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Erweiterte Beschreibung von Gegenlaufflächen für Radial-Wellen- dichtungen Dipl.-Ing. Pat.-Ing. Steffen Jung, Prof. Dr.-Ing. habil. Werner Haas Institut für Maschinenelemente (IMA) der Universität Stuttgart, Germany 1 Einleitung Der Radial-Wellendichtring (RWDR) ist ein in der Praxis häufig eingesetztes Bauteil und findet überall dort Anwendung, wo das Austreten von Schmierstoff an Durchtrittsstellen von Wellen und Achsen verhindert werden soll. Die Anwendungsgebiete sind sehr vielfältig und reichen vom Kraftfahrzeugbau, wo sie vor allem zur Abdichtung von Motoren, Getrieben und Lagern verwendet werden, über Haushaltsgeräte bis hin zur Raumfahrt. Die zuverlässige Dichtfunktion und das Reibmoment werden dabei maßgeblich von der Gegenlauffläche beeinflusst. 2 Radial-Wellendichtung Eine Radial-Wellendichtung nach DIN 3760 / DIN 3761 /1, 2/ stellt ein tribologisches System dar, bestehend aus dem Dichtring, der Gegenlauffläche und dem abzudichtenden Fluid (Bild 1). Der Dichtring fördert bei sich drehender Welle aktiv Fluid von der Bodenseite zur Stirnseite und wirkt dabei wie eine Mikropumpe. Der Dichtmechanismus ist bereits längere Zeit bekannt und in verschiedenen Veröffentlichungen wie beispielsweise /3, 4/ beschrieben. Eine biegeweiche Membran aus Elastomer sowie eine Zugfeder sorgen dafür, dass Fertigungstoleranzen oder radiale Schwingungen im Betrieb ausgeglichen werden können. Während der RWDR vom Hersteller auf das verwendete Fluid und Einsatzgebiet abgestimmt wird, ist der Anwender für die Herstellung der Gegenlauffläche selbst verantwortlich. Sie steht im direkten Kontakt mit der Dichtkante, beeinflusst deren Konditionierung sowie die Schmierfilmbildung und kann A 0

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Erweiterte Beschreibung von Gegenlaufflächen für Radial-Wellen-dichtungen

Dipl.-Ing. Pat.-Ing. Steffen Jung, Prof. Dr.-Ing. habil. Werner Haas Institut für Maschinenelemente (IMA) der Universität Stuttgart, Germany

1 Einleitung

Der Radial-Wellendichtring (RWDR) ist ein in der Praxis häufig eingesetztes Bauteil und findet überall dort Anwendung, wo das Austreten von Schmierstoff an Durchtrittsstellen von Wellen und Achsen verhindert werden soll. Die Anwendungsgebiete sind sehr vielfältig und reichen vom Kraftfahrzeugbau, wo sie vor allem zur Abdichtung von Motoren, Getrieben und Lagern verwendet werden, über Haushaltsgeräte bis hin zur Raumfahrt. Die zuverlässige Dichtfunktion und das Reibmoment werden dabei maßgeblich von der Gegenlauffläche beeinflusst.

2 Radial-Wellendichtung

Eine Radial-Wellendichtung nach DIN 3760 / DIN 3761 /1, 2/ stellt ein tribologisches System dar, bestehend aus dem Dichtring, der Gegenlauffläche und dem abzudichtenden Fluid (Bild 1). Der Dichtring fördert bei sich drehender Welle aktiv Fluid von der Bodenseite zur Stirnseite und wirkt dabei wie eine Mikropumpe. Der Dichtmechanismus ist bereits längere Zeit bekannt und in verschiedenen Veröffentlichungen wie beispielsweise /3, 4/ beschrieben. Eine biegeweiche Membran aus Elastomer sowie eine Zugfeder sorgen dafür, dass Fertigungstoleranzen oder radiale Schwingungen im Betrieb ausgeglichen werden können. Während der RWDR vom Hersteller auf das verwendete Fluid und Einsatzgebiet abgestimmt wird, ist der Anwender für die Herstellung der Gegenlauffläche selbst verantwortlich. Sie steht im direkten Kontakt mit der Dichtkante, beeinflusst deren Konditionierung sowie die Schmierfilmbildung und kann

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auch die Ursache für Leckage sein. In den meisten Anwendungsfällen ist der Dichtring stationär im Gehäuse eingebaut und die Welle bewegt sich.

