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3 Physik des Blutkreislaufs 3.1 Blut und Blutkreislauf 3.1.1 Aufgaben Wie bereits in der Einleitung erwähnt benötigen hö- here Organismen ein System, um Nährstoffe zu den Zellen zu bringen und Abbauprodukte zu entfernen. Beim Mensch werden diese Aufgaben vor allem von Herz-Kreislauf System übernommen. Die wichtigsten Aufgaben des Herz-Kreislauf- systems sind • Die Versorgung der Gewebe mit Nährstoffen • Der Abtransport von Abfallstoffen (z.B. CO2, Milchsäure, ...) • Austausch von Botenstoffen • Immunabwehr 3.1.2 System-Übersicht Das Herz-Kreislaufsystem umfasst Herz Abbildung 3.1: Form und Lage des Herzes. Das Herz ist ein hohles muskuläres Organ, welches in einem festen Rythmus Blut durch die Adern trans- portiert indem es sich kontrahiert. Es wiegt ca. 300- 350 g (0.5% des Körpergewichts) und hat etwa das 1 1 2 -fache Größe einer Faust. Es liegt im Brustraum, leicht links von der Mitte. Gefäßsystem Abbildung 3.2: Charakteristika der wichtigsten Ge- fäßtypen. Das Gefäßsystem besteht aus • Arterien: Blutgefäße laufen vom Herz weg Kapillaren: Haargefäße in denen der Stof- faustausch stattfindet Venen: Blutgefäße führen zum Herz Lymphgefäße: transportieren Flüssigkeit und Abwehrstoffe Blut Das Blut trägt etwa 8% zum gesamten Körperge- wicht bei, d.h. ein Mensch mit 80 kg Körpergewicht besitzt ca. 6.4 kg Blut. Das gesamte Herz-Kreislaufsystem wird durch ei- ne Reihe von Regelmechanismen gesteuert, welche 52

3 Physik des Blutkreislaufs · 3 Physik des Blutkreislaufs Erythrozytendurchmesser/µm H u f i g k e i t / % Abbildung 3.6: Der mittlere Erythrozytendurchmes-ser beträgt 7,5µm

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3 Physik des Blutkreislaufs

3.1 Blut und Blutkreislauf

3.1.1 Aufgaben

Wie bereits in der Einleitung erwähnt benötigen hö-here Organismen ein System, um Nährstoffe zu denZellen zu bringen und Abbauprodukte zu entfernen.Beim Mensch werden diese Aufgaben vor allem vonHerz-Kreislauf System übernommen.

Die wichtigsten Aufgaben des Herz-Kreislauf-systems sind

• Die Versorgung der Gewebe mit Nährstoffen

• Der Abtransport von Abfallstoffen (z.B. CO2,Milchsäure, ...)

• Austausch von Botenstoffen

• Immunabwehr

3.1.2 System-Übersicht

Das Herz-Kreislaufsystem umfasst

Herz

Abbildung 3.1: Form und Lage des Herzes.

Das Herz ist ein hohles muskuläres Organ, welchesin einem festen Rythmus Blut durch die Adern trans-portiert indem es sich kontrahiert. Es wiegt ca. 300-350 g (0.5% des Körpergewichts) und hat etwa das

112 -fache Größe einer Faust. Es liegt im Brustraum,

leicht links von der Mitte.

Gefäßsystem

Abbildung 3.2: Charakteristika der wichtigsten Ge-fäßtypen.

Das Gefäßsystem besteht aus

• Arterien: Blutgefäße laufen vom Herz weg

– Kapillaren: Haargefäße in denen der Stof-faustausch stattfindet

– Venen: Blutgefäße führen zum Herz

– Lymphgefäße: transportieren Flüssigkeitund Abwehrstoffe

Blut

Das Blut trägt etwa 8% zum gesamten Körperge-wicht bei, d.h. ein Mensch mit 80 kg Körpergewichtbesitzt ca. 6.4 kg Blut.

Das gesamte Herz-Kreislaufsystem wird durch ei-ne Reihe von Regelmechanismen gesteuert, welche

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3 Physik des Blutkreislaufs

z.B. Herfrequenz und Gefäßwiderstand dem aktu-ellen Bedarf anpassen. Die Regelungsmechanismenverwenden sowohl nervliche wie auch chemischeSteuermechanismen. Die Produktion der Blutkörper-chen erfolgt im Knochenmark.

3.1.3 Kreislauf: Übersicht

obere Körperhälfte

untere Körperhälfte

Lymphgefäßsystem

Lunge

Herz

Darm

Leber

Niederdrucksystem

(Kapazitätsystem)

arterielles System

(Widerstandssystem)

Lunge

Gehirn

Herz

Leber Darm

Nieren

Haut, Muskel, Skelett

Abbildung 3.3: Überblick über arteriellen und venö-sen Kreislauf. [22] (nachbearbeitet)

In der Abbildung 3.3 ist das Herz- und Gefäßsystemim Überblick abgebildet. Sauerstoffgesättigtes, ”ar-terielles” Blut ist rot gezeichnet, die Teilkreisläu-fe mit teilweise entsättigtem, ”venösen” Blut sindblau gezeichnet, und das Lymphsystem, ein zusätz-liches Transportsystem des Körpers, ist grün einge-färbt. Auf der rechten Seite der Abbildung ist dasarterielle System mit relativ starken und relativ star-ren Wänden dicker eingezeichnet. Das übrige venöseSystem besitzt relativ schwache und stark dehnba-re Wände und wird als Niederdrucksystem zusam-mengefaßt. Der Lungenkreislauf, auch kleiner Kreis-lauf benannt, liegt mit dem rechten Herzventrikel alsPumpe in Serie mit dem großen Körper- oder Organ-kreislauf. Die prozentuale Verteilung des Blutvolu-mens auf die einzelnen Organe und die Druckver-hältnisse im Herz-Kreislaufsystem wird später ge-nauer diskutiert.

3.1.4 Zusammensetzung des Blutes

Blut ist eine relativ komplexe Flüssigkeit, welcheeine Vielzahl von gelösten Stoffen enthält (Salze,Proteine, Kohlenwasserstoffe etc.), wie auch suspen-dierte Stoffe (v. A. rote und weisse Blutkörperchen).

5 l Blut 2.8 l Plasma 190 g Protein

Abbildung 3.4: Zusammensetzung des menschli-chen Bluts. [9]

Den prozentualen Anteil der roten Blutkörperchen(Erythrozyten) am Gesamtvolumen bezeichnet manals Hämatokrit. Er liegt bei Männern bei etwa 47%,bei Frauen bei 43%.

Die roten Blutkörperchen sind für den Transport vonSauerstoff verantwortlich, die weissen für die Im-munabwehr. Das Blutplasma transportiert Nährstof-fe, Stoffwechselendprodukte von den Zellen zu denAusscheidungsorganen (z.B. Nieren), Kohlendioxid,Botenstoffe (Hormone) zwischen unterschiedlichenKörperteilen, und Wärme für den Temperaturaus-gleich zwischen unterschiedlich aktiven Organen.

3.1.5 Erythrozyten

Abbildung 3.5: Rote Blutkörperchen. [9]

Die roten Blutkörperchen sind ca. 7.5 µm im Durch-messer und etwa 2µm dick.

Damit haben sie eine große spezifische Oberflächeund durch die sie effizient Sauerstoff mit ihrer Um-gebung austauschen können. Sie sind außerdem gut

53

3 Physik des Blutkreislaufs

Erythrozytendurchmesser / µm

Häufigkeit/%

Abbildung 3.6: Der mittlere Erythrozytendurchmes-ser beträgt 7, 5µm. [9]

verformbar, was ihnen erlaubt, auch in sehr kleinenKapillaren noch durchzukommen.

Erythrozyten werden im roten Knochenmark gebil-det und nach ca. 120 Tagen in Leber und Milz abge-baut.

3.2 Eigenschaften von Flüssigkeiten

3.2.1 Viskosität und innere Reibung

Bei einer Flüssigkeit lassen sich die Moleküle ge-genseitig verschieben. Die Gestalt einer Flüssigkeitist daher beliebig, das Volumen ist aber bestimmt.Im Gegensatz zu Gasen wirken noch erheblicheKräfte zwischen den Molekülen (Kohäsionskräfte).In weiten Grenzen gilt Volumenelastizität, nach derEntlastung einer Kompression stellt sich wieder dasAnfangsvolumen ein.

Eine reine Formänderung bedarf nur dann einerKraft, wenn sie schnell ausgeführt werden soll. Indiesem Fall führt die innere Reibung zu einem Wi-derstand gegen die Scherung. Auf molekularer Ebe-ne können diese Reibungskräft auf van der WaalsBindungen zwischen den Molekülen zurückgeführtwerden, welche eine gewisse (schwache) Kohäsionzwischen benachbarten Flüssigkeitsvolumina erzeu-gen.

