8
20.4.2 Genetische Veränderung durch Anwendung der ICSI-Technik? Unmittelbar nach Entwicklung der ICSI-Technik wurde sehr kontrovers diskutiert, ob es bei Anwendung dieser neuen Technologiezu einer Häufung kindlicher Fehlbil- dungen kommen könne. Hierzu liegen inzwischen um- fangreiche Untersuchungen vor. Tatsächlich ist der Anteil von Kindern mit Fehlbildungen nach Anwendung der ICSI-Technik etwas höher als nach Spontankonzeptionen bzw. Konzeption nach IVF. Dies scheint jedoch weniger auf die Methode als solche zurückzuführen zu sein, als vielmehr darauf, dass Paare, bei denen die ICSI-Technik zum Einsatz kommt, ein grundsätzlich anderes geneti- sches Risiko mitbringen. Auf diese Frage wird detailliert in Kap. 9 eingegangen. 20.4.3 Erfolgsraten Die Erfolgsraten der ICSI-Therapie sind unmittelbar ver- gleichbar mit den Erfolgsraten der konventionellen IVF. So lassen sich auch bei dieser Methode durchschnittlich Schwangerschaftsraten in der Größenordnung von 30 % pro Behandlungszyklus erzielen (Abb. 20.15). Es zeigt sich die gleiche Altersabhängigkeit wie im Falle der kon- ventionellen IVF-Therapie, ebenso sind die Abortraten vergleichbar. Bedenkt man, dass mit der ICSI-Technik überwiegend Paare behandelt werden, die aufgrund des ausgeprägten andrologischen Faktors weder spontan noch in der konventionellen IVF eine realistische Chance auf den Eintritt einer Schwangerschaft hätten, kann die Einführung der ICSI als revolutionärer Durchbruch in der Fortpflanzungsmedizin angesehen werden. 20.5 Kryokonservierung von Pronukleusstadien C. Keck, B. Nitz Das Ziel der konventionellen IVF- bzw. ICSI-Therapie be- steht darin, genügend Eizellen zu gewinnen, um 13 qua- litativ hochwertige Embryonen in den frühen Entwick- lungsstadien in den Uterus zu transferieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen durchschnittlich 510 Eizellen gewonnen werden. Kommt es nun zur Befruchtung von aus: Keck u. a., Kinderwunschbehandlung in der gynäkologischen Praxis (ISBN 9783131716712) © 2014 Georg Thieme Verlag KG g i h j 20.5 Kryokonservierung von Pronukleusstadien 20 263

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20.4.2 Genetische Veränderungdurch Anwendung der ICSI-Technik?Unmittelbar nach Entwicklung der ICSI-Technik wurdesehr kontrovers diskutiert, ob es bei Anwendung dieser„neuen Technologie“ zu einer Häufung kindlicher Fehlbil-dungen kommen könne. Hierzu liegen inzwischen um-fangreiche Untersuchungen vor. Tatsächlich ist der Anteilvon Kindern mit Fehlbildungen nach Anwendung derICSI-Technik etwas höher als nach Spontankonzeptionenbzw. Konzeption nach IVF. Dies scheint jedoch wenigerauf die Methode als solche zurückzuführen zu sein, alsvielmehr darauf, dass Paare, bei denen die ICSI-Technikzum Einsatz kommt, ein grundsätzlich anderes geneti-sches Risiko mitbringen. Auf diese Frage wird detailliertin Kap. 9 eingegangen.

20.4.3 ErfolgsratenDie Erfolgsraten der ICSI-Therapie sind unmittelbar ver-gleichbar mit den Erfolgsraten der konventionellen IVF.So lassen sich auch bei dieser Methode durchschnittlichSchwangerschaftsraten in der Größenordnung von 30%

pro Behandlungszyklus erzielen (▶Abb. 20.15). Es zeigtsich die gleiche Altersabhängigkeit wie im Falle der kon-ventionellen IVF-Therapie, ebenso sind die Abortratenvergleichbar. Bedenkt man, dass mit der ICSI-Techniküberwiegend Paare behandelt werden, die aufgrund desausgeprägten andrologischen Faktors weder spontannoch in der konventionellen IVF eine realistische Chanceauf den Eintritt einer Schwangerschaft hätten, kann dieEinführung der ICSI als revolutionärer Durchbruch in derFortpflanzungsmedizin angesehen werden.

