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1 Karlheinz Weber 750 Jahre Kölner Dom – Die alte Domkapelle Das Domjubiläum ist heuer das herausragende Ereignis für Köln, gefeiert durch unzählige kirchliche und städtische Veranstaltungen, die sich über das ganze Jahr erstrecken. Der eigentliche Feiertag ist aber der 15. August, an dem vor 750 Jahren auf den Grundmauern des alten karolingischen Domes der Grundstein für den neuen gotischen Dom gelegt wurde. Ungewöhnlich, ja gar vermessen, war der Plan für diesen Bau, von dem damals niemand ahnte, dass bis zu seiner Vollendung ganze 632 Jahre verge- hen würden. Als am 23. Juli 1880 endlich die gewaltige Kreuzblume den Nordturm krönte, war der dem St. Peter geweihte Dom mit seinen 157 m das höchste Gebäude der Welt. Vermessen war also der Plan, und die Bauruine hat das mehrere Jahrhunderte lang angeklagt, indes war der Ehrgeiz durchaus angemessen der damaligen überragenden Rolle, die der Bischofssitz der SANCTA COLONIA für den römischen Kirchenstaat spielte. Köln war überdies auch ein Zentrum der weltlichen Macht. Schon im Karolinger Dom feierte im Jahre 1046 Papst Leo IX. zusammen mit Kaiser Heinrich III. das „Fest des hl. Petrus“. Seitdem sind Papst und Kaiser Mitglieder des Domkapitels. Der Kölner Dom war fortan ein Symbol des „Heiligen Rei- ches“ überhaupt. Nach der Heiligsprechung von Karl dem Großen war auch das Reich heilig und nannte sich fortan „Heiliges Römisches Reich“ (seit Maximilian I. mit dem Zusatz „Deutscher Natio- nen“). Allerdings währte die Einheit des Sacrum Imperium, die Harmonie von Imperium und Sacerdo- tium, ungetrübt nur bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. Bedeutungsvoll auch für die weitere Kölner Geschichte ist das dem Kölner Erzbischof, innerhalb dessen Sprengels die Krönungsstadt Aachen lag, verliehene alleinige Recht, die deutschen („römischen“) Könige zu krönen. Eine einzigartige Aufwertung für Köln war die päpstliche Ermächtigung (1052) für den Erzbischof, am Dom 7 Kardinalspriester nach dem Vorbild v. St. Peter in Rom einzusetzen und somit auf gleicher Stufe mit der Papstbasilika zu stehen. Als schließlich 1164 die Reliquien der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln gelangten (übrigens durch Raub), wurde Köln zum berühmtesten Wallfahrts- ort. Der die Reliquien aufbewahrende kostbare Schrein von 6 Zentner Gewicht, entstanden zwischen 1180 und 1230, wurde zum „berühmtesten Denkmal der Christenheit“. Er verlangte geradezu nach einer Neugestaltung des Domes, nach einem in seiner Kühnheit der Bedeutung der Überreste der Hei- ligen Drei Könige angemessenen Wunderbau. Nach einer 17-jährigen Bauzeit war zunächst der Chor des Domes soweit vollendet, dass er für den Gottesdienst genutzt werden konnte. Eine Mauer schloß ihn gegen die Baustelle der übrigen Teile von Vierung und Mittelschiff ab. Auf diesen Raum beschränkte sich der Domtorso als Bischofskirche und Wallfahrtsort zum Heiligen Schrein. Wer auch immer von den gekrönten und ungekrönten Häuptern in Köln Einzug hielt, dessen Weg führte zunächst in den Dom, um in der Dreikönigenkapelle vor dem Schrein niederzuknien. Jeder Herrscher, der in Aachen gekrönt wurde, machte mit seinem großen Ge- folge in Köln aus diesem Grunde Station. Der feierliche Kniefall war mit einer Hohen Messe verbun- den. Ihr folgte das Tedeum laudamus. Seit jeher war das Tedeum für den Klerus und die weltliche Macht die höchste Form des Herrscherlobes, der Zustimmung nach einer Huldigung, nach einer Wahl oder zum Abschluß der Krönungsmesse. Hier wurde der größte Aufwand an Lautstärke durch das Zusammenspiel von Gesang, Instrumenten, Pauken und Trompeten, Orgel, Glocken und Kanonensal- ven erreicht. Demnach fiel der Musik im Kölner Dom von Anfang an eine, über die rein liturgische Funktion hin- ausreichende, gewichtige Rolle zu. Wenn Köln, "der römischen Kirche allzeit getreue Tochter", den Dom als ein Symbol mittelalterlicher Macht und als ein alles überragendes Wahrzeichen abendländi- scher Steinmetz- und Baukunst feiert, dann darf sie auch die Dommusik als einen wesentlichen Bei- trag zur Entwicklung des städtischen Musiklebens feiern, hat doch das stadtkölnische Orchester, das städtische „Gürzenich-Orchester“ neben manchen Wurzeln seine älteste Hauptwurzel in der alten Domkapelle, deren Ursprünge bis weit ins frühe Mittelalter reichen und sich dort verlieren. Nehmen wir also das Domjubiläum zum Anlaß, der einstmals berühmten Domkapelle im allgemeinen Festtags- jubel Sitz und Stimme zu geben. Die älteste Kunde über eine Dommusik geht auf Otto II. zurück, der 967 dem Dom Ländereien (den Kottenforst) schenkte, aus deren Einkünften zum Teil die Dommusik unterstützt wurde. (Abschrift einer Schenkungsurkunde im Kölner Domarchiv). Bestimmte Nachrichten über die Dommusik reichen