Boden-/Luftseiteair side

Stirn-/Ölseiteoil side

abzudich-tendes Fluidsealed fluid

Zugfederspring

Welleshaft

Gehäusehousing

Berührbreite bwidth of contact

Kontaktzonecontact area

Bild 1: Aufbau einer Radial-Wellendichtung Figure 1: Design of a rotary lip seal

Die dichtungstechnische Beurteilung der Gegenlauffläche erfolgt derzeit nach Rauheitskennwerten, die in Achslängsrichtung gemessen werden. Die Relativbewegung zwischen Dichtring und Welle findet jedoch in Umfangsrichtung statt. Entsprechend eingeschränkt ist daher die Korrelation zwischen Oberflächenkennwerten und tribologischem Verhalten hinsichtlich Dichtfunktion und Reibmoment. Dies gilt besonders für stark anisotrope Oberflächen. Tribologisch und dichtungstechnisch aussagekräftiger hingegen wäre, das Oberflächenprofil von Gegenlaufflächen für RWDR in Umfangsrichtung zu beschreiben.

3 Rauheitsmessung an Gegenlaufflächen

Nach der gültigen Norm wird für Gegenlaufflächen bislang eine „drallfreie“ Oberflächenbearbeitung mit einer gemittelten Rautiefe von Rz = 1 – 5 m oder einem Mittenrauwert Ra = 0,2 - 0,8 m und einer maximalen Rautiefe von Rmax < 6,3 mgefordert /1/. Unter Drall sind in dieser Veröffentlichung umlaufende Oberflächentexturen zu verstehen, die eine axiale Fluidförderung bewirken. Bereits abgeschlossene Forschungsvorhaben /5/ und Erfahrungen der Praxis /6/ haben jedoch gezeigt, dass ein zuverlässiges Abdichten auch auf Oberflächen mit herstellungsbedingtem Drall möglich ist. So werden beispielsweise neben den

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standardmäßig verwendeten einstichgeschliffenen Wellen auch zunehmend weich- und hartgedrehte Wellen eingesetzt.

Die Messung der Oberflächenbeschaffenheit nach DIN EN ISO 3274 /7/ und DIN EN ISO 4288 /8/ stützt sich weitestgehend auf so genannte Tastschnitt-Verfahren. Wenn keine Messrichtung angegeben wird, so muss nach der Norm /8/ in Richtung des größten zu erwartenden Wertes einer Senkrechtkenngröße (z.B. Ra, Rz) gemessen werden. Diese wird rechtwinklig zur Rillenrichtung der zu messenden Oberfläche sein. Da die meisten Fertigungsverfahren wie Schleifen oder Drehen in Umfangsrichtung arbeiten, entstehen auch Rillen in dieser Richtung. Demzufolge wäre die Rauheit in Achsrichtung maßgebend. Bei axialen Fertigungsverfahren wie Tiefziehen entstehen axiale Rillen, so dass die Rauheit in Umfangsrichtung zu bestimmen wäre. Allerdings kann die Messrichtung des Tastschnitts nach der Norm /8/ vom Anwender beliebig festgelegt werden, was bisher häufig unbekannt ist. Bei Gegenlaufflächen von Radialwellendichtringen wäre es beispielsweise sehr zweckmäßig, die Rauheit stets in Umfangsrichtung zu bestimmen. In dieser Richtung findet auch die Relativbewegung zwischen Dichtring und Welle statt. Ein Vergleich der unterschiedlichen Profilformen zwischen Rauheitsmessungen in Achs- und Umfangsrichtung einer weichgedrehten Welle zeigt Bild 2. Um ein „Einfädeln“ der Tastspitze in die langgezogenen Drehriefen zu vermeiden, wurden diese Rauheitsprofile mit einem optischen Verfahren ermittelt.

