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1 Ulla Wittig-Goetz, im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Referat Betrieblicher Arbeits- und Umweltschutz, Dezember 2008 Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement im Unternehmen Auf einen Blick … Betriebliche Gesundheitsförderung ist vor allem dann erfolgreich, wenn sie systematisch und langfristig angelegt ist. Sie ergänzt durch ihre weiterreichende Zielstellung den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz Da Betriebs- und Personalräte über handfeste Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz verfügen, können sie auch die betriebliche Gesundheitsförderung anstoßen und mitgestalten. Nach allen Erfahrungen gelingen gesundheitsförderliche Veränderungen um so eher, je besser alle betrieblichen Seiten zusammenarbeiten, die dazu Fach- und Entscheidungskompetenz haben. Dafür empfiehlt es sich, einen Arbeitskreis Gesundheit einzurichten. Eine erste Analyse zur Bestandsaufnahme nutzt intern und extern verfügbare Datenquellen wie Analysen von Arbeitsunfähigkeitsdaten der Krankenkassen, Erkenntnisse der Arbeitsmediziner und der Unfallversicherungsträger sowie Ergebnisse aus Gefährdungsbeurteilungen. Die Beschäftigten wissen oft am ehesten, was sie an ihrem Arbeitsplatz „kränkt“ und deshalb krankmacht. Auch für die Erarbeitung maßgeschneiderter Lösungsvorschläge, wie sich Arbeitsbelastungen reduzieren lassen, ist das Erfahrungswissen der Mitarbeiter unverzichtbar und deshalb Ihre Beteiligung z.B. in Gesundheitszirkeln. www.boeckler.de – AAJaugust 2007 Copyright © Hans-Böckler-Stiftung

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Ulla Wittig-Goetz, im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Referat Betrieblicher Arbeits- und

Umweltschutz, Dezember 2008

Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement im Unternehmen

Auf einen Blick …

Betriebliche Gesundheitsförderung ist vor allem dann erfolgreich, wenn sie systematisch und langfristig angelegt ist. Sie ergänzt durch ihre weiterreichende Zielstellung den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz

Da Betriebs- und Personalräte über handfeste Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz verfügen, können sie auch die betriebliche Gesundheitsförderung anstoßen und mitgestalten.

Nach allen Erfahrungen gelingen gesundheitsförderliche Veränderungen um so eher, je besser alle betrieblichen Seiten zusammenarbeiten, die dazu Fach- und Entscheidungskompetenz haben. Dafür empfiehlt es sich, einen Arbeitskreis Gesundheit einzurichten.

Eine erste Analyse zur Bestandsaufnahme nutzt intern und extern verfügbare Datenquellen wie Analysen von Arbeitsunfähigkeitsdaten der Krankenkassen, Erkenntnisse der Arbeitsmediziner und der Unfallversicherungsträger sowie Ergebnisse aus Gefährdungsbeurteilungen.

Die Beschäftigten wissen oft am ehesten, was sie an ihrem Arbeitsplatz „kränkt“ und deshalb krankmacht. Auch für die Erarbeitung maßgeschneiderter Lösungsvorschläge, wie sich Arbeitsbelastungen reduzieren lassen, ist das Erfahrungswissen der Mitarbeiter unverzichtbar und deshalb Ihre Beteiligung z.B. in Gesundheitszirkeln.

www.boeckler.de – AAJaugust 2007 Copyright © Hans-Böckler-Stiftung

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Inhaltsverzeichnis:

• Zielsetzung der betrieblichen Gesundheitsförderung • Ansatzpunkte: Verhältnis- und Verhaltensprävention • Gesundheitsmanagement im Betrieb • Betriebliche Gesundheitsförderung bringt Nutzen für

Beschäftigte und Unternehmen • Gesundheitsförderung und Personalentwicklung • Unterstützung durch Krankenkassen • Gesetzliche Grundlagen • Handlungsmöglichkeiten für Betriebsräte • Instrumente und Verfahren der betrieblichen

Gesundheitsförderung - Arbeitskreis Gesundheit - Betriebliche Gesundheitsberichterstattung - Mitarbeiterbefragung zu Belastungen und Beschwerden - Gesundheitszirkel im Unternehmen

Beschäftigte und Unternehmen haben ein gemeinsames Interesse an Gesundheitsförderung: Die einen möchten gesund bleiben und sich wohl fühlen, die anderen möchten mit gesunden und deshalb leistungsfähigen Beschäftigten im Wettbewerb bestehen. Allerdings führen derzeit lediglich 20 Prozent der Unternehmen in Deutschland Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung durch.

Die Ziele im Überblick

Betriebliche Gesundheitsförderung zielt darauf ab, gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz abzubauen und die Gesundheit der Beschäftigten zu stärken. Dadurch wird das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten und gefördert. Dies schließt zwar Unfall- und Krankheitsverhütung ein, will aber darüber hinaus die Kräfte des einzelnen mobilisieren und all das, was bei der Arbeit fit hält.

