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econstor www.econstor.eu Der Open-Access-Publikationsserver der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft The Open Access Publication Server of the ZBW – Leibniz Information Centre for Economics Nutzungsbedingungen: Die ZBW räumt Ihnen als Nutzerin/Nutzer das unentgeltliche, räumlich unbeschränkte und zeitlich auf die Dauer des Schutzrechts beschränkte einfache Recht ein, das ausgewählte Werk im Rahmen der unter → http://www.econstor.eu/dspace/Nutzungsbedingungen nachzulesenden vollständigen Nutzungsbedingungen zu vervielfältigen, mit denen die Nutzerin/der Nutzer sich durch die erste Nutzung einverstanden erklärt. Terms of use: The ZBW grants you, the user, the non-exclusive right to use the selected work free of charge, territorially unrestricted and within the time limit of the term of the property rights according to the terms specified at → http://www.econstor.eu/dspace/Nutzungsbedingungen By the first use of the selected work the user agrees and declares to comply with these terms of use. zbw Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft Leibniz Information Centre for Economics Huber, Erwin; Perschau, Hartmut; Arndt, Hans-Wolfgang; Peffekoven, Rolf Article Reform des Länderfinanzausgleichs? Wirtschaftsdienst Suggested citation: Huber, Erwin; Perschau, Hartmut; Arndt, Hans-Wolfgang; Peffekoven, Rolf (1998) : Reform des Länderfinanzausgleichs?, Wirtschaftsdienst, ISSN 0043-6275, Vol. 78, Iss. 2, pp. 71-83, http://hdl.handle.net/10419/40152

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Der Open-Access-Publikationsserver der ZBW – Leibniz-Informationszentrum WirtschaftThe Open Access Publication Server of the ZBW – Leibniz Information Centre for Economics

Nutzungsbedingungen:Die ZBW räumt Ihnen als Nutzerin/Nutzer das unentgeltliche,räumlich unbeschränkte und zeitlich auf die Dauer des Schutzrechtsbeschränkte einfache Recht ein, das ausgewählte Werk im Rahmender unter→ http://www.econstor.eu/dspace/Nutzungsbedingungennachzulesenden vollständigen Nutzungsbedingungen zuvervielfältigen, mit denen die Nutzerin/der Nutzer sich durch dieerste Nutzung einverstanden erklärt.

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zbw Leibniz-Informationszentrum WirtschaftLeibniz Information Centre for Economics

Huber, Erwin; Perschau, Hartmut; Arndt, Hans-Wolfgang; Peffekoven, Rolf

Article

Reform des Länderfinanzausgleichs?

Wirtschaftsdienst

Suggested citation: Huber, Erwin; Perschau, Hartmut; Arndt, Hans-Wolfgang; Peffekoven, Rolf(1998) : Reform des Länderfinanzausgleichs?, Wirtschaftsdienst, ISSN 0043-6275, Vol. 78, Iss.2, pp. 71-83, http://hdl.handle.net/10419/40152

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ZEITGESPRACH

Reform des Länderfinanzausgleichs?Bayern und Baden-Württemberg haben für den Fall, daß unter den Bundesländern

bis Juli dieses Jahres keine Einigung über eine Reform des Länderfinanzausgleichs erzieltwird, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Auf welchen

Argumenten basiert die Forderung nach einer Reform des Länderfinanzausgleichs?Wie könnte sie aussehen?

Erwin Huber

Länderfinanzausgleich: Grenzen der Solidarität!

Kennzeichnend für einen föde-ralen Staatsaufbau ist eine

ausgeprägte Eigenstaatlichkeit derLänder. Dieser Eigenstaatlichkeitentspricht die eigene Ertragsho-heit für Einnahmen. Steuern, dieganz oder teilweise den Ländernzustehen, werden grundsätzlichnach dem Prinzip des örtlichenAufkommens verteilt: In dem Land,in dem die Steuern erwirtschaftetwurden, sollen sie grundsätzlichauch verbleiben. Ein Finanzaus-gleich soll die nach der Steuerver-teilung verbleibenden Unterschie-de in der Finanzkraft nach denVorgaben der Verfassung „ange-messen" ausgleichen.

Bayern hat eine überdurch-schnittliche Steuerkraft. Es gehörtzu den Geberländern im Finanz-ausgleich. Es steht außer Zweifel,daß Bayern zu seinen Verpflichtun-gen steht, auch was den Län-derfinanzausgleich betrifft. DemGrunde nach wird der Finanzaus-gleich überhaupt nicht in Fragegestellt. Längst fällig ist es aber,die Diskussion über notwendigeKorrekturen des geltenden Aus-gleichssystems zu führen, das inseiner heutigen Ausprägung wederdem Erfordernis der Angemessen-

heit - anders ausgedrückt: der Ge-rechtigkeit - entspricht noch einengesunden Wettbewerb unter denLändern zuläßt oder, besser noch,fördert. Deshalb streben Bayernund Baden-Württemberg eineKorrektur des Länderfinanzaus-gleichs an. Wir wollen im Ergebnisdie Ablieferpflicht auf die Hälfteder überdurchschnittlichen Steuer-kraft begrenzen..

Gefahrenpotential

Die derzeitige Ausgestaltungdes Finanzausgleichs hemmt denLeistungswillen: Von jeder zusätz-lich vereinnahmten Steuer-Markwerden einem steuerstarken Landbis zu rund 80 Pfennige genom-men. Bei einem steuerschwachenLand tritt bei einer zusätzlichenvereinnahmten Steuer-Mark derEffekt ein, daß - je nach Grad derSteuerkraft und nach Größe desbetroffenen Landes - die Aus-gleichsleistungen um bis zu rund99 Pfennige sinken. Warum solltesich also ein Land, gleich ob„reich" oder „arm", mit einer be-sonders guten Wirtschaftspolitikhervortun, um damit die Basis fürstärker steigende Einnahmen zuschaffen, wenn der Lohn der Müheanderen zugute kommt? Besteht

nicht vielmehr sogar die großeVersuchung, anstatt selbst-Lei-stung zu erbringen, die anderen fürsich arbeiten zu lassen? Ich willdamit verdeutlichen, welches Ge-fahrenpotential ein allzu nivellie-rendes Finanzausgleichssystembirgt.

Verschiedentlich ist Bayern po-lemisch angegriffen worden, eshabe offenbar vergessen, daß esfast vier Jahrzehnte lang Empfän-gerland im Länderfinanzausgleichgewesen sei. Bayern ist das einzi-ge Land, das den Übergang vomEmpfängerland zum Zahlerlandgeschafft hat. Das ist zunächsteine hervorragende Leistung derLandespolitik. Was Solidarität be-trifft, so braucht Bayern keineNachhilfe und keinen Vergleich zuscheuen. Seit 1950 sind insgesamtgut 6,6 Mrd. DM aus dem Länder-finanzausgleich nach Bayern ge-flossen. Allein in der Zeit von 1994bis 1997 hat Bayern über 9 Mrd.DM in den Finanzausgleich einge-zahlt; für 1998 kommen voraus-sichtlich weitere gut 3 Mrd. DM hin-zu. Bis Ende 1999 wird also Bay-ern voraussichtlich auch bei einerinflationsbereinigten Betrachtungmindestens ebensoviel in den Fi-

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ZEITGESPRÄCH

nanzausgleich eingezahlt haben,wie es in Jahrzehnten zuvor profi-tierte.

Was die Gestaltung des Finanz-ausgleichs angeht, wird einge-wandt, die seit 1995 geltende Fas-sung der Abschöpfungsregelun-gen sei für die Zahlerländer bereitsgünstiger gestaltet, als dies bis1994 der Fall war. Vor 1995 wäreeine überproportionale Finanzkraftoberhalb von 110% des Länder-durchschnitts sogar zu 100% ab-geschöpft worden, während heutedie Grenze bei 80% gezogen ist.

Solidarpakt von 1993

Die heute gültige Fassung deseinfachgesetzlich geregelten Fi-nanzausgleichs geht auf den Soli-darpakt des Jahres 1993 zurück.Damals gab es einen klarenSchwerpunkt: Die neuen Länderwaren ab 1. 1. 1995 in den bun-desstaatlichen Finanzausgleich zuintegrieren, weil die Übergangs-regelung - Finanzierung in derHauptsache über das Instru-mentarium des Fonds „DeutscheEinheit" - zu diesem Zeitpunktauslief. Im Vordergrund standendamit nicht die Fragen einer sinn-vollen Reduzierung der Aus-gleichsintensität, sondern vielmehrdie Regelung der Lastenverteilungzwischen Bund und Ländern. EineNeuregelung mußte für beide Sei-ten verkraftbar sein und durfteüberdies nicht zu einem Zwei-Klassen-System werden, bei demdie neuen Länder als Verliererdagestanden hätten.

Die im geltenden Recht mit 80%gezogene Abschöpfungsgrenzevon Überschüssen gilt im übrigennicht absolut. Im Extremfall, wenndas Geld zur Erfüllung der Aus-gleichsansprüche nicht reicht,müssen alle Länder die Lückeschließen. Das bedeutet wieder-um, daß ein Schutz der Zahler vorÜberforderung nur in sehr schwa-

cher Ausprägung existiert. Nachwie vor ist das Ausgleichssystemauf die Erfüllung der Ansprücheder finanzschwachen Länder aus-gerichtet. Ein effektiver Schutz derZahlerländer vor Überforderung istkaum vorhanden.

