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FOTO: © PHILIPP ROHNER 3. Ausgabe / Dezember 2006 Fr. 5.00 / 3.20 www.2021-zeitschrift.com 2021 ZEITSCHRIFT FÜR GESELLSCHAFTSFRAGEN Vogelgrippe Warum uns die Seuche plagt Verstandeskultur ist Pseudokultur Die Quelle höherer Kultur ist die Empfindung Astrologie und Moderne Ein Widerspruch? Bhagwan, Scharlatan, Sex-Guru Oder die Angst vor dem Erwachen Paul Hilpert: Der Ex-Manager packt aus

2021 3. Ausgabe (Dez. 06)

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Verstandeskultur ist Pseudokultur, Vogelgrippe Oder die Angst vor dem Erwachen, Warum uns die Seuche plagt, Ein Widerspruch? Die Quelle höherer Kultur ist die Empfindung 3. Ausgabe / Dezember 2006 Fr. 5.00 / 3.20

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3. Ausgabe / Dezember 2006Fr. 5.00 / 3.20 www.2021-zeitschrift.com2021Z E I T S C H R I F T F Ü R G E S E L L S C H A F T S F R A G E N

VogelgrippeWarum uns die Seuche plagt

Verstandeskultur ist PseudokulturDie Quelle höherer Kultur ist die Empfindung

Astrologie und ModerneEin Widerspruch?

Bhagwan, Scharlatan, Sex-GuruOder die Angst vor dem Erwachen

Paul Hilpert: Der Ex-Manager packt aus

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Liebe Leserinnen, liebe Leser

Die zunehmenden Erschütterungen rund um den Globus sind Anzeichen für den

Zerfall der bestehenden Ordnung. Das Kernproblem unserer Zeit ist, dass Weltbild

und Gesellschaft von wissenschaftlichen und philosophischen Pfeilern getragen und

bestimmt werden, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. Die alten Ansichten hal-

ten sich zäh, obwohl Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten Disziplinen deutlich

machen, dass sich die Vorstellung von Mensch und Welt seither stark verändert hat.

Forscher wie Rupert Sheldrake, John C. Eccles oder Hans-Peter Dürr zeigen mit ihren

Resultaten, dass die Weltsicht erweitert werden muss.

Eine erweiterte Sicht der Wirklichkeit erfordert eine grundlegende Neugestaltung der

Gesellschaft. Bislang wurde es versäumt, neue Erkenntnisse auf die Gesellschafts-

struktur und in den Alltag zu übertragen. Solange diese Entwicklung nicht stattfindet,

wird sich der Zustand der Gesellschaft weiter verschlechtern.

2021 befasst sich in erster Linie mit Fragen, warum unsere Gesellschaft dringend eine

Umgestaltung benötigt und wie eine neue aufgebaut werden sollte. Neben der Kritik

an der Lebensfeindlichkeit der heutigen Ordnung besteht ein Ziel darin, ansatzweise

zu beschreiben, wie eine neue Gesellschaft organisiert sein könnte.

In dieser Ausgabe können Sie Artikel zu folgenden Themen lesen: Martin Capeder be-

schreibt, warum eine reine Verstandeskultur eine Pseudokultur ist. Ein weiterer Bei-

trag macht deutlich, was Astrologie ist und warum sie von einem Teil der modernen

Gesellschaft abgelehnt wird. Ein Artikel über die Vogelgrippe ortet die Ursache für die

Seuche. Zu guter Letzt folgt eine Rezension zu Oshos Buch «Buddha sprach».

Die Redaktion

EDITORIAL

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Ihr Spezialist für Maler- und Tapezierarbeiten, Farbtechniken und dekorative Wandgestaltung höchster Qualität

Anthony’s GmbHVordere Grundstr. 5, 8135 Langnau a.A.079 733 79 91 / [email protected]

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IMPRESSUM

Nr. 3/2006Auflage: 7‘000 Expl.

Anzeigen und Information2021 c/o Hannes Kriesi

Rotwandstrasse 68 8004 Zürich

[email protected]

[email protected]

Redaktion/AutorenAndreas Pfister: [email protected]

Christoph Geissbühler: [email protected] Reif: [email protected]

Hannes Kriesi: [email protected] Capeder: [email protected]

Maurus Federspiel: [email protected] Zweifel: [email protected]

Stefan Schlumpf: Gupfe 1, 8427 FreiensteinPatrycja Pielaszek

Susanna Kriesi

Grafisches Konzept und Gestaltungr4c.network/red, Stefan Schafer: [email protected]

FotografiePhilipp Rohner: [email protected]

JahresaboBestellung siehe letzte Seite

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06 Verstand versus EmpfindungWir leben heute in einer Verstandeskultur, in einer Überzivilisation, weil die Empfindung, das Organ für höhere Kultur, verschüttet ist. Dies zu ändern erfordert einen neuen Menschen, der das Schöne, Wahre und Gute in der Empfindung schaut und verwirklicht.

10 Astrologie im Wandel der WeltbilderDie ursprüngliche Astrologie ist eine über 4000 Jahre alte Anschauungs-weise, die entscheidende Anteile des Lebens beschreibbar macht und bewusst werden lässt. Die moderne Wissenschaft lehnt die Astrologie als unwissenschaftlich ab. Diese Abwehrhaltung ist weltanschaulich be-dingt.

16 Monatsgespräch mit Paul HilpertDer Ex-Manager im Interview.

20 Colt im Nebel«Typisch Schweizer, jeder sitzt für sich in seinem Abteil! In Italien sind alle immer fröhlich und suchen Kontakt.»

22 Ursache der VogelgrippeDie Vogelgrippe ist eine Folge der Industrialisierung der Nahrungsmit-telproduktion. Grundlage der Industrialisierung und Ursache der Seuche ist die Weltanschauung des Bürgers.

26 Tagebuch von Christoph Geissbühler92 Stunden aus dem Leben des Fribourger Pianisten.

28 Buddha sprachRezension zu Oshos Buch über 42 buddhistische Sutren.

30 Leserbriefe

31 Vorschau / Abonnement

INHALT

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U nd unsere Zeit gibt ihm mehr als Recht: Mochte man nämlich in der Antike noch endlos über das Schö-

ne, Wahre und Gute disputieren, im Glau-ben, in diesen Gegenständen Wahrheit finden zu können, so neigt man heute zur Ansicht, dass dies alles eine Sache des Geschmacks sei. Romanik oder Bau-haus, Bach oder Stockhausen, Augusti-nus oder Wittgenstein: es ist nichts bes-ser, schöner oder wahrer als das andere. Alles Geschmackssache. Nach Wahrheit sucht man in diesen Gegenständen ver-geblich.

Wo hat sie heute ihren Ort, die Wahr-heit? Wer ist für sie zuständig? Wahrheit aufzufinden, über Richtig und Falsch zu urteilen ist nach weit verbreiteter Ansicht allein Sache der Wissenschaft. Wo Wis-senschaft nicht verstehen, nicht erklären und begründen kann, gibt es auch keine Wahrheit. «Unwissenschaftlich» lautet dann das Urteil.

Es verwundert daher nicht, dass die Wissenschaft den Platz eingenommen hat, der einst Kirche und Klerus vorbe-halten war. Die Wissenschaft ist heute im Verbund mit Technik und Wirtschaft die bestimmende Kraft. Das alte Zweigespann Adel und Klerus ist abgelöst worden von Wirtschaft und Wissenschaft. Die Suche nach dem Seelenheil ist dem Streben nach Produktivität und Fortschritt gewichen, der innere Reichtum dem äusseren. Das Abendland hat sich binnen weniger Ge-

nerationen vollkommen gewandelt und umgekrempelt, von innen nach aussen gekehrt. Dies ist soweit gegangen, dass wir eine Welt gebaut haben, in der wir nicht mehr zuhause sind. Zwar verfügen wir über eine Zivilisation, die alles bisher Gewesene in den Schatten stellt. Aber die Kultur – wo ist sie geblieben?

Das Abendland hat sich binnen weniger Generationen vollkommen gewandelt und umgekrempelt, von innen nach aussen gekehrt. Dies ist soweit gegangen, dass wir eine Welt gebaut haben, in der wir nicht mehr zuhause sind. Zwar verfügen wir über eine Zivilisation, die alles bis-her Gewesene in den Schat-ten stellt. Aber die Kultur – wo ist sie geblieben?

Das will nicht heissen, dass Wissen-schaft keine Kultur wäre. Im Gegenteil. Sie ist Kultur in dem Sinne, dass sie den dazu Befähigten staunen lässt über das unbeschreibliche Wunder des Lebens und des Universums. Und dieses Stau-nen bildet und vertieft, wo es echt ist, die

menschliche Seele. So meinte etwa Albert Einstein: «Seine (des Wissenschaftlers) Religiosität liegt im verzückten Staunen

Zivilisation ist noch nicht Kultur. Sie ist vielmehr die Grundlage, der Boden der Kultur. Hat man sich ein-gerichtet, besitzt man eine Zivilisation und kann auf ihr die Kultur bauen.

über die Harmonie der Naturgesetz-lichkeit, in der sich eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist.» (A. Einstein 1934: Mein Weltbild)

In den Händen des homo faber ist die Wissenschaft das Werkzeug der Zivilisa-tion. Sie dient dazu, sich die Naturge-setze dienstbar zu machen und sich im Irdischen einzurichten. Zivilisation ist noch nicht Kultur. Sie ist vielmehr die Grundlage, der Boden der Kultur. Hat man sich eingerichtet, besitzt man eine Zivilisation und kann auf ihr die Kultur bauen. Und dafür reicht eine bescheidene Zivilisation. Fehlt hingegen der Sinn für Kultur, wird man umso mehr zivilisieren. Man weiss nicht was tun, wenn man sich eingerichtet hat. Man versteht nicht, was

Verstand versus Empfindung - Ein Beitrag zur Erneuerung der KulturDe gustibus non est disputandum. Über die Geschmäcker soll man nicht disputieren. Warum auch? Disputieren, erörtern, wissenschaftlich untersuchen etc. soll man nur da, wo es Wahrheit gibt, wo man auf ein Ergebnis kommen kann, das nicht vom Gutdünken des Einzelnen abhängig ist. Und der Geschmack ist eben eine ganz und gar persönliche Sache. Folglich ist jedes Disputieren sinnlos. In Sachen des Geschmacks gibt es keine Wahrheit. Dies meint jedenfalls das geflügelte Wort. Von Martin Capeder

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nach der Zivilisation kommt. Man hat kei-nen Sinn für das eigentlich Menschliche. Also zivilisiert man weiter. So lange, bis man in einer Überzivilisation lebt, die sich schliesslich gegen Mensch und Natur und damit gegen wirkliche Kultur wendet.