Anstöße zur Entwicklung eines neuen Gesundheitsbegriffs und zur Gesundheitsförderung kamen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie definierte Gesundheit nicht als Abwesenheit von Krankheit, sondern als Zustand „vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“. Dieser ganzheitliche Gesundheitsbegriff hat auch ein neues Verständnis von Arbeitsschutz zur Folge und spiegelt sich ebenso im deutschen Arbeitsschutzgesetz wieder. (Vgl. Basiswissen: ‚Eckpfeiler des Arbeits- und Gesundheitsschutzes’) Mit der Ottawa-Charta formulierte die WHO bereits 1986 viel beachtete Grundsätze zur Förderung der

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Gesundheit. Sie stellte der Lehre von den Krankheiten (Pathogenese) die Lehre von der Gesundheit (Salutogenese) an die Seite. Im Vordergrund steht damit nicht mehr allein die Frage, was bei der Arbeit krank macht, sondern ebenso, was bei der Arbeit gesund hält.

Ottowa-Charta der WHO:

„Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen…Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit, die Arbeitsbedingungen und die Freizeit organisiert sollte eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein. Gesundheitsförderung schafft sichere, anregende, befriedigende und angenehme Arbeits- und Lebensbedingungen.“

Raum für gesundheitliche Potenziale

Als gesundheitliche Ressourcen gelten bspw. unterstützende soziale Beziehungen bei der Arbeit (partnerschaftlicher Führungsstil, Kollegialität) sowie Handlungsspielraum und Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Arbeitsverfahren und der zeitlichen Abläufe. Auf der persönlichen Ebene sind dies die eigene Fitness oder auch die Fähigkeit, nach der Arbeit gut abzuschalten und sich zu regenerieren.

Gesundheitsförderung und Personalentwicklung Die Arbeitswelt birgt also nicht nur gesundheitliche Risiken, sondern auch Chancen, was gerade im Zeichen des demografischen Wandels eine wichtige Erkenntnis darstellt. Geeignete Arbeitsbedingungen fördern die Gesundheitspotenziale der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine inhaltlich befriedigende bzw. abwechslungsreiche Tätigkeit, die von den Beschäftigten relativ selbständig gestaltet werden kann, stärkt Körper und Psyche. Ein gutes Betriebsklima, Mitbestimmung und Information, aber auch die Anerkennung von Leistung wirken sich gesundheitlich positiv aus. Insofern ist betriebliche Gesundheitsförderung eng verzahnt mit Organisations- und Personalentwicklung und der Unternehmenskultur.

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Ansatzpunkte: Verhältnis- und Verhaltensprävention

Gesundheitsförderung nimmt in erster Linie die Arbeitsbelastungen ins Visier. Aber auch gesundheitsschädigende Verhaltensweisen der Beschäftigten können bspw. durch Rückenschule, Kurse zur Stressbewältigung, Ernährungsberatung usw. positiv beeinflusst werden. So findet eine Verknüpfung von verhältnis- und verhaltensorientierter Prävention statt.

Gesundheitsmanagement im Betrieb

Betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutz mit seinem verpflichtenden Charakter und die betriebliche Gesundheitsförderung sind verknüpft durch das im Arbeitsschutzgesetz formulierte Ziel der menschengerechten Gestaltung der Arbeit. Betriebliches Gesundheitsmanagement ist auf die Umsetzung von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (Arbeitsschutz) und Gesundheitsförderung orientiert. Es richtet die Strukturen und Prozesse eines Unternehmens einerseits auf die Vermeidung arbeitsbedingter Gesundheitsrisiken und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung sowie Organisationsentwicklung aus und andererseits darauf, die Beschäftigten zu befähigen, sich gesundheitsgerecht zu verhalten sowie ihre Gesundheitspotenziale zu entwickeln. Im Idealfall wird ‚Gesundheit’ zum festen Bestandteil aller Arbeits- und

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Managementprozesse eines Unternehmens und zum Unternehmensziel. Wie auch zu anderen Systemen dieser Art gehört zu betrieblichem Gesundheitsmanagement ein systematisches und zielorientiertes Vorgehen sowie Organisationsstrukturen, Verantwortlichkeiten, Informationswege, Ressourcen und Prüfinstrumente zur Bewertung. (Vgl. Basiswissen: ‚Die Organisation des Arbeitsschutzes im Betrieb/ Arbeitsschutzmanagementsysteme’)

Nutzen für alle Beteiligten Gesundheitsförderung "lohnt" sich für das Unternehmen, durch:

• erhöhte Arbeitszufriedenheit und Arbeitsproduktivität • langfristige Senkung des Krankenstandes • gesteigerte Produkt- und Dienstleistungsqualität • verbesserte betriebliche Kommunikation und Kooperation • geringere Fluktuation • Imageaufwertung für das Unternehmen

(Vgl. Basiswissen: ‚Prävention und Wirtschaftlichkeit’)

Gesundheitsförderung schafft aber auch Pluspunkte für die Arbeits- und Lebensqualität der Beschäftigten, durch:

• verringerte gesundheitliche Beschwerden • weniger Arbeitsbelastungen • gesteigertes Wohlbefinden • besseres Betriebsklima • mehr Arbeitsfreude • gesünderes Verhalten in Betrieb und Freizeit

Eine Literaturanalyse der ‚Initiative Gesundheit & Arbeit’, in die Ergebnisse von mehr als 1000 Studien eingegangen sind, hat kürzlich Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung bewertet. Danach wird nachhaltiger gesundheitlicher und ökonomischer Nutzen vor allem dann erreicht, wenn entsprechende betriebliche Programme auf Verhaltens- und Verhältnisänderung abzielen. Zur Vorbeugung von Muskel- und Skeletterkrankungen werden etwa Schulungen und Übungen zur Verhaltensänderung ebenso benötigt wie technische Hilfsmittel, ergonomische Verbesserungen und arbeitsorganisatorische Maßnahmen. (Vgl. IGA-Report 13: Wirksamkeit und Nutzen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention. o.O. 2008)

