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Weltunordnung Fakten, Themen und Hintergründe für institutionelle Anleger Ausgabe 2 / 2017

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Weltunordnung

Union Inves tment I n s t i tu t iona l GmbH www.ins t i tut ional .union - inves tment .de

WELTUNORDNUNG

22017

Fak ten, Themen und Hintergründe fü r ins t i tu t ione l le Anleger

Ausgabe 2 / 2017

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Vorwort

Haben Sie nichtauch manchmal

das Gefühl, die Welt spielt verrückt?

Ob Nordkorea, Persischer Golf, Syrien, Ostukraine, Katalonien, Venezuela: Wohin man blickt, die politischen Krisen scheinen zuzunehmen. Ist das noch der ganz normale Wahnsinn, der uns schon immer begleitete? Oder sind wir nicht viel mehr Zeugen des Beginns einer neuen Weltordnung?

Denn eines ist klar: Die Welt befindet sich wieder einmal im Wandel! Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges ordnet sie sich neu. Doch wie werden sich die einzelnen Puzzleteile zusammenfügen? Europa wartet auf einen neuen Impuls für seine Gemeinschaft. Die USA wollen sich auf sich selbst fokussieren. Das öffnet Räume für andere Mitspieler. Allen voran China.

Schon macht das Wort vom Handelskrieg zwischen den USA und China die Runde. Ein fatales Szenario. Bisher jedoch ohne Wirkung auf die Börsen. Im Gegenteil, die Kurse verzeichneten sogar neue Rekordwerte. Dabei identifizierte das Weltwirtschaftsforum in seinem Global Risks Report 2017 den Rückzug der Staaten aus internationalen Kooperationsvereinbarungen als einen der wichtigen geopolitischen Risikofaktoren. Länderübergreifende Abkommen waren die Basis für den Aufstieg und Wohlstand zahlreicher Volkswirtschaften. Die protektionisti-schen Gegenmodelle verheißen nichts Gutes, genauso wenig wie militärische Drohgebärden. Aus Konfrontationen resultierten noch nie Win-win-Situationen. Grund genug, sich in diesem Weitwinkel der neuen Weltordnung zu widmen.

ALE X ANDER SCHINDLER

Mitglied des Vorstands von Union Investment

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[ Wei twinke l ] Die Metapher für einen breiteren Horizont, das Ablegen von Scheuklap-pen und eine ganzheit-lichere Betrachtungs-weise. Damit Sie mehr sehen als andere und vorausschauend handeln können.

VorwortVorwort

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Ausgabe 2 / 2017

Vorschau

Seite

Wohlstand für alle 2.0

67Impressum

H E R AU SG E B E R Union Investment Institutional GmbHWeißfrauenstraße 760311 Frankfurt am Main Telefon: 069 2567-3182Fax: 069 2567-1616E-Mail: [email protected] Internet: www.union-investment.de/institutional

C H E F R E DA K T I O N Thomas Raffel, Union Investment (V. i. S. d. P.) E-Mail: [email protected]

R E DA K T I O N / K R E AT I O N / KO N Z E P T / U M SE T Z U N G Profilwerkstatt GmbH, Darmstadt

AU TO R E N José Manuel Barroso, Daniel Bathe, Thomas Benedix, Anna-Maria Borse, Lord Jonathan Evans, Martin Hampel, Michael Herzum, Wolfgang Ischinger, Matthias Kneifl, David F. Milleker, Michael Müller, Felix Schütze, Dirk Stauer, Birga Teske

D RUC K Kuthal Print GmbH & Co. KG, Mainaschaff

Das für diese Publikation verwendete Papier hat ein Nachhaltigkeitszertifikat.

Materialnummer: 006402 11.17

A LLG E M E I N E H I N W E I SE Die Inhalte dieses Dokuments wurden von der Union Investment Institutional GmbH nach bestem Urteilsvermögen erstellt und heraus -gegeben. Eigene Darstellungen und Erläuterungen beruhen auf der jeweiligen Einschätzung des Verfassers zum Zeitpunkt ihrer Erstellung, auch im Hinblick auf die gegenwärtige Rechts- und Steuerlage, die sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern kann. Als Grundlage dienen Informationen aus eigenen oder öffentlich zugänglichen Quellen, die für zuverlässig gehalten werden. Für deren Aktualität, Richtig keit und Vollständigkeit steht der jeweilige Verfasser jedoch nicht ein. Alle Index- bzw. Produktbezeichnungen anderer Unternehmen als Union Investment werden lediglich beispielhaft genannt und können urheber- und markenrechtlich geschützte Produkte und Marken dieser Unternehmen sein. Alle Inhalte dieses Dokuments dienen ausschließlich Informationszwecken von professionellen Anlegern im Sinne von § 31a Abs. 2 WpHG. Sie dürfen daher weder ganz noch teilweise verändert oder zusammengefasst werden. Sie stellen keine individuelle Anlageempfehlung dar und ersetzen weder die individuelle Anlageberatung durch die Bank noch die individuelle, qualifizierte Steuerberatung. Für die Eignung von Empfehlungen zu Fondsanteilen oder Einzeltiteln für bestimmte Kunden oder Kundengruppen übernimmt Union Investment daher keine Haftung. Dieses Dokument enthält bezüglich einzelner Finanzinstrumente ausschließlich beschreibende Aussagen und Produktinformationen zu Fonds der Union Investment Gruppe und ist daher keine Finanzanalyse i.S.d. § 34b WpHG. Dies ändert sich auch dann nicht, wenn es unverändert weiterverwendet bzw. weitergegeben wird. Sofern dieses Dokument jedoch geändert wird, kann es diesen Status verlieren. Der Verwender des geänderten Dokuments kann den Vorschriften des § 34b WpHG und den hierzu ergangenen besonderen Bestimmungen der Aufsichtsbehörde unterliegen. Angaben zur Wertentwicklung bei Fonds basieren auf den Wertentwicklungen in der Vergangenheit. Damit wird keine Aussage über eine zukünftige Wertentwicklung getroffen. Der Anleger muss darauf hingewiesen werden, dass Wertentwicklung bzw. Wertschwankungsverhalten in der Zukunft sowohl höher als auch niedriger ausfallen können. Die Berechnung der Wertentwicklung erfolgt nach der BVI-Methode, sofern nicht anders angegeben. Die Darstellung der Wertentwicklungszeiträume entspricht den BVI-WVR-Standards. Ausführliche produktspezifische Informationen und Hinweise zu Chancen und Risiken der hier genannten Fonds von Union Investment entnehmen Sie bitte den aktuellen Verkaufsprospekten, den Vertragsbedingungen, den wesentlichen Anlegerinformationen sowie den Jahres- und Halbjahresberichten, die Sie kostenlos in deutscher Sprache über die Union Investment Institutional GmbH erhalten. Diese Dokumente bilden die allein verbindliche Grundlage für den Kauf der Fonds von Union Investment. Dieses Dokument wurde mit Sorgfalt entworfen und hergestellt, dennoch übernimmt Union Investment keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit. Es wird keinerlei Haftung für Nachteile, die direkt oder indirekt aus der Verteilung, der Verwendung oder Veränderung und Zusammenfassung dieses Dokuments oder seiner Inhalte entstehen, übernommen.

Stand aller Informationen, Darstellungen und Erläuterungen: November 2017, soweit nicht anders angegeben.

Namensbeiträge geben die Meinung des Autors und nicht unbedingt von Union Investment wieder.

B I LD N AC H W E I SE Union Investment, klikk/Getty Images (S. 1–5, 12–35, 67, 68), STR/Kontributor/Getty Images (S. 6–7), Spencer Platt/Staff/Getty Images (S. 8–9), VCG/Kontributor/Geytty Images (S. 10–11), MANDEL NGAN/Staff/Getty Images (S. 12–13), EMMANUEL DUNAND/Staff/Getty Images (S. 14), DGAP/Dirk Enters (S. 15), MANJUNATH KIRAN/Freier Fotograf/Getty Images (S. 16), Oliver Sebel (S. 18, 23, 29), Kerstin Luttenfeldner (S. 24–25), Infographics Group GmbH (S. 26–27), Melanie Brill (S. 30, 33), Bernd Euring (S. 37–39), Marek Haiduk (S. 42, 45, 46), Spencer Platt/Staff/Getty Images (S. 48), ermess/123rf.com (S. 48–53), Christian Beutler/laif.de (S. 51, 53), Cira Moro/laif.de (S. 55, 56, 59), bazza1960/Getty Images (S. 60), PPAMPicture/Getty Images (S. 62), Mike Hill/Getty Images (S. 63, 64), Veronique de Viguerie/Getty Images (S. 66)

Id-Nr. 1768520

Lesen Sie mehr dazu im kommenden Weitwinkel.

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Neue Risikoklassenverlangen Umdenken

Warum ESG immer wichtiger wird

42

Aus den FugenWie ordnet sich die Welt neu?

12Öl durch die Brille

der Handelnden

Die Protagonisten und ihre Motive

24

Querdenkerdm-Gründer Götz Werner

im Interview

54

Dem Börsenbebenauf der Spur

Ein Physiker sucht nach Warnsignalen

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InhaltInhalt

Ausgabe 2 / 2017

Die Protagonisten und ihre Motive

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2/3 Vorwort

4/5 Inhalt

6– 11 Weltunordnung in Bildern

12 –17 Aus den Fugen Auftakt Wie ordnet sich die Welt neu?

18 –21 Die Rolle Europas in der neuen Weltordnung Essay Von José Manuel Barroso

22/23 Nicht den Kopf in den Sand stecken Essay Von Wolfgang Ischinger

24/25 Öl durch die Brille der Handelnden Blickpunkte Die Protagonisten und ihre Motive

26/27 Appetit auf Weltmacht Infografik Überholt China die USA?

28/29 Gefahr aus dem Cyberspace Essay Von Lord Jonathan Evans

30–33 Trendbrüche und ihre Folgen Analyse Von David F. Milleker

34/35 Ist die Stimmung besser als die Lage? Fazit

36–41 Überfl iegerin in der Pharmabranche Finanzstrategen Simone Menne, Finanzchefi n von Boehringer Ingelheim

42–47 Neue Risikoklassen verlangen Umdenken Investmentvordenker Warum ESG immer wichtiger wird

48–53 Dem Börsenbeben auf der Spur Risikoforscher Ein Physiker sucht nach Warnsignalen

54–59 Querdenker Auf ein Wort dm-Gründer Götz Werner im Interview

60–65 Von sinkenden Fluten und steigenden Booten Investmentstandpunkt Ein Essay von Dirk Stauer

66/67 Vorschau

67 Impressum

IM WEIT WINKEL

InhaltInhalt

Ausgabe 2 / 2017

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Im Weitwinkel

Raketenmann am Drücker: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un verfolgt den Test einer Mittelstreckenrakete. Das Kalkül der atomaren Drohgebärden bleibt rätselhaft und verunsi-chert die gesamte Pazifikregion.

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Weltunordnung in Bildern

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Im Weitwinkel

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Weltunordnung in Bildern

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Ausgabe 2 / 2017

Im Weitwinkel

Stärker als Stalin und Gagarin: Präsident Wladimir Putin inszeniert sich als starker Mann, der Russland wieder zu einer Großmacht machen will. Die Interventionen in der Ukraine und Syrien unterstreichen diese Ambitionen.

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Weltunordnung in Bildern

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Im Weitwinkel

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Flottenpolitik am Horn von Afrika: Verabschiedung chinesischer Soldaten, die ihren Dienst auf der neuen Marine basis in Dschibuti antreten. Der Stützpunkt ist Zeichen von Chinas neuer globalökonomi-scher Stärke.

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Weltunordnung in Bildern

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Im Weitwinkel

Ausgabe 2 / 2017

TEXT F e l i x S c h ü t z e

Auftakt

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Im Weitwinkel

Ausgabe 2 / 2017

5 M i n .

G e o p o l i t i k

U m b r u c h

W i r t s c h a f t

Wir erleben gerade eine Zeit,

in der sich internationale Macht-

konstellationen verschieben. Viele

Gewissheiten der Vergangen heit

stehen auf dem Prüfstand. Fast

scheint die globale Ordnung aus

den Fugen zu geraten. Investoren

reagieren in diesem Umfeld bis-

lang bemerkenswer t besonnen.

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Auftakt

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Im Weitwinkel

Ausgabe 2 / 2017

Nach dem Ende des Ost-West-Kon-fl ikts und dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa postulierte der

US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama 1992 das „Ende der Geschichte“. Doch 25 Jahre später bietet sich statt einem goldenen Zeitalter der Stabilität das Bild einer Welt im geopoli-tischen Umbruch.

Für viele drängt sich das Gefühl auf, dass die Krisen weltweit zunehmen. Doch während der Westen in der Ver-gangenheit oft Hilfe suchend nach Ame-rika schaute, sind die USA mittlerweile immer weniger bereit, internationalen Verpfl ichtungen nachzukommen. Und das nicht nur in (macht-)politischer Hin-sicht: Statt immer mehr Globalisierung und Integration erhob Donald Trump die Rückbesinnung auf Nationalstaatlichkeit und Protektionismus zum wirtschaftli-

chen und sozialen Gegenmodell. Damit steht der US-Präsident keineswegs allein, wie das Brexit-Votum und die immer noch starken populistischen Bewegungen in Mittel- und Osteuropa und neuerdings auch in Katalonien zeigen.

Abkehr von der transatlantischen Orientierung?Das westliche Modell steht unter Druck: ideell, militärisch und ökonomisch. Oder wie es der Historiker Heinrich August Winkler ausdrückte: „Die liberale De-mokratie des Westens ist in der Defen-sive.“ Winkler hat diese Situation in seinem Buch „Zerbricht der Westen?“ analysiert. Erst kaum merklich, aber nun immer stärker verschieben sich paral-lel dazu die politischen Machtverhältnis-se von den transatlantischen Partnern hin zu aufstrebenden Volkswirtschaften wie etwa China und Indien. Und das in

Auftakt

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Im Weitwinkel

Ausgabe 2 / 2017

DR . HENNING

RIECKE

Jahrgang 1966, Programmleiter USA /Transatlantische Beziehungen am Forschungsinstitut der DGAP in Berlin. Seine Fachgebiete sind die transatlantische Sicherheitskooperation, amerikanische und deutsche Außen- und Verteidigungspolitik sowie die Verbreitung von Massenvernich-tungswaffen.

Auftakt

ökonomischer und demografi scher Hin-sicht genauso wie in Bezug auf Finanz-kraft oder militärische Fähigkeiten (sie-he auch Infografi k auf Seite 26–27).

In der Folge steigen die Spannungen, etwa im Südchinesischen Meer. Unabhängig da-von sorgen nicht nur Nordkoreas Atom-bomben- und Raketentests bei den un-mittelbaren Nachbarn für Unruhe. Auch andere Regionen sind in Bewegung: In Nordafrika und im Nahen Osten hat der Arabische Frühling nicht den von vielen Politikern erhofften Aufstieg demokrati-scher Bewegungen gebracht, sondern in vielen Fällen zu Bürgerkrieg und Terror ge-führt. Am Persischen Golf steigt Iran zur neuen Großmacht auf – argwöhnisch be-obachtet von Saudi-Arabien, den Verei-nigten Arabischen Emiraten und den USA. Auch Russland zeigt seit einiger Zeit wie-der an seiner Westgrenze Muskeln durch Annektierung der Krim und die Befeue-rung der Ukrainekrise.