750 Jahre Kölner Dom - · PDF fileFür die Beschaffung einer Neujahrsmesse 1798 gab es die „v. Sierstorpf’sche Fundati-on“. Die Sonderstiftung (aus kurfürstischer Hand)

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Karlheinz Weber

750 Jahre Kölner Dom – Die alte Domkapelle Das Domjubiläum ist heuer das herausragende Ereignis für Köln, gefeiert durch unzählige kirchliche und städtische Veranstaltungen, die sich über das ganze Jahr erstrecken. Der eigentliche Feiertag ist aber der 15. August, an dem vor 750 Jahren auf den Grundmauern des alten karolingischen Domes der Grundstein für den neuen gotischen Dom gelegt wurde. Ungewöhnlich, ja gar vermessen, war der Plan für diesen Bau, von dem damals niemand ahnte, dass bis zu seiner Vollendung ganze 632 Jahre verge-hen würden. Als am 23. Juli 1880 endlich die gewaltige Kreuzblume den Nordturm krönte, war der dem St. Peter geweihte Dom mit seinen 157 m das höchste Gebäude der Welt. Vermessen war also der Plan, und die Bauruine hat das mehrere Jahrhunderte lang angeklagt, indes war der Ehrgeiz durchaus angemessen der damaligen überragenden Rolle, die der Bischofssitz der SANCTA COLONIA für den römischen Kirchenstaat spielte.

Köln war überdies auch ein Zentrum der weltlichen Macht. Schon im Karolinger Dom feierte im Jahre 1046 Papst Leo IX. zusammen mit Kaiser Heinrich III. das „Fest des hl. Petrus“. Seitdem sind Papst und Kaiser Mitglieder des Domkapitels. Der Kölner Dom war fortan ein Symbol des „Heiligen Rei-ches“ überhaupt. Nach der Heiligsprechung von Karl dem Großen war auch das Reich heilig und nannte sich fortan „Heiliges Römisches Reich“ (seit Maximilian I. mit dem Zusatz „Deutscher Natio-nen“). Allerdings währte die Einheit des Sacrum Imperium, die Harmonie von Imperium und Sacerdo-tium, ungetrübt nur bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. Bedeutungsvoll auch für die weitere Kölner Geschichte ist das dem Kölner Erzbischof, innerhalb dessen Sprengels die Krönungsstadt Aachen lag, verliehene alleinige Recht, die deutschen („römischen“) Könige zu krönen.

Eine einzigartige Aufwertung für Köln war die päpstliche Ermächtigung (1052) für den Erzbischof, am Dom 7 Kardinalspriester nach dem Vorbild v. St. Peter in Rom einzusetzen und somit auf gleicher Stufe mit der Papstbasilika zu stehen. Als schließlich 1164 die Reliquien der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln gelangten (übrigens durch Raub), wurde Köln zum berühmtesten Wallfahrts-ort. Der die Reliquien aufbewahrende kostbare Schrein von 6 Zentner Gewicht, entstanden zwischen 1180 und 1230, wurde zum „berühmtesten Denkmal der Christenheit“. Er verlangte geradezu nach einer Neugestaltung des Domes, nach einem in seiner Kühnheit der Bedeutung der Überreste der Hei-ligen Drei Könige angemessenen Wunderbau.

Nach einer 17-jährigen Bauzeit war zunächst der Chor des Domes soweit vollendet, dass er für den Gottesdienst genutzt werden konnte. Eine Mauer schloß ihn gegen die Baustelle der übrigen Teile von Vierung und Mittelschiff ab. Auf diesen Raum beschränkte sich der Domtorso als Bischofskirche und Wallfahrtsort zum Heiligen Schrein. Wer auch immer von den gekrönten und ungekrönten Häuptern in Köln Einzug hielt, dessen Weg führte zunächst in den Dom, um in der Dreikönigenkapelle vor dem Schrein niederzuknien. Jeder Herrscher, der in Aachen gekrönt wurde, machte mit seinem großen Ge-folge in Köln aus diesem Grunde Station. Der feierliche Kniefall war mit einer Hohen Messe verbun-den. Ihr folgte das Tedeum laudamus. Seit jeher war das Tedeum für den Klerus und die weltliche Macht die höchste Form des Herrscherlobes, der Zustimmung nach einer Huldigung, nach einer Wahl oder zum Abschluß der Krönungsmesse. Hier wurde der größte Aufwand an Lautstärke durch das Zusammenspiel von Gesang, Instrumenten, Pauken und Trompeten, Orgel, Glocken und Kanonensal-ven erreicht.