20.5 Kryokonservierung vonPronukleusstadienC. Keck, B. Nitz

Das Ziel der konventionellen IVF- bzw. ICSI-Therapie be-steht darin, genügend Eizellen zu gewinnen, um 1–3 qua-litativ hochwertige Embryonen in den frühen Entwick-lungsstadien in den Uterus zu transferieren. Um diesesZiel zu erreichen, müssen durchschnittlich 5–10 Eizellengewonnen werden. Kommt es nun zur Befruchtung von

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mehr Eizellen, als im gleichen Zyklus auf die Frau über-tragen werden sollen, besteht die Möglichkeit der Kryo-konservierung.

HMerkeIn Deutschland werden – entsprechend dem Embry-onenschutzgesetz (ESchG) – überwiegend befruchteteEizellen im sog. Pronukleusstadium kryokonserviert unddamit unmittelbar vor Erreichen des eigentlichen Em-bryonalstadiums.

Die Kryokonservierung der PN-Zellen erfolgt heute über-wiegend mit vollautomatisierten computergestützen Sys-temen. Die Zellen werden zuvor mit kryoprotektivemMedium behandelt, um ein Absterben während des Ein-frier- und Auftauvorgangs zu verhindern. Anschließendwerden die PN-Zellen in sog. Straws, d. h. spezielle Plas-tikbehältnisse, eingebracht und in dieser Form mit einemgraduellen Einfrierverfahren bis auf –196 °C herunter-gekühlt. In dieser Form können die Zellen dann in flüssi-gem Stickstoff gelagert werden.

Grundsätzlich ist die Lagerung zeitlich unbegrenztmöglich, da sich die Zellen bei –196 °C in Funktionsruhebefinden. Jedoch liefert die Literatur Hinweise darauf,dass die Zellen bei überdurchschnittlich langer Lagerung(> 10 Jahre) doch Schaden nehmen können. Sowohl fürdas Einfrieren als auch das Auftauen der Zellen scheint esvon besonderer Bedeutung zu sein, dass die Temperatur-differenzen, denen die Zellen ausgesetzt sind, exakt defi-niert und zeitlich begrenzt werden. Dies ist mithilfe dergraduellen Einfrier- und Auftauverfahren leicht umsetz-bar.

Als Alternative dazu wird heute von vielen Arbeits-gruppen das sog. Vitrifikationsverfahren angewendet. Da-bei handelt es sich um ein ultraschnelles Einfrierverfah-ren, bei dem die Zellen im entsprechenden Medium in-nerhalb kürzester Zeit bis auf –196 °C abgekühlt werden.Dieses Einfrierverfahren scheint sich insbesondere auchzur Kryokonservierung unbefruchteter Eizellen zu eignen.Ob es einen generellen Vorteil zur Kryokonservierungvon PN-Zellen darstellt, wird derzeit kontrovers dis-kutiert.

aus: Keck u. a., Kinderwunschbehandlung in der gynäkologischen Praxis (ISBN 9783131716712)© 2014 Georg Thieme Verlag KG

504540353025201510

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ET (%

)

Abor

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S (%

)

Es wurden nur prospektiv erfasste Daten verwendet.

≤ 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43

(777

)36

,04

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36)

36,0

4

(579

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97

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4

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(2.0

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4

(1.9

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3

(1.3

76)

34,5

2

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27)

38,0

5 n [ET]Klin. SS/ET [%]

≥ 44

(265

)35

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Alterin Jahren

Punktion

* In der Menge gesamt ist ein Fall mit unbekannter Altersangabe enthalten (4 gew. Eizellen, 3 inj., 1 Klin. SS).