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Unterstützung von Krankenkassen Gesetzliche Grundlagen verpflichten auch die Unfallversicherungsträger zur Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren in den Unternehmen, und Krankenkassen haben die Aufgabe, sie dabei zu unterstützen. Letztere sind zudem dazu verpflichtet, den Arbeitsschutz ergänzende Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung selber durchzuführen und zu finanzieren. Entsprechende Aktivitäten und Angebote der Kassen waren bislang als „Kann-Leistung“ definiert, seit dem 1. April 2007 sind dies Pflichtleistungen. Wenn die Krankenkassen auf diesem Gebiet in den letzten anderthalb Jahrzehnten aktiv waren, unterstützten sie Betriebe meist durch die Analysen der Daten aus der Arbeitsunfähigkeitsstatistik. Einige Kassen erhoben ferner Daten mit Hilfe von Mitarbeiterbefragungen oder führten Gesundheitszirkel durch und/oder begleiteten diese. Es lohnt sich also, entsprechende Vorstellungen der Krankenkassen abzufragen. Sie können damit auch wichtige Hinweise für die vom Arbeitgeber durchzuführende Gefährdungsbeurteilung geben. Allerdings können sich die Arbeitgeber infolge der gesetzlichen Neuregelung nicht aus ihrer Alleinverantwortung für den Arbeitsschutz stehlen. Den Kassen stehen übrigens für primäre Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung lediglich 2,74 € je Versicherten im Jahr zur Verfügung.

Die für den Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden sind ebenfalls Ansprechpartner.

Gesetzliche Grundlagen

Betriebliche Gesundheitsförderung ergänzt den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz und wird auf seinen Grundlagen aufgebaut. Der Betriebsrat verfügt über umfassende Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Bekanntlich schreibt das Arbeitsschutzgesetz vor, dass der Arbeitgeber an den Arbeitsplätzen eine Gefährdungsbeurteilung durchführen muss und geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, wenn gesundheitliche Gefahren bestehen. Allerdings fanden bislang nur in einer Minderheit der Unternehmen aussagekräftige Gefährdungsbeurteilungen statt, in die auch psychische Belastungen einbezogen waren. Zudem hat der Arbeitgeber eine passende Organisationsform – wie z.B. ein Arbeitsschutzmanagementsystem – für den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu schaffen. Die Einführung der betrieblichen

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Gesundheitsförderung und eines entsprechenden Gesundheitsmanagement (Gesundheitszirkel, Mitarbeiterbefragung, Rückenschule, Betriebssport usw.) ist dagegen nicht zwingend vorgeschrieben. Doch kommen der dem Arbeitsschutzrecht zugrunde liegende präventive Gedanke und das Ziel der menschengerechten Arbeitsgestaltung erst dann richtig zum Tragen, wenn der Arbeitsschutz um Instrumente und Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung erweitert wird.

Weitere Informationen

Zu den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats: vgl. hier Basiswissen: ‚Zur Organisation des Arbeitsschutzes im Betrieb/ Grundlegende Rechte und Pflichten des Betriebsrats’ sowie Rubrik ‚Mitbestimmung’

Zur Gefährdungsbeurteilung: vgl. Basiswissen: ‚Gefährdungsbeurteilung – das Instrument zum Belastungsabbau’

Den Arbeitsschutz organisatorisch absichern: vgl. Basiswissen: ‚Zur Organisation des Arbeitsschutzes im Betrieb/ Arbeitsschutzmanagementsystem’

Betriebsräte als Motor der betrieblichen Gesundheitsförderung

In jedem Betrieb ist die Ausgangssituation unterschiedlich. Betriebliche Gesundheitsförderung fängt nicht bei Null an. Daher sollte am Beginn eine Bestandsaufnahme stehen, um einen Überblick über die Ist-Situation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erhalten. Der Einstieg in die betriebliche Gesundheitsförderung kann als Projekt starten, z.B. als Gesundheitszirkel in einem besonders belastungsintensiven Bereich. Der Betriebsrat kann auch selbst Schwerpunktthemen zum Thema Gesundheitsförderung initiieren und durchführen, um die Belegschaft ausreichend zu sensibilisieren. Betriebliche Gesundheitsförderung sollte aber dann – um langfristig erfolgreich zu sein – in einen kontinuierlichen und systematischen Prozess überführt werden.

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Nach einer ersten Bestandsaufnahme muss sich der Betriebsrat über Schwerpunkte, Verfahrensweisen und Ziele verständigen:

• kurzfristig erreichbares Ziel: z.B. das Thema Gesundheit aus der Tabuzone holen und zum Thema im Betrieb machen

• mittelfristig erreichbare Ziele: z.B. Belastungsabbau an Schwerpunktarbeitsplätzen

• langfristige Ziele: ständiges und systematisches Management im Arbeitsschutz und in der betrieblichen Gesundheitsförderung

Mögliche Unterstützung von außen (Krankenkassen, Berufsgenossenschaften etc.) sowie durch gewerkschaftsnahe Beratungseinrichtungen sollte geprüft und genutzt werden. Es empfiehlt sich zudem eine Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Gesundheitsförderung mit der Unternehmensleitung abzuschließen, die Ziele, Instrumente, Mittel, Organisation und Zuständigkeiten regelt. Anregungen dazu finden sich unter www.betriebsvereinbarung.de

Ein moderner Arbeitsschutz sowie die Förderung von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit lassen sich nur als Querschnittsaufgabe in der Betriebsratsarbeit bewerkstelligen. Betriebliche Gesundheitsförderung, die diesen Namen verdient, muss kontinuierlich durch den Betriebsrat begleitet werden.