Rauheitsprofil in Achsrichtung weichgedrehte Welleroughness profile of a soft-turned shaft in axial direction

Rauheitsprofil in Umfangsrichtung weichgedrehte Welleroughness profile of a soft-turned shaft in circumferential direction

Ra = 2.46 µmRz = 9.5 µm

Ra = 0.11 µmRz = 0.78 µm

4.8 mm

4.8 mm

-5.0

5.0

0.0

-5.0

5.0

0.0

µmµm

Bild 2: Rauheitsprofil weichgedrehte Welle in Achs- und Umfangsrichtung Figure 2: Roughness profile of a soft-turned shaft in axial and circumferential

direction

Die dargestellten Rauheitsprofile sind jeweils bei gleichen Messbedingungen erstellt, so dass ein Vergleich der Profile möglich ist. Die Rauheitsparameter in

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Umfangsrichtung sind viel geringer gegenüber denen in Achsrichtung. Desweiteren zeigen sich beim Rauheitsprofil in Achsrichtung eindeutig die regelmäßigen Drehriefen, während das Rauheitsprofil in Umfangsrichtung einen eher glatten, unregelmäßigen Charakter aufweist. Gemäß der Relativbewegung zwischen Dichtring und Welle sollte zur Beschreibung der tribologischen Vorgänge im Dichtkontakt vorzugsweise das Rauheitsprofil in Umfangsrichtung herangezogen werden.

Üblicherweise wird ein Profilschnitt entlang einer Linie aufgenommen. Daraus entsteht das Rauheitsprofil durch Abtrennen der langwelligen Profilelemente (Welligkeit) mit der Grenzwellenlänge c, die von der jeweiligen Oberflächen-topographie abhängt und in entsprechenden Normen /7, 8/ festgelegt ist. Dabei wird das ursprüngliche Primärprofil z.T. erheblich verändert. Einzelne Profilspitzen können aufgrund der Filterung deutlich „geglättet“ werden, so dass diese im Rauheitsprofil nahezu vollständig beseitigt sind. In Bild 3 ist exemplarisch das Primärprofil in Umfangsrichtung wie auch das zugehörige Rauheits- und Welligkeitsprofil dargestellt.

Filter ISO 11562(M1) c = 0.8 mm Lt = 4.8 mm Vt = 0.5 mm/s

Primärprofil in Umfangsrichtung weichgedrehte Welleprimary profile of a soft-turned shaft in circumferential direction

Rauheits- und Welligkeitsprofil in Umfangsrichtung weichgedrehte Welleroughness and waviness profile of a soft-turned shaft in circumferential direction

4.8

4.8

-2.0

2.0

0.0

-2.0

2.0

0.0

µmµm

Rauheitroughness

Welligkeitwaviness

Bild 3: Primärprofil und gefiltertes Rauheits- bzw. Welligkeitsprofil Figure 3: Primary profile and filtered roughness/waviness profile

Das entstandene Rauheitsprofil hat nur noch eine geringe Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen Primärprofil. Informationen über die langwelligen Anteile des Profils sind ausschließlich im Welligkeitsprofil vorhanden. Dieses wird allerdings zur Beschreibung der Oberflächenrauheit von Gegenlaufflächen nicht beachtet. Auf

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diese Weise können im gefilterten Rauheitsprofil relevante Profilausprägungen, die Einfluss auf tribologische Vorgänge im Dichtkontakt haben, bereits „verloren“ sein.

Für grundlegende Untersuchungen ist demnach das ungefilterte Primärprofil häufig besser geeignet, da es das real vorhandene Oberflächenprofil abbildet. Insbesondere Strömungsvorgänge unter der Dichtkante, welche die Schmierfilm-bildung und damit das Reibmoment beeinflussen, lassen sich damit treffsicherer charakterisieren.

