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„Brot für die Welt“ – Kampagne für Ernährungssicherheit 1 10 Kampagnenblätter: Ernährungskrise Schwankungen der Preise von Reis, Wei- zen, Sorghum und Mais (in USD/Tonne) Quelle: FAO 2009 Informationen zur „Brot für die Welt“ – Kampagne „Niemand isst für sich allein“: www.brot-fuer-die-welt.de/ernaehrung Auswirkungen der Weltmarktpreise von Lebensmittel auf das Recht auf Nahrung von Menschen im ländlichen Raum „Oberstes Ziel des Kampfes gegen den Hunger muss es sein, eine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln vor Ort und aus der Region sicherzustellen. Dies verlangt eine Landwirtschaft, die auf "ownership" in den Entwicklungsländern und auf funktionierenden lokalen Strukturen und lokalem Wissen aufbaut.“ Bundespräsident Horst Köhler, Oktober 2007 Schwankende Weltmarktpreise * Weltweit ist die Landwirtschaft in den letzten Jah- ren von einigen, sich weiter zuspitzenden Krisen gebeutelt. Die steigenden Energiepreise, die ersten Auswirkungen des Klimawandels und die globale Finanz- und Wirtschaftskrise beeinflussen die Landwirtschaft und ihre Möglichkeiten, zu Armuts- bekämpfung und Ernährungssicherheit beizutra- gen. Die Weltmarktpreise für Lebensmittel schwanken wie seit Jahrzehnten nicht. Besonders stark betroffen sind Grundnahrungsmittel wie Reis, Weizen und Mais, aber auch Ölsaaten und Milch- produkte. Dies hat direkten Einfluss auf die Ein- kommen der Bauern und ihre Ernährungssicher- heit. 2007 und vor allem in der ersten Hälfte des Jahres 2008 waren die Preise dramatisch angestiegen: Für Weizen und Mais um das Doppelte, für Reis gar um das Dreifache des Niveaus von 2006. 1 Zu den Gründen zählten schlechte Ernten in wichtigen Ex- portländern, niedrige Lagerbestände und die stei- gende Nachfrage nach pflanzlichen Energieträgern, vor allem für Agrartreibstoffe. Angeheizt wurden die Preissteigerungen durch Finanzspekulationen auf dem Lebensmittelsektor, als die Immobilien- und Aktienmärkte zusammenbrachen. Ab Mitte 2008 führten die größte Getreideernte der Ge- schichte, der Übergang der Finanz- in eine Wirt- schaftkrise und der Abzug von Finanzinvestitionen aus dem Agrarsektor zu einem drastischen Verfall der Weltmarktpreise. Und bis Mitte 2009 sind die Preise für viele Grundnahrungsmittel wieder auf den Stand vor Beginn des Preisanstiegs gefallen – wichtige Ausnahme ist Reis, der noch immer mehr als doppelt so teuer ist wie vor zwei Jahren. 2 * Dieses Kampagnenblatt basiert weitgehend auf der Studie „Ist Essen bald Luxus? Ursachen der globalen Agrarpreise 2008 und die Reaktio- nen von Kleinbauern in Mali und Burkina Faso“ von Tobias Reichert und Klemens van de Sand, herausgegeben von „Brot für die Welt“ und Germanwatch vom August 2009. Hungerproblem – auch in den Städten Der extrem schnelle Preisanstieg führte dazu, dass die städtische Bevölkerung zunehmend von Hunger bedroht wurde. Verschärft wurde die Situation da- durch, dass zur selben Zeit Erdöl und andere Ener- gieträger sehr viel teurer geworden waren. Die Armen, die mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden müssen und einen großen Teil des restlichen Einkommens für Brenn- material zum Kochen und Heizen und für den Transport benötigen, konnten den Preisanstieg nicht abfedern. In den Hauptstädten von über 30 Entwicklungsländern kam es zu öffentlichen Pro- testen. Sie führten dazu, dass die Regierungen und Parlamente das Ernährungsproblem nicht mehr ig- norieren konnten, was einfacher ist, solange vor allem Menschen in ländlichen Gebieten mit wenig politischem Einfluss hungern. 70% der Menschen, die an Hun- ger leiden, leben auf dem Land. Die Preiskrise hat einen schon seit einiger Zeit bestehenden negativen Trend dramatisch ver- schärft und damit unübersehbar gemacht. Die Zahl der Hungern- den steigt, nachdem sie weltweit Mitte 1990er Jahre mit etwa 820 Mio. einen zwischenzeitlichen Tiefpunkt erreichte hatte. Nach Angaben der UN Organisation für Ernährung und Landwirt- schaft (FAO) hungerten 2008 etwa 915 Millionen Menschen aufgrund des drastischen Preis- anstiegs. Die auch in den Ent- wicklungsländern spürbare Weltwirtschaftskrise trieb die Zahl der Hungernden 2009 über die „Eine-Milliarde-Marke“. 9 Kampagnenblätter Ernäh- 10 Kampagnenblätter Ernährungskrise 10