Merkmale einer erfolgreichen betrieblichen Gesundheitsförderung

• Ganzheitlicher Ansatz: Verhältnis und Verhaltensprävention, Belastungsabbau und Ressourcenstärkung

• Gesundheitsverständnis, das physische, psychische und soziale Momente einschließt

• Langfristigkeit statt kurzfristigem Aktionismus

• systematisch und zielorientiert

• Beteiligung der Beschäftigten und ihre kontinuierliche Information

• Regelmäßiges Berichtswesen, das die Ist-Analysen und Lösungsansätze differenziert erfasst (z.B. mit Befragungen und Gesundheitszirkeln)

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• Gesundheit als Ziel in Unternehmens- und Führungsleitlinien verankern und leben

Instrumente zur betrieblichen Gesundheitsförderung

In der Praxis hat sich der Einsatz verschiedener Instrumente zur betrieblichen Gesundheitsförderung oder zum Gesundheitsmanagement bewährt. Sie sind darauf gerichtet, die gesundheitliche Situation der Beschäftigten und ihre Arbeitsbeanspruchung differenziert zu erfassen, Verbesserungsmaßnahmen zu entwickeln und deren Umsetzung in die Wege zu leiten und zu überprüfen.

Bild: Instrumente zur betrieblichen Gesundheitsförderung

Quelle: IG Metall: Gesundheit schützen und fördern, Frankfurt/M. 2003

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• Arbeitskreis Gesundheit

Betriebliche Gesundheitsförderung berührt viele Unternehmensbereiche. Deshalb benötigt sie eine stabile Infrastruktur für die Kommunikation unter den Beteiligten. Hierfür hat sich die Einrichtung einer speziellen Arbeitsgruppe bewährt. Ob so betitelt oder als Steuerkreis - die Namensgebung ist dabei unerheblich.

Solche innerbetrieblichen Strukturen erleichtern Abstimmungsprozesse zwischen den Beteiligten und erhöhen die Akzeptanz von Entscheidungen. Für kleinere Unternehmen bietet es sich an, ein Gremium zu schaffen, in dem z. B. mehrere Betriebe einer Branche oder eines Handwerks gemeinsame Schritte planen.

Zusammensetzung und Arbeitsweise

Dem Arbeitskreis Gesundheit sollten angehören: Vertreter der Unternehmensleitung und der Personalabteilung sowie Betriebsrat bzw. Personalrat, Fachkraft für Arbeitssicherheit und Betriebsarzt. In Betracht kommen auch Vertreter der Schwerbehinderten, Suchtbeauftragte und die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte. Bedarfsweise können auch weitere Stellen wie Sozialberatung, Betriebskantine usw. einbezogen werden. Entscheidend sind die betrieblichen Bedingungen. Auch Vertreter von Berufsgenossenschaften, Krankenkassen und der staatlichen Arbeitsschutzverwaltung lassen sich zur Mitarbeit gewinnen.

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Das Gremium bestimmt darüber, welche Informationen im Betrieb genutzt werden. Es setzt auf der Basis eines zu erstellenden Gesundheitsberichts die Prioritäten und plant und steuert die zu ergreifenden Maßnahmen. Beispielsweise kann der Arbeitskreis die Einrichtung eines Gesundheitszirkels in einer bestimmten Abteilung beschließen und aufgrund seiner Ergebnisse z. B. ergonomische Veränderungen und solche im Arbeitsablauf für gut heißen und entsprechende Schritte anordnen. Auch Angebote zur individuellen Verhaltensprävention können dazu gehören wie Ernährungsberatung oder Kurse zur Stressbewältigung. Der Steuerkreis bewertet abschließend die erzielten Ergebnisse, damit die gewonnen Erkenntnisse in die Weiterentwicklung der betrieblichen Gesundheitsförderung einfließen.

Arbeitsschutzausschuss Der Steuerkreis Gesundheit muss mit dem Arbeitsschussausschuss koordiniert werden. Seine spezielle Funktion liegt darin, gezielt Gesundheitsförderung in einem breiteren Sinn zu verwirklichen, und deshalb hat es sich als Erfolgs versprechend erwiesen, mehrere zusätzliche Ansprechpartner einzubinden. In Klein- und Mittelbetrieben wird der Arbeitsschutzausschuss diese Aufgabe übernehmen.

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• Betriebliche Gesundheitsberichterstattung

Ein betrieblicher Gesundheitsbericht gibt Auskunft über den Gesundheitszustand der Belegschaft und Belastungsschwerpunkte im Unternehmen. Eine Informationsquelle sind die Analysen von Arbeitsunfähigkeitsdaten der Krankenkassen. Die Aussagekraft eines Gesundheitsberichts erhöht sich, wenn weitere Daten, wie Erkenntnisse der Arbeitsmediziner, Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen oder der Gefährdungsbeurteilungen hinzugezogen werden. Diese Bestandsaufnahme erleichtert es, Ziel gerichtet Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung zu ergreifen. Anzustreben ist die Entwicklung eines kontinuierlichen Berichtswesens.