In dieser neuen weltpolitischen Gemen-gelage sieht sich auch die Europäische Union – selbst von inneren Konfl ikten belastet – genötigt, international eine neue Rolle zu spielen. Dies machte Kanz-lerin Angela Merkel kurz nach dem fast ergebnislosen G7-Gipfel im Mai 2017 deutlich, als sie sagte: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei.“ Sie schloss daraus: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“ Allerdings machen es die schwierigen Koalitionsverhandlungen der Bundesregierung wahrscheinlich für Mo-nate schwer, wichtige Weichenstellungen in der EU stärker zu unterstützen.

China, die neue MachtWie geht es weiter? „An die Stelle der globalen Ordnung, wie wir sie kennen, könnte eine von Einfl usssphären ge-prägte Welt treten“, prognostiziert die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Klar ist, dass es eine geografi sche Zuordnung, etwa nach dem Motto ‚diese Region gehört zu diesem Staat’, nicht mehr gibt“, ist Dr. Riecke, DGAP-Experte für die transatlantische Sicherheitskooperation, überzeugt. So baue China seinen Einfl uss durch wirt-schaftliche Verfl echtung aus. Im Rahmen der Initiative „One Belt, One Road“in-vestiert es weltweit in Infrastruktur, Energienetzwerke, Straßen und Häfen. „Durch diese Investitionsstrategie ändert China die Bedingungen der Globalisie-rung auf eine Weise, die seinen eigenen Handelsinteressen nützt“, so Riecke.

Riecke sieht dabei auch Vorteile, denn Chinas wirtschaftliche Dynamik schaf-fe große Chancen für Unternehmen weltweit. Dem können und wollen sich die bestehenden Industriestaaten nicht entziehen. Er gibt aber auch zu bedenken: „Peking liefert kein demo-kratisches Ordnungsmodell als Vorbild zur Veränderung mit.“ Seiner Meinung nach hängt die Weltwirtschaft nach wie vor auch von der funktionierenden amerikanischen Volkswirtschaft ab. „Ich würde mir wünschen, dass die Demo-kratien ihr Schwergewicht in der Welt behalten. Wenn es gelingt, das westliche Wertesystem glaubwürdig zu machen, die Leistungsfähigkeit der Demokratien zu steigern, dann müssen wir vor einem starken Machtpol China keine Angst haben“, resümiert Riecke. ›

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Im Weitwinkel

Ausgabe 2 / 2017

DAS GROSSE RÜSTEN

Weltweit gab es im Jahr 2016 insgesamt

226 gewaltsam ausgetragene Konfl ikte.

Davon waren 18 Auseinandersetzun­

gen Kriege der höchsten Eskalati­

onsstufe. Einer davon wird in Europa

geführt in der ostukrainischen Donbass-

region, wo sich ukrainische Truppen und

prorussische Separatisten bekämpfen.

226gewaltsam ausgetragene

Konfl ikte

Quellen: Internationales Friedensforschungsinstitut Sipri, „Konfl iktbarometer 2016“ des Heidelberger Instituts für Internationale Konfl iktforschung (HIIK).

1,572Billionen

EuroIm Jahr 2016 betrugen die weltweiten

Militärausgaben 1,572 Billionen Euro.

Das ist im Vergleich zu 2015 ein Plus von

0,4 Prozent. Die „Top Five“ bei den

Rüstungsausgaben sind die USA, China,

Russland, Saudi-Arabien und Indien.

Deutschland liegt mit 35,2 Milliar­

den Euro auf dem neunten Platz.

Auftakt

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Im Weitwinkel

Ausgabe 2 / 2017

Fehlende Investitionssicherheit und Handelsbarrieren Fest steht: Auch ohne militärische Eska-lation erhält das Thema Geopolitik für Investoren eine zunehmende Bedeu-tung. Wenn es aufgrund der politischen Großwetterlage schwieriger wird, Me-gaprojekte wie Klima- oder Freihan-delsabkommen multilateral zu fixieren, fehlt Investitionssicherheit. Daneben ist auch die Gefahr eines Handelskrieges zwischen den USA und China gestie-gen. Strafmaßnahmen wie etwa neue Zollschranken würden den Welthandel jedoch belasten und damit auch Inves-toren schaden.

Der Blick in die Geschichte relativiert allerdings die aktuelle Situation. Man könnte fragen, wann die Welt überhaupt in Ordnung war. Stellvertreterkriege und politische Krisen waren seit 1945 im Kalten Krieg und auch danach eine fortwährende Begleiterscheinung. War nicht schon kurz nach dem Ende des Ost-West-Konflikts mit dem Ausbruch des Jugoslawienkrieges Fukuyamas Diktum vom „Ende der Geschichte“ überholt?

Allerdings ist in den vergangenen Jahren die mediale Aufmerksamkeit gewachsen. Die Geschwindigkeit in der digitalisierten Berichterstattung und der gewachsene Einfluss der sozialen Me-dien machen Orientierung schwieriger und tragen zum Teil sicherlich zur Ver-unsicherung bei. Die Digitalisierung ist auch unter einem anderen Aspekt nicht nur ein Segen: Unternehmen und Staa-

ten sind durch das gewachsene Risiko staatlicher oder terroristisch-krimineller Cyberattacken verletzlicher geworden (siehe Beitrag Seite 28 f.).

Geopolitische Risiken werden weitgehend ausgeblendetAuffällig ist jedoch, dass dieses tatsächli-che oder auch nur gefühlte Risikopoten-zial – abgesehen von tagesaktuellen Kursausschlägen – nicht auf die Wirt-schaft und die Kapitalmärkte wirkt. Im Gegenteil: Seit Längerem befindet sich die Wirtschaft in fast allen Teilen der Welt im Aufschwung. Günstige Energie-preise, niedrige Inflationsraten und ein schon fast eine Dekade dauerndes Niedrigzinsumfeld bieten dafür ideale Voraussetzungen, auf die nur ab und an der Schatten der Weltpolitik fällt. In vielerlei Hinsicht ist die Welt zudem heute stabiler als noch vor wenigen Jahren. Die schwerste Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg wurde Stück für Stück abgearbeitet, ein Euro-Break-up ist viel unwahrscheinlicher geworden.

In den folgenden Essays und Beiträgen betrachten der ehemalige Generaldirek-tor des britischen Inlandsgeheimdiens-tes MI5 Lord Jonathan Evans, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz Bot-schafter Wolfgang Ischinger, der ehe-malige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sowie David F. Milleker, Chefvolkswirt von Union Investment, die Thematik aus politischer, gesell-schaftlicher und makroökonomischer Perspektive. ‹

Nachlese

CARLO MASALA,WELTUNORDNUNGC. H. Beck, München

2016: Afghanistan, Irak, Libyen, Ukraine, Syrien –

wir scheinen in einer neuen Weltunordnung zu

leben. Der Politologe Prof. Carlo Masala

beschreibt in seinem Buch „Weltunordnung“, wie es so weit kommen konnte. Marsalas These: Der Westen trägt eine

Mitschuld.

HEINRICH AUGUST WINKLER,

ZERBRICHT DER WESTEN?

C. H. Beck, München 2017: Europa und Ame-

rika haben mit vielen Herausforderungen

gleichzeitig zu kämpfen. In der Folge steckt die westliche Welt in ihrer vielleicht schwersten Krise. Der Historiker

Heinrich August Winkler analysiert die Ursachen, erklärt die Zusammen-

hänge und sagt, was sich dringend ändern muss, wenn der Westen die

Krise überwinden will.

Auftakt

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Im Weitwinkel

Ausgabe 2 / 2017

Essay

Ausgabe 2 / 2017Ausgabe 1 / 2017

Die Rolle Europasin der neuenWeltordnung

Ausgabe 2 / 2017

JOSÉ MANUEL BARROSO

Jahrgang 1956, war von 2004 bis 2014 Präsident der Europäischen Kommission. Am Anfang seines politischen Werde-gangs stand 1980 der Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Portugals (Partido Social Democrata, PSD), deren Vorsitzender er 1999 wurde. Von 1992 bis 1995 war er Außenminister Portugals und ab April 2002 Premierminister, bis er im Juli 2004 zum Präsidenten der Europäischen Kommission ernannt wurde. Heute lehrt Barroso als Gastprofessor an der Princeton University in den USA.

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Ausgabe 2 / 2017Ausgabe 1 / 2017Ausgabe 2 / 2017Ausgabe Ausgabe 2 / 2017Ausgabe Ausgabe 1 / 2017Ausgabe Ausgabe 2 / 2017Ausgabe Ausgabe AusgabeAusgabe Ausgabe Ausgabe 2 / 2017Ausgabe Ausgabe 1 / 2017Ausgabe Ausgabe 2 / 2017Ausgabe AusgabeAusgabe Ausgabe 2 / 2017Ausgabe Ausgabe 1 / 2017Ausgabe Ausgabe 2 / 2017Ausgabe 2 / 2017 2 / 20172 / 2017Ausgabe 2 / 2017Ausgabe 1 / 2017Ausgabe 2 / 2017 2 / 2017Ausgabe 2 / 2017Ausgabe 1 / 2017Ausgabe 2 / 20172 / 2017Ausgabe 2 / 20172 / 2017Ausgabe 1 / 20172 / 2017Ausgabe 2 / 20172 / 2017 2 / 20172 / 2017Ausgabe 2 / 20172 / 2017Ausgabe 1 / 20172 / 2017Ausgabe 2 / 20172 / 2017

JOSÉ MANUEL BARROSO JOSÉ MANUEL BARROSO

Jahrgang 1956, war von 2004 bis 2014 Jahrgang 1956, war von 2004 bis 2014 Präsident der Europäischen Kommission. Präsident der Europäischen Kommission. Am Anfang seines politischen Werde-Am Anfang seines politischen Werde-gangs stand 1980 der Eintritt in die gangs stand 1980 der Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Portugals Sozialdemokratische Partei Portugals (Partido Social Democrata, PSD), deren (Partido Social Democrata, PSD), deren Vorsitzender er 1999 wurde. Von 1992 Vorsitzender er 1999 wurde. Von 1992 bis 1995 war er Außenminister Portugals bis 1995 war er Außenminister Portugals und ab April 2002 Premierminister, bis und ab April 2002 Premierminister, bis er im Juli 2004 zum Präsidenten der er im Juli 2004 zum Präsidenten der Europäischen Kommission ernannt wurde. Europäischen Kommission ernannt wurde. Heute lehrt Barroso als Gastprofessor Heute lehrt Barroso als Gastprofessor an der Princeton University in den USA. an der Princeton University in den USA.

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Im Weitwinkel

Ausgabe 2 / 2017

Essay

Ausgabe 2 / 2017Ausgabe 1 / 2017

ESSAY J o s é M a n u e l B a r r o s o ILLUSTRATION O l i v e r S e b e l

Wenn man die Rolle Europas in der neuen Weltordnung

betrachtet, so muss man sich zunächst die For tschrit te

der Europäischen Union seit Gründung der Europäischen

Gemeinschaf t vor Augen führen.

6 M i n .

E u r o p ä i s c h e U n i o n

W e r t e

G l o b a l i s i e r u n g s l a b o r

S eit Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 hat die Europäische Gemeinschaft viele Aspekte der globa-

len Ordnungspolitik vorangetrieben, indem sie beispielsweise Frieden, Wirtschaftswachstum und gemeinsame Werte gefördert hat. Sie ist damit zum Vorbild für Zusammenarbeit in ei-nem neuen internationalen Gefüge geworden.

Die Förderung des FriedensDie grundlegende strategische Vision der Grün-dungsväter der Europäischen Union war es zunächst, das politische Ziel des Friedens durch wirtschaftliche Integration zu erreichen. In dieser Hinsicht blicken wir auf eine einzigartige Erfolgsgeschichte zurück: In den vergangenen 60 Jahren gab es keine Kriege zwischen Mit-gliedern der Europäischen Gemeinschaft oder generell in Westeuropa.

Obwohl die NATO natürlich einen sehr wich-tig en Beitrag zur Gewährleistung unserer Sicherheit leistet, ist es doch angebracht, die entscheidende Rolle der Europäischen Union hierbei anzuerkennen. Wie seinerzeit im Schu-man-Plan (Mai 1950) gefordert, ist zwischen den Ländern Europas „der Krieg nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich“. Die EU gewährt unseren Bürgern also eine grundlegende Sicherheit, die unbezahlbar ist.

Ich persönlich werde nie den Augenblick ver-gessen, als ich 2012 in Oslo zusammen mit Kollegen vom Europäischen Rat und vom Eu-ropäischen Parlament im Namen der EU den Friedensnobelpreis für den „Beitrag zur Förde-rung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten über sechs Jahrzehnte hinweg“ entgegennahm. ›

Ausgabe 2 / 2017

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Page 11: 2017 - union-investment.it24e72bf9-c598-47e0... · Doch wie werden sich die einzelnen Puzzleteile zusammenfügen? Europa wartet auf einen neuen Impuls für seine Gemeinschaft. Die

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Im Weitwinkel

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Für mich bestätigt die Verleihung dieses Preises, einer der renommiertesten Auszeich-nungen unserer Zeit, die Relevanz der EU als Friedensgarant.

WirtschaftswachstumDie Europäische Union hat auch einen enor-men Beitrag zu Wohlstand, nachhaltigem Wachstum und wirtschaftlichem Zusammen-halt geleistet. Das führte in Europa nicht nur zu bislang ungekannten Ausmaßen wirtschaft-lichen Wohlergehens – sowie zu sozialem und kulturellem Fortschritt –, sondern hat auch zur wirtschaftlichen Konvergenz der Mitglieds-staaten beigetragen.

Unser Wachstumsstreben geht mit unserem zu-kunftsweisenden Engagement für Nachhaltig-keit einher. Ich bin stolz darauf, dass die EU, und insbesondere die EU-Kommission, deren Leitung mein Privileg war, für die Einführung des anspruchsvollsten Projekts zum Kampf ge-gen den Klimawandel verantwortlich war. Das EU-Klima- und -Energiepaket gab beispiellos strikte Ziele für die Verringerung von Treibhaus-gasemissionen vor. Dieses Projekt hat sich seit-dem als Inspiration für die Bemühungen der Weltgemeinschaft erwiesen, eines der schwie-rigsten und bedrohlichsten Probleme abzuwen-den, dem wir je gegenüberstanden.

Eine Gemeinschaft der WerteZudem ist wichtig, dass die Europäische Union nicht nur eine Wirtschaftsunion, sondern auch eine Union der Werte ist. Deshalb sollten wir stolz auf die Beiträge der EU zur Weiterentwick-lung von Werten wie „Achtung der Menschen-würde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechts-staatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte”

sein, die in Artikel 2 des Vertrags von Lissabon dargelegt sind. Diese Werte wurden in Europa zwischen den Mitgliedsstaaten gefestigt und von dort aus weltweit verbreitet und gefördert.

Die zunehmende Rolle der Europäischen Union in der globalen Ordnungspolitik – die aus ihrer Bedeutung als internationaler Akteur, beispielsweise im Rahmen der UN, G7 und G20, ersichtlich ist – zeigt, dass es möglich ist, gleichzeitig mit der Vertiefung und Erwei-terung unserer Gemeinschaft auch externe Fortschritte zu erzielen.

Eine neue globale OrdnungDie EU ist somit offensichtlich das bisher fortgeschrittenste Beispiel für die Zusammen-arbeit unterschiedlicher Staaten. Man könnte sie daher als eine Art „Globalisierungslabor“ betrachten. Ländern mit sehr unterschiedlichen geschichtlichen Hintergründen, politischen Systemen und Sozialmodellen, aber gemein-samen Werten bezüglich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gelang es hier schließlich nicht nur, einen gemeinsamen Markt zu schaf fen, sondern darüber hinaus auch eine gemeinsame Rechtsordnung und gemeinsame Institutionen zu akzeptieren.