4 Reibmomentmessung Das entstehende Reibmoment im Dichtkontakt ist ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung des Dichtsystems. Der Reibwert ist abhängig vom Schmierzustand im Dichtspalt, wobei die Profilform der Oberfläche einen erheblichen Einfluss hat. Diese kann die Schmierfilmbildung begünstigen oder verhindern.Das Reibmoment wurde mittels einer reibungsfrei gelagerten Prüfkammer gemessen, an der sich die Dichtung bei drehender Welle abstützt. Auf diese Weise war eine sehr präzise Bestimmung des Reibmoments möglich. Auch geringste Reibmomentschwankungen konnten während des Versuchs erfasst werden.Zu Versuchsbeginn war immer ein Einlaufverhalten festzustellen, d.h. während den ersten Wellenumdrehungen muss zunächst Öl unter die Dichtkante gefördert werden und sich ein Temperaturgleichgewicht einstellen. Dieser Vorgang spielte sich in den ersten 15 – 30 min ab. Dabei nahm das Reibmoment um ca. 0,05 – 0,2 Nm ab. Ab diesem Zeitpunkt war das Reibmoment nahezu konstant (Bild 4).

Zeit [s]time [s]

Rei

bmom

ent [

Nm

]fri

ctio

nal t

orqu

e [n

m]

0,4

0,35

0,3

0,25

0,2

0,15

0,1

0,05

0 200 200018001600140012001000800600400

0,27 Nm

Wellen-Ø: 50 mmDrehzahl: 1000 min

-1

DR-Werkstoff: FPMWelle: Einstichgeschliffen

shaft diameter: 50 mmshaft speed: 1000 min-1

material of seal: FPMplunge ground shaft

Bild 4: Reibmomentverlauf Figure 4: Developing of frictional torque

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5 Korrelation Umfangsrauheit – Reibmoment

Die Untersuchung von Korrelationen zwischen dem Primärprofil in Umfangsrichtung und dem entsprechenden Reibmoment verschiedener Gegenlaufflächen erfolgte anhand von insgesamt 24 Wellen. Diese Wellen wurden über 3 verschiedene Drehverfahren mit unterschiedlichen Fertigungsparametern hergestellt.

Längsdrehen Einstichdrehen Tangentialdrehen

Drehverfahren sind kostengünstig und können ohne besondere Vorrichtungen auf gängigen Bearbeitungsmaschinen ausgeführt werden. Als Referenz diente eine einstichgeschliffene Welle.

Die generellen Bearbeitungsparameter bei allen Drehverfahren sind Zustellung und Schnittgeschwindigkeit. Beim Längsdrehen kommt noch der axiale Vorschub hinzu. Neben diesen einstellbaren Parametern sind jedoch auch das Werkzeug und die Maschine an sich von großer Bedeutung. So hat zum einen die Schneidengeometrie (vgl. Standardschneide, Wiperschneide) einen großen Einfluss auf die Oberflächenqualität, zum anderen der Zustand (Abnutzung) des Werkzeugs. Zudem muss nach Art des Ausgangsmaterials unterschieden werden. Vor Bearbeitung gehärtete Werkstoffe werden durch „Hartdrehen“, ungehärtete hingegen durch „Weichdrehen“ bearbeitet. Die untersuchten Wellen decken einen weiten Bereich all dieser Variationsmöglichkeiten ab. Das Verhalten des Reibmoments bezüglich der verschiedenen Oberflächenprofile in Umfangsrichtung wurde anhand mehrerer Messungen untersucht. Dabei wurden Radial-Wellendichtringe aus dem Werkstoff FPM (Fluor-Polymer) und einem Durchmesser von 50 mm eingesetzt. Als Versuchsschmierstoff wurde das FVA-Referenzöl Nr.3 mit einer dynamischen Viskosität von 82 mPa*s verwendet. Es wurde während der Versuche ständig umgewälzt und auf eine Ölsumpftemperaturvon 40°C temperiert. Der Ölstand ging bei den Untersuchungen bis zur Wellenmitte, die Gleitgeschwindigkeit war jeweils konstant bei 2,6 m/s. Um durch Abnutzung des verwendeten RWDRs bedingte Abweichungen des Reibmoments ausschließen zu können, wurde das auf der Referenzwelle gemessene Reibmoment nach je 5 Messungen kontrolliert. Dabei hat sich gezeigt, dass keine Abweichungen vorhanden bzw. vernachlässigbar klein waren. Die ermittelten Reibmomente der untersuchten Wellen lagen größtenteils zwischen 0,25 – 0,32 Nm. Mit diesem eng begrenzten Bereich sind aufgrund der Streubreite einzelner Messungen zuverlässige Aussagen hinsichtlich einer Korrelation mit den verschiedenen Oberflächenprofilen nur schwer möglich. Allerdings haben sich bei einigen Wellen auch höhere Reibmomente im Bereich von 0,4 Nm ergeben, die in eine nähere Auswertung einbezogen wurden. Dabei hat sich gezeigt, dass