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„Brot für die Welt“ – Kampagne für Ernährungssicherheit 1

10 Kampagnenblätter: Ernährungskrise

Schwankungen der Preise von Reis, Wei-zen, Sorghum und Mais (in USD/Tonne) Quelle: FAO 2009

Informationen zur „Brot für die Welt“ – Kampagne „Niemand isst für sich allein“: www.brot-fuer-die-welt.de/ernaehrung

Auswirkungen der Weltmarktpreise von Lebensmittel auf das Recht auf Nahrung von Menschen im ländlichen Raum

„Oberstes Ziel des Kampfes gegen den Hunger muss es sein, eine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln vor Ort und aus der Region sicherzustellen. Dies verlangt eine Landwirtschaft, die auf "ownership" in den Entwicklungsländern und auf funktionierenden lokalen Strukturen und lokalem Wissen aufbaut.“

Bundespräsident Horst Köhler, Oktober 2007 Schwankende Weltmarktpreise* Weltweit ist die Landwirtschaft in den letzten Jah-ren von einigen, sich weiter zuspitzenden Krisen gebeutelt. Die steigenden Energiepreise, die ersten Auswirkungen des Klimawandels und die globale Finanz- und Wirtschaftskrise beeinflussen die Landwirtschaft und ihre Möglichkeiten, zu Armuts-bekämpfung und Ernährungssicherheit beizutra-gen. Die Weltmarktpreise für Lebensmittel schwanken wie seit Jahrzehnten nicht. Besonders stark betroffen sind Grundnahrungsmittel wie Reis, Weizen und Mais, aber auch Ölsaaten und Milch-produkte. Dies hat direkten Einfluss auf die Ein-kommen der Bauern und ihre Ernährungssicher-heit. 2007 und vor allem in der ersten Hälfte des Jahres 2008 waren die Preise dramatisch angestiegen: Für Weizen und Mais um das Doppelte, für Reis gar um das Dreifache des Niveaus von 2006.1 Zu den Gründen zählten schlechte Ernten in wichtigen Ex-portländern, niedrige Lagerbestände und die stei-gende Nachfrage nach pflanzlichen Energieträgern, vor allem für Agrartreibstoffe. Angeheizt wurden die Preissteigerungen durch Finanzspekulationen auf dem Lebensmittelsektor, als die Immobilien- und Aktienmärkte zusammenbrachen. Ab Mitte 2008 führten die größte Getreideernte der Ge-schichte, der Übergang der Finanz- in eine Wirt-schaftkrise und der Abzug von Finanzinvestitionen aus dem Agrarsektor zu einem drastischen Verfall der Weltmarktpreise. Und bis Mitte 2009 sind die Preise für viele Grundnahrungsmittel wieder auf den Stand vor Beginn des Preisanstiegs gefallen – wichtige Ausnahme ist Reis, der noch immer mehr als doppelt so teuer ist wie vor zwei Jahren.2

* Dieses Kampagnenblatt basiert weitgehend auf der Studie „Ist Essen bald Luxus? Ursachen der globalen Agrarpreise 2008 und die Reaktio-nen von Kleinbauern in Mali und Burkina Faso“ von Tobias Reichert und Klemens van de Sand, herausgegeben von „Brot für die Welt“ und Germanwatch vom August 2009.