Gew. Eizellen(MW)

Injektion(MW)

Transf. Transf./Pkt. %

Transf./Emb.(MW)

Klin. SS Klin. SS/Pkt. %

Klin. SS/ET %

Klin. SS/ET bei 2 transf. Emb. u.mind. 2 PN im

Überschuss36,1434,3326,1514,00

28,33

39,0738,0030,7219,48

33,66

33,5831,9323,7912,05

25,80

1,992,002,032,05

2,00

92,9393,0290,9786,07

91,09

9,738,746,925,11

7,59

12,2210,89

8,626,35

9,46

1.6193.4683.171

678

8.937

4.48010.10212.124

4.844

31.551

4.82110.86013.327

5.628

34.637

≤ 2930–3435–39

≥ 40

Gesamt*

≤ 2930–3435–39

≥ 40

Gesamt*

(430

)36

,74

(596

)37

,75

Jahre

Behandlungsergebnisse in Abhängigkeit vom Alter der FrauICSI–2011

Aborte/Klin. SS in %Klin. SS/ET in %

Abb. 20.15 Erfolgsraten nach ICSI, Auszug aus dem DIR-Register (ET: Embryotransfer; MW: Mittelwert; SS: Schwangerschaft) (Quelle:[23]).

Reproduktionsmedizinische Methoden

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20.5.1 Vorbereitung des Endomet-riums im AuftauzyklusSollen kryokonservierte PN-Zellen aufgetaut und an-schließend in die Gebärmutter eingesetzt werden, kanndies im natürlichen Zyklus geschehen. In diesem Fall musseine gute Synchronisation des Embryotransfers mit demphysiologischen Zyklusverlauf sichergestellt sein.

ZPraxistippEin entsprechendes Zyklus-Monitoring ist obligat, beidem durch Ultraschalluntersuchung und Hormonana-lysen die Follikelreifung, Ovulation und die Gelbkörper-phase sehr genau untersucht werden. Dies ist deshalbvon großer Bedeutung, da der Embryotransfer zu einemZeitpunkt stattfinden muss, an dem rezeptives Endome-trium verfügbar ist, d. h., der Embryotransfer findet typi-scherweise 2 Tage nach der Ovulation statt.

Dieses Vorgehen kann zwar als „natürlichste“ Form desAuftauzyklus bezeichnet werden, stellt jedoch sowohl diePatientin als auch den Arzt vor gewisse Herausforderun-gen, die sich insbesondere auf das perfekte Timing bezie-hen. Aus diesem Grund wird von den meisten Arbeits-gruppen die Vorbereitung des Endometriums im Auftau-zyklus mithilfe einer Hormonsubstitution (HRT) gestaltet,d. h., die Patientin erhält zunächst ab Zyklusbeginn Öst-radiol. Sobald das Endometrium dann nach etwa 10–12Tagen eine entsprechende Höhe und Schichtung (trilami-när) erreicht hat, kann durch zusätzliche vaginale Proges-terongabe die Dezidualisierung herbeigeführt werden,um anschließend den Embryotransfer vorzunehmen.

Wir behandeln die Patientin ab dem 2. oder 3. Zyklus-tag mit 4–6mg Östradiolvalerat und führen am 10.–12.Zyklustag eine Ultraschalluntersuchung durch. Sofern diegenannten Kriterien erfüllt sind, werden dann zusätzlichzum Östradiolvalerat 600mg Progesteron vaginal pro Tagverabreicht. Der Embryotransfer findet am 4. Tag nachBeginn der Progesterongabe statt (▶Abb. 20.16).

Neben dem natürlichen Zyklus und dem HRT-Zykluskommt grundsätzlich auch eine niedrigdosierte ovarielleStimulation zur Vorbereitung des Auftauzyklus infrage.Dabei geht man analog zur ovariellen Stimulation vorVZO bzw. AIH vor, d. h., man kann entweder durch Gabevon Clomifen oder niedrigdosierten Gonadotropinen dieEizellreifung, Ovulation und Lutealfunktion unterstützen.Dieses Vorgehen bietet jedoch keinen signifikanten Vor-teil gegenüber der Endometriumvorbereitung durch HRT.