Wir Heutigen leben in einer Überzi-vilisation. Das Menschliche, die Kultur droht unter einem Berg von Organisation zu versinken. Offenbar fehlt uns ein Sinn, ein Organ, das für Kultur zuständig ist. Ein Organ für Kultur? Nehmen wir einmal an, wir wollten eine Kathedrale bauen, oder einen Tempel, oder einfach ein Haus, in dem wir uns wirklich wohl fühlen kön-nen. Ohne Zweifel benötigen wir dazu die Wissenschaft: Statik, Materialkunde etc. Und dann Maschinen: Kranen, Hebel und vieles mehr. Dann können wir an-fangen. Können wir? Wir wissen ja noch gar nicht, wie unser Werk aussehen soll. Es soll schön sein, das Gemüt erfreuen, eine «Seele» haben. Aber wie? Wissen-schaft kann uns da nicht weiterhelfen.

Wir Heutigen leben in einer Überzivilisation. Das Mensch-liche, die Kultur droht unter einem Berg von Organisation zu versinken. Offenbar fehlt uns ein Sinn, ein Organ, das für Kultur zuständig ist.

Sie kann uns nur helfen, unsere Idee zu verwirklichen. Die Idee selber kann sie nicht schauen. Das liegt in ihrer Natur. Wissenschaft, mindestens im westlichen Verständnis, beruht auf dem Verstand. Und Verstand ist Empirie, Induktion und Deduktion. Wir machen Beobachtungen und Erfahrungen, schliessen auf allge-mein gültige Gesetzmässigkeiten und leiten aus diesen im Einzelfall ab. So ler-nen wir, uns auf der Erde zu bewegen. So verstehen wir die hier herrschenden Gesetze. Und dann können wir sie anwen-den und nutzen. Für was auch immer wir möchten.

Um Schönes zu schauen, das Gute zu erfassen etc. bedarf es eines ganz anderen Organs. Ich möchte dieses Organ Empfin-

dung nennen. Empfindung ist unmittel-bares Schauen, Wahrnehmen und Erken-nen. Empfindung ist intuitiv (lat. intueri anschauen). Empfindung braucht keine

Empfindung braucht keine Erfahrung im Sinne der Empirie. Empfindung weiss ohne Berge von Daten und Fakten: So stimmt’s, so ist’s richtig, so ist’s gut.

Erfahrung im Sinne der Empirie. Emp-findung weiss ohne Berge von Daten und Fakten: So stimmt’s, so ist’s richtig, so ist’s gut. Der Architekt, der Musiker, der Dich-ter, der Philosoph, sie alle brauchen Emp-findung. Ihr Gegenstand ist das Schöne,

Kultur ist die Frucht rechten Empfindens. Verstandeskul-tur ist Pseudokultur.

Wahre und Gute. Ohne Empfindung ist Musik Kakophonie. Ohne Empfindung ist Philosophie Sophismus. Denn Wahr-heit schaut man. Ebenso wie Schönheit. In anderen Worten: Kultur ist die Frucht rechten Empfindens. Verstandeskultur ist Pseudokultur.

Das will jedoch nicht heissen, dass Empfindung das Vorrecht des schöp-ferischen und schaffenden Menschen wäre. Ganz im Gegenteil: Empfindung ist die natürlichste Sache der Welt. Jeder Mensch besitzt sie. Sie kann verkümmert, verschüttet sein oder wenig entwickelt. Aber da ist sie. So wüsste eigentlich jeder Mensch, was für ihn gut ist und was nicht. Grundlos fühlt sich jeder Mensch zu et-was anderem hingezogen. Und dieses Hingezogensein kommt nicht aus dem Verstand, sondern aus der Empfindung.

Dieses Empfinden möchte ich das natürliche Empfinden nennen. Es dient dazu, das Leben aus der Eigennatur zu leben und führt zur natürlichen Kultur. Ausgeprägtes natürliches Empfinden finden wir häufiger bei «ungebildeten», durch Verstandeswissen wenig belasteten

und im Empfinden wenig gestörten Men-schen. Kunst, Philosophie und Religion (im Sinne höheren Daseinsempfindens) hingegen sind Sache des höheren Emp-findens und gehören dementsprechend zur höheren Kultur.

Grundlos fühlt sich jeder Mensch zu etwas anderem hingezogen. Und dieses Hin-gezogensein kommt nicht aus dem Verstand, sondern aus der Empfindung.

Natürliche Kultur, höhere Kultur. Das ist menschliches Leben. Empfindung sei-ne Quelle. Verstand braucht es nicht da-für. Mindestens nicht direkt. Der Verstand ist nämlich dafür da, das in der Empfin-dung Geschaute zu manifestieren. Die Empfindung hört die Musik, der Verstand baut das Klavier dafür. Die Empfindung schaut die Lebensaufgabe, der Verstand hilft, sie zu verwirklichen. Der Verstand kennt sich aus, er versteht. Er weiss, wie die Dinge hier auf der Erde ablaufen. Er weiss, was zu tun ist, um unsere Ideen zu verwirklichen, unsere Ziele zu erreichen. Das macht ihn zum unentbehrlichen Werkzeug. Er dient dem Menschen als geistigem Wesen, sich im Stoff ausdrücken

Natürliche Kultur, höhere Kultur. Das ist menschliches Leben. Empfindung seine Quelle. Verstand braucht es nicht dafür. Mindestens nicht direkt. Der Verstand ist nämlich dafür da, das in der Empfindung Geschaute zu manifestieren.

zu können, sich auf der Erde zu manifes-tieren. Er hilft ihm, seine Welt zu bauen und ist damit der Mittler zwischen Geist und Materie, zwischen ICH und Welt. Er ist Gott Merkur, der Bote zwischen Him-mel und Erde.

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Damit haben wir dem Verstand den rechten Platz zugewiesen: Er ist der Die-ner des ICH. Wo er sich zum Herrn auf-spielt, wird er zum Feind des ICH, zum Widersacher, zum Satan: Der im Verstand Gefangene verfehlt sein eigentliches We-sen, das nur in der Empfindung geschaut werden kann. Er handelt nicht aus der

Unsere Zeit aus dieser Per-spektive zu kennzeichnen ist nicht schwierig: zuviel Ver-stand, zuwenig Empfindung. Verstand und Wissenschaft sind die Antithese zu Glaube und Religion. Der Verstand hat aber seinen Höhepunkt und damit auch sein Ende erreicht. Es ist Zeit für eine Synthese.

Notwendigkeit seines Innern und ist so den Ansprüchen des Äussern unterwor-fen. Er verliert sich im Getriebe der Welt. Hier gilt es, Unterscheidung zu üben, den Verstand auf den rechten Platz zu verwei-sen.

Unsere Zeit aus dieser Perspektive zu kennzeichnen ist nicht schwierig: zuviel Verstand, zuwenig Empfindung. Verstand und Wissenschaft sind die Antithese zu Glaube und Religion. Der Verstand hat aber seinen Höhepunkt und damit auch sein Ende erreicht. Es ist Zeit für eine Syn-these. Nur kann diese nicht darin liegen,

dass wir fertige Systeme aus anderen Kul-turkreisen importieren. Diese mögen aus der Empfindung geschöpft sein, aber eben nicht aus unserer eigenen und daher nur mit Vorbehalt auf uns übertragbar. Wir er-fassen diese Systeme meist mit dem Ver-stand, vermehren damit unser «Wissen», aber kaum unsere wirkliche Erkenntnis. Die Synthese, meine ich, kann nur in der eigenen Empfindung liegen.

Der reif Empfindende braucht keine Kon-fession, weil er Religion in sich trägt: Er besitzt in der Empfindung Orientierung und Gewissheit. Konfession gibt wohl Orientierung, aber keine Gewissheit. Wis-senschaft dagegen gibt Gewissheit, aber keine Orientierung. In der Empfindung ist beides, Orientierung und Gewissheit, zur Synthese aufgehoben.

Wie aber erlangt man Empfindung? Grundsätzlich gilt: Man schaue nach Innen und forsche selber. Das geht frei-lich nicht von heute auf morgen. Zuerst wird man da nur auf den mentalen Lärm stossen, der sich aus all dem zusam-mensetzt, das man nie wirklich ergriffen und erschaut hat und das darum nicht im eigenen Wesen wurzelt und ruht. Es ist ratsam, zuerst eine kritische Distanz zum vermeintlich Gewussten einzuneh-men: Woher weiss ich das? Ist das wirklich wahr? Zeigt sich das mir selber so, wenn ich aufrichtig frage und forsche? Habe ich das vielleicht bloss übernommen, gelernt, assimiliert?

Die Empfindung für das Schöne im Besonderen wird gefördert durch den Umgang mit dem Schönen: durch bil-dende Kunst, Architektur, Photographie,

Dichtung, Musik, aber auch durch Auf-enthalt in der freien Natur. Dabei soll man das Kunstwerk berühren, befragen und sein Wesen zu empfinden versuchen. Die Empfindung für das Wahre wird durch die Philosophie gefördert, durch das eigene fragende Forschen nach dem Wahren. Besonders gut geht das im Dialog: Jeder entleert sich, macht sich möglichst frei, um ein Gefäss zu sein für Wahrheit, die

Wir brauchen einen neuen Menschen, der diese neue Welt baut: Künstler und Architekten, Politiker und Philosophen, die aus reifer Empfindung das Schöne, Wahre und Gute schöpfen und verwirklichen.

man im gemeinsamen Fragen zu emp-fangen trachtet. Die Empfindung für das Gute schliesslich wird gefördert durch den Umgang mit Vorbildern: Das gelebte Beispiel weckt in uns das noch schlum-mernde Bild des Guten und regt uns dazu an, es selber zu leben.

Wir brauchen eine neue Welt: Der Zu-stand der Überzivilisation will überwun-den werden hin zu einer Kultur, in der wir Menschen in Freiheit unser eigentliches Wesen ausdrücken können. Und wir brau-chen einen neuen Menschen, der diese neue Welt baut: Künstler und Architekten, Politiker und Philosophen, die aus reifer Empfindung das Schöne, Wahre und Gute schöpfen und verwirklichen.