Hungerproblem – auch in den Städten Der extrem schnelle Preisanstieg führte dazu, dass die städtische Bevölkerung zunehmend von Hunger bedroht wurde. Verschärft wurde die Situation da-durch, dass zur selben Zeit Erdöl und andere Ener-gieträger sehr viel teurer geworden waren. Die Armen, die mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden müssen und einen großen Teil des restlichen Einkommens für Brenn-material zum Kochen und Heizen und für den Transport benötigen, konnten den Preisanstieg nicht abfedern. In den Hauptstädten von über 30 Entwicklungsländern kam es zu öffentlichen Pro-testen. Sie führten dazu, dass die Regierungen und Parlamente das Ernährungsproblem nicht mehr ig-norieren konnten, was einfacher ist, solange vor allem Menschen in ländlichen Gebieten mit wenig politischem Einfluss hungern. 70% der Menschen, die an Hun-ger leiden, leben auf dem Land. Die Preiskrise hat einen schon seit einiger Zeit bestehenden negativen Trend dramatisch ver-schärft und damit unübersehbar gemacht. Die Zahl der Hungern-den steigt, nachdem sie weltweit Mitte 1990er Jahre mit etwa 820 Mio. einen zwischenzeitlichen Tiefpunkt erreichte hatte. Nach Angaben der UN Organisation für Ernährung und Landwirt-schaft (FAO) hungerten 2008 etwa 915 Millionen Menschen aufgrund des drastischen Preis-anstiegs. Die auch in den Ent-wicklungsländern spürbare Weltwirtschaftskrise trieb die Zahl der Hungernden 2009 über die „Eine-Milliarde-Marke“.

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Auswirkung der Preisschwankungen auf Landwirte in Deutschland In den Industriestaaten, so auch in Deutschland, haben sich die gestiege-nen Weltmarktpreise sehr schnell in den Verkaufspreisen für die Landwirte niedergeschlagen. Trotz gleichfalls gestiegener Preise für viele Betriebsmit-tel, vor allem Dünger und Energie stiegen ihre Einnahmen. Besonders stark konnten die Milch- und Ackerbaubetriebe profitieren. Der Deutsche Bauern-verband schätzt aufgrund von Daten repräsentativer Betriebe, dass die Bruttogewinne im Wirtschaftsjahr 2007/08 um mehr als ein Viertel ange-stiegen sind. Große Verlierer waren allerdings die Schweinezüchter, da die Fleischpreise stagnierten, während Getreide und Soja zur Fütterung sehr viel teurer wurden. Vom dann folgenden Rückgang der Preise sind die Milchbauern besonders stark betroffen, da 2008 als Folge der Wirtschaftskrise nicht nur die Nach-frage zurückging, sondern auch die von der EU festgelegte Obergrenze für die Milchproduktion 2008 deutlich angehoben wurde. So traf ein wachsen-des Angebot auf eine sinkende Nachfrage. Die Milchpreise in der EU haben sich so 2009 fast halbiert und einen historischen Tiefstand erreicht. Viele Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht. Aber auch die Getreidepreise haben sich im Vergleich zu ihrem Höchststand 2007 halbiert. In einer Umfrage schätzen Ackerbaubetriebe die kurzfristigen wirtschaftlichen Aussichten so schlecht ein wie seit Jahren nicht.

In allen drei Ländern erreichte der Hirsepreis im Sommer/Herbst 2008 seinen Höchststand, und lag im Sommer 2009 noch deutlich höher als in den Jahren 2006 und 2007 (Die extrem hohen Preise im Jahr 2005 erklären sich aus der Heuschreckenplage). 5

Entwicklung der Hirsepreise in den Hauptstädten von Burkina Faso (Ouagadougou), Mali (Bamako) und Niger (Niamey).