HMerkeDarüber hinaus muss beachtet werden, dass es grund-sätzlich durch die ovarielle Stimulation auch zu einerSpontanschwangerschaft kommen könnte. Dies würdeim Extremfall bei Transfer kryokonservierter PN-Zellen zueiner Simultanschwangerschaft und damit zu einerMehrlingsschwangerschaft führen. Hierüber muss diePatientin aufgeklärt werden.

Wir empfehlen aus den genannten Gründen den Embryo-transfer nach Hormonsubstitution. Für die Fortsetzungder Lutealphasenunterstützung nach Embryotransfer bzw.bei Eintritt der Schwangerschaft gelten die gleichenGrundsätze wie in der IFV/ICSI-Behandlung.

20.6 BlastozystenselektionC. Keck, B. Nitz

Die Blastozystenselektion wurde vor einigen Jahren alsweiterer Meilenstein in der Reproduktionsmedizin be-zeichnet. Das Grundprinzip besteht darin, dass nach IVFoder ICSI die fertilisierten Eizellen nicht am 2. oder 3. Tagtransferiert werden, sondern sie werden einer Embryo-kultur über einen Zeitraum von 5 Tagen unterzogen, bissie sich zum Stadium der Blastozyste entwickelt haben. Indiesem Entwicklungsstadium wird dann der Embryo-transfer vorgenommen (▶Abb. 20.17). Bei dieser verlän-

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1 5 9 10 12 13

Estradiolvalerat 4–6 mg/d oral

Progesteron 600 mg/d vaginal

Embryotransfer

Ultraschall/Blutentnahme

Zyklustag

Ultraschall/Blutentnahme

Abb. 20.16 Hormonsubstitutionszykluszum Kryo-Embryotransfer (BE: Blutentnah-me zur Hormonbestimmung; US: Ultra-schalluntersuchung).

20.6 Blastozystenselektion

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gerten Embryokultur stirbt ein Teil der fertilisierten Eizel-len ab, sodass durchschnittlich von 10 fertilisierten Eizel-len nur etwa 3–4 das Stadium der Blastozyste erreichen.Werden diese Zellen am 5. Tag nach Eizellentnahmetransferiert, führt dies mit sehr hoher Wahrscheinlichkeitzu einer Schwangerschaft.

Nach Einführung dieser Methode kam es zu kontrover-sen Diskussionen, wie dieses Vorgehen mit dem deut-schen ESchG von 1991 im Einklang zu bringen sei [13].Nach dem ESchG dürfen nur so viele Zellen befruchtetwerden, wie im gleichen Zyklus der Frau transferiert wer-den sollen. Nach sehr strenger Auslegung würde dies be-deuten, dass von vorneherein z. B. nur 2 befruchtete Eizel-len kultiviert werden, wenn die Patientin den Transfervon 2 Embryonen wünscht. Inzwischen hat sich nahezuflächendeckend der sog. „deutsche Mittelweg“ etabliert.

20.6.1 „Deutscher Mittelweg“Der Begriff „Mittelweg“ rührt daher, dass der behandeln-de Arzt nach individuellen Kriterien der Patientin (Alter,Art der Unfruchtbarkeit, ovarielle Reserve) mit dem Paargemeinsam entscheidet, wie viele befruchtete Eizellen (2PN-Zellen) über 5 Tage kultiviert werden, um letztlich 1–2 Embryonen im Blastozystenstadium transferieren zukönnen. Würde man – ungeachtet des Alters der Patientinetc. – in allen Fällen lediglich 2–3 fertilisierte Eizellenüber 5 Tage kultivieren, könnte für viele Patientinnenüberhaupt kein Embryotransfer stattfinden, da geradediese 2–3 Zellen während der Kultur absterben. Bei älte-ren Patientinnen werden daher tendenziell mehr PN-Zel-len kultiviert als bei jüngeren Frauen, da sich ohnehinnur ein relativ geringer Prozentsatz bis zum Blastozysten-stadium weiterentwickeln wird. Durch dieses Vorgehenkönnen unter Beachtung des ESchG auch für Patientinnenmit ungünstigen Ausgangsvoraussetzungen gute Schwan-gerschaftsraten erzielt werden.