Nicht zuletzt durch den Globalisierungsprozess wird zunehmend klarer, dass die Herausforde-rungen der heutigen Zeit – vom Klimawandel über internationale Stabilität und Terrorismus-bekämpfung bis hin zur Migration – nicht allein durch individuelle Bemühungen einzel-ner Regierungen bewältigt werden können. Daher lässt sich das Konzept einer globalen Ordnungspolitik mit einer neuen Weltordnung verbinden, wobei man es auch heute wohl

Essay

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niemandem verübeln könnte, bei der Erwäh-nung einer „neuen Weltordnung“ zunächst einmal zu denken, dass eine „Weltordnung“ an sich schon eine gute Idee wäre.

Durch die jüngsten grundlegenden Änderungen gewisser globaler Beziehungen ist die allge-meine Unsicherheit auf ein Niveau gestiegen, das beispielsweise weit über dem des Kalten Krieges liegt. Dieser Eindruck beruht zum Teil auf einem fundamentalen Umbruch in unse-rem Machtverständnis: Akteure in öffentlichen Ämtern stehen heutzutage unter einem unver-gleichlichen Druck – hauptsächlich aufgrund der völlig veränderten Medienlandschaft der vergangenen Jahre.

G20 und KlimawandelWeiterhin ist erwähnenswert, dass die EU seit ihrer Entstehung stets eine Hochburg zwi-schenstaatlicher Zusammenarbeit und über-nationaler Entscheidungsfindung gewesen ist. Die EU sucht bei der Beschlussfassung instinktiv den Kompromiss. Daher ist es nicht überra-schend, dass sie sowohl bei der Gründung der G20 als auch bei der Suche nach einer gemeinsamen Antwort auf den Klimawandel eine Schlüsselrolle spielte.

Ich erinnere mich noch lebhaft an ein Treffen im Oktober 2008, als ich mit dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy nach Camp David in den USA reiste, um Präsident George W. Bush zu überzeugen, sich unserem Appell zum Kampf gegen die Finanzkrise anzuschlie-ßen. Trotz gewisser anfänglicher Zurückhaltung wurde die Notwendigkeit globaler Maßnahmen akzeptiert. So entstand die G20-Gruppe in ihrer heutigen Form.

Man hatte allseits die Lektionen der Welt-wirtschaftskrise der 1930er-Jahre gelernt und im November 2008 trafen wir uns be-reits zu unserer ersten Sitzung in Washing-ton. Ein zweites Gipfeltreffen fand schon vier Monate später in London statt, und seit-dem hat sich die G20-Gruppe zum führen-den Koordinationsforum für die Wirtschafts-politik ihrer Mitgliedsstaaten entwickelt, in dem viele der von der EU eingebrachten Kon-zepte konkrete Gestalt annehmen. Die Ent-wicklung der G20-Gruppe stellt damit eine der bedeutendsten Transformationen des glo-balen Systems dar, und ihre Entstehung half, weitaus negativere Szenarien abzuwenden, die ohne diese Kooperation hätten eintreten können.

FazitIn einer immer unberechenbareren Welt brau-chen wir ein Europa mit mehr Selbstsicher-heit. Europa muss – sowohl politisch als auch in Bezug auf seine Verteidigung – erwachsen werden und seine eigenen Entscheidungen un-abhängig treffen und global einbringen. Wie es Angela Merkel ausdrückte: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Wir Euro-päer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“

Dabei sollte die EU natürlich jegliche Selbst-zufriedenheit und Arroganz bezüglich ihrer Errungenschaften vermeiden. Arroganz ist stets ein Ausdruck von Dummheit. Stattdessen ist es die Rolle der EU, Lösungen für eine Welt, die fortgeschrittenere Formen der Ordnungspolitik benötigt, nicht anzuordnen, sondern anzuregen. ‹

Essay

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Im Weitwinkel

Es gibt leider kaum gute Nachrichten: Die internationale

Sicherheitslage ist heute volatiler als zu irgendeinem Zeit-

punkt seit dem Ende des Kalten Krieges.

ESSAY W o l f g a n g I s c h i n g e r ILLUSTRATION O l i v e r S e b e l

Nicht den Kopf in den Sand stecken

D ie europäische Sicherheitsordnung – Stich-wörter: Krimannexion und Ukrainekrieg – ist in eine tiefe Krise gestürzt. Der Krieg in Syrien

hat sich zu einem regionalen Flächenbrand entwickelt und die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gezeitigt. Terroranschläge des „Islamischen Staates“ haben europäische Metropolen schwer getroffen. Der US-Präsident stellt offen ameri-kanische Bündnisverpflichtungen infrage und scheint wenig von langfristiger, durchdachter Politik zu hal-ten. In Korea droht eine Eskalation der Nuklearkrise. Wichtige Grundpfeiler des Westens und der liberalen internationalen Ordnung, nicht zuletzt die NATO und die EU, sind angeschlagen. Die Gegner offener Ge-sellschaften sind auf dem Vormarsch. Und viele Bürger in Demokratien verlieren zunehmend den Glauben, dass ihre politischen Systeme für sie positive Verände-rungen bewirken können – und setzen auf nationale Lösungen und geschlossene Grenzen.

Was tun? Zunächst einmal: Nicht den Kopf in den Sand stecken! Die EU ist in den vergangenen Mona-ten auf dem Weg der Besserung. Die USA sind weit mehr als Trump – und werden sich wieder erholen.

Und trotz ihrer Schwächen hat die liberale Weltord-nung im Großen und Ganzen eine bemerkenswerte Ära von Frieden und Prosperität ermöglicht. Sie ist auch prinzipiell in der Lage, sich an aufstrebende Mächte und eine veränderte Weltlage anzupassen. Und doch ist eine zentrale Frage unserer Zeit: Sind die Jahrzehnte nach dem Kalten Krieg nur eine liberale Momentaufnahme gewesen, die jetzt einer neuen, illiberalen Ära weicht? Werden dann auch größere Spannungen und gar offene Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten, nicht zuletzt zwischen den USA und China, von der Ausnahme zur Regel? Zumindest müssen wir davon ausgehen, dass die Weltordnung unsicherer, komplizierter und komplexer wird. Und dass die Länder des Westens um ihren Ein-fluss kämpfen müssen, damit die wichtigen Entschei-dungen nicht künftig anderswo getroffen werden.

Ohne Europa ist alles nichts. Dieser Grundsatz der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gilt nach wie vor. Auf die Unsicherheiten der Gegenwart mit einem Rückzug in den Nationalstaat zu antworten wäre ein Holzweg, der weder Frieden noch Wohl-stand bringen kann. Es gibt kein wichtigeres außen-

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E u r o p a

F r i e d e n

S i c h e r h e i t s p o l i t i k

Essay

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politisches Interesse für Deutschland, als ein stabiles europäisches Umfeld zu schaffen und zu erhalten.

Nach der Finanzkrise, dem Brexit-Votum und dem Erstarken rechter Populisten scheint es, als wollten die europäischen Bürger mehrheitlich nicht mehr, sondern weniger Europa. Das mag für einige Berei-che stimmen – aber nicht für die Außen- und Sicher-heitspolitik: Laut einer Umfrage des Pew Research Center befürworten 74 Prozent der Befragten in zehn EU-Staaten „eine aktivere Rolle der EU in internatio-nalen Angelegenheiten“. Auch in Deutschland waren es genau 74 Prozent.

So sehr die Europäer insgesamt also EU-skeptischer geworden sein mögen: Sie spüren sehr genau, dass kleine Nationalstaaten zu unbedeutend und zu schwach sind, um allein mit den globalen Herausfor-derungen umzugehen. Sie wissen: Nur gemeinsam, nur durch eine effektive EU-Außen- und -Sicherheits-politik können unsere Interessen in der Welt mit Nachdruck vertreten werden. Nur gemeinsam können wir „ein Europa, das schützt“ (Macron), stärken. Jetzt, in der Zeit von Trump und Putin, wollen die Europäer an dieser Stelle Taten sehen: Wir müssen in der Außen- und Sicherheitspolitik mehr Europa wagen, um uns selbst behaupten zu können. ‹

WOLFGANG ISCHINGER

Jahrgang 1946, ist Jurist und Diplomat. Er war beamteter Staatssekretär im

Auswärtigen Amt sowie Botschafter in Washington, D.C. und London. Seit 2008

leitet er die Münchner Sicherheitskon-ferenz. Botschafter Wolfgang Ischinger

ist Gastredner der Risikomanage-ment-Konferenz von Union Investment

im November 2018.

Essay

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WOLFGANG ISCHINGER WOLFGANG ISCHINGER

Jahrgang 1946, ist Jurist und Diplomat. Jahrgang 1946, ist Jurist und Diplomat. Er war beamteter Staatssekretär im Er war beamteter Staatssekretär im

Auswärtigen Amt sowie Botschafter in Auswärtigen Amt sowie Botschafter in Washington, D.C. und London. Seit 2008 Washington, D.C. und London. Seit 2008

leitet er die Münchner Sicherheitskon-leitet er die Münchner Sicherheitskon-ferenz. Botschafter Wolfgang Ischinger ferenz. Botschafter Wolfgang Ischinger

ist Gastredner der Risikomanage-ist Gastredner der Risikomanage-ment-Konferenz von Union Investment ment-Konferenz von Union Investment

im November 2018. im November 2018.

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Im Weitwinkel Blickpunkte

Öl ist der Schmierstof f der Weltwir tschaf t. Doch der Markt ist im

Umbruch, die Interessen der Akteure verschieben sich. Unsere Fonds-

manager schlüpfen in die Rolle der Protagonisten und erläutern

deren Motivation.

Russ land „Öl und Gas sind der Treibstoff meiner Wirtschaft. Auch deshalb haben mich die fallenden Preise in den vergangenen Jahren in die Rezession gezogen. Zu allem Überfl uss leide ich auch noch unter den Sanktionen des Westens aus dem Ukrainekonfl ikt. Deshalb habe ich nach dem Preisverfall zunächst gefördert, was das Zeug hält. Gebracht hat es mir nichts. Heute beteilige ich mich deshalb an den Produktionskürzungen der OPEC. Mittelfristig muss wohl auch ich meine Rohstoff-abhängigkeit verringern, doch noch bin ich der größte Ölförderer der Welt.“

THOMAS BENEDIX

Senior Portfolio Manager Commodities bei Union Investment

Öl durch die Brilleder Handelnden

Ausgabe 2 / 2017

USA „Schieferölunternehmen wie ich sind unge-liebte Exoten im Ölmarkt. Ich arbeite nach ökono-mischen Kriterien, politische Ränke sind mir fremd. Geld verdienen ist mein Ziel. Dafür nutze ich die neueste, wenngleich umstrittene Technologie: Fra-cking. Meine Regierung unterstützt mich, denn sie hat genug von Potentaten jenseits der Meere. Sie will Energieunabhängigkeit – und ich kann sie ihr geben. Die saudische Pumpoffensive von 2014 hat mich an den Rand des Ruins gebracht. Meine In-vestoren wurden mächtig nervös. Aber ich habe den Wüstensturm durch Effi zienzsteigerungen und Kos-teneinsparungen überstanden. Heute bin ich wie-der da, stärker denn je. Meine Grenzkosten sind gefallen, zudem ist meine Förderung hochfl exibel. So schnell werden die Saudis mich nicht mehr los.“

MICHAEL HERZUM

Leiter Multi Asset & Commodities Strategy bei Union Investment

Im Weitwinkel

Öl ist der Schmierstof f der Weltwir tschaf t. Doch der Markt ist im

Umbruch, die Interessen der Akteure verschieben sich. Unsere Fonds-

manager schlüpfen in die Rolle der Protagonisten und erläutern

deren Motivation.

Russ land „Öl und Gas sind der Treibstoff meiner Wirtschaft. Auch deshalb haben mich die fallenden Preise in den vergangenen Jahren indie Rezession gezogen. Zu allem Überfl uss leide ich auch noch unter den Sanktionen des Westens aus dem Ukrainekonfl ikt. Deshalb habe ich nach dem Preisverfall zunächst gefördert, was das Zeug hält. Gebracht hat es mir nichts. Heute beteilige ich mich deshalb an den Produktionskürzungen der OPEC. Mittelfristig muss wohl auch ich meine Rohstoff-abhängigkeit verringern, doch noch bin ich der größte Ölförderer der Welt.“

THOMAS BENEDIXTHOMAS BENEDIX

Senior Senior Portfolio Manager Commodities Portfolio Manager Commodities bei Union Investmentbei Union Investment

Öl durch die BrilleÖl durch die Brilleder Handelndender Handelnden

Ausgabe 2 / 2017

USA „Schieferölunternehmen wie ich sind unge-liebte Exoten im Ölmarkt. Ich arbeite nach ökono-mischen Kriterien, politische Ränke sind mir fremd. Geld verdienen ist mein Ziel. Dafür nutze ich die neueste, wenngleich umstrittene Technologie: Fra-cking. Meine Regierung unterstützt mich, denn siehat genug von Potentaten jenseits der Meere. Sie will Energieunabhängigkeit – und ich kann sie ihr geben. Die saudische Pumpoffensive von 2014 hat mich an den Rand des Ruins gebracht. Meine In-vestoren wurden mächtig nervös. Aber ich habe den Wüstensturm durch Effi zienzsteigerungen und Kos-teneinsparungen überstanden. Heute bin ich wie-der da, stärker denn je. Meine Grenzkosten sind gefallen, zudem ist meine Förderung hochfl exibel. So schnell werden die Saudis mich nicht mehr los.“

MICHAEL HERZUMMICHAEL HERZUM

Leiter Leiter Multi Asset &Multi Asset & Commodities Strategy Commodities Strategy bei Union Investmentbei Union Investment

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Seite

Im Weitwinkel Blickpunkte

Saudi -Arabien „Eigentlich bin ich der König auf dem Ölmarkt. Dank der Kombination aus immen-sen Vorkommen und günstigen Förderkosten habe ich über Jahrzehnte das Feld dominiert und dabei viel Geld verdient. Dann kam die Schieferölrevoluti-on. Neue Spieler griffen meine Wettbewerbsstellung an. Zunächst habe ich mit einer Angebotsschwemme versucht, sie aus dem Markt zu pumpen – zulasten meiner Staatsfi nanzen. Für die Sicherung meiner Dy-nastie brauche ich aber die Petrodollars. Und damit einen einträglichen Ölpreis. Außerdem hat mein Plan nicht funktioniert, denn Schieferöl ist immer noch da. Inzwischen verfolge ich deshalb die umgekehrte Strategie: weniger Öl durch Förderkürzungen. Damit mein Plan aufgeht, muss die OPEC mitmachen, und das tut sie auch. Aber wie lange noch?“

DANIEL BATHE

Senior Portfolio Manager im Team Asset Allocation bei Union Investment

China „Ich bin der größte Ölimporteur der Welt. Meine Wirtschaft ist energiehungrig, mein Volk auf-stiegswillig. Versorgungssicherheit und billige Prei-se sind daher für mich oberstes Gebot. Ohne be-zahlbares Petroleum wäre mein Wachstumsmodell in Gefahr. Perspektivisch könnte ich mir daher gut vorstellen, meine Fühler noch stärker zu den vom Westen verschmähten Förderländern auszustrecken. Bei Metallen hat das in Afrika schon hervorragend funktioniert. Mal sehen, ob ich nicht auch auf dem Ölmarkt interessante Partnerländer fi nde. Vielleicht Venezuela? Ein zweites Standbein meiner Strategie ist die Senkung des Verbrauchs. Denn: Auch durch meinen Öldurst versinken meine Städte im Smog, die Einwohner werden krank. Elektroautos und er-neuerbare Energien helfen mir daher, den sozialen Frieden zu wahren.“

MICHAEL MÜLLER

Senior Portfolio Manager Commodities bei Union Investment

ILLUSTRATION K e r s t i n L u t t e n f e l d n e r

UNSERE POSIT ION

Die globale Nachfrage steigt, während das Angebot durch die Förder-kürzungen der OPEC gedeckelt ist. Die US-Produktion reicht allein nicht

aus, um den höheren Bedarf zu bedienen. Daher befi ndet sich der Ölmarkt aktuell im Defi zit, die Lagerbestände sinken. Ein anhaltend

höheres Preisniveau – bei rund 57 US-Dollar je Fass der Sorte Brent zur Jahresmitte 2018 − ist die Folge.