Betrachtet man zum Beispiel eine Platte, die sich miteiner konstanten Geschwindigkeit parallel an einerruhenden vorbeibewegt, dann braucht man dazu eineKraft ~F = ηAd~v

dz , resp. eine Scherspannung τ =~FA = η d~v

dz , wobei η die Viskosität der Flüssigkeitzwischen den beiden Platten ist. Typische Werte sindfür die Luft (1bar) η = 1, 7 · 10−5Pa s, für Wasser

Abbildung 3.7: Innere Reibung bei der Bewegungeiner Platte mit konstanter Ge-schwindigkeit relativ zu einer ruhen-den Platte.

bei 293K η = 10−3Pa s, die Viskosität von Blut istbis zu 10 mal so hoch.

Die Viskosität von Flüssigkeiten nimmt mit steigen-der Temperatur sehr stark ab, für viele Flüssigkei-ten gilt ein Exponentialgesetz η = η∞e

Ea/kBT , wo-bei die Konstante Ea im Wesentlichen die Höhe derAktivierungsenergie des Platzwechsels von Mole-kül(schichten) angibt. Die sehr viel geringere Visko-sität von Gasen nimmt dagegen im Allgemeinen mitsteigender Temperatur zu.

Abbildung 3.8: Viskositätsmessung. [9]

Die Viskosität einer Flüssigkeit kann z.B. gemessenwerden, indem man eine Platte über eine Flüssig-keitsschicht zieht und entweder bei konstanter Ge-schwindigkeit die Reibungskraft oder bei konstanterKraft die Geschwindigkeit misst.

54

3 Physik des Blutkreislaufs

Abbildung 3.9: Laminare Strömung um Kugel.

3.2.2 Laminare Strömung um eine Kugel

Wenn man eine Kugel vom Radius r mit der Ge-schwindigkeit v durch eine Flüssigkeit fallen läßt,dann haften die unmittelbar benachbarten Flüssig-keitsschichten an der Kugel. Wenn man den Ge-schwindigkeitsgradienten durch dv

dz ≈vr abschätzt,

dann erhält man für die Reibungskraft FR = −η dvdz ·

4πr2 = −4πηvr. Eine genaue, sehr aufwändigeRechnung ergibt das Stokes-Gesetz FR = −6πηvr.Dieses Gesetz wird bei dem Kugelfallviskosimeterdazu benutzt, die Viskosität einer Flüssigkeit zu be-stimmen.

v

Zu messendeFlüssigkeit

Abbildung 3.10: Kugelfallviskosimeter.

Bestimmt man die Sinkgeschwindigkeit v einer Ku-gel mit einem Radius r in einer Flüssigkeit der Dich-te ρFl, dann kann man daraus die unbekannte Vis-kosität η dieser Flüssigkeit mit Hilfe des Stokes-Gesetzes berechnen. Die Sinkgeschwindigkeit istgegeben aus dem Gleichgewicht zwischen der Rei-bungskraft FR und der um die Auftriebskraft ver-minderten Gewichtskraft der Kugel: FR = FG −FA = 4

3πr3g(ρK −ρFl). Die dynamische Viskosität

ist also

η =2gr2(ρK − ρFl)

9v.

Ein anderes Gerät zur Viskositätsbestimmung istdas Kapillarviskosimeter, das auf dem Hagen-Poiseuilleschem Gesetz beruht (siehe 3.3.3).

3.2.3 Nicht-Newtonsche Flüssigkeiten

Abbildung 3.11: Viskosität von nicht-NewtonschenFluiden

Die Proportionalität zwischen Geschwindigkeit undReibungskraft gilt jedoch nicht bei allen Fluiden. Indiesen Fällen gilt häufig eine verallgemeinerte Be-ziehung zwischen der Scherrate und der Scherspan-nung. Man kann hier jeweils eine differentielle Vis-kosität definieren, als die Ableitung dτ

d~v/dz der Scher-spannung nach der Scherrate.

Spezielle Fälle sind

• dilatante Fluide: In Suspensionen (z.B. Quarz-kugeln) wird durch zunehmende Reibung mitwachsender Scherrate mehr Entropie erzeugt.

• Bingham-plastisches Fluid: In Suspensionenaus nicht-sphärischen Teilchen können sich dieTeilchen mit zunehmender Scherung ausrich-ten.

• Pseudoplastische Flüssigkeiten: BiologischeFlüssigkeiten wie z.B. Blut; die Scherung kannzu Aggregation und Orientierungsphänomenenführen, sowie zu Deformation der Komponen-ten, in Abhängigkeit von der Scherrate.

In einigen Fällen existiert auch für verschwindendeScherrate eine Scherspannung. Hier handelt es sichalso in einem weiteren Sinne um Festkörper.

3.2.4 Suspensionen

Suspensionen führen nicht nur zu einer Änderungdes Strömungswiderstandes; umgekehrt beeinflusst

55

3 Physik des Blutkreislaufs

auch die Strömung die Eigenschaften der Suspensi-on. So können sich suspendierte Teilchen unter demEinfluss einer Scherung ausrichten oder Agregieren.Dabei sind Orientierung, Agregation und Deforma-tion abhängig von der Scherrate d~v/dz.

In einfachen Fällen kann man die Änderung der Vis-kosität durch die suspendierten Teilchen additiv be-schreiben:

η = ηL(1 + ηspec).

Hier stellt ηLdie Viskosität des reinen Lösungsmit-tels dar. Die relative Änderung ist gegeben durch dieEinstein-Relation

ηspec = 2.5Vrel

mit

Vrel =V olumen der Teilchen

Gesamtvolumen der Suspension.

Diese Näherung gilt nur für geringe Konzentratio-nen, Vrel � 1.

3.2.5 Viskosität von Blut

Abbildung 3.12: Abhängigkeit der Viskosität vonBlut vom Hämatokritwert und demGefäßdurchmesser. [16]

Die Viskosität des Blutes steigt mit dem Hämato-kritwert, dem Anteil der Erythrozyten am Blutvo-lumen in Prozent. Das Blut ist ein Lösungsmittel,in dem Salze, Eiweiß und andere Stoffe gelöst sind.

Außerdem sind feste Stoffe wie zum Beispiel die ro-ten und weißen Blutkörperchen im Blut suspendiert.Außerdem hängt die Viskosität vom Durchmesserdes Gefäßes ab.

Blutviskosität in % der

Plasmaviskosität

Hämatokrit: 0,45

Durchmesser [µm]

Abbildung 3.13: Blutviskosität in Abhängigkeit vondem Rohrdurchmesser. [9] (nach-bearbeitet)

Wegen dem nicht-Newtonschen Fließverhalten desBlutes spricht man daher von einer scheinbaren Vis-kosität. Diese ist in Abildung 3.13 aufgetragen alsprozentualer Anteil der Plasmaviskosität gegen denRohrdurchmesser. Die Erythrozyten neigen wegenihrer ausgeprägten Verformbarkeit dazu, sich an dieStrömung in einem Blutgefäß anzupassen und sichin die Strömungsmitte zu bewegen. In der zellarmenSchicht am Rand wird der Reibungswiderstand sostark vermindert, dass die scheinbare Viskosität desBluts nur etwa 30% über der des Plasma liegt. Ingrößeren Gefäßen steigt die Dicke dieser Schmier-schicht kaum an, die Reibung der strömenden Zel-len jedoch, sodass die Blutviskosität steigt. In extremengen Kapillaren (d < 4µm) nimmt die Blutvisko-siät ebenfalls zu, weil hier die Deformierbarkeit derroten Blutkörperchen der begrenzende Faktor für dieBildung der Schmierschicht ist.

In den kleinsten Kapillaren nehmen die Erythrozyteneine typische Paraboloidform an (Abbildung 3.14oben), als Anpassung an die lokalen Strömungsver-hältnisse. In geringfügig größeren Gefäßen (Abbil-dung 3.14 unten) unterliegen sie ständigen Formän-

56

3 Physik des Blutkreislaufs

Abbildung 3.14: Änderung der Erythrozytenformin Gefäßen mit unterschiedlichemDurchmesser. [9]

derungen.

3.2.6 Reibungskraft

Wir betrachten in einer laminaren Strömung dieKräfte, die auf ein Volumenelement der Flüssigkeitwirken. An jedem (gedachten) Würfel dx dy dz wir-ken Spannungen auf die Seiten des Würfels. Dieskönnen Scherspannungen oder Normalspannungensein. Wir betrachten zunächst den Einfluss einerScherspannung, d.h. einer Reibungskraft.

Bei der laminaren Strömung ist das Verhalten derFlüssigkeit durch die innere Reibung bestimmt. Da-bei gleiten selbst sehr dünne Flüssigkeitsschichtenparallel zueinander, ohne sich zu mischen.

Wir betrachten die Kräfte, die in einer Flüssigkeitauf ein Volumenelement dV = dx dy dz wirken.Auf der linken Seite schreiben wir für die Bezie-hung zwischen der Kraft (= Scherspannung mal Flä-che dy dz) und der Scherrate

dF1 = −η ∂v∂x l

dy dz .

