGG ist nicht klein, aber übersichtlich. Zu den eingeführten Werken auf diesem Markt gehörte der „Lüdtke“, zuletzt er-schienen in 2012 in 4. Auflage. Dieser Kommentar ist nun in 5. Auflage von 2017 unter dem neuen Herausgebernamen „Lüdtke/Berchtold“ erschienen.

Mit Josef Berchtold hat ein Vorsitzender Richter am BSG die Herausgeberschaft übernommen, der auch schon – zusam-men mit Rechtsanwalt Ronald Richter – die Herausgabe des Handbuchs „Prozesse in Sozialsachen. Verfahren, Bei-trag, Leistung“, erschienen in 2016 in 2. Auflage auch bei Nomos, verantwortet; auf dieses Werk mit Beiträgen aus der Anwalt- und der Richterschaft, das sich bevorzugt an Prozessvertreter wendet, wird denn auch im Kommentar des Öfteren verwiesen. Neben Berchtold und dem früheren Herausgeber Lüdtke wirken am Kommentar sechs weitere Autoren und eine Autorin mit, die alle der Sozialgerichts-barkeit angehören und alle ihre Instanzen repräsentieren.

Der Kommentar ist als Werkzeug von der Praxis für die Praxis konzipiert und so kommt er auch daher: schnörkellos, konzentriert, nicht geschwätzig. Die einzelnen Kommentie-rungen sind durch vorangestellte Gliederungen mit Rand-nummern jeweils gut erschließbar, und durch die Verwen-dung von Fußnoten statt des Nachweises von Belegen im Text sind sie gut lesbar. Im Interesse guter Lesbarkeit bleibt zu wünschen übrig, künftig auf einige ganzseitige Texte zu einer Randnummer, ohne einen Absatz und teils ohne jede Hervorhebung, zu verzichten. Ein umfangreiches Stichwort-verzeichnis leistet eine zuverlässige Hilfe bei der Suche im Kommentar. Querverweise innerhalb der und zwischen den Kommentierungen zeigen Zusammenhänge auf.

Ein Blick in einzelne Kommentierungen bestätigt den guten ersten Gesamteindruck, zeigt aber auch, dass weitere Lite-ratur zu Rate ziehen und noch andere Hilfsmittel nutzen muss, wer im Alltag bestehen will. So beschränkt sich in der Vorbemerkung vor § 51 SGG die Kommentierung zur Ver-weisung bei unzulässigem Rechtsweg auf eine knappe Randnummer mit dem Hinweis auf die Regelungen in § 17a GVG (Rn. 3); diese werden nicht erläutert, Beispiele für Tenorierungen werden nicht gegeben. Anders dagegen die Kommentierung des § 60 SGG, die eine Erläuterung der ZPO-Vorschriften zur Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen leistet und Formulierungshilfen bietet. Auch sonst fallen Unterschiede auf: Während bei § 54 SGG die Darstellung der Klagearten aktuelle Rechtsprechung

nachweist und verarbeitet, hat bei § 178a SGG nach 2012 ergangene Rechtsprechung zur Anhörungsrüge keinen Ein-gang in die Kommentierung gefunden. Hier wie auch sonst bei einer ganzen Reihe von Kommentierungen hätte deren Entschlackung von älteren Rechtsprechungsnachweisen in den Fußnoten zugunsten der Berücksichtigung aktueller Rechtsprechungsnachweise der Nutzbarkeit des Kommen-tars für heutige Rechtsanwender gut tun können.

Dafür, dass auf diese Art von Aktualität nicht der Fokus des neuen Herausgebers gerichtet ist, steht indes dessen Credo: „Alle für die Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Ver-fahrensrechts erforderlichen Obersätze stehen – weit-gehend mit Verfassungsrang – unangefochten zur Verfü-gung und können jederzeit aktiviert werden“ (Vorwort zum Prozesshandbuch mit Richter, S. 5). Alles in allem bietet diese Neuauflage dennoch ein solides Werkzeug, das den Vergleich mit den konkurrierenden Werken auf dem Kom-mentarmarkt nicht zu scheuen braucht. Erwartungen, die sich an einen in neuer Auflage als Buch gedruckten „Hand-kommentar“ ohne Online-Aktualisierung realistischerwei-se richten lassen, werden nicht enttäuscht.