Hinzu kommt, daß die Nivellie-rungswirkung des Finanzausglei-ches insgesamt nicht geringer ge-worden ist. Die im Länderfinanz-äusgleich empfangsberechtigtenLänder erhalten nach einer Aus-gleichsintensität von grundsätzlichmindestens 95% der durchschnitt-lichen Finanzkraft im Ausgleich derLänder untereinander im Anschlußdaran sogenannte Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen.Diese machen 90% der zum Län-derdurchschnitt fehlenden Einnah-men aus und bewirken somit, daßkein zuvor finanzschwaches Landweniger als 99,5% des Länder-durchschnitts aufweist. Hinzu

Die Autorenunseres Zeitgesprächs:

Erwin Huber, 51, CSU, istStaatsminister der Finanzendes Freistaates Bayern.

Hartmut Perschau, 55, CDU,ist stellvertretender Regie-rungschef und Finanzsena-tor der Freien HansestadtBremen.

Prof. Dr. Hans-WolfgangArndt, 52, ist Inhaber desLehrstuhls für ÖffentlichesRecht und Steuerrecht ander Universität Mannheim.

Prof. Dr. Rolf Peffekoven, 59,ist Direktor des Instituts fürFinanzwissenschaft der Uni-versität Mainz und Mitglieddes Sachverständigenrateszur Begutachtung der ge-samtwirtschaftlichen Ent-wicklung.

kommen weitere Bundesergän-zungszuweisungen mit einem Vo-lumen von rund 20 Mrd. DM.Insgesamt wird im Finanzaus-gleich eine Summe von weit über50 Mrd. DM bewegt. Am Beispielder Ergebnisse für 1994 einerseits(vor der Neuregelung) und 1996andererseits läßt sich das breiteSpektrum der Ausgleichsinstru-mente und deren verändertes fi-nanzielles Gewicht verdeutlichen(vgl. Tabelle).

Nivellierung

Die volle, gleichberechtigte Ein-beziehung der neuen Länder mitder Folge einer enormen Ausdeh-nung des Ausgleichsvolumens warrichtig und notwendig, das ist fürmich keine Frage. Die Entwicklungdes Finanzausgleichssystems undseine Wirkungen müssen gleich-wohl genau beobachtet und, fallserforderlich, korrigiert werden.Fehlentwicklungen, die schon imalten System schlummerten, wer-den heute, bei einem Mehrfachender früheren finanziellen Bedeu-tung des Ausgleichs, in vollerSchärfe sichtbar. Die Hauptschwä-che des Ausgleichssystems, die esaus meiner Sicht dringend zubeheben gilt, ist seine überzogeneNivellierungswirkung. Gewichtun-gen im Ausgleichssystem, geradeauch der Einwohner der Stadt-staaten im Ländersteuervergleich,sowie die danach gewährten Bun-desergänzungszuweisungen sor-gen dafür, daß die Finanzkraft-rangfolge der einzelnen Länder ge-radezu auf den Kopf gestellt wird.

Bayern ist mit einem Betrag von4683 DM je Einwohner in den Fi-nanzausgleich des Jahres 1996gegangen. Das war der 4. Platz.Mit 4120 DM Finanzkraft je Ein-wohner ging der Freistaat aus demAusgleich. Das war der letzte, der16. Rang. Baden-Württemberg er-ging es ähnlich, es fiel vom 3. auf

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ZEITGESPRACH

Ausgleichsinstrumente vor und

Ausgleichsinstrument .

Ümsatzsteuerausgleich (abweichendvom Einwohneranteil)

Länderfinanzausgleich

Zusammen1 .

Annuitäten Fonds „DeutscheEinheit" (Zins + Tilgung), ohneLeistungen aus dem Fonds fürdie neuen Länder (letztmals 1994)

Bundesergänzungszuweisungen

Ausgleich zusammen -

nach der

1994Mrd. DM

0,5

3,2

3,6

4,5

7,2

15,3

Neuregelung

1996 .Mrd. DM~

13,7

12,2

24,3

6,9

25,2

56,3.

1 Gesamtwirkung von Umsatzsteuer-Ausgleich und Länderfinanzausgleich nicht mit derAddition beider Elemente identisch. Zahlen 1994 alte und neue Länder gesondert, hier Summeangegeben.

den 15. Rang zurück. Das istÜbernivellierung! Sinn des Finanz-ausgleichs kann es schließlichnicht sein, daß steuerstarke Län-der von allen zuvor finanzschwa-chen Ländern überholt werden.

Um es an dieser Stelle noch-mals klarzustellen: Die Initiativevon Baden-Württemberg und Bay-ern richtet sich nicht gegen dieneuen Länder. Deren Aufbaube-darf bleibt unbestritten. Es gehtuns auch nicht darum, die Zahllastunserer beiden Länder im Finanz-ausgleich „ohne Rücksicht aufVerluste" auf der Stelle zu halbie-ren. Bei Änderungen in Richtungverstärkter Wettbewerbsfreund-lichkeit des Ausgleichssystems istsicher eine Stufenlösung nötig, um

die beteiligten Länder nicht zuüberfordern. Auch wenn es um dieBereitschaft zu Kompromissengeht, sind wir offen für vernünftige,zielführende Lösungen.

Die Verhandlungsbereitschafthabe ich bereits mehrfach bekun-det. Die Mehrzahl der Länder hatbisher allerdings - zuletzt in der Fi-nanzministerkonferenz am 22. Ja-nuar 1998 - eine strikte Verwei-gerungshaltung'1 eingenommen.Die Mehrheit hat sogar die Ein-richtung einer Arbeitsgruppe blok-kiert,, in der über Änderungsmög-lichkeiten des Ausgleichssystemsin dem dargestellten Sinn disku-tiert .werden sollte. ErfreulicheSignale sind allerdings gerade vonzwei Ländern gekommen, die mit

erheblichen Problemen beim Auf-bau fertig werden müssen und zu-gleich zu den großen Empfänger-ländern gehören: Sachsen undThüringen. Sie haben begriffen,daß unsere Initiative kein „Feldzugder Starken gegen die Schwäch-sten" ist.

Die neben Baden-Württembergund Bayern am stärksten bela-steten Zahlerländer Hessen undNordrhein-Westfalen werden eben-falls aktiv. Sie wollen ein Gut-achten zum Länderfinanzausgleichin Auftrag geben. Hessen denktebenfalls über eine Verfassungs-klage nach.

Eine vertiefte, sachbezogeneErörterung des Finanzausgleichs-systems mit dem Ziel, seineSchwächen aufzudecken und ge-eignete Korrekturen vorzunehmen,um weitere Fehlentwicklungen fürdie, Zukunft zu vermeiden, ist drin.-gend nötig. Ich meine, daß raschund zielgerichtet verhandelt wer-den muß. Verweigerung, Verzöge-rung oder Verwässerung werdenwir nicht akzeptieren. Das Themableibt auf der politischen Tages-ordnung. Spätestens Anfang Märzwird Bayern weitere konkrete Vor-schläge einbringen. Sollte es nichtgelingen, hier bis Juli des Jahresein Ergebnis zu erzielen, bleibt esdabei, daß Baden-Württembergund Bayern den Gang nach Karls-ruhe antreten werden.

Hartmut Perschau

Es geht um Aufholchancen! Zehn Thesen zumbundesstaatlichen Finanzausgleich

Mit seiner Wirkung gegenPartikularismus wie gegen

zentralistische Gleichmacherei istder Föderalismus wesentlichesStaatsprinzip der BundesrepublikDeutschland. Darum beneiden uns

viele in unseren Nachbarstaaten.Föderalismus lebt von Unterschie-den statt von Gleichförmigkeit. EinEckpfeiler des bündischen Prin-zips ist das System der wechsel-seitigen Unterstützung und Solida-

rität. Dieser „bundesstaatliche Fi-nanzausgleich" gliedert sich ineine horizontale Ebene (den „Län-derfinanzausgleich") sowie in dievertikale Variante (der Bund an dieLänder).

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ZEITGESPRACH

Es gehört zum Wesen der Poli-tik, verstanden als die Auswahlzwischen interessenbestimmtenHandlungsalternativen, daß auchdieses Ausgleichssystem immerwieder kritisiert wird. Das Beson-dere an der aktuellen Diskussionist, daß sie mit sachlich unzutref-fenden Behauptungen und zu ei-nem Zeitpunkt des äußerstschwierigen Ausgleichens zwi-schen alten und neuen Länderngeführt wird. Zu dieser Diskussionum den Finanzausgleich im Bun-desstaat zehn Thesen:

1. Das Verhältnis „Zahler" und„Nehmer" ist ausgeglichen: ImLänderfinanzausgleich leisten fünf„Zahlerländer" mit insgesamt 48Mill. Einwohnern Ausgleichszah-lungen für weitere elf Länder.Diese sogenannten „Nehmerlän-der", zu denen die fünf neuen Län-der und die BundeshauptstadtBerlin zählen, haben zusammen 34Mill. Einwohner. Es ist also falsch,daß nur wenige die Lasten für vieleaufbringen, wie es immer wiederbehauptet wird.

2. Der Länderfinanzausgleichgleicht „Spitzen" aus, wobei derUmfang zwischen den alten Bun-desländern ständig abnimmt: ImJahr 1980 gelangten noch 1,8%der Steuern der Länder und ihrerGemeinden in den Ausgleich, 1994nur noch 0,9%. Dies verdeutlichtdie Funktion als Spitzenausgleich.Seit 1995 übernehmen die altenLändern insgesamt für die Einbe-ziehung der neuen Länder zusätz-liche Lasten. Das Volumen derAusgleichszahlungen unter denalten Länder hat sich weiter, auf0,4% der Steuereinnahmen redu-ziert.