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Astrologie im Wandel der WeltbilderDie Astrologie ist eine über 4000 Jahre alte Anschauungsweise, die entscheidende Anteile des Lebens beschreibbar macht und bewusst werden lässt. Die Astrologie hat sich jedoch in den letzten Jahrhunderten grundlegend verändert, wobei ihr Inhalt und ihre Bedeutung fast gänzlich verloren gingen. Der modernen Öffentlichkeit wird eine Astrologie vermittelt, die verkürzt und verunstaltet ist. Von Stefan Schlumpf

L eben heisst Entwicklung. Jeder Mensch entwickelt sich. Die ur-sprüngliche Astrologie stellt die

Beziehung des Einzelnen zu seinem Wachstumsgeschehen her. Anhand der Analyse des Horoskops vermittelt sie dem Individuum einen Zugang zu seinem persönlichen Dasein, das einzigartig ist. Ein Horoskop oder ein Radix ist eine Mo-mentaufnahme der Stellung der Planeten zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort. Ein Horoskop kann auf jeden beliebigen Zeitpunkt errichtet wer-den, dem ein Geschehen zu Grunde liegt. Es kann sich dabei beispielsweise um eine Geburt, eine Geschäftseröffnung oder ei-nen Operationstermin handeln.

Betrachtet man das Ge-burtshoroskop, dann ist die Astrologie ein systemati-sches Instrument, um dem Menschen seine Anlage und seine Bestimmung näher zu bringen.

Betrachtet man das Geburtshoroskop, dann ist die Astrologie ein systematisches Instrument, um dem Menschen seine Anlage und seine Bestimmung näher zu bringen. Der Geburtszeitpunkt bildet das gesamte Anlage- und Verwirklichungs-spektrum ab, das dem Individuum zur Ver-fügung steht. Am äussern Rand des Radix sind die zwölf Tierkreiszeichen, die einer geometrischen Einteilung des Himmels-bogens entsprechen. Der Tierkreis ist der

allgemeine Zeitspeicher, in dem die Bilder und Gestalten angelegt sind, um in die Zeit zu kommen. Von der Momentaufnah-me der Struktur der planetaren Ebene (der

Die Astrologie zeigt auf, dass der Mensch die Freiheit hat, seine Veranlagung an-zunehmen und die Bilder in die Zeit zu bringen oder die Veranlagung abzulehnen.

Zeitqualität), die das Radix abbildet, wird auf die Persönlichkeitsstruktur ge-schlossen. Die Struktur des «Makrokos-mos» kann auf den «Mikrokosmos» über-tragen werden und umgekehrt, weil die verschiedenen Ebenen (der Biosphäre) zusammenhängen müssen, damit Leben möglich ist. Die rhythmischen Entspre-chungen haben sich ebenfalls als zutref-fend erwiesen. Die Zeitqualität könnte auch an einer anderen Beobachtungs-Ebene abgelesen werden, zum Beispiel am Vogelflug, wie es die Auguren taten; das Prinzip ist überall wirksam. Die pla-netare Ebene ist jedoch die denkbar ein-fachste Ebene analog einer Uhr mit zehn Zeigern.

Kombiniert man die Position des Tierkreises mit dem Stand der Planeten, ist erkennbar, welche Bilder über einen Menschen in die Zeit kommen wollen, d.h. welche Veranlagung ein Mensch in sich trägt und für welche Bereiche des Lebens er zuständig ist. Die Astrologie zeigt auf, dass der Mensch die Freiheit

hat, seine Veranlagung anzunehmen und die Bilder in die Zeit zu bringen oder die Veranlagung abzulehnen. Die Konse-quenzen für den freien Willensentscheid muss jeder Einzelne selber tragen. Dies geht in den Bereich des Schicksalhaften, weil eine nicht gelebte Veranlagung aus astrologischer Sicht einer Verneinung des Lebens gleichkommt. Das Schicksal bringt die abgelehnte Veranlagung über Erfahrungen ins Bewusstsein. Lebt je-mand beispielsweise sein künstlerisches Naturell nicht, sondern wird der Alltag im Büro verbracht, dann fällt eines Ta-ges das «Damoklesschwert», und diese Person wird aus der Kompensationswelt hinausgeworfen. Dies wird gemeinhin als Schicksal wahrgenommen.

Wichtige Ereignisse können mittels astrologischer Deutung auf den Tag be-stimmt werden, sofern die Geburtszeit genau stimmt. (Bestehen Zweifel an der genauen Geburtszeit, kann diese anhand der Übereinstimmung der lebenshisto-rischen Ereignisse und der Anlageaus-lösungen korrigiert werden.) Man kann

Wichtige Ereignisse können mittels astrologischer Deu-tung auf den Tag bestimmt werden, sofern die Geburts-zeit genau stimmt.

aus einem Horoskop beispielsweise den genauen Tag eines Unfalles ablesen, wenn jemand nicht entsprechend der Veranlagung lebt. Betrachtet man eine

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Geschäfts-Eröffnung, kann festgestellt werden, ob das Unternehmen gute oder schlechte Chancen hat, sich zu entwi-ckeln und in welchen Perioden welche Wachstumsschritte erfolgen. Man könnte auch die möglichen Daten vorhersehen, wann ein Konkurs eintritt.

Die Astrologie in jedoch nicht in erster Linie für Prognosen zuständig, sondern um Menschen einen Zugang zum Dasein

zu ermöglichen, der frei von Zweck, Me-thode und Bewertung ist und der unter Einbezug von Schicksal, Bewusstsein, Erleben und Existenz den Einzelnen

in seiner Souveränität belässt und aus der eigenen Erfahrung heraus wach-sen lässt. Die Astrologie liefert über die Bildbeschreibungen das Verständnis für Geschehnisse im Leben. Macht jemand eine unangenehme Erfahrung, so ist es entscheidend, diese als Teil des Lebens zu begreifen und sie nicht zu verdrängen.

Die Planeten haben keinen Einfluss auf den Menschen. Sie zeigen lediglich an,

welche Zeitqualität an einem bestimm-ten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt herrscht, sie sind die physischen Erschei-nungen von geistigen Grössen. Was eine

Wirkung auf Welt und Mensch hat, sind metaphysische Grössen, die mit den Me-thoden der heutigen Wissenschaft nicht fassbar sind.

Geschichtliches

Der Ursprung der Astrologie wird his-torisch im Zeitraum um 2000 v. Ch. im Raum Mesopotamiens angenommen, wo sie erstmals dokumentiert ist. Sie wurde ursprünglich als priesterliche Geheimleh-re innerhalb der Familien weitergegeben und verbreitete sich nach Indien, China und Europa. Kaiser, Könige und Fürsten hatten ihre astrologischen Berater, so auch in Westeuropa, wo die Astrologie in der Zeit der Renaissance im 15. und 16. Jahr-hundert breiteren Fuss fasste. Auch be-deutende Päpste wie Julius II, Leo X oder Paul III beschäftigten sich mit Astrologie und liessen sich bei Entscheidungen von planetaren Konstellationen leiten. Unter dem Einfluss der Alten Griechen und der arabischen Kultur entstand in Südfrank-

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Die Astrologie in jedoch nicht in erster Linie für Prognosen zuständig, sondern um Menschen einen Zugang zum Dasein zu ermöglichen, der frei von Zweck, Methode und Bewertung ist und der unter Einbezug von Schicksal, Bewusstsein, Erleben und Existenz den Einzelnen in seiner Souveränität belässt und aus der eigenen Erfahrung heraus wachsen lässt.

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reich eine eigentliche Hochblüte der As-trologie mit universitären Lehrstühlen. Im ausgehenden Mittelalter wurde sie als «Primärwissenschaft» angesehen.

Mit dem Aufkommen des mechanisti-schen Weltbildes im ausgehenden Mittel-alter hat sich in der Astrologie eine Spal-tung ergeben, die sich bis heute auswirkt und ungeklärt ist. Durch die zunehmende Rationalisierung und Systematisierung der Gesellschaft wurden öffentliche Be-dingungen geschaffen, die für die Astrolo-gie als Schicksal beschreibende Anschau-ungsweise ungeeignet waren, und sie ist deshalb in den vergangenen Jahrhun-derten zunehmend aus der öffentlichen Beachtung verschwunden.

Durch die zunehmende Ra-tionalisierung und Systema-tisierung der Gesellschaft wurden öffentliche Bedin-gungen geschaffen, die für die Astrologie als Schicksal beschreibende Anschauungs-weise ungeeignet waren, und sie ist deshalb in den vergan-genen Jahrhunderten zuneh-mend aus der öffentlichen Beachtung verschwunden.

In der Aufklärung wurde vermehrt dazu übergegangen, die Welt experi-mentell und methodisch zu erforschen. Ein einzelner Teil der Wirklichkeit wird dabei aus dem natürlichen Zusammen-hang herausgetrennt und isoliert unter-sucht. Weil methodisches Vorgehen nur innerhalb der materiellen Welt einen Sinn ergibt, führte dies zu einer Reduktion des Lebens auf seine physikalische Erschei-nung. Wichtige Aspekte der Wirklichkeit, die durch die Maschen dieser Methodik fallen, wurden tendenziell negiert, weil sie in diesem Denkschema nicht nach-prüfbar waren.

Es kam zu einer beispiellosen Verar-mung der Kultur, da alle Anschauungs-weisen, die sich mit dem Wesen der Dinge befassen, an Bedeutung verloren.

Astrologie, Homöopathie oder Religion sind daher für viele moderne Menschen suspekt, weil sie nicht in das moderne naturwissenschaftliche Weltbild passen und mit diesem auch nicht erklärt wer-den können, obschon dies immer wieder versucht wird.

Einwände gegen die Astrologie

Die moderne Wissenschaft und in der Folge grosse Teile der Gesellschaft lehnen die Astrologie als unwissenschaftlich ab. Diese Abwehrhaltung ist weltanschaulich bedingt. Die ursprüngliche Astrologie basiert auf dem alten Weltbild, welches transzendente Sphären einschliesst. Die moderne, materialistisch ausgerichtete Wissenschaft negiert Metaphysisches. Betrachtet man ihre Einwände gegen die Astrologie, stechen zwei Hauptargumente hervor. Erstens seien keine physikalischen Einflüsse der Planeten auf die Menschen nachweisbar. Physikalische Einflüsse der Planeten sind jedoch aus astrologischer Sicht gar nicht relevant. Die Planeten sind, wie bereits erwähnt, nur die Erschei-nungen von metaphysischen Prinzipien. Ein weiteres Argument lautet, dass durch die Kreiselbewegung der Erdachse die Sternbilder nicht mehr mit dem Tierkreis übereinstimmen würden. Der Tierkreis ist jedoch älter, und die Sternbilder wur-den nach ihm benannt. Die Position der Sternbilder hat überhaupt keine astrolo-gische Bedeutung. Diese Argumente zei-gen, dass sich viele Kritiker nie mit dem Prinzip der Astrologie auseinandergesetzt haben und Vorurteile – höchst unwissen-schaftlich – einfach übernehmen.