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DIE AUTOREN

IMPRESSUM

Herausgeber: Vors. Richter am BSG Prof. Dr. Thomas Voelzke, KasselVors. Richterin am BFH Prof. Dr. Monika Jachmann-Michel, München Vizepräsident des LG Holger Radke, Mannheim Prof. Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes, SaarbrückenRechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff, Hamburg

Expertengremium: Vors. Richter am BGH a.D. Wolfgang Ball, LembergRechtsanwalt Prof. Dr. Guido Britz, HomburgVizepräsident des LAG a.D. Dr. Heinz-Jürgen Kalb, Köln Richter am BVerwG Prof. Dr. Harald Dörig, LeipzigProf. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes, Saar-brücken Weiterer aufsichtsführender Richter am AG a. D. Dr. Wolfram Viefhues, Oberhausen

Redaktion: Rechtsanwalt Daniel Schumacher

Medieninhaber und Verlag: juris GmbH, Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland, Gutenbergstraße 23, 66117 Saarbrücken, Tel.: 0681 5866-0, Fax: 0681 5866-239, E-Mail: [email protected]äftsführer: Samuel van Oostrom, Johannes Weichert, Aufsichtsratsvorsit-zender: Ministerialdirigent Dr. Matthias Korte

Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für Manuskripte, die unverlangt einge-sendet werden. Mit Annahme der Veröffentlichung erwirbt der Verlag das aus -schließliche Verlagsrecht, insbesondere auch das Recht zur Herstellung elektro -nischer Versionen sowie das Recht zu deren Vervielfältigung online oder off-line ohne zusätzliche Vergütung.

Urheber-und Verlagsrechte: Alle veröffentlichten Beiträge sind urheberrecht -lich geschützt. Das gilt auch für die Leitsätze der Gerichtsentscheidungen, so-weit sie vom Autor bearbeitet wurden. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Eine Reproduktion oder Über-tragung in maschinenlesbare Sprache ist – außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.

Erscheinungsweise: 11 Ausgaben jährlich, davon ein Doppelheft (August/ September), sowie als Beilage zum Anwaltsblatt

Bezugspreis: Im Jahresabonnement 180,- € zuzüglich Versandkosten incl.Online-Zugang unter juris.de Das Jahresabonnement verlängert sich um ein Jahr, wenn es nicht sechs Wo-chen vor Jahresende gekündigt wird.

Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag

Satz: Datagroup Int., Timisoara

Druck: L.N. Schaffrath GmbH &Co.KG Druck Medien, Marktweg 42-50, 47608 Geldern

ISSN: 2197-5345

Stadtverwaltungsdirektor

Dietmar Martini-Emden ist seit 1990 Leiter des Amtes für Ausländerangelegenheiten der Stadt Trier und seit 1993 Leiter der Zentralstelle für Rückführungsfragen Rheinland-Pfalz (früher Clea-ringstelle für Passbeschaffung Rheinland-Pfalz).Seit seiner Gründung 1998 ist er Vorsitzender

des bundesweiten Gremiums der Clearingstellen für Passbeschaffung und Mitglied der Bund/Länder-Arbeitsgruppe Rückführung.

Dietmar Martini-Emden

Professor an der Philipps-Universität Marburg

Jahrgang 1981. Studium der Rechtswissen-schaft an der Universität des Saarlandes und der New York University; 2009 Promotion; 2013 Habilitation; seit 2015 Direktor des Instituts für Rechtsvergleichung (Professur für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bank-

recht sowie Rechtsvergleichung). Über 100 Veröffentlichungen zum Han-dels-, Gesellschafts-, Wirtschafts- und Europarecht, zur Rechtsvergleichung sowie zum Internationalen Privatrecht.

Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur.