Demnach fiel der Musik im Kölner Dom von Anfang an eine, über die rein liturgische Funktion hin-ausreichende, gewichtige Rolle zu. Wenn Köln, "der römischen Kirche allzeit getreue Tochter", den Dom als ein Symbol mittelalterlicher Macht und als ein alles überragendes Wahrzeichen abendländi-scher Steinmetz- und Baukunst feiert, dann darf sie auch die Dommusik als einen wesentlichen Bei-trag zur Entwicklung des städtischen Musiklebens feiern, hat doch das stadtkölnische Orchester, das städtische „Gürzenich-Orchester“ neben manchen Wurzeln seine älteste Hauptwurzel in der alten Domkapelle, deren Ursprünge bis weit ins frühe Mittelalter reichen und sich dort verlieren. Nehmen wir also das Domjubiläum zum Anlaß, der einstmals berühmten Domkapelle im allgemeinen Festtags-jubel Sitz und Stimme zu geben.

Die älteste Kunde über eine Dommusik geht auf Otto II. zurück, der 967 dem Dom Ländereien (den Kottenforst) schenkte, aus deren Einkünften zum Teil die Dommusik unterstützt wurde. (Abschrift einer Schenkungsurkunde im Kölner Domarchiv). Bestimmte Nachrichten über die Dommusik reichen

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indes nicht weiter als bis ins 16. Jh. zurück.1 Stiftungen für die Kirchenmusik hat es vermutlich für besondere oder immer wiederkehrende Feste gegeben. Die erste "stehende" Kapelle am Dom war die „capella Mariana“, die am 17. Okt. 1454 durch eine Stiftung des Erzbischofs Theodoricus (Dietrich) von Moers gegründet wurde. Die Einkünfte in Höhe von jährlich 300 Florin (Goldgulden) aus den Höfen von Meckenheim, Nievenheim und Hilden garantierten bis zu 16 Musikern eine dauernde An-stellung, und zwar bis zum Jahre 1803, wie wir noch sehen werden. Die in den „Theodoricianischen Vorschriften“ festgelegten Aufgaben bestanden u.a. darin, in der seitlich gelegenen Marienkapelle täglich ein vollständig durchgeführtes 2. Tagesoffizium und andere Ämter zu halten. Die musikalische Messe, zu der die Instrumentalisten und die Capellsänger hinzutraten, begann täglich um 6 Uhr und war so gelegt, dass das Offizium im hohen Chor nicht gestört wurde. Wir kennen nicht die Namen der damaligen Musikanten. Denkbar ist, dass sich unter ihnen viele Mitglieder der "großen" Domkapelle befanden, da sich beider Dienste nicht überschnitten. Später jedenfalls, wo wir die Namenslisten besit-zen, lässt sich die Doppelbeschäftigung an einigen Fällen nachweisen.

Eine ähnliche Einrichtung für eine tägliche "Musicks Mess" wurde im Jahre 1466 für die Salvatorka-pelle in St. Maria im Kapitol, der Lieblingskirche der Kölner Bürgermeister gestiftet, nämlich von dem aus der Konsularfamilie Hardenrath hervorgegangenen Bürgermeister Johann. Sie war eine rein private Stiftung und blieb in der Verwaltung der Familie bis zur Enteignung 1803. Die Hardenraths hatten in der Kirche die Heilandskapelle ausbauen und mit Wandgemälden von Künstlern aus der Zeit Dürers ausschmücken lassen, darunter eine portraitgetreue Darstellung eines Sängerchores mit 4 Singknaben, 3 erwachsenen Sängern, Dirigent und Organisten am Instrument. Neben der Kirche stand das Singmeisterhäuschen „zum Pleiße“ an der Treppe zum Drei-Königen-Pförtchen, „Hauß uff der Trappen“ genannt. Hier wohnte der Sangmeister mit seinen Schülern, die täglich 7 Uhr eine Mes-se zu singen hatten. Diese wohlweisliche Zeitverschiebungen um eine Stunde gegenüber der Dom-Messe, gestattete zeitweise einigen Mitgliedern der Marienkapelle, auf beiden Messen gleichzeitig zu "tanzen", wenn sie schnell zu Fuß waren, um in 15 Minuten die ganze Stadt zu durchqueren. Das Singmeisterhaus war ein Alumnat für die Singknaben, also nach italienischem Vorbild Kölns erstes "Konservatorium für Musik".

Die Gründung der domstiftischen „Marienkapelle“ als einer gemischt besetzten Kantorei von Sängern und Instrumentalisten ist deswegen so bemerkenswert, da sie wesentlich älter als die vergleichbare Kantorei am Münchner Hof von 1530 oder der noch jüngeren des sächsischen Hofes ist. Hierin mag man erkennen, welch hohen Rang die Bischofskirche im „deutschen Rom“ von jeher einnahm und welche herausragende Bedeutung der Musik im Kölner Dom zukam.

Trotz des fürstlichen Ursprungs der Musikstiftung (sie ist sicher nicht die erste und einzige aus fürstli-cher Schatulle) wird weder die Marien- noch die große Domkapelle zu einer fürstlichen Hofkantorei, sondern behält ihren reichsstädtischen Status, ja, sie erweist sich letztlich als beständiger als die kur-fürstliche Hofkapelle in Bonn. Die durch „städtisch bürgerlich qualifizierte Musikanten“ besetzte Domkapelle war von Natur aus die Kapelle der Bürger dieser reichsunabhängigen Stadt Köln, und sie war ihre Zier vor all den hohen Häuptern, die im Dom das Tedeum erwarteten. Später fließen ebenfalls andere Stiftungen in den Fonds der Dommusik, die nachweislich städtisch-kirchlicher Herkunft sind.