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G l o b a l

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Blickpunkte

Saudi -Arabien „Eigentlich bin ich der König auf dem Ölmarkt. Dank der Kombination aus immen-sen Vorkommen und günstigen Förderkosten habe ich über Jahrzehnte das Feld dominiert und dabei viel Geld verdient. Dann kam die Schieferölrevoluti-on. Neue Spieler griffen meine Wettbewerbsstellung an. Zunächst habe ich mit einer Angebotsschwemme versucht, sie aus dem Markt zu pumpen – zulasten meiner Staatsfi nanzen. Für die Sicherung meiner Dy-nastie brauche ich aber die Petrodollars. Und damit einen einträglichen Ölpreis. Außerdem hat mein Plan nicht funktioniert, denn Schieferöl ist immer noch da. Inzwischen verfolge ich deshalb die umgekehrte Strategie: weniger Öl durch Förderkürzungen. Damit mein Plan aufgeht, muss die OPEC mitmachen, und das tut sie auch. Aber wie lange noch?“

DANIEL BATHEDANIEL BATHE

Senior Senior Portfolio Manager im Team Portfolio Manager im Team Asset Allocation bei Union InvestmentAsset Allocation bei Union Investment

China „Ich bin der größte Ölimporteur der Welt. Meine Wirtschaft ist energiehungrig, mein Volk auf-stiegswillig. Versorgungssicherheit und billige Prei-se sind daher für mich oberstes Gebot. Ohne be-zahlbares Petroleum wäre mein Wachstumsmodellin Gefahr. Perspektivisch könnte ich mir daher gut vorstellen, meine Fühler noch stärker zu den vom Westen verschmähten Förderländern auszustrecken. Bei Metallen hat das in Afrika schon hervorragend funktioniert. Mal sehen, ob ich nicht auch auf dem Ölmarkt interessante Partnerländer fi nde. Vielleicht Venezuela? Ein zweites Standbein meiner Strategie ist die Senkung des Verbrauchs. Denn: Auch durch meinen Öldurst versinken meine Städte im Smog, die Einwohner werden krank. Elektroautos und er-neuerbare Energien helfen mir daher, den sozialen Frieden zu wahren.“

MICHAEL MÜLLERMICHAEL MÜLLER

Senior Senior Portfolio Manager Commodities Portfolio Manager Commodities bei Union Investmentbei Union Investment

ILLUSTRATION K e r s t i n L u t t e n f e l d n e r

UNSERE POSIT IONUNSERE POSIT ION

Die globale Nachfrage steigt, während das Angebot durch die Förder-Die globale Nachfrage steigt, während das Angebot durch die Förder-kürzungen der OPEC gedeckelt ist. Die US-Produktion reicht allein nicht kürzungen der OPEC gedeckelt ist. Die US-Produktion reicht allein nicht

aus, um den höheren Bedarf zu bedienen. Daher befi ndet sich der aus, um den höheren Bedarf zu bedienen. Daher befi ndet sich der Ölmarkt aktuell im Defi zit, die LagerÖlmarkt aktuell im Defi zit, die Lagerbestände sinken. Ein anhaltend bestände sinken. Ein anhaltend

höheres Preisniveau – bei rund 57 US-Dollar je Fass der Sorte Brent zur höheres Preisniveau – bei rund 57 US-Dollar je Fass der Sorte Brent zur Jahresmitte 2018 Jahresmitte 2018 −− ist die Folge. ist die Folge.

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Im Weitwinkel

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Infografik

−797

HANDELSBILANZ2

511

WÄHRUNGSRESERVEN1

0,1 3,33,33,3

In M

rd. U

S-D

olla

rIn

Bill

. US-

Dol

lar

Wenn es um die globale Führungsrolle geht, dann läuf t alles auf

ein Duell zwischen den USA und China hinaus. Die Volksrepublik

kann dabei mit bemerkenswerten Zahlen aufwarten.

Mit dem Schritt vom kommunistischen Agrarstaat zur sozialistischen Marktwirtschaft entwickelte sich China ab den 1990er-Jahren zur Werkbank der Welt. Jetzt will die Volksrepublik ihr enormes Potenzial nutzen, um immer mehr Hochtechnologie zu produzieren. In Zukunftsbranchen wie der

Elektromobilität ist das Reich der Mitte schon auf dem Weg zur Weltspitze. Der Vergleich zeigt, dass sich China hervorragend positioniert hat, um die USA als führende Volkswirtschaft der Welt abzulösen. Der Appetit des bevölkerungsreichsten Landes der Welt dürfte jedenfalls noch lange nicht gestillt sein.

Appetit auf Weltmacht

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Infografik

ELEKTROAUTOS2

84 409

589

11,218,6

320 1.385

BRUTTOINLANDSPRODUKT2

BEVÖLKERUNG3

VERFÜGBARES EINKOMMEN3

MILITÄRAUSGABEN2

STAATSSCHULDEN4

0,6 0,2

39.513 2.993

68.017 3.022

PATENTE3

STAATSSCHULDEN

68.017 3.0223.022

18,6

BRUTTOINLANDSPRODUKTBRUTTOINLANDSPRODUKT

MILITÄRAUSGABE

11,2

BRUTTOINLANDSPRODUKT2

MILITÄRAUSGABEN2

0,20,2MILITÄRAUSGABE

0,6

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Mio

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Dol

lar

1 Februar 2017. 2 2016. 3 2015. 4 2017.

Quellen: Weltbank, Statista, boerse.de Finanzportal, Visual Capitalist, Sipri, World Intellectual Property Organization, Spiegel Online.

1.102

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Im Weitwinkel Essay

Das Internet führt vielleicht zu Wohlstand, Aufklärung und

Ef f izienz, aber es hat auch seine f insteren Seiten. Wir sollten

diese Risiken nicht außer Acht lassen.

ESSAY L o r d J o n a t h a n E v a n s ILLUSTRATION O l i v e r S e b e l

Gefahr aus dem Cyberspace

D ie Risiken im Cyberspace werden uns zwar zunehmend bewusst, aber es bleibt weiter-hin eine Herausforderung, sie zu kontrol-

lieren oder sogar auszuschalten. Das liegt unter anderem daran, dass das Ausmaß der Bedrohungen stetig zunimmt. Vor ein paar Jahren noch haben uns gelegentlich Hacker beunruhigt, die – womöglich politisch motiviert – Webseiten veränderten, um mit politischen Botschaften Aufmerksamkeit zu erregen. Die Hacker von heute sind immer öfter Kriminelle, Spione, Militärs oder Terroristen. Und obwohl auch Webauftritte immer noch attackiert werden, ist es viel wahrscheinlicher, dass Hacker versuchen, wert-volle Informationen zu stehlen, per Erpressungs-software Geld zu fordern oder ganze IT-Systeme lahmzulegen. Mit der Entwicklung des Autos hin zum „rollenden Computer“ ist die Automobilindustrie besonders anfällig dafür geworden. Aber auch Regie-rungen müssen sich damit befassen, wie sie kritische Infrastrukturen vor Angriffen durch Terroristen oder feindlich gesinnte Staaten schützen können.

Wie sollten wir also auf dieses sich dynamisch ent-wickelnde Szenario reagieren? Es ist natürlich immer noch wichtig, die Software auf dem neuesten Stand zu halten, Antivirensoftware zu installieren und sichere Passwörter zu verwenden, aber Unterneh-men, die sich ganz auf ihre IT-Infrastrukturen verlas-sen wollen, müssen mehr tun. Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, dass es sich hierbei um ein wirklich gravierendes Geschäftsrisiko handelt und nicht um irgendein technologisches Problem. Fast die Hälf-te aller Verletzungen der Netzsicherheit werden von „Insidern“ verursacht, entweder absichtlich oder un-absichtlich. Bei der Netzsicherheit ist und bleibt der Mensch eben immer noch ein entscheidender Faktor.

Es ist aber auch wichtig zu verstehen, welche Berei-che der IT, zum Beispiel die Daten oder die Systeme, von größerer Bedeutung für Ihr Unternehmen sind. Es ist nämlich schwierig, alle Bereiche gleich zu schützen. Sie sollten daher die „Kronjuwelen“ Ihres Unternehmens identifi zieren und Ihre Ressourcen

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Im Weitwinkel Essay

3 M i n .

C y b e r s p a c e

S i c h e r h e i t

W i r t s c h a f t

LORD JONATHAN EVANS, BARON EVANS OF WE ARDALE

Jahrgang 1958, nicht exekutives Vorstandsmitglied der Großbank HSBC. Lord Evans begann seine Laufbahn in den 1980er-Jahren beim britischen Geheimdienst. Zwischen 2007 und 2013 war er Generaldirek-tor des britischen Inlandsgeheim-dienstes MI5. In dieser Funktion beriet er die Regierung in nationalen Sicherheitsfragen wie Terrorismus, Cybersecurity und Spionage. Lord Evans verantwortete unter anderem das Sicherheitskonzept für die Olympischen Spiele in London 2012. Lord Evans ist im November 2018 Gastredner der 13. Risikomanage-ment-Konferenz von Union Investment.

darauf konzentrieren. Es ist außerdem ratsam, dass Sie die Abwehr eines Cyberangriffs üben. Der Großteil des von Cyberangriffen verursachten Schadens kann vermieden werden, wenn ein Unternehmen wirklich weiß, wie es einen Angriff abwehren kann. Hier heißt es also: üben, üben, üben!

In Zukunft ist mit einer Zunahme der Häufi gkeit und des Umfangs dieser Angriffe zu rechnen, und wir gehen davon aus, dass Hacker zunehmend fortge-schrittene Technologien, etwa künstliche Intelligenz, einsetzen werden. Künstliche Intelligenz wird ande-rerseits auch schon von einigen führenden Netzsi-cherheitsunternehmen eingesetzt, um Angriffe besser abzuwehren. Es ist durchaus vorstellbar, dass ein künftiger Cyberkrieg vom Kampf zwischen Maschinen geprägt sein wird, wobei die leistungsfähigsten Technologien die Oberhand gewinnen werden. ‹

tor des britischen Inlandsgeheim-tor des britischen Inlandsgeheim-dienstes MI5. In dieser Funktion dienstes MI5. In dieser Funktion beriet er die Regierung in nationalen beriet er die Regierung in nationalen Sicherheitsfragen wie Terrorismus, Sicherheitsfragen wie Terrorismus, Cybersecurity und Spionage. Lord Cybersecurity und Spionage. Lord Evans verantwortete unter anderem Evans verantwortete unter anderem das Sicherheitskonzept für die das Sicherheitskonzept für die Olympischen Spiele in London 2012. Olympischen Spiele in London 2012. Lord Evans ist im November 2018 Lord Evans ist im November 2018 Gastredner der 13. Risikomanage-Gastredner der 13. Risikomanage-ment-Konferenz von Union ment-Konferenz von Union Investment. Investment.

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Page 16: 2017 - union-investment.it24e72bf9-c598-47e0... · Doch wie werden sich die einzelnen Puzzleteile zusammenfügen? Europa wartet auf einen neuen Impuls für seine Gemeinschaft. Die

Im Weitwinkel Analyse

Ausgabe 2 / 2017

Trendbrüche und ihre Folgen

TEXT D a v i d F . M i l l e k e r ILLUSTRATION M e l a n i e B r i l l

Die unterschiedliche Wahrnehmung von Diskontinuitäten

und der Umgang mit ihnen. Von David F. Milleker.

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Im Weitwinkel

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Im Weitwinkel Analyse

Ausgabe 2 / 2017

5 M i n .

H a n d e l

B r e x i t

N o r m e n

S eit 2008 läuft es in der Welt nicht mehr so, wie wir es vorher gewohnt waren. Wachstum und Welthandel laufen schwächer. Der grenzüberschreitende Kapital- und Kreditverkehr ist ins Stocken geraten. Protektionismus, Populismus

und vermehrt auch „illiberale Demokratie“ leben auf. Oder kurz: Der mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ häufig verbundene beziehungsweise erhoffte Siegeszug von Marktwirtschaft und Demokratie unter dem Stichwort „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) ist nicht erfolgt.

Diskontinuitäten im Sinne von Trendbrüchen werden häufig unterschiedlich wahr-genommen. Erfolgen sie abrupt – etwa im Sinne eines Kriegsausbruchs –, werden sie stärker empfunden, als wenn sie sich schleichend vollziehen. Zum Glück befinden wir uns aktuell eher im letzteren Fall. Dennoch wird dies häufig als Unordnung empfunden, weil wir uns eben nicht mehr in den geregelten Bahnen des Prozesses befinden, der seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu gelten schien – stetige Öffnung für internationalen Handel, Intensivierung von Vorleistungsketten über Ländergrenzen hinweg und Hinwen-dung zu immer offenerem Kapitalverkehr. Das ging mal schneller, mal langsamer – aber immer in die gleiche Richtung. Das galt global wie regional. Immerhin ist der EU-Binnen-markt, der 1993 in Kraft trat, das wohl weitreichendste Projekt der Handelsliberalisierung auf regionaler Ebene. Heute dagegen reden wir nicht mehr nur über die Nichtratifizie-rung von Handelsabkommen (etwa TPP, TTIP), sondern mit Brexit und Aufkündigung von NAFTA über Handelsdesintegration.

Für den Trendbruch gibt es zyklische wie auch strukturelle Gründe. Zu den zyklischen zählt sicher, dass Globalisierung im Sinne offener Grenzen beidseitig wirkt – man profitiert von besseren Entwicklungen im Ausland, aber importiert auch die Probleme der Welt. Wenn, wie nach der Finanzkrise oder den rollierenden Krisen in verschiede-nen Teilen der Weltwirtschaft zwischen 2011 und 2016, offene Grenzen nicht mehr als Vorteil, sondern vermehrt als Problemimport wahrgenommen werden, schwindet verständlicherweise das Verständnis für sie.

Die Sache mit dem ChlorhühnchenZu den strukturellen Gründen gehört aus ökonomischer Sicht, dass wir quasi aus rechtlich-historischer Perspektive an gewisse Grenzen stoßen. Das soll im Folgen-den am konkreten Fall des Brexits illustriert werden, wobei dann das inzwischen berühmt-berüchtigte Chlorhühnchen eine wichtige Rolle spielen wird.