Krankenkassen analysieren betriebliche Krankenstände

Als Standardinstrument haben sich inzwischen vielfach die Arbeitsunfähigkeitsanalysen der Krankenkassen eingebürgert. Dazu werden die Häufigkeit und Verteilung gemeldeter Krankheitsfälle im Betrieb, ihre Dauer und die dazugehörige Krankheitsdiagnose ausgewertet. Die Krankenkasse bspw. verknüpft diese Zahlen mit Unternehmensdaten über die Art des Arbeitsplatzes (Arbeitsbereich/ Kostenstelle), an dem ein Beschäftigter tätig ist. Mit diesen Informationen lassen sich erste Auffälligkeiten im betrieblichen Krankheitsgeschehen ermitteln. Vergleiche der Arbeitsunfähigkeitszeiten und der häufigsten Krankheitsarten mit Durchschnittswerten der Branche sowie betriebsintern zwischen verschiedenen Tätigkeitsbereichen erlauben es, "Problemzonen" herauszufiltern, die als Ausgangspunkt gesundheitsbezogener Aktivitäten im Betrieb dienen können.

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Bei den Analysen, wie sie bspw. die Betriebskrankenkassen oder die AOK durchführen, wird der Datenschutz strikt beachtet, und Rückschlüsse auf einzelne Beschäftigte sind nicht möglich. Es werden nur Ergebnisse für Gruppen von mindestens 50 Personen ausgewiesen.

Die Routinedaten der Krankenkasse stellen eine zuverlässige und flächendeckende Informationsquelle dar, da ihnen alle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die Dauer der Krankschreibung und die Krankheitsdiagnosen zugrunde liegen. Nur in den Fällen, wo ein Unternehmen bis zum dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit auf eine ärztliche Bescheinigung verzichtet, sind die Angaben nicht ganz vollständig.

Es ist zudem eine preiswerte Informationsquelle, denn die Daten liegen bereits vor, und etliche Krankenkassen haben ihre Analyse und Interpretation inzwischen professionalisiert. Diese Auswertungen können von den Unternehmen angefragt werden. Oft tragen sie zur Versachlichung der betrieblichen Krankenstandsdiskussion bei.

Häufig sind mehrere Kassen betroffen

Durch die freie Kassenwahl sind für die Auswertung der Daten Hürden entstanden. Die Beschäftigten sind oft bei verschiedenen Kassen

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versichert. Deshalb sind bei den Vorüberlegungen folgende Fragen zu berücksichtigen

• Bei welchen Krankenkassen sind die Beschäftigten versichert?

• Welches ist/sind die Krankenkassen mit den meisten Versicherten?

• Gibt es zwischen den Krankenkassen ein Abkommen für eine gemeinsame Auswertung der Arbeitsunfähigkeitsdaten? Wer übernimmt die Federführung?

Zusammenführung möglichst vieler Informationen Um den Gesundheitszustand einer Belegschaft angemessen zu erfassen, ist die Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten allein nicht ausreichend. Die Gesundheit der Beschäftigten kann beeinträchtigt sein, obwohl sie weiterhin zur Arbeit kommen. Hinweise auf Arbeitsbereiche mit hohen Krankenständen lassen noch nicht erkennen, welche Belastungsfaktoren dafür ausschlaggebend sind usw. Deshalb ist es nützlich möglichst viele Informationen zusammenzuführen.

Weitere Informationsquellen

Für eine betriebliche Gesundheitsberichterstattung lassen sich als weitere Daten nutzen, bspw.

• Erkenntnisse des Arbeitsschutzausschusses • Ergebnisse von Gefährdungsbeurteilungen • Erkenntnisse der Schwerbehindertenvertretung • Ergebnisse betriebsärztlicher Untersuchungen • vorhandene Messprotokolle z.B. Lärm- und Klimamessungen • Erkenntnisse von Berufsgenossenschaften • Gefahrstoffkataster • Zahlen zur Fluktuation und über Absentismus • Erkenntnisse aus Betriebsbegehungen und Arbeitsplatzbeobachtungen

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Kontinuierliches Berichtswesen entwickeln Die Daten sollten regelmäßig erfasst und ausgewertet werden, um den Gesundheitsbericht z.B. jährlich fortzuschreiben. Er dient als Entscheidungsgrundlage und Basis für eine kontinuierliche Bewertung der betrieblichen Gesundheitspolitik. Im Rahmen eines langfristigen Controllings ist es auch sinnvoll die betrieblicherseits bereitgestellten Ressourcen für die betriebliche Gesundheitsförderung und die im jeweiligen Berichtsjahr erfolgten Investitionen in die Gesundheit der Beschäftigten zu berücksichtigen.

Möglichkeiten für Kleinbetriebe

Als besonderen Service gerade auch für kleinere Firmen mit mindestens 20 AOK-Versicherten bietet bspw. die AOK interessierten Betrieben kostenlos Kurzinformationen über die gesundheitliche Situation ihrer Beschäftigten an. Dieses so genannte AU-Profil (Arbeitsunfähigkeitsprofil) gibt Auskunft über den Krankenstand, die Arbeitsunfähigkeitsquote, d.h. den Anteil der Beschäftigten an der Gesamtbelegschaft, die im Berichtsjahr mindestens einmal krankgeschrieben waren, sowie die Anzahl der Fehltage. Die Unternehmen erfahren ebenso, wie sie hinsichtlich dieser Parameter im Vergleich zur Branche, zu den übrigen Betrieben in der Region und im Bundesland abschneiden. Für größere Betriebe mit mehr als 50 AOK-Mitgliedern werden außerdem die häufigsten Krankheiten der Beschäftigten genannt. Aus Gründen des Datenschutzes ist das bei kleineren Firmen nicht möglich. Auch die Innungskrankenkassen oder die Ersatzkassen wie die GEK oder DAK bieten Branchen bezogene Gesundheitsberichte an, die es kleineren Betrieben ermöglichen, besondere arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu erkennen.

