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Ein Wassertropfen auf dem Blüten blatt einer Butterblume vergrößert optisch als natürliche Lupe die Struktur Praktische Ideen aus der Natur machte sich der Mensch im mer schon gerne zu eigen. Foto: 2009 by Hedwig Storch (CC BYSA3.0 ), via Wikimedia Commons Fragen zu den Forschungslandschaften in Deutschland am Beispiel der LeibnizGemeinschaft Aus Anlaß des Jahrespressegesprächs der LeibnizGemeinschaft am 24. März 2014 in Berlin Chris Arreola unterliegt in der sech sten Runde (SB) ... (Seite 17) Hunger als Mittel der NSMedizin Staatlich organisiertes Mangelregime Workshop am 7./8. Februar 2014 in HamburgAlsterdorf und Neuen gamme (SB) ... (S. 9) Plötzliche Erdbebenschwärme in mehreren USBundesstaaten USGeologen vermuten, daß die Erdbeben von der Erdöl und Erdga sindustrie ausgelöst werden (SB) ... (S. 14)

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MA-Verlag Elektronische Zeitung Schattenblick Montag, 1 2. Mai 2014

Neueste tagesaktuelle Berichte . . . Interviews .. . Kommentare . . . Meinungen .. . . Textbeiträge .. . Dokumente . . .

Ein Wassertropfen auf dem Blüten­blatt einer Butterblume vergrößertoptisch als natürliche Lupe dieStruktur ­ Praktische Ideen aus derNatur machte sich der Mensch im­mer schon gerne zu eigen.Foto: 2009 by Hedwig Storch (CC­BY­SA­3.0 ), via Wikimedia Commons

Daß der Mensch gern die Naturnachahmt, ist nicht neu. Die viel-leicht ältesten Dokumente darüberfindet man in den Konstruktions-

zeichnungen "Über den Vogelflug"von Leonardo da Vinci, der darin be-reits 1 505 versuchte, seine durch Be-obachtung gewonnenen Erkenntnis-se auf eine Flugmaschine zu übertra-gen. Vom Streuer à la Mohnkapsel(Raoul Heinrich Fránce 1920), überdie der Klette entliehene Klettver-schluß-Technik (George de Mestral1 948), den energieeffizienten "Wal-haut-Anstrich" für moderne Schiffs-rümpfe, den umstrittenen Lotusef-fekt für die Badezimmerkeramik bis

Leibniz-Gemeinschaft - Ohne Forschungsängste erben ...

Prof. Dr. Martin Möller im Gespräch

Fragen zu den Forschungslandschaften in Deutschlandam Beispiel der Leibniz­Gemeinschaft

Aus Anlaß des Jahrespressegesprächs der Leibniz­Gemeinschaftam 24. März 2014 in Berlin

Prof. Dr. Martin Möller über das, was Materialien alles"selbst" können, über Grenzflächen zwischen "Bio" und

Synthetik und die Grenzen der Forschung

Gruß nach Haiti - Bermane Sti-

verne neuer WBC-Champion im

Schwergewicht

Chris Arreola unterliegt in der sech­sten Runde

(SB) ­ Bermane Stiverne ist der erstein Haiti geborene Weltmeister imSchwergewicht ... (Seite 17)

PANNWITZ / REPORT

SPORT / BOXEN

Berufsstand und Beteiligung -

Schreckenskumpanei

Hunger als Mittel der NS­Medizin ­Staatlich organisiertes MangelregimeWorkshop am 7./8. Februar 2014 inHamburg­Alsterdorf und Neuen­gamme

(SB) ­ Das Kritikern des staatlich or-ganisierten Mangelregimes inDeutschland entgegengehaltene Ar-gument, daß hierzulande schließlichniemand verhungern müsse, ist sozynisch wie falsch. Schließlich trägtdas als Hartz IV bekannte ... (S. 9)

UMWELT / REDAKTION

Fracking und die explosive Zunah-

me von Erdbeben in Oklahoma

Plötzliche Erdbebenschwärme inmehreren US­BundesstaatenUS­Geologen vermuten, daß dieErdbeben von der Erdöl­ und Erdga­sindustrie ausgelöst werden

(SB) ­ Ein in Science-fiction-Roma-nen häufig benutztes Szenario siehtso aus, daß eine Welt von einerfeindlichen Macht aus dem All her-aus angegriffen wird ... (S. 14)

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Elektronische Zeitung Schattenblick

Seite 2 www.schattenblick.de Mo, 12. Mai 2014

hin zum künstlichen Muskel in derRobotik versucht der Mensch im-mer wieder, sich Naturkonzepte, dieihm praktisch, kostensparend odersonstwie erstrebenswert erscheinen,in Form von technischen Analog-konstruktionen anzueignen, mitmehr oder weniger Erfolg. WährendPfefferstreuer und Klettverschlußals Aushängeschilder einer gelunge-nen Kombination aus Biologie undTechnik, der sogenannten Bionik,gelten, scheitern vor allem kompli-ziertere Übertragungen aus der Bio-logie, beispielsweise von Bewegun-gen, daran, daß den Forschern im-mer noch Puzzlesteinchen im Ge-samtkonzept zu fehlen scheinen.Auch den fortschrittlichsten Robo-terbeinen, die nach modernen Er-kenntnissen der Muskelkontraktion,Feinsteuerung und Kontrollmecha-nik einfach nur "gehen" sollen undvielleicht sogar mit einer gewissenLernfähigkeit ausgestattet wurden,sieht jeder die starren, mechani-schen Anteile wie die Bewegungs-vorstellungen seiner Konstrukteurean. [1 ]

Der gleichen Idee, intelligente, bio-logische Problemlösungen tech-nisch nachzuahmen, nur auf einerfür den unverstellten Blick wenigzugänglichen, molekularen Ebene,widmet sich auch die "interaktiveMaterialforschung", die sich vor al-lem auf dem Gebiet der "biologischinspirierten Werkstoffe" einem stän-dig wachsenden Interesse von denForschenden selbst wie auch vonWirtschaft und Industrie ausgesetztsieht. Sie beginnt im Grunde dort,wo die herkömmliche Bionik an ih-re Grenzen stößt, und will auf syn-thetischem Wege Strukturen schaf-fen, die sich auf energetisch unauf-wendige Weise selbst regenerieren,reparieren, zusammensetzen, bewe-gen und an Gegebenheiten anpassenkönnen, wie sie die Evolution längstfür lebende Zellen erfunden hat.Kein Wunder, daß ein Institut, dassich maßgeblich diesen ambitionier-ten, zukunftsorientierten Themenwidmet, für die interdisziplinären

Forschungsprojekte der Leibniz-Gemeinschaft eine Bereicherung zusein verspricht. Seit Jahresbeginn istdas Aachener Materialforschungsin-stitut, DWI [2] , Mitglied in der re-nommierten deutschen Wissen-schaftsorganisation und führt nunden Namen "DWI-Leibniz-Institutfür Interaktive Materialien". SeinDirektor, Professor Dr. Martin Möl-ler, gehört zu jenen Vordenkern, diein der Dimension des Winzigklei-nen, letztlich der Chemie, schon seitvielen Jahren "unbegrenzte Mög-lichkeiten" für die Forschung sehen.2003 wurde er gemeinsam mit BenFeringa (Universität Groningen,Niederlande), Niek van Hulst (Uni-versität Twente, Niederlande) undJustin E. Molloy (National InstituteofMedical Research, London) fürdie Arbeiten an einem lichtgetriebe-nen, molekularen Motor, der sichauf Oberflächen bewegt, mit dem"Körber-Preis für die EuropäischeWissenschaft" ausgezeichnet. Am14. September dieses Jahres soll derWissenschaftler darüber hinaus denHermann-Staudinger-Preis [3] er-halten. Der Schattenblick sprach mitdem anerkannten Materialforscher,Nanotechniker und Visionär un-sichtbarer Mikrowelten am Randedes Jahrespressegesprächs der Leib-niz-Gemeinschaft am 24. März2014 in Berlin über den Vorstoß insnanoskalige Unbekannte, aber auchüber seine Grenzen.

Biologisch inspirierte Materialfor­schung ist ein Gebiet, das momentan

große Aufmerksamkeit bekommt.Prof. Dr. Martin Möller

Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Weshalb war esfür das Aachener Materialfor-schungsinstitut DWI erstrebenswert,Mitglied der Leibniz-Gemeinschaftund somit DWI-Leibniz Institut fürInteraktive Materialien, Aachen, zuwerden? Das DWI ist ja bereits andie Rheinisch Westfälische Techni-sche Hochschule, Aachen, RWTH,gebunden. Was macht darüber hinauseine weitere Integration in eine grö-ßere Forschungsorganisation wie dieLeibniz-Gemeinschaft für Ihr Insti-tut so attraktiv?

Prof. Dr. Martin Möller (MM): DieVerbindung mit der Aachener Hoch-schule ist für uns essentiell wichtigund wir tun auch ganz viel dafür.Nichtsdestotrotz war das DWI als einreines An-Institut [4] bisher in keinerEinrichtung, die einer großen Gesell-schaft oder Gemeinschaft angehört,die aufLänderebene in der Gemein-samen Wissenschaftskonferenz,GWK, [5] oder - speziell für dieLeibniz-Gemeinschaft - aufBundes-ebene national vertreten ist und sichnational für ihre Institute einsetzenkann. Das heißt auch, bei allen Än-derungen, die sich ergeben - steuerli-che Veränderungen, oder so etwas -,

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gibt es nun eine Vertretung und damiteine Möglichkeit, sich zu artikulieren.Das einzelne, kleine Institut konntedas nicht. Das ist das eine. Darüberhinaus ist der Mitgliedsstatus natür-lich ein Mehrwert an Bedeutung.Wenn ich beispielsweise ins Auslandgehe und sagen kann, wir gehören zurLeibniz-Gemeinschaft, dann ist dasetwas ganz anderes, als zu sagen, wirsind ein Institut in Aachen. Und es be-deutet fraglos auch für den StandortAachen einen Mehrwert. Also, so-wohl in der Positionierung gegenüberder RWTH wie auch in der Partner-schaft mit der RWTH haben wirdurch die Leibniz-Gemeinschaft einewesentlich stärkere Position als eineinzelnes, unabhängiges Institut.

SB: Macht sich diese stärkere Posi-tion auch in einer besseren Förde-rung, Bemittelung oder Zuwendung,zum Beispiel bei Publikationsmög-lichkeiten, bemerkbar?

MM: Die institutionelle Förderungdurch Bund und Länder ist eine Stär-kung. Das ist für uns auch ein finan-zieller Aufwuchs gewesen. Ich hatteim Pressegespräch bereits die IP-Rechte [6] angesprochen, also dieSchutzrechtssituation. Wenn daskleine An-Institut in die Hochschul-verwaltung geht, um Schutzrechte zuverabreden, ist das etwas ganz ande-res, als wenn es um die Absicherungder Schutzrechte für ein Leibniz-In-stitut geht. Jetzt muß ich einfach nuranrufen, um mir diese von der ande-ren Seite her bestätigen zu lassen.Also, ich bin fest davon überzeugt,all die vielen kleinen Institute, die esheute noch gibt, die teilweise wie dasDWI in den 50er Jahren entstandensind, werden es in der Zukunft dies-bezüglich immer schwerer haben.

SB: . . . ohne die Rückendeckung grö-ßerer Verbünde .. .

MM: Ja genau, ohne die Rücken-deckung eines großen Verbands.

SB: Trägt die Integration in die Ge-meinschaft auch zur Verkürzung von

anderen Wegen bei, beispielsweisedenen der Verständigung oder des In-formationsflusses zwischen einzel-nen Leibniz-Instituten?