Der entsprechende Ausdruck für die Kraft auf derrechten Seite des Flüssigkeitselementes lautet

dF2 = η∂v

∂x rdy dz = η(

∂v

∂x l+∂2v

∂x2dx)dy dz .

dy

dx

dF1

dF2

Abbildung 3.15: Vorbeigleiten von Flüssigkeits-schichten.

Die gesamte Kraft, die auf das Flüssigkeitselementwirkt, beträgt somit

dFr = dF1 + dF2 = η∂2v

∂x2dV .

Somit ist die Kraft nur dann von Null verschieden,wenn das Geschwindigkeitsprofil gekrümmt ist.

Berücksichtigt man die Beiträge aus allen Raumdi-mensionen, so erhält man

dFr = η

(∂2v

∂x2+∂2v

∂y2+∂2v

∂z2

)dV = η∆v dV .

Da die Kraft proportional zur Größe des Volumen-elementes ist können wir sie auch als Kraftdichteschreiben:

~f =d~Fr

dV= η∆~v .

3.2.7 Druckkraft

Nachdem wir bisher nur die Scherspannung berück-sichtig haben, berechnen wir jetzt den Einfluss der

57

3 Physik des Blutkreislaufs

Normalspannung, welche auf zwei gegenüberliegen-de Flächen wirkt. In einer Flüssigkeit ist die Normal-spannung gleich dem Druck. Somit wirkt auf die er-ste Fläche die Kraft

dF1 = p dy dz .

Auf die 2te Fläche wirkt entsprechend

dF2 = −(p+∂p

∂xdx) dy dz .

Die gesamte Druckkraft wird damit

dFp = dF1 + dF2 = −(∂p

∂x) dV ,

oder, in 3 Dimensionen, d~Fp = −dV ~∇p. Als Kraft-dichte kann dies wiederum als d~fp = −~∇p geschrie-ben werden.

3.2.8 Die Grundgleichungen derHydrodynamik

Kann man äußere Felder (z.B. die Schwerkraft) ver-nachläßigen, so sind die Druck- und Reibungskraftdie einzigen Kräfte, die auf das Flüssigkeitselementwirken. Aus der Newtonschon Gleichung folgt fürdie Beschleunigung dieses Masseelementes

D

Dt(~v ρ dV ) = −dV ~∇p + η∆~v dV .

Für inkompressible Flüssigkeiten ist die Dichte kon-stant und kann vor die Ableitung gesetzt werden.

Die zeitliche Ableitung DDt des Impulses in einem

Vektorfeld (wie einer Flüssigkeit) ist etwas kompli-zierter als für ein Masseteilchen. Sie muss zum einendie zeitliche Änderung an einem festen Ort berück-sichtigen, zum andern die Änderung, welche durchden Transport an eine andere Stelle des Vektorfeldeserfolgt. Die gesamte Ableitung ist deshalb

D

Dt(~x) =

∂~x

∂t+ (~v · ~∇)~x .

Setzen wir dies ein in die obige Gleichung erhaltenwir

ρ

(∂~v

∂t+ (~v · ~∇) · ~v

)= ~−∇p + η∆~v .

Dies ist die Navier-Stokes’sche Gleichung derHydrodynamik für inkompressible Flüssigkeiten.Es ist eine nichtlineare Differentialgleichung, dahergibt es die Möglichkeit von Turbulenz. Wichtig inder Medizin ist dies z. B. bei einem Herzinfarkt, aus-gelöst durch eine Stenose.

Eine andere wichtige Grundgleichung der Hydrody-namik ist die Kontinuitätsgleichung

∂ρ

∂t+ ~∇ · (ρ~v) = 0 .

Sie stellt die Massenerhaltung dar: die Änderung derDichte an einem Ort ist gegeben durch die Divergenzdes Flusses an diesem Ort, d.h. durch die Differenzder ein- und ausfließenden Massenströme. Der Be-weis folgt der Kontinuitätsgleichung der Elektrosta-tik.

Aus der Kontinuitätsgleichung folgt unmittelbar,dass in inkompressiblen Flüssigkeiten (ρ = const.)das Geschwindigkeitsfeld quellenfrei ist, ~∇ · ~v = 0.

3.3 Laminare und turbulenteStrömungen

In einer laminaren Strömung fällt der Konvekti-onsterm weg, (~v · ~∇) · ~v = 0. Ist die Strömungauch stationär, so reduziert sich die Navier-Stokes-Gleichung auf

0 = ~∇p + η∆~v .

58

3 Physik des Blutkreislaufs

Laminar

Turbulent

Innere Reibungdominiert

Typisch für Blutzirkulation

Abbildung 3.16: Beispiel für das gemeinsame Auf-treten von laminarer und turbulen-ter Strömung.

v

z

x

d

0x

0

V

Abbildung 3.17: Laminare Strömung zwischen zweiPlatten (links) und zugehöriges Ge-schwindigkeitsprofil (rechts).

3.3.1 Laminare Strömung zwischen zweifesten Platten

Wir betrachten einen linearen Fluss zwischen zweiPlatten parallel zur z-Achse. In y-Richtung sei dasSystem unendlich ausgedehnt, und wir suchen Lö-sungen der hydrodynamischen Gleichungen, die un-abhängig von y sind. Eine Druckvariation in x-Richtung würde durch einen entsprechenden Flussausgeglichen, so dass ~∇p = ∂p

∂z . Für die Abhängig-keit der Fließgeschwindigkeit von x ergibt sich somit

η∂2v

∂x2= −∂p

∂z.

Somit erhalten wir für das Geschwindigkeitsprofileine quadratische Form. Die Krümmung ist gegebendurch den Quotienten aus dem Druckgradienten und

der Viskosität.

v(x) = −x2

2η∂p

∂z+ c1x + c2 .

Die erste Randbedingung ist, daß die Fließgeschwin-digkeit in der Mitte maximal ist, v(0) = vmax. Wirsetzen ferner voraus, dass die Fließgeschwindigkeitauf den Platten verschwindet, v(±d

2) = 0. Darausfolgt c1 = 0 und

v(x) = vmax(1−4x2

d2) mit vmax =

d2

8η∂p

∂z.

3.3.2 Laminare Rohrströmung

Abbildung 3.18: Laminare Rohrströmung. [13]

Wir betrachten jetzt eine laminare Strömung in ei-nem Rohr. Aus Symmetriegründen erwarten wir,dass die Geschwindigkeit nur vom Radius (nichtvom Polarwinkel) abhängt. Aufgrund der Massener-haltung verschwindet die Abhängigkeit von z (fürkonstanten Rohrdurchmesser). Die Druckkraft aufeinen Flüssigkeitszylinder mit Radius r ist

Fp = πr2(p1 − p2) .

p2 stellt hier den Druck am unteren Ende des Zylin-ders dar, p1den am oberen Ende.

Die Reibungskraft, welche auf den gleichen Zylinderwirkt, ist

Fr = −2πrlη∂v

∂r.

59

3 Physik des Blutkreislaufs

Hier stellt l die Länge des Flüssigkeitszylinders dar.

Für eine stationäre Strömung müssen die beidenKräfte sich gegenseitig aufheben:

Fp = Ft ⇒ πr2(p1 − p2) = − 2πrlη∂v

∂r

oder

∂v

∂r= − 1

2η(p1 − p2)

lr < 0.

Man erhält somit wiederum ein parabolisches Ge-schwindkeitsprofil. Die Differentialgleichung kannunter Verwendung von p1−p2

l = p(z)−p(z+l)l → −∂p

∂z

umgeschrieben werden als ∂v∂r = + 1

2η∂p∂z r.

Mit der Randbedingung dass die Geschwindigkeitam Rand des Rohres verschwindet, v(R) = 0, undv(0) = vmax erhalten wir das Geschwindigkeitspro-fil

v(r) = vmax

(1− r2

R2

).

mit

vmax =14η

(p1 − p2)l

R2 = −∂p∂z

14ηR2.

Auch in einem Rohr haftet die Flüssigkeit an derWand und strömt in der Mitte am schnellsten, undes ergibt sich wieder ein parabolisches Profil.

3.3.3 Durchfluss und Strömungswiderstand

Der Volumenstrom ist Volumen/Zeit oder Flä-che*Geschwindigkeit. Den Volumenstrom durch einFlächenelement dA ist dV̇ = dA · v(r) = 2πr dr ·vmax(1−r2/R2). Durch Integration über den RadiusR des Zylinders erhält man, daß der Volumenstromin diesem Fall proportional zu dem Zylinderradiusin der vierten Potenz ist: V̇ = π(p1−p2)

8ηl R4(Hagen-Poiseuillesches Gesetz) .