Natürlich spiegelt sich darin auch der politische Konflikt zwischen Stadt und Bischof wider. In der Schlacht von Worringen (1288) erfochten sich die Kölner die Unabhängigkeit von der bischöflichen Bevormundung. Von nun an müssen die Bischöfe ihre Residenz in Bonn nehmen, während Köln im-mer mehr seine Selbständigkeit als freie Reichsstadt gewinnt. Daraus ergibt sich die pikante Situation, dass der hohe Dom zwar die Kathedrale der Erzbischöfe in ihrer Eigenschaft als geistliche Würdenträ-ger ist, jedoch ihre weltliche Macht als Kurfürsten vor dem Domportal auf städtischem Boden endet.

Trotz allem lag es im Interesse des hohen geistlichen Amtes, die Dommusik in jeder Weise zu fördern. So vermehrte 1684 Kurfürst Maximilian Heinrich das Vermögen des „Officium Musices“ um den Hauptteil der "Schreypraebenden" aus den Pfründen der 1660 aufgelösten St. Lupus Bruderschaft (Schreibrüder), ferner um die Margarethen- und Küster-Praebenden, Einnahmen aus Land- und Wald-besitz von ca. vierzehn Ortschaften aus der Umgebung Kölns; dazu Renten aus anderen Domoffizien, Zinsen ausstehender Kapitalien und Zuschüsse aus der Landeskasse. Im einzelnen waren dies Einkünf-te aus dem „Wald der Musik“ am Kleeberg und Primkühl in Gleuel, dem Weidengewächs zu Niehl, aus Weizen, Roggen und Gerste vom Fronhof und Burghof zu Gleuel, aus den Zehnten aus Gülrad, Großderfeld, Blatzheim, Worring, Friesheim usw., zusammen 23 Malter Weizen, 479 Malter Korn,

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129 Malter Gerste und 120¾ Malter Hafer“. Das „Marianum“ erhielt die Fundation „Joannis Colini“ hinzu, aus der zusätzlich zu den üblichen Aufgaben die Lauden an den 7 Marienfesten, sowie zu Os-tern, Pfingsten und Weihnachten mit jährlich 32 Gulden 12 Alben gesondert bezahlt wurden. Auch gab es noch eine Fuggersche Stiftung und andere Sonderstiftungen für zusätzliche Dienste.

Als Carl Rosier 1699 zum neuen Domkapellmeister berufen wurde, erhielt er sein nicht unbeträchtli-ches Gehalt von 100 Reichsthalern „jährlichß ex Prebendis extinctis pro Salario“, also aus anderwei-tig freigewordenen Pfründen. Später kommen noch Gelder aus den erloschenen Laical-Praebenden hinzu, teils als Gehalt für Rosier, teils für die Bezahlung "pro Festo St. Laurentii". 1723 erhöht sich der Musikfonds um „die von des Herrn Weybischofen von Veyder Hochwürden sehligen Andenkens einem Hochw. Thumb Capitull... zur Music in der hohen Thumbkirchen logirte tausend Reichsthaler und 80 Alben.“ Für die Beschaffung einer Neujahrsmesse 1798 gab es die „v. Sierstorpf’sche Fundati-on“. Die Sonderstiftung (aus kurfürstischer Hand) für die in der Dreikönigenkapelle zu gebenden Mu-siken am Dreikönigsfest verwaltete das „Officium Trium Regum“. Aus diesem Officio wurde auch die Musik zum Cäecilienfest bezahlt. Das „Officium Maximilianum“ verwaltete den Fonds für die Memo-rien der Kurfürsten Maximilian Heinrich und die Anniversalien für die anderen verstorbenen Kurfürs-ten und entschied auch über den Armenfonds für die Musiker. Die Dreikönigen-Kapelle war die Bei-setzungskapelle für die Erzbischöfe. Also die zusätzlich honorierten Aufgaben der Domkapelle waren: das Kirchweihfest des Domes (29. 7.), St. Peter und Paul (29.6.), Caecilienfest, Heiligenfeste, Be-gängnisse, das 10-, 12- und 40-Stundengebet (das in allen Kirchen und auch von der Stadt in der Rats-kapelle veranstaltet wurde), Exequien, Passionsmusiken, St. Engelbertfest, die 7 Marienfeste (Colini-Stiftung), oder z. B. eine musikalische Danksagung „pro recuperata sanitate ducis Bavariae“ usf.

Die Finanzierung der Dommusik erfolgte durch das feudalistische System von Stiftungen und Pfrün-den (Praebenden), was eine gewissenhafte Verwaltung voraussetzte. Rechnungsamt war das Officium Musices (Musikeramt). Die Oberaufsicht hatten Domherren als Directores: z. B. Franz v. Hohenzol-lern-Sigmaringen - er war auch 1. Staatsminister des Kurfürsten und Kanzler der Kölner Universität - und Dr. jur. Ferdinand von Francken-Sierstorpff, Kapitelsherr und Kanonikus. Die Probespiele wurden vor den „Comissariis“ abgehalten. Für die Dienstaufsicht auf dem musikalischen Chor wurde aus den Reihen der Capella ein „Succentor“ ernannt. Ihm oblag die Organisation der Musiken, Proben und Aufführungen, das Signieren der anwesenden Musiker. Die Signatur über Fehlen und Zuspätkommen wurde nach oben gemeldet und hatte Kürzung oder Entzug des Präsenzgeldes (Neglektenabzug), in schweren Fällen Abzug vom „salarium“ zur Folge. Der Succentor betreute die Instrumente, verwahrte sie und teilte sie aus, überwachte die Reparaturen und war für die Notenbeschaffung und die Wartung der Orgel verantwortlich. Auch erteilte er Gesangsunterricht. Wichtige Entscheidungen waren dem Domkapitel vorbehalten. Die Musikausgaben mussten seit 1699 dem Kapitel jährlich vorgelegt wer-den. Das Musikergehalt ward jährlich berechnet, aber quartaliter ausgezahlt. Zu dem festen Salarium gab es zusätzlich die Präsenzgelder (bei Anwesenheit) und Zulagen für Extradienste. Dienstwohnun-gen am Dom konnten gegen festen Hauszins - soweit vorhanden - zugeteilt werden.