MM: Genau, das ist noch ein weite-rer Aspekt. Es gibt jetzt innerhalb derLeibniz-Gemeinschaft mit uns dreiInstitute, die ähnlich ausgerichtetsind: das Institut für Interaktive mo-lekulare Materialien, das Leibniz-In-stitut für Neue Materialien in Saar-brücken (INM) und das Leibniz-Insti-tut für Polymerforschung Dresdene.V.. Schon während des Aufnahme-verfahrens entwickelte sich unter unsein ganz anderer Kontakt. Es gab na-türlich von der fachlichen Seite herauch vorher schon Schnittflächen. Ichwar im wissenschaftlichen Beirat inSaarbrücken, ich war sogar im Kura-torium in Dresden. Das waren meineeher persönlichen Kontakte.Und jetzt haben wir über dasWettbewerbsverfahren hinausneue Möglichkeiten, daß wirdie Institute zusammenbringenkönnen. Fördermittel spielenimmer wieder eine große Rol-le, besser gesagt die Frage, wokommt das Geld her. Ich nennemal ein Beispiel: Die Zusam-menarbeit mit Jülich alsHelmholtz-Gemeinschaft istnicht deswegen häufigschwierig, weil wir keine ge-meinsamen Interessen, weilwir nicht die besten Absichtenoder keine interessanten Pro-jekte haben, sondern weil diegrundsätzlichen Förderströmeganz anders gesteuert sind.Natürlich muß sich jeder For-scher danach richten, woher er dasGeld bekommt, mit dem er seine For-schung bezahlt. Und wenn das beson-dere Randbedingungen oder eine be-sondere Ausrichtung erfordert, dannpaßt das manchmal plötzlich nur zeit-lich nicht mehr zusammen. Der einemuß es dann in diesem Jahr machenund der andere hat die Chance erst ineinem anderen Jahr.

SB: Sind darüber hinaus die Vorteileder größeren Gemeinschaft nach die-

sen wenigen Monaten schon spürbar?MM: Ja. Wir sind jetzt das erste Malin den Leibniz-Wettbewerb, das frü-here SAW-Verfahren [7] , eingestie-gen. Natürlich richten wir uns dabeiintensiv nach den Kriterien, die da-für vorgesehen sind. Allerdingsmußten wir bereits im Vorfeld desAufnahmeverfahrens gewisserma-ßen zum Leibniz-Musterschülerwerden. Neuaufnehmen ist oft anstringentere Bedingungen geknüpft,als schon drinnen sein und drinnenbleiben. Daher haben wir uns sehreingehend damit beschäftigt, wie dieanderen Institute arbeiten, wie wir inZukunft arbeiten werden, und aufdieArt und Weise dann auch punktuell -also noch nicht mit allen anderen 88Leibniz-Instituten - Zusammenhän-ge festgestellt.

Raupenmizelle ­ Ein Beispiel für in­teraktive Materialien, die durch

Selbst­Aggregation, einer Templat­Reaktion nach dem LEGO­Stein­chen­Prinzip, zusammenfinden.

Illustration zu einer Arbeit, die einNachwuchswissenschaftler des DWI,Dr. Andreas Walther, gemeinsam mit

Kollegen aus anderen Instituten2013 in der Fachzeitschrift "Nature"

veröffentlichte.Grafik: © 2013 by Forschungsgrup­

pe Prof. Axel Müller (Pressebild)

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SB: Von der anderen Seite aus be-trachtet, was macht das DWI und IhrForschungsgebiet für die Leibniz-Gemeinschaft interessant, bezie-hungsweise womit beschäftigen Siesich und was verstehen Sie genau un-ter interaktiven Materialien?

MM: Unter dem Begriff "interaktiv"versteht man eigentlich diese ganzen"Selbsts", also: "selbstbewegend","selbstheilend", "selbstreinigend"oder auch "selbstreplizierend", dar-unter fallen auch die sogenanntenTemplat-Reaktionen [8] . Das sindchemische Reaktionen, in denen manetwas wieder abbilden und anschlie-ßend aktiv machen kann, eine dergroßen Herausforderungen heutzuta-ge. Aus meiner Sicht - das sage ichjetzt mal so kraß - ist es überhaupt diegrößte Herausforderung für die Ma-terialwelt. Wie können wir Stoffe mitaktiven Eigenschaften ausstatten, wiekönnen wir sie dazu bringen, daß sieadaptiv (anpassungsfähig) sind?

Nehmen Sie zum Beispiel mal eineSonnenblume. Die weiß immer, woherdie Sonne scheint und richtet ihre Blü-te den ganzen Tag danach aus. Nehmenwir dagegen eine Photovoltaik-Anla-ge, dann brauchen wir mindestenseinen Sensor und einen Motor, damitdann auch das Panel der Sonne nachausgerichtet werden kann. Können wirsolche Funktionen wie bei der Blumemit ins Material hineinbringen? Dassind die Fragen, die wir uns stellen.

Die größte Herausforderung an dieMaterialwelt. Wie können wir Stoffemit aktiven, adaptiven Eigenschaftenausstatten?Foto: 2005 Nick 1915 (CC­BY­SA­2.0Germany, via Wikimedia Commons

SB: Braucht man das alles im We-sentlichen dann auch in Form von or-ganischen Materialien?

MM: Ja, deswegen auch mein Be-griff "Makromolekulare Materiali-en". Um das zu erzeugen, brauchensie diese große Komplexität, siebrauchen letztlich so etwas wie einSystem. Das System muß einen eige-nen Antrieb haben, es muß auch ei-ne Energiequelle haben und es mußin der Lage sein, Arbeit zu leisten.Die Energie kann von außen überStrahlung reinkommen, sie kannauch so, wie wir das von Pflanzen-zellen, also von natürlichen Zellen,kennen, durch kleine Kraftwerke er-zeugt werden, die man dann in dasMaterial einbauen muß. Wir kennensolche kleinen Kraftwerke im Prin-zip ja auch in grober und ein bißchengrößerer Form als Batterien oder Ak-kumulatoren. Also, wie läßt sich soetwas Miniaturisieren und mit insSystem einbringen?

SB: Da drängt sich eine etwas ketze-rische Zwischenfrage auf, da Sievorhin "interaktiv" mit dem Begriffdes 'Selbst' in Verbindung gebrachthaben, der ja sehr modern ist: WennSie für selbstadaptive Materialien ei-ne Energiezufuhr brauchen, wie ver-einbart sich das noch mit der Eigen-ständigkeit des sich 'selbst'ausrich-tenden Materials?

MM: Entweder muß die Energie imMaterial selbst gespeichert sein, sodaß sie abgerufen werden kann odersie muß von außen zugeführt werden.

SB: . . . oder vorher schon zugeführtworden sein, als Batterie, als Lade-trennung oder etwas ähnliches?Dann müßte man aber auch wiedermit einer Art Materialermüdungrechnen, wenn diese "materielleEnergie" verbraucht sein wird.

MM: Nun, auch die Erde ist in demSinne ja kein abgeschlossenes Sy-stem, sondern sie und alles Lebendarauf brauchen die Energie derSonne.

SB: Welche Ausgangsstoffe oderRohstoffe wollen Sie für diese "in-telligenten" Mikrosysteme nutzen?

MM: Wir haben es mit drei verschie-denen Arten von Materialien zu tun.Die drei Säulen oder die Kompe-tenzbereiche des DWIs sind die Ma-kromolekulare Chemie oder Poly-mer-Chemie, die Biotechnologie unddie chemische Verfahrenstechnik.Aus der makromolekularen Chemiegewinnen wir synthetische, auch im-mer komplexer aufgebaute Materia-lien, also all das, was ein Chemikermachen, besser gesagt synthetisierenkann. Aus der Biotechnologie kom-men biologische Komponenten.Biotechnologische Materialien sindheute schon sehr vielfältig. Wir kön-nen Proteine beispielsweise durchZellen herstellen lassen, aber auchbiohybride Strukturen, das heißtsynthetische Materialien, in die wie-derum biologische Moleküle einge-fügt werden, wobei dann häufig dieFunktionalität aus den biologischenKomponenten kommt. Die Naturkann diese Dinge nach wie vor vielbesser bauen, als der beste Syntheti-ker.

SB: Wären beispielsweise in diesebiologischen Komponenten dann be-reits die Anlagen für die Energieum-wandlung integriert?

MM: Ja, sie brauchen sogenannte"Compartments", also verschiedene,abgegrenzte Abteilungen, in denenMoleküle mit unterschiedlichem,chemischen Potential vorkommen,von denen dann auch die Energie er-zeugt wird. Die Natur hat das in derPflanzenzelle perfekt vorgemacht.Sie "kompartimentisiert" wie einWeltmeister, das heißt, man findetdort überall Membranen mit einge-bauten Transportmechanismen. Undüber diese Mechanismen entsteheneigentlich aus einzelnen Molekülenkomplexe Systeme. Solche Konzep-te auch in synthetische Materialienumzusetzen, ist eine wissenschaftli-che Herausforderung. Dafür habenwir heute den Begriff 'Bio inspired

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Ein Baum aus Blech und Modulen.Der Solarbaum am Hauptplatz istdas Wahrzeichen von Gleisdorf.'Die Natur kann diese Dinge nachwie vor viel besser bauen.'Die Blätter des 'Solarbaums' brau­chen Sensoren, Motoren und mecha­nische Ausrichtungsvorkehrungen.Foto: 2005 by Anna Regelsberger(CC­BY­SA­3.0), via WikimediaCommons

Material Engineering', also biolo-gisch inspirierte Materialforschung.Das ist momentan ein aufstrebendesGebiet, das sehr großen Zulauf be-kommt. [9]

SB: Bei der Vorsilbe "bio" in "Bio-nik" oder "bio-inspiriert" denktman sofort an natürliche, umwelt-freundliche Stoffe und Substanzen,biologische Materialien. Wie ver-halten sich die veränderten Natur-objekte, wenn sie wieder zurück indie Natur entlassen werden oderwenn sie - "inter-" oder "selbstak-tiv" - vielleicht einmal aus den fürsie vorgesehenen Systemen oderBereichen "ausbrechen". Könnte esda Probleme geben oder rechnenSie damit?

MM: Das kann ich ambesten an der konkre-ten Fragestellung dar-stellen: Wir haben imMoment ein For-schungsprojekt, in demwir uns damit beschäf-tigen, sogenannteSchwimmer zu ent-wickeln. Mi-kroschwimmer sindwinzig kleine, kolloi-dale Teilchen, die eineneigenen Antrieb haben,so daß sie gerichteteBewegungen ausfüh-ren können. Wenn wirihnen diesen Antriebnehmen, dann sind sieso gut wie tot. Ihre An-triebsenergie erfolgtdurch Infrarotstrahlungvon außen. Also, sowie die Erde das Son-

nenlicht aufnimmt, absorbieren die-se die Wärme und können dadurchangetrieben werden. Der Antriebkann aber auch über einen katalyti-schen Prozeß erfolgen. In dem Fallmuß man halt einen Treibstoff, einsogenanntes "Fuel", also eine Che-mikalie, dazugeben, die dann umge-setzt werden kann. Ein ganz funda-mentales, grundsätzliches Problemist dabei: Kann ich kleine Teilchendazu bringen, sich längs eines Roh-res in eine bestimmte Richtung zubewegen? Kann ich das nachWunsch anstellen, abstellen, und soweiter? Wenn Sie sich dann am En-de mal anschauen, wie das in diesemBeispiel gelöst wird, dann ist das soeinfach, daß es auf jeden Fall be-herrschbar ist. Da stellt sich die Fra-ge, die Sie gestellt haben, gar nichtmehr.

Wenn Sie nun eine ganz andere Fra-gestellung nehmen, zum Beispiel an-timikrobielle Polymere beziehungs-weise antimikrobielle Peptide oderProteine: Davon haben wir sehr vie-le in unserem Körper, die uns vordem Befall mit irgendwelchen Mi-kroben schützen. Sie sorgen bei-spielsweise dafür, daß unsere

Schleimhäute im Auge nicht plötz-lich schimmeln. Diese Peptidmi-schung ist ein komplizierter Cock-tail, der dann funktioniert und wirkt,wenn unerwünschte Mikroorganis-men auftauchen. Das hat nichts mitAntibiotika zu tun. Die wirken an-ders.