Bekanntermaßen ist eine Wunschvorstellung der Briten, nach dem EU-Austritt zahlrei-che Freihandelsabkommen mit Drittstaaten zu schließen und gleichzeitig weitgehend Teil des Binnenmarktes zu sein (ohne freilich an dessen Regeln gebunden zu sein). Ein wesentliches historisches Erbe Großbritanniens ist dabei die Teilung der irischen Insel in einen überwiegend katholischen Süden (Republik Irland) und einen überwie-gend protestantischen Norden (Provinz Ulster). Beide Teile haben seit dem nordirischen Friedensabkommen und über die noch bestehende EU-Mitgliedschaft Großbritanniens inzwischen eine grüne Grenze ohne die martialisch anmutenden Grenzbefestigungen, die bis 1998 bestanden. ›

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Im Weitwinkel

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Im Weitwinkel Analyse

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Nun aber zur Krux weiterer Handelsliberalisierungen und zum Chlorhühnchen. Etwas vereinfachend gesprochen, spielen Zölle heutzutage (fast) keine Rolle mehr. Dafür be-schränken Produktstandards umso mehr den Marktzugang. Im Extremfall ist ein Pro-dukt oder Produktionsprozess in einem Land zugelassen, im anderen nicht. So ist die Desinfektion von Lebensmitteln mit Chlordioxid in der EU untersagt und ebenso deren Einfuhr, wie z. B. die des Chlorhühnchens. In Nordamerika gilt das nicht. De facto zwingt dies natürlich US-amerikanische oder kanadische Hersteller solcher Produkte, bei Ex-porten auf den europäischen Markt unterschiedliche Produktionsverfahren einzuset-zen, was sich in den meisten Fällen nicht lohnen wird. Dies ist nur ein Beispiel, aber ver-mutlich gibt es eine nahezu endlose Reihe weiterer: Abgasgrenzwerte, die Anordnung am Armaturenbrett, usw.

Nun stoßen bei Handelsabkommen wie TTIP und CETA vor allem historisch gewachsene Regulierungssysteme aufeinander. In Europa werden Produkte offiziell zugelassen, was die Hersteller außer bei Auflagenverstößen auch aus der Haftung entlässt. In den USA hinge-gen gilt ein Zulassungsgrundsatz bei anschließender, harter Haftung für Produktfehler.

Zugang zum Binnenmarkt über die grüne GrenzeIm konkreten Fall Großbritanniens und der grünen Grenze in Irland gilt: Es wird schlicht nicht möglich sein, dass man sowohl mit der EU als auch mit den USA parallel Freihandelsabkommen und zusätzlich eine grüne Grenze in Irland hat. Dies setzt eine weitreichende wechselseitige Normenanerkennung voraus, die es nicht gibt. Denn faktisch würde ein Modell nach britischem Gusto darauf hinauslaufen, dass zum Bei-spiel das Chlorhühnchen erst aus den USA nach Großbritannien kommt. Anschließend würde es seinen Weg über die grüne Grenze zwischen Ulster und der Republik Irland nehmen, um so im europäischen Binnenmarkt zu landen.

Oder anders formuliert: Wenn wir über weitere Handelsliberalisierung und damit ein Fortschreiben der Globalisierung reden, wird dies im Wesentlichen nicht mehr über die Beseitigung von Zollschranken gehen. Vielmehr liegt der Kern nun darin, Produkt- und Produktionsnormen anderer Länder anzuerkennen. Für die Hersteller eröffnet dies über größere Produktionsmengen nach einheitlichen Verfahren Skaleneffekte. Allerdings um den Preis, dass über die Normenanerkennung auch wesentliche Souve-ränitätsrechte („was ist bei mir zulässig?“) des Nationalstaats aufgegeben werden. Ganz deutlich wird dies wiederum am Beispiel des EU-Binnenmarktes: Hier ist erst einmal alles zugelassen, was in einem einzelnen Mitgliedsstaat zulässig ist. Es sei denn, seitens der EU-Kommission wird ein einheitlicher Mindeststandard gesetzt. Natürlich kann man Normen über Bananenkrümmung und die Brüsseler Bürokratie belächeln. Sie sind aber im Wesentlichen Ausdruck genau dieses Prozesses der Entwicklung von Einheitsnormen.

Auf globaler Ebene würde dies natürlich noch viel, viel komplexer werden – wäre aber genau das, was es bräuchte, um die Welt auf dem Weg zu noch viel tieferer Integration zu halten. Und wie geht es mit den Briten weiter? Nun, einfach gesprochen: In London wer-den wohl in nicht allzu ferner Zukunft einige Wunschträume wie Seifenblasen platzen. ‹

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Im Weitwinkel Analyse

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DAV I D F. M I L L EK ER

„Zölle spielen heutzutage ( fast ) keine Rolle mehr. Dafür beschränken

Produktstandards umso mehr den Marktzugang.“

DAVID F.

MILLEKER

ist seit November 2006 Chefvolkswirt bei Union Investment. Davor arbeitete er für das Frankfurter Institut /den Kronberger Kreis und Allianz Dresdner Economic Research.

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Fazit

Ist die Stimmungbesser alsdie Lage?

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Im Weitwinkel Fazit

Unsicherheiten nehmen zu: Seit eini-gen Jahren haben weltweit die geopolitischen Risiken zumindest gefühlt zugenommen. Lange bestehende Wirtschafts- und Sicherheitsarrangements werden in-frage gestellt. Und von Nordkorea bis nach Venezuela haben sich Krisenherde entwickelt, deren Eskalation auf andere Länder übergreifen könnte.

Die gute Nachricht: Bisher ist der Welt trotz vieler Konflikte ein internationaler Flächenbrand erspart geblieben. Es gab bislang keinen unmittel-baren militärischen Konflikt zwischen Großmächten und weder die EU noch die Eurozone sind zusam-mengebrochen. Die dem Wortlaut nach radikalen Ankündigungen aus den USA sind in der Regel Drohungen geblieben. Doch die Risiken bestehen natürlich weiter.

Gelassenheit der Anleger: Ungeachtet der geopolitischen Gefahrenlage haben die globalen Finanzmärkte neue Höhen erreicht. Werden diese Risi-ken von Investoren also einfach ausgeblendet? Ist die Stimmung besser als die Lage? Sind die Investoren gar „complacent“? Oder handeln die Anleger trotz wilder Schlagzeilen kühl, rational – und letztlich adäquat? Eine eindeutige Antwort auf diese Fragen wird es zwar nicht geben. Jedoch zeigt die Entwicklung der ver-gangenen Jahre eine Welt, die nach neuen Strukturen und einem neuen Ordnungssystem sucht: Geopolitik ist nicht alles am Kapitalmarkt – aber ihre Bedeutung nimmt eindeutig zu. ‹

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FinanzstrategenFinanzstrategen

Überfliegerin in der Pharmabranche

Sie war für die Deutsche Lufthansa im nigerianischen Lagos, hat sich für den Luftfahrtkonzern um

den Sanierungsfall British Midland Air-ways gekümmert, dessen Abspaltung vom Konzern verantwortet und wur-de dann Finanzchefin beim „Kranich“. Doch Simone Menne liebt Neuland und Herausforderungen. Mittlerweile ist sie Finanzvorständin beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim.

Simone Menne gehör t zu den wenigen Frauen, die es in der deut-

schen Wir tschaf t ganz nach oben geschaf f t haben – und dazu noch

im männerdominier ten Finanzressor t. Der Wechsel von Luf thansa

zu Boehringer Ingelheim hat v iele überrascht.

TEXT A n n a - M a r i a B o r s e FOTOS B e r n d E u r i n g

6 M i n .

P h a r m a

F a m i l i e n u n t e r n e h m e n

S t r a t e g i e

Medikamente für Mensch und Tier statt Fluggesellschaft, Familienunternehmen statt Aktiengesellschaft, 16 statt 32 Milliarden Euro Umsatz – der Schritt von der Lufthansa zu Boehringer war kein kleiner. „Mir war wichtig, mich noch in einer anderen Industrie und in einem ganz anderen Umfeld zu beweisen“, erklärt Menne ihren für viele überraschenden Wechsel im September 2016. Bereut hat die 57-Jährige den Schritt nicht: ›

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FinanzstrategenFinanzstrategen

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Ausgabe 2 / 2017

FinanzstrategenFinanzstrategen

„Sehr erfrischend“ sei der Neuanfang ge-wesen. Menne ist überzeugt: Umsatz oder Mitarbeiterzahl sind nicht die entschei-denden Größen für einen interessanten Job. Geradezu fasziniert ist sie von der Materie. „Es ist unglaublich, mit welcher intrinsischen Motivation die Kollegen daran arbeiten, Menschen etwas Gutes zu tun.“ Außerdem: „Die Luftfahrtbranche gilt wegen der Internationalität als span-nend, doch international ist Boehringer auch selbst in Ingelheim mit über 60 Nationalitäten auf dem Werksgelände.“

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Wie das Geschäft läuft

2016 legte der Umsatz auf insgesamt 15,9 Milliarden Euro zu – währungsberei-nigt ein Plus von 7,3 Prozent. Der Umsatz in der Humanpharmasparte kletterte

um 7,4 Prozent auf rund 12 Milliarden Euro, bei den Tiermedikamenten um 7,1 Prozent auf knapp 1,5 Milliarden Euro und bei der biopharmazeutischen

Auftragsproduktion um gut 6 Prozent auf 613 Millionen Euro. Der Rest entfiel auf das mittlerweile verkaufte Selbstmedikationsgeschäft. Für das erste

Halbjahr 2017 meldete Boehringer ein Umsatzplus von 24 Prozent, das auch von der Merial-Übernahme geprägt ist, und für das Gesamtjahr stellte der Konzern

einen deutlichen Umsatzanstieg in Aussicht.

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FinanzstrategenFinanzstrategen

SIMONE

MENNE

Jahrgang 1960, ist seit September 2016 Finanzchefin von Boehringer Ingelheim. Ihre Berufslaufbahn begann sie nach einem BWL-Studium in Kiel 1987 in der Revisions-abteilung der ITT Corpora-tion. 1989 wechselte sie zur Lufthansa, ab 1992 leitete sie das Rechnungswesen für Westafrika. Danach folgten weitere Führungspositionen im Konzern, 2012 wurde sie dann – als erste Frau in einem DAX-Konzern – Finanzvorstän-din. Im August 2016 ging sie auf eigenen Wunsch zu Boehringer. Menne lebt jetzt am Rhein, ist aber noch oft in Kiel. Ihr Herz gehört dem Norden – und der guten Luft dort.

Weltunordnung ist für mich …

… sich nicht die Zeit zu nehmen, über etwas in Ruhe und mit aus-reichender Gelassenheit nachzu-denken, und zu impulsiv und ohne Berücksichtigung der Konsequen-zen zu agieren.

Die Finanzvorständin, vom „Handelsblatt“ einmal als „sehr gradlinig und unab-hängig“ beschrieben, schätzt zudem die Vorteile eines familiengeführten Unterneh-mens: das Engagement der Eigentümerfa-milie, das über Marge, Divi dende oder eine Aktienkurssteigerung hinausgeht. „Es ist wesentlich persönlicher: Hier sitze ich Auge in Auge mit einem der Eigentümer, mit dem ich mich austauschen kann. Bei der Lufthansa war das nicht möglich: Da ist der Aktienbesitz stark fragmentiert, auch viele Hedgefonds sind investiert.“ Die

emotionale Verbundenheit der Familie mit dem Unternehmen und dessen Pro-dukten führe auch zu einer Langfristigkeit im Denken.

Kampf gegen Alzheimer und Parkinson Zu Boehringer stieß sie in der Zeit eines großen Umbruchs – wohl des größten in der 132-jährigen Firmengeschichte. Im Juni 2016 vereinbarte der – hinter Bayer – zweitgrößte deutsche Pharmakonzern einen Spartentausch. ›

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FinanzstrategenFinanzstrategen

Anfang 2017 ging das Boehringer- Selbstmedikationsgeschäft (CHC) an den französischen Pharmariesen Sanofi, übernommen wurde im Gegenzug das Sanofi-Tiergesundheitsgeschäft Merial.

Das erklärte Ziel ist nun, bei Tierarzneien den Weltmarktführer Zoetis aus den USA zu überholen. Dazu befindet sich Boehringer laut Simone Menne in einer sehr guten Ausgangsposition. „Die von Sanofi gekauften Einheiten im Haus- und Nutztierbereich ergänzen sich mit Boehringers Stärken bei Impfstoffen und Medikamenten gegen Parasiten.“ Zur Nummer eins weltweit will das Unter-nehmen auch im Bereich Biopharmazie aufsteigen. In der Humanmedizin ver-folgt das in Ingelheim am Rhein sitzende Familienunternehmen Ziele, die sich nicht unbedingt in Rankings niederschla-gen. „Hier haben wir den Anspruch, das beste Medikament in einem Indikations-gebiet anzubieten, und das möglichst früh.“ Krankheitsbilder mit Therapiebe-darf gebe es genügend – auch durch die demografische Entwicklung, die zu einem Anstieg etwa von Alzheimer- oder Parkinsonfällen führe.

Profitieren von DigitalisierungSehr spannend findet Simone Menne auch die Verbindungen von Atemwegser-

krankungen, traditionell ein Schwerpunkt von Boehringer Ingelheim, zur Onkologie wie auch insgesamt Versuche von Er-kenntnistransfers aus einem Bereich in einen anderen. Als Beispiele nennt sie den Einsatz eines Lungenmedikaments bei Hautkrankheiten oder von Diabetes-mitteln bei Herzkrankheiten. „Man denkt nicht mehr in Körperteilen, man überlegt vielmehr, wie eine Krankheit entsteht und ob der Wirkmechanismus einer Medikation übertragen werden kann.“

Mit großem Interesse beobachtet die Finanzexpertin auch die Aktivitäten des Unternehmens im Biotechbereich. Hier beteiligt sich Boehringer über einen Ven-ture Fund regelmäßig an Start-ups. „Diese sind agiler als Großunternehmen und ha-ben andere Freiheitsgrade. Wir haben die Chance, mitzureden und gegebenenfalls eine Mehrheitsbeteiligung einzugehen.“

An Stillstand ist ohnehin nicht zu denken. Robotics, künstliche Intelligenz, Real-Time Data – das sind Themen, mit denen sich auch das Finanzressort bei Boehringer Ingelheim beschäftigt. Derzeit stünde die Vereinheitlichung von konzernweiten Datensystemen und Datenauswertungen ganz vorn auf der Agenda. Die Digitali-sierung wird Simone Menne zufolge auch in der Pharmaindustrie eine große

Das Pharmaunternehmen

Boehringer Ingelheim wurde 1885 von Albert Boehringer im in der Nähe von Mainz gelegenen Ingelheim gegründet und befindet sich bis heute im

Familienbesitz. Die Aktivitäten umfassen Tiergesundheit sowie Human- und Biopharmazeutika. 2016 erreichte der Umsatz 15,9 Milliarden Euro, das

Betriebsergebnis 2,9 Milliarden Euro. Rund 50.000 Mitarbeiter arbeiten für den Konzern. Die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung sind

mit über 3 Milliarden Euro im Jahr hoch. Unternehmenschef ist seit Juni 2016 Simone Mennes Vorgänger im Finanzressort Hubertus von Baumbach,

ein Urenkel des Gründers.

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FinanzstrategenFinanzstrategen

Die Finanzen

Boehringer Ingelheim gilt als eines der am solidesten finanzierten deutschen Industrieunternehmen. „Wir haben

keinen Finanzbedarf“, erklärt Simone Menne. Anleiheemissionen – 2009 hat das Unternehmen ein Schuldscheindarlehen

aufgenommen, dessen letzte Tranche 2019 ausläuft – kommen für sie allenfalls infrage, um „die Muskeln zu trainieren“. Geld

auszugeben, weil es da ist – davon hält Menne aber nichts: „Wir haben in der Pharmaindustrie im letzten Jahr Akquisitionen

zu überhöhten Preisen gesehen.“ In der Geldanlage gelinge es dank eines guten Portfoliomanagements, auskömmliche

Renditen zu erzielen. Ein Börsengang ist definitiv kein Thema. „Die Familie sieht sich sehr stark dem Unternehmen verbunden

und möchte diese Freiheit und finanzielle Unabhängigkeit auch behalten.“

Rolle spielen. „Wir erwarten viel Positi-ves für Patienten, etwa werden Testver-fahren vereinfacht, sodass Testpersonen nicht mehr in die Kliniken kommen müs-sen, sondern zu Hause bestimmte Werte messen können.“

Ein Faible für Finanzen und Kunst Für eine Finanzfrau ist Simone Menne bemerkenswert musisch veranlagt. Sie spricht gerne über Kunst und malt in ih-rer Freizeit. „Mein Traum war immer, als Kinderbuchillustratorin zu arbeiten. Ich liebe Kinderbücher.“ Doch ihre Ambitio-nen haben sie woanders hingeführt. Viele trauen ihr auch den Chefposten eines DAX-Unternehmens zu.