Der „geistliche“ Chor bestand aus Cantoren und mitsingenden Vikaren, Sacellanen (Kaplanen) und Chori-Socii.“ Der gregorianische Gesang wurde vom „Chorale“ gesungen. Der Kern der ständig be-soldeten (großen) Domkapelle (der „musikalische Chor“) umfaßte jedoch 5 Vokalisten (professionelle Solosänger) und mindestens 12 Instrumentalisten. Die Solosänger sind für alle Kirchenkapellen unver-zichtbarer Bestandteil des Musikchores. Sänger und Instrumentalisten bilden eine musikalische Ein-heit. In Köln wurde der Diskant schon früh (offenbar früher als in anderen Kantoreien) von einer Frauenstimme gesungen, sowohl in der Domkapelle wie auch im Marianum. Im Altus findet der Wechsel von der Männer- zur Frauenstimme erst 1758 statt.

Man kann sagen, die Domkapelle entsprach in ihrer Administration einer Hofkapelle mit all den For-men und den uns vertrauten Aufgaben späterer Orchesterverwaltungen. Die Kapellmitglieder mussten ausgewählt werden, und zwar nach den Gesichtspunkten der künstlerischen und menschlichen Eig-nung. Das machte Probespiele und Bewährungszeiten (Probezeit) erforderlich. Aber auch Diensteintei-lungen, Beurlaubungen, soziale Fragen und vieles andere werden mehr und mehr zum Verwaltungs-auftrag des „Officium musices“ (Musikeramt, heute Orchesterdirektion), das für die Dienstaufsicht einen „Succentor“ (heute Orchesterinspektor) benennt. Die Anstellung erfolgte in der Regel auf Le-benszeit. Bei Krankheit und Altersschwäche wurden Substitute (Aushilfen) herangezogen. Erst durch Tod vakant gewordene Stellen konnten neu besetzt werden. Es war dies auch eine Art sozialer Alters-

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und Krankenvorsorge. Weitere soziale Vergünstigungen konnten von Fall zu Fall gewährt werden: vollen Lohnausgleich oder keinen Abzug vom Präsenzgeld bei Krankheit (Benefiz-Signatur) oder Beurlaubung in dringenden Angelegenheiten. Mitunter musste eine Krankheitsbescheinigung vorge-legt werden. Der Dom-Altist und Geiger Johann Eltz (später Domkapellmeister) erfuhr z.B. keinen Gehaltsabzug, als seine Frau im Kindbett lag. Er bekam vollbezahlten Vaterschaftsurlaub! Auch der Domserpentist Johann Friedrich Mettje erfuhr bei seiner vierwöchigen Krankheit keinen Neglektenab-zug. Wegen 24-jähriger Dienste am Dom erhielt er eine Gehaltserhöhung. Andere soziale Zuwendun-gen bestanden in Beisteuern für Witwen und Waisen, für Arznei- oder Rechtsanwaltskosten, für Hochzeiten und Kindtaufen, für Beerdigungen, für ein Weiterstudium, für unverschuldete Notlagen u.v.m. Rückstände aus Gehaltsvorschüssen wurden oft in Geschenke umgewandelt, der Hauszins konnte ermäßigt werden. „Ergötzlichkeiten“ (Douceurs) und Gratifikationen gab es für besondere Leistungen, eingereichte Kompositionen, für abgeschriebene Noten oder für Dienste anlässlich außer-ordentlicher Feste und Prozessionen. Es versteht sich bei so vielen Vorteilen fast von selbst, dass die besten, auch städtisch besoldeten, Musiker, besonders die Holz- und Blechbläser der Hautboistenban-de der Stadtmiliz, Mitglieder der Domkapelle waren. Und da auch die Stadt sich dieser Kapelle für eigene Belange bediente, wobei sie dem Domkapellmeister das Privileg eines Ratskapellmeisters ver-lieh, wurde in Konsequenz diese Dom-Ratskapelle – wie die Kölner es nannten- zu dem „hiesigen Orchester“ schlechthin.2 Sie prägte als führendes musikalisches Institut das Musikleben Kölns im letz-ten reichsstädtischen Jahrhundert. Ende der 90er Jahre sprach man allgemein von „den hiesigen bei-den Orchestres“ und meinte damit die Domkapelle und das Marianum zusammen. Danach hieß es kurz und bündig „das Orchester in Köln“. Das hob die Domkapelle aus dem Kreis der übrigen Kir-chenkapellen heraus, was nicht von ungefähr kam. Denn sie band die besten und führenden Musikan-ten der Stadt, die darüber hinaus zeitweise und gleichzeitig auch in den übrigen Kirchenorchestern feste Anstellungen fanden. Vor allem ist die Marien- und Domkapelle in ihrer personellen Verflech-tung als Einheit zu sehen. Die tägliche Musikmesse in der Marienkapelle bot für die Domkapellisten ein nicht unerhebliches Zubrot, auch wenn es durch das täglich frühe Aufstehen erkauft werden muss-te. Vermutlich fanden hier die tüchtigsten und angesehensten Musikanten der Domkapelle ihren Platz.