Um eine optimale Auswahl treffen zu können, wird vonvielen Gruppen heute zusätzlich die sog. Embryoscope-Technik verwendet. Dabei handelt sich um spezielle Inku-batoren, die eine quasi kontinuierliche optische Überwa-chung der Embryonalentwicklung ermöglichen. Auf dieseWeise lässt sich relativ leicht identifizieren, welche Em-bryonen schon zu einem frühen Zeitpunkt degenerierenund welche sich zu vitalen Blastozysten weiterentwickelnwerden.

ZPraxistippVor diesem Hintergrund wird deutlich, dass auch unterBeachtung des relativ strengen Deutschen ESchG beiAnwendung moderner wissenschaftlicher Methodenselbst für Patientinnen mit ungünstiger Ausgangsvoraus-setzung optimale Erfolgschancen erzielt werden können.Eine Behandlung im Ausland bietet – entgegen landläufi-ger Meinung vieler Paare – somit keine grundsätzlichenVorteile, sondern ist allenfalls mit höherem logistischemAufwand und bisweilen auch deutlich höheren Kostenverbunden. Dies sollte bei der Beratung der Paare the-matisiert werden.

20.6.2 Intrazytoplasmatischemorphologisch selektierteSpermieninjektion (IMSI)Unter den neuen reproduktionsmedizinischen Technikenwird immer wieder auch die Anwendung der intrazyto-plasmatischen morphologisch selektierten Spermienin-jektion (IMSI) propagiert. Diese Technik wird z. T. als Me-thode empfohlen, um qualitativ hochwertige Spermienmithilfe eines hochauflösenden Mikroskops (6 000-fache

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a b

Abb. 20.17 Blastozystenselektion.a Blastozyste 5 Tage nach IVF.b Der Embryo „schlüpft“ am 6. Tag nach Fertilisation.

Reproduktionsmedizinische Methoden

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Vergrößerung) zu identifizieren, um diese Spermien fürdie ICSI-Behandlung einzusetzen.

Bis heute konnte der Vorteil dieses Vorgehens in keineraussagekräftigen Studie nachgewiesen werden. Vielmehrist inzwischen klar, dass die meisten Defekte, die man mitder IMSI-Technik zu erkennen glaubt, auch mit konven-tioneller lichtmikroskopischer Analyse nachweisbar sindund dass erfahrene Biologen mit der konventionellenTechnik ebenso gute Erfolge erzielen wie mit der IMSI-Technik. Man muss somit kritisch hinterfragen, ob diesesVerfahren eher aus ökonomischen oder tatsächlich auswissenschaftlich medizinischen Gründen angeboten wird.In jedem Fall handelt es sich bei der IMSI-Methode der-zeit um ein experimentelles Verfahren, das nicht zu Las-ten der Krankenkassen abgerechnet werden kann. DiePaare sollten bei Anwendung dieser Technik entspre-chend aufgeklärt werden.

MFazitReproduktionsmedizinische Behandlungen werden inDeutschland mit hohem medizinischem Standard undguten Erfolgsraten durchgeführt. Zu den wichtigstenreproduktionsmedizinischen Behandlungen gehören dieIUI, die konventionelle IVF sowie die ICSI. Bei den Ver-fahren der extrakorporalen Fertilisation kommt in vielenFällen zusätzlich die Kryokonservierung befruchteterEizellen zum Einsatz. Die IUI kann sowohl im natürlichenZyklus als auch mit ovarieller Stimulation durchgeführtwerden. Die IVF/ICSI-Behandlung wird nahezu aus-schließlich nach ovarieller Stimulation mit Gonadotropi-nen durchgeführt.