Hohe Preise treffen die ländliche Bevölke-rung Besonders stark betroffen sind die Menschen im ländlichen Raum. Auf den ersten Blick erscheint es widersprüchlich, dass gerade die Menschen, die Lebensmittel produzieren, darunter leiden, wenn diese teurer werden. Es ist leicht einsichtig, dass Landarbeiter ohne ei-genen Landbesitz, oder Subsistenzbauern, deren Produktion für den Eigenbedarf nicht ausreicht, von steigenden Produzentenpreisen überhaupt nicht profitieren, aber unter höheren Konsumen-tenpreisen leiden. Darüber hinaus sind viele Klein-bauern sowohl Verkäufer als auch Käufer von Le-bensmitteln. Das hängt damit zusammen, dass sie in der Regel nur ein bis zwei Produkte anbauen,

die sie (auch) verkaufen, nicht zuletzt um Geld für Kleidung, Medikamente, Energie oder Schulgeld zu haben. Aus diesen Einnahmen kaufen sie auch die fehlenden Nahrungsmittel zu. Außerdem haben die Bauern meist nur begrenzte Lagermöglichkeiten für ihre Produkte, weshalb sie in der Regel direkt nach der Ernte verkaufen müssen. Oft müssen sie dann in den Monaten vor der nächsten Ernte, wenn die Vorräte aus der eigenen Produktion er-schöpft sind, zusätzliche Nahrungsmittel kaufen. In der Regel sind die Preise nach der Ernte am nied-rigsten und davor am höchsten. Anpassung der Bauern im Sahel Mit diesen Problemen hatten auch Partnerorganisa-tionen von „Brot für die Welt“ in der westafrikani-schen Sahel Region zu kämpfen. Der Sahel zählt zu den ärmsten Regionen der Welt und ist seit langem von Hunger betroffen. Der Großteil der Bevölkerung sind Klein- oder Subsis-tenzbauern, die besonders unter Armut und Ernäh-rungsunsicherheit leiden. Die wichtigsten Grund-nahrungsmittel sind traditionelle Getreide wie Hir-se, Sorghum und zunehmend Reis, der vor allem in den Städten konsumiert wird. Die Preise für Reis, der überwiegend importiert wird, haben sich in vie-len Sahel-Ländern im Zuge des Anstiegs der Welt-marktpreise nahezu verdoppelt. Die Preise für tra-ditionelle Getreide wie Hirse und Sorghum reagier-ten erst mit Verzögerung und stiegen nicht ganz so stark an. Anders als auf den Weltmärkten sind die Preise in den meisten Entwicklungsländern bislang nur wenig oder gar nicht zurückgegangen.

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"Harmonie du Developpement au Sahel“, eine von „Brot für die Welt“ unterstützte Organisation in Zentralmali berichtet, wie die meisten Haushalte in den Regionen Bankass und Bandiagara kurzfristig auf die gestiegenen Preise reagiert haben. Viele Haushalte verkauften vermehrt Nutztiere (v.a. Zie-gen und Schafe), Feuerholz und Gemüse, um sich die teuer gewordenen Lebensmittel leisten zu kön-nen. Einige waren sogar gezwungen, Saatgut zu verkaufen, so dass sie im nächsten Jahr nicht mehr so viel produzieren konnten oder Kredite aufneh-men mussten. Ebenso wurde versucht, neue Einkommensquellen zu erschließen, z.B. aus der Herstellung von Kunsthandwerk, wie Steinschnitzereien. Es wurden aber auch Erträge aus Kleinstunternehmen und Mikrokrediten verwendet. Andere Haushalte neh-men Naturalkredite in Form von Lebensmitteln auf, die sie hoffen nach der nächsten, besseren Ernte zurückzahlen zu können. Viele sind auf die Unter-stützung durch Familienmitglieder angewiesen, die als Arbeitsmigranten in der Stadt oder in anderen Ländern leben. Trotzdem müssen viele Menschen weniger und an-ders essen – etwa wenn Hirse mit weniger nahr-haften Pflanzenteilen gestreckt wird. Das ver-schlimmert die Unterernährung, unter der viele Haushalte bereits in „normalen“ Zeiten leiden. In den mittel- und langfristigen Strategien der Er-nährungssicherung zeigen sich zwischen den bei-den Regionen stärkere regionale Unterschiede: In der fruchtbareren Region Bankass setzen die meisten Bauern darauf, mehr Getreide zu produ-zieren. Dazu wollen sie verbessertes Saatgut und mehr organischen und Mineraldünger einsetzen, Pflanzenkrankheiten bei Hirse, Erdnüssen, Bohnen und anderen Pflanzen bekämpfen und die Anbau-flächen ausweiten. Allerdings sind nicht alle neuen Flächen gut für den Getreideanbau geeignet. Au-ßerdem wollen die Bauern sich organisieren, um die Preise von Hirse, Reis und Bohnen zu regulie-ren. In der Region Bandiagara, wo wenig fruchtbares Land zur Verfügung steht, können die meisten Bauern schon in normalen Jahren ihren Eigenbe-darf an Hirse nicht decken. Das Einkommen, um Grundnahrungsmittel zu kaufen, erwirtschaften sie vor allem durch den Anbau von Gemüse, überwie-gend von Zwiebeln, deren Anbau weniger Fläche erfordern. Da die Preise für Zwiebeln aber deutlich geringer gestiegen sind, als die für Hirse, wollen die Bauern zunächst den Gemüseanbau und die Viehhaltung ausweiten, um den Kaufkraftverlust auszugleichen. Dazu soll durch kleine Dämme die Bewässerung verbessert, Saatgut besser gelagert und Mist verstärkt als Dünger genutzt werden, um