3. Durch den Finanzausgleichkommt es zu keiner Verschiebungder Rangfolge: Die Reihenfolgeder Länder kann nur .nach den imFinanzausgleichsgesetz vorge-schriebenen Abgrenzungskriterien

berechnet werden. Das tun^dieje-nigen Länder, die behaupten, esgäbe Reihenfolgeverschiebungen,aber nicht. Ihre Berechnungen be-ruhen auf nicht sachgerechtenZahlen. Somit sind die Ergebnisseauch nicht aussagefähig.

Darauf hat - neben anderen -auch der FinanzwissenschaftlerRolf Peffekoven hingewiesen:„Diese Argumentation (Anmer-kung: die Behauptung, es käme zuVerschiebungen der Rangfolge) istder Sache nach falsch. (...) Es istauch ausgeschlossen, daß einLand, dessen Finanzkraft zunächstunter 100 Prozent lag, durch denAusgleich ein leistungspflichtigesLand in der Finanzkraft einholtoder gar überholt."

Einwände gegen die Kritiker

Auch durch ständiges Wieder-holen in der Öffentlichkeit werdendie nicht sachgerechten Zahlender Kritiker deshalb weder seriösnoch richtig. Die wichtigsten Ein-wände sind stichwortartig:

D Das Finanzausgleichsgesetzschreibt den Ausgleich unter denLändern nach dem Maßstab derEinwohner vor, die Einwohner derStadtstaaten (Berlin, Hamburg undBremen) sind nach dem Gesetzmit dem Faktor 1,35 zu gewichten(Einwohnerwertung). Ein Vergleichmuß deshalb - entsprechend derRechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichts - die Finanzkraftje Einwohner einschließlich dieserGewichtung vergleichen. Das tundie Berechnungen nicht, schondeshalb sind die Zahlen denennach dem geltenden Finanzaus-gleichsgesetz nicht vergleichbar.

D In das Finanzausgleichsgesetzwurde ein Ausgleichsmechanis-mus eingefügt, der Reihenfolge-verschiebungen ausschließt. Soll-ten unter besonderen Konstella-tionen solche Verschiebungen auf-

treten, schreibt das Gesetz einenzusätzlichen Ausgleichsschritt vor,der eine solche Verschiebung wie-der beseitigt. Dazu hat die Parla-mentarische Staatssekretärin imBundesfinanzministerium, IrmgardKarwatzki, festgestellt: „Zu einerverfassungswidrigen Rangfolgen-verschiebung in der Finanzkraftder Länder kommt es dabei nicht.Zur Vermeidung von Rangfolgen-verschiebungen der Länder wur-den Kprrekturregelungen in das Fi-nanzausgleichsgesetz aufgenom-men."

Auch bei Einbeziehung der zu-sätzlichen Leistungen des Bundeskommt es zu keiner Verschiebungder Rangfolge.

D Die sogenannten Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungenstellen auch sicher, daß die Emp-fängerländer durch diese Zuwei-sungen des Bundes nicht über denDurchschnitt der Finanzkraft allerLänder kommen können. Sie kön-nen also das Niveau der Zahlerlän-der, die über dem Durchschnitt lie-gen, nicht erreichen. Ich zitiere denParlamentarischen Staatssekretärbeim Bundesfinanzminister, Hans-georg Hauser: „Durch Länderfi-nanzausgleich und Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungenwerden die Finanzkraftunterschie-de der Länder reduziert. Dennochbleibt bei diesen Ausgleichsstufenein Vorsprung der finanzstarkenLänder gegenüber den finanz-schwachen Ländern gewahrt."

D Sonder-Bundesergänzungszu-weisungen dürfen nach der Recht-sprechung des Bundesverfas-sungsgerichts nur Ländern ge-währt werden, bei denen Sonder-lasten vorliegen, die andere Län-der nicht haben. Sie ergänzen denLänderfinanzausgleich, der denAusgleich ohne Rücksicht auf Be-darfe und besondere Lasten alleinpauschal nach der Zahl der Ein-wohner vornimmt. Schon weil sie

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ZEITGESPRÄCH

nach ihrer Definition nicht allenLändern gewährt werden dürfen,können sie nicht in einen allgemei-nen Vergleich der Finanzkraft allerLänder eingestellt werden.

D Wenn sich Baden-Württembergund Bayern etwa mit den Ländern,die diese Sonderzahlungen erhal-ten, vergleichen und behaupten,aufgrund dieser Leistungen wür-den sie schlechtergestellt bzw.komme es zu Rangfolgeverschie-bungen, beanspruchen sie Lei-stungen für Lasten, die bei ihnennicht vorliegen. Dies zeigt, wie ab-surd der Ansatz ist.

4. Der Finanzausgleich verfolgtdas Ziel, den Ländern eine an-gemessene Finanzausstattung zugewährleisten: Bayern und Ba-den-Württemberg behaupten, esgäbe einen verfassungsrechtlichenGrundsatz, der es dem Bundesge-setzgeber zwingend verbiete, denZahlerländern höhere Ausgleichs-pflichten als 50% ihrer Über-schüsse über den Durchschnittihrer Finanzkraft aufzuerlegen. DieVerfassung enthält einen solchenGrundsatz nicht. Artikel 107 Grund-gesetz bestimmt lediglich, daß derAusgleich angemessen sein muß.Das Bundesverfassungsgericht hatdie Vorschrift bereits in seinen Ur-teilen von 1986 und 1992 über-prüft.

Der sogenannte „Halbteilungs-grundsatz", den das Bundesverfas-sungsgericht im Urteil zur Vermö-gen- und Erbschaftsteuer genannthat, ist in Fachkreisen auf außer-ordentliche Kritik gestoßen. Selbstwenn man der Auffassung ist, dasGrundgesetz enthalte für dasSteuerrecht einen solchen Grund-satz, ist deutlich, daß Artikel 107Grundgesetz für den Finanzaus-gleich eine besondere Regelungenthält, die der Lage im Steuer-recht in keiner Weise vergleichbarist. Man mag der Auffassung sein,es sei politisch zweckmäßig, die

Lasten der Zahlerländer nach all-gemeinen Kriterien zu begrenzen,ein solcher verfassungsrechtlicherGrundsatz läßt sich aber nichtableiten.

Wie wenig dieses Argumentträgt, zeigt die Haltung des LandesHessen, das die höchsten Lastenträgt und erklärt hat, es hielte dievorgetragenen verfassungsrecht-lichen Bedenken nach eigenerPrüfung für nicht „belastungs-fähig".

Kein Verfassungsproblem

5. Kern der Sache ist: Der ge-genwärtige Finanzausgleich istkein Verfassungsproblem. Was dieKritiker wollen, das sind Änderun-gen, die man mit politischen Mehr-heiten durchsetzen kann: Es be-steht ein Erklärungsbedarf, warumbereits drei Jahre nach Inkrafttre-ten des neuen Finanzausgleichswieder eine Änderung angestrebtwird, warum der Solidarpakt zurmateriellen Herstellung der deut-schen Einheit mit einem Mal nichtmehr gelten soll.

Der Solidarpakt ist ein beson-ders positives Beispiel der Hand-lungsfähigkeit und Solidarität derLänder. Diese Eigenschaften wer-den zum Nutzen aller Länder wei-terhin gebraucht, sonst werden dieLänder in ihrer Gesamtheit Scha-den nehmen.

6. Steuermehreinnahmen wer-den im Finanzausgleich ausdrück-lich nicht in vollem Umfang abge-schöpft. Die kommunale Finanz-kraft wird nur zur Hälfte berück-sichtigt: Beispielsweise hatte Ba-den-Württemberg 1996 eine Fi-nanzkraftmeßzahl von 109% -nach Finanzausgleich 103%. Dieüber dem Durchschnitt liegendeFinanzkraft wurde danach zu zweiDrittel abgeschöpft. Bei einer hälf-tigen. Abschöpfung der Über-schüsse würden Baden-Württem-berg 104,5% verbleiben. Zur Rela-

tivierung dieses Anliegens mußaber angemerkt werden, daß diekommunale Finanzkraft grund-sätzlich nur zu 50% in den Finanz-ausgleich eingestellt wird. Würdedies - im Rahmen eines neuer-lichen Gesetzgebungsverfahrenszum Finanzausgleich - wie beiallen übrigen Einnahmen in vollemUmfang geschehen, würde Ba-den-Württemberg aktuell zusätz-liche Lasten in einer Größenord-nung von über einer Milliarde DM,Bayern von fast 1,2 Mrd. DM jähr-lich zu tragen haben. Dies verdeut-licht, daß dieses Thema für Verein-fachungen denkbar ungeeignet ist.