Die Organisation und Verwaltung, die Art der Besoldung mit Einschluß der Altersversorgung und weiterer sozialer Leistungen, das alles ist grundlegend und richtungsweisend für die Fortentwicklung des stadtkölnischen Orchesters, das sich über die Kirchenmusik hinaus auch als Theater- und Konzer-torchester etablierte. Die Reihe der Domkapellmeister, die sich gleicherweise als Ratskapellmeister und Komponisten hervortaten, prägten nachhaltig die Musikkultur in Stil und Geschmack und trugen zur technischen und musikalischen Erziehung des Orchesters bei. Das 18. Jahrhundert gehört, so kann man sagen, der Domkapelle, das 19. Jahrhundert der Concert-Gesellschaft und dem Theaterorchester, das 20. dem „städtischen“ Gürzenichorchester.

Der erste uns bekannte Domkapellmeister und Domorganist war der seit ca. 1661 nachweisbare Casparus Grieffgens. Als Ratskapellmeister leitete er 1691 und 1697 die Musik bei der Gottestracht, Kölns größtem Stadtfest. Er schrieb zwei Opern. 1661 erschien im Druck „Vanitas vanitatum“. Die Zweite „italienische Oper“ wurde mit großem Erfolg am 23. Mai 1667 auf dem Quartermarkt aufge-führt. Auch 1698 suchte Grieffgens um die Erlaubnis nach, eine Comoedien opera aufzuführen.

Sein Nachfolger wurde nach seinem Tod 1699 der in Lüttich geborene Carolus Rosier. Er diente als Geiger und später als Vizekapellmeister in der Bonner Hofkapelle. Nachdem diese zweimal aufgelöst worden war, lebte er einmal zunächst in Köln und zog nach der zweiten Auflösung konzertierend durch Holland. Auch als Komponist einer Motettensammlung, von Messen, von 40 Instrumentalsona-ten in der Art der Turmmusiken des Leipziger Stadtpfeifers Johann Pezels, hatte er sich einen Namen gemacht. An einem in der Komposition tüchtigen Kapellmeister war dem Domkapitel vor allem gele-gen. Auch die Stadt erteilte ihm sogleich das Ratskapellmeister-Privileg. In dieser Funktion hatte er die Musik für alle von der Stadt zu veranstaltenden Anlässe zu besorgen, d. h. das Orchester zusam-menzustellen, die Musik auszuwählen bzw. zu schreiben, zu arrangieren und zu leiten. Rosier brachte nach Köln auch weitere Musiker der Bonner Hofkapelle mit, darunter seine beiden Söhne. Ohne Zwei-fel erlebte die Domkapelle unter seiner Leitung (als Primgeiger) und organisatorischen Tatkraft einen großen Aufschwung. Die in der Bonner Hofkapelle gemachten Erfahrungen sollten sich für die Zu-kunft auszahlen.

Während seiner 25jährigen Amtszeit erweiterte sich die Orchesterbesetzung durch Hinzuziehung von

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weiteren Bläsern, die sich hauptsächlich aus der sechsköpfigen Hautboistenbande rekrutierten. Eine besondere Spezialität, die sonst in Deutschland kaum ihresgleichen hat, ist die Verwendung eines Ser-pents, jenes schlangenförmig gewundenen Bassinstruments aus der Zinkenfamilie. Als der Dom ein neues Instrument anschaffte, wurde der dafür vorgesehene Spieler auf Domkosten eigens nach Straß-burg geschickt, sich dort ein geeignetes Instrument auszusuchen und sich im Spielen desselben unter-weisen zu lassen.