Der Volumenstrom ist somit auch proportional zurDruckdifferenz. In Analogie zum Ohmschen Gesetzder Elektrizitätlehre gilt

Stromstrke =Druckdifferenz

Strmungswiderstand.

Der Strömungswiderstand beträgt in diesem Fall so-mit

W =8ηlπR4

.

Eine Änderung der Durchflussmenge kann somitentweder über die Druckdifferenz oder über denStrömungswiderstand erreicht werden. Im Falle desmenschlichen Gefäßsystems ist die Druckdifferenzrelativ konstant: in den Arterien herrscht ein Druckvon 80 − 120mmHg = 10 − 16 kPa, während derDruck im Venensystem etwa 3mmHg = 0.4 kPabeträgt. Da die Durchflussmenge je nach Bedarf ummehr als eine Größenordnung variieren kann wirddiese über den Strömungswiderstand angepasst. Die-se Änderung erfolgt vor allem in den Kapillarge-fäßen. Dort ist auf Grund der R4-Abhängigkeit derStrömungswiderstand am größten, so dass sich Än-derungen am stärksten auswirken. Eine Änderungdes Gefäßdurchmessers um 19% führt bereits zu ei-ner Verdoppelung des Durchflusses (1.194 = 2).Außerdem ist dadurch eine bedarfsgerecht und un-abhängige Steuerung für einzelne Organe möglich.

3.3.4 Klassifizierung von Strömungen

Ausgehend von den Navier-Stokes-Gleichungenkann man verschiedene Strömungstypen unterschei-den. Betrachtet werden soll eine stationäre Strö-mung, für die ∂~v

∂t = 0 gilt. Die Navier-Stokes-Gleichung lautet dann

ρ(~v · ~∇) · ~v = −~∇p+ η~∇2~v.

Schätzt man die Größenordnungen der einzelnenTerme ab, so bekommt man

ρv2

l1︸︷︷︸Beschleunigung

≈ p

l2︸︷︷︸Druck

+ηv

l23︸︷︷︸Reibung

,

wobei l1,2,3 die charakteristischen Längen für dieGeschwindigkeits- und Druckänderung sowie derReibungskraft sind.

Vernachlässigt man die Reibung, ηvl23� p

l2, dann

ist p ≈ 12ρv

2 wenn die beiden charakteristischen

60

3 Physik des Blutkreislaufs

Längen für die Beschleunigung und den Druck et-wa gleich groß sind. Der so erhaltene Druck ist derStaudruck und ist für die Medizinphysik von unter-geordneter Bedeutung.

Vernachlässigt man die Trägheitskraft, ρv2

l1� p

l2,

dann gelangt man zur laminaren Strömung, für die~∇p = η~∇2~v gilt.

Im Übergangsbereich, wenn alle drei Terme etwagleich sind, gelten die Beziehungen ρvl23

l1η ≈ 1 undpl1

ρv2l2≈ 1. Bei geometrischer Ähnlichkeit kann l1 ≈

l2 ≈ l3 = l gesetzt werden. l ist eine charakteri-stische Länge der betrachteten Geometrie, zum Bei-spiel der Durchmesser einer Kugel oder die Seiten-länge eines Würfels. Die sich so ergebenden ZahlenRe := ρvl

η und Eu := pρv2 werden als Reynolds-

Zahl und Euler-Zahl bezeichnet. Sie spielen unteranderem eine Rolle bei Ähnlichkeitsbetrachtungenvon Strömungen.

3.3.5 Turbulente Strömungen

Am wichtigsten für die Medizin(physik) ist die la-minare Strömung und die turbulente Strömung. Ei-ne laminare Strömung kann durch eine Störung oderzu große Geschwindigkeiten in eine turbulente Strö-mung umschlagen.

Abbildung 3.19: Umschlagen von laminarer Strö-mung in turbulente Strömung an ei-ner Verengung.

Die Reynoldszahl Re = ρvlη charakterisiert diesen

Umschlag. Hier stellt ρ die Dichte, v die mittlereGeschwindigkeit, l eine typische lineare Dimension,und η die Viskosität des Mediums dar.

Bei Re > 400 treten an Arterienverengungen oderVerzweigungen lokale Wirbel in den Randschichtender Strömung auf, beiRe > 2000 wird die Strömungvollkommen turbulent. Bei turbulenten Strömungensteigt der Widerstand sprunghaft an.

v

[m/s]2R

[mm]

dvdz

[1/s]Re

Aorta 0.48 25 155 340Arterie 0.45 4 900 500

Arteriole 0.05 0.05 8000 0.7Kapillare 0.001 0.008 1000 0.002Venüle 0.002 0.02 800 0.001Vene 0.1 5 160 1400

Vena cara 0.38 30 100 3300

Abbildung 3.20: Simulation einer turbulenten Blut-strömung. [4]

Im Allgemeinen wird dieser Wert nur in den großenArterien bei maximaler Geschwindigkeit kurzzei-tig überschritten. Denn die vorige Betrachtung giltfür eine glatte, gerade, zylindrische Leitung. In denBlutgefäßen wird die laminare Strömung stabilisiert,indem zum Beispiel ein Teil der kinetischen Energiedes systolisch ausgeworfenen Blutes kurzzeitig inpotentielle Energie (Dehnung der Aorta) umgewan-delt wird. Während der Diastole wird die potentiel-le Energie wieder in kinetische umgewandelt. Die-se Möglichkeit der Dehnbarkeit des arteriellen Sy-stems wird als Windkesselfunktion bezeichnet. Mitdiesem Energiespeicher können Turbulenzen unter-drückt werden. Es kann zum Herzflimmern kommenwenn dies nicht mehr funktioniert. (zum Beispiel imAlter)

3.3.6 Ähnlichkeit von Strömungen

Die Reynoldszahl ist nicht nur ein dimensionslo-ser Parameter einer Strömung, die als Kriterium fürden Übergang zwischen laminarer und turbulenter

61

3 Physik des Blutkreislaufs

Strömung angibt. Sie gibt außerdem die Ähnlich-keit von Strömungen an, denn Strömungen verhaltensich ähnlich, wenn ihre Reynoldszahlen Re = ρvl

η

übereinstimmen. Dieses Ähnlichkeitsgesetz ist dieGrundlage für die Messung von Modellen in Wind-kanälen. Ein verkleinertes (oder auch vergrößertes)Modell M stimmt strömungsmäßig mit dem Origi-nal O überein, wenn es ähnliche Geometrie wie dasOriginal besitzt, die gleiche Reynoldszahl hat,

ReM ≈ ReO,

und auch die gleiche Euler-Zahl hat:

pM

ρMv2M

≈ pO

ρOv2O

.

(pM : Druck des Fluids im Modellversuch, ρM : Dich-te des Fluids im Modellversuch, vM : Geschwindig-keit des Fluids im Modellversuch) Bei einer Verklei-nerung des Modells muß entweder die Geschwindig-keit proportional vergrößert werden oder die kine-matische Viskosität ηkin = η/ρ verringert werden,damit hydrodynamische Ähnlichkeit gewährt ist.

Abbildung 3.21: NASA-Windkanal mit Flugzeug-modell. [5]

3.4 Das Herz

3.4.1 Aufbau und Funktionsweise

Das Herz hat die Aufgabe, das von den Zellen derGewebe und Organe zurückkommende sauerstoffar-me und kohlendioxydreiche Blut zum Gasaustauschin die Lunge zu pumpen und anschließend wiederzurück in die Zellen des Körpers zu befördern. Esbildet den Motor des Systems. Seine durchschnitt-liche Größe beträgt ca. 300-350 g oder 0.5% des

Kopf und Arme

rechterLungenflügel linker

Lungenflügel

Bauch &Beine

Kopf und Arme

Bauch &Beine

Triscupidklappe

Mitralklappe

Lungenklappe

Aortenklappelinkes Ventrikel

rechtes Ventrikel

rechter Vorhof

linker Vorhof

Abbildung 3.22: Blutfluß im menschlichen Herz.[24] (nachbearbeitet)

Körpergewichts. Durch Training oder pathologischeUmstände kann es wesentlich größer werden.

Das Herz besitzt 4 Hohlräume: 2 Vorhöfe (Atri-um) und 2 Kammern (Ventrikel). Das sauerstoffarmeBlut wird im rechten Ventrikel (rechte Herzkam-mer) ins Herz gepumpt, das pumpen des sauerstoff-reichen Blutes übernimmt der linke Ventrikel. BeideVentrikel wirken wie in Reihe geschaltete Pumpen.Die rechte und linke Herzkammern arbeiten abernicht völlig gleich. Im sogenannten kleinen Kreis-lauf der Lunge werden in der rechten Herzkammernur wesentlich kleinere Drücke benötigt als in derlinken, die den großen Kreislauf bedient. TypischeWerte für einen Patienten in Ruhe sind: links 120 zu70mmHg und rechts 25 zu 5mmHg.