Betriebliche Interessenvertretung

Betriebsräte sollten darauf drängen, dass für einen betrieblichen Gesundheitsbericht möglichst viele Informationsquellen genutzt werden, denn das erhöht seine Aussagekraft. Außerdem ist auf die Einhaltung des Datenschutzes zu achten.

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• Mitarbeiterbefragungen zu Arbeitsbelastungen und Beschwerden

In Befragungen kommen Beschäftigte eines Unternehmens selbst zu Wort. Sie sind ein Stück Beteiligung, aber sie wecken auch Erwartungen, die Arbeit tatsächlich gesundheitsgerechter zu gestalten.

Gefragt: die Sichtweise der Betroffenen

Bei einer Befragung werden Arbeitsbelastungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen aus der Perspektive der Beschäftigten erfasst. Dabei sollte das gesamte Belastungsspektrum im Blickfeld stehen, d.h. auch die psychischen und psychosozialen Belastungsfaktoren sind zu berücksichtigen.

Es werden Informationen gesammelt über Belastungsschwerpunkte im Betrieb sowie Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und Gesundheitsbeschwerden. Vorschläge zur Veränderung der Arbeitssituation und für verhaltenspräventive Maßnahmen (Rückenschule, Ernährungsberatung usw.) können ebenfalls einfließen. Die Erhebung dient der Entscheidungsfindung über Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung. Die Meinung des einzelnen ist zwar gefragt, sie dient aber dazu Belastungsschwerpunkte im Unternehmen, in Abteilungen usw. zu erkennen.

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Beispiel: Analyse der Belastungen

Ich fühle mich belastet durch ...

folgende Bedingungen am Arbeitsplatz:

überhauptnicht

ein wenig

stark

trifft nicht

zu

ständige Aufmerksamkeit/Konzentration

hohe Genauigkeit

hohe Denkanforderung

Schnelligkeit

große Arbeitsmengen

schwierige Entscheidungen/ Arbeiten

hohe Fehlermöglichkeit Unterbrechung von angefangenen Arbeiten

eintönige Arbeit Isolation am Einzelarbeitsplatz

schlechte Sichtverhältnisse schlechte Belüftung/ Klimaanlage

Aussagekräftige Primärdaten

Im Unterschied zu einem Gesundheitsbericht, der auf Daten beruht, die für andere Zwecke gesammelt wurden, basieren die Ergebnisse einer Befragung auf spezifischen nur für diesen Zweck erhobenen Daten. Außerdem trifft der Gesundheitsbericht Aussagen über das Krankheitsgeschehen, während die Befragung gesundheitliche Beeinträchtigungen erfasst, die meist noch im Vorfeld ernsthafter

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Erkrankungen liegen und diese verknüpft mit Aussagen zu den subjektiv empfundenen Arbeitsbelastungen. Eine derartige Problemerkundung liefert Anhaltspunkte, um präventiv tätig zu werden, damit Krankheiten erst gar nicht entstehen.

Setzt Veränderungswille und Klima des Vertrauens voraus Grundsätzlich lassen sich Befragungen auch in solchen Betrieben durchführen, die z.B. aus Datenschutzgründen zu klein für einen auf Arbeitsunfähigkeitsdaten (AU) beruhenden Gesundheitsbericht sind. Das Unternehmen sollte jedoch mindestens 30 Mitarbeiter beschäftigten. Das Instrument Befragung sollte nur dann eingesetzt werden, wenn die Absicht besteht, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Erhebungen, aus denen nichts folgt, schaden der Arbeitsmotivation und wirken sich ungünstig auf das Betriebsklima aus. Sie sind nur möglich in einem Klima des gegenseitigen Vertrauens, denn sonst ist die Beteiligung zu gering und die Beantwortung der Fragebögen nicht korrekt.

Arbeitskreis Gesundheit gibt die Richtung an Eine Mitarbeiterbefragung kann unter den Beteiligten Ängste schüren. Deshalb empfiehlt es sich, dass die Vorbereitung und Umsetzung vom Steuerkreis Gesundheit begleitet wird. In diesem Steuerkreis sind wesentlichen Entscheidungen zu fällen, bspw. über die Zielgruppe der Befragung (Gesamtbelegschaft bzw. nur ein Teil davon), die Auswahl der Fragen usw. Bestimmte Themen berühren sensible Bereiche, wie das Führungsverhalten, die Arbeitszufriedenheit oder betriebliche Konflikte. Auf sie sollte dennoch nicht verzichtet werden, sonst wird es oberflächlich. Als Steuerkreis kommen auch andere Gremien wie der Arbeitsschutzausschuss in Frage.

Externe mit an Bord nehmen

Am günstigsten ist es, externe Fachleute mit der Durchführung und Auswertung zu beauftragen. Krankenkassen wie die Betriebskrankenkassen oder die AOK verfügen über entsprechende Erfahrungen und/oder können Experten/Expertinnen vermitteln.