Solche antimikrobiell wirksamenMakromoleküle kann man - was wirzunehmend tun - auch synthetischnachbauen sowie verbessern, alsoauf bestimmte Wirkungen hin maß-schneidern, um zum Beispiel einegrößere Haltbarkeit zu erzielen.Denn Peptide oder Proteine werdenja auch sofort enzymatisch abgebaut,wenn man sie einfach auf irgendeineOberfläche gibt, auf der sich keineBakterien entwickeln sollen. Hierstellt sich dann die berechtigte Fra-ge: Was würde passieren, wenn soein besonders haltbares "Mikroben-gift" ins Trinkwasser, Grundwasseroder Oberflächenwasser gelangt?Kurzum: Das darf nicht passieren!Es muß also entsprechend fest aufder betreffenden Oberfläche fixiertwerden, daß es ausschließlich beimKontakt mit der Mikrobe seine Wir-kung entfaltet.

Also da besteht eine Verantwortlich-keit in dem Sinne, daß ich nicht ein-fach irgendein Gift entwickeln unddann sagen kann, was damit späterpassiert, interessiert mich weiternicht. Diese Verantwortlichkeit be-steht offiziell schon lange. Dafür hatdie EU eine Biozid-Richtlinie ent-wickelt und wenn wir die nicht be-folgen, produzieren wir etwas, dasniemand haben will. Also das ist ge-regelt, da brauchen wir uns eigent-lich keine Gedanken zu machen.Aber dies wäre im Prinzip so einBeispiel für die Probleme, mit denenwir rechnen müssen.

SB: Ja, unzerstörbare Biozide wür-den sicher einiges in der Naturdurcheinanderbringen, das ist eingutes Beispiel. Der Mikroschwim-mer, von dem Sie ebenfalls sprachen,erinnert mich daran, daß Sie anläß-

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lich der Verleihung des Körberprei-ses 2003 davon sprachen, einen mo-lekülgroßen "Nanobot" [10] zu bau-en? Ist das Experiment jemals ge-glückt?

MM: Ja. Das ist es. Dabei handelt essich tatsächlich um diese Mi-kroschwimmer. Aber ich muß dazusagen, damals wollten wir das im mo-lekularen Maßstab machen. Das istzwar ansatzweise gelungen, hat sichin dieser Größe aber als viel zu kom-pliziert erwiesen. Jetzt machen wirdie Teilchen etwas größer. Es sind al-so nicht mehr einzelne Moleküle, kei-ne Nanobots in dem Sinne. Im Mikro-maßstab geht das viel besser.

SB: Nanomaschinen, wie man sievielleicht aus utopischen Romanenkennt, sollten ja auch helfen, einigeProbleme der Menschheit zu lösen,zum Beispiel in Form von super-mi-nimalinvasiver Chirurgie Krebszel-len zu zerstören, Blutverklumpungenaufzulösen oder auch CO2- Molekü-le einzusammeln, um den Klima-wandel aufzuhalten und anderesmehr. Werden solche, natürlich nochnicht realisierbaren Träume immernoch mit diesem Forschungsbereichverknüpft?

MM: Die Probleme der Menschheitzu lösen, ist vielleicht ein etwas zuhoch gestecktes, ein etwas vermes-senes Ziel, aber den Traum, durchSysteme, die autonom reagieren, dieadaptiv sind, Dinge machen zu kön-nen, die effizienter sind, die nach-haltiger sind und die selbststeuerndsind, gibt es natürlich immer noch.Wenn wir beispielsweise mit weni-ger Energie auskommen wollen,dann müssen wir auch dafür sorgen,daß nur noch das gemacht wird, waswirklich notwendig ist und daß nichtirgendwo Energie verpufft. Wennwir mit weniger Chemikalien aus-kommen wollen, dann müssen wirdafür sorgen, daß sie nur noch punk-tuell dort auftauchen oder abgelie-fert werden, wo sie auch wirklichgebraucht werden, und auch dafür,daß sie wieder abgebaut werden.

Daraus ergeben sich ganz großeHerausforderungen, die auch The-men des DWIs sind. Nehmen Sie nurden ganzen Bereich des Tissue En-gineerings. [9] Wie können wirStrukturen erzeugen, in denen Zel-len so wachsen, daß letztlich einfunktionierendes Gewebe darauswird, das man einsetzen kann. Die-ses relativ neue Thema, "Microtis-sue Engineering", gehen wir geradean. Darüber kann ich allerdings nochnicht viel erzählen.. .

oben: Schema des Tissue Enginee­rings, von der Gewebeentnahmeüber Zellisolation, Zellkultur, ­ver­mehrung bis zum Implantat.Wie kann man mit Tissue Enginee­ring Strukturen erzeugen, in denenZellen so wachsen, daß letztlich einfunktionierendes Gewebe darauswird? Das Prinzip ...Grafik: by Rongen (CC­BY­SA­3.0),via Wikimedia Commonsrechts:Bioreaktor zur Gefäßprothe­senkultivierung, der mit Schläuchenversorgt wird und eine rötliche Plas­maflüssigkeit enthält - Der Prozeß ...Foto: by HIA (CC­BY­3.0), via Wiki­media Commons

SB: Das fällt dann vermutlich schonunter das IP-Recht oder das Be-triebsgeheimnis?

MM: Nein, Tissue Engineering istnur ein sehr großes Gebiet, an demjetzt viel geforscht wird. Es geht da-bei ja genau um diese Grenzfläche:Biologie und synthetisches Material.Ich erwähnte bereits die biohybridenStrukturen. Wenn Sie eine Zelle oderein Zellgewebe mit einem Fremdma-terial in Kontakt bringen, dann er-kennt die Zelle, daß da etwas andersist und reagiert entsprechend darauf.Und wir beschäftigen uns mit derFrage: Wie reagiert sie genau darauf

und was muß man tun, damit sie sodarauf reagiert, wie es sein soll, umim Zweifelsfall also ein gesundesGewebe dabei zu entwickeln. Das ist

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zum Beispiel bei der offenen Wund-heilung wichtig. Sie können Ver-bandsmaterial bis hin zu den Implan-taten an der Oberfläche so modifizie-ren, daß die Heilung besser abläuft.

Durch Gewebezüchtung hergestellteGefäßprothese. - Das Produkt!Microtissue Engineering befaßt sichunter anderem mit den Oberflächenvon Implantaten.Foto: by HIA (CC­BY­3.0), via Wiki­media Commons

SB: Eine Frage, die mich bei diesenkleinsten Dimensionen immer be-wegt, ist, wenn man sich als Forschermit den Vorstellungen der Makro-welt in diese Mikrowelten wagt,dringt man in Bereiche ein, die derMensch mit seinen Sinnesorganennoch nie gesehen hat und eigentlichüberhaupt nicht wahrnehmen kann.Macht Ihnen das manchmal Sorgen?

MM: Nein, nicht wirklich. Unserenaturwissenschaftliche Welt ist ganzwesentlich durch Darwin geprägt,durch die darwinschen Vorstellungender Evolution, die wir grundsätzlichakzeptieren. Es gibt zwei Möglich-keiten, wenn ich von der Seite desLebens komme, also von den For-schungsgegenständen, die heute imRahmen der Life-science-Forschungintensiv betrieben werden, stoße ichbereits sehr viel schneller auf ethi-sche Probleme, die zudem viel grö-ßer sind, wenn ich beispielsweise nuran die Pränatale Diagnostik denke.

Wenn ich aber - wie wir - von der an-deren Seite, also von der toten Mate-

rie her komme, ist der Weg in diesenGrenzbereich zum Lebenden noch sounglaublich weit, so lang, daß nochkeine ethischen Probleme auftau-chen. Und wenn man überlegt, daß in

der Ursuppe irgend-wann einmal tote Mole-küle zusammengefun-den haben und dannüber Millionen, Milliar-den Jahre hinweg Lebendaraus entstanden ist,dann muß ich mich dochnicht vor dem, was wirmachen, betroffen ab-wenden oder befürch-ten, daß daraus morgengleich etwas ganzSchreckliches entsteht.

Also, ethische Probleme werden wirin der gesamten Entwicklung immerwieder haben und wir müssen damitumgehen lernen, aber - und das istjetzt meine Antwort auf Ihre Frage -zur Zeit ist der Stand unserer For-schung noch sehr weit weg von wirk-lich dringenden, ethischen Proble-men. Da gibt es momentan ganz an-dere Bereiche, die viel interessanteroder viel wichtiger sind.

SB: Um meine Frage genauer zu fas-sen: Wenn wir in diese mikroskali-gen oder nanoskaligen Bereiche vor-dringen, verlassen wir den mit nor-malen Sinnesorganen kontrollierba-ren Bereich und müssen uns zuneh-mend aufModellvorstellungen undauf die Mathematik wie auf die Um-setzung von beidem in Form vonComputersimulationsprogrammenverlassen, die dann auf dem Bild-schirm darstellen, was das Augenicht sehen kann. Wie kann man sichda sicher sein, daß nicht nur die Vor-stellung, die man ohnehin hatte, kol-portiert wird? Oder daß man mittelsdieser Hilfsmittel nur das sieht, wasman ohnehin sehen wollte und/oderdabei vielleicht etwas Wesentlichesübersieht?

MM: Nun, wir arbeiten ja experi-mentell. Gute Forschung ist immervon Hypothesen getrieben. Das

heißt, es gibt eine Arbeitshypothese,es gibt ein Experiment, mit dem die-se Hypothese überprüft wird und esgibt schließlich ein Ergebnis. DieSchritte sind meist relativ klein. Undüber diese experimentelle Verifizie-rung steuere ich meine Vorgehens-weise. Natürlich kommt da auchmanchmal der Punkt, daß ich meineForschung unter dem Gesichtspunktausrichte, etwas Bestimmtes zu er-reichen.

Wenn ich beispielsweise einen mo-lekularen Motor machen möchte, derhier losläuft und da drüben an-kommt, dann ist das zweckbestimmt.Die Zweckbestimmung ist ein sehrwichtiger Aspekt. Wir machen unsheute aus verschiedenen Gründenviel häufiger Gedanken darüber, obes Sinn macht, sich mit etwas zu be-schäftigen oder unter welchem Ge-sichtspunkt etwas nützlich sein kann.Trotzdem bleibt primär auch dieKenntnisbestimmung ein wichtigerAspekt. Was auch immer ich mir alsHypothese vorstelle, unter bestimm-ten Bedingungen erreichen zu kön-nen, ob meine Vorstellung wirklichzutrifft oder nicht, ist letztlich aus-schlaggebend. Das ist in der Chemiesehr einfach zu überprüfen.

SB: Herzlichen Dank, Herr Prof.Möller, daß Sie sich die Zeit genom-men haben.

Fußnoten:

[1 ] Beispiel für einen angeblich sta-bilen Roboter mit natürlichen Bewe-gungsmustern:http://www.robonews.de/2013/04/humanoider-roboter-coman-aus-ita-lien-robuster-menschenroboter-mit-naturlichen-bewegungsmustern/

[2] Das Aachener Materialfor-schungsinstitut DWI (ehem. Deut-sches Wollforschungsinstitut)

[3] Der Hermann-Staudinger Preiswird vom Vorstand der GesellschaftDeutscher Chemiker GDCh zur Er-

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innerung an Hermann Staudinger(1 881 - 1965), dem Vater der moder-nen Polymerchemie, alle zwei Jahrean Wissenschaftler/innen verliehen,die besondere Verdienste auf demGebiet der Makromolekularen Che-mie erworben haben.

[4] Als "An-Institut" werden organi-satorisch sowie rechtlich eigenstän-dige Forschungseinrichtungen be-zeichnet, die einer deutschen Hoch-schule "an"gegliedert sind. Sie habenjeweils eine private Rechtsform, zumBeispiel als GmbH. Anteilseignerkönnen in verschiedenen Kombina-tionen Staat, Universität, Trägerver-ein, Professoren und Industrie sein.