Nach Rosier folgten im Kapellmeisteramt: Theodor Eltz (1725-1770), Johann Georg Ehmann (interi-mistisch 1770-1775), Joseph Alois Schmittbaur (1775-1777), Franz Ignaz Kaa (1777-1805). Der sich unter diesen Dom- und Ratskapellmeistern vollziehende Wandel in der Instrumentenbesetzung der Kapelle spiegelt den Stilumschwung vom Barock- zum vorklassischen Orchester wider. Früher als andernorts werden bereits 1748 Klarinetten eingesetzt. Wenig später erfolgt der Ankauf von zwei Waldhörnern. Der Einsatz von Trompeten war für Köln etwas Selbstverständliches, da die freie Reichsstadt eigene "kaiserlich privilegierte" Trompeter halten durfte. Außerdem war es sogar den Ka-pellmitgliedern seit 1708 gestattet, nach der Aufhebung der Beschränkung des Gebrauchs der Trompe-ten in der Kirchenmusik, selber die Trompeten zu benutzen. Bei allen großen kirchlichen und weltli-chen Anlässen und regelmäßig zum Dreikönigenfest wurde ein „Sacrum musicum“ mit Pauken und Trompeten gehalten. Zum Fest der Hl. Drei Könige musste die Musik besonders prachtvoll sein. Die jeweiligen Domkapellmeister legten ihren ganzen Ehrgeiz darein, eigens dazu die Musik zu kompo-nieren. 1731 wird erstmals eine Musik in doppelchöriger Anordnung erwähnt, die später vielfach zur Nachahmung reizte. Schmittbaur z. B. bot dafür ein Orchester von 50 Mitgliedern auf. Erst 1768 ist von der „Erkaufung zweyer, zu den Weynachts Zeithen aufm Musicalischen Dom-Chor zu gebrau-chenden Pfeiffen“ die Rede (in der Hardenrathkapelle als „fistulae Nativitatis Christi“ oder später als „Christen flüthen“ bekannt). Die Posaunen finden erst 1792 anläßlich der Aufführung der Gossec-Messe Erwähnung. Die Spielkultur der Mannheimer Schule brachte mindestens Schmittbaur nach Köln. Damit das differenzierte Spiel mit abgestuften Lautstärken auch in der Domkapelle befolgt wur-de, erließ das Domkapitel eine "Dienstanweisung für den Konzertmeister des Orchesters". Das Domorchester erreichte gegen Ende des Jahrhunderts eine Besetzung, die ihr alle durch die neue Mu-sik gestellten Möglichkeiten eröffnete. Darin überflügelte sie sogar die Bonner Hofkapelle.

Ein neues Betätigungsfeld erwuchs der Kapelle mit der Gründung der Musicalischen Academie im Jahre 1743, die den Grundstein für die Kölner Tradition des bürgerlichen Konzertes legte. Dass für die Leitung dieser Winterkonzerte fast immer die Domkapellmeister mit ihrem Orchester gewonnen wer-den konnten, verbürgte deren Erfolg. Über Schmittbaur schwärmte F. F. Wallraf, dass "unter seiner Direction der öffentlichen und Privat-Concerte der musicalische Geschmack unter uns richtiger, die Liebe zur Musik allgemeiner, und die Bestrebung zum genauen und schönen Ausdruck bis zum Wettei-fer und Stolz angelegener ward". J. N. Forkel schrieb: Durch diesen geschickten Meister wird ganz Cölln zur Tonkunst aufgemuntert.“3

Als drittes und letztlich wichtigstes Standbein des "hiesigen Orchesters" entwickelte sich die Theater-musik. Seit jeher engagierten die reisenden Theatergesellschaften für ihre Aufführungen die ortsansäs-sigen Stadtpfeifer, die darauf auch zunftgemäß ein Privileg vor fremden Musikanten hatten.

Es ist bitter zu sagen, dass gerade zu der Zeit, als das Domorchester seine größte Blüte erreicht hatte, mit der 1803 greifenden Säkularisation, also der damit verbundenen Enteignung aller Musikstiftungen die einstmals komfortablen Einkünfte für die Kölner Musiker verloren gingen. Noch viele Jahre später kämpften sie, meist vergeblich, um noch ausstehende Gehälter und Anwartschaften ihrer Pensionen. Auch den Dom traf es hart. Das Domkapitel flüchtete mit dem Domschatz und dem Dreikönigen-schrein in das rechtsrheinische Arensberg. Die Franzosen degradierten den Dom zu einer Pfarrkirche herab. Nach der Auflösung des Erzbistums ging der Bischofssitz nach Aachen. Von Glück kann man sagen, dass die ernsthaften Pläne, den Dom gänzlich abzureißen, nicht verwirklicht wurden. Nach Abschluß des Konkordates durfte der Dom wieder benutzt werden, sogar das Tedeum erklang wieder. Die Domkapelle spielte bis 1805 unentgeltlich weiter.

Die musikliebenden Kölner Bürger, allen voran der Tribunalrichter Erich Verkenius, wollten sich nicht mit dem Ende der Dommusik zufrieden geben, sondern gründeten den "Verein der Dommusiken- und Liebhaberkonzerte". Ziel war es, die alte Domkapelle wieder einzusetzen, wozu neben den Über-schüssen aus den Konzerten auch Sammlungen, zu denen sogar musikbegeisterte Protestanten ihr Scherflein beitrugen, die finanzielle Grundlage bilden sollten. Bereits zum Dreikönigenfest am