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Oberflächen mit höherem Reibmoment einen eher plateauartigen Charakter aufweisen, während Oberflächen mit zahlreichen Rauheitsspitzen zu niedrigeren Reibmomenten führen. Grund ist die größere Kontaktfläche zwischen Dichtring und Welle bei plateauartigen Oberflächen, so dass nur wenig Schmierstoff in den Dichtspalt gelangt, was zu geringen Schmierfilmdicken und damit hoher Reibung führt. Nicht explizit betrachtet wird hier der Einfluss von Gleitgeschwindigkeit und Schmierstoffviskosität. In Bild 5 sind exemplarisch mehrere Primärprofile mit den zugehörigen Reibmomenten dargestellt.

Primärprofil in Umfangsrichtung gedrehte Welleprimary profile of a turned shaft in circumferential direction

Primärprofil in Umfangsrichtung einstichgeschli ffene Welleprimary profile of a plunge ground shaft in circumferential direction

4.8

4.8

-2.0

2.0

0.0

-2.0

2.0

0.0

µmµm

Reibmomentfrictional torque0,27 Nm

Reibmomentfrictional torque0,25 Nm

Primärprofil in Umfangsrichtung gedrehte Welleprimary profile of a turned shaft in circumferential direction

4.8-2.0

2.0

0.0µm

Reibmomentfrictional torque0,37 Nm

Primärprofil in Umfangsrichtung gedrehte Welleprimary profile of a turned shaft in circumferential direction

4.8-2.0

2.0

0.0µm

Reibmomentfrictional torque0,38 Nm

Bild 5: Zusammenhang Oberflächenprofil – Reibmoment Figure 5: Correlation surface profile – frictional torque

Bei den oberen beiden Profilen einer gedrehten sowie der einstichgeschliffenen Referenzwelle lassen sich ausgeprägte Profiltäler erkennen, innerhalb derer sich Schmierstoff ansammeln kann. Während der Relativbewegung zwischen Welle und Dichtring wird dieser vorhandene Schmierstoff in Umfangsrichtung „mitgeschleppt“, wodurch sich vor jeder ansteigenden Flanke ein lokaler Druckgradient aufbaut und eine hydrodynamische Trennung der Gleitflächen stattfinden kann. Bei den unteren

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beiden Profilen in Bild 5 sind derartige Profiltäler weit weniger ausgeprägt oder weiter auseinander liegend. Es wird weniger Schmierstoff in Umfangsrichtung „mitgeschleppt“, so dass auch die lokalen Druckgradienten vor ansteigenden Flanken wesentlich geringer sind. Als Folge ergibt sich zwischen Dichtkante und Wellenoberfläche ein dünnerer Schmierfilm, woraus eine größere Kontaktfläche und damit höhere Reibmomente resultieren (im vorliegenden Fall ca. 0,1 Nm höher gegenüber den „zerklüfteten“ Profilformen). Es ist somit möglich, durch einen Vergleich von Oberflächenprofilen grobe Aussagen zu treffen, welche Oberfläche zu höheren und welche zu niedrigeren Reibmomenten führen. Aufwändige und zeitintensive Messungen am Prüfstand könnten somit in der Zukunft reduziert werden. Nach einer Möglichkeit zur quantitativen Charakterisierung des Oberflächenprofils anhand verschiedener Oberflächenkennwerte wird derzeit am Institut für Maschinenelemente im Rahmen mehrere Projekte intensiv geforscht.