[5] Die Gemeinsame Wissenschafts-konferenz, GWK, behandelt alleBund und Länder gemeinsam berüh-renden Fragen der Forschungsförde-rung, der wissenschafts- und for-schungspolitischen Strategien unddes Wissenschaftssystems.http://www.gwk-bonn.de/in-dex.php?id=252

[6] IP steht eigentlich für geistigesEigentum (intellectual property, kurzIP). Damit bezeichnet man all jenesWissen und Kulturgut, das sich einMensch durch geistige Anstrengun-gen wie Lernen, Forschen, Nachden-ken, Lesen oder auch Diskutieren zueigen gemacht hat. Hier wird der Be-griff IP-Rechte mit Urheberrechtenund gewerblichen Schutzrechtengleichgesetzt.

[7] Der Leibniz-Wettbewerb (vor-mals Senatsausschuß Wettbewerb(SAW)-Verfahren) ist das interneWettbewerbsinstrument der Leibniz-Gemeinschaft um Forschungsmittel.Der SAW bewertet die Anträge inKonkurrenz zueinander und nachKriterien wissenschaftlicher Exzel-lenz. Auf der Grundlage der Empfeh-lungen des SAW entscheidet der Se-nat der Leibniz-Gemeinschaft, wel-che Vorhaben gefördert werden. Fi-nanziert wird das interne Wettbe-werbsverfahren aus Mitteln des"Pakt II" in Höhe eines von der

GWK beschlossenen Betrags vonrund 30 Mio. Euro je Verfahrensrun-de.

[8] Template sind eine Art Schablo-ne: Moleküle, die nur durch ihre An-wesenheit bewirken, daß bei einerchemischen Reaktion eine bestimm-te Sorte von Molekülen entsteht oderdiese Moleküle eine ganz bestimmteForm haben. Lange Zeit wurden sol-che Template hin und wieder durchZufall entdeckt. Inzwischen gibt esdafür Sonderforschungsbereiche.

[9] Bionik und ihr spezieller Bereich"Bio-inspired Materials" bekommenderzeit weltweit viel Aufmerksam-keit:http://1 93.1 74.251 .231 /deutsch/VE_termine.html

oderhttp://www.biokon.de/veranstaltun-gen/

[10] Unter Nanobots oder Nanorobo-tern versteht man - noch hypotheti-sche - autonome Maschinen im ato-maren Maßstab als eine der Entwick-lungsrichtungen der Nanotechnolo-gie. Nanobots könnten, wenn sie zurManipulation einzelner Atome undMoleküle fähig sind (auch Assemb-ler genannt) einmal für viele Aufga-ben im täglichen Leben eingesetztwerden und dabei Material und Ener-gie einsparen. Gefürchtet werden vorallem die Folgen, wenn solcheselbstreplizierenden Systeme außerKontrolle geraten.

Weitere Berichte und Interviews zuden ForschungslandschaftenDeutschlands finden sie hier:http://www.schattenblick.de/info­pool/bildkult/ip_bildkult_report_in­terview.shtml

INTERVIEW/011 : Leibniz-Gemein-schaft - Universaloption und Gren-zen, Prof. Karl Ulrich Mayer im Ge-spräch (SB)http://www.schattenblick.de/info-pool/bildkult/report/bkri0011 .html

INTERVIEW/012: Berlin-Branden-burgische Akademie der Wissen-schaften - Gelehrte, Forscher,Brückenbauer, Prof. Günter Stock imGespräch (SB)http://www.schattenblick.de/info-pool/bildkult/report/bkri0012.html

INTERVIEW/017: Leibniz-Sozietät- Über den Tellerrand .. . Prof. Dr.Gerhard Banse im Gespräch (SB)http://www.schattenblick.de/info-pool/bildkult/report/bkri0017.html

INTERVIEW/018: Leibniz-Ge-meinschaft - Horizonte der Nachhal-tigkeit, Prof. Dr. Reiner Brunsch imGespräch (SB)Interview mit Prof. Dr. agr. habil.Reiner Brunsch über die vielschich-tigen Herausforderungen an dieAgrartechnik vor Problemstellungendes globalen Wandelshttp://www.schattenblick.de/info-pool/bildkult/report/bkri0018.html

undhttp://www.schattenblick.de/info-pool/bildkult/ip_bildkult_report_be-richt.shtml

BERICHT/031 : Leibniz-Gemein-schaft - Anspruch und Wirklichkei-ten? (SB)http://www.schattenblick.de/info-pool/bildkult/report/bkrb0031 .html

http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/

bkri0019.html

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Dokumente ... Tips undVeranstaltungen ...vom 12. Mai 2014

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Mo, 12. Mai 2014 www.schattenblick.de Seite 9

PANNWITZ / REPORT / BERICHT

Berufsstand und Beteiligung - Schreckenskumpanei

Hunger als Mittel der NS­Medizin ­ Staatlich organisiertes Mangelregime

Workshop am 7./8. Februar 2014 in Hamburg­Alsterdorf und Neuengamme

(SB) ­ Das Kritikern des staatlich or-ganisierten Mangelregimes inDeutschland entgegengehaltene Ar-gument, daß hierzulande schließlichniemand verhungern müsse, ist sozynisch wie falsch. Schließlich trägtdas als Hartz IV bekannte Gesetznicht nur den Namen eines rechts-kräftig verurteilen Straftäters, son-dern kann auch zum Tode führen.Wer nicht zu den Bedingungen desKapitals arbeiten will oder kann, sollauch nicht essen, lautet die Quintes-senz des Abgesangs auf den Sozial-staat.

Bezeichnenderweise sind exakteZahlen der Hungernden nicht zu fin-den, doch sprechen die Tafeln von1 ,5 Millionen Menschen, die sie wö-chentlich bundesweit versorgen. Be-kanntermaßen verhungern Men-schen in Altenheimen, deren dra-stisch reduziertes Personal die Pfle-gebedürftigen nicht angemessen ver-sorgt. Neben Senioren und Flüchtlin-gen sind alleinerziehende Frauen undderen Kinder besonders häufig be-troffen. Wie der Schattenbericht derNationalen Armutskonferenz 2012offengelegt hat, wächst mit der Ar-mut von bis zu 16 Millionen Men-schen in Deutschland ein versteckterHunger in Form von Fehl- und Man-gelernährung.

Der Ernährungsmediziner Prof. Dr.Hans Konrad Biesalski von der Uni-versität Hohenheim rechnet vor, daßder Tagessatz von Hartz IV für Nah-rungsmittel nicht ausreicht, um einKind gut zu ernähren. Je nach Alterkoste eine kindgerechte Ernährungmit allen erforderlichen Nährstoffenzwischen drei und sechs Euro proTag und Kind. Aber selbst der Hartz-

IV-Höchstsatz sehe für die Ernäh-rung täglich nur zwischen zwei unddrei Euro in der Altersgruppe der un-ter 14jährigen vor. Auch das Essen inKindertagesstätten und Ganztags-schulen sei vielerorts mangelhaft, dagerade einmal 70 Cent pro Kind fürEssen übrigblieben, wenn man dieKosten für Personal und Logistik ab-ziehe. Weil dadurch die physischeund mentale Entwicklung einge-schränkt werde, hätten die Betroffe-nen lebenslang mit den Folgen zukämpfen. [1 ]

Auch erwachsene Hartz-IV-Empfän-ger können sich nicht gesund ernäh-ren. Bis zum Alter von 51 Jahrenbrauchen sie nach Angaben derDeutschen Gesellschaft für Ernäh-rung 5,66 Euro pro Tag, so daß ihnen1 ,85 Euro fehlen. Lebensgefährlichkönnen auch die verweigerten Zu-zahlungen für Medikamente insbe-sondere bei chronischen Erkrankun-gen werden. Hinzu kommen einge-schränkter Wohnraum und fehlenderKomfort, unzureichend übernomme-ne Heizkosten, eine erschwerte Teil-nahme am gesellschaftlichen Leben,verzögerte Leistungen und nicht zu-letzt deren Verweigerung als Straf-maßnahme. [2]

Ein Leben auf Sparflamme untermenschenunwürdigen Bedingun-gen droht auch Geringverdienen-den jeder Couleur, da viele Unter-nehmen Niedriglöhne zahlen, diezur Reproduktion der Arbeitskraftlängst nicht mehr ausreichen. Umdas Lohnniveau noch tiefer unterdas Existenzminimum zu senken,fordert das Kapital massive Sen-kungen oder Streichungen gelten-der Regelsätze, so daß der Druck

erhöht wird, für Armutslöhne zuschuften.

Fortschreitende Verelendung, erbit-terter Konkurrenzkampf, Zerschla-gung sozialer Zusammenhänge undIsolation der Menschen bringen eingesellschaftliches Klima hervor, indem Sozialrassismus, Stigmatisie-rung und Ausgrenzung ins Krautschießen. Langzeitarbeitslose, Hartz-IV-Empfänger, Sozialschmarotzer,Asoziale - auch wenn in dieser Ket-te der Begriff des "unwerten" Lebensaus naheliegenden Gründen tunlichstvermieden wird, mündet die Bezich-tigung doch geradewegs in eine in-novative Fortschreibung der aus derdeutschen Geschichte sattsam be-kannten Verachtung und Erniedri-gung für überflüssig und unbrauch-bar erachteter Konkurrenten um dieschwindenden Fleischtöpfe.

Institutionalisierter Hungertod

über den NS-Staat hinaus

Dr. Ingo Harms hat in OldenburgGeschichte und Physik studiert undals Historiker im Bereich Gesund-heits- und Sozialpolitik im National-sozialismus promoviert. Er lehrt ander Universität Oldenburg als Pri-vatdozent und arbeitet an einem For-schungsauftrag an der UniversitätHeidelberg. Zudem gehört er demwissenschaftlichen Beirat des Ge-denkkreises Wehnen an.

Im Rahmen des Workshops "Eutha-nasie - Die Morde an Menschen mitBehinderungen oder psychischenErkrankungen im Nationalsozialis-mus", dessen zweiter Tag am 8. Fe-bruar 2014 in der KZ-Gedenkstätte

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Neuengamme stattfand, hielt Harmseinen Vortrag zum Thema "Medizi-nische Verbrechen und Entnazifizie-rung. Kontinuitäten und Brüche derNS-Medizin in Oldenburg (Olden-burg) in der Nachkriegszeit".

Ingo Harms ist in Heidelberg imRahmen eines von der DeutschenForschungsgemeinschaft ausgelob-ten Projekts tätig, das bundesweituntersucht, welche Konsequenzenunmittelbar nach Ende des ZweitenWeltkriegs in den vier Besatzungs-zonen aus den Krankenmorden imNS-Staat gezogen wurden. Wie gingman mit den überlebenden Anstalts-insassen und den Nachkommen derOpfer um? Wurden die Täter zur Re-chenschaft gezogen? Kam es in derPsychiatrie zu einer geistig-morali-schen Wende? Dabei ist Harms dieAufgabe zugefallen, anhand derHeil- und Pflegeanstalt Wehnen na-he Oldenburg in der damaligen briti-schen Besatzungszone diesen Fragenauf den Grund zu gehen.

Wie der Referent darlegte, hatte diesozialdarwinistische Ideologie schongeraume Zeit vor der nationalsozia-listischen Machtergreifung Fuß ge-

faßt. So zählte Rassenhygiene bereitsin der Weimarer Republik zu den an-erkannten wissenschaftlichen Fä-chern des Medizinstudiums. Im Jahr1933 war ein Großteil der Medizinerlängst davon überzeugt, daß man ei-ne beträchtliche Zahl ihrer Mit-menschen im Dienst der Volksge-sundheit zwangssterilisieren müsse.Der NS-Staat erfüllte mit dem Ge-setz zur Verhütung erbkrankenNachwuchses und anderen Maßnah-men den in diesen Kreisen langge-hegten Wunsch, einen rechtlichenFreiraum zur Umsetzung ihrer Ab-sichten zu schaffen.