Abbildung 3.23: Das menschliche Herz und Blut-fluß. Links: rechte Kammer ge-öffnet, blaue Pfeile zeigen dieFließrichtung des venösen Blu-tes. Rechts: zusätzlich zur rech-ten Kammer sind der rechte Vor-hof und die linke Kammer geöffnet,rote Pfeile zeigen die Fließrichtungdes arteriellen Blutes. [11]

62

3 Physik des Blutkreislaufs

Die Pumpleistung wird durch die Kontraktion desHerzmuskels (Myokard) bewirkt. Das Zusammen-ziehen des Myokards wird Systole genannt, das Ent-spannen Diastole. Die Pumpleistung wird bestimmtdurch Frequenz und Schlagvolumen des geförder-ten Blutes. Die Frequenz in Ruhe liegt bei etwa 70Schlägen pro Minute und kann bei Belastung starkgesteigert werden. Das Schlagvolumen kann durchdie Verkleinerung des systolischen Volumens derlinken Herzkammer durch Steigerung der Kontrak-tion des Herzmuskels beeinflußt werden. Normaler-weise werden nur ungefähr 60ml von 130ml Blut inder Herzkammer in die Aorta entleert.

3.4.2 Der Herzzyklus

p[kPa]

i[l/s]

Anfang Aorta

Linker Ventrikel

Anfang Aorta

A- und P-KlappeM- und T-Klappe

AnspannungSystole

Austreibung

p[kPa]

i[l/s]

EntspannungDiastole

p[kPa]

i[l/s]

Füllungszeit

p[kPa]

i[l/s]

Füllungszeit

p[kPa]

i[l/s]

p[kPa]

Rechter VentrikelPulmonararterie

p[kPa]

i[l/s]

Abbildung 3.24: Herzzyklus: Druck im linken Ven-trikel und am Anfang der Aorta(oben), Blutstrom i am Anfang derAorta (Mitte) und Druck im rech-ten Ventrikel bzw. dem Anfang derPulmonararterie (unten). Ganz un-ten ist angegeben, welche Herz-klappen in während der einzelnenHerzphasen geschlossen (schwarz)oder geöffnet sind (weiß). [16](nachbearbeitet)

In der Abbildung 3.24 sind die Druckverhältnisse imlinken Ventrikel und am Anfang der Aorta zu sehen,der Blutstrom in die Aorta sowie die Druckverhält-nisse im linken Ventrikel und am Anfang der Pul-monararterie. In der ersten Phase des Herzzyklus,der Anspannungsphase, sind alle Herzklappen ge-

schlossen. Der Druck steigt in dem linken Ventri-kel stark an, bis sich auf Grund des höheren Drucksim Vergleich zu dem in der Aorta die Aortenklap-pe öffnet. Nun beginnt die Austreibungsphase woder Druck im linken Ventrikel langsamer ansteigtund ein Maximum durchläuft. Wegen der geöffnetenAortenklappe folgt der Druck am Anfang der Aortadem Druck des linken Ventrikels. Der Blutstrom zuBeginn der Aorta steigt steil an und fällt dann wie-der ab. Am Ende der Austreibungsphase sinkt derVentrikeldruck schnell ab, aber in der elastisch dehn-baren Arterie ist er noch höher, daher strömt etwasBlut zurück ins Herz und die Aortenklappe schließtsich wieder. Diese beiden beschriebenen Phasen ge-hören zur Systole, wo die Ventrikel ihre Hauptarbeitleisten. Die sich anschließende Diastoleist im We-sentlichen passiv und beginnt mit einer Entspan-nung der Ventrikelwand, und der Druck im linkenVentrikel sinkt rasch ab. Wenn er unter demjenigenim linken Vorhof gesunken ist, dann öffnet sich dieMitralklappe, und es strömt Blut vom Vorhof in dieKammer (Füllungszeit). Dies wird durch die ein-setzende Vorhofkontraktion aktiv unterstützt. Wegender Füllung der erschlafften Kammer erhöht sich derDruck dort bis zum sogenannten enddiastolischenFüllungsdruck. Danach beginnt ein neuer Herzzy-klus.

Abbildung 3.25: Pumpzyklus des Herzens. [24]

Der Pumpzyklus kann auch als pV-Diagramm dar-gestellt werden. In der Abbildung 3.25 ist das pV-Diagramm des linken Ventrikels idealisiert darge-stellt. Zu Beginn der Systole (A) herrscht im Ven-trikel der enddiastolische Füllungsdruck. Die Druck-erhöhung der Anspannungsphase erfolgt isovolume-trisch, ebenso wie die Entspannungsphase. In der da-zwischen liegenden Austreibungsphase erhöht sichder Druck langsamer, und das Volumen nimmt ab.Die Füllung der Kammer erfolgt gemäß der Ruhe-dehnungskurve, da der Ventrikel erschlafft ist.

63

3 Physik des Blutkreislaufs

3.4.3 Die Erregung des Herzmuskels

Die Kontraktion der vier Hohlräume des Herzens,rechter und linker Vorhof (Atrium) sowie rechte undlinke Herzkammer, muss in koordinierter Weise er-folgen um eine effektive Pumpleistung zu vollbrin-gen. Dafür gibt es neben den sich verkürzenden Ar-beitszellen, dem Myokard, ein nervliches Reizlei-tungssystem im Herzen. Ausgangspunkt der Erre-gung und Steuerzentrale ist der weitgehend autonomarbeitende Sinusknoten. Dieser ist im oberen Be-reich des rechten Vorhofes angesiedelt. Die periodi-sche Reizauzlösung kann durch das Zentralnerven-system beeinflußt werden. Der nervus symphaticusbeschleunigt, der nervus parasymphaticus verlang-samt die Reizauslösung und damit den Herzsschlag.

Abbildung 3.26: Links: Für die Erregung desHerzmuskels wichtige Teile. [18]Rechts: Ausbreitungszeiten derErregung vom Sinusknoten bis zuverschiedenen Stellen im Herzen,angegeben in Milisekunden. Dieabsoluten Zahlen variieren mit derHerzfrequenz, wichtig sind dieRelationen. [9]

Die Erregung breitet sich vom Sinusknoten zunächstüber die benachbarten Myokardmuskeln der beidenVorhöfe aus. Nach etwa 40ms wird der atrioventri-kuläre (AV-) Knoten erreicht, der im Zentrum desHerzens sitzt, wo beide Vorhöfe und Kammern an-einanderstoßen. Dieser übernimmt die Reizweiter-leitung an die beiden Herzkammern. Diese Weiter-leitung über das His-Bündel, die beiden Schenkelbis zu den Endverzweigungen (Purkinje-Fäden) er-folgt relativ schnell, mit v = 2m/s. Über das Mus-

kelgewebe breitet sich die Erregung wieder (wiezwischen Sinusknoten und AV-Knoten) langsameraus, wegen des Fehlens spezialisierter Zellen, mit et-wa 1m/s.

3.4.4 Zeitlicher Ablauf und Störungen

Im Elektrokardiogramm (EKG) kann man die ein-zelnen Phasen der Erregung sehen.

Abbildung 3.27: Ableitung II der Herzerregungennach Einthoven und zugehörigestypisches EKG-Signal (rechts). [9]

Bei der Ableitung II nach Einthoven werden die Ab-leitelektroden auf der Haut am rechten Unterarm (-)und linken Fuß (+) befestigt. Am rechten Fuß wirdeine Erdelektrode angebracht, um externe Störein-flüsse auszuschalten.

Die einzelnen Phasen des EKG können den ver-schiedenen Phasen der Herzaktion zugeordnet wer-den. Der Beginn der Erregung am Sinusknotenist nicht sichtbar im EKG. Erst wenn ein genü-gend großer Anteil des Arbeitsmyokards des rech-ten Vorhofes erregt ist, sind die Potentialänderun-gen an den Ableitungspunkten sichtbar als Beginnder P-Welle. Die P-Welle zeigt die Erregungsaus-breitung über die Vorhöfe an. Die nachfolgende Nul-linie (PQ-Strecke) kommt durch die anhaltende,vollständige Erregung der Vorhöfe an. In die Pha-se der P-Zacke und der PQ-Strecke fällt die Erre-gung des AV-Knotens, des Hisbündels, ..., bis zuden Purkinje-Fasern. Um die Gefahr einer frühen

64

3 Physik des Blutkreislaufs

Abbildung 3.28: Signalentstehung bei einem EKG(Ableitung II nach Einthoven). [9]

Erregung der Ventrikel vorzubeugen wird die Er-regungsausbreitung an der einzigen Übergangstelle,dem AV-Knoten, verzögert und die Vorhöfe könnensich in die Ventrikel entleeren. Die Erregung des Ar-beitsmyokards der Ventrikel beginnt in der Nähe derHerzspitze und breitet sich zunächst kurz in Rich-tung der Basis der Ventrikel (nach ”oben”) aus. DieQ-Zacke zeigt den Beginn der Erregungsausbrei-tung über die Ventrikel an. Die große R-Zacke ent-steht während der Haupterregungsausbreitung überdie Ventrikel (von innen nach außen). Als letzteswird der Teil des Ventrikelmyokards erregt, der ander Basis des linken Ventrikels außen liegen. Diesführt zur S-Zacke. Die ST-Strecke ist Ausdruckder vollständigen Erregung der Ventrikel. Die Er-regungsrückbildung (Repolarisation der Zellen) imVentrikelmyokard ist Ursache der T-Zacke. Für die-se Rückbildung wird kein spezifisches Leitsystembenutzt. Die Rückbildung der Vorhoferregung istüberdeckt von dem QRS-Komplex und daher nichtsichtbar.