Die untersuchten Gegenlaufflächen waren weitestgehend förderneutral, wie sich anhand von Prüfstandsmessungen gezeigt hat. Auf den Oberflächen befanden sich also keine drehrichtungsabhängigen Oberflächentexturen, welche anströmendes Fluid verstärkt Richtung Boden- oder Stirnseite abgelenkt hätten. Häufig weisen allerdings praxisgerecht gefertigte Wellen derartige Texturen in Form vieler, sehr feiner Riefen auf. Neben Kratzern und Oberflächenfehlern können diese auch bei der Fertigung von Wellen beispielsweise aufgrund verschlissener Werkzeuge entstehen. Durch vorhandene Riefen wird der Schmierungszustand im Dichtkontakt und damit das Reibmoment unabhängig vom jeweiligen Oberflächenprofil jedoch wesentlich beeinflusst.

6 Oberflächentopographie – Einfluss förderaktiver Riefen

Der Einfluss solcher Riefen auf das Reibmoment wurde mittels speziell angefertigter Wellenhülsen untersucht. Diese wurden nach einheitlichen Bearbeitungsparametern vorgedreht und anschließend über Bürstspanen überarbeitet. Bei dieser Methode werden harte oder auch elastische Drahtstifte über die Wellenoberfläche geführt. Über unterschiedliche Drehzahlen der Welle lassen sich hierbei mikroskopisch feine Riefen in die Oberfläche einbringen, die schräg zur Achsrichtung der Welle angeordnet sind. Variiert wurde jeweils der Winkel dieser Riefen gegenüber der Umfangsrichtung zwischen 35° und 70°. Die untersuchten Wellen weisen somit einen „groben“ Drehpass wie auch die überlagerten, mikroskopisch feinen Riefen auf. Als Referenz diente eine ausschließlich gedrehte Welle ohne überlagerte Riefen.

Für die experimentellen Reibmomentmessungen wurden Radial-Wellendichtringe aus dem Werkstoff FPM (Fluor-Polymer) mit einem Durchmesser von 80 mm eingesetzt. Als Versuchsschmierstoff wurde wieder das FVA-Referenzöl Nr.3 mit einer dynamischen Viskosität von 82 mPa*s bei einer Ölsumpftemperatur von 40°C

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verwendet. Der Ölstand ging auch bei diesen Untersuchungen bis zur Wellenmitte, die Gleitgeschwindigkeit war jeweils konstant bei 4,2 m/s. Die Drehrichtung wurde so gewählt, dass der Drehpass in Richtung Luftseite fördert, die mikroskopisch feinen Riefen hingegen in Richtung Ölseite. Bei keiner der untersuchten Wellenhülsen trat Leckage auf. In Bild 6 sind Oberflächenaufnahmen der Wellenhülsen sowie die experimentell ermittelten Reibmomente dargestellt. Ein Einfluss der feinen Riefen ist deutlich erkennbar. Durch die Förderwirkung der Riefen gelangt im Vergleich zur gedrehten Referenzwelle eine geringere Menge an Schmierstoff in den Dichtkontakt, wodurch das Reibmoment zunimmt. Zahlreiche kleine Riefen sind demnach weit förderwirksamer als der vorhandene „grobe“ Drehpass.

Referenzwelle (gedreht)reference shaft (turned)

Reibmoment: 0,45 Nmfrictional torque

Drehriefen + mikroskopisch feine Riefen~70° ggü. Umfangsrichtungturning groove + microscopic fine grooves~70° against circumferential direction

Reibmoment: 0,62 Nmfrictional torque

Drehriefen + mikroskopisch feine Riefen~35° ggü. Umfangsrichtungturning groove + microscopic fine grooves~35° against circumferential direction

Reibmoment: 0,68 Nmfrictional torque

Umfangsrichtungcircumferential direction

0,2 mm

Abstand Drehriefendistance turning groove~ 100 µm

70° 35°

Bild 6: Einfluss förderaktiver Riefen auf das Reibmoment Figure 6: Effect of microscopic fine grooves towards frictional torque

Während der Versuche hat sich gezeigt, dass auch die Ausrichtung der feinen Riefen das Dichtsystem beeinflusst. Liegen die Riefen eher in Umfangsrichtung, so ist die Förderwirkung der Wellenoberfläche ausgeprägter im Vergleich zu mehr axial verlaufenden Riefen. Dementsprechend ist auch das resultierende Reibmoment

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höher (Bild 6). Ein Modell zur umfassenden Beschreibung der Auswirkung solcher Riefen auf das gesamte Dichtsystem wird derzeit am Institut für Maschinenelemente in aktuellen Forschungsprojekten entwickelt.