Im Oldenburger Land gewann dieNSDAP bereits 1 932 erstmals inDeutschland die absolute Mehrheit.Wie anderswo im Reich kam es auchhier zu Zwangssterilisierungen,Zwangsabtreibungen, Säuglingstö-tungen und Krankenmorden. Da un-gewöhnlich viele Dokumente erhal-ten sind und die Region vergleichs-weise überschaubar ist, lassen sichdie Stätten dieser Verbrechen auf-spüren und die Zusammenhänge re-konstruieren. Bei einer Einwohner-schaft von 600.000 Menschen stellendie 2.500 durchgeführten Unfrucht-barmachungen einen relativ hohenAnteil dar. Dabei wurde die gesamteBevölkerung akribisch auf vermeint-liche Anzeichen sogenannter Erb-

krankheiten durchkämmt. Die erst-malige Einrichtung staatlicher Ge-sundheitsämter, von denen es elf imLand Oldenburg gab, diente demZweck, die Opfer möglichst aus-nahmslos zu erfassen. Zu den anZwangssterilisierungen beteiligtenChirurgen gehörte auch Dr. PaulEden, dem zu Ehren nach dem Kriegin Oldenburg eine Straße benanntwurde. Erst als Harms durch seineUntersuchung die früheren Tatendieses Mannes aufdeckte, wurde dieStraße nach der jüdischen Ärztin Ra-hel Straus umbenannt. Dies führtedazu, daß die Stadt vorsichtshalbersämtliche Straßennamen überprüfenließ.

Als die britische Militärverwaltungauf den Plan trat, mußten ihr die vonMedizinern verübten Verbrechen imPrinzip bekannt sein, da sie mit Haft-befehlen und Entlassungsverfügun-gen ins Oldenburger Land einrückte.Der Versuch einer "Entnazifizie-rung" blieb jedoch bereits im Ansatzstecken, denn erste Verhaftungen undEntlassungen waren nur von befri-steter Dauer. Zwar wurden bis zumFrühjahr 1946 von knapp 700 Ärzten43 verhaftet und 317 entlassen, dochzog dies keine einzige Strafverfol-gung und mit hoher Wahrscheinlich-keit auch keinen dauerhaften Verlustder Beschäftigung nach sich. Daßfrühere Funktionsträger nicht ernst-haft zur Rechenschaft gezogen wur-den, belegt auch das Beispiel desehemaligen Ministerpräsidenten Ge-org Joel, der lediglich in der zweit-niedrigsten Kategorie vier (minder-belastet) eingestuft wurde.

In der Heil- und Pflegeanstalt Weh-nen (heute Karl-Jaspers-Klinik)wurde der Krankenmord vor allemdurch systematischen Nahrungsent-zug betrieben. Untersucht man dieSterblichkeit unter den Insassen inden Jahren 1931 bis 1948, steigt die-se 1936 mit 10,7 Prozent auf dasdoppelte des vorherigen Werts. Andiesem Zeitpunkt läßt sich der Be-ginn der "Euthanasie" im Land Ol-denburg verorten. Es folgt eine Es­

Folie des Referenten Ingo Harms mitTitel des VortragsFoto: 2014 by Schattenblick

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Ingo HarmsFoto: © 2014 by Schattenblick

kalation mit weiteren Sprüngen undZwischenphasen auf gleichem Ni-veau, doch erreicht die Sterberateerst 1 945 mit 31 Prozent ihrenHöchststand, obwohl im Mai diesesJahres der NS-Staat zusammenge-brochen war und seither kein Kriegmehr herrschte. 1 946 sinkt der Wertauf 17 Prozent, 1 947 auf 8 Prozent,um erst 1 948 wieder die Sterberatevor Beginn des Krankenmords zu er-reichen. Diese Zahlen lassen daraufschließen, daß das Hungersterbender Insassen auch nach Kriegsendeweiterging und erst einige Zeit spä-ter eingedämmt wurde.

Daß es sich dabei um eine Form sy-stematischer Tötung handelte, bele-gen die sinkenden Verpflegungssät-ze, die 1941 auf 42,7 Prozent desWerts von 1928 gefallen sind. Legtman den damals erforderlichenGeldwert zur gerade noch ausrei-chenden Ernährung zugrunde, läßtsich nachweisen, daß dieser in be-stimmten Monaten deutlich unter-schritten wurde. Offensichtlich wur-den die Insassen langfristig ausge-hungert, aber auch in bestimmtenPhasen beschleunigt zu Tode ge-bracht.

Wußte die Oldenburgische Ärzte-schaft von diesem Krankenmord inder Heil- und Pflegeanstalt Wehnen?Wie die Verlegung von Insassenzahlreicher Einrichtungen dorthinbelegt, haben Ärzte weithin koope-riert, um unliebsame oder "lebensun-werte" Patientinnen und Patienten inder Absicht, sie nie wiederzusehen,nach Wehnen verbracht. Das galt fürLazarette der Marine in Wilhelmsha-ven und Sanderbusch, aber gleicher-maßen für zivile Krankenanstalten,so daß man von einem System desKrankenmords im Land Oldenburgsprechen muß.

Im Jahr 1936 stellte Dr. jur. Carl Bal-lin, Oberregierungsrat im Landesfür-sorgeverband, fest, daß man im Ger-trudenheim in Oldenburg die Ver-pflegungssätze so gut einsparen kön-ne, daß der Verband davon erheblichprofitiert. Wie er vorrechnete, ließensich für jeden der dort untergebrach-ten minderjährigen Behinderten proJahr 219 Reichsmark abzweigen. Bei280 Patienten, denen man die Nah-rung entzieht, wären das jährlich61 .000 Reichsmark. Überträgt mandiesen Schlüssel auf Wehnen, dasebenfalls Ballin unterstand, so derReferent, kommt man auf 175.200Reichsmark im Jahr. Schon 1941rühmte sich der Verband sagen zukönnen, er habe bereits zwei Millio-nen Reichsmark gespart. Dadurch seider Erkenntnis Rechnung getragenworden, daß die Ausgaben für daserbbiologisch unwerte Leben mög-lichst niedrig zu halten sind, schriebBallin. Er wurde nie zur Rechen-schaft gezogen und bekleidete An-fang der 1950er Jahre das Amt desOberkreisdirektors.

Wo sind die mindestens zwei Millio-nen Reichsmark geblieben, die manmit dem Faktor 18 auf heutige Euro-beträge hochrechnen kann? Der Lan-desfürsorgeverband war ein Quer-verbundunternehmen, das gleichzei-tig die im NS-Staat favorisierte Kul-tur wie auch die Infrastruktur imLand Oldenburg fördern sollte. VielGeld floß ins Landesmuseum für

Kunst und Kultur, auch die Thing-stätte in Bookholzberg wurde aufdiesem Wege finanziert. Die um-fangreichsten Mittel kamen wohldem 1926 gegründeten Museums-dorf Kloppenburg zugute, das nuneine regelrechte Blüte erlebte. DerLandesfürsorgeverband erwarb Ei-gentum an dieser großen Liegen-schaft und den Gebäuden, die ernoch bis 1960 verwaltete, woraufdasLand Niedersachsen den Erhaltübernahm.

Einer der Haupttäter in der Heil- undPflegeanstalt Wehnen war der Ober-scharführer Dr. Paul Moorahrend,dessen SS-Zugehörigkeit vom Lan-desfürsorgeverband aus den Unterla-gen gelöscht wurde. Er wurde in denbeiden Monaten, in denen die briti-sche Militärverwaltung Verhaftun-gen und Außerdienststellungen ver-anlaßte, kurzfristig entlassen, danachjedoch wieder neu eingestellt. ErstMitte der 1990er Jahre wurde dieVergangenheit Moorahrends publik,als Harms sie im Zuge seiner For-schungen erhellen konnte. Moorah-rends Chef und zweiter Arzt in Weh-nen war Dr. Carl Elisabeth Petri, derals Katholik im erzprotestantischenOldenburger Kernland ebenso wiedie Mittäterschaft katholischer Ein-richtungen am südlichen Rand derRegion den überkonfessionellenCharakter der Krankenmorde belegt.

Neben den Schreibtischtätern undAnstaltsleitern ist auch das Personalin Wehnen dem Kreis der unmittel-bar Beteiligten zuzurechnen. Schonwährend des Krieges und noch mehrin den folgenden Hungerjahrenzweigte man Lebensmittel für sichund die eigene Familie aus dem Be-stand der Anstalt ab. Die Sicht- undHandlungsweise, daß man die Nah-rung minderwertigen Existenzenentzog, dürfte die in Mangellagenohnehin angefachte Maxime eigenenÜberlebens zu Lasten anderer maß-geblich begünstigt haben. IngoHarms hat im Titel der Buchfassungseiner Dissertation "Wat mööt wihier smachten .. ." [1 ] die Aussage ei-

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nes später verstorbenen Patienten zi-tiert: "Was müssen wir hier hungern,die Ärzte und Pfleger essen uns dasFleisch aus dem Topf."

Am 5. Dezember 1945 wurden dieHungertötungen in Wehnen offiziellruchbar. Die Briten hatten mit Theo-dor Tantzen einen Liberalen als Mi-nisterpräsidenten eingesetzt. In Weh-nen war Dr. Petri vorübergehend alsleitender Arzt abgelöst worden, undsein Nachfolger beklagte in einemSchreiben an Tantzen die unzurei-chende Ernährungslage der Insassen:Die zustehenden Lebensmittelmen-gen seien für die Kranken währenddes Krieges nur zum Teil verabfolgtworden. Daher sei deren Sterblich-keit bei weitem zu hoch. Jetzt wögenzahlreiche Kranke nur 50 Kilo undweniger, sie litten nicht nur an Gei-steskrankheit, sondern auch an einerkörperlichen Krankheit, nämlich ei-nem chronischen Nährschaden. Siebenötigten demnach ebenso wie an-dere körperlich Kranke die Kranken-hauszulage.

In der Nachkriegszeit hungerte fastdie gesamte Bevölkerung, und werdamals ins Krankenhaus kam,brauchte eine Zusatzernährung, sonsthätte er nicht überlebt. Auch unterAufsicht der britischen Militärver-

waltung waren die Psychiatrieinsas-sen in Wehnen jedoch nicht in denGenuß dieser Zulage gekommen.Der Ministerpräsident wies in Reak-tion auf das Schreiben seinen Unter-gebenen Wilhelm Oltmannns an, füreine bessere Ernährung in der Anstaltzu sorgen. Oltmanns war jedoch einalter Kollege Carl Ballins, mit demzusammen er hauptverantwortlichfür die früheren Hungerverfügungenzeichnete. Als Vertreter des Reichs-nährstands, der während des Kriegesdie Rationen zugeteilt hatte und die-se Aufgabe bis 1949 weiterbetreibendurfte, bat er nun die Militärbehördeum Zulagen für die Insassen in Weh-nen.

Am 18. März 1946 stellte Oltmannsfest, daß die Militärregierung bislangnichts veranlaßt habe, weshalb mandie Angelegenheit auf sich beruhenlassen könne. Da die Verpflegungs-portionen insgesamt herabgesetztworden seien, könne mit der Gewäh-rung von Zulagen nicht mehr gerech-net werden. Damals wurde alle vierWochen neu festgelegt, wieviele Ka-lorien jedem Bürger in der britischenMilitärzone zustanden. Im März1946 wurde die Zuteilung verringert,woraus Oltmanns seine Schlußfolge-rung ableitete. Damit bekamen dieausgehungerten Patientinnen undPatienten, die um so dringender ei-ner Zulage bedurft hätten, weiterhinnicht genug zu essen. Erst im Aprilgab es Anzeichen einer Besserung,die dann nach 1946 spürbar griff. Bisdahin sind jedoch weiterhin vieleMenschen in Wehnen verhungert, diehätten gerettet werden können.

Am Ende seines Vortrags faßteHarms die zentralen Aussagen nocheinmal zusammen: Die Hungermor-de in der Oldenburgischen Psychia-trie wurden zwar thematisiert, aberniemals verfolgt. Es gab Ermittlun-gen, die jedoch schnell eingestelltwurden, und keiner der Verantwort-lichen wurde unter Anklage gestellt.Reichsnährstand und Landesfürsor-geverband, die während der NS-Zeitdie bestimmenden Kräfte gewesen

waren, wirkten nach 1945 weiter fortund bereicherten sich am Nahrungs-entzug. Die britische Militärverwal-tung gewährte den Psychiatriepati-enten bis weit ins Jahr 1946 keineZusatzrationen. So herrschte bis da-hin eine hohe Nachkriegssterblich-keit, die weder von den Deutschen,noch den Briten unterbunden wurde.