Systematische Überprüfungen von astrologischen Daten und Interpretati-onen sind grundsätzlich problematisch. Das Horoskop ist eine Ganzheit, ein sehr komplexes Gebilde. Die durch die statis-tischen Methoden vorgenommene Zer-teilung zerstört diese Einheit. Deshalb ist es schwierig, mit wissenschaftlichen Methoden ein beweiskräftiges Verfahren durchzuführen. Zudem kann sich jeder Astrologe nennen. Bei Untersuchungen über astrologische Interpretationen soll-ten deshalb Vorausscheidungen durchge-führt und nur mit jenen Astrologen wei-tergearbeitet werden, die den Nachweis erbringen, dass sie über das erforderliche

astrologische Wissen verfügen. Wird die-ser Aspekt vernachlässigt, sind Untersu-chungen wertlos. Dasselbe wäre es, mit Laienbefragungen gültige Resultate über die Aussagekraft mathematischer Grund-annahmen erzielen zu wollen.

Trotz der Abwehrhaltung der moder-nen Wissenschaft und den erwähnten Schwierigkeiten gibt es vereinzelte Belege von wissenschaftlichen Überprüfungen astrologischer Interpretationen, die sich als richtig erwiesen haben.

Im Rahmen einer Untersuchung des Freiburger «Instituts für Psychologie und Psychohygiene» analysierten Astrologen aufgrund des Horoskops den Charakter von Persönlichkeiten. Es habe sich dabei eine merkwürdige Sache herausgestellt, wie Professor Hans Bender, Leiter des Institutes, festhielt: «Eine kleine Gruppe von Astrologen lieferte in vielen Fällen blinddiagnostische Analysen, die in ei-ner auffallenden Weise nur aufgrund des Horoskops die betreffende Versuchsper-son überraschend richtig schilderte. Die Analysen der verschiedenen Bearbeiter stimmten miteinander überein.»

Die ursprüngliche Astrologie basiert auf dem alten Welt-bild, welches transzendente Sphären einschliesst. Die moderne, materialistisch ausgerichtete Wissenschaft negiert Metaphysisches.

Der Franzose Michel Gauquelin hat in den 50er-Jahren in breit angelegten Un-tersuchungen positive Ergebnisse über eine gesetzmässige Beziehung zwischen Planetenstand im täglichen Umlauf und hervorragenden Leistungen von Men-schen in bestimmten Berufen gefunden. In statistisch gesicherten Resultaten zeigte sich, dass in grossen Gruppen her-ausragender Militärs Mars signifikant an bestimmten Stellen des Himmels bei der Geburt steht, bei bekannten Schauspie-lern Jupiter, bei anderen Berufsgruppen Saturn. Diese ursprünglich mit 6000 bekannten Persönlichkeiten vorgenom-mene Untersuchung hat sich durch Ver-

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gleichsuntersuchungen mit deutschen, italienischen und holländischen Per-sönlichkeiten bestätigt (M. Gauquelin: Der Einfluss der Gestirne und die Sta-tistik, diverse Publikationen 1957-1972).

Den deutlichsten Hinweis für die Gültigkeit der Astrologie hat wohl Wolfgang Döber-einer erbracht. Er berech-nete das Wetter mehrfach im Voraus und publizierte seine Prognose in der Süd-deutschen Zeitung (auch der Bayrische Rundfunk berich-tete darüber). Dabei erzielten seine Voraussagen eine Ge-nauigkeit von über 90%.

Den deutlichsten Hinweis für die Gül-tigkeit der Astrologie hat wohl Wolfgang Döbereiner erbracht. Er berechnete das Wetter mehrfach im Voraus und publi-zierte seine Prognose in der Süddeut-schen Zeitung (auch der Bayrische Rund-funk berichtete darüber). Dabei erzielten seine Voraussagen eine Genauigkeit von über 90%. Es stellte sich heraus, dass diese Resultate unterschlagen wurden, indem Aufzeichnungen von Fernsehsendungen gegen den Usus innert kürzester Zeit ge-löscht wurden. Dies überrascht nicht, weil der Beweis der Gültigkeit der Astrologie das moderne Weltbild untergraben wür-de. (Hefthinweis: «Astrologische Wetter-prognosen von damals», Buchvertrieb W. Döbereiner, Rudolfstetten).

Durch die Ablehnung der Astrologie entstand ein Vakuum. Neue astrologische Lehren unternahmen den Versuch, sich an der materialistischen Wissenschaft, spe-ziell an der Psychologie anzulehnen, um auf diesem Weg öffentliche Anerkennung

zu erlangen, z. B. in der «psychologischen Astrologie». Dabei wurde die Astrologie auf experimentalpsychologische Weise umgeschneidert. Dies liegt im Bereich des Grotesken, weil hier versucht wird, zwei unvereinbare Prinzipien zusammen-zuschustern. Die moderne Psychologie muss die Erfahrungen einer ursprüng-lichen Astrologie verneinen, weil diese auf dem Begriff «Schicksal» beruht und nicht methodisch vorgeht. Genauso lehnt eine auf ihr ursprüngliches Prinzip hin orientierte Astrologie die Erkenntnisse der auf dem materialistischen Dogma be-ruhenden Psychologie grösstenteils ab.

In der Öffentlichkeit wurde die As-trologie in den letzten Jahrzehnten von Exponenten der so genannten Esoterik vertreten, welche die Astrologie umform-ten. Das im offiziellen Rahmen Denkbare und mit dem bürgerlichen Leben zu Ver-einende wird heute von diesen Vertretern als so genannte Lebenshilfe vermarktet. Die ursprüngliche Bedeutung der Astro-logie, dem Einzelnen einen Zugang zum religiösen Weg – zum Weg zu sich und seiner Bestimmung – zu eröffnen, ging dabei verloren.

Im alten Weltbild waren transzendente Sphären selbstverständlich. Der Mensch fühlte sich in eine höhere Ordnung eingebun-den, Leben und Welt wurden als gottgegeben hingenom-men. Der Astrologe war dazu da, das individuelle Leben in einem grösseren Zusammen-hang zu artikulieren.

Zusammenfassend lässt sich festhal-ten: Der Untergang des Urprinzips der

Astrologie ist, wie oben dargelegt wurde, auf den Wandel des Weltbildes zurück-zuführen. Im alten Weltbild waren trans-zendente Sphären selbstverständlich. Der Mensch fühlte sich in eine höhere Ordnung eingebunden, Leben und Welt wurden als gottgegeben hingenommen. Der Astrologe war dazu da, das individu-elle Leben in einem grösseren Zusam-menhang zu artikulieren. Astrologische Deutung war ein schöpferischer Prozess, der aus dem Moment entstehen musste. Der Ratsuchende begegnete schicksal-haft jenem Astrologen, der ihn in seiner gegenwärtigen Lebenssituation weiter-bringen konnte, der ihm für seine Ent-wicklung Impulse geben konnte. Dem Menschen konnte in dieser Anschauung gar nichts widerfahren, was ihm nicht entsprach, weil sich eine Trennung von Subjekt und Objekt (in diesem Fall vom Ratsuchenden und dem Astrologen) nur theoretisch durchführen lässt und einer methodischen Zerteilung der Wirklich-keit entspricht. Der Mensch und das ihm Begegnende lassen sich nur als Einheit begreifen. Die Astrologie bietet in diesem Sinn die Möglichkeit, dem Einzelnen ei-nen Zugang zu seinem einzigartigen Le-ben zu verschaffen helfen.

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MONATSGESPRÄCH

HK: Paul, man nennt dich einen Philosophen und Welten-bummler…?

PH: Das wird erzählt.

HK: Von wem?

PH: Die Bekannten, die Verwandtschaft…

HK: Hast du eine Botschaft an die Welt?

PH: Für mich ist die Welt heute ein Monopolyspiel, die Wür-fel entscheiden.

HK: Wie soll man das verstehen?

PH: Der Fähigste und der Glücklichste hat alles und die anderen haben nichts.

HK: Wo überall bist du «gebummelt»?

PH: Afrika, Südsee, von Australien über Fidschi, Samoa bis Hawaii. Es war eine paradiesische Reise. In Western Samoa war ich mit einer Häuptlingstochter verlobt.

HK: Hast du sie geheiratet?

PH: Nein, die verheirateten Frauen, die dort leben, sind sehr voluminös, hundert Kilo aufwärts. Als die nötigen Dokumen-te für die Heirat bereit waren, sah ich, dass sie innert Kürze zehn Kilo zugenommen hatte; dann bekam ich Angst. Ich verliess die Insel und kehrte nicht mehr zurück.

HK: Du warst auch Manager bei Black und Decker, Millio-när, Obdachloser. Seit 1993 bist du Barmann. Welches war die beste Zeit?

PH: Das ist jetzt ein bisschen kurz, brèf, aber es stimmt. Es waren einfach verschiedene Phasen in meinem Leben; früher

war ich jung, Karriere orientiert, ich hatte grossen Erfolg, bin schnell aufgestiegen, das machte seinerzeit Spass... Was mir sehr gefallen hat, waren die Jahre als Barmann, besonders die drei Jahre als Bar-Manager in Thailand.

HK: Die anderen Lebensabschnitte gefielen dir nicht?

PH: Mol, doch, absolut, aber ich habe 8 Jahre nichts gear-beitet, und 1993 hatte ich keinen Franken mehr und wurde obdachlos, im Winter schlief ich in Telefonzellen und Parks. Als ich mich auf dem Sozialamt meldete, erzählte ich der So-zialarbeiterin, ich hätte die drei bösen Lose gezogen: Arbeits-, Mittel-, und Obdachlos – sie fand es überhaupt nicht lustig.

HK: War das Leben auf der Strasse hart?

PH: Es war in den Monaten Oktober bis Dezember, du kannst dir vorstellen, das war sehr hart.