Zusammenfassung

Um Gegenlaufflächen von RWDR allgemein beschreiben zu können, muss sowohl das Oberflächenprofil in Umfangsrichtung wie auch die auf der Oberfläche befindliche Textur betrachtet werden. Dabei kommt es vor allem auf die Profilform sowie die exakte Erkennung und Auswertung von mikroskopisch feinen Riefen an. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen vorhandene Zusammenhänge zwischen dem Oberflächenprofil in Umfangsrichtung und der Oberflächentextur in Form von Riefen. Niedrige Reibmomente sind demnach vor allem bei zerklüfteten Oberflächenprofilen zu erwarten, innerhalb derer sich Schmierstoff „einlagern“ kann. Bei eher plateauartigen Oberflächen sind derartige „Schmierstoffdepots“ nicht vorhanden, so dass eine geringere hydrodynamische Trennung der Gleitflächen stattfindet, was zu höheren Reibmomenten führt. Allerdings hat auch die Oberflächentextur einen wesentlichen Einfluss auf den Schmierungszustand im Dichtkontakt. Diese lässt sich bisher nur unzureichend erfassen, so dass zu erwartende Reibmomente nur grob abgeschätzt werden können. An einer quantitativen, rechnergestützten Analyse der vorhandenen Oberflächentextur wird derzeit intensiv gearbeitet.

7 Literaturhinweise

/1/ DIN 3760: Radialwellendichtringe, 1996 /2/ DIN 3761: Radialwellendichtringe für Kraftfahrzeuge – Anwendungshinweise,

1983/3/ Müller, H. K.: Abdichtung bewegter Maschinenteile. Medienverlag Müller, 1990 /4/ Buhl, S.: Wechselbeziehungen im Dichtsystem von Radial-Wellendichtring,

Gegenlauffläche und Fluid. Dissertation 2006, Universität Stuttgart, Institut für Maschinenelemente Bericht Nr. 117

/5/ Kunstfeld, T.: Einfluss der Wellenoberfläche auf das Dichtverhalten von Radial-Wellendichtungen. Dissertation Universität Stuttgart, 2005.

/6/ Sonnemann, R.: Abdichten von hartgedrehten Hinterachseingangswellen. Dichtungstechnik, Heft 1, Mai 2006, S. 28 – 30

/7/ DIN EN ISO 3274: Oberflächenbeschaffenheit: Tastschnittverfahren – Nenn-eigenschaften von Tastschnittgeräten, 1997

/8/ DIN EN ISO 4288: Oberflächenbeschaffenheit: Tastschnittverfahren – Regeln und Verfahren für die Beurteilung der Oberflächenbeschaffenheit, 1997

/9/ Jung, S.; Haas, W.: Wellen sicher abgedichtet. Charakterisierung von Gegenlaufflächen für Radialwellendichtringe. Antriebstechnik 5/2008.

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Zuverlässigkeitsaussagen über Radial-Wellendichtringe aus derAuswertung von Ausfalldaten aus dem Feld

Dipl.-Ing. Benjamin Klein, Prof. Dr.-Ing. habil. Werner Haas, Prof. Dr.-Ing. Bernd Bertsche Institut für Maschinenelemente (IMA) der Universität Stuttgart, Germany