7. Jedes Land hat ein elementa-res Interesse, seine originäre Fi-nanzkraft zu steigern: Es geht nichtdarum, mehr Leistungsanreize zuschaffen, um dadurch einzelneLänder politisch anzuhalten, ihreFinanzkraft zu steigern. Ich glaube,es gibt nicht ein Land der Bun-desrepublik Deutschland, dasauch im geltenden Finanzaus-gleichssystem nicht ein elementa-res Interesse hätte, seine originäreFinanzkraft zu stärken. Es wird derEindruck erweckt, Finanzkraft-schwäche beruhe auf zu geringenAnstrengungen - letztlich auf eige-nem Verschulden. Als Beispielnenne ich nur einmal die Zahlun-gen Baden-Württembergs in denLänderfinanzausgleich, die im Zeit-raum 1991 bis 1994 von 2,5 Mrd.DM auf 400 Mill. DM zurückgin-gen. Beruhte dieser Rückgang derFinanzkraft Baden-Württembergsauf politischem Versagen? Wohlkaum. Für wirtschaftliche Entwick-lung können durch die Ländergünstige Standortvoraussetzun-gen geschaffen werden, mehr abernicht.

8. Mehr Konkurrenz um Stand-ort- und Wirtschaftskraftentwick-lung setzt gleiche Startchancenvoraus: Der gegenwärtige Finanz-ausgleich, mit einem hohen Aus-

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ZEITGESPRACH

gleichsniveau will unter anderemauch die Wirtschafts- und Lebens-bedingungen der neuen Länderund des wiedervereinigten Berlinsan die der alten Länder anglei-chen. Dieser Vorgang der materiel-len Herstellung der deutschen Ein-heit wird noch länger als zehnJahre dauern. Die Kürzung derAusgleichsmittel würde das Auf-holen um Jahrzehnte verlängern.

9. Positive Beispiele beweisenSinn und. Zweck des bundesstaat-lichen Finanzausgleichs - etwaBayern und Bremen: In der Positionder „Geberländer" drücken sichgrundsätzlich bessere Rahmenbe-dingungen aus. Der FreisjtaatBayern war fast vier Jahrzehnte •„Nehmerland" und erhielt dabeiHilfszahlungen in Milliardenhöhe.Diese dienten insbesondere derUmstrukturierung der bayrischenWirtschaft hin zu einem modernenund zukunftsfähigen Standort.

Der Erfolg dieser Bemühungenbeweist sicher die Richtigkeit vie-ler Entscheidungen der bayrischenStaatsregierung, aber auch dieNotwendigkeit des bundesstaat-lichen Finanzausgleichs und dieTatsache, daß der Finanzausgleichetwas bewirken kann und ebenkeine „finanzielle Hängematte"darstellt.

Politische Fehlleistungen kön-nen zum Absinken der Wirt-

schafts- und Finanzkraft führen.'Den finanzschwachen Länderndies jedoch als Regelfall zu unter-stellen, ist abwegig.

Die Freie Hansestadt Bremenwar bis zur Einführung des Wohn-sitzprinzips bei der Lohnsteuer-erhebung 1969/70 „Geberland" imLänderfinanzausgleich. Neben demmit dieser „Lohnsteuerzerlegung"verbundenen Abfluß von Steuern(vor allem ins niedersächsischeUmland) waren sicher auch politi-sche Fehlentscheidungen mitbe-stimmend für das Absinken derWirtschafts-" und Finanzkraft ander Weser. Die Trendwende ist seit1995 mit der Bildung einer SPD-CDU-Koalition zu beobachten. Ab-weichend vom Bundestrend wach-sen die Steuereinnahmen. DieAbhängigkeit vom Länderfinanz-ausgleich konnte mehr als halbiertwerden. Ansprüche des Landesreduzierten sich im vergangenenJahr um über 390 Mill. DM auf nurnoch rund 345 Mill. DM. Zum Ver-gleich: Das Gesamtvolumen desLänderfinanzausgleichs liegt bei'12. Mrd. DM. Diese positive Ent-wicklung nützt unmittelbar den„Geberländern".

Gefährdungder deutschen Einheit

10. Man wird den Eindruck nichtlos, daß die Argumente gegen denaktuell gültigen Finanzausgleich

darauf abzielen, vorrangig die Wäh-ler in den eigenen Ländern zu mo-.tivieren: Ein Blick auf den Termin-kalender zeigt: Eine Reihe vonWahlen stehen bevor. Da paßt esgut, die Konflikte im Außenverhält-nis zu suchen.

Die Finanzminister von Bundund Ländern mußten kürzlich fest-stellen, daß die Wachstumsratender neuen Länder gegenwärtignoch hinter die der alten Länderzurückgefallen sind. Unter solchenBedingungen allgemein das Aus-gleichsniveau zu reduzieren, dieshieße, die politische Realisierungder deutschen Einheit in Frage^zustellen. Denn aktuell fließen knapp90% der Mittel des Länderfinanz-ausgleichs in die neuen Länderund nach Berlin. Der Ausgleichunter den alten Ländern ist konti-nuierlich gesunken, spielt deshalbnur noch eine nachgeordneteRolle.

Es besteht kein Anlaß, die Fi-nanzausstattung einzelner Zahler-länder weiter zu stärken und damitdie finanzschwachen Länder wei-ter zu schwächen. Die historischeAufgabe ist, den finanzschwachenLändern das Aufholen ausdrück-lich zu erleichtern und die deut-sche Einheit auch materiell herzu-stellen. Es bedarf der Aufrecht-erhaltung des Solidarpakts in allenseinen Elementen mindestens biszum Jahre 2004.

Hans-Wolfgang Arndt

Finanzverfassungsrechtlicher Reformbedarf - vomunitarischen Föderalismus zum Wettbewerbsföderalismus

Die föderale Staatsstruktur derBundesrepublik Deutschland

ist verfassungsfest - d.h. gemäßder „Ewigkeitsklausel" des Art. 79Abs. 3 GG kann sie auf legale

Weise nicht abgeschafft werden.Dieser verfassungsrechtlichen Ze-mentierung zum Trotz steht siegegenwärtig in einer Sinnkrise. InDeutschland hat sich der Födera-

lismus von seiner ihm historischzukommenden Funktion, die Exi-stenz gegenläufiger integrativerund disintegrativer Kräfte auszu-gleichen, weitgehend gelöst. Drei

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ZEITGESPRACH

Entwicklungen sind dafür ursäch-lich: Zum ersten ist die traditionellle regionale Verwurzelung derBevölkerung durch die Folgen desKrieges weitgehend verwischtworden. Damit zusammenhän-gend knüpft die Bildung derBundesländer zum zweiten zu-meist nicht an historisch vorgege-bene, staatliche Einheiten an.Drittens und vor allem- aber sinddie moderne Industriegesellschaft"und das Sozialstaatsprinzip mitihren Vereinheitlichungsbedürf-nissen für diese Entwicklung zumunitarisch-kooperativen Födera-lismus verantwortlich.

Vor diesem Hintergrund bedarfder Föderalismus in der Bundesre-publik einer neuen Legitimations-grundlage. Es gilt, sich Klarheitdarüber zu verschaffen, welchenSinn der Föderalismus in der Bun-desrepublik noch erfüllen kann.Sollte seine Funktion auch weiter-hin unklar bleiben, ist er denUnitarisierungstendenzen und da-mit seiner schleichenden Ausdün-nung schutzlos ausgeliefert. Dennein Föderalismus, der sich in derSicht der Bürger vor allem durcheine unterschiedlich gestaffelteSchulferienzeit und einer durch dieLandesverwaltungsgerichte be-wirkten unterschiedlichen Recht-schreibung manifestiert, entbehrteiner soliden Legitimationsgrund-lage. . . . . . . .

Rechtfertigung desFöderalismus

Die traditionelle Rechtfertigungdes Föderalismus, die in Gerichts-entscheidungen, Lehrbüchern undVorlesungen immer wieder hervor-gehoben wird, wird in der freiheits-sichernden Funktion einer zusätz-lichen Gewaltenteilung gesehen.Diese, auch föderative Bremsegenannte Funktion hat gerade inden letzten Jahren viel an Über-zeugungskraft verloren. Die Stich-worte gescheiterte Steuerreform

und gescheiterte Rentenreformmögen insoweit genügen. Gebremstwird zwar heftig, aber nicht ausfreiheitssichernden oder sachori-entierten Erwägungen heraus,sondern aus parteipolitischen. Diegegenwärtige Vollbremsung imBundesrat hat mit den Vorstellun-gen der Verfassungsväter wohlnichts mehr gemein, sie läßt viel-mehr das staatliche Gemeinweseninsgesamt ins Schleudern geraten.

Eine überzeugende Legitima-tionsgrundlage des Föderalismusvermag ich daher nur noch in derinnovationsfördernden Funktioneines politischen Wettbewerbs derLänder untereinander, aber auchgegenüber dem Bund zu sehen.Diese Funktion hat nichts mit derin den letzten Jahrzehnten schierunaufhaltsamen Entwicklung zumunitarischen Föderalismus zu tun -setzt vielmehr genau auf das Ge-genteil. Sie läßt sich mit den Stich-worten „Konkurrenzföderalismus"oder auch „kompetitiver Föderalis-mus" beschreiben.

Ein Konkurrenzföderalismus setztauf Wettbewerb; auf Experimentesowie auf Bürgernähe. Drei proyo-kative Fragen sollen dies verdeut-lichen: •

Brauchen wir ein Beamtenrechts-rahmengesetz? Ich sehe keinenGrund, warum in einem Bundes-staat die Gehälter der Landesbe-amten identisch sein • müssen.Ebenso ist es schwer einzusehen,warum es einzelnen Bundeslän-dern nicht gestattet sein soll, bei-spielsweise Hochschullehrern ei-nen befristeten Fünf-Jahres-Ver-trag zu geben, wie es bei deut-schen Vorstandsmitgliedern immer-hin üblich ist.