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6.1.1807 erklang im Dom Haydns 1. Messe, ausgeführt durch ein Ensemble von 60-70 Mitwirkenden. Fortan gelangten weitere Messen von Joseph und Michael Haydn, Naumann, Cherubini, Padre Marti-ni, Jomelli, Holzbauer sowie die C-Dur-Messe von Beethoven zur Aufführung. Die musikalische Lei-tung wurde dem ehemaligen Domcellisten Bernhard Joseph Mäurer übertragen, der weiland zusam-men mit Beethoven in der Bonner Hofkapelle Schüler von Neefe gewesen war. Es sollte allerdings noch bis zum Jahre 1826 dauern, bis die Domkapelle endlich der eigens dazu geschaffenen Domkir-chen-Musik-Verwaltung unterstellt werden konnte. Ehrenamtlicher Intendant wurde der oben erwähn-te Verkenius. Die Besetzung der reorganisierten Domkapelle hatte im Sängerchor: 3 Diskant, 3 Alt, 2 Tenöre, 2 Bässe; im Orchester: 1 Flöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Trompeten, 2 Posaunen, 1 Pauke, 6 Violinen, 1 Viola, 2 Violoncelli, 2 Kontrabässe, dazu 1 Instrumententräger und 1 Bälgetreter. Die disponiblen Fonds betrugen 2314 Thlr. pro Jahr. Der preußische Staat gewährte zum Musiketat einen dauernden Zuschuß von 800 Reichstalern. Zum Domkapellmeister wurde der 42-jährige Carl Leibl berufen, der sich in München u.a. als Leiter der Liebhaberkonzerte einen Namen gemacht hatte. Auch hier in Köln erwählten die Liebhaber ihn sofort zum Dirigenten ihrer Winterkonzerte. Zu deren Durchführung hatte sich, nachdem der Verein der Dommusiken- und Liebhaberkonzerte seinen Zweck erfüllt hatte, im Jahre 1827 die Concert-Gesellschaft konstituiert, die dazu berufen war, als Veranstal-terin der "Gürzenichkonzerte" Köln als Musikmetropole in aller Welt berühmt zu machen.

Da das Theaterwesen einen großen Aufschwung erfahren hatte, indem die Wandertruppen durch ein stehendes Theater abgelöst worden waren, hatte sich der Hauptverdienst der Kölner Musiker auf das Theaterorchester verlagert, während die Beschäftigung im Konzert und in der Domkapelle nur noch den dritten Teil dazu beisteuerte. Leibl leitete die Konzerte nur wenige Jahre, da inzwischen (1840) das Amt eines Städtischen Kapellmeisters geschaffen worden war. Conradin Kreutzer, Heinrich Dorn und Ferdinand Hiller waren die ersten in dieser Stellung. Leibl jedoch legte auch danach immer Wert darauf, in seiner Domkapelle mit den führenden Musikern des "Theaterorchesters" zusammenzuarbei-ten. Leider währte diese harmonische Ehe nur bis zum Jahre 1863. Das vorausgegangene Kölner Pro-vinzialkonzil verfügte, dass im hohen Dom in Zukunft nur noch der a-cappella-Gesang zu gestatten und es verboten sei, in den mehrstimmigen Gesängen die Sopran- und Altstimmen durch Damen zu besetzen. Damit war das Ende der Domkapelle, des berühmtesten Musikinstituts Kölns, besiegelt. Wir müssen uns dabei vergegenwärtigen, dass diese Dommusik nur in dem einzig vollendeten Teil des Domes erklang, nämlich im Ostchor. Die Akustik war vermutlich viel günstiger, als im heutigen Dom mit einem an ein Echo heranreichenden Nachhall. Mehrere Jahrhunderte wetteiferten hier Sänger und Instrumentalisten miteinander zu Lob und Preis der himmlischen und weltlichen Herrscher. Es gehört zu den skurrilen Zufälligkeiten der Geschichte, dass just in dem Jahr, wo die Brandmauer niedergelegt wurde und der Chor endlich mit dem fertiggestellten Quer- und Mittelschiff vereinigt werden konnte, die instrumentale Dommusik verstummen musste und in den nunmehr vollendeten Dom jene musika-lische Verarmung durch den Verzicht auf das reiche Erbe der Kirchenmusik aller Stilepochen einzog.

Inzwischen sind weitere 135 Jahre ins Land gegangen, von denen sich sagen läßt, dass der musikali-sche Puritanismus glücklicherweise immer mehr aufgeweicht wurde. Zwar sind die Zeiten eines eige-nen Domorchesters für immer vorbei, andererseits gibt es neuerdings einen Dom-Mädchenchor! Die problematische Akustik dieser so lang(nach)halligen Kathedrale wirkte übrigens nicht gerade einla-dend auf die Veranstaltung großer Chor- und Orchesterwerke. Spektakulär zu nennen ist daher die Aufführung der Matthäus-Passion des protestantischen Thomaskantors Bach im Jahre 1940 mit dem Gürzenich-Orchester, dem Gürzenich-Chor und dem Kölner Männer-Gesang-Verein unter Eugen Papst. Nicht minder herausragend war das Sonderkonzert des Gürzenich-Orchesters unter Marek Janowski mit dem Requiem (Grande Messe des Morts) von Berlioz am 5. Juli 1989 zum Gedenken an die Französische Revolution, übrigens unter Mitwirkung von Mitgliedern des Orchestre Philharmoni-que de Radio France.

Nun, das Jubiläumsjahr beschert dem Dom endlich eine neue Orgel- und Chorempore im nördlichen Querschiff, so dass die besten Bedingungen gegeben sind, dass sich der Mutter Colonia höchste Zier nicht nur historisch und architektonisch, sondern auch musikalisch in ihrem ganzen Reichtum heraus-zuputzen kann.

1 Heinrich Hack, Die Kölner Domkapelle, nach den Domakten bearbeitet, in Jb. des Kölnischen Geschichtsvereins, S. 116 2 Ferdinand Franz Wallraf, Das Verschwinden der Kirchenmusik zu Köln, in: Kölnische Ztg. v. 3. 8. u. folg. 1805.

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3 J.N.Forkel, Musicalisch-kritische Bibliothek, Bd. I, Gotha 1778, S. 315ff