HK: Was hat dich die Strasse gelehrt?

PH: In guten Zeiten hast du viele schlechte Freunde, in schlechten vielleicht ein oder zwei gute. Der Glaube an sich selbst macht stark.

HK: Was war deine Aufgabe bei Black und Decker?

PH: Ich war so etwas wie CEO, ich war die Nummer zwei und für alles verantwortlich ausser Verkauf und Marketing.

HK: Warum hast du den Job aufgegeben?

PH: Ich war sieben Jahre verheiratet und eines Abends kam ich heim, öffnete einen Brief – darin war eine Vorladung vom Amt zwecks Scheidung. Ich hatte null Ahnung, wir hatten kei-ne Zwiste, alles funktionierte, auch das Sexleben. Da bekam ich einen Knacks, ich war in einem moralischen Tief und habe den ganzen Bettel hingeschmissen.

Der letzte PhilosophMit Paul Hilpert, ehemalige Nummer 2 der Schweizer Niederlassungdes US-Konzerns Black und Decker, unterhielt sich Hannes Kriesi.

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HK: Seit 13 Jahren arbeitest du als Barmann. Was gefällt dir an dieser Arbeit besonders?

PK: Die Vielfältigkeit… die Menschen, die ich kennen gelernt habe. Ich habe Gäste aus allen sozialen Schichten, jedes intel-lektuelle Niveau ist vertreten.

HK: Was missfällt dir?

PK: Unangenehme Gäste, die aggressiv sind oder solche, die sich richtig schweinisch benehmen, wenn sie betrunken sind.

HK: Als Barmann hat man den direkten Kontakt zur Be-völkerung. Hat sich die Kundschaft in den letzten Jahren verändert?

PH: Schwierig zu sagen, weil ich nur in einem Stadtkreis ge-arbeitet habe, aber ich würde sagen, es ist depressiver gewor-den…. man merkt den Existenzdruck, gerade bei Männern über vierzig. Der frühere Wohlstandsalkoholismus ist von einem Depressionsalkoholismus abgelöst worden. Die Leute sind weniger lustig, weniger ansprechbar. Es ist nicht mehr so locker wie früher.

HK: Schliesst du auf eine entsprechende gesellschaftliche Veränderung?

PH: Ja, schon, wobei ich sagen muss, dass ich keinen Ein-blick in die Jugend-Szene habe, aber sicher gibt es starke Veränderungen. Viele Menschen haben kein Hobby, weil sie sich in der Vergangenheit nur für den Beruf, die Karriere und das Materielle interessierten. Deshalb befinden sich viele in einem Vakuum; besonders jene sind stumpf geworden, die keine gleichwertigen Jobs mehr haben.

HK: Hat sich die Gesellschaft im Allgemeinen gewandelt?

PH: Definitiv, stark. Es kommt vieles hinzu: Ich war früher mir einer Farbigen verheiratet, da nannte man mich einen Bürgerrechtler… die heutige Gesellschaft ist kosmopolitischer geworden, dann kommt die gesamte Drogenszene hinzu, die Arbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, Krieg, die Terrorsze-ne. In unserer Jugend waren diese Dinge inexistent. Früher war es viel friedlicher als heute.

HK: Wo liegt das Problem?

PH: Ich würde sagen, das Problem ist die Konzentrierung vom Kapital. Das Volk, viele Menschen werden gar nicht mehr als solche beurteilt, sondern als Werkzeuge behandelt. Und das ganze materielle Denken, das sich verstärkt hat, ich würde sagen, das haben wir aus den USA übernommen, das überspitzte Profitdenken. Das ist auch bei uns eskaliert. Die Schere zwischen arm und reich geht weiter auf, ich würde sagen, wir haben bald brasilianische Zustände.

HK: Was müsste sich ändern?

PH: Oh, das ist schwierig. (Schweigt) Also, erstmals ist es ja so: In der Schweiz besteht das Parlament nur noch aus Akademi-kern. Früher sagte man, das Parlament müsse eine Vertretung des Volkes sein. Es beginnt dort, dass die Interessen des Volkes nicht mehr gewahrt werden, weil es keine Volksvertreter mehr gibt. Es gibt keine Schreinermeister, keine Bäckermeister mehr. Die handwerklichen Berufe sind weltweit in den Parlamenten nicht mehr vertreten… vielleicht sollten Wirtschaft und In-dustrie auch vom Profitdenken wegkommen. Man berücksich-tigt heute nur den Aktionär; vielleicht sollte man das ergono-mische Denken von einem anderen Gesichtspunkt betrachten. Der Mensch ist immerhin ein Mensch, eine Kreatur, und keine Maschine. Der einzelne Mensch sollte auch bewusster denken, sich mit sich selber befassen und nicht nur gefesselt sein im Alltagsleben.

HK: Was bedeutet ergonomisches Denken?

PH: Die Einstellung, ausschliesslich die Arbeitsleistung zu optimieren und nicht das Wohlbefinden.

HK: Was muss passieren, damit sich etwas verändert?

PH: Also, es tönt brutal, aber ich glaube, dass es weltweit einen absoluten Knall braucht. Sei es Krieg oder eine abso-lute Misere. Ich habe das Gefühl, der Mensch muss absolut ins Elend kommen, dass, wie man so schön sagt, eine geistige Revolution stattfinden kann. Damit der Mensch sieht, dass der bisherige Tramp eigentlich auf eine Art sinnlos war.

HK: Engagierst du dich politisch?

PH: Nein, nur passiv, ich mache mir meine Gedanken. Ich bin gegen jegliche politische Partei, ich tendiere zum Anarchis-mus, wobei ich gegen jede Form von Gewalt bin.

HK: Wählen tust du nicht?

PH: Ich habe früher gewählt und abgestimmt. Jedoch werden durch die Hintertür abgelehnte Vorlagen trotzdem einge-führt… aber wählen tue ich heute nicht mehr, da ich gegen jede politische Partei bin, und ich sehe auch keine fähigen Leute, weil wir haben ja dieses System… so und so viele Frauen, so und so viele von dieser oder jener Partei. Und im Bundesrat ist es immer noch dasselbe, es muss eine Frau sein, zwei oder drei, und die Parteien müssen auch so und so vertreten sein.

HK: Hast du etwas gegen Frauen?

PH: Überhaupt nicht… ich bin gegen die feministische Bewe-gung, aber für die Emanzipation.

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HK: Warum sollen Frauen nicht in den Bundesrat?

PH: Die Frauen sind prädestiniert für Kultur, Bildung und das Sozialwesen. Sonst sehe ich sie nicht. Du siehst ja, was Calmy-Rey macht.

HK: Welcher Mann wäre fähiger als Calmy-Rey?

PH: Ich habe allgemein ein ambivalentes Verhältnis zu Poli-tikern und Politikerinnen, es gäbe viele, die fähig wären, die sind aber alle in der Wirtschaft.

HK: Kennst du eine gute Politikerin?

PH: Seinerzeit Golda Meir, Premier von Israel, und im Mo-ment Condoleeca Rice, das ist eine sehr intelligente Frau. Elisabeth Kopp war auch gut, die hat aber leider einen Fehler gemacht.

HK: Kopp war Justizministerin…

PH: Das war eine Ausnahme, hätte sie das Kulturressort geha-bt, wäre dieser Fehler nicht passiert.

HK: Warum?

PH: Sie hätte das Telefonat nicht gemacht.

HK: Welches ist der beste männliche Politiker der Schweiz?

PH: Atlbundesrat Celio.

HK: Und heute?

PH: Keiner. Fidel Castro ist der einzige mit Charisma, er spricht zudem mehrere Sprachen. Putin hat auch Charisma und ist intelligent. Die guten Frauen und Männer findet man jedoch nicht in der Politik, die findet man in Waisenhäusern, Tierheimen oder Krankenhäusern. Politiker sind schlechte Menschen. Politik ist die «Hure Babylon».

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Die bunten Muster der Sitzbänke passen nicht zu meiner Stimmung. Ich fahre mit

der Üetliberg-Bahn der Sihl entlang. Draussen versinkt die Welt in dichtem Nebel. Im

Abteil sitzen nur wenige Leute. Bei diesem Wetter fahren Grossstädter nicht raus. Nur

eine alte Frau und ein Asylant sitzen still in ihren Bänken. Im Bahnhof Binz steigen

zwei Mädchen ein. Sie schimpfen wie die Spatzen: «Typisch Schweizer, jeder sitzt für

sich in seinem Abteil! In Italien sind alle immer fröhlich und suchen Kontakt.» Ach,

kritische, blonde Jugend! Und wir Erwachsenen, einsam und stumm in unseren Sitzen!

Es passt alles. Unser Abteil ist ein Modell der Gesellschaft. Das nun auf den Üetliberg

fährt. Nach der Waldegg lassen wir die Stadt hinter uns. Da liegt auch schon der erste

Schnee! Ein Reh steht im Wald. Hier ist die Natur noch in Ordnung. Mit jedem Me-

ter wächst die Distanz zur Zivilisation und ihren Krankheiten: Stress, Entfremdung,

Missgunst und Gier. Manchmal wird es mir einfach zuviel. Dann ziehe ich mich in

die Natur zurück. Hier, fern vom hektischen Treiben, umgibt mich der Nebel wie ein

warmer Mantel. Oben angekommen steige ich aus und mache mich auf den Weg zum

Gipfel. Still und ernst sehen mir die steinernen Hirsche vor dem Uto Kulm entgegen.

Ich erklimme den Aussichtsturm, und noch während ich hochsteige, zerreist die Sonne

die Nebeldecke. Etwas überrumpelt von dem plötzlichen Umschwung blicke ich von

der Plattform auf die Stadt. Wie ein faules Tier sonnt sich der Moloch im Strahlenmeer.

Es ist unglaublich schön.