Mit Intelligenz, Pragmatismus, Charme und auch mit viel Stil ist sie oben in der Wirtschaft angekommen. In den Diskus-sionen um mehr weibliche Führungs-kräfte in den Vorstandsetagen gilt sie als Vorbild. Gibt es für sie einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Topmanagern? Auch wenn sie nichts ver-allgemeinern will, hält sie einen offeneren Umgang mit Fehlern für typisch weiblich. Außerdem hat sie den Eindruck, dass Frauen an einigen Stellen eher sachorien-tiert sind. „Männern geht es häufiger um Position und Karriere.“ Einen Ratschlag für Frauen, die einen ähnlichen Weg

einschlagen wollen, hat sie dann auch parat: sich Ziele setzen und diese auch laut formulieren, eine herausfordernde Aufgabe suchen, weil das Sichtbarkeit schaffe. „Das muss nicht zwangsläufig dazu führen, dass man Finanzvorstand wird, aber es hilft.“ ‹

SI M O N E M EN N E

„Wir haben in der Pharmaindustrie im letzten Jahr Akquisitionen

zu überhöhten Preisen gesehen. “

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InvestmentvordenkerInvestmentvordenker

Neue Risikoklassenverlangen Umdenken

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Investmentvordenker

D ass die Kapitalmärkte sich in den vergangenen zehn Jahren grund-legend verändert haben, ist kei-

ne aufsehenerregende Neuigkeit. Digitali-sierung und Globalisierung bringen auch für die Börsen tief greifende Auswirkun-gen mit sich und neue Geschäftsmodelle haben auf ihrem Siegeszug viele alte Na-men verdrängt.

„Gleichzeitig hat sich ein Wandel in der Beurteilung von Risikoklassen vollzo-gen. Denn wenn in früheren Jahren ein Aktienkurs überraschend heftig fiel, gab es meist zwei gängige Erklärungsmus-ter“, erläutert Ingo Speich, Leiter Nach-haltigkeit und Engagement bei Union Investment. Entweder haben sich die politischen oder die makroökonomischen Spielregeln geändert und das Unterneh-men hinter der Aktie galt als potenziel-ler Verlierer. Oder aber im Unternehmen selbst lief etwas schief, die Absatzerwar-tungen wurden verfehlt oder die erhoffte Übernahme scheiterte.

Mittlerweile hat sich die Zahl der Ursach-en für etwaige plötzliche Kursrücksetzer jedoch vervielfacht. Denn die jüngere Ver-gangenheit hat wiederholt gezeigt, dass es eine ganze Reihe von Risikofaktoren für Aktienkurse gibt, die durch die alther-gebrachten Muster nicht hinreichend erklärt werden können. Dazu gehören Klage-, Regulierungs-, Reputations- und Eventrisiken, wie sie etwa bei der Kata-strophe um BPs Ölplattform Deepwater Horizon, dem Korruptionsnetzwerk von

Brasiliens Erdölkonzern Petrobras oder dem VW-Abgasskandal offen zutage tra-ten. Und von jeder dieser vier Risikoklas-sen geht eine potenzielle Bedrohung für das Portfolio aus.

Wer Nachhaltigkeitskriterien, auch ESG-Kriterien genannt, nach den Berei-chen Environmental, Social und Gover-nance, in seinen Investmentprozess in-tegriert, führt damit also in erster Linie einen zusätzlichen Risikomanagement-filter ein. Denn aufkommende Probleme etwa mit CO2-Emissionen, mangelhaf-ten Arbeitsbedingungen oder unzurei-chenden Kontrollmechanismen im Un-ternehmen treten niemals plötzlich auf, sondern kündigen sich an. Tief greifen-de ESG-Analysen machen sie frühzei-tig sichtbar. Als Teil des integrierten Researchprozesses arbeiten bei Union Investment Nachhaltigkeitsspezialisten und Portfoliomanager in Tandems eng zusammen, um die fundamentale Wert-papieranalyse mit ESG-Faktoren anzu-reichern und derartige Risiken bei den Investmententscheidungen zu berück-sichtigen.

Tieferes VerständnisUm ein vertieftes Verständnis zu schaf-fen, durchliefen die Portfoliomanager intensive Schulungsmaßnahmen in der internen ESG-Academy, in deren Rahmen sie sich die vielfältigen Implikationen von ESG-Aspekten ebenso aneigneten wie den Umgang mit der von Union Investment entwickelten Nachhaltigkeitsdatenbank ›

6 M i n .

R i s i k o f a k t o r e n

E S G

N a c h h a l t i g k e i t

Warum die Betrachtung von ökologischen, sozialen

und Governance-Kriterien als zusätzlicher Risikofilter

immer wichtiger wird.

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TEXT M a r t i n H a m p e l ILLUSTRATIONEN M a r e k H a i d u k

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InvestmentvordenkerInvestmentvordenker

SIRIS, in der entsprechende Kennziffern von 13.000 Emittenten und 59.000 Wert-papieren hinterlegt sind. Komplementär dazu wurde Ende 2016 ein ESG-Com-mittee geschaffen, in dem sich Vertreter der verschiedenen Bereiche des Portfo-liomanagements treffen, aktuelle Fälle besprechen und gegebenenfalls Signale aussenden. Das Gremium ist zentral für die Festlegung einer nachhaltigen Anlage-strategie verantwortlich. In den Sitzungen, die regelmäßig, bei Bedarf aber auch ad hoc stattfinden, stellt sich konkret die Fra-ge, welche Risiken bei einem Emittenten gesehen werden und ob sie in den Kursen adäquat eingepreist sind oder nicht. Im Falle von Volkswagen kam das Commit-tee zu der zweiten Einschätzung, dass dies nicht der Fall ist. In der Folge wurden Anleihen und Aktien von Volks wagen

reduziert. Die Entscheidungen sind allerdings keinesfalls in Stein gemeißelt: „Das Signal kann aufgehoben werden, wenn das Committee zu dem Schluss kommt, dass die Risiken in den Preisen abgebildet sind – sei es durch eine

günstigere Bewertung oder eine verbes-serte Risiko lage“, erklärt Speich.

Es gibt neben der Risikosituation noch einen weiteren wichtigen Grund, warum ESG-Research für das Portfoliomanage-ment – und damit natürlich auch für die Kunden – von großem Nutzen ist. „Wer sich mit Nachhaltigkeitskriterien ausei-nandersetzt, bekommt ein besseres Ge-fühl für die Tragfähigkeit von Geschäfts-modellen“, ist Ingo Speich überzeugt. Tief gehende Kenntnisse hinsichtlich der künftigen Emissionsstandards erlauben beispielsweise eine fundierte Einschät-zung, welche Unternehmen etwa im Transportsektor diesbezüglich führend sein werden. Und wer sich mit dem demografischen Wandel und den damit einhergehenden gesundheitlichen Prob-lemen der Bevölkerung auskennt, kann die künftige Nachfrage nach medizini-schen Hilfsmitteln besser einschätzen. Immer wenn disruptive Veränderungen einen Sektor oder eine Region bedrohen, dann stehen die Chancen gut, mithilfe von ESG-Research als Frühindikator anderen Marktteilnehmern einen Schritt voraus zu sein.

Gewachsenes KundeninteresseNicht nur auf der Anbieterseite, sondern auch unter den Kunden hat das Interesse an Nachhaltigkeitsthemen zuletzt stark zugenommen. Dass sich immer mehr in-stitutionelle Investoren nach integrierten ESG-Kriterien gemanagte Strategien wün-schen, hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens hat sich in Zeiten von COP 21 und Dieselgate die Wahrnehmung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Bevöl-kerung gewandelt. Ein auf ESG-Faktoren ausgerichtetes Investment verspricht deshalb nicht nur eine möglicherweise höhere Stabilität, da etwa die genannten Risiken enger überwacht werden. ›

„Wer sich mit Nach­haltigkeit auseinan­

dersetzt, bekommt ein besseres Gefühl für

die Tragfähigkeit von Geschäftsmodellen.“

I N GO SP E I CH

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InvestmentvordenkerInvestmentvordenker

Die Integration dieser Kriterien in den Investmentprozess stellt auch sicher, dass Zukunftstechnologien sowie neue und innovative Geschäftsmodelle unmittelbar Berücksichtigung im Portfolio finden.

Zweitens dürfte auf die institutionellen Anleger in der Zukunft verstärkter Druck von regulatorischer Seite zukommen. „Die neue EU-Aktionärsrechterichtlinie verpflichtet die Investoren beispiels-weise dazu, bei Hauptversammlungen von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen“, erklärt Speich. Da sie sich im Krisenfall für ihr Abstimmungsverhalten rechtfertigen müssen, werden beispiels-weise Pensionsfonds gezwungen sein, sich mit Governance-Themen auseinan-derzusetzen.

Lange Tradition bei Union InvestmentUnion Investment kann auf eine langjäh-rige Historie beim Thema Nachhaltigkeit zurückblicken. Das Portfoliomanagement hat bereits 1990 damit begonnen, nach-haltige Kriterien in die Erwägungen ein-zubeziehen und diesen Trend im Rahmen des permanenten Innovationsprozesses konsequent weiterentwickelt. Damit ge-hen anspruchsvolle, aber vor allem auch chancenreiche Investmentkriterien einher, die sich von der Natur der Geschäfts-modelle über Emissionsdaten und den Carbon Footprint bis hin zu Governan-ce-Ratings erstrecken. Ziel ist es, über eine möglichst breite Datenbasis ein umfassen-des Bild des jeweiligen Unternehmens zu gewinnen und damit einhergehend die Chancen und Risiken möglichst detailliert durchleuchten zu können.

Unternehmen im DialogDie Nachhaltigkeitsstrategie von Union Investment erschöpft sich allerdings

nicht im Research und in der Analyse, so unerlässlich diese Disziplinen für den Anlageerfolg auch sind. Mindes-tens ebenso wichtig ist der konstruktive Dialog mit den Unternehmen. In etwa 4.000 Unternehmensgesprächen pro Jahr sondieren die Portfoliomanager den Stand der Dinge. Daraus resultieren ein enger Kontakt und ein belastbares Verhältnis zu den Managementteams und dementsprechend die Gelegenheit, Missstände nicht nur, aber auch im Bereich der ESG-Faktoren anzusprechen. Konkret ermöglichen diese Dialoge, etwa auf Risiken in den Zulieferketten oder an bestimmten Produktionsstand-orten hinzuweisen. Auch Defizite in den Governance-Strukturen sind Gegenstand der Gespräche, etwa im Fall von neu zu besetzenden Aufsichtsratspositionen. Zu den Unternehmensdialogen kommen die Abstimmungen bei etwa 1.500 Haupt-versammlungen pro Jahr, an denen sich Union Invest ment beteiligt. „Ziel ist es auch hier, bei den Unternehmen ein Bewusstsein für die Relevanz von Nach-haltigkeit zu schaffen, die Governance- Strukturen im Konzern zu stärken und damit Risiken sowohl für den Konzern selbst als auch für dessen Aktionäre zu minimieren“, sagt Speich.

Bei Union Investment besteht kein Zwei-fel, dass die Integration von Nachhaltig-keitskriterien in den Investmentprozess zu besseren Anlageentscheidungen führt. Dass die Portfoliomanager diese Themen bei den Managementteams aktiv und konkret ansprechen, davon profitieren sowohl die Kunden in Form stabilerer Erträge als auch die Unter-nehmen aufgrund der verbesserten Risikolage. Am Ende der Kette steht also ein nachhaltiger Erfolg für alle. ‹

Aktivitäten und

Initiativen

Union Investment ist Mitglied bzw.

Unterstützer zahlreicher Initiativen, Kodizes und

Veranstaltungen im Bereich Nachhaltigkeit

und ESG.

UN PRI (2010 unterzeichnet)

ICMA-Grundsätze für Green Bonds

(2015 unterzeichnet)

Partner der Climate Bonds Initiative (2015)

UN PRI Montreal Pledge (2015)

United Nations Global Compact (2013)

Hauseigene Klimastrategie „Zwei Grad sind machbar“ (2015)

Berufung von Jens Wilhelm,

Vorstandsmitglied von Union

Investment, in die Regierungs-

kommission „Deutscher Corporate Governance Kodex“

(2016)

Sponsor des UN PRI Academic Workshop

bei der Konferenz „PRI in Person“ (2017)

Jährliche Ausrichtung der Nachhaltigkeits-

konferenzen von Union Investment

(seit 2011)

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Risikoforscher

Wenn die Ausschläge größer wer - den, ist es schon zu spät. Doch es gibt Frühindikatoren, die auch an der Börse helfen, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten.

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Dem Börsenbeben auf der Spur

Finanzmarkt turbulenzen, politische Umstürze oder Erdbeben

scheinen of t aus heiterem Himmel zu kommen. Doch bei allen

gebe es frühzeitige Warnsignale, sagt der französische Risiko­

forscher Didier Sornette. Mit exakten Prognosen zu bevorstehen­

den Börsencrashs hat er international für Aufsehen gesorgt.

TEXT B i r g a T e s k e FOTOS C h r i s t i a n B e u t l e r

5 M i n .

F i n a n z m ä r k t e

P h y s i k

V o r h e r s a g e

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D idier Sornette liebt das Risiko. Beruflich befasst sich der Inha-ber des Lehrstuhls für Entrepre-

neurial Risks an der ETH Zürich vor allem mit Formeln zur Vorhersage von Erdbeben, epileptischen Anfällen oder Börsencrashs. In seiner Freizeit testet der Risikoprofes-sor die Grenzen seiner fünf schnellen Motorräder. Seine BMW 1000 RR hat 205 PS und beschleunigt schneller als ein Formel-1-Rennwagen. Auch körperlich geht er gern aufs Ganze, unter anderem beim Wakeboarding, Kitesurfing und Extreme Carving.

Bis auf eine Verletzung am Sprunggelenk konnte er aber bisher größere Unfälle ver-meiden. Das hat nicht mit Glück, sondern mit der Herangehensweise zu tun, sagt Sornette: „Egal ob Sport oder Finanzma-nagement, der Schlüssel zum Erfolg ist dynamisches Risikomanagement.“

Das ganze Umfeld sollte eine Rolle spielen, wie in einem guten FilmSo wie Motorradfahrer Verkehrslage, Straße und Wetter ständig neu bewer-ten müssten, sollten auch Investoren ihre Analyse nicht allein auf statische Kennzahlen stützen. Das ganze Umfeld und die bisherige Entwicklung spielen eine Rolle, wie in einem guten Film: „Die relevante Information ist in allem enthalten, was bisher passierte, nicht in ein paar Standbildern oder irgendeinem Durchschnittswert.“

Der 60-Jährige beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit solchen Themen. Nach seiner Habilitation im Fach Physik wandte er sich zunächst der Erdbebenforschung zu. Bei der geophysikalischen Vorhersage tektonischer Extremereignisse stieß er auf Parallelen zu anderen Disziplinen wie Medizin, Planetologie und Finanzen. ›

„Die Bedingungen haben sich anscheinend kaum

verändert, aber die Ergebnisse unterscheiden

sich dramatisch.“D I D I ER S O R N E T T E

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DIDIER

SORNET TE

Jahrgang 1957, ist Risikoforscher und verfolgt einen interdiszipli-nären Ansatz von Physik, Ökono-mie und anderen Wissenschafts-zweigen: Neben seiner Arbeit am Lehrstuhl für Entrepreneurial Ris-ks und der Leitung des Financial Crisis Observatory an der ETH Zü-rich ist er mit den Fachbereichen für Physik und Geowissenschaf-ten verbunden. Er arbeitet zudem als Professor für Finanzwissen-schaften am Swiss Finance Insti-tute und als Lehrbeauftragter am Institute of Innovative Research of Tokyo Tech.