Es gibt mehrere autoregulierende Mechanismen, dieeine autonome Teilregulation übernehmen können,so dass ein gestörter Erregungsablauf vom orga-nischen Herzschrittmacher, dem Sinusknoten, nicht

komplettes Herzversagen bedeutet. Die Herzleistungist in diesen Fällen allerdings im Allgemeinen starkeingeschränkt. Bei Ausfall des Sinusknoten über-nimmt zum Beispiel der AV-Knoten die Schritt-macherfunktion, wenn auch mit einer wesentlich ge-ringeren Frequenz von 30 bis 40 Schlägen pro Mi-nute. Wenn die Überleitung der Erregung von denVorhöfen auf den Ventrikel vollkommen blockiertist, dann spricht man von einem totalen Herzblock.Als Ersatzschrittmacher fungiert ein tertiäres Zen-trum im Reizleitungssystem der Herzkammern mitetwa 30 Erregungen pro Minute. Vorhöfe und Herz-kammern schlagen dann unkoordiniert, die Herzlei-stung ist stark herabgesetzt.

Die Abnahme der Herzfrequenz wird ganz allgemeinals Bradykardie, eine Zunahme als Tachykardiebezeichnet. Es ändert sich nicht nur die Frequenz,sondern auch die Form der Erregung. Besonders ge-fährlich sind Tachykardien, die zu einer ungeregel-ten hochfrequenten Dauererregung des Herzmuskelsführen, dem sogenannten Herzflimmern.

Abbildung 3.29: Oben: Vorhofflimmern mit absolu-ter Arrythmie (nicht unmittelbar le-bensbedrohlich); unten: Kammer-flimmern (führt unbehandelt zumTode). [9]

Dieses führt zu einem Stillstand des Kreislaufs undunbehandelt zum Tode. Abhilfe bringt (neben Medi-kamenten in einigen besonderen Fällen) dann nur dieDefibrillation. Herzschrittmacher werden eingesetztum pathologische Störungen im Ablauf der Herz-reizleitung zu behandeln. Ein Beispiel ist der tota-le Herzblock, bei dem es zu keiner Überleitung vomVorhof zum Ventrikel kommt.

65

3 Physik des Blutkreislaufs

Abbildung 3.30: Oben: Normaler Herzrhythmus;unten: Totaler Herzblock. [9]

3.5 Der Blutkreislauf

3.5.1 Grundlagen

Abbildung 3.31: Übersicht über den menschlichenBlutkreislauf. [11]

Die Blutströmung durch die Blutgefäße wird durchDruckdifferenzen zwischen den einzelnen Gefäßab-schnitten bewirkt. Diese müssen eingestellt und imGleichgewicht gehalten werden. Dafür steuert dieNatur

• Strömung, Druck und Widerstand im Gefäßssy-stem

• Herzvolumen

• Organdurchblutung

• Blutzirkulation in den Kapillaren

• venöser Rückstrom zum Herzen

Steigt z.B. der Bedarf an Blut in einem Muskel,so wird einerseits die Leistung des Herzens erhöht;andererseits wird der Gefäßdurchmesser in diesemMuskel erhöht und dadurch der Strömungswider-stand reduziert. Eine Erweiterung des Gefäßdurch-messers wird z.B. durch Sauerstoffmangel induziert.

Abbildung 3.32: Prinzip des Blutkreislaufs. [18]

Bei der laminaren Strömung hängt der Strömungs-widerstand nur von den Gefäßabmessungen und denEigenschaften des Blutes ab, aber nicht von des-sen Stromfluß. Im Kreislaufsystem können funktio-nell zwei Teilkreisläufe unterschieden werden: eingroßer Körperkreislauf und ein kleiner Lungenkreis-lauf. Die Organe sind parallel ”geschaltet” sodass ei-ne gleichmäßige Versorgung der Körperorgane undKapillare mit hoch oxygeniertem Blut sichergestelltist.

Auf die Eingeweide entfällt der größte Teil des ge-pumpten Blutes, etwa 35%. Dann folgen die Nierenmit 20%, Gehirn und Muskeln mit je 15%. Die Herz-gefäße bekommen 5%, der Rest (10%) entfällt aufHaut, Skelett und sonstiges.

3.5.2 Druckverteilung

Im kleinen Kreislauf herrscht ein geringererStrömungswiderstand, daher sind die systoli-schen/diastolischen Drücke 25/5mmHg, währendsie bei dem großen Kreislauf in Ruhe 120/70mmHgbetragen (siehe Abbildung 3.32). Im Kreislauf-system wird das Blut vom linken Ventrikel überArterien, die sich in Arteriolen verzweigen, in die

66

3 Physik des Blutkreislaufs

Abbildung 3.33: Verteilung des Blutes auf die ein-zelnen Organe. [24]

Kapillaren gepumpt. Die vom Herzen kommendeDruckwelle wird ein den Arteriolen sehr starkgedämpft, weil dort der Strömungswiderstand hochist.

Blutdruck

[mmHg]

Gefäßquerschnitte

Verteilung des

Blutvolumens

Geschw. [cm/s] Geschw.

Querschnitt

[cm2]Querschnitt

Niederdruck-

system

arterielles

System

Abbildung 3.34: Druckverteilung, Blutvolumenver-teilung und Geschwindigkeit inden verschiedenen Gefäßen. [22](nachbearbeitet)

Das führt zu einem kontinuierlichem Blutstrom inden Kapillaren, wo der Gasaustausch mit dem Ge-webe stattfindet. Da sich mehr als 70% des Blutvolu-mens im venösen System befinden, wird dieses auchals Kapazitätssystem bezeichnet.

3.5.3 Grundlagen der Blutzirkulation

Es wird eine laminare Strömung angenommen, dietreibende Kraft ist die Druckdifferenz, die Reibungs-kraft wird durch die Viskosität, die Fläche und demGeschwindigkeitsgradienten bestimmt (siehe Kapi-tel 3.2). In der Realität sind Abweichungen von die-sem einfachen Modell zu erwarten, da die Viskosi-tät des Blutes nicht konstant ist, und das Blut ausPlasma mit supensierten Zellen (u.a. weiße und roteBlutkörperchen) besteht. In der Aorta und der Ar-teria femoralis gilt, dass die Ausbreitungsgeschwin-digkeit des Pulses gleich der Strömungsgeschwin-digkeit ist. Den Einfluß der Elastizität der Blutge-fäße kann durch das Hookesche Gesetz für die Span-nung (Dehnung) der Blutgefäße berücksichtigt wer-den. Da Blutgefäße jedoch auch aktive Komponen-ten in Form von Muskeln enthalten, ist die Realitätschwierig durch einfache Modelle zu beschreiben.Im nächsten Kapitel werden die Ergebnisse eineseinfachen Modells für die pulsatorischen Vorgängeim Arteriensystem vorgestellt.

3.5.4 Arteriensystem

Der mittlere Blutdruck in der Aorta beträgt 13kPa.Der wesentliche Strömungswiderstand kommt vonden Ateriolen und Kapillaren, er wird auch als peri-pherer Widerstand bezeichnet. Für den Menschenerhält man mit dem zeitlichen Mittelwert der Strom-stärke des Blutes (Herzminutenvolumen = Schlagvo-lumen * Herzfrequenz), im ≈ 70ml · 70/min ≈5l/min, und der Differenz der mittleren Drücke inAorta und rechtem Vorhof (< prechter V orhof >≈0, 08kPa):

Rper =< pAorta > − < prechter V orhof >

im≈ 1, 5 · 105kPa s/m3

Die Strömungsgeschwindigkeit in der herznahenAorta beträgt etwa vm ≈ 0, 25m/s. Da die Quer-schnittsfläche Q der Kapillaren insgesamt etwa 500mal größer ist als der der Aorta, und im ≈ vmQ ist,beträgt die Geschwindigkeit in den Kapillaren nurvk ≈ 0,25m/s

500 = 0, 5mm/s.