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Es ist auch möglich, dass der Betriebsrat, eine betriebliche Gesundheitsgruppe oder die Vertrauensleute eine Mitarbeiterbefragung organisieren und sich dazu Hilfe bei gewerkschaftsnahen Beratungsstellen usw. holen.

Beispiel: Welche von den nachfolgenden Beschwerden sind in den letzten 12 Monaten oft oder stark bei Ihnen aufgetreten?

Augenbeschwerden (brennende, tränende Augen) Hörstörungen (wie z.B. Rauschen, Pfeifen) Atembeschweren (Atemnot, Hustenreiz) Halsschmerzen Hautausschläge Kopfschmerzen Herzbeschwerden (Herzdruck, Herzstiche) Magen- oder Darmbeschwerden Kreislaufstörungen (Schwindelgefühl) Schlafstörungen Erschöpfung, Abgespanntheit Appetitlosigkeit Nervosität (innere Unruhe, Anspannung)

Datenschutz und Transparenz sind zentral

Für die Beschäftigten eines Unternehmens ist es wichtig zu wissen, dass der einzeln ausgefüllte Fragebogen keine Rückschlüsse auf ihre Person zulässt. Die Anonymität muss gesichert sein.

Damit eine Gesundheitsbefragung zu repräsentativen Ergebnissen führt, muss sie entsprechend vorbereitet werden. Das erfordert eine gute Informationspolitik. Die Beschäftigten sind umfassend über Sinn und Zweck des Vorhabens sowie die Durchführung zu informieren. Wenn die Auswertung vorliegt, müssen die Ergebnisse bekannt gegeben werden. Klar muss auch sein, welche konkreten Maßnahmen daraus folgen und,

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was die nächsten Schritte dazu sind. Zur Information der Belegschaft können "schwarze Bretter", Flugblätter, Abteilungs- und Betriebsversammlungen usw. genutzt werden.

Weitere Analyseschritte

Möglicherweise sind weitere Untersuchungsschritte notwendig wie Betriebsbegehungen, Messungen, arbeitsmedizinische Untersuchungen, Einzelgespräche, Expertenrunden usw. Die Befunde können auch in die Arbeit von Gesundheitszirkeln einfließen und/oder der Entscheidungsfindung dienen, in welchen Arbeitsbereichen diese vorrangig einzurichten sind. Die Ergebnisse können auch in die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung einfließen. (vgl. Basiswissen ‚Gefährdungsbeurteilung – das Instrument zum Belastungsabbau’)

• Gesundheitszirkel im Unternehmen

Leitidee der Gesundheitszirkel ist die aktive Einbeziehung der Mitarbeiter in Planung und Umsetzung betrieblicher Gesundheitsförderung. Als die Experten und Expertinnen ihrer Arbeitssituation tragen sie entscheidend zum Erfolg bei, wenn sie sagen können, wo sie am Arbeitsplatz „der Schuh drückt“ und wie das zu ändern ist.

In diesen Gesprächskreisen treffen sich während der Arbeitszeit acht bis zwölf z. B. von ihren Kollegen gewählte Mitarbeiter des jeweiligen Arbeitsbereichs mit einem geschulten möglichst externen Moderator bzw. einer Moderatorin. Die ersten der rund zehn etwa vierzehntägig stattfindenden Sitzungen sind den Ursachen gesundheitlicher Beschwerden am Arbeitsplatz gewidmet. D. h. die Teilnehmer tragen gemeinsam ihre Erfahrungen mit Belastungsfaktoren wie Stress, Lärm, Zugluft usw. zusammen. Dabei darf kein Thema Tabu sein, also auch "heiße Eisen" gehören dazu, wie das Vorgesetztenverhalten, Mobbing oder ein schlechtes Betriebsklima. Im weiteren Verlauf stehen technische, ergonomische, organisatorische und personenbezogene Lösungsvorschläge im Vordergrund der ein- bis

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anderthalbstündigen Diskussionen. Mit ihren Veränderungsideen sollen die Beschäftigten mithelfen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Nicht selten tragen die Beteiligten 40 und mehr Lösungsvorschläge zusammen, wie Arbeitsbedingungen gesundheitsgerechter zu gestalten sind. Für die Umsetzung hat der Steuerkreis Gesundheit zu sorgen.

Voraussetzungen: Nicht von heute auf morgen machbar

Informationen Durch eine entsprechende Informationspolitik (Plakate, Betriebs- und/oder Abteilungsversammlungen, Schriften usw.) bekennt sich das Unternehmen dazu, der betrieblichen Gesundheitsförderung einen hohen Stellenwert einzuräumen.

Betriebsvereinbarung Die Einrichtung von Gesundheitszirkeln muss sowohl von der Unternehmensleitung als auch vom Betriebsrat gewollt werden und möglichst Bestandteil einer Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Gesundheitsförderung sein.

Bestandsaufnahme Wenn im Vorfeld durch einen Gesundheitsbericht und/oder auch durch Mitarbeiterbefragungen gesundheitliche Problembereiche im Unternehmen identifiziert wurden, existiert eine gute Grundlage, um zu entscheiden, in welchen Arbeitsbereichen Gesundheitszirkel besonders wichtig sind. Auswahlgründe können bspw. ein hoher Krankenstand oder Abteilungen mit vielfältigen Belastungsfaktoren sein.