Dies leitet über zur zweitenFrage: Brauchen wir überhaupt einHochschulrahmengesetz? Auch inseiner erneuerten Form halte iches für schlichtweg überflüssig.Warum sollte es beispielsweise

einem Bundesland mit attraktivenUniversitäten nicht gestattet sein,Landeskinder gegen geringere,Studenten aus Bundesländern mitschwächeren Universitäten jedochnur gegen höhere Gebühren anseine Hochschulen zu locken. Inden Vereinigten Staaten jedenfallsist so etwas auch in Staatsuniver-sitäten selbstverständlich.

Ist es wirklich sinnvoll, von Bun-des wegen einheitliche oder nahe-zu einheitliche Sozial- oder Wohn-hilfe vorzusehen? Es wäre durch-aus möglich, daß mit wenigerGeld, aber mehr Einfallsreichtumvon kleineren Einheiten mit größe-ren Kompetenzspielräumen Besse-res bewirkt werden könnte.

Damit bin ich mit der Bestands-aufnahme am Ende. .Der zuletztangesprochene Gedanke führt vonder Bestandsaufnahme weg hinzum Änderungsbedarf: Es wirdnämlich Zeit, nicht nur aufgrundder knapper werdenden finanziel-len Rahmenbedingungen sich vondem Gedanken zu verabschieden,daß mit immer mehr Geld auchimmer Besseres bewirkt werdenkönnte. Provokativ ausgedrückt:Mehr Kraft zur Selbsthilfe läßt sichvielleicht eher durch weniger denndurch mehr finanzielle Mittel errei-chen. Denn alle drei angesproche-nen Bereiche, Sozialhilfe, Schul-und Hochschulrecht sowie Beam-tenrecht erfordern naturgemäß ei-nes: Geld. Das wird es künftigweniger geben, und damit stelltsich die Frage, wie sich dieseKnappheit auf die föderale Staats-struktur auswirkt. Änderungsbe-darf und Änderungsmöglichkeitenauf dem Weg vom unitarischenFöderalismus hin zum konkurrie-renden Föderalismus werden ausdiesem Grund auf finanzverfas-sungsrechtliche Fragen beschränkt.

Änderungsbedarf

In keinem Bundesstaat westli-cher Prägung sind die Unitarisie-

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ZEITGESPRACH

rungstendenzen im Finanzierungs-bereich so ausgeprägt wie in derBundesrepublik Deutschland. Hierwerden die Einnahmen der finanz-schwachen Bundesstaaten syste-matisch auf ein bundesdurch-schnittliches Einnahmeniveau an-gehoben. In einem überaus kom-plexen Finanzausgleichssystem,welches von Ökonomen als einvorsätzliches System der Unüber-schaubarkeit bezeichnet wird,werden zunächst alle Bundeslän-der auf ein bundesdurchschnitt-liches Einnahmeniveau von 99,5%herangeführt. Dabei wird die grund-sätzliche Steuerverteilung nachdem Prinzip des örtlichen Auf-kommens durch Finanzausgleichs-maßnahmen erheblich korrigiert.

Ausgleichspflichtige Bundes-länder müssen einen großen Teilihres überdurchschnittlichen Steuer-aufkommens, d.h. etwa 80% da-von, abtreten. Ausgleichsberech-tigte Bundesländer werden indesnicht nur an ein bundesdurch-schnittliches Mindestniveau von99,5% des Länderdurchschnittsherangeführt. Weitere Bundeszu-weisungen führen dazu, daß sichdas Bild der Finanzkraftreihenfolgevöllig verschiebt. Vor allen Aus-gleichssystemen liegen beispiels-weise Bayern und Baden-Württem-berg im Jahre 1996 an dritter undvierter Position, nach allen Aus-gleichsstufen liegt Baden-Württem-berg an vorletzter und Bayern anletzter Stelle. Umgekehrt verbes-sert sich das Saarland vom elftenauf den dritten und Bremen vomfünften auf den ersten Platz.

Drei Thesen

Nicht nur Unitarisierung, son-dern sogar Übernivellierung kenn-zeichnet unser Finanzausgleichs-system. Diese Übernivellierungkönnen wir uns nicht länger lei-sten. Sie hat zerstörerische Aus-wirkungen nicht nur auf den

Föderalismus, sondern auf dieStaatsstruktur insgesamt. Die fol-genden drei Thesen sollen diesendringenden Änderungsbedarf ver-deutlichen:

Der deutsche Finanzausgleichist einseitig am Prinzip der Ein-heitlichkeit der Lebensverhältnisseorientiert. Ein solches Maß anGleichheit fordert die notwendigeEigenverantwortung der Gebiets-staaten ungenügend ein und stehtdaher im Konflikt zur Grundideedes Föderalismus, wonach Vielfalt,Unterschiedlichkeit und ein gewis-ses Maß an Wettbewerb zumWesen eines Bundesstaates ge-hören, denn allein sie führen zuallökativer Effizienz und Innovation.

Dazu ein kurzer Blick nachdraußen: Die Beispiele der USAund der Schweiz zeigen, daß dieEinheitlichkeit der Lebensverhält-nisse in diesen Ländern nicht dieUltima ratio eines bundesstaatli-chen Finanzausgleichs ist. In bei-den Staaten strebt man eine sol-che Einheitlichkeit nicht an. Stattdessen werden finanzschwacheGliedstaaten gezielt unterstützt,um ein Mindestniveau an öffentli-chen Leistungen zu gewährleisten.Leistungsunterschiede über die-sem Mindestniveau werden vonden Bürgern als natürliche Folgedes bundesstaatlichen Systemsakzeptiert.

Der bestehende Finanzausgleichbeinhaltet keine Leistungsanreizefür die ausgleichsberechtigten Bun-desländer zur Hebung ihres Steu-eraufkommens, da Gelder vonaußen die Einnahmen des Landesohne eigene Anstrengungen auf einzumindest bundesdurchschnittli-ches Niveau bringen. Auch einenZwang zum Sparen gibt es bei derderzeitigen Regelung nicht. Einfinanzieller Druck auf die Haus-halte der finanzschwachen Länderkönnte aber heilsam sein, indem ergesellschaftlichen Veränderungen

den Weg ebnet sowie Innovatio-nen anregt. Indem das geltendeRecht finanzschwachen Länderndiesen finanziellen Druck nimmt,verhindert es notwendige Refor-men, die zu einer Verbesserungder wirtschaftlichen Lage führenkönnen.

Vernachlässigungökonomischer Grundregeln

Eine Reduzierung der Ausgleichs-intensität würde nicht nur dieLeistungsbereitschaft der aus-gleichsberechtigten Bundesländerheben, sondern es würde auch zueiner Entlastung der ausgleichs-pflichtigen Bundesländer führen.Deren Interesse an der Pflege undAusschöpfung ihres Steuerauf-kommens würde ebenfalls wiederbelebt werden. Hier liegt der ei-gentliche Schwachpunkt des be-stehenden Finanzausgleichs. EineInanspruchnahme von finanzstar-ken Bundesländern, die, wie esgegenwärtig der Fall ist, eine Ab-schöpfung des überdurchschnitt-lichen Steueraufkommens von biszu 80% vorsieht, strapaziert dieSolidarität gegenüber finanz-schwachen Bundesländern in ei-nem hohen Maße. Lassen Sie micheinen naheliegenden Vergleich zie-hen: Wenn ein Steuerpflichtigervon jeder zusätzlich verdientenMark 80% an das Finanzamt ab-führen müßte, würde er sich genauüberlegen, ob er unter diesen Be-dingungen investiert, um sein Ein-kommen zu erhöhen.

Damit liegt der Änderungsbe-darf auf der Hand: Die Idee desunitarischen Föderalismus ist inder Bundesrepublik, soweit es umseine Finanzierung geht, in eineSackgasse geraten. Zugunstender Erreichung einheitlicher Lebens-verhaltnisse wurden ökonomischeGrundregeln vernachlässigt. WennLeistung nicht mehr lohnt, wirdalsbald auch nichts mehr geleistet

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ZEITGESPRÄCH

werden. Eine Änderung, d.h. einenotwendige Rücknahme der der-zeitigen Ausgleichsintensität würdezwangsläufig weg vom unitari-schen und hin zum Konkurrenz-föderalismus führen. Dies könntezugleich der gegenwärtigen Sinn-krise des Föderalismus entgegen-wirken.

Ein einmal erkannter Ände-rungsbedarf führt - auch dafürmögen Steuerreform und Renten-reform als trauriges Beispiel die-nen - in der BundesrepublikDeutschland längst noch nicht zuÄnderungen.' Zu möglichen Ände-rungen' möchte ich abschließendStellung nehmen.

Änderungsmöglichkeiten

Die Vorstellung, die föderaleStaatsstruktur der BundesrepublikDeutschland zum Wettbewerb undzur Leistungssteigerung innerhalbder Gliedstaaten zu nutzen, isteine eminent politische. Ände-rungsmöglichkeiten sollten des-halb vor allem im politischen Raumgesucht und genutzt werden. Poli-tische Lösungen könnten bei-spielsweise eine Reduzierung desbisherigen Finanzausgleiches eben-so vorsehen wie ein Mehr anSteuerautonomie der einzelnenBundesländer. Auch eine Fusion,die zu etwa gleich leistungsfähigenalten Bundesländern führen würdeund zu neuen Bundesländern, beidenen dieses Fernziel zumindesteine Realisierungschance hätte,stünde zur Debatte.