Die durchschnittlichen Schwangerschaftsraten pro Be-handlungszyklus bei Anwendung dieser Methoden be-tragen:● 10% für die Insemination● 30% für die IVF● 30% für die ICSI● 20–25% mit kryokonservierten Eizellen

Eine Behandlung im angrenzenden Ausland bietet imVergleich zu deutschenIVF-Zentren keinen grundsätz-lichen Vorteil, insbesondere keine höheren Schwanger-schaftsraten. Durch Anwendung des sog. deutschenMittelweges und Einbeziehung moderner reproduktions-medizinischer Verfahren lässt sich auch hierzulande fürPaare mit ungünstigen Ausgangsvoraussetzungen einegute Schwangerschaftsrate erzielen.

Auf die Polkörperdiagnostik (PKD) (▶Abb. 20.18) so-wie die PID wird in Kap. 20.9 eingegangen. Ebenso wer-den Behandlungsmöglichkeiten, die hier in Deutschlandnicht zugelassen sind, jedoch im Ausland zur Anwen-dung kommen, an anderer Stelle (Kap. 23.5) diskutiert.

20.7 ImmunmodulatorischeBehandlungsstrategienS. Segerer

20.7.1 GrundlagenEine Schwangerschaft stellt aus immunologischer Sichtein ungeklärtes Paradoxon dar: Neben einem ausreichen-den Schutz gegen potenziell pathogene Keime muss dasmütterliche Immunsystem gewährleisten, dass der sichentwickelnde, semiallogene Fetus nicht als „fremd“ er-kannt und abgestoßen wird. Es wird postuliert, dass inder Schwangerschaft ein optimales immunologisches Mi-kromilieu entsteht, das sich durch eine mütterliche Tole-ranz gegenüber der limitierten, gerichteten Invasion dersemiallogenen plazentaren Trophoblastzellen auszeichnet[51]. Hormonelle Faktoren (hCG, Progesteron, Glukokorti-koide), aber auch weitere Signalmoleküle wie Zytokine(TGF-β [TGF: Transforming Growth Factor], MIC-1 [MIC:Macrophage Inhibitory Cytokine-1]) scheinen hier einenbedeutenden modulatorischen Einfluss auf die Immun-zellpopulationen in der Frühschwangerschaft zu besitzen[66].

In der Frühschwangerschaft kann zudem zahlenmäßigein deutlicher Anstieg der Immunzellen im dezidualisier-ten Endometrium beobachtet werden. Die hier dominie-rende Zellpopulation (etwa 70%) bilden uterine natürli-che Killerzellen (uNK-Zellen), die sich durch die Sekretionvon Wachstumsfaktoren (z. B. Vascular EndothelialGrowth Factor [VEGF], Endothelial Growth Factor [EGF],Angiopoetin) auszeichnen und damit möglicherweiseeine wichtige Rolle bei der Angiogenese und Plazentationspielen [17]. Weiterhin scheinen Monozyten/Makropha-gen-Populationen (20%), die im dezidualen Gewebe häu-fig in engem Kontakt mit uNK Zellen zu finden sind, einewichtige Rolle als Mittler zwischen der unspezifischen,angeborenen und der spezifischen, erworbenen Immun-antwort zu spielen [40].

Welche Faktoren das vermehrte Auftreten der Immun-zellen in der Frühphase der Schwangerschaft bewirken,ist bislang nicht bekannt. Es konnte jedoch nachgewiesenwerden, dass uNK-Zellen und Monozyten in situ eine auf-fällig hohe Proliferationsrate aufweisen [40]. Als eineweitere mögliche Erklärung für den lokalen Anstieg vonImmunzellen wird die Rekrutierung dieser Zellen ausdem peripheren Blut diskutiert. Analog zu lokalen Ent-zündungsprozessen scheinen lösliche Faktoren wie Zyto-kine und Chemokine eine entscheidende Rolle bei derenInfiltration zu spielen [8].