Nestbeschmutzer

im Oldenburger Land?

Der Historiker Ingo Harms erfährtfür seine engagierte wissenschaftli-che Arbeit Anerkennung in Fach-kreisen, mediales Interesse an seinenForschungsergebnissen und nichtzuletzt zugewandte Anteilnahmevieler Menschen, die er mit der Of-fenlegung verdrängter Geschichteberührt. Anderen gilt er als Nestbe-schmutzer im Oldenburger Land, derdas Ansehen von Kommunen, Insti-tutionen, Berufsständen, Verbänden,Persönlichkeiten und ehrbaren Fa-milien diskreditiere. Daß er sich sei-ne Streitbarkeit nicht nehmen läßtund keine Ruhe gibt, fürchten offen-bar nicht wenige, die noch Leichenim Keller haben oder vermuten.Harms übertreibe, verdrehe, speku-liere nur, steht in diversen Erwide-rungen zu lesen, in denen Journali-sten Personen, die sich durch dieForschungsergebnisse des Ge-schichtswissenschaftlers betroffenfühlen, um eine Stellungnahme bit-ten. Allenthalben klingt die rhetori-sche Frage an, warum Harms dieVergangenheit nicht endlich ruhenlasse und weiter böses Blut aufrühre.

Dieser offenkundige Bedarf, in satu-rierter Bürgersruh zu beschwichti-gen, zu dementieren und zu verges-sen, setzt die Ausgrenzung für min-derwertig erachteter Menschen fort,die keineswegs mit dem NS-Staatgeendet hat. Gerade weil Ingo Harmsdie Ausflucht widerlegt, daß einkleiner Kreis von Nazis alle anderenverführt, getäuscht und gezwungenhabe, historisch einmalige Greuelta-ten zu verüben, während der über-

Foto: © 2014 by Schattenblick

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große Rest der Gesellschaft nach En-de des Alptraums umgehend zu Frie-densliebe und Menschlichkeit zu-rückgefunden habe, wird er zum Är-gernis. Indem er Einzelheiten ansLicht bringt und Verbindungen zieht,entreißt er die Opfer eines weitrei-chenden gesellschaftlichen Konsen-ses über ihre notwendige Ausgren-zung. So legt er den Finger in dieWunde einer gesellschaftlichen Ver-fügungsgewalt, deren strukturelleKontinuitäten durch die historischeZäsur zwischen NS-Staat und Bun-desrepublik nicht beseitigt wurden,so daß der Versuch, die jüngere Ge-schichte als hermetisch verschlosse-ne Episode längst überwundenderGrausamkeiten darzustellen, um soangestrengter betrieben werden muß.

Veranstaltungsort imStudienzentrum derKZ­Gedenkstätte Neuengammehinter überdachtem Fundament desehemaligen ArrestbunkersFoto: © 2014 by Schattenblick

Fußnote:

[1 ] https://www.uni-hohenheim.de/news/ernaehrungsmediziner-warnt-

mit-armut-etabliert-sich-versteckter-hunger-in-deutschland-11

[2] http://www.hartz4-im-netz.de/PagEd-index-page_id-293.html

[3] Ingo Harms: "Wat mööt wi hiersmachten .. .": Hungertod und"Euthanasie" in der Heil- und Pfle-geanstalt Wehnen im "DrittenReich". BIS-Verlag Oldenburg, 1 998

Bisherige Beiträge zum Workshop"Euthanasie ­ Die Morde an Men­schen mit Behinderungen oder psy­chischen Erkrankungen im National­sozialismus" im Schattenblick unterwww.schattenblick.de → INFOPOOL→ PANNWITZBLICK → REPORT:

BERICHT/008: Berufsstand und Be-teiligung - Die im Schatten sieht mannicht . . . (SB)

BERICHT/010: Berufsstand undBeteiligung - Alte Schuld runder-neuert (SB)

BERICHT/011 : Berufsstand und Be-teiligung - Erprobt, verbessert, Mas-senmord (SB)

BERICHT/012: Berufsstand undBeteiligung - Nonkonform und aso-zial, Teil der Vernichtungswahl (1 )(SB)

BERICHT/013: Berufsstand undBeteiligung - Nonkonform und aso-zial, Teil der Vernichtungswahl (2)(SB)

BERICHT/015: Berufsstand undBeteiligung - Zwänge, Schwächen,Delinquenzen (SB)

INTERVIEW/015: Berufsstand undBeteiligung - Spuren der Täuschung,Christl Wickert im Gespräch (SB)

INTERVIEW/016: Berufsstand undBeteiligung - Archive, Forschung

und Verluste, Ha-rald Jenner imGespräch (SB)

INTER-VIEW/017: Be-rufsstand und Be-teiligung - Deu-tungsvielfaltgroßgeschrieben,Michael Wunderim Gespräch (SB)

INTER-VIEW/018: Be-rufsstand und Be-teiligung -Dammbruch Ster-behilfe, AstridLey im Gespräch(SB)

INTER-VIEW/019: Be-

rufsstand und Beteiligung - Vernich-tungslogik, Krieg und Euthanasie,Friedrich Leidinger im Gespräch(SB)

INTERVIEW/021 : Berufsstand undBeteiligung - Januskopf der Praxis,Wolfgang Erhardt im Gespräch (SB)

http://www.schattenblick.de/infopool/pannwitz/report/

pprb0016.html

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UMWELT / REDAKTION / RESSOURCEN

Fracking und die explosive Zunahme von Erdbeben in Oklahoma

Plötzliche Erdbebenschwärme in mehreren US­Bundesstaaten

US­Geologen vermuten, daß die Erdbeben von der Erdöl­ und Erdgasindustrie ausgelöst werden

(SB) ­ Ein in Science-fiction-Roma-nen häufig benutztes Szenario siehtso aus, daß eine Welt von einer feind-lichen Macht aus dem All heraus an-gegriffen wird. Mittels hochwirksa-mer Strahlenwaffen oder anderertechnologischer Finessen werdensämtliche Gebäude, Infrastrukturein-richtungen und sogar die Planeteno-berfläche in ihre Bestandteile zerlegt.

Zumindest den Hauch einer Ahnungdessen, was die Angegriffenen ver-mutlich empfinden würden, bekom-men die Einwohner des US-Bundes-staats Oklahoma seit einigen Jahrenund mit zunehmender Intensität zuspüren. Die Erde zittert und bebt, malschwächer, mal stärker, Gebäude fal-len zusammen oder - je nach Schief-lage - auch auseinander. Oklahomaist einer der Bundesstaaten der USA,der in der Vergangenheit schonmehrmals von Erdbeben heimge-sucht wurde, aber niemals in derHäufigkeit, wie sie seit 2008/2009und, selbst dazu nochmals gesteigert,seit Oktober vergangenen Jahres auf-treten.

Ausgelöst wurden die Erdbeben von"Aliens", nicht in böser Absicht, umdie Erdlinge zu unterwerfen, aberdoch von ihnen hingenommen aufihrem profitorientierten Wachstums-pfad als Kollateralschaden an Landund Leuten. Bei jenen Aliens (wört-lich übersetzt bedeutet es "Frem-den") handelt es sich um Erdöl- undErdgasfirmen, die kilometertiefe Lö-cher in den Boden bohren, das Ge-stein im Untergrund aufsprengen undsomit riesige Gebiete unterirdischzerrütten.

Diese "hydraulic fracturing" oderverkürzt "Fracking" genannte Ge-

steinzermürbungsmethode wird an-gewandt, um damit Erdöl oder Erd-gas, das in bestimmten Gesteinennicht als große zusammenhängendeBlase (konventionell), sondern überfeine Risse und Poren verteilt (un-konventionell) lagert, zu fördern. [1 ]Als noch zerstörerischer erweist sichsogar das Verpressen von Brauch-wasser, für dessen gründliche Reini-gung dem Unternehmen ansonstenhohe Kosten entstehen würden, inden Brunnen der ausgeschöpftenErdöl- und Erdgasfelder.

Technologisch ist das Fracking-Ver-fahren hochmodern. Es wird zwarschon seit Jahrzehnten eingesetzt,wurde aber erst vor rund 15 Jahrenso weit entwickelt, daß sich, zudembegünstigt durch die gestiegenenWeltmarktpreise für fossile Energie-träger, diese Methode der Förderungaus unkonventionellen Lagerstättenwie Schiefergestein rechnet.

Bei einem typischen Fracking-Vor-gang wird der Bohrkopf zunächstsenkrecht geführt, dann in tausendMeter oder noch größerer Tiefe ho-rizontal umgelenkt, um die ge-wünschte Gesteinsschicht möglichstgroßvolumig aufbrechen zu können.Das geschieht zunächst mittels einerdurch das Bohrloch in den Unter-grund hinabgelassenen Perforations-kanone, mit der Munition an vielenStellen durch die Bohrwandung hin-durch ins Gestein geschossen unddieses gelöchert wird. Dann werdenunter hohem Druck Frackfluide (dieWasser, diverse Chemikalien undSpezialsand enthalten) in das Bohr-loch gepreßt, so daß das Gestein wei-ter aufgebrochen wird. Bevor die ei-gentliche Erdöl- oder Erdgasförde-rung beginnt, muß die Frackflüssig-

keit, so weit es eben geht, wiederhinaufgepumpt und entsorgt oder fürdie Wiederverwendung aufbereitetwerden.

Je nach geologischer Beschaffenheitwerden schon mal bis zu vier oderfünfBohrungen pro Quadratkilome-ter ausgebracht. Wenn man jetztnoch bedenkt, daß von jedem Bohr-loch radial in verschiedene Richtun-gen horizontal weiter gebohrt wird,läßt sich das Ausmaß der unterirdi-schen Zerstörung eines solchen Ein-griffs ahnen. Wobei immer mitbe-dacht werden muß, daß es mit demFracking an sich nicht getan ist - dasspätere Verpressen von Brauchwas-ser in die alten Lagerstätten stellt ausSicht der Geologen das größere Pro-blem dar.

Anfang Mai berichteten der Geolo-gische Dienst der USA (U.S. Geolo-gical Survey) und der GeologischeDienst von Oklahoma (OklahomaGeological Survey) in einer gemein-samen Presseerklärung, daß binneneines halben Jahres die Häufigkeitvon Erdbeben in dem besagten Bun-desstaat um 50 Prozent zugenommenhat. Demnach wurden zwischen Ok-tober 2013 und dem 14. April 2014insgesamt 183 Erdbeben mit einerStärke von 3,0 oder größer regi-striert. [2]

Noch deutlicher wird der Trend,wenn man zeitlich weiter zurück-geht. Zwischen 1978 und 2008 tra-ten in Oklahoma im Durchschnitt proJahr nur zwei Beben der Stärke 3,0oder größer auf - jetzt sind es 183 in-nerhalb eines halben Jahres. Hieltedieser Trend weitere sechs Monatean, bedeutete das, daß die Erdbeben-häufigkeit um mehr als das 180fache

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(oder 18.000 Prozent) zugenommenhat.

Dr. Bill Leith, Chefwissenschaftlerfür Erdbeben und Geologische Ge-fahren beim US-GeologischenDienst, warnt eindringlich vor derMöglichkeit, daß ein energiereiche-res Beben auftritt, und fordert die"Einwohner, Schulen und sonstigenEinrichtungen" in zentralen Landes-teilen zu Erdbeben-Vorsorgemaß-nahmen auf. Besondere Wachsam-keit sei bei unverstärkten, gemauer-ten Strukturen geboten.

Erdbebenforscher sind in der Regelsehr zurückhaltend, was die Ursa-chenbestimmung von Erdbeben an-geht. Im Fall Oklahomas jedoch leh-nen sie sich relativ weit aus demFenster und benennen als wahr-scheinlichen Auslöser der Erdbe-benserie das Verpressen von Brauch-wasser aus der Erdöl- und Erdgasge-winnung in tiefe geologische Forma-tionen. In Oklahoma gibt es rund4000 solcher "Entsorgungsbrunnen".