Vorsitzende Richterin am Verwaltungs-gericht

Frau Gamp ist seit Februar 2016 Vorsitzende der 23. Kammer des VG Berlin, der sie seit August 2014 angehört. Die 23. Kammer ist asylrechtlich geprägt und hauptsächlich für das Herkunftsland Syrien mit zahlreichen Dublin-Verfahren zustän-

dig. Außerdem fällt auch das Pass- und Melderecht in die Zuständigkeit dieser Kammer. Frau Gamp ist seit 2004 am VG Berlin tätig und seither mit Visums-verfahren befasst. Zudem arbeitete sie mehrere Jahre im Bereich des Auslän-der-, Parteien-, Informationsfreiheits-, Presse-, Medien- und Beamtenrechts und war während der Abordnung an das OVG Berlin-Brandenburg schwerpunkt-mäßig für das Recht der Finanzdienstleistungsaufsicht zuständig.

Dr. Stephanie Gamp

Rechtsanwältin und Mediatorin

Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und Soziologie in Saarbrücken zunächst Bildungs-referentin bei einem kommunalen Arbeitgeber, danach Syndikusanwältin in einem mittelstän-dischen Unternehmen. Seit 2012 als Rechts-anwältin und Mediatorin in eigener Kanzlei

tätig. Schwerpunkte sind die Interessenvertretung von Kindern und Jugend-lichen und die einvernehmliche Konfliktbearbeitung.

Simone Mayer

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NEUES VON juris

juris PraxisKommentar BGB, Band 5,Erbrecht, 8. Auflage online

Gesamtherausgeber:

Prof. Dr. Maximilian Herberger, Universität des Saar-landes, Saarbrücken Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Michael Martinek, M.C.J. (New

York), Universität des Saarlandes, Saarbrücken Prof. Dr. Dr. h. c. Helmut Rüßmann, Universität des

Saarlandes, Saarbrücken Prof. Dr. Stephan Weth, Universität des Saarlandes,

Saarbrücken Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität des Saarlan-

des, Saarbrücken

Die von den Autoren fortlaufend aktualisierte Online-Ausgabe wird ergänzt durch unsere tagesaktuelle On-line-Datenbank und das E-Book als Offline-Medium. Ein rundum ideales Instrument für die praktische Arbeit, mit dem Sie die Entwicklungen in Gesetz-gebung, Rechtsprechung und Literatur immer im Blick behalten.

Bandherausgeber: Prof. Dr. Wolfgang Hau, Universität Passau

Die Themen „Erben“ und „Vererben“ sind gewichtige Themen in unserer Gesellschaft. Das bewährte Auto-renteam aus Hochschullehrern, Notaren, Richtern und Rechtsanwälten beleuchtet die erbrechtlichen Vor-schriften in gewohnt systematischer Art und Weise und unter Einbeziehung neuester Rechtsprechung.

Steuerrechtliche Hinweise runden das Bild für den Praktiker ab und informieren über Neuerungen und Auswirkungen der Erbschaftsteuerreform von 2016 (Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG, BGBl I 2016, 2464).

Kommentiert werden:

Erbfolge (§§ 1922 - 1941) Rechtliche Stellung des Erben (§§ 1942 - 2063) Testament (§§ 2064 - 2273) Erbvertrag (§§ 2274 - 2302) Pflichtteil (§§ 2302 - 2338) Erbunwürdigkeit (§§ 2339 - 2345) Erbverzicht (§§ 2346 - 2352) Erbschein (§§ 2353 - 2370) Erbschaftskauf (§§ 2371 - 2385)

Mehr Infos zu den einzelnen Bänden finden Sie unter: www.juris.de/bgb

Staudinger Online BGB powered by jurisNEU: Erbfolge und digitaler Nachlass

Mit dem Tode endet die Rechtsfähigkeit des Men-schen. Nach § 1922 BGB fällt der Nachlass beim Erb-fall unmittelbar kraft Gesetzes an den oder die Erben. Mit dem Tod des Erblassers steht aber noch nicht end-gültig fest, ob der Berufene Erbe bleibt. Auch gehen nicht alle Rechtspositionen des Erblassers auf den Erben über; aktuell besonders streitbehaftet ist der digitale Nachlass des Erblassers.