Weltunordnung ist für mich …

… ein Begriff, der eine falsche Vor-stellung widerspiegelt: Denn kom-plexe dynamische Systeme kennen kein Gleichgewicht. Entscheidend ist, wie man das bestehende System einordnet und analysiert, wie man die Dynamik der Ereignisse steuert und wie man sich von einer Krise wieder erholt.

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Über die Erstellung von Risikoindika-toren, in denen gesamtwirtschaftliche Entwicklungen und Börsenkurse in mathematischen Gleichungen zusam-mengefasst sind, gelang es dem Physiker bereits mehrmals, Markteinbrüche korrekt vorauszusagen. So etwa 2009, als der chinesische SSE Composite Index nur wenige Tage nach seiner Warnung um 20 Prozent fiel. Oder im Juni 2015, als der chinesische Markt kollabierte. Auch vor Abstürzen der Kryptowährung Bitcoin warnte Sornette.

Mit jeder richtigen Vorhersage stiegen auch die Erwartung und der Druck auf den Professor. Aber bisher war alles The-orie im Gegensatz zu den unterschied-lichen Ansätzen, die Hedgefonds, Quants und andere auf Algorithmen fixierte Marktteilnehmer täglich anwenden. In Sornettes Büro im vierten Stock des Hochschulgebäudes mit einem weiten Blick über die Züricher Altstadt reifte daher

die Idee, die Risikomodelle ebenfalls mit einem eigenen Hedgefonds in der Praxis zu nutzen. Startkapital: 50 Millionen Schwei-zer Franken – bereitgestellt von einer in-ternationalen Großbank.

Ein Staatsfonds für die SchweizDoch sein aktuell ambitioniertestes Vorhaben ist die Initiierung eines Staats-fonds für die Schweiz. Es geht um 800 Milliarden Franken an Währungsreser-ven – angehäuft durch Devisenmarktin-terventionen der Schweizer Notenbank. Das Geld könnte in technologische Pro-jekte wie erneuerbare Energien, Block-chain-Technologien, neue, saubere For-men der Atomenergie oder künstliche Intelligenz fließen. Die dazu nötigen lang-wierigen Diskussionen mit Parlament und Notenbank schrecken den Wissenschaft-ler nicht: „In der Schweiz haben wir eine direkte Demokratie“, ist er optimistisch. „Zwar dauern die Prozesse länger, aber hier tragen die Bürger Verantwortung.“

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Nachlese

D. Sornette and P. Cauwels, 1980–2008: The Illusion of the Perpetual Money Machine and what it bodes for the future, Risks 2, 103–131 (2014)

D. Sornette and P. Cauwels, Managing risks in a creepy world, Journal of Risk Management in Financial Institutions (JRMFI) 8 (1), 83–108 (2015)

D. Sornette and P. Cauwels, Financial bubbles: mechanisms and diagnostics, Review of Behavioral Economics 2 (3), 279–305 (2015)

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Einerseits hohe Währungsreserven, an-dererseits eine galoppierende Staatsver-schuldung – das alles ist Ausdruck der globalen Ungleichgewichte, die Sornette aktuell Sorgen bereiten. Seit Anfang der 1980er-Jahre sei Wachstum vor allem durch Finanzmarkttransaktionen und wachsende Verschuldung erzeugt wor-den statt durch steigende Produktivität in der Realwirtschaft.

Die durch den Lehman-Schock versinn-bildlichte Finanzkrise habe gezeigt, dass dieses System nicht dauerhaft funktio-niere. Die Notenbanken aber hielten da-ran fest, ohne die nötigen strukturellen Änderungen an ihrer Geldpolitik vorzu-nehmen. Ob und wann solche Instabili-täten zu einer Krise führen, sei schwer vorherzusehen. „An einem Tag ist alles in Ordnung, am nächsten kommt es zu einer Revolution auf den Straßen“, so Sornette. Er greift zu Stift und Papier und zeichnet ein Diagramm: Eine gerade Linie läuft einen Zeitstrahl entlang, be-vor sie sich wie eine Gabel in drei Linien spaltet. Nur ein kleiner Moment oder ein winziger Parameterwechsel liegt

zwischen der Linie und der Gabelung. „Die Bedingungen haben sich anschei-nend kaum verändert, aber die Ergeb-nisse unterscheiden sich dramatisch“, erklärt der Forscher. Für Laien schein-bar plötzlich kommt es zu politischen Systemwechseln, epileptischen Anfällen, Erdbeben oder Börsencrashs.

Doch die Vorhersage ist möglich, ist Sornette überzeugt. Ähnlich wie ein Hochhaus, das scheinbar plötzlich ein-stürzt, aber zuvor viele ignorierte Signale ausgesendet hatte, zeigen auch Finanz-märkte vor einem Kollaps Warnzeichen, darunter exponentielles Wachstum und die Bildung von Blasen. Überraschende politische oder soziale Ereignisse können diese zum Platzen bringen.

Im Moment verdüstere sich der Aus-blick gerade wieder. So könnte an den US-Märkten in den kommenden drei bis sechs Monaten eine Korrektur von 15 Prozent bis 20 Prozent bevorstehen, die auch die europäischen Märkte in Mitleidenschaft ziehen würde, prognosti-ziert Sornette. ‹

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Auf ein Wort

QuerdenkerEr selbst hat sich gerne als Zahnpastaverkäufer bezeichnet.

Ein klassisches Understatement von Götz Werner, dem Gründer von

Europas größter Drogeriekette. Auch sonst ist ihm Dünkel fremd. Zum

Interview kommt er per Fahrrad – in Freizeitkleidung. Seine größte

Mission: das bedingungslose Grundeinkommen.

INTERVIEW A n n a - M a r i a B o r s e FOTOS C i r a M o r o

4 M i n .

G r u n d e i n k o m m e n

U n t e r n e h m e r

A n t h r o p o s o p h i e

Auf ein Wort

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Auf ein Wort

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Rubrikname

Ausgabe 1 / 2017

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Auf ein Wort

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Auf ein Wort

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Rubrikname

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Auf ein Wort

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Auf ein Wort

Anna-Maria Borse: Woran kranken unsere Gesellschaft und Wirtschaft aus Ihrer Sicht besonders? Götz Werner: Probleme bekommt man immer, wenn man Dinge falsch denkt. Die Menschen haben zum Beispiel gedacht, dass die Erde eine Scheibe sei, dadurch haben sie ihre Möglichkeiten begrenzt, sich auf der Erde zu entfalten.

Und heute?Heute wird fest angenommen, dass Arbeit und Einkommen verkoppelt sind. Dass ich also erst arbeiten muss und dann ein Einkommen erhalte. Ich muss aber erst leben können, und dann kann ich arbeiten. Einkommen und Arbeit müssen entkoppelt werden, was zum bedingungslosen Grundeinkommen führt. Schon in der Verfassung steht, dass die Würde des Menschen unan-tastbar ist. Und Würde hat der Mensch, wenn er unabhängig ist.

Unabhängigkeit ist ein gutes Stichwort: Sie sind nicht nur als Unternehmensgründer extrem erfolgreich gewesen, sondern auch in der Unternehmensfüh-rung ganz neue Wege gegangen. Wie kam es dazu?Ich habe mir die Dinge genau angeschaut und mich gefragt, mit was ich es über-haupt zu tun habe, wenn ich Unternehmer bin. Es geht letztlich immer um mitarbei-tende Menschen, Menschen, die bei uns einkaufen, und Menschen, die uns belie-fern. Immanuel Kant hat einmal gesagt: Der Mensch ist nie Mittel, sondern immer Zweck. Das hat mich sehr beeindruckt.

Was heißt das konkret?Ich habe mich gefragt: Verstehe ich das Anliegen meiner Kunden? Wenn Sie diesen Fokus haben, sehen Sie alles anders, Sie sehen den Kunden als Menschen, dessen Bedürfnisse Sie erfüllen.

Welche Rolle spielt die Anthro-posophie für Ihren beruflichen Werdegang und für Ihr sonstiges Engagement? Die Anthroposophie hat mir geholfen, die Welt besser wahrzunehmen. Ich beschäftige mich viel mit Philosophie, dadurch beginnt man, das Leben genauer zu betrachten. Wahrnehmung ist immer Voraussetzung für Erkenntnis. Wahrneh-mungsgeleitete oder ästhetische Unter-nehmensführung heißt, dass man von der Wahrnehmung ausgeht – und nicht von der Vorstellung.

Ein Beispiel?Sie fahren in eine Sackgasse und ärgern sich. Sie haben nicht wahrgenommen, dass es eine Sackgasse ist, dabei steht dort ein Schild, das Sie aber übersehen haben. Sie waren also nicht wahrneh-mungsgeleitet, sondern vorstellungsge-trieben. Viele stecken mit ihrer Art, Ge-schäfte zu betreiben, wie Sattelschlepper in einer Sackgasse. Auch Partnerschafts-krisen sind meist darauf zurückzuführen, dass man von seinem Partner eine be-stimmte Vorstellung hat – und ihn nicht wirklich wahrnimmt. ›

Anthroposophie

eine von dem österreichischen Publizisten Rudolf Steiner um 1900 begründete Bewegung, die eine ganzheitliche Auffassung vom Menschen vertritt und den Menschen zur Entwicklung höherer

seelischer Fähigkeiten und Erkenntnisse führen will. Die Bewegung beeinflusste ganz unterschiedliche Lebensbereiche, wie Pädagogik

(Waldorfpädagogik), Sozialwissenschaften, Kunst und Landwirtschaft (biologisch-dynamische Landwirtschaft). Bekannte

Anthroposophen: Michael Ende (Kinderbuchautor), Otto Schily (Politiker), Peter Schnell (Gründer der Software AG).

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Auf ein WortAuf ein Wort

Zurück zum bedingungslosen Grundeinkommen: Kritiker sehen die Gefahr, dass es den Menschen träge und unproduktiv macht. Das Problem sehe ich schon. Diese sehr kleine Minderheit gibt es, wir dürfen sie nicht vernachlässigen, wir können aber mit ihr zurechtkommen. Ich bin davon über-zeugt: Der Mensch ist ein Tätigkeitswesen. Und er wird nicht nur tätig, wenn er Hun-ger hat oder Gefahr droht. Er ist ein We-sen, das über sich hinauswachsen und sei-ne Lebenssituation positiv verändern will. Eine Parallele: Eltern müssen auch nicht immer an ihre Erziehungspflichten erinnert werden. Es sind nur ganz wenige, die die-sen nicht nachkommen.

Was ist in einer Welt des bedingungslosen Grundeinkom-mens mit den Jobs, die einfach gemacht werden müssen, die aber niemand gerne macht oder als sinnstiftend empfindet?Diese Arbeit muss man Maschinen ma-chen lassen. Das ist durchaus möglich, man muss sich nur anschauen, was in den vergangenen hundert Jahren alles automatisiert wurde. Außerdem: Jede Ar-beit, die wertgeschätzt und damit aner-kannt wird, wird auch gerne gemacht. Entscheidend sind die gesellschaftliche Wertschätzung und der Sinn, den man selbst darin sieht.

Sie kämpfen jetzt seit über zehn Jahren vehement für die Idee des Grundeinkommens, in der Politik findet das Konzept aber nach wie vor kaum Anhän-ger. Haben Sie noch Hoffnung auf eine Umsetzung? Befragungen zeigen, dass über 52 Pro-zent der Bevölkerung für das Grundein-kommen sind. Generell ist Entwicklung ein diskontinuierlicher Prozess, der irreversibel in der Zeit verläuft. So hat Bismarck mit seiner Idee der Sozial-versicherung anfangs auch nur Kritik erhalten. Alle waren dagegen. Auch an die Wiedervereinigung hat kaum jemand geglaubt. Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Man weiß nur nicht, wann die Zeit da ist.

In Ihrem neuen Buch zeigen Sie sich sehr skeptisch gegenüber dem Euro. Woher rührt Ihr Pessi-mismus gegenüber der Gemein-schaftswährung?Sie sehen doch die aktuelle Lage. Für Helmut Kohl stand die gemeinsame Wäh-rung für das Ende der Feindschaft zwi-schen den europäischen Ländern. Heute trennt der Euro, er verbindet nicht. Das Problem ist der fehlende Finanzausgleich. Was würde passieren, wenn Deutschland keinen Länderfinanzausgleich hätte? Neid und Missgunst wären die Folge. ‹

Die dm-drogerie markt GmbH & Co. KG

Die dm-drogerie markt GmbH & Co. KG ist mit über 3.300 Filialen und mehr als 56.500 Mitarbeitern der größte Drogeriekonzern Europas. Der Umsatz lag im Geschäftsjahr 2015/2016 (Ende September) bei 9,7 Milliarden Euro. Seit Anfang der 1990er-Jahre setzte dm zunehmend auf selbstständiges Arbeiten, Eigenini-tiative und Mitarbeiterentwicklung. Das Motto „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“ soll zum Ausdruck bringen, dass sich dm in der Beziehung zum Kunden, Mitarbeiter und Handelspartner der „Mitmenschlichkeit und Partnerschaftlichkeit“ verpflichtet fühlt.

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Auf ein WortAuf ein Wort

GÖTZ WERNER

Jahrgang 1944, ist Gründer und Aufsichtsratsmitglied der dm-Drogeriemarktkette, deren Geschäftsführer er 35 Jahre lang war. Er entstammt einer Drogistenfamilie und war nach einer Drogistenlehre in verschiedenen Handelsunternehmen und dem elterlichen Geschäft in Heidelberg tätig, bevor er 1973 seinen ersten eigenen Laden in Karlsruhe eröffnete. Der bekennende Anthroposoph ist in zweiter Ehe verheiratet und hat sieben Kinder. Werner gründete 2005 die Initiative „Unternimm die Zukunft“, die sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt.

Weltunordnung ist für mich …

… wenn ich mit meinem Bewusstsein die Orientierung verloren habe. Daher müssen bei der Erziehung von Kindern auch die Wahrnehmung und die Wahrnehmungsorgane, also die Sinne, geschult werden. Das ist auch ein Grund, weshalb in der Waldorfpädagogik Holzspielzeug eine wichtige Rolle spielt: um den Tastsinn zu schulen.

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InvestmentstandpunktInvestmentstandpunkt

KUMULIERTE MONETÄRE BASIS DER VIER WICHTIGSTEN NOTENBANKEN

(in Mrd. US-Dollar)

Notenbankunterstützung nimmt zukünftig ab

Quelle: Macrobond

Fed EZB BoJ BoE G4 gesamt

2008 2011 20142009 2012 20152010 2013 2016 20182017 2019

2.000

4.000

6.000

8.000

10.000

12.000

14.000

0

Prognose

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InvestmentstandpunktInvestmentstandpunkt

5 M i n .

G e l d p o l i t i k

Z i n s w e n d e

A s s e t k l a s s e n

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise vor zehn Jahren

haben die Zentralbanken weltweit das geldpolitische

Füllhorn über den Kapitalmärkten ausgeschüttet –

ein Segen für die Konjunktur, aber auch für die

Preise von vielen Asset-Klassen. Nun näher t sich

diese historische Ausnahmephase ihrem Ende.