Angesichts der in der Bundes-republik vorherrschenden Stagna-tion ist jedoch die Hoffung auf sol-che politische Lösungen einiger-maßen beschränkt. Ein Gemein-wesen, in dem vorwiegend Be-sitzstandswahrungsdenken vor-herrscht, hat sich - und das beob-achten wir auf den meisten Poli-tikfeldern - bislang nicht geradeals reformfreundlich erwiesen/ Des-

halb muß ich zwangsläufig, wennauch widerwillig, auf eine typischeneudeutsche, d.h. auf eine juristi-sche Möglichkeit zur Änderungverweisen. Hat man auch demBundesverfassungsgericht bereitsviel zuviel aufgebürdet oder hat essich - das ist nur die Kehrseite,derMedaille - zuviel bereitwillig auf-bürden lassen, so ist gleichwohl zufragen, ob und gegebenenfalls wiesich ein als notwendig erwiesenerReformbedarf im Föderalismus ver-fassungsrechtlich einklagen läßt.

Denn wenn - wie es angesichtsder Finanzkrise der Fall ist - dieMittel für Dauerinfusionen seitensdes Bundes und der übrigen rei-cheren Länder fehlen, sind finanz-schwache Länder nicht überle-bensfähig. Wenn die reicherenLänder durch die Pflicht zur Soli-darität im Föderalismus weitergeschwächt werden, könnte dieföderale Staatsstruktur insgesamterlöschen. Mit anderen Worten: Ei-nen verfassungsrechtlich zwingen-den Grund, kleine, arme Länderbis zur letzten Finanzausgleichs-mark am Leben zu erhalten, gibtes nicht. Ein lebendiger Föderalis-mus beruht auf der Lebenskraftder Mitgliedstaaten. Fehlt es andieser Lebenskraft muß entwederdie Abgrenzung korrigiert oder dieUngleichheit in Kauf genommen,aber nicht unentwegt nachfinan-ziert werden. Wie eine solche juri-stische Lösung aussehen könnte,möchte ich abschließend in dreiThesen, gleichsam einem „Drei-Stufen-Modell" erörtern. Dabei istder ungeschriebene Verfassungs-grundsatz der Bundestreue aufallen drei Stufen einschlägig..

Ein Drei-Stufen-Modell

Auf der ersten Stufe steht derVerfassungsgrundsatz der Bundes-treue nach der Rechtsprechungdes Bundesverfassungsgerichtshinter dem derzeitigen Finanzaus-

gleich. Die zur Zeit statuierte bün-dische Solidarpflicht verleiht denausgleichsberechtigten LändernZahlungsansprüche gegenüberden ausgleichsverpflichteten Län-dern und dem Bund. Ihren Höhe-punkt findet diese Solidarpflichtbekanntlich bei der extremenHaushaltsnotlage der Bundeslän-der Saarland und Bremen, die die-sen aus der ungeschriebenen Ver-fassungsnorm der Bundestreueheraus umfangreiche Rechte ge-gen Bund und Länder gibt. •

Auf der zweiten Stufe aberschränkt dieser Grundsatz dieRechte der nehmenden Länderein, Einschränkungen finden ihreRechte gegenüber dem Bund undden Zahlerländern jedenfalls dann,wenn die Ausgleichsleistungensich nach Jahrzehnten nicht alsgeeignet erwiesen haben, das Zielder finanziellen Eigenständigkeitder nehmenden Länder zu errei-chen. Da das Grundgesetz von derVorstellung, finanziell selbständigerund finanziell überlebensfähigerGliedstaaten, ausgeht, muß in ei-nem^solchen Fall aus der föderalenErwägung der selbständigen Über-lebensfähigkeit der Bundesstaatenversucht werden, auf anderemWege Abhilfe zu schaffen. Als einsolcher Ausweg bietet sich vorallem die staatsvertragliche Lö-sung des Art. 29 Abs. 8 GG an. Diedort angesprochene Neugliede-rung durch Staatsvertrag sollte dieNeugliederung nach der Vereini-gung Deutschlands vereinfachen.

Ein solcher Staatsvertrag bedarfder Bestätigung durch Volksent-scheid in jedem beteiligten Land -daran ist bekanntlich die FusionBerlin/Brandenburg gescheitert.Gemäß Art. 29 Abs. 8 GG könnendie Länder eine Neugliederungdurch Staatsvertrag regeln. DieseFormulierung „können" gibt freilichden Landesorganen keine unein-geschränkte Souveränität, ob sie

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ZEITGESPRÄCH

von der Möglichkeit der Neuglie-derung Gebrauch machen. Denndie Auslegung dieses Begriffs wirddurch den Verfassungsgrundsatzder Bundestreue eingeschränkt.Wem - wie es bei einigen altenNehmerländern der Fall ist - überviele Jahrzehnte das Recht zuer-kannt wurde, bündische Solidar-leistungen entgegenzunehmen,ohne daß er dem Ziel dieser Hilfezur Selbsthilfe näher gekommenwäre, von dem dürfen die geben-den Gebietskörperschaften sehrwohl erwarten, daß sie einer Neben-pflicht nachkommen, die demRecht auf Solidarhilfe immanent ist.

Eine solche aus cder Bundes-treüe abzuleitende Nebenpflichtbesteht darin, nach Jahrzehntenergebnisloser Hilfeleistung im Inte-resse der zahlenden Länder ande-re Möglichkeiten zu ergreifen undnicht bündische Solidarleistungenauf unbegrenzte Zeit weiter inAnspruch zu nehmen, ohne sichernsthaft um Alternativen zu be-mühen. Als eine solche Alternativebietet sich der Versuch an, übereinen Staatsvertrag eine Fusioneinzugehen.

Auf der dritten Stufe schließlichwird dies zu einer Angelegenheitdes Bundes. Falls die jahrzehnte-lage Hilfe zur Selbsthilfe versagt

hat und das betroffene, selbstän-dig nicht überlebensfähige Landentweder seiner Nebenpflicht, sichum eine staatsvertragliche Fusionzu bemühen, nicht nachgekom-men ist, oder eine solche Fusionim Volksentscheid gescheitert ist,könnte der Bundesgesetzgeberselbst die Pflicht haben, Maßnah-men zur Neugliederung vorzuneh-men.. Eine solche Pflicht ist aberdeshalb problematisch, weil erdamit Gefahr liefe, daß- diesesVorhaben erneut am Volksent-scheid scheitert.

Der Bundesgesetzgeber hatdeshalb einen erheblich weiterenSpielraum an Möglichkeiten, aufdie gescheiterte Hilfe zur Selbst-hilfe sowie die ebenfalls geschei-terte staatsvertragliche Option zureagieren. Dabei bietet es sich vorallem an, die Ausgleichsleistungengegenüber einem fusionsunwilli-gen Land, welches seit Jahrzehn-ten selbständig nicht überlebens-fähig ist, zu reduzieren. Denn derdem Föderalismus innewohnendeGrundsatz der Ungleichheit läßt esin einem solchen Fall sehr wohl zu,daß Landesregierung und Landes-volk selbst die Konsequenzenihres Entschlusses der Eigenstän-digkeit tragen und nicht den Bundund die übrigen Länder auf unbe-stimmte Zeit dafür zahlen lassen.

Ich komme zum Schluß. JedeKrise ist heilsam. Die gegenwärti-ge Sinnkrise des Föderalismus läßtsich überwinden, wenn es gelingt,den Gedanken immer größererVereinheitlichung aufzugeben zu-gunsten der Vorstellung von einemWettbewerbs- und -Konkurrenzfö-deralismus. Damit hat unser The-ma viel mit anderen gesellschaftli-chen Entwicklungen gemein: Dermir nächste Bereich, der Höch-schulbereich, leidet an den glei-chen Krisensymptomen. Auch hierhat mehr Vereinheitlichung in Ver-bindung mit der Lebenslüge vonder Gleichheit der Universitätenund Fakultäten zu mehr Unbeweg-lichkeit und Niveauverlust geführt.

In seiner aufrüttelnden Rede hatBundespräsident Herzog hierzujüngst das Erforderliche gesagtund zu mehr Wettbewerb und Lei-stung aufgerufen. Lassen Sie michanmaßend genug sein, die letztenSätze seiner Rede abschließendzu zitieren, da sie meiner Ansichtnach auf die soeben von mir ange-sprochenen Problemfelder über-tragbar sind. Diese letzten beidenSätze lauten: „Ich habe nur Selbst-verständlichkeiten gesagt. Aberdas Selbstverständliche scheintheute nicht mehr selbstverständ-lich zu sein, und daher wirkt es aufviele überraschend."

Rolf Peffekoven

Reform des Länderfinanzausgleichs tut not

Die Bundesländer Baden-Würt-temberg und Bayern drohen

mit; einer Klage vor-dem Bundes-verfassungsgericht, wenn nicht aufdem Verhandlungswege eine Ände-rung des Länderfinanzausgleichserzielt werden kann. Die beidenLänder halten - wie übrigens auchHessen und Nordrhein-Westfalen -die ihnen zugemutete Belastung für

zu hoch. 60 bis 70% der den Durch-schnitt überschreitenden Finanz-kraft müssen derzeit abgeführt wer-den. Zudem wird beanstandet, daßdurch den Länderfinanzausgleichdie Reihenfolge in der Finanzkraftverändert werde.