1 Einleitung

2 Ausfalldefinition

Die Berechnung der Systemzuverlässigkeit nach dem Booleschen Modell ist ein weit verbreitetes Verfahren bei der Zuverlässigkeitsberechnung von Maschinenbaupro-dukten. Um eine vollständige Beschreibung der Zuverlässigkeit zu ermöglichen, müssen für alle zuverlässigkeitskritischen Bauelemente die Einzelzuverlässigkeiten bekannt sein. Dies ist für die sogenannten A-Teile, wie Zahnräder und Wälzlager, deren Lebensdauern berechenbar sind, einfach möglich. Für die in der ABC-Klassifizierung als B-Teile eingeordneten Systemelemente ist, obwohl sie als risiko-reich für die Systemzuverlässigkeit gelten, keine Berechnung möglich. Zu diesem Bereich der B-Teile gehören auch dynamische Dichtungen, darunter Radial-Wellendichtringe. Als besonders häufig verwendetes Maschinenelement für Abdich-tungen in Industrie- als auch Fahrzeuggetrieben kommt der Zuverlässigkeit des Ra-dial-Wellendichtrings, oder kurz RWDR, eine wesentliche Bedeutung zu.

Grundlage zur Bestimmung der Lebensdauer von Radial-Wellendichtringen ist die Beschreibung und Definition des Ausfalles, also des Endes der Gebrauchsfähigkeit. Die Ausfalldefinition ist hierbei die Negation der Funktion von Dichtungen, die Tren-nung bzw. das Abdichten von Fluiden. Tritt an der Dichtung Leckage auf, ist sie aus-gefallen. Nach DIN 3761 /1/ gelten Dichtringe bei dem genormten 240h-Funktionstest als ausgefallen, wenn gewisse Leckagemengen an einzelnen Dichtringen oder eine Summenleckage an 12 Dichtungen überschritten werden, Tabelle 1 (table 1).

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Tabelle 1: Leckage-Klassen nach DIN 3761-11 Table 1: Leakage-classes according to DIN 3761-11

Leckage Klasse leakage-class

Max. zul. Leckage pro RWDR [g]maximum leakage per RSS [g]

Max. zul. Leckage pro 12 RWDR [g]maximum leakage per 12 RSS [g]

1 1 32 2 63 3 12

Diese Werte sind jedoch sehr hoch gegriffen und in der Praxis heute nicht mehr ver-tretbar. Eine sinnvollere Definition ergibt sich, wenn verschiedene Dichtheitszustände unterschieden werden.

Trocken, keine Feuchtigkeit an der Luftseite sichtbar. Feucht, Flüssigkeitsmeniskus an der Luftseite sichtbar. Nass, die Luftseite ist teilweise mit Fluid bedeckt, aber noch kein Abtropfen. Messbare Leckagerate, Fluid tritt aus und tropft ab.

Diese Einteilung hat wiederum einen direkten Einfluss auf die zu erwartende Le-bensdauer, siehe Bild 1 (figure 1). Aufgetragen sind die möglichen zu erwartenden Lebensdauern in Abhängigkeit vom jeweiligen Dichtheitszustand.

dry moist wet leakage-rate failure

50 500 2 000 10 0000 time [h]

Bild 1: Mögliche Laufzeiten von RWDR nach Dichtheitszustand Figure 1: Possible operating times of RSS depending on leak-tightness-state

Dies ist im Hinblick auf die Auswertung von Felddaten entscheidend, da für jeden Anwendungsfall spezifische Dichtheitszustände zulässig sind. Der für die Praxis rele-vanteste Fall ist jedoch die abtropfende Leckage, da diese am einfachsten festge-stellt werden kann. Deshalb werden im Folgenden Ausfälle als Dichtringe mit zumin-dest abtropfender Leckage definiert.

3 Ausfallmechanismen

Im vorigen Abschnitt wurde der Ausfall von RWDR durch abtropfende Leckage defi-niert. Dieser Ausfall kann durch eine Vielzahl von Veränderungen des Dichtsystems ausgelöst werden. In Bild 2 (figure 2) sind die Hauptausfallursachen aufgetragen. Alle diese Ursachen führen jedoch zu demselben Ausfall, dem Verlust der Dichtfunk-tion und damit Leckage, obwohl gänzlich verschiedene Phänomene zugrunde liegen. Bei der Auswertung von Ausfalldaten muss dieser Sachverhalt berücksichtigt wer-den.