Kommt nach der Assetpreisinflation der vergange-

nen Jahre nun der jähe Umschwung?

TEXT D i r k S t a u e r

Von sinkenden Fluten und steigenden Booten

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InvestmentstandpunktInvestmentstandpunkt

E s ist ein trocken-kalter Herbsttag in Washington, als an den Finanz-märkten der geldpolitische Regen

einsetzt. Am 25. November 2008 verkün-det die US-Notenbank Federal Reserve (Fed), künftig durch Hypotheken besicherte Wertpapiere aufzukaufen. Für bis zu 600 Milliarden US-Dollar. Am 16. Dezember startet das erste Programm des „Quan-titative Easing“. Es sollte nicht das letzte „QE“ bleiben. Das bislang unbekannte Akronym wird schon bald zur globalen Chiffre für gigantische Wertpapierkäufe in bislang unbekanntem Ausmaß.

Enorme Wirkung an den Märkten Wie auch immer man die realwirtschaft-liche Wirkung des Instruments beurteilt – an den Kapitalmärkten entfaltet es eine enorme Durchschlagskraft. Allein in den

USA verdoppelt sich die Zentralbank-geldmenge M1 innerhalb weniger Jah-re. Die Maßnahme fi ndet Nachahmer. In Japan, dem Vereinigten Königreich und schließlich auch in der Eurozone pum-pen die Währungshüter in der Nachkri-senzeit die Überschussliquidität an den Märkten auf. Die monetäre Basis der vier wichtigsten Notenbanken der Welt ver-dreifacht sich, zuletzt bis auf rund 12,5 Billionen US-Dollar.

Die Schwemme an billigem Zentralbank-geld blieb nicht ohne Folgen für die Kapitalmärkte. Das Renditeniveau am Rentenmarkt sank, die „Term Premium“ fi el, die Bewertungen bei den Aktienkur-sen stiegen. Mancher sprach von „Asset-preisinfl ation“ oder „der Flut, die alle Boote hebt“. So weit, so bekannt.

ÜBERSICHT STRAFFUNGSPLAN DER FED

Rückführung der monatlichen Käufe in Mrd. US-Dollar

Hochfl iegende Fed­Pläne

Quelle: Fed-Zusatzmaterial der Sitzung 13./14. Juni 2017

Q. 4 2017 Q. 1 2018 Q. 2 2018 Q. 3 2018 Q. 4 2018

−60

−50

−40

−30

−20

−10

0

US-Treasuries MBS/Agencies Gesamtvolumen

Bisherige Wirkung 2018 2019 2020 2021 2022

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InvestmentstandpunktInvestmentstandpunkt

Geldpolitischer GezeitenwechselFür das Jahr 2018 zeichnet sich nun eine Trendumkehr ab. Der Scheitelpunkt der globalen geldpolitischen Stimulierung scheint erreicht. Die Volkswirte von Union Investment rechnen zum Beispiel für die USA mit insgesamt vier Leitzinserhöhun-gen bis Ende 2018 – und das zusätzlich zur Reduktion der Zentralbankbilanz. Auf der Sitzung des Offenmarktausschusses (Federal Open Market Committee, FOMC) im September wurden die entsprechenden Pläne spezifi ziert, seit Oktober schmelzen die Fed-Bestände. Die Rückabwicklung von QE setzt also ein. In Europa ist man noch nicht ganz so weit. Aber auch in Frankfurt stehen die Zeichen auf geldpo-litischen Umschwung. Die Europäische

Zentralbank (EZB) dürfte unserer Ein-schätzung nach ab Anfang 2018 weiter tapern, den geldpolitischen Impuls also verringern. Irgendwann steht dann auch hier der Bilanzabbau auf der Agenda.

Anlagestrategische Konsequenzen„Dieser geldpolitische Gezeitenwechsel wird nicht ohne Folgen an den Kapital-märkten bleiben“, ist sich Michael Her-zum, Leiter Multi Asset Strategy, sicher. „Aus dem Rückenwind wird ab 2018 ein Gegenwind.“ Die spannende Frage lautet nach Ansicht des Strategen, wie stark und abrupt die Effekte ausfallen – und bei welchen Asset-Klassen. Die deutlichste Reaktion erwartet er auf der Rentenseite. ›

Aus Rückenwind wird Gegenwind

* bzw. deren Rückabwicklung Quelle: Fed-Zusatzmaterial der Sitzung 13./14. Juni 2017

WIRKUNG QUANTITATIVER LOCKERUNG AUF DIE „TERM PREMIUM“ 10-JÄHRIGER US-STAATSANLEIHEN*

„Term Premium“

Anleihen unterliegen einem Zinsänderungsrisi-

ko: Steigt die Rendite, fällt der Kurs – und

umgekehrt. Je länger die Laufzeit des Papiers,

umso stärker ist dieser Effekt. Man spricht von

einem „Durationsrisiko“, für das Investoren eine

Kompensation verlangen. Der Begriff „Term

Premium“ beschreibt genau diese Prämie, die für das Halten von mit Duration behafteten

Anleihen gezahlt wird. Nach Analysen der

Federal Reserve führten die Ankaufprogramme

der Zentralbank zu einem Absenken der „Term

Premium“ für US-Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren

um ca. 100 Basispunkte.

Bisherige Wirkung 2018 2019 2020 2021 2022

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InvestmentstandpunktInvestmentstandpunkt

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MSCI WELT: KGV- UND GEWINNÄNDERUNG

( jeweils vom Tief- zum Hochpunkt der Kursentwicklung)

Aktien: Fallende Bondrenditen

trieben Rerating

Quelle: Union Investment. Stand: Oktober 2017.

1997–2000 2000–2003 2003–2007 2007–2009 2009–2017

−100,0 %

−50,0 %

0,0 %

50,0 %

100,0 %

150,0 %

0 %

1 %

2 %

3 %

4 %

5 %

∆ KGV (linke Seite)

∆ Gewinn (linke Seite)

Global GT Sovereign Bond Yield (rechte Seite)

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InvestmentstandpunktInvestmentstandpunkt

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Hier trifft ein gleichbleibendes Angebot auf eine sinkende Nachfrage, da die Zen-tralbanken als – preisunempfi ndlicher – Käufer wegfallen. Die privaten Investoren müssen also wieder die Staatsanleihen aufnehmen, die die Notenbanken nicht mehr länger kaufen. Um den Investoren dafür einen Anreiz zu bieten, muss die „Term Premium“ steigen. „Strukturell eher leicht steigende Bondrenditen sind damit eine logische Konsequenz. Pro Jahr könnten die Renditen allein durch die Rückabwicklung von QE um 20 Basispunkte steigen“, folgert Herzum. Anziehende Bondrenditen, die durch Leitzinserhöhungen der Zentralbanken bedingt sind, kämen dann noch dazu. „Das wird bei Risikoassets auf die Bewer-tungen drücken. KGV-Ausweitungen als Kurstreiber bei Aktien gehören damit der Vergangenheit an.“

Die verbesserte Konjunktur und die da-raus folgende Normalisierung der Geld-politik haben Auswirkungen, die auf den ersten Blick kontraintuitiv wirken: Das Niedrigrenditeumfeld verfestigt sich näm-lich, anstatt sich aufzulösen. „Das mutet paradox an“, erläutert Dr. Frank Engels, Leiter Multi Asset bei Union Investment, „stimmt aber trotzdem. Wir brauchen das aktuell sehr stabile und gesunde Umfeld für eine recht lange Zeit, um die Lasten der Vergangenheit endgültig abzutragen. In der Zwischenzeit wird uns das Niedrig-renditeumfeld weiter begleiten.“

Der zu erwartende Zinsanstieg wird da-her seiner Meinung nach nur moderat ausfallen: „Alte Vorkrisenrenditeniveaus werden wir also so schnell nicht sehen. Gleichzeitig haben wir die Belastung der Bewertungen, und zwar cross-asset.“ Für Investoren ein echtes Dilemma.

Wird die abnehmende Flut nun alle Boote absenken? Wohl kaum. Steigende Asset-preise hält Engels auch in diesem Umfeld weiter für möglich. Allerdings muss der

Treiber von der fundamentalen Seite kom-men. „Für Aktien heißt das beispielsweise: Die Gewinne müssen stärker steigen, als die KGVs fallen. Das ist für einige Sektoren und Länder durchaus realistisch – aber eben nicht für alle.“

Differenzierung notwendig„Es wird starke Differenzierungen ge-ben“, ergänzt Michael Herzum. Er erwar-tet vor allem für Asset-Klassen mit langer Duration negative Effekte. Gleichzeitig erkennt er aber auch Möglichkeiten, die Marktbewegungen durch geschickte Allokationsentscheidungen für das eigene Portfolio zu nutzen. „Financials und Substanzwerten spielt der Wetterwechsel in die Karten“, meint Herzum mit Blick auf die Aktienmärkte. Sie dürften von den steigenden Anleiherenditen bzw. dem allgemeinen Druck auf die KGV-Niveaus profi tieren, während das Umfeld für sogenannte Bond-Proxys wie Versorger-aktien eher schwierig wird. „Das eröffnet Spielräume für Pairs-Trades“, nennt der Allokationsexperte ein Beispiel. Zudem dürften die Kurse von US-Treasuries in den kommenden Monaten stärker fallen als die von Bundesanleihen. „Mit Relati-ve- Value-Strategien lässt sich also auch auf der Rentenseite das Umfeld steigen-der Renditen gewinnbringend nutzen“, meint Herzum.

FazitMit dem geldpolitischen Gezeitenwech-sel ist das Niedrigrenditeumfeld nicht vorbei. Im Gegenteil, es geht in die nächste Runde, da mit der Rückführung von QE viele Asset-Klassen Gegen- statt Rückenwind erhalten. Die Notwendig-keit der Nutzung neuer Performance-quellen, sorgsamer Selektion und ak-tiver Allokation bleibt damit nicht nur bestehen, sondern wächst sogar. Es wird also künftig mehr denn je darauf an-kommen, im anstehenden geldpoliti-schen Gezeitenwechsel das Anlageruder in die richtige Richtung zu lenken. ‹

Kurz gefasst

Einsetzende Assetpreisdisinfl ation ab 2018 durch Umkehr

von QE

Druck auf Assets mit Duration nimmt zu

Graduell steigende Bondrenditen

Struktureller Gegenwind für Bewertungsniveaus

Treiber für Kursanstiege müssen nun von

fundamentaler Seite kommen

Pairs-Trades gewinnen im Aktienbereich an Attraktivität:

Finanzwerte, Valuetitel > Zykliker

Relative-Value-Strategien auch bei sicheren

Staatsanleihen gefragt

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[ Wei twinke l ] Die Metapher für einen breiteren Horizont, das Ablegen von Scheuklap-pen und eine ganzheit-lichere Betrachtungs-weise. Damit Sie mehr sehen als andere und vorausschauend handeln können.

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Ausgabe 2 / 2017

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Wohlstand für alle 2.0

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H E R AU SG E B E R Union Investment Institutional GmbHWeißfrauenstraße 760311 Frankfurt am Main Telefon: 069 2567-3182Fax: 069 2567-1616E-Mail: [email protected] Internet: www.union-investment.de/institutional

C H E F R E DA K T I O N Thomas Raffel, Union Investment (V. i. S. d. P.) E-Mail: [email protected]

R E DA K T I O N / K R E AT I O N / KO N Z E P T / U M SE T Z U N G Profilwerkstatt GmbH, Darmstadt

AU TO R E N José Manuel Barroso, Daniel Bathe, Thomas Benedix, Anna-Maria Borse, Lord Jonathan Evans, Martin Hampel, Michael Herzum, Wolfgang Ischinger, Matthias Kneifl, David F. Milleker, Michael Müller, Felix Schütze, Dirk Stauer, Birga Teske

D RUC K Kuthal Print GmbH & Co. KG, Mainaschaff

Das für diese Publikation verwendete Papier hat ein Nachhaltigkeitszertifikat.

Materialnummer: 006402 11.17

A LLG E M E I N E H I N W E I SE Die Inhalte dieses Dokuments wurden von der Union Investment Institutional GmbH nach bestem Urteilsvermögen erstellt und heraus -gegeben. Eigene Darstellungen und Erläuterungen beruhen auf der jeweiligen Einschätzung des Verfassers zum Zeitpunkt ihrer Erstellung, auch im Hinblick auf die gegenwärtige Rechts- und Steuerlage, die sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern kann. Als Grundlage dienen Informationen aus eigenen oder öffentlich zugänglichen Quellen, die für zuverlässig gehalten werden. Für deren Aktualität, Richtig keit und Vollständigkeit steht der jeweilige Verfasser jedoch nicht ein. Alle Index- bzw. Produktbezeichnungen anderer Unternehmen als Union Investment werden lediglich beispielhaft genannt und können urheber- und markenrechtlich geschützte Produkte und Marken dieser Unternehmen sein. Alle Inhalte dieses Dokuments dienen ausschließlich Informationszwecken von professionellen Anlegern im Sinne von § 31a Abs. 2 WpHG. Sie dürfen daher weder ganz noch teilweise verändert oder zusammengefasst werden. Sie stellen keine individuelle Anlageempfehlung dar und ersetzen weder die individuelle Anlageberatung durch die Bank noch die individuelle, qualifizierte Steuerberatung. Für die Eignung von Empfehlungen zu Fondsanteilen oder Einzeltiteln für bestimmte Kunden oder Kundengruppen übernimmt Union Investment daher keine Haftung. Dieses Dokument enthält bezüglich einzelner Finanzinstrumente ausschließlich beschreibende Aussagen und Produktinformationen zu Fonds der Union Investment Gruppe und ist daher keine Finanzanalyse i.S.d. § 34b WpHG. Dies ändert sich auch dann nicht, wenn es unverändert weiterverwendet bzw. weitergegeben wird. Sofern dieses Dokument jedoch geändert wird, kann es diesen Status verlieren. Der Verwender des geänderten Dokuments kann den Vorschriften des § 34b WpHG und den hierzu ergangenen besonderen Bestimmungen der Aufsichtsbehörde unterliegen. Angaben zur Wertentwicklung bei Fonds basieren auf den Wertentwicklungen in der Vergangenheit. Damit wird keine Aussage über eine zukünftige Wertentwicklung getroffen. Der Anleger muss darauf hingewiesen werden, dass Wertentwicklung bzw. Wertschwankungsverhalten in der Zukunft sowohl höher als auch niedriger ausfallen können. Die Berechnung der Wertentwicklung erfolgt nach der BVI-Methode, sofern nicht anders angegeben. Die Darstellung der Wertentwicklungszeiträume entspricht den BVI-WVR-Standards. Ausführliche produktspezifische Informationen und Hinweise zu Chancen und Risiken der hier genannten Fonds von Union Investment entnehmen Sie bitte den aktuellen Verkaufsprospekten, den Vertragsbedingungen, den wesentlichen Anlegerinformationen sowie den Jahres- und Halbjahresberichten, die Sie kostenlos in deutscher Sprache über die Union Investment Institutional GmbH erhalten. Diese Dokumente bilden die allein verbindliche Grundlage für den Kauf der Fonds von Union Investment. Dieses Dokument wurde mit Sorgfalt entworfen und hergestellt, dennoch übernimmt Union Investment keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit. Es wird keinerlei Haftung für Nachteile, die direkt oder indirekt aus der Verteilung, der Verwendung oder Veränderung und Zusammenfassung dieses Dokuments oder seiner Inhalte entstehen, übernommen.

Stand aller Informationen, Darstellungen und Erläuterungen: November 2017, soweit nicht anders angegeben.

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