Dabei kann das Brauchwasser seis-mische Ereignisse noch in Dutzen-den Kilometern Entfernung auslö-sen. Wobei es nicht der eigentlicheDruck des Wassers ist, der so weitreicht, sondern es werden Gesteins-massen in Bewegung gesetzt, die ih-rerseits Bewegungen in weiter ent-fernten Gesteinsmassen nach sichziehen.

Auf diese Weise kann ein geologischrelativ kleines Ereignis gravierendeFolgen haben. So wurde nach An-sicht von Experten am 6. November2011 ein Erdbeben der Stärke 5,7 inder Stadt Prague, Oklahoma, durchFracking, bzw. durch das Einbringenvon Brauchwasser aus demFracking-Prozeß in ein Bohrlochausgelöst. Selbst wenn dies nur eineVerwerfung von geringerer Gefähr-lichkeit direkt betroffen hat, kann soetwas "ein Ereignis an einer benach-barten, größeren Verwerfung auslö-sen", erklärte die Seismologin Eliz-abeth Cochran, die an einer Studie

des US-Geologischen Dienstes zudem Vorfall mitgearbeitet hat, ge-genüber der Internetseite LiveScience. [3]

In der Gegend um Prague, Oklaho-ma, ist es im November 2011 zu ei-ner ganzen Serie von Erdbeben, dieWissenschaftler sprechen von einem"Erdbebenschwarm", gekommen;seitdem hat das Grummeln im Unter-grund nicht wieder aufgehört. Zu-nächst stand nicht fest, ob die zahl-reichen seismischen Ereignisse auf"induzierte Seismizität" durch dieBrauchwasserverbringung zurück-gehen oder ob sie natürlichen Ur-sprungs sind. Dieser Zusammenhangwurde von Geophysikern eigens un-tersucht. Sie haben einige Anhalts-punkte für die Vermutung, daß derErdbebenschwarm keiner natürli-chen Aktivitätsperiode folgte, son-dern menschenverursacht war, wiedas "Journal of Geophysical Rese-arch: Solid Earth" in seiner Märzaus-gabe berichtet. [4]

Gail Atkinson, Professor für Erdwis-senschaften an der Western Univer-sity in Ontario, Kanada, hat sogarfestgestellt, daß die sogenannte "in-duzierte Seismizität" die Erdbeben-gefährdung einer Region grundle-gend verändern und die natürlicheSeismizität überbieten kann. Darauserwachse eine besondere Gefahr fürempfindliche Strukturen wie Stau-dämme, Atomkraftwerke und ande-re größere Einrichtungen, da dieseursprünglich nur aufBasis einer Ab-schätzung der natürlichen Seismizi-tät errichtet worden seien. [5]

Oklahoma ist das bekannteste Bei-spiel in den USA für eine höhereErdbebengefahr, die wahrscheinlichauf die Tätigkeiten der Erdöl- undErdgasindustrie zurückgeht, abernicht das einzige. Erdbeben machenvor Staatsgrenzen nicht Halt. SeitDezember bebt die Erde auch imNorden von Texas, in dem ebenfallsFracking betrieben wird. Mal werdeneine Woche lang viele hundert Bebenaufgezeichnet, mal bleibt die Erde

ruhig. Bis auf wenige Aufnahmensind die seismischen Ereignisse inNordtexas so energiearm, daß sievon den Menschen an der Oberflä-che nicht gespürt werden. Doch dieMeßergebnisse sind eindeutig, unddie Wissenschaftler sorgen sich.Nordtexas ist nicht länger ein Ort,von dem man erwarten kann, daßdort keine Erdbeben auftreten,schreibt StateImpact, ein Zusam-menschluß örtlicher, öffentlicherRadiostationen. [6]

Auch hier hegen Wissenschaftler derSouthern Methodist University(SMU) und des GeologischenDienstes der USA den Verdacht, daßdie Erdbeben mit der Erdöl- undGasförderung zusammenhängen.Beweisen können sie das nicht. Siehaben inzwischen in der Region vonReno und Azle zusätzliche Meßsta-tionen aufgebaut und hoffen, dieErdbeben noch genauer lokalisierenund bestimmten menschlichen Ein-griffen zuordnen zu können. [7]

Es läßt sich allerdings denken, daßeine unumstößliche Ursachenbe-stimmung schwer fällt in einem Ge-biet, das mit Bohrlöchern übersät istund in dem an vielen verschiedenenStellen Erdbeben auftreten. DiesenUmstand macht sich auch die Okla-homa Independent PetroleumAsso-ciation zunutze. Diese argumentiere,daß in 70 von 77 Counties Oklaho-mas Erdöl und Erdgas gefördert wer-de und deshalb jede seismische Ak-tivität innerhalb des Bundesstaateswahrscheinlich in der Nähe irgend-einer Förderaktivität auftrete,schreibt "The Oklahoman" unter Be-rufung auf eine Stellungnahme derIndustrievereinigung. [8]

Mehrere wissenschaftlich geprüfteStudien hätten gezeigt, daß in Texasund andernorts Erdbeben ausgelöstwerden können, wenn große Volu-mina von Erdöl- und Erdgasbrauch-wasser in tiefe geologische Schich-ten verpreßt werden, so StateImpact.Die Website konstatiert aber zu-gleich, daß die Verbindung zwischen

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Erdbeben und Schiefergasförderung"eine wichtige Frage" bleibt.

Nichtsdestotrotz hat der BundesstaatOhio bereits Bestimmungen erlas-sen, nach denen in einigen Counties,in denen die Erde gebebt hatte, keinBrauchwasser in Bohrlöchern "ent-sorgt" werden darf. [9]

Die US-Bundesstaaten verzichtennicht auf die Förderung von Erdölund Erdgas aus unkonventionellenLagerstätten, legen jedoch stellen-weise dem ungehemmten Boom Zü-gel an. Der hat weite Teile des Lan-des erfaßt, mit absehbaren Folgenwie die hier geschilderte Erdbeben-häufung .. . und womöglich unabseh-baren Folgen. Denn zu fragen ist,welche Langzeitfolgen es hat, wenndas Gestein in 1000, 2000 Meter Tie-fe oder darüber hinaus in Regionenaufgebrochen wird, die bislang seis-misch inaktiv waren, aber in denennun auf einmal Brüche entstehen undVerschiebungen auftreten?

Schieferstein und Sandstein, in de-nen die Hauptvorkommen von un-konventionellem Erdöl und Erdgasliegen, sind geologisch gesehen dasvorläufige Endergebnis von Erosi-ons-, Sedimentations- und Verfesti-gungsprozessen. Das Gestein standüber lange Zeiträume hinweg unterDruck und war tektonischen Span-nungen ausgesetzt. Daß der zu dendabei auftretenden immensen Kräf-ten relativ schwache menschlicheEingriff dennoch größere seismischeEreignisse auslösen kann, könnte be-reits ein Grund sein, die Finger vomFracking zu lassen, solange die Fol-gen unerforscht sind. Daß sie es sind,beweisen die Beispiele aus den USA,wo die Forscher erst dann auf denPlan traten, nachdem die ersten geo-logischen Folgewirkungen desFrackings festgestellt wurden.

Weiterhin ist zu bedenken, daß beiallen - in den USA inzwischen meh-reren hunderttausend - Bohrlöcherngrundwasserführende Schichtendurchstoßen werden. Die sollen zwar

durch eine Betonummantelung desBohrlochs vor einer Kontaminationmit dem Fracfluid sowie dem Erdöloder Erdgas geschützt sein, aber wiestabil sind diese Installationen ge-genüber Scherkräften, wie sie beiErdbeben auf das Gestein einwirkenund dort zu Versetzungen führenkönnen?

Selbst wenn die Schutzmaßnahmenordnungsgemäß ausgeführt wurden,was nicht immer der Fall ist, entste-hen hier durch das Fracking langfri-stige Gefahrenherde. Die Risiken be-stehen zum einen darin, daß dasGrundwasser durch aufsteigendesMethangas verseucht wird, und zumanderen, daß das Wasser entlang derseismisch erschütterten und beweg-ten Betonummantelung nach untenwegfließt. Die Folgen würden viel-leicht viele Jahre lang an der Erd-oberfläche nicht bemerkt, da ein sin-kender Grundwasserspiegel ja unteranderem auch eine typische Folgeder in den USA intensiv betriebenenBewässerungslandwirtschaft seinkann.

Wenn selbst Wissenschaftler, denenmodernste Erdbebenmeßgeräte zurVerfügung stehen, nach Jahren derForschung nicht sicher sagen kön-nen, ob das Verpressen von Brauch-wasser aus der Erdöl- und Erdgasför-derung in alte Bohrlöcher Erdbebenverursacht oder nicht, dann beweistdas nicht die Harmlosigkeit desFrackings, sondern wie begrenzt dasWissen der Menschen über ihre Um-welt ist.

Die "Aliens", die seit über zehn Jah-ren in den USA von West nach Ostdie Erde flächendeckend zertrüm-mern, haben ihre Aufmerksamkeitlängst aufEuropa gerichtet. In Polenwird von Pommern bis Lublin an 60Stellen nach Gas gebohrt. Der US-Konzern San Leon Energy will nochin diesem Jahr im pommerschen Le-wino anfangen, Schiefergas kom-merziell zu fördern, berichtete dieInfoseite Polen. [1 0] Und mit demgeplanten Freihandelsabkommen

(TTIP) zwischen den USA und derEU könnten rechtliche Beschrän-kungen des Frackings aufgebrochenwerden, heißt es in einer von mehre-ren Nichtregierungsorganisationenim März dieses Jahres veröffentlich-ten Kurzstudie. [11 ]

Fußnoten:

[1 ] Eine ausführliche Beschreibungdes Frackings und der damit einher-gehenden Probleme finden Sie unter:NATURWISSENSCHAFTEN →CHEMIE → UMWELTLABOR:UMWELTLABOR/278: Unbarm-herzig, unbedacht - Frack as frackcan (SB)http://schattenblick.com/info-pool/natur/chemie/chula278.html

[2] http://www.usgs.gov/newsroom/article.asp?ID=3880&from=rss_ho-me#.U2yimXV_tdg

[3] http://www.livescience.com/43953-wastewater-injection-earth-quake-triggering.html

[4] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/1 0.1 002/2013JB010612/abstract

[5] http://www.spacedaily.com/re-ports/Wastewater_disposal_may_t-rigger_quakes_at_a_greater_distan-ce_than_previous-ly_thought_999.html

[6] http://stateimpact.npr.org/te-xas/2014/05/09/theres-been-over-300-hundred-small-earthquakes-in-north-texas-since-december/

[7] http://smu.edu/smunews/earth-quakestudy/

[8] http://newsok.com/latest-earth-quake-report-raises-more-questi-ons/article/4746358

[9] http://thinkprogress.org/clima-te/2014/05/06/3434698/oklahoma-quakes-warning/DontFrackCA/[10] http://www.infoseite-polen.de/newslog/?p=10784

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[11 ] http://www.baerbel-hoehn.de/fileadmin/media/MdB/baerbel-hoehn_de/www_baerbelhoehn_-de/Kurzstudie_Fracking_TTIP.pdf

http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/

umre­158.html

SPORT / BOXEN / PROFI

Gruß nach Haiti - Bermane Stiverne neuer

WBC-Champion im Schwergewicht

Chris Arreola unterliegt in der sechsten Runde

SCHACH - SPHINX

Lachen aus der Distanz

(SB) ­ Die Matt- und Kombinations-muster können tausendmal schonvergekommen sein, in Hundertenvon Bücher abgedruckt stehen, undsicher hat man sie schon viele Malestudiert und die Einfalt all jener ver-spottet, die nicht klug genug waren,um der Drohung zu entgehen. Nichtwahr, was ist schöner als Schaden-freude aus der Distanz des Betrach-ters. Unser Schachfreund im heuti-gen Rätsel der Sphinx wird sich si-cherlich auch so manches Mal überdie anderen lustig gemacht haben,bis es ihn selbst erwischte. Nun,Wanderer, wie lange konnte Schwarznoch unschuldig lachen?