67

3 Physik des Blutkreislaufs

Dieselben Beziehungen gelten auch für das Lungen-gefäßsystem, allerdings beträgt der periphäre Wider-stand des Lungengefäßsystems nur etwa 10% desobigen Wertes, da der mittlerer Druck in den Lun-genvenen bei etwa 0, 7 − 1kPa liegt, und der mitt-lere Druck der Pulmonararterie etwa 2kPa beträgt.Der zeitliche Mittelwert der Stromstärke ist kon-stant. Der Gesamtquerschnitt der Lungenkapillarenist 100 bis 150 mal so hoch wie der Querschnitt derPulmonararterie, daher ergibt sich eine mittlere Strö-mungsgeschwindigkeit von 2mm/s in den Lungen-kapillaren.

Die Beschreibung der pulsatorischen Vorgänge istwesentlich komplizierter als die der zeitlichen Mit-telwerte. Zur vollständigen Beschreibung werdenKontinuitätsgleichung und die Navier-Stokeschen-Gleichungen

∂~v

∂t+ (~v~∇)~v = −1

ρ~∇p+

η

ρ~∇2~v

und die Bewegungsgleichungen (und Kontinuitäts-gleichung) der Wände benötigt. Dieses Gleichungs-system kann nur bei vereinfachten Annahmen undSpezialfälle gelöst werden. Es wird im Folgen-den angenommen, dass die pulsierende Strömungin einem starren, zylindrischem Rohr (Innenradi-us Ri) erfolgt und nur Geschwindigkeiten in lon-gitudinaler (axialer) Richtung auftreten, ~v = v~ez .Dann hat man es mit einer laminaren Strömungin einem starren Rohr zu tun, äußere Kräfte wiedie Schwerkraft werden nicht berücksichtigt. DieNavier-Stokes-Gleichung lautet dann

∂v

∂t= −1

ρ

∂p

∂z+η

ρ∆v .

Der Laplace-Operator lautet in Zylinderkoordinaten∆ = 1

r∂∂r

(r ∂

∂r

)+ 1

r2∂2

∂ϕ2 + ∂2

∂z2 . Aus Symmetrie-gründen gilt v = v(r), daher bekommt man

∂v

∂t= −1

ρ

∂p

∂z+η

ρ

{1r

∂r

(r∂

∂r

)}v .

Für nichtstationäre, pulsierende Strömungen im ein-geschwungenen Zustand wird ein sinusförmigerDruckgradient in axialer Richtung angenommen,−∂p

∂t = p′zeiωt, der zu einem sinusförmigen Ab-

lauf der Geschwindigkeiten führt: v = vzeiωt. Mit

den dimensionslosen Größen y := r/Ri und α :=Ri

√ωρ/η bekommt man eine Besselsche Differen-

tialgleichung

d2vz

dy2+

1y

dvz

dy− iα2vz = −p′z

R2i

η.

Unter Berücksichtigung der Randbedingung, dassdie Flüssigkeit an der Rohrwand haftet (vz = 0 beiy = 1) bekommt man als Lösung

v = vzeiωt =

p′zR2i

iηα2

(1− J0(αy

√−i)

J0(α√−i)

)eiωt .

J0 ist die Besselfunktion erster Art und nullter Ord-nung.

In der folgenden Abbildung sind drei Beispiele fürGeschwindigkeitsprofile oszillatorischer Strömungzu sehen. Die Geschwindigkeitsumkehr beginnt stetsin den wandnahen Zonen, und im mittleren Rohr-teil eilt die Phase der Geschwindigkeit derjenigenin den Randzonen nach. Mit steigendem Parameterα = Ri

√ωρ/η wird das Profil flacher, und die zen-

trale Flüssigkeitssäule schwingt fast wie ein kom-pakter Körper.

Abbildung 3.35: Geschwindigkeitsprofile für α =3, 6, 9. Zu sehen ist jeweils die Mo-mentangeschwindigkeit gegen denRohrdurchmesser für eine vollstän-dige Schwingung (0◦ − 360◦). [16]

3.5.5 Geschwindigkeitsprofile

Durch die gepulste Ultraschall-Doppler-Strömungsmessung lassen sich die Geschwin-digkeitsprofile in Arterien in vivo nachweisen.Die Ergebnisse zeigen gleichartiges Verhalten,

68

3 Physik des Blutkreislaufs

auch wenn es sich in der Realität nicht um einensinusförmigen Verlauf des Druckgradienten undstarre Gefäßwände handelt.

Abbildung 3.36: Gemessenes Geschwindigkeitspro-fil und zugehörige Pulswelle (un-ten). [16]

In einem starren Blutgefäß wird bei Druckanstiegdie gesamte Blutmenge beschleunigt. Berücksichtigtman die Elastizität der Blutgefäße, dann ist der Ela-stizitätsmodulE nicht länger konstant, wenn sich dieBlutgefäße erweitern. Wegen dem Aufbau des Blut-gefäßes aus elastischem und kollagenen Bindegewe-be sowie glatter Muskulatur ist der Einfluß sehr kom-plex, es wird eine Hysterese beobachtet, R = R(p).

Abbildung 3.37: Hysterese. [16]

3.5.6 Wellen und Pulse

Die Wellen im Blutkreislauf werden erzeugt mitperiodischer Anregung. Als vereinfachende Annah-men werden Reibungskräfte und nichtlinearitätenvernachlässigt. Aus den Navier-Stokes-Gleichungenwerden so die Euler’sch(en) Gleichung(en):

ρ∂v

∂t= −∂p

∂z,

oder M ∂i∂t = −∂p

∂z mit i = A · v und der DefinitionM := ρ

A einer ”effektiven Masse”. Die zugehöri-ge Kontinutiätsgleichung lautet − ∂i

∂z = C ∂p∂t , wobei

C := dAdp die Kapazität oder Steifigkeit (Complian-

ce) pro Länge der Röhre ist. Die Ausbreitung wirddurch die Wellengleichung für den Druck p oderauch die Stromstärke i bestimmt:

∂2p

∂t2= c2

∂2p

∂z2,

∂2i

∂t2= c2

∂2i

∂z2.

Die Wellengleichung wird gelöst durch vorwärtslau-fende antegrade Wellen p = p∼ = p0 · f(t − z/c)und durch retrograde Wellen p∼ = p0 · f(t+ z/c).Bei einer Röhre endlicher Länge, wo die Wellenhauptsächlich an einem Ende generiert werden (Aor-ta), entstehen retrograde Wellen durch Reflektion.

Aus der Wellengleichung kann ebenfalls die Formelfür die Wellengeschwindigkeit abgeleitet werden.Zunächst gilt c2 = 1

CM = dpdA

Aρ = dp

2πRidRi

πR2i

ρ =dpdRi

Ri2ρ . Da Blutgefäße hochdehnbar sind, wird der E-

Modul der Arterienwand differentiell definiert: E =dFdl

lA . Dabei ist dF die dehnende Kraft, und l, A

sind die Länge und der Querschnitt des gedehntenKöpers. Wichtig für das Folgende ist, daß die Adernin längsrichtung vorgespannt und durch Gewebe fi-xiert sind. Daher kommt dem tangentialen (zirku-lären) Elastizitätsmodul die Hauptbedeutung für dieBeschreibung der Wellenvorgänge zu. Die tangenti-elle Wandspannung bei einer Wanddicke d ist σ =pRi

d , daher folgt dσ = Rid dp. Allerdings ist auch

dσ = dFA = E dl

l nach der Definition des differen-tiellen E-Moduls. Tangential gilt dl

l = 2πdRi2πRi

= dRiRi

,

also bekommt man dpdRi

= E dR2

i. Setzt man dies in

die Gleichung für die Wellengeschwindigkeit ein, soerhält man letztendlich

c =

√Ed

2Riρ.

3.5.7 Reflexionen

Wie in elektrischen Leitungen treten auch bei Flüs-sigkeiten Reflexionen auf. Das Auftreten von Re-flexionen kann man relativ leicht über den Wellen-widerstand berechnen. Dieser ist gegeben durch dieImpedanz

Z =p∼i∼

=p∼v∼A

.

69

3 Physik des Blutkreislaufs

Setzt man i∼ = i0f(t ± z/c) und p∼ = p0f(t ±z/c) in die Euler-Gleichung M ∂i

∂t = −∂p∂z ein, dann

bekommt man

• für antegrade Wellen (t− z/c) v = +po

ρc und

• für retrograde Wellen (t+ z/c) v = −po

ρc .

Betrachtet man nur die hinlaufende Welle, so erhältman

Z =ρc

A. (3.1)

An den Stellen, an denen sich Z ändert, gibt es Re-flexionen. Der Reflexionskoeffizient ist definiert alsk = Zr−Ze

Zr+Ze(e: einfallend, r: reflektiert). Für den

Wechseldruck gilt:

p∼ = {f1(t− z/c) + f2(t+ z/c)} ,

und für die Stromstärke

i∼ =1Z· {f1(t− z/c)− f2(t+ z/c)} .