die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern oder wieder herzustellen. Der starke Anstieg der Reispreise hat auch dazu geführt, dass Reisterrassen, auf denen der Anbau aus verschiedenen Gründen aufgegeben worden war (z.B. große Entfernung zum Dorf, Konkurrenz durch billigeren Importreis), wieder in die Produktion genommen wurden. Eine weitere Strategie der Dörfer ist es ihre eigene Vorratshaltung zu verbessern und auszubauen. „Brot für die Welt“ unterstützt solche Anstrengun-gen nicht nur in Mali, sondern auch in anderen Ländern im Sahel. Haushalte mit einem leichten Getreideüberschuss erwägen ihr Getreide nicht zu verkaufen, sondern einzulagern. In der Region Bandiagara ist es aufgrund der geographischen Gegebenheiten und der Trockenheit zumindest kurzfristig nicht möglich, den Getreideanbau aus-zudehnen. Mit der nun eingetretenen Wirtschaftskrise werden einige dieser Anpassungsstrategien schwieriger. Bei sinkender Kaufkraft sinkt auch die Nachfrage nach höherwertigen Nahrungsmitteln wie Gemüse und Fleisch. Das beschränkt die Möglichkeiten, die Produktion auszudehnen bzw. alternative Einkom-mensquellen in der Landwirtschaft zu erschließen. Ähnliches gilt auch für Arbeitsmigration, denn in vielen Familien versuchen die Jungen außerhalb der Landwirtschaft oder in den Nachbarländern ih-ren Lebensunterhalt zu verdienen. Allerdings wird beobachtet, dass aufgrund fehlender Möglichkei-ten, in einigen Ländern Menschen aufs Land zu-rückkehren.

Ist genug für alle da? Weltweit gesehen haben die Landwirte schnell auf die hohen Preise reagiert: 2008 wurde die größte Getreideernte der Geschichte eingefahren. Die Ern-te für 2009 liegt laut FAO rund 2% unter dem Re-kordniveau von 2008 und ist damit voraussichtlich die zweitgrößte aller Zeiten.3 Die größten Produkti-onssteigerungen gibt es in Australien und Europa, vor allem Osteuropa – also Regionen, in denen nur wenige Menschen hungern. Aber auch in Afrika,

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Weiterführende Literatur

Brot für die Welt / EED (2009): Von der Wirt-schaftskrise zur Hungerkrise, Aktuell 01 Brot für die Welt / Germanwatch (2009) / Rei-chert, Tobias u. van de Sand, Klemens: Ist Es-sen bald Luxus? Ursachen für den Anstieg der globalen Agrarpreise 2008 und die Reaktionen von Kleinbauern in Mali und Burkina Faso. Ana-lyse 05. Zukunftsstiftung Landwirtschaft (2009): Wege aus der Hungerkrise. Die Erkenntnisse des Weltagrarberichts uns seine Vorschläge für ei-ne Landwirtschaft von morgen von Braun, Joachim (2007): The World Food Situation. In: IFPRI, Food Policy Report No. 18, December 2007. Washington, DC Links:

www.brot-fuer-die-welt.de/ernaehrung www.fao.org Film: „Hunger und Wut – Warum Welternährung kein Zufall ist“ von Petra Schulz 43 Min, ZDF Erstsendung am 24.04.2008