Gemischte Zirkel Nach dem von Krankenkassen in der Vergangenheit praktiziertem Konzept gehören dem Gesundheitszirkel neben fünf bis sieben Mitarbeiter auch der unmittelbare Vorgesetzte, die Sicherheitsfachkraft, der Betriebsarzt und ein Vertreter des Betriebsrates bzw. Personalrates an. Der Betriebs- bzw. Abteilungsleiter wird häufig zu Beginn und zum Abschluss der

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Zirkelsitzungen eingeladen, wenn es um die Umsetzung von Verbesserungsvorschlägen geht. Bei Bedarf können weitere betriebliche Experten und Expertinnen wie der Schwerbehindertenvertreter oder die Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragte hinzugezogen werden. Diese Zusammensetzung soll die Kommunikation aller Beteiligten im Betriebsalltag verbessern, das Expertenwissen aller Seiten bündeln und die Umsetzung der erarbeiteten Vorschläge erleichtern.

Bild: Zusammensetzung eines gemischten Gesundheitszirkels

Homogene Zirkel

Ein anderes Zirkelmodell sieht vor, die Mitarbeiter mit dem Moderator allein zu lassen, da dies eher eine offene und vertraute Gesprächsatmosphäre ermöglicht, wenn über so sensible Themen wie Belastungsempfinden gesprochen wird. Kritiker der gemischten Zirkel

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verweisen auf die Gefahr einer Expertendominanz und/oder, dass sich Beschäftigte schwer tun, wenn Vorgesetzte dabei sind.

Bild : Zusammensetzung eines Gesundheitszirkels ohne Vorgesetzte

In der Praxis haben sich inzwischen auch Mischmodelle durchgesetzt. Häufig arbeiten die Beschäftigten mit dem Moderator zu Beginn der Zirkel allein. Diese Phase ist beendet, wenn die gesundheitsrelevanten Arbeitsbedingungen aufgelistet worden sind.

Regeln für die Zusammenarbeit Vor dem Zirkelbeginn sollten Verfahrensregeln vereinbart werden. Bei der ersten Sitzung sollte ein Betriebsratsmitglied dabei sein. Zur vereinbarten Zusammenarbeit gehört auch, dass die Treffen kontinuierlich stattfinden, sich die gewählten Beschäftigten zur regelmäßigen Teilnahme verpflichten und persönliche Äußerungen im Raum bleiben.

Kleinbetriebe Auch kleinere Betriebe können Gesundheitszirkel einrichten. Dazu eignen sich überbetriebliche Zusammenschlüsse und bspw. Kooperationen mit Krankenkasse und Berufsgenossenschaft auf Innungsebene.

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Ergebnisse der Zirkelarbeit Die Teilnehmer sollten regelmäßig ihre Kollegen und Kolleginnen über Verlauf und Ergebnisse der Arbeit informieren und auch deren Anregungen und Kritik in die Zirkelarbeit einfließen lassen. Dazu eignen sich bspw. Abteilungsversammlungen, Wandzeitungen, Aushänge am "Schwarzen Brett" usw. In der abschließenden Sitzung des Gesundheitszirkels werden die Verbesserungsvorschläge systematisiert. Es kann sinnvoll sein, einen Umsetzungsplan aufzustellen, der bei der abschließenden Präsentation im Steuerkreis Gesundheit diskutiert wird.

Umsetzung der Verbesserungsvorschläge Der Arbeitskreis Gesundheit entscheidet i. d. R. über die Umsetzung der erarbeiteten Lösungen, setzt die Prioritäten fest, steuert die einzelnen Maßnahmen und bewertet die erzielten Ergebnisse. Ein Umsetzungsplan enthält am besten Zeitfristen und benennt, wer für was verantwortlich ist. Er gehört in die Abteilungsöffentlichkeit. Der Erfolg der Zirkelarbeit hängt entscheidend von der Bereitschaft des Unternehmens ab, die Änderungsvorschläge in die Tat umzusetzen. Unter den Beschäftigten kann sich schnell Enttäuschung ausbreiten, wenn Maßnahmen mit geringem Aufwand, wie bspw. eine veränderte Beleuchtung oder die Anschaffung von Stehpulten, zu lange auf sich warten lassen.

Abgelehnte Vorschläge sollten auf jeden Fall begründet werden. Nach allen bisherigen Erfahrungen kommen von den Beschäftigten i.d.R. meist sehr praxisnahe Lösungsideen, die meist sogar ohne großen finanziellen Aufwand verwirklicht werden können.

Betriebliche Interessenvertretung

Betriebs- und Personalräte sollten besonderen Wert darauf legen, dass die Belegschaft frühzeitig über die geplante Einrichtung von Gesundheitszirkeln sowie über ihren Verlauf und die Ergebnisse informiert wird. Auch auf die Rahmenbedingungen für die Zirkelarbeit wie Auswahl

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und Zusammensetzung der Gruppen, Moderatoren usw. ist zu achten sowie die Umsetzung der Verbesserungsvorschläge zu kontrollieren.

Zum Lesen

Alfred Oppolzer: Gesundheitsmanagement im Betrieb, Hamburg (VSA-Verlag) 2006.

Bernhard Badura/Thomas Hehlmann: Betriebliche Gesundheitspolitik, Berlin, Heidelberg, New York (Springer Verlag) 2003.

IG Metall: Gesundheit schützen und fördern. Handlungshilfe zur betrieblichen Gesundheitsförderung, Frankfurt 2003.

Weitere Literaturhinweise stehen im der Rubrik „Service/Bücher & Broschüren“