Praktische wie theoretische Probleme des § 1922 und insbesondere die mit den genannten Schwebezustän-den verbundenen Unwägbarkeiten arbeitet die Kom-mentierung umfassend und lösungsorientiert auf.

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juris PraxisKommentar BGB, Band 6,Internationales Privatrecht und UN-Kaufrecht, 8. Auflage online

Bandherausgeber: Prof. Dr. Markus Würdinger, Univer-sität des Saarlandes, Saarbrücken

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Die Monatszeitschrift

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Die Monatszeitschrift

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NEUES VON juris

Fälle mit Auslandsberührung nehmen stetig zu. Das Internationale Privatrecht (IPR) klärt die Frage, wel-ches materielle Recht in diesen Fällen anzuwenden ist. Im vorliegenden Band kommentieren namhafte Auto-ren zuverlässig und aktuell die zentralen Vorschriften des IPR sowie das praktisch wichtige UN-Kaufrecht (CISG). Ist das IPR auch im Ausgangspunkt nationales Recht (EGBGB), gewinnt die Europäisierung des IPR doch zunehmend an Bedeutung. Band 6 trägt dieser Entwicklung auch in der 8. Auflage in besonderer Weise Rechnung.

Umfassend sind vor allem die sog. Rom-Verordnun-gen sowie die seit dem 17.08.2015 geltende Euro-päische Erbrechtsverordnung berücksichtigt. Diese re-gelt u.a., welches nationale Erbrecht auf einen Erbfall mit Auslandsberührung anzuwenden ist, wenn keine speziellen Staatsverträge existieren und welches Gericht in solchen Fällen zuständig ist und führt ein Europäisches Nachlasszeugnis ein. Die wichtigsten nationalen und supranationalen Urteile sind praxis-gerecht und fundiert verarbeitet.

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juris Webinare

Um an unseren unverbindlichen und kostenlosen juris Webinaren teilzunehmen, benötigen Sie einen Inter-netanschluss, einen installierten Flash-Player und einen Computer mit Lautsprechern, Kopfhörern oder Headset. Infos zum Ablauf und zur Anmeldung unter: www.juris.de/webinare

Basis I Einführung in die juris Recherche

05.04.2017, 14:00 – 15:00 Uhr

12.04.2017, 11:00 – 12:00 Uhr

03.05.2017, 14:00 – 15:00 Uhr

10.05.2017, 11:00 – 12:00 Uhr

31.05.2017, 14:00 – 15:00 Uhr

Basis II Personalisierungsfunktionen

26.04.2017, 14:00 – 15:00 Uhr

17.05.2017, 14:00 – 15:00 Uhr

Fortgeschrittenen-Webinar

06.04.2017, 14:00 – 15:00 Uhr

Normen-Webinar

28.04.2017, 11:00 – 12:00 Uhr

30.05.2017, 14:00 – 15:00 Uhr

Informationsforen

Wir veranstalten regelmäßig Informationsforen in ganz Deutschland. Vor Ort führen wir Sie in unsere Datenbank-Recherche ein und zeigen Ihnen Tipps und Tricks zur schnelleren Suche. Aktuelle Termine finden Sie auch immer online unter: www.juris.de/veranstal-tungen

Informationsforum Kiel

26.04.2017

Informationsforum Frankfurt a. M.

09.05.2017

Veranstaltungen

www.juris.de/veranstaltungen

Düsseldorfer Anwaltstag

03.04.2017

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BGBErbrecht

juris PraxisKommentarHerberger | Martinek | Rüßmann | Weth | Würdinger

Prof. Dr. Wolfgang Hau

Ständige Aktualisierung

www.juris.de/bgb5

Auf neuestem Rechtsstand und gleichzeitig zeitsparend arbeiten – juris PraxisKommentar BGB!

Aktualisierungen werden laufend online eingearbeitet. Zitierte Urteile, Normen und Literaturnachweise rufen Sie direkt im Volltext auf. Band 5 informiert topaktuell und praxisnah über die Neuerungen und die Auswirkungen der Erbschaftsteuerreform von 2016.

NEU: Band 5 Erbrecht - 8. Auflage 2017

Online-Kommentar

inkl. E-Book!

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