KOLUMNE

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Von Andreas Pfister und Philippe Zweifel

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D as Auftreten von Pandemien ist in zivilisierten Gesellschaften nichts Aussergewöhnliches. Seit 1590 wur-

den dreizehn Seuchenwellen in Interval-len von 10 bis ca. 50 Jahren gezählt. Im 17. Jahrhundert wütete in Europa eine Pestepidemie. Zu Beginn der 1830er Jah-re versetzte die «asiatische Hydra» die Menschen in Angst und Schrecken. Die Vogelgrippe wurde bereits 1878 erstmals festgestellt. Da sie in Norditalien auftrat, nannte man sie die «Lombardische Hüh-nerpest». 1901 trat die Seuche erstmals in Deutschland auf. Im Zusammenhang mit einer Geflügelausstellung in Braun-schweig breitete sich die Infektions-krankheit rasch aus. Neben Deutschland waren auch andere Länder zeitweilig von der Epidemie betroffen. Inzwischen ist der Erreger über die ganze Welt verbrei-tet. 1996 wurde ein hoch pathogenes Vo-gelgrippevirus vom Typ H5N1 aus einer Hausgans in der chinesischen Provinz Guangdong isoliert. 1997 infizierten sich 18 Menschen in Hongkong; sechs von ih-nen starben. Von 2003 bis Juli 2006 sind der Seuche gemäss den Statistiken der Weltgesundheitsorganisation WHO 130 Menschen zum Opfer gefallen.

Verglichen mit den weltweit andert-halb Millionen Opfern, die die Grippe jährlich fordert, scheint diese Zahl tief. Bei den meisten Menschen, die sich mit H5N1 angesteckt haben, konnte zudem ein enger Kontakt zu krankem Geflügel nachgewiesen werden.

Aber die Gefahr einer Pandemie schwebt stärker denn je über der Welt-gemeinschaft: Bis vor kurzem konnte sich das Virus noch nicht effizient von

Mensch zu Mensch bewegen. Anfang Mai steckten sich jedoch in Indonesien acht Mitglieder einer Familie in kürzester Zeit an. Auf dem Weg durch die Familie ist H5N1 mutiert, wie die NZZ am Sonntag

vom 2.7.2006 berichtete. Damit ist der Fall eingetreten, vor dem man sich gefürch-tet hat: ein mutiertes Virus, das sich von Mensch zu Mensch überträgt. Ende Juni hat der Schweizer Bundesrat beschlossen, acht Millionen Dosen eines Vogelgrippe-Impfstoffs für die gesamte Bevölkerung zu beschaffen; der Nationalrat hat dafür anfangs Dezember einen Kredit von 186 Millionen gutgeheissen.

Woher kommt H5N1?

In Zeitungsberichten wird mittlerwei-le häufig die Position vertreten, dass die Geflügelindustrie Ursache für das Virus sei. «Das Virus gedeiht in den Hühner-fabriken», titelte die WOZ vom 16. März 2006. Die Vogelgrippe sei – wie seiner-zeit BSE – nur ein weiterer Skandal der transnationalen Lebensmittelindustrie. Die meisten Fälle von Vogelgrippe träten angeblich im Umfeld der Geflügelindus-trie auf. Diese Vermutung wird bestätigt,

indem verendete Wildvögel in den aller-meisten Fällen in der Nähe von modernen Geflügel-Zuchtanlagen gefunden werden. Die NZZ am Sonntag vom 14.08.2005 be-richtete, dass die Vogelgrippe 1997 in den

Geflügelfarmen Hongkongs ausgebrochen sei. «Zugvögel unschuldig an Vogelgrip-pe», schrieb die NZZ am 6. April 2006. Die hochriskanten Praktiken der internatio-nal agierenden «Hühnerindustrie» seien ideale Voraussetzungen für eine Verbrei-tung von Erregern. Wurden lange Zeit die Zugvögel verdächtigt, für die Verbreitung des Vogelrippe-Virus eine wichtige Rolle zu spielen, so scheint heute bestätigt, dass die Zugvogel-Theorie überschätzt wurde. Schuld an der globalen Verbreitung des H5N1-Virus sei die Hühnerindustrie, meint Roman Weibel, Geschäftsführer der schweizerischen Nutztierschutz-Or-ganisation Kagfreiland: Die Praktiken der international agierenden Branche seien ideale Voraussetzungen für eine Verbrei-tung von Erregern.

Es zeigt sich, dass Tierfabriken ein idealer Nährboden für Viren sind. Diese Haltung vertritt auch Professor Robert Jütte. Der Leiter des Instituts für Ge-schichte der Medizin der Robert-Bosch-

Ursache der VogelgrippeDie Gefahr einer Vogelgrippe-Pandemie steigt. Das Virus hat sich über die ganze Welt verbreitet und überträgt sich von Mensch zu Mensch. Ursache der Seuche ist der verweltlichte Mensch, der glaubt, dass sich die Wirklichkeit auf das sinnlich Wahrnehmbare beschränken lässt. Von Hannes Kriesi

GESELLSCHAFT

Die Gefahr einer Pandemie schwebt stärker denn je über der Weltgemeinschaft: Bis vor kurzem konnte sich das Virus noch nicht effizient von Mensch zu Mensch bewegen. Anfang Mai steckten sich jedoch in Indonesien acht Mitglieder einer Familie in kürzester Zeit an. Auf dem Weg durch die Familie ist H5N1 mutiert.

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Stiftung in Stuttgart schrieb in der NZZ vom 22.Oktober 2005, man werde im Falle der Vogelgrippe feststellen, dass erst durch den Aufschwung der Tierzucht

im 19. Jahrhundert Geflügelseuchen zu einem ernsthaften Problem wurden.

Viele Experten sind wie Professor Jüt-te der Ansicht, dass Geflügelseuchen mit weiteren Merkmalen einer modernen Gesellschaft zusammenhängen. Neben Fleischverarbeitungsfabriken und Mas-sentierhaltung sind auch Urbanisierung und hohe Mobilität hauptverantwortlich für Pandemien wie die Vogelgrippe.

Die Urbanisierung ist in diesem Zu-sammenhang relevant, weil der Auf-schwung der Massen-Tierzucht nicht vom Aufschwung der städtischen Bal-lungszentren, von der Urbanisierung zu trennen ist. Millionenstädte entwickelten sich durch die Zunahme der Beschäftigten in den Sektoren Industrie, Dienstleistung und Informationstechnologie. Heute le-ben mehr als 40% der Weltbevölkerung in Städten, so genannten Megalopolen wie Mexico City, Tokio oder Kalkutta. Die Notwendigkeit der Versorgung von Milli-onen Menschen in urbanen Zonen sowie der ökonomische Zwang steten Gewinn-wachstums – der Kern des Kapitalismus – führten zu einer industrialisierten Nah-rungsmittelherstellung. Die Folge davon sind u. a. Fleischverarbeitungsfabriken mit Massentierhaltung.

Industriell hergestellte Produkte, be-sonders wenn es sich um verderbliche Ware handelt, müssen schnell zum End-verbraucher. Die moderne Wirtschaft beruht auf der raschen Verteilung von Gütern und Nahrungsmitteln. Die dafür benötigten Verkehrsachsen wirken als Katalysator für Pandemien, indem neben Gütern auch Erreger zügig verbreitet wer-

den. Auch im Fall der Vogelgrippe folge die Ausbreitung der Seuche den wichtigs-ten Verkehrsverbindungen, stellt Richard Thomas von Bird-Life International fest.

Das Vogelgrippevirus habe auf seinem Vormarsch von Asien nach Osteuropa im vergangenen Jahr den Landweg ge-nommen. Die Seuche breitete sich ent-lang der Transsibirischen Eisenbahn über Kasachstan, Russland bis nach Rumänien aus. Auch das nigerianische Vogelgrippe-Virus sei per Flugzeug aus Asien gekom-men, schrieb die NZZ am Sonntag vom 12. Februar 2006. Verkehrsachsen werden zu Virenschleudern. Mehr als 1.5 Milli-arden Flugpassagiere jährlich und mehr

als 500 Millionen Grenzübertritte machen jede Abschottung der Landesgrenzen un-möglich.

Alle genannten Merkmale – Fleischver-arbeitungsfabriken, Massentierhaltung, Urbanisierung, hohe Mobilität – sind Folgen des Industriekapitalismus, und

dieser basiert auf der rational-materialen Weltanschauung. Dieser entscheidende analytische Schritt weist darauf hin, dass die (erste) Ursache der Vogelgrippe im materialistischen Weltbild zu orten ist.

Der Zusammenhang zwischen der rational-materialen Haltung und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem ist von unterschiedlichen Standorten aus erkennbar.

Der Kapitalismus steht am Ende eines ca. 2500 Jahre dauernden Rationalisie-rungsprozesses. Transzendente Sphären wurden dabei schrittweise eliminiert. Die bekannten Analytiker der modernen Ge-sellschaft wie Karl Marx, Max Weber oder Jürgen Habermas teilen die Einschätzung, dass der Kapitalismus nur durch die Ver-weltlichung von Mensch und Gesellschaft entstehen konnte. Warum?

In vorkapitalistischen Zeiten, im al-ten Weltbild, wurde eine mehrdimensio-nale Wirklichkeit anerkannt. Neben dem Physischen existierten seelisch-geistige Dimensionen, die als genauso real be-

trachtet wurden wie die sichtbare Welt. Die Menschen glaubten, dass das irdische Leben eine Etappe im ewigen Kreislauf von Wiedergeburten sei. Der Tod bedeute-te also nicht das Ende. Was durch den Tod aufgelöst wurde, war nur der Körper, die Hülle. Nach dem Tod lebte das seelisch-geistige Wesen des Menschen weiter und

Alle genannten Merkmale – Fleischverarbeitungsfabriken, Massentierhaltung, Urbanisierung, hohe Mobilität – sind Folgen des Industriekapitalismus, und dieser basiert auf der rational-materialen Weltanschauung. Dieser entscheidende analytische Schritt weist darauf hin, dass die (erste) Ursache der Vogelgrippe im materialistischen Weltbild zu orten ist.

Die Menschen glaubten, dass das irdische Leben eine Etappe im ewigen Kreislauf von Wiedergeburten sei. Der Tod bedeutete also nicht das Ende. Was durch den Tod aufgelöst wurde, war nur der Körper, die Hülle. Nach dem Tod lebte das seelisch-geistige Wesen des Menschen weiter und verkörperte sich für ein weiteres irdisches Leben. Da die Qualität einer Wiedergeburt in dieser Anschauung davon abhing, wie konsequent seelisch-geistige Werte in den vorherigen Leben befolgt wurden, richteten sie ihr Leben nicht ausschliesslich auf ihr irdisches Wohl aus. Es war wichtig, ethischen Grundsätzen zu folgen, deren Einhaltung seelisch-geistige Fortschritte und damit eine höhere Stufe im nächsten Leben versprach.