Wichtig sind die unterschiedlichen Vorzeichen derretrograden Anteile, die sich aus der vorherigen Be-trachtung mit i = Av ergeben. Der Reflexionsfak-tor ist das Verhältnis der Druckamplitude der re-flektierten zu derjenigen der einlaufenden Welle. Erkann berechnet werden zu

k =Z2 − Z1

Z2 + Z1,

wenn Z2 der Wellenwiderstand nach der Reflexions-stelle ist und Z1 derjenige vorher. Der Druck am Re-flexionsort ist eine Überlagerung aus ankommender(e) und reflektierter (r) Welle: pd = pe + pr =pe(1 + k). Für die reflektierte Welle ist p∼ > 0und i∼ < 0. Im Arteriensystem überlagern sich hin-und zurücklaufende Wellen in weiten Bereichen, da-her stimmt der Verlauf des (resultierenden) Drucksnicht mit dem Verlauf der (resultierenden) Strom-stärke überein. Bereits zu Beginn der Aorta unter-scheiden sich die beiden Formen erheblich (sieheAbbildung 3.24). Der Druckpuls beginnt zeitgleichmit dem Strompuls, aber die beiden Maxima stim-men nicht überein. Der Unterschied ist besonders

groß in der Diastole, die hier in der arteriellen Dyna-mik nicht nur die Entspannungs- und Füllungszeit,sondern auch noch die Anspannungszeit des näch-sten Zyklus umfaßt.

Die Puls-Wellengeschwindigkeit nimmt mit demAbstand zum Herzen zu, da d/r anwächst, daher

auch c =√

Ed2ρr . Die Aortengeschwindigkeit beträgt

4m/s, in den Extremitäten bis zu 8m/s, zum Teil(am Ende der Beinarterien) auf über 10m/s. WegenZ = ρc

A (3.1) ergibt sich zusammen mit dem abneh-menden Querschnitt A (mit zunehmender Zahl vonVerzweigungen) ein starkes Anwachsen des Wellen-widerstandes in distaler Richtung. Im Blutkreislaufherrscht daher keine homogene Leitung. Die Zunah-me von Z passiert kontinuierlich, aber auch sprung-haft, und es kommt zu vielfachen Reflexionen inner-halb des Systems. Die zurücklaufenden und an derAortenklappe reflektierten Wellen sind zum Beispielder Grund dafür, daß das Druckmaximum später auf-tritt als das Strömungsmaximum während der Aus-treibungsphase (3.24). Die zahlreichen Reflexionenim Verlauf und am Ende des Arteriensystems be-wirken, daß die Druckamplitude mit dem Abstandvom Herzen zunimmt. Wegen einer (hier nicht ge-nauer diskutieren) ω-abhängigen Dämpfung rundensich die Pulse ab mit wachsendem Abstand vom Her-zen. Zusätzliche, hier nicht behandelte, Komplika-tionen sind die zum Teil eingeschränkten Anwen-dungsmöglichkeiten der Näherungen der Kontinu-umsmechanik, da die Areolen einen Durchmesservon 15− 20µm besitzen.

3.5.8 Kreislaufkontrolle

Reguliert werden folgende Größen des Blutkreis-laufs:

• Herzzeitvolumen

• Durchblutung der einzelnen Organe

• arterieller Druck

Das Herzzeitvolumen kann durch Erhöhung derHerzfrequenz und das Schlagvolumen beeinflußt

70

3 Physik des Blutkreislaufs

werden, wobei das Schlagvolumen einen gerin-gen Einfluß hat. Die Durchblutung wird durch Ge-fäßerweiterung (Vasodilatation) erhöht, zum Bei-spiel wenn der Partialdruck von CO2 steigt oder dervon Sauerstoff fällt, ect.

Die Steuerung des arteriellen Blutdruck kann mandurch einen Regelkreis beschreiben.

Regler

Kreislaufzentrum

Pressorezeptoren Stellglieder:

Herzzeitvolumen

Periph. Widerst.

Gefäß-

system

Steuersignale

Störgrößen

Sollwert

Istwert

Geregeltes System

Abbildung 3.38: Regelkreis des Blutdrucks.

Das Kreislaufzentrum im Hirnstamm erhält Infor-mationen über den aktuellen Blutdruck von Pres-sorezeptoren im Aortenbogen sowie an der Auftei-lungsstelle der Halsschlagadern (Kopfschlagadern).Außerdem werden Informationen über den Füllstanddes Gefäßsystems von speziellen Dehnungsrezepto-ren im Bereich der oberen und unteren Hohlvene so-wie den beiden Vorhöfen des Herzens und der linkenHerzkammer geliefert. Die Steuerung des Herzzeit-volumens und des periphären Widerstandes wird vondem Kreislaufzentrum geregelt. Zusätzliche Störgrö-ßen wie plötzlicher Blutverlust werden fließen eben-falls diesem Regelkreis zu.

3.5.9 Bluttransport in Venen

Innerhalb des venösen Systems unterscheidet manein oberflächliches, zwischen Muskelfaszie undHaut eingelagertes Venennetz und ein System tiefergelegener Venen. Das gesamte Venensystem ist nacheinem grundsätzlich anderen Prinzip angeordnet alsdie Arterien.

Die obere Hohlvene (Abbildung 3.39 links) sam-melt das Blut von Kopf, Hals und Arm, während dieuntere Hohlvene durch die Vereinigung der rechtenund linken gemeinsamen Beckenvene entsteht undauf dem Weg in den rechten Vorhof stoßen die bei-den Nierenvenen hinzu. In der Abbildung 3.39 rechtsist das sogenannte Pfortadersystem gezeigt. DiesesVenensystem sammelt das Blut aus dem gesamtenMagen-Darm-Trakt und der Milz, und führt es überdie Pfortader zunächst der Leber zu, und von da ausin die untere Hohlvene.

Abbildung 3.39: Links: Venen und Lymphstämme;rechts: Pfortadersystem. [11]

Abbildung 3.40: Beinvenen mit Venenklappen.

Der venöse Rückstrom zum Herzen wird durch fol-gende Mechanismen bewirkt:

• Sogwirkung des Herzens: Blut wird in Vorhöfegesaugt.

• Atmung: Bei Einatmung entsteht ein Unterduckim Brustraum, was zu einer Erweiterung derdort verlaufenden Venen führt.

• Venenklappen: Die Venenklappen ähneln denTaschenklappen des Herzens und verhindernden Rückfluß des Blutes. Das ist insbesondereWichtig bei den unterhalb des Herzens liegen-den Venen, zum Beispiel den Beinvenen (Ab-bildung 3.40). Der Abstand der Klappen be-trägt in kleinen Venen einige Zentimeter, in dengroßen bis zu 20cm.

• Arteriovenöse Kopplung: Neben den Arteri-en liegen in der Peripherie meist zwei Venen.

71

3 Physik des Blutkreislaufs

Durch Bindegewebe sind Arterien und Venenzu einem Gefäßbündel zusammengefaßt. DiePulswelle in den Arterien preßt die eng anlie-genden Venen zusammen, und wegen der Ve-nenklappen kann das venöse Blut nur in Rich-tung des Herzens fließen.

• Muskelpumpe: Der Druck der Skelettmuskula-tur bewirkt ebenfalls in Kombination mit Ve-nenklappen ein Rücktransport des venösen Blu-tes.

• Vasokonstriktion der glatten Gefäßmuskulatur:Dieser Prozeß, der durch das zentrale Nerven-system gesteuert wird, spielt bei der Blutdruck-regulation eine Rolle.

3.5.10 Lymphsystem

Die Lymphstämme sind zusammen mit den wich-tigsten zentralen Venen in Abbildung 3.39 gezeigt.In den Kapillaren erfolgt der Stoffaustausch mitdem umliegenden zwischenzelligen Raum, dem In-terstitium. Pro Tag werden rund 20l Flüssigkeit indas Interstitium abfiltriert. Etwa 90% davon wer-den wieder resorbiert, die restlichen 10% werdenüber das Lymphgefäßsystem als Lymphflüssigkeitabtransportiert. Die Proteine, die ins Bindegewebegelangt sind, können ausschließlich von den Lymph-kapillaren in das Blut zurückgeführt werden. Drai-nage ist also eine wichtige Aufgabe des Lymphge-fäßsystems.

In dem Verlauf des Lymphgefäsystems sind Lymph-knoten in Form ”biologischer Filter” eingeschaltet.In ihnen findet zum Beispiel die Auseinanderset-zung von Antigenen und Abwehrzellen statt. Nachihrer Vermehrung verlassen die Lymphozyten (Teilder Leukozyten, der ”weißen Blutkörperchen”) dieLymphknoten, und gelangen über das Lymphgefäß-system zurück ins Blut und andere Teile des Kör-pers. Die Immunzellen werden in den primären lym-phatischen Organen, im Thymus und Knochenmark,gebildet und wandern in die sekundären lymphati-schen Organe: der Milz, den Lymphknoten und demlymphatischen System der Schleimhäute (z.B. Man-deln).

Abbildung 3.41: Stofftransport und Lymphsystem.[22]

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