Nach Art. 107 Abs. 2 GG istdurch Gesetz sicherzustellen, daßdie unterschiedliche Finanzkraft

der Länder angemessen ausgegli-chen wird. Damit soll erreicht wer-den, daß in allen Bundesländernein in etwa gleiches Leistungsan-gebot pro Kopf der Bevölkerungangeboten werden kann, um die„Einheitlichkeit der Lebensverhält-nisse" (Art. 106 Abs: 3 GG) zu er-reichen. •

Insoweit ist der Länderfinanz-

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ZEITGESPRACH

ausgleich verfassungsrechtlich ab-gesichert; er steht nicht zur Dispo-sition. Eine ganz andere Frage istallerdings, ob die derzeitigenRegelungen, die im Finanzaus-gleichsgesetz (FAG) niedergelegtsind, eine ökonomisch sinnvolleLösung darstellen. Nach demheute (im wesentlichen schon seit1969) geltenden Verfahren werdenfür jedes Land zunächst die Fi-nanzkraft und der Finanzbedarf"ermittelt und sodann die Differen-zen zwischen Finanzkraft und Fi-nanzbedarf angeglichen. Den aus-gleichsberechtigten Ländern wer-den mindestens 95% der durch-schnittlichen Finanzkraft garan-tiert. Die dazu erforderlichen Zah-lungen müssen die ausgleichs-pflichtigen Länder aufbringen. Da-bei ist vorgesehen, daß die denDurchschnitt überschreitende Fi-nanzkraft, im Bereich 100-101% zu15%, im Bereich zwischen 10l-l i 0% zu 66% und über 110% mit80% angesetzt wird. Reichen dienach diesem Tarif aufgebrachtenMittel nicht aus, um den aus-gleichsberechtigten Ländern eineFinanzkraft von 95% zu sichern,kann der Satz im mittleren Bereichauf bis zu 80% angehoben wer-den.

Kritik an Einzelregelungen

An den Einzelregelungen ist seitder Finanzreform von 1969 immerwieder Kritik geübt worden1.

D Bei der Ermittlung der Finanz-kraft werden keineswegs alle Ein-nahmen der Länder und ihrerGemeinden berücksichtigt. Zubemängeln.ist vor allem, daß dieGemeindesteuereinnahmen nurzum Teil (Gemeindeanteil an derEinkommensteuer und - ab 1998 -an der Umsatzsteuer sowie dasnormierte Aufkommen aus denRealsteuern) und diese nur zu50% berücksichtigt werden. Öko-nomisch nicht vertretbar ist derAbzug von Pauschalbeträgen zur

Abgeltung der Hafenlasten in denLändern Bremen, Hamburg, Meck-lenburg-Vorpommern und Nieder-sachsen2.D Der Finanzbedarf wird an einerAusgleichsmeßzahl gemessen, diedadurch ermittelt wird, daß dieauszugleichenden Steuereinnah-men der Länder und Gemeinden(jeweils getrennt) je Einwohner imBundesdurchschnitt mit der Ein-wohnerzahl des jeweiligen Bun-deslandes multipliziert werden. DieEinwohner der Stadtstaaten (Ber-lin,. Bremen, Hamburg) werden da-bei mit 135% gewichtet („ver-edelt"), bei der Ausgleichsmeßzahlfür die Gemeindesteuern werdendazu Dichte und Größe der Bevöl-kerung herangezogen. Für dasBeispiel der Stadtstaaten gilt: Allo-kationspolitisch ist diese Regelungnicht vertretbar. Soweit die Ver-edelung damit begründet wird,daß die Stadtstaaten höhere Ko-sten der Leistungserstellung ha-ben, ist sie unangebracht, da siezur räumlichen Konzentration bei-trägt. Wird sie damit begründet,daß die Stadtstaaten Leistungenfür das Umland erbringen, wärederen Kompensation auf anderemWege (z.B. Zweckzuweisungen,Verhandlungslösungeh) anzustre-ben.

D Besonders umstritten ist dasderzeitige Ausgleichsniveau. DerLänderfinanzausgleich im engerenSinn garantiert jedem Land 95%der durchschnittlichen Finänzkraftaller Bundesländer. Darüber hin-aus zahlt der Bund aus seinen Mit-teln an finanzschwache Bundes-länder Fehlbetrags-Bundesergän-zungszuweisungen (BEZ). Dienach Durchführung des Länder-

1 Zu einem Überblick vgl. R. P e f f e k o v e n :Reform des Finanzausgleichs - eine vertaneChance, in: Finanzarchiv,'N.F., Bd. 52 (1994),S. 281 ff., und die dort angegebene Literatur.2 Vgl. R; P e f f e k o v e n : Berücksichtigungder Seehafenlasten im Länderfinanzaus-gleich?, in: Finanzarchiv, N.F., Bd. 46 (1988),S. 397 ff.

finanzausgleichs an 100% nochfehlende Finanzkraft wird zu 90%ausgeglichen, so daß im Ergebnisjedes • Bundesland mindestens99,5% der durchschnittlichen Fi-nanzkraft aller Bundesländer er-reicht. Nach weithin akzeptierterAuffassung entstehen bei einemso hohen Ausgleichsmaß disin-centive-Effekte. Die „armen" Län-der werden sich kaum noch selbstum Steuereinnahmen bemühen,da sie entsprechende Mittel auchohne eigene Aufwendungen überden Finanzausgleich erreichenkönnen. Soweit die „reichen" Län-der höhere Steuereinnahmen er-zielen, müssen sie große Teile desdie durchschnittliche Finanzkraftüberschreitenden Aufkommens ab-führen. Auch das dürfte zu negati-ven Anreizeffekten führen.

Es gibt also gute ökonomischeGründe, gegen Einzelregelungenbei der Ermittlung der Finanzkraftund des Finanzbedarfs und gegendas hohe Ausgleichsniveau zuvotieren und damit für eine Reformdes Länderfinanzausgleichs zu plä-dieren. Auf dem Verhandlungs-wege wird kaum eine Lösung zufinden sein, da sich die meistender (immerhin elf) Empfängerlän-der schon aus fiskalischen Grün-den einer Änderung widersetzenwerden. Die Erfolgschancen füreine Klage sind gering. Soweit esum die Einzelregelungen bei derBestimmung von Finanzkraft undFinanzbedarf geht, hat das Bun-desverfassungsgericht in zwei Ur-teilen von 1986 und 1992 die gel-tenden Vorschriften des FAG fürverfassungskonform erklärt. EineKlage wegen des zu hohen Aus-gleichsniveaus dürfte kaum Erfolghaben; denn es würde um dieobjektiv schwer zu entscheidendeund kaum justitiable Frage gehen,was unter einem „angemessenen"Ausgleich der Finanzkraft (Art. 107Abs. 2 GG) zu verstehen ist. Dasmuß letzten Endes politisch -

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unter Beachtung ökonomischerAspekte - entschieden werden.Hier zeigt sich der für den Finanz-ausgleich typische Zielkonflikt zwi-schen Gleichheit (Distribution) undEffizienz.

Ungenutzte Reformgelegenheit

Die Wissenschaft hat auf dieProbleme des 1969 eingeführtenund später in Einzelvorschriftenwiederholt modifizierten Systemsdes Länderfinanzausgleichs hin-gewiesen. Es sind auch viele Vor-schläge präsentiert worden, wieden ökonomischen Mängeln abge-holfen werden könnte. So vomSachverständigenrat zur Begut-achtung der gesamtwirtschaftli-chen Entwicklung3 und vom Wis-senschaftlichen Beirat beim Bun-desministerium der Finanzen4. DieGelegenheit, eine effizienzorien-tierte Reform durchzuführen, wäredie Neuregelung des Länder-finanzausgleichs im Jahre 1993gewesen, durch die die neuenBundesländer mit Wirkung zum1. 1. 1995 vollständig in die Fi-nanzverfassung einbezogen wor-den sind. Im Vorfeld der Verhand-lungen sind all die Probleme, diejetzt von Baden-Württemberg undBayern in die Diskussion gebrachtwerden, bereits ausgiebig erörtertworden. Es hat auch eine Reihevon Reformvorstellungen der Wis-senschaft, des Bundesfinanzmin-sters und auch einiger Bundeslän-der gegeben. Wären diese aufge-griffen worden, müßte die heutigeDiskussion nicht geführt werden.

Statt dessen haben sich damalsdie Länder einstimmig darauf geei-nigt, das umstrittene System ein-fach beizubehalten. Dabei hatBaden-Württemberg eine merk-würdige Rolle gespielt. Die jetztwieder beklagten Regelungen(Übernivellierung und Änderungder Reihenfolge im Länderfinanz-ausgleich) waren bereits 1992 Ge-genstand eines Normenkontrollan-

trags dieses Bundeslandes. Dannhat jedoch auch.Baden-Württem-berg 1993 der Reform des Länder-finanzausgleichs zugestimmt, ob-wohl den in der Klageschrift vorge-tragenen Argumenten damit in kei-ner Weise Rechnung getragenwurde. Mehr noch: Der baden-württembergische Ministerpräsi-dent hat das Ergebnis als „ausge-zeichnet" gefeiert5. Eine Erklärung

-ist wohl nur darin zu finden, daßdie alten Bundesländer - auch Ba-den-Württemberg und Bayern - imJahre 1993 eine Chance sahen,sich bei der Reform des Finanz-ausgleichs auf Kosten des Bundesfinanziell weitgehend schadloshalten zu können. Dem wurden diebis dahin vorgetragenen Argumen-te geopfert.