Tissir -RamaIstanbul2000

Auflösung letztes Sphinx­Rätsel:

Ei, vor dem großen Opferfest solltedie Einsicht stehen, daß das Ganzeauch einen Sinn macht: 1 . . .Te8-e7!und der schöne Traum von einemMatt war dahin. Es folgte noch unterkullernden Tränen: 2.Tg7-g6+ Kf8-e8 3.Tg6xf6 e4-e3+ 4.f2-f3 Da1 -e55.Tf6-f4 Ke8-d7 6.Dh6-h4 Te7-g77.Dh4- h6 Tc8-g8 8.Dh6-h4 De5-b29.Tf4-d4+ Kd7-c8 10.Kg2-f1Lb7xf3 und das Orchester schwieg.

Bermane Stiverne ist der erste inHaiti geborene Weltmeister imSchwergewicht. Der in Las Vegas le-bende Kanadier sicherte sich durchtechnischen K.o. in der sechstenRunde gegen den US-AmerikanerChris Arreola den vakanten WBC-Titel und tritt damit die NachfolgeVitali Klitschkos an. Bei ihrer erstenBegegnung im April letzten Jahreshatte Stiverne seinen Gegner in derdritten Runde mit einer wuchtigenRechten zu Boden geschlagen, ihmdabei die Nase gebrochen und amEnde klar nach Punkten gewonnen.Mit einem nahezu identischenSchlag gewann er auch bei der Re-vanche vor 3992 Zuschauern im Ga-len Center auf dem Campus der Uni-versität von Südkalifornien dieOberhand.

Im ersten Kampf um die Schwerge-wichtsweltmeisterschaft auf amerika-nischem Boden seit seiner Niederla-ge gegen Vitali Klitschko im Jahr2008 versäumte es Arreola auch imzweiten Anlauf, einen Titel in dieUSA zurückzuholen, nachdem Shan-non Briggs seine Trophäe 2007 ver-loren hatte. Zu den Siegern desAbends in Los Angeles gehörte auchDon King. Nachdem man den US-Promoter angesichts schwindenderPräsenz in den zurückliegenden Jah-ren bereits abgeschrieben hatte,mischt er nun bei der Vermarktung ei-nes der begehrtesten Titel im aktuel-len Boxgeschäft plötzlich wieder mit.

Chris Arreola, der in seiner Karrieredes öfteren nicht zuletzt an seiner un-zureichenden körperlichen Verfas-sung gescheitert war, präsentiertesich diesmal in Bestform. Er wogsieben Pfund weniger als beim erstenKampf gegen Stiverne, der freilichsogar über acht Pfund unter seinem

Gewicht vom April 2013 lag. Kriti-ker hatten im Vorfeld des gestrigenDuells in Los Angeles die Frage auf-geworfen, was diese beiden Boxereigentlich für den Griff nach demWBC-Gürtel qualifiziere. Allerdingswar der 35jährige Kanadier bereitsnach seinem ersten Sieg über denzwei Jahre jüngeren Arreola offiziel-ler Pflichtherausforderer VitaliKlitschkos, der diesen Kampf jedochmehrfach verschob und letzten En-des nicht mehr austrug. WährendStiverne unterdessen nicht mehr imRing gestanden hatte, besiegte Ar-reola im September Seth Mitchellbereits in der ersten Runde.

Als wollten sie alle Einwände umge-hend aus dem Feld schlagen, liefer-ten die Kontrahenten einander imGalen Center von Beginn an einenbeherzten und turbulenten Kampf.Unter dem Jubel der begeisterten hi-spanischen Zuschauer dominierteder angriffslustige Arreola den über-wiegenden Teil der ersten Runde, bisihn der Kanadier kurz vor der Pausemit einer wuchtigen Rechten insTaumeln brachte. Natürlich konntezu diesem Zeitpunkt noch niemandwissen, daß der Verlauf des erstenDurchgangs gewissermaßen dieBlaupause für den gesamten Kampf-verlaufwar. [1 ]

Arreola revanchierte sich mit einerstarken zweiten Runde, in der er sei-nen Gegner an den Seilen mehrfachmit heftigen Schlägen traktierte. Inder Folge wogte das Geschehen hinund her, wobei die beiden des öfte-ren in den Schlagabtausch gingen.Stiverne zog sich immer wieder indie Seile zurück, was Arreola freieHand gab, ihm Schläge zu versetzen,die ihn jedoch nicht ins Wankenbrachten. Dem Kanadier kam zustat-

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ten, daß sein Gegner zumeist in sei-ner Reichweite blieb, so daß er ihnabkontern konnte. In der vierten undfünften Runde setzte Stiverne dannseinen Jab häufiger ein und entwichentlang den Seilen, woraufArreolanicht mehr ganz so häufig schlug undetwas frustriert wirkte, weil er nichtdie gewünschte Wirkung erzielenkonnte. [2]

Dennoch setzte sich der Lokalmata-dor insgesamt besser in Szene, bis ihnder Kanadier in der sechsten Rundenmit einer rechten Geraden überrasch-te, die ihn benommen zurückweichenließ, worauf er nach kurzer Verzöge-rung zu Boden sank. Arreola kamwieder auf die Beine, doch wirkte erangeschlagen. Sofort setzte der Kana-dier nach und schickte seinen Gegnermit einem Hagel von Treffern einzweites Mal auf die Bretter. Der US-Amerikaner raffte sich wiederum auf,doch als Stiverne mit weiteren Schlä-gen auf ihn eindrang, ging Ringrich-ter Jack Reiss dazwischen und been-dete den Kampf.

Laut der Statistik von CompuBoxhatte Arreola von insgesamt 306Schlägen 112 ins Ziel gebracht unddamit eine Trefferquote von 37 Pro-zent erzielt. Für Stiverne wurden nur245 Schläge und 90 Treffer gezählt,was aber dieselbe Quote von 37 Pro-zent ergab. Während der Lokalmata-dor also aktiver zu Werke gegangenwar, kann man dem Kanadier einehöhere Effektivität attestieren. Dasgalt natürlich insbesondere für diesechste Runde, in der er mit 17 von23 heftigen Schlägen traf. Zum Zeit-punkt des Abbruchs lag Arreola beizwei Punktwertungen mit 48:47knapp in Front, während der drittePunktrichter bis dahin 48:47 für Sti-verne notiert hatte.

Während Bermane Stiverne seineBilanz auf 24 Siege, eine Niederlagesowie ein Unentschieden verbessernkonnte, stehen für Chris Arreola nun35 gewonnene und vier verloreneAuftritte zu Buche. Aufschlußreichsind die Börsen der Kontrahenten,

die mit 225.000 Dollar für den Ka-nadier und 100.000 Dollar für Arreo-la vergleichsweise bescheiden aus-fielen. Das wird sich künftig zumin-dest für den Sieger und neuen WBC-Weltmeister schlagartig ändern.

Wie der zutiefst enttäuschte Lokal-matador im nachfolgenden Intervieweinräumte, sei er am Boden zerstört.Er habe seinen Jab verbessert undStiverne häufig getroffen, der jedochüber einen harten Schädel verfüge.Dann habe ihn der Kanadier mit der-selben rechten Geraden wie im er-sten Kampf erwischt. Wenngleichder Abbruch seines Erachtens zu frühgekommen sei, respektiere er dieEntscheidung des Referees. All dieabfälligen Äußerungen im Vorfeldhätten lediglich der Werbung ge-dient. In Wirklichkeit ziehe er denHut vor Stiverne, der den Kampf ge-dreht habe und ein Champion vonWeltklasse sei. Vielleicht biete sichja die Gelegenheit, ein drittes Malzusammen in den Ring zu steigen. Erwerde jedenfalls weiter hart trainie-ren und seiner Karriere so bald wiemöglich neuen Schwung verleihen.

Bermane Stiverne konnte sich ange-sichts seines Sieges unwidersprochenzugute halten, daß seine Rechnungperfekt aufgegangen sei. Er habe dieAufzeichnungen früherer KämpfeArreolas ausgiebig studiert und ge-wußt, daß er ihn vorzeitig schlagenkönne. Daher sei er geduldig zu Wer-ke gegangen, bis sich sein Gegner zusicher geworden war. Arreola habeihn zwar getroffen und ihm die Lip-pe aufgeschlagen, aber nicht wirklichwehgetan. Als sich die Gelegenheitbot, habe er seinen Gegner ausgekon-tert und dann solange nachgesetzt,bis der Kampf beendet war.

Über seine nächsten Schritte wolltesich der Kanadier noch nicht äußern.Mit Don King genoß er die Euphoriedes Augenblicks, wobei der Promo-ter von einer gemeinsamen Weltrei-se sprach. Vielleicht werde man Hai-ti besuchen und dort ausgiebig fei-ern, so Stiverne. Er sei der Weltmei-

ster, und alles andere interessiere ihnjetzt noch nicht.

Sehr interessiert zeigte sich hingegenDeontay Wilder, den das WBC be-reits als nächsten Pflichtherausfor-derer nominiert hat. Der in 31Kämpfen ungeschlagene US-Ameri-kaner verfolgte das Geschehen amRing und wäre mit Sicherheit dernächste Kandidat, hätte nicht auchWladimir Klitschko den WBC-Gür-tel ins Visier genommen. Sein größ-ter Traum sei es, alle vier Titel zuvereinen, hatte der Ukrainer amMorgen des Kampftags erklärt.Möglicherweise würde er dafür so-gar in den USA antreten, wo er seitseinem Punktsieg gegen Sultan Ibra-gimow im Jahr 2008 nicht mehr ge-boxt hat. Sein Manager Bernd Bön-te stieß mit den Worten ins selbeHorn, die Boxfans in aller Welt er-warteten nichts sehnlicher als diesenKampf, aus dem der unangefochteneWeltmeister hervorgehen werde.

Eigentlich hat der Verband WBCDeontay Wilder einen sofortigen Ti-telkampfgegen den neuen Weltmei-ster zugesagt, zumal der US-Ameri-kaner dafür eine Qualifikation be-stritten und gewonnen hat. Eigent-lich muß Wladimir Klitschko nachdemWillen der IBF sofort gegen denPflichtherausforderer Kubrat Pulewantreten, der schon lange auf dieseChance wartet. "Eigentlich" ist einWort, das im Boxgeschäft Hochkon-junktur hat, weil Regeln und Statu-ten, Gepflogenheiten und Verspre-chen dazu da sind, nach Maßgabe dereinflußreichsten Akteure benutzt,verformt oder gebrochen zu werden.

Fußnoten:[1 ] http://espn.go.com/boxing/sto-ry/_/id/10914967/bermane-stiverne-drops-chris-arreola-wins-heavy-weight-world-title[2] http://www.boxingnews24.com/2014/05/stiverne-destroys-arreola-captured-wbc-heavyweight-title/

http://www.schattenblick.de/info­pool/sport/boxen/sbxp0548.html

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Jean-Luc kann zufrieden sein,er kann nicht einmal verlieren,heute wird er draußen seinzum Frohlocken und Spazieren.

Und morgen, den 12. Mai 2014

+++ Vorhersage für den 12.05.2014 bis zum 13.05.2014 +++

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______I n h a l t_______________________________________Ausgabe 1095 / Montag, den 12. Mai 2014______

BILDUNG UND KULTUR Leibniz-Gemeinschaft - Ohne Forschungsängste erben .. . Prof. Dr. Martin Möller Seite 1

PANNWITZBLICK - REPORT Berufsstand und Beteiligung - Schreckenskumpanei Seite 9

UMWELT - REDAKTION Fracking und die explosive Zunahme von Erdbeben in Oklahoma Seite 14

SCHACH-SPHINX Lachen aus der Distanz Seite 17

SPORT - BOXEN Gruß nach Haiti - Bermane Stiverne neuer WBC-Champion im Schwergewicht Seite 17

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