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verkörperte sich für ein weiteres irdisches Leben. Da die Qualität einer Wiedergeburt in dieser Anschauung davon abhing, wie konsequent seelisch-geistige Werte in den

vorherigen Leben befolgt wurden, rich-teten sie ihr Leben nicht ausschliesslich auf ihr irdisches Wohl aus. Es war wichtig, ethischen Grundsätzen zu folgen, deren Einhaltung seelisch-geistige Fortschritte und damit eine höhere Stufe im nächsten Leben versprach.

Im Laufe des Rationalisierungspro-zesses löste sich diese «jenseitige» see-lisch-geistige Welt auf. Durch diesen Ver-lust schien es töricht, das Leben auf die

Ewigkeit auszurichten, und der Sinn des Daseins änderte sich grundlegend. Da im neuen Weltbild mit dem Tod alles zu Ende zu sein schien, verlagerte der Mensch sei-

ne Zielsetzungen ausschliesslich auf das Irdische und bemühte sich, das Leben so komfortabel und sicher wie möglich zu gestalten. Der Mensch begann also – im Glauben an die Vergänglichkeit des Le-bens – nach ausschliesslich irdischen Gü-tern zu streben. Diese Entwicklung führte zum Prinzip der endlosen Anhäufung von Kapital – dem Kern des Industriekapita-lismus –, das sich durch alle Ebenen der Gesellschaft zieht.

Dieses Prinzip ist im modernen All-tag allerorts beobachtbar: Die Familien-frau kauft Lebensmittel dort, wo sie am günstigsten sind. Die Unternehmungen müssen immer mehr verdienen; sie un-terliegen dem ökonomischen Zwang steten Gewinnwachstums. Stagniert ihr Gewinn, kauft niemand ihre Aktien. Das Bedürfnis, immer mehr Geld und Güter zu besitzen, zieht sich durch alle Ebenen der Gesellschaft, weil von frühester Kind-heit gelernt wird, dass sich die Wirklich-keit auf das beschränkt, was wir sehen und anfassen können. Zielsetzungen und Halt im Leben beschränken sich durch diese Erziehung auf das Sicht- und Greif-bare – das Materielle.

Um die Auswirkungen dieser Haltung zu verdeutlichen, kann man dem ratio-nal-materialen Menschen Mystiker ge-genüberstellen. Diese gehen von einer mehrdimensionalen Wirklichkeit aus, die transzendente Sphären einschliesst. Ihr Ziel ist es, sich primär in seelisch-geisti-gen Bereichen weiter zu entwickeln und

Der Mensch begann also – im Glauben an die Vergänglichkeit des Lebens – nach ausschliesslich irdischen Gütern zu streben. Diese Entwicklung führte zum Prinzip der endlosen Anhäufung von Kapital – dem Kern des Industriekapitalismus – das sich durch alle Ebenen der Gesellschaft zieht.

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deshalb bewusst auf Materielles zu ver-zichten. Ein bekannter Mystiker aus dem 16. Jahrhundert beispielsweise, Johannes vom Kreuz, lebte in einer stallähnlichen Behausung. Vom Schweizer Niklaus von Flüe wird berichtet, er habe die letzten Lebensjahre nichts mehr gegessen. Ka-tharina von Genua habe während vier Jahren ein grobes Busshemd getragen und auf Fleisch, Obst und schmackhaf-te Speisen verzichtet. Der Verzicht auf materiellen Wohlstand und Genuss war

Das Bedürfnis, immer mehr Geld und Güter zu besitzen, zieht sich durch alle Ebenen der Gesellschaft, weil von frühester Kindheit gelernt wird, dass sich die Wirk-lichkeit auf das beschränkt, was wir sehen und anfassen können. Zielsetzungen und Halt im Leben beschränken sich durch diese Erziehung auf das Sicht- und Greifbare – das Materielle.

für sie ein wichtiger Aspekt auf dem Weg zur geistigen Welt. Ohne diesen Lebens-stil glorifizieren zu wollen, zeigen die Extrembeispiele, dass mit solchen Men-schen keine Industrialisierung und kein Kapitalismus möglich wären. Erst das materialistische Weltbild, das alles Trans-zendente verneint, gab dem modernen Menschen die notwendige ideelle Basis, sich ausschliesslich auf weltliche Ziele zu konzentrieren und das Leben auf eine materielle Sicherheit hin auszurichten.

Der Industriekapitalismus braucht Menschen, die materielle Ziele verfol-gen, die exakt kalkulieren, die Leben und Berufsethos nach bürgerlich-ökono-mischen Kriterien ausrichten. Auch wenn die breiten Massen zu Zeiten der alten Weltanschauung keine Mystiker waren, glaubten sie doch an geistige Sphären, an Wiedergeburt. Diese Anschauung bot ihnen eine Perspektive über das einma-

lige Leben hinaus und liess nicht zu, im kapitalistisch erforderlichen Mass Geld und Güter anzuhäufen.

Betrachtet man nicht die materielle Wirkungskette, die zum Ausbruch einer Viruserkrankung führen kann, sondern die seelisch-geistige Ursache, dann wird ein weiteres Merkmal der modernen Ge-sellschaft beleuchtet: die Tendenz zur Fremdbestimmung des Individuums. Mit dem Untergang des alten Weltbildes liess sich weltliches Recht zunehmend durch-setzen, weil eine Übertragung von Natur-gesetzen auf Mensch und Gesellschaft im neuen Weltbild ausgeschlossen wird. Die moderne Gesellschaft schafft sich ihre Rahmenbedingungen selber. Wich-tige seelisch-geistige Lebensinhalte wie individuelle Bestimmung oder Schicksal sind dabei verloren gegangen. Der heu-tige Mensch muss seine Lebensform den säkularisierten gesellschaftlichen Zwän-gen und Lebensformen anpassen, unter Umständen durch Aufgabe seiner Bestim-mung. Gerade dieser Aspekt birgt eine nicht zu unterschätzende Gefährdung, denn Virulenzen wie die Vogelgrippe sind aus einer seelisch-geistigen Perspektive Ausdruck einer Fremdprogrammierung. Lebt der Mensch nicht seiner Bestim-mung gemäss, sondern führt er z.B. aufgrund gesellschaftlicher Zwänge ein fremdbestimmtes Leben, ist er anfällig für

Auch wenn die breiten Mas-sen zu Zeiten der alten Welt-anschauung keine Mystiker waren, glaubten sie doch an geistige Sphären, an Wieder-geburt. Diese Anschauung bot ihnen eine Perspektive über das einmalige Leben hinaus und liess nicht zu, im kapitalistisch erforderlichen Mass Geld und Güter anzu-häufen.

Viruserkrankungen. Mit anderen Worten: Die kollektive Überlagerung des Individu-ellen führt zu Virulenzen. Die Fremdpro-

grammierung fordert ein Virus, das das fremde Programm zerstört.

Das weltweit zunehmende Auftreten von Viruserkrankungen deutet in dieser Anschauung darauf hin, dass die Struk-turen unserer heutigen Gesellschaft dem Einzelnen den Zugang zu seiner Bestimmung verwehren. Derzeit ster-ben weltweit pro Jahr etwa 52 Millionen Menschen. Rund die Hälfte davon stirbt an infektiösen oder parasitären Erkran-kungen.

Virulenzen wie die Vogel-grippe sind aus einer see-lisch-geistigen Perspektive Ausdruck einer Fremdpro-grammierung. Lebt der Mensch nicht seiner Bestim-mung gemäss, sondern führt er z.B. aufgrund gesellschaft-licher Zwänge ein fremdbe-stimmtes Leben, ist er anfäl-lig für Viruserkrankungen.

Wie oben dargelegt, konnte die Vo-gelgrippe nur durch die industrialisierte Nahrungsmittelherstellung entstehen, die ein integraler Teil des Systems Kapi-talismus ist. Dieses System basiert struk-turell auf einer materialistischen Weltan-schauung, die das Seelische, Geistige und Schicksalhafte eliminieren muss, weil der Mensch, der seine Bestimmung anstrebt, ein äusserst ungeeignetes Wirtschafssub-jekt wäre. Unsere moderne Wohlstands-gesellschaft benötigt den weltlich orien-tierten Bürger, der transzendente Sphären ausschliesst und deshalb einseitig mate-rielle Ziele verfolgt. Ursache der Vogel-grippe ist damit der Mensch, der glaubt, dass sich die Wirklichkeit auf die sinnlich wahrnehmbare Realität beschränkt.

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Buddha sprachAls selbsternannter Erleuchteter durchleuchtet Osho Buddhas Botschaft – mit einleuchtenden Schlüssen. Rezension einer Rezension. Von Dominik Reif

REZENSION

KATJA PETER2005 IMPLOSION PROJECT MASSIV MOSS100X100CM, C-PRINT ON CANVAS @2006 KATJA PETER. ALL RIGHTS RESERVED. Z E I T S C H R I F T F Ü R G E S E L L S C H A F T S F R A G E N

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Bhag»Wahn». Scharlatan. Sex-Guru.

T ypische Bezeichnungen für Osho. So bezeichnend wie «Atheist und Volks-Verblender» seinerzeit für Buddha.

Bezeichnend für uns – sofern wir an sol-cherlei Diffamierungen festhalten und nicht berücksichtigen, dass diese weit mehr über uns aussagen könnten als über den Diffamierten. Widerspiegeln sie doch gemäss Osho unsere eigene Verblendung und unsere Angst vor dem Erwachen.

Buddha hat zwar tatsächlich nie über Gott gesprochen – ein Atheist war er des-halb noch lange nicht. Er hat vielmehr klargestellt, dass alles Reden über Gott unsinnig ist, weil über Gott keinerlei Aus-sagen möglich sind. Und selbst dies zu sa-gen ist gemäss Buddha unsinnig, da auch dies bereits eine Aussage ist. Gott muss erfahren werden. Da hilft kein Glauben. Und schon gar kein Beten. Denn Beten

Meditierende wissen, dass es Geisteszustände gibt, in denen das Denken aufhört – in denen ein ruhig-gelas-sener Zustand erreicht wer-den kann, in dem sich Gött-liches offenbart.

kommt aus tiefster Unwissenheit – aus blossem Aberglauben. Schliesslich ken-nen wir Gott gar nicht. Wie wollen wir also mit ihm kommunizieren? Wir kön-nen genauso gut Selbstgespräche führen. Beten ist blosses Abschieben von Eigen-verantwortung. Betteln.