Als mögliche Ursache wiederholter Fehlgeburten wer-den auch gestörte Immunreaktionen in der Frühschwan-gerschaft diskutiert. Ob die Inflammation per se bei die-sen Patientinnen pathologisch gesteigert ist oder einespezifische Abwehrreaktion gegen die eindringenden Pla-

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20.7 Immunmodulatorische Behandlungsstrategien

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zentazellen ausgelöst wird, ist bisher völlig ungeklärt.Derzeit existieren überwiegend experimentelle Therapie-ansätze, die auf die Generierung eines Immunmilieus ab-zielen, das eine Toleranzentwicklung gegenüber dem se-miallogenen Fetus induziert.

Im Folgenden soll auf einzelne Therapiestrategien, ihremöglichen Chancen, aber auch Risiken eingegangen wer-den (▶ Tab. 20.1).

20.7.2 TherapiestrategienSeminalplasmaTierexperimentelle Studien konnten nachweisen, dass Se-minalplasma (▶Abb. 20.19) eine wichtige Rolle in derfrühen Embryonalentwicklung und Implantation spielenkönnte. So konnte in Mausexperimenten gezeigt werden,dass bei Durchführung einer Insemination oder eines Em-bryotransfers ohne gleichzeitige Gabe von Seminalplasma

die Implantationsrate deutlich geringer war [25]. Immun-modulatorische Substanzen im Seminalplasma wie TGF-βund Prostaglandin E scheinen hierbei bedeutenden Ein-fluss zu haben. Es wird postuliert, dass diese Faktoren po-tenziell destruktive Immunantworten dämpfen. TGF-βscheint auch beim Menschen durch Modulation der Im-munantwort im zervikalen Gewebe einen bedeutendenEinfluss zu haben.

Eine Bedeutung des Seminalplasmas im Rahmen derassistierten Reproduktion wurde ebenfalls bereits unter-sucht. Bislang gibt es jedoch nur widersprüchliche Ergeb-nisse: Einige Studien konnten einen günstigen Einflussvon Seminalplasma bzw. einer Insemination vor Embryo-transfer mit gesteigerter Implantationsrate nachweisen,während in anderen Untersuchungen kein positiver Ef-fekt berichtet wurde.

Im Rahmen einer prospektiv-randomisierten Multicen-ter-Kontrollstudie durch spanische und australische Zen-tren wurde zudem untersucht, ob Geschlechtsverkehr vor

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a

c

b

d

Abb. 20.18 Polkörperdiagnostik.a Befruchtete Eizelle; beide Polkörper sichtbar.b Eröffnung der Zona pellucida mittels Lasertechnik.c Entnahme beider Polkörper mit der Pipette.d Beide Polkörper konnten gewonnen und der genetischen Analytik zugeführt werden.

Reproduktionsmedizinische Methoden

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Tab. 20.1 Immunmodulatorische Therapieoptionen.

Therapieoption Theorie Schwangerschafts-/Lebendgeburtrate

Risiken

Seminalplasma TGF-β-induzierte Steigerung derImmuntoleranz (Sharkey et al.2012)

Heterogene Studienergebnisse: Infektionen (horizontaleTransmission)● Chicea R et al. 2013: SSR ↑

● Qasim et al. 1996: SSR →● Marconi et al. 1989: SSR ↑

Glukokortikoide Senkung der Anzahl der uNK-Zellen (Quenby et al. 2005)

Cochrane-Analyse, Boomsa et al.2012: SSR →

Infektionen, Störung der Blut-zuckerregulation u. a.

TNF-α-Inhibitoren Neutralisierung der negativenEffekte auf den Embryo bei Im-plantation (Chaouat et al. 1990)

Nicht placebokontrollierte Ergebnisse: Infektionen, Lymphome,potenziell teratogen● Winger u. Reed 2008: SSR ↑, LGR

G-CSF Förderung der Entwicklung unddes Metabolismus der Tropho-blasten (McCrancken et al. 1996)

Scarpellini et al. 2009: LGR ↑ Exanthembildung, Leuko-zytose, potenziell teratogen

aktive Immunisierung Toleranzinduktion bzw. Unter-drückung der alloimmunenAbstoßungsreaktion

● Porter et al. 2006: SSR →● Würfel et al. 2001: SSR ↑● Stephenson et al. 2010: SSR →