Spendenkonto: Konto 500 500 500

Postbank Köln BLZ 370 100 50 Impressum Text: Tobias Reichert Redaktion: Carolin Callenius V.i.S.d.P.: Thomas Sandner Photo: Ralf Maro Stuttgart, März 2010

„Brot für die Welt” Kampagne für Ernährungssicherheit

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Wir zählen auf Sie! Unterstützen Sie die Kampagne „Niemand isst für sich allein“ und werden Sie z.B. Mitglied in unserem elektronischen Lobbynetzwerk. Mehrmals jährlich greifen wir aktuelle Fälle auf, in denen wir uns für Ernährungssicherheit stark machen. Machen Sie mit bei den Lobbybriefak-tionen! Mehr Mitmachmöglichkeiten und Informationen zur Kampagne finden Sie unter www.brot-fuer-die-welt.de/ernaehrung

vor allem in Westafrika, ist die Getreideproduktion deutlich gestiegen. Den wachsenden Hunger konn-te die höhere Produktion aber nicht verhindern. Das zeigt: Der Grund für den Anstieg des Hungers ist nicht, dass zu wenig Lebensmittel produziert werden, sondern dass zu viele Menschen sie sich nicht leisten können. Was ist zu tun? Die Preiskrise hat zu einem höheren politischen Stellenwert der Ernährungssicherheit geführt so-wohl in der internationalen Gemeinschaft als auch bei den Regierungen der Länder, in denen Hunger herrscht. Allerorten wird versprochen, die Land-wirtschaft und die Nahrungsmittelproduktion zu fördern, um dem Hunger zu begegnen. Erfreulich ist, dass in den offiziellen Erklärungen so deutlich wie selten zuvor hervorgehoben wird, dass gerade die kleinbäuerliche Landwirtschaft eine zentrale Rolle in der Welternährung spielen muss. Trotzdem droht die Gefahr, dass sich viele Initiativen auf Produktionssteigerung durch „modernere“ Techno-logien, einschließlich der Gentechnik, konzentrie-ren. Eine Strategie, die den Hunger wirksam bekämp-fen soll, kann dagegen nicht in erster Linie bei Produktionssteigerungen ansetzen. Vielmehr muss im Sinne des Menschenrechts auf Nahrung die Frage im Vordergrund stehen, wie die Situation der Hungernden verbessert werden kann. Die von ih-nen entwickelten Anbaumethoden müssen so ver-bessert werden, dass sie ihre Erträge und Ein-kommen steigern, ohne die oft verletzlichen Öko-systeme zu schädigen, in denen sie Landwirtschaft betreiben. Im Weltagrarbericht (IAASTD) haben über 400 Wissenschaftler und Experten zahlreiche Erkenntnisse und Anregungen dazu zusammenge-tragen. Sie sollten die Grundlage für neue Strate-gien bilden, und weiter entwickelt werden.4 1 FAO (2008a): Crop Prospects and Food Situation April 2008. Rom und FAO (2008b): Crop Prospects and Food Situation No.4, Okt. 2008 2 Vgl. Brot für die Welt / Germanwatch (2009) / Reichert, Tobias u. van de Sand, Klemens: Ist Essen bald Luxus? Ursachen für den An-stieg der globalen Agrarpreise 2008 und die Reaktionen von Kleinbau-ern in Mali und Burkina Faso. Analyse 05 3 Siehe dazu FAO (Food and Agriculture Organization of the United Na-tions) (2009): Crop Prospects and Food Situation No. 4, 22/ 2009. 4 Der Weltagrarbericht International Assessment of Agricultural Know-ledge, Science and Technology for Development (IAASTD) – Agricul-ture at a Crossroads. Global Report. 5 Afrique Vert (2009): Point sur la situation alimentaire au Sahel. In-formation sur le prix des céréales: Burkina Faso – Mali – Niger. PSA n°100 spécial. Une analyse globale des tendances sur 8 ans.