Meditieren hingegen – Buddhas Aus-Weg – ist von keinerlei Glauben abhän-gig, sondern rein wissenschaftlich: Medi-tierende wissen, dass es Geisteszustände gibt, in denen das Denken aufhört – in denen ein ruhig-gelassener Zustand er-reicht werden kann, in dem sich Gött-liches offenbart. Zwangsläufig. Und zwar

völlig zwanglos. Buddha ist durch und durch Rationalist. In seinen Argumen-tationen lassen sich keinerlei Schwach-punkte finden. Wir brauchen ihm rein gar nichts zu glauben; im Gegenteil: dies wäre ihm höchst suspekt. Stattdes-sen kann er uns vollumfänglich über-zeugen. Zumindest unseren Verstand. Dadurch sind wir gewillt, Buddhas Weg einzuschlagen. Seinen berühmten ziel-losen Weg, auf welchem der Weg selbst das Ziel ist: absichtlich absichtslos. An-fänglich. Bis auch diese Absicht entfällt. Und somit jegliches Verlangen. Und sich ein wunschloses Glücklichsein einstellt. Wodurch wir erfahren, dass Buddha eine Botschaft hat, die über den Verstand hin-ausgeht. Hinein ins Über-Rationale – in eine alles erhellende Wahn-Losigkeit: ins Nir»Wahn»a.

Sinngemäss so erklärt uns Osho gleich zu Beginn von «Buddha sprach», worin Buddhas Vermächtnis liegt. Wobei auf-fällt, dass er dies als ein Gleichgesinnter Buddhas tut. Als einer, der weiss, wovon er spricht. Womöglich als Erwachter. Als ein wahrhaftiger Buddha also. Was zu sein Osho bekanntlich von sich be-hauptet hat. Wobei er beizufügen pflegte, dass sogenannte Erleuchtete stets selbst-ernannte Erleuchtete sind – zwangsläu-fig. Zumindest aus der beschränkten Sicht von uns Noch-Nicht-Erwachten. Denn welche Institution soll es schon ge-ben, die eine Erleuchtung (an)erkennen könnte – ausser der Existenz als Ganzes? Und ausser einem anderen Erleuchte-ten natürlich. Für Buddha, der mit seiner frohen Botschaft, ein Buddha zu sein, die Welt verunsicherte, war dies auch nicht anders.

«Buddha sprach» ist ein Sammel»Su-trium» von 42 gleichnishaften Sutren, die indische Gelehrte 500 n. Bddh. im Auftrag des Kaisers Ming nach China brachten. Osho entschlüsselt diese und ergänzt sie mit Anekdoten aus seinem ei-genen abenteuerlichen Leben und weist uns so auf die entscheidenden Schritte hin, die notwendig sind, um wie Bud-dha zu einem göttlichen Tauge-Nichts

zu werden: zu einem zum Nichts Tau-genden. Buddhistische Kernbegriffe wie «Achtsamkeit», «Achtfacher Pfad», «Mit-te» und eben «Nichts» erklärt uns Osho auf unnachahmlich simple – und gerade dadurch unmittelbar einleuchtende Wei-se. Aufschlussreich auch Oshos Deutung altehrwürdiger Sanskrit-Begriffe, insbe-sondere des Wortes «Bhagwan», das nor-malerweise mit «Gott» übersetzt wird, korrekterweise aber «göttlich» heissen

Wodurch wir erfahren, dass Buddha eine Botschaft hat, die über den Verstand hin-ausgeht. Hinein ins Über-Rationale – in eine alles erhellende Wahn-Losigkeit: ins Nir»Wahn»a.

müsste: von «Bhagwata» – «in einem von Göttlichkeit durchdrungenen Zustand seiend». Osho weist nach, dass «Bhag» nichts anderes als «Vag-ina» bedeutet – und «Wan» dessen männliches «Gegen-Teil». «Bhag-Wan» hiesse demnach soviel wie «Yin-Yang» und meint jemanden, der sämtliche Gegensätze in sich selber aus-geglichen und just dadurch aufgehoben hat und somit die Welt jenseits von allen Trennungen wahr-nimmt – als jemand, oder vielmehr als ein Niemand eben, wie Buddha insistieren würde, der den ruhenden Mittelpunkt in sich selber ge-funden hat:

das Auge im Samsara-Zyklon.

Osho: «Buddha sprach», Goldmanns Taschenbü-cher; Originaltitel: «The Discipline of Transcen-dence»

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Sehr geehrte Redaktion,

so sehr ich mit Ihnen einig gehe, dass der Materialismus, die hektische Betriebsamkeit und das mangelnde eigene Denken bei vielen Menschen masslos ist, empfinde ich Ihre Zeitschrift ebenfalls als masslos, mittelalterlich, unlogisch und unehrlich. Könnten Sie nicht etwas genauer sagen, wie ihre neue Gesell-schaftsordnung organisiert werden soll, was Sie den Leuten wegnehmen wollen und wo die Demokratie abgeschafft wer-den soll?

Die beiden Gesundheitsartikel in der letzten Ausgabe zum Beispiel, mit ihrer Verherrlichung von Astrologie und Alche-mie und der Ablehnung von Rationalität, sind teilweise fast kriminell. Wissen die Verfasser, wie krank frühere Generati-onen waren, wie hoch die Sterblichkeit war? Sollen die Leute eine Kinderlähmung oder etwas Ähnliches durchmachen, um «Krankheit als Teil des eigenen Daseins zu erkennen»? «Die Zeit des Untergangs der Heilkunde» ist für Sie offenbar dort, wo dank moderner Wissenschaft und Einsatz der Hirnzellen die mittlere Lebenserwartung, die bei den Pfahlbauern kaum dreissig Jahre betrug, allmählich zu steigen begann.

Welche Geister Sie mit Ihrer neuen Zeitschrift rufen, zeigt der Leserbrief von Robert Sinner, der den Darwinisten mit unglaublichem, kompliziertem und unbrauchbarem Blabla anhängt, sie seien unehrlich, ihnen gehe es gar nicht um die Evolution. Bei mir ist es einfach so: Ich suche jenseits aller Ide-ologie nach den bestmöglichen konsistenten Erklärungen, die übereinstimmt mit meinen eigenen Überlegungen und den Beobachtungen und Aussagen der Mehrheit von Leuten, die auf einem Gebiet wirklich arbeiten und die ich als vertrauens-würdig erachte. Kann Herr Sinner sich nicht vorstellen, dass andere Leute vielleicht mindestens so ehrlich und gescheit sein könnten wie er? Natürlich soll man lernfähig bleiben, was bei Ihren Autoren hoffentlich mit der Zeit auch der Fall ist.

Ich wünsche Ihnen etwas gemässigtere Autoren, die nicht die ganze, mühsam errungene Aufklärung in der Menschheitsge-schichte rückgängig machen wollen, und die etwas sachkun-diger, logischer, wohlwollender der ehrlichen Wissenschaft gegenüber und der eigenen Unvollkommenheit bewusster sind! Andernfalls füllt Ihre Zeitung keine Lücke.

Mit freundlichem Gruss Hansulrich Hörler 8046 Zürich

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte dies als Leserbrief verstanden wissen.

Die zweite Ausgabe konkretisiert Ihr Anliegen, bessert sich jedoch nicht ihrer argumentativen Herangehensweise. Vom ersten bis zum letzten Artikel dasselbe Lamento: Die Ge-sellschaftsstruktur der Industriestaaten (nur an materiellen Bedürfnissen orientiert) steht scheinbar diametral der indi-viduellen Veranlagung des Menschen, dem Seelischen, Geis-tigen und Schicksalhaften gegenüber. Tote werden sodann gezählt, die scheinbar den immanenten Systemzwängen des (Gesundheits-)Systems des Westens zuzurechnen sind, denn der einzelne Mensch wird krank, weil er in ein System hin-eingezwängt ist, das seiner Veranlagung nicht entspricht. (S. 6.) Die Argumentation unterschlägt aber, dass keine Willkür dahinter (hinter Behandlungsfehlern, Medikamentenfehlern, etc.) steckt, sondern diese vielmehr zu 99% auf Arbeitsüber-lastung und misslungenes Fehlermanagement zurückzufüh-ren sind. Den Infekten, die als Begleiterscheinung eines Spi-talaufenthaltes gehäuft vorkommen, liegen ebenfalls keine willentliche Handlungen oder Unterlassungen des Personals zugrunde; an deren Minimierung /Behebung wird kontinuier-lich gearbeitet. Die unterstellte Folgerung, der Patient ginge kranker als er es bei Eintritt war nach Hause, verschliesst den Blick davor, dass die Primärerkrankung (zum Beispiel ein ge-brochener Oberhalsschenkel bei einer älteren Patientin) unter anderem durch chirurgisches Können behoben wurde. Ein etwaiger auftretender Infekt lässt sich in den meisten Fällen ebenso erfolgreich behandeln. Wo ist also das Problem? Was würde eine verstärkte oder gar eine ausschliessliche Einbe-ziehung des Seelischen, Geistigen und Schicksalhaften an dem Genesungsprozess der Patientin positiv verändert haben? Diese Fakten zeigen also gar nicht das Intendierte, dass näm-lich das Gesundheitssystem morbid ist. Und schon gar nicht, was zum Beispiel daran, dass angeblich vierzehn Prozent der Spitalinsassen in der Schweiz mit einer Infektion nach Hause gehen, die Ursache ist. Die wird dem Artikel gemäss als die rational-materiale Maxime der Medizin sowie die strukturelle Verflechtung von Gesundheitswesen und Wirtschaft benannt. Das ist hanebüchener Nonsens. Nun als Fazit Tote gegen Tote. Die Redaktion will ja nicht der Freigabe von Waffen (in den USA) das Wort reden. Zum Glück. Und eben darum hat der Text von Charles Heston nichts in Ihrem Heft verloren. Unschuldige Waffenbesitzer? 1%? Dennoch belaufen sich die Toten auf eine gute halbe Million, die jährlich durch Handfeuerwaffen getötet werden. Es sei eine Analogie angebracht: Durch den Einsatz von Antibiotika sollen jährlich Tausende Menschen sterben, Millionen aber wird die Gesundheit wieder hergestellt, oft-mals das Leben gerettet. Durch Waffeneinsatz werden wie viele Menschen gerettet? Eben. Eine Waffe hat also weder mit Meinungsfreiheit und noch mit dem Recht darauf zu tun. Eine Waffe ist hochgradig letal. Immer.

Mit besten Grüssen! Anton Distler, Laupen

LESERBRIEFE

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