Fiskalische Aspekte

Das 1993 verabschiedete Ge-setz ist gerade einmal drei Jahrelang praktiziert worden, und diefinanziellen Auswirkungen ent-sprechen weitgehend den damalserwarteten. Es muß deshalb schonverwundern, daß nun erneut mitden alten Argumenten die Klagevor dem Verfassungsgericht ange-droht wird. Man wird den Eindrucknicht los, daß es wiederum nur umfiskalische Aspekte geht. Da dieBundesländer keine Steuerauto-nomie haben, ihre Nettokreditauf-nahme kaum noch ausweiten kön-nen und Ausgabenkürzungen nichtgewollt.oder nicht möglich sind,bleibt nur ein Ausweg: Man mußversuchen, die im Länderfinanz-

3 Sachverständigenrat zur Begutachtungder gesamtwirtschaftlichen Entwicklung:Für Wachstumsorienti.erung - gegen läh-menden Verteilungsstreit, Jahresgutachten1992/93, Stuttgart 1992, Ziff. 363 ff.4 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundes-ministerium der Finanzen: Gutachten zumLänderfinanzausgleich, Schriftenreihe desBundesministeriums.der Finanzen, Heft 47,Bonn 1992.5 Vgl. o. V: Die Ministerpräsidenten derLänder sind sehr zufrieden, in: FrankfurterAllgemeine Zeitung, Nr. 62 vom 15. 3. 1993,S. 2.

ausgleich gezahlten Transfers zureduzieren oder die empfangenenzu erhöhen. Den ersten Weg ge-hen die Länder Baden-Württem-berg und Bayern (aber auch Nord-rhein-Westfalen und Hessen), denzweiten Berlin, wenn es Sonderbe-darfe (Kosten der Bundeshaupt-stadt) im Finanzausgleich berück-sichtigt wissen will. -

Wenngleich das Argument deszu hohen Ausgleichsniveaus öko-nomisch zutreffend und insoweiteine Reform dringend geboten ist,dürfte eine kurzfristige Änderungdes geltenden Finanzausgleichs-gesetzes nicht möglich sein. -Ein-mal weist die Mehrheit der Länderzu Recht auf den einstimmigenBeschluß aller Bundesländer zurNeuregelung von 1993 hin. Dazukommt, daß damit auch die finan-zielle Absicherung der neuen Bun-desländer bis zum Jahre 2004geregelt ist. Wer jetzt eine Reformdurchsetzen will, müßte also auchVorschläge machen, wie Ersatzlö-sungen für die neuen Bundeslän-der aussehen sollen.

Änderungen der Reihenfolge

Die Behauptung, im Länder-finanzausgleich werde die Reihen-folge in der Finanzkraft geändert,ist sachlich falsch. § 10 FAGsichert, daß dies grundsätzlichnicht geschehen kann. Es gibtlediglich eine Ausnahme: EineGarantieklausel für die empfan-genden Länder kann dazu führen,daß sich im Kreise dieser Länderdie Reihenfolge ändert. Auch dieZahlung der Fehlbetrags-BEZ hatkeinen Einfluß auf die Reihenfolgein der Finanzkraft. Im Jahre 1996war Hessen zunächst mit 117,2%der durchschnittlichen Finanzkraftdas finanzstärkste Land; diese Po-sition behielt es auch nach Län-derfinanzausgleich und der Zah-lung von Fehlbetrags-BEZ, andenen Hessen nicht teilnimmt.

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ZEITGESPRACH

Änderungen in der Reihenfolgeder Finanzkraft können erst ent-stehen, wenn man auch die Son-derbedarfs-BEZ berücksichtigt.Dabei handelt es sich um Zahlun-gen des Bundes an einzelne Län-der, die bestimmte Sonderbedarfegeltend machen können: Kostender politischen Führung in den klei-nen Bundesländern, teilungsbe-dingte Sonderlasten in den neuenBundesländern, Übergangslasten -in einigen alten Bundesländern,die infolge der Neuregelung desLänderfinanzausgleichs als beson-ders belastet gelten, Haushalts-notlagen der Länder Bremen undSaarland. Rechnet man die vomBund gezahlten Sonderbedarfs-BEZ zur Finanzkraft der Empfän-gerländer, dann kommt es zurÄnderung in der Reihenfolge: Daszunächst finanzstärkste Land Hes-sen lag 1996 dann an 9. Stelle,während an die erste Stelle nun-mehr Bremen rückte, das vor Län-derfinanzausgleich an 15. Stellestand.

Dieses Ergebnis ist nun aller-dings so lange nicht zu beanstan-den, wie die Sonderbedarfe aner-kannt und als ausgleichsrelevantangesehen werden. Das haben alleBundesländer durch ihre Zustim-mung zum Finanzausgleichsge-setz 1993 ausdrücklich getan. Da-bei hat sicher eine entscheidendeRolle gespielt, daß sich die Län-dergesamtheit auf diese WeiseZahlungen in Höhe von immerhin25 Mrd. DM zu Lasten des Bundesgesichert hat. Da es hierbei nichtum Zahlungen der ausgleichs-pflichtigen Länder geht, ist dieEinbeziehung dieser Leistungen indie Finanzkraft sachlich problema-tisch und widerspricht der Defini-tion der Finanzkraft in § 6 FAG.Geht man dennoch so vor, dannmüßten allerdings auch anderevertikale Zahlungen des Bundesan die Länder (und Gemeinden) indie Finanzkraft eingerechnet wer-

den. Zu denken ist vor allem an dieMittel, die der Bund im Rahmender Gemeinschaftsaufgaben (Art.91a und 91 b GG) und über Fi-nanzhilfen (Art. 104 a Abs. 4 GG)zahlt. Konsequent wäre es dannsogar, die regionale Streuung derBundesausgaben (zum Beispiel fürForschung und Verteidigung) in dieBerechnung einzubeziehen. Eswürden sich dann sicher ganz an-dere Ergebnisse für die Reihen-folge in der Finanzkraft ergeben,als sie in der aktuellen Diskussionvorgetragen werden.

ProblematischeAusweitung der BEZ

Gerade die starke Ausweitungder BEZ ist unter dem Aspekt einerfunktionierenden föderativen Ord-nung außerordentlich problema-tisch. Der Bund hat damit einedominierende Stellung im Systemdes Länderfinanzausgleichs ge-wonnen, die in der Verfassung sonicht vorgesehen ist. Deshalb istzwar für den Abbau der BEZ zuplädieren, aber auch hier gilt: DieProblematik war bei der Neurege-lung des Länderfinanzausgleichsdurchaus bekannt, fiskalischeÜberlegungen der Länder habendamals aber dazu geführt, demBund hohe Zahlungsverpflichtun-gen zuzuschieben. Die jetzt getrof-fenen Regelungen gelten bis zumJahre 2004; sie können - zumal imInteresse der neuen Bundesländer

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- nicht einfach aufgekündigt wer-den, ohne daß befriedigende Er-satzlösungen geboten werden. DieBerücksichtigung von Sonderbe-darfen sollten die Länder unterein-ander regeln und nicht auf denBund verlagern. Auch das Bun-desverfassungsgericht hat im Falleder Haushaltsnotlagen in Bremen

6 Sachverständigenrat zur Begutachtungder gesamtwirtschaftlichen Entwicklung:Wachstum, Beschäftigung, Währungsunion- Orientierungen für die Zukunft, Jahresgut-achten 1997/98, Stuttgart 1997, Ziff. 339 ff.

und im Saarland keineswegs Lei-stungen ausschließlich des Bun-des verlangt, sondern Bund undLänder gleichermaßen zur solidari-schen Hilfe aufgerufen.

Die wichtigsten ReformpunkteKein Zweifel: Die derzeit gelten-

den Regelungen des Länderfi-nanzausgleichs sind reformbedürf-tig. Spätestens zum Beginn desJahres 2005 müßte eine Neurege-lung verabschiedet sein. Dabeiwerden die jetzt diskutierten Fra-gen (Ausmaß der Nivellierung undHöhe der BEZ) eine wichtige Rollespielen. Aber die Reform des Län-,derfinanzausgleichs muß im Zu-sammenhang mit einer grundsätz-lichen Reform der Finanzverfas-sung angegangen werden. WelcheProbleme dabei gelöst werdenmüssen, hat der Sachverstandi-

. genrat in seinem jüngsten Jahres-gutachten im einzelnen diskutiert6.Die wichtigsten Punkte sind:• stärkere Beteiligung der Länderan der konkurrierenden Gesetzge-bung,D konsequente Beachtung desKonnexitätsprinzips: Wer für dieGesetzgebung zuständig ist, mußauch die daraus resultierendenAusgaben übernehmen,D (begrenzte) Steuerhoheit auchfür die Länder,

D Abbau der Mischfinanzierung,D Rückführung der BEZ,D Reform des Länderfinanzaus-gleichs.

Bei einer solchen Reform sindGesetzesänderungeh mit Zustim-mung von Bundestag und Bun-desrat, in vielen Fällen sogar Ver-fassungsänderungen und damitZwei-Drittel-Mehrheiten in beidenKammern erforderlich. Dem wer-den - wie alle Erfahrung zeigt -schwierige und langwierige Ver-handlungen vorausgehen. Mansollte damit rechtzeitig, bald nachder anstehenden Bundestagswahl,beginnen.

WIRTSCHAFTSDIENST 1998/11 83