Infektionen, HLA-Sensibilisie-rung, transfusionsassoziierteGraft-versus-Host-Disease

passive Immunisierung

LeukoNorm®

G-CSF: Granulozytenkolonie-stimulierender Faktor; HLA: Human Leucocyte Antigen; LGR: Lebendgeburtenrate; SSR: Schwanger-schaftsrate

bzw. bis zu 2 Tage nach Embryotransfer im Rahmen einesIVF-Zyklus einen positiven Einfluss auf die Schwanger-schaftsrate haben könnte [72]. Dabei konnte zwar nach-gewiesen werden, dass der Anteil der vitalen Embryonenum die 6.–8. SSW höher war in der Gruppe der Frauenmit Geschlechtsverkehr, jedoch konnte kein signifikanter

Unterschied in der absoluten Schwangerschaftsrate deruntersuchten Gruppen festgestellt werden.

Anhand der derzeitigen Datenlage kann somit nur ge-folgert werden, dass Seminalplasma möglicherweise einewichtige Rolle während der frühen Implantationsphasespielt. Um explizite therapeutische Empfehlungen bei

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Cavum uteri

Zervix

Dezidua

Abb. 20.19 Seminalplasma: Immunmodu-latorische Faktoren im Seminalplasma wieTGF-β beeinflussen das zervikale Immun-system, indem die Zytokinsynthese und dieLeukozytenrekrutierung angeregt werden.

20.7 Immunmodulatorische Behandlungsstrategien

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Page 8: 20.5 Kryokonservierung von Pronukleusstadien · 2018. 11. 14. · 20.4.2 Genetische Veränderung durch Anwendung der ICSI-Technik? Unmittelbar nach Entwicklung der ICSI-Technik wurde

Maßnahmen der assistierten Reproduktion geben zu kön-nen, müssen jedoch erst weitere Studien folgen. Zumin-dest sollte von Geschlechtsverkehr im Rahmen des IVF-Zyklus nicht generell abgeraten werden [72].

GlukokortikoideGlukokortikoide (▶Abb. 20.20) sind in der Lage, die zellu-läre und humorale Immunantwort über die reduzierteFreisetzung proinflammatorischer Mediatoren zu suppri-mieren. Auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Im-munzellen in der Frühschwangerschaft scheinen Gluko-kortikoide modulatorische Effekte zu besitzen. Studienkonnten zeigen, dass eine orale Gabe von 20mg Predni-solon vom 1.–21. Zyklustag die Anzahl der uNK-Zellen beiFrauen mit wiederholten Aborten reduziert [59]. Ob hier-

durch auch die Rate an wiederholten Aborten gesenktwird, ist bislang nicht geklärt. Derzeit existieren lediglicheinzelne Fallberichte, die auf einen möglichen positivenEffekt von Prednisolon hinweisen.

In einer aktuellen Cochrane-Analyse wurde weiterhinuntersucht, ob eine Gabe von Glukokortikoiden die Im-plantationsrate und die klinische Schwangerschaftsratein IVF- und ICSI-Zyklen günstig beeinflusst [12]. Zusam-menfassend konnte die Analyse der 14 eingeschlossenenStudien keine signifikante Steigerung der Schwanger-schaftsrate durch Glukokortikoidgabe zeigen. Lediglich in6 randomisierten Kontrollstudien zeigte sich in einerSubgruppenanalyse von 650 Frauen im IVF-Zyklus eineminimale Steigerung der Schwangerschaftsrate nach Glu-kokortikoideinnahme [12].

aus: Keck u. a., Kinderwunschbehandlung in der gynäkologischen Praxis (ISBN 9783131716712)© 2014 Georg Thieme Verlag KG

Cavum uteri

Zervix

Dezidua

uNK-Zellen

uNK-Zellen

Blastozyste

Blastozyste+ Gluko-kortikoide

Abb. 20.20 Prednisolon reduziert die Anzahl natürlicher Killerzellen im Endometrium.

Reproduktionsmedizinische Methoden

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