a) Der Genius im Kinde - kunstpaedagogik-adbk.de · PDF fileder Durchschnittserwachsene fragt nicht mehr, wundert sich nicht einmal. Und so ließe sich noch in bezug auf viele andere,

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  • Gustav Friedrich Hartlaub: Der Genius im Kinde Erstverffentlichung 1922, (S. 12 18, 72 77 u. 89 f.) (Auswahl AG Kirschenmann/Skladny/Stehr) (Hartlaub, ab 1923 bis seiner Entlassung 1933 als Kunsthistoriker zugleich Direktor der Kunsthalle Mannheim engagierte sich neben seinem Eintreten fr die Neue Sachlichkeit in eindrucksvoller Weise fr die Kunsterziehung. Seine hier dokumentierte, reich mit Bildbeispielen versehene Schrift trgt den Untertitel Zeichnungen und Malversuche begabter Kinder und geht auf eine 1921 inszenierte Ausstellung mit Kinderzeichnungen in Mannheim zurck. 1930 erscheint eine stark redigierte 2. Auflage des Textes mit dem Untertitel Ein Versuch ber die zeichnerischen Anlagen des Kindes, der dann schlielich nach dem II. Weltkrieg nochmals berarbeitet unter dem Titel Kunsterziehung im Zwanzigsten Jahrhundert (in: G.F. Hartlaub: Fragen an die Kunst - Studien zu Grenzproblemen. Stuttgart o. J. (1950), S. 248-264) erscheint. Dem Verfasser, nach dem Zusammenbruch ab 1946 in Heidelberg Kunstgeschichte lehrend, kam es stets darauf an, den Eigenwert kindlichen Gestaltens bewut zu machen und so auch zu unserem Teil Zeugnis abzulegen fr das freie Kind und fr das, was wir in bewuter Wiederaufnahme romantischer Vorstellungen seinen `Genius nennen wollen. (ebd. (1922), S. 11) Der unter b) folgende Text zu den Grenzen der Kunsterziehung ist der Zeitschrift Die Erziehung. 4. Jahrg. 1929, S. 663-674 entnommen. Im Reprint in Klinkhardts Pdagogische(n) Quellentexten zur Kunsterziehungsbewegung (Hg. von Hermann Lorenzen, Bad Heilbrunn 1966) wird dazu erklrt, dass Hartlaub sein Sendungsbewusstsein mittlerweile relativierte und nun kritische Gesichtspunkte vortrug, die fr eine inzwischen neue Phase der Besinnung innerhalb der Kunsterziehungsbewegung charakteristisch sind. (S. 135)) a) Der Genius

    Genius: das war den Rmern der Lebenerzeugende, Lebenschtzende, eine halb gttliche

    Wesenheit elementarischer Art, -welche gleichsam als unsichtbarer Mittler wirkend stand zwischen

    der bewuten abgelsten Persnlichkeit des Einzelmenschen und dem namenlosen Hintergrund des

    naturhaften Seins, dessen Rhythmus dennoch in sie erflo. Gleichsam die Verkrperung des rettenden,

    bewahrenden Lebensinstinkts war der Genius; nicht Gewissen, Norm, bernatrliches Prinzip. Wer

    seinem Genius folgt, irrt und strauchelt nicht; noch ungebrochen, diesseits von Gut und Bse, Hlich

    und Schn, lebt fortzeugend in seinem Sein und Tun Natur vollkommen sich aus.

    Fr den heidnischen Rmer nahm der Schutzlebensgeist bei der Geburt im Menschen Platz und verlie

    ihn erst nach dem Tode. Es hngt wohl mit der durch das Christentum vollzogenen Ablsung unserer

    inneren Grundlagen vom Natur-Sein zusammen, wenn wir heute nach gegenwrtigem Sprach- und

    Bedeutungsgefhl wirkenden Genius ganz im Gegensatz zu Genie nur noch dem Kindesalter

    zusprechen mgen!

    Genius wirkt gleichsam von auen: er ist die persnliche Verbildlichung jener unsichtbaren

    Auenwelt unbewuter Lebens- und Seelenkrfte, die nach altem hermetischem Gleichnis den

    wachsenden Menschen umgeben und ihm erst allmhlich so zur selbstbeherrschten Innenwelt werden,

    wie sich vorher sein materieller Leib aus der umgebenden Krperlichkeit zu einem Sonderbestande

    herausgegliedert hatte. Solange der uere Lebens- und Seelenkosmos das kleine Kind noch von

    auen her wie eine mtterliche Hlle umfngt, durchblutet und lenkt, ist eine ganze, wahrhaft

    kosmische Flle der Mglichkeiten, wenn auch in winzigen Gaben, sein; dem allwissenden

    Unbewuten ist das Geschpf gleichsam noch lebendig angeschlossen. Hat es aber erst fr sich einen

    eigenen leib-seelischen Organismus gebildet und seinem bewuten Ich unterworfen, so hat es zwar

    Eigenkraft, aber doch meist nur noch ein beschrnktes Ausma von Mglichkeiten. Aus dem

    unendlichen Geschpf wird ein nur allzu endlicher Schpfer. Mit solchem Gleichnis wird

    verstndlicher, warum gemeinhin ein Kind (und zwar jedes, nicht nur das begnadete) von der Geburt

    bis zur Reife weit mehr verspricht, als es nachtrglich im erwachsenen Alter zu halten vermag, und

    warum dennoch Kindheit nicht nur ein Versprechen ist, sondern auch schon im kleinen eine ganze

    Erfllung. Kindisches in ihr unterliegt ja dem veredelnden Fortschritt, Kindliches aber ist vollendet

    und ohne Zeit. Frhling und Vorfrhling werden mir nicht darum nur schn, weil ich mir vorstelle,

  • was alles in der Sommerreife aus seinen Knospen werden mte; ich darf sie in sich vollendet heien,

    selbst wenn nicht gegenber ihren Versprechungen der Hochsommer regelmig eine Enttuschung

    wre. Keiner hat dies Vollendete und zugleich doch so mchtig Hinausweisende des Kindesalters

    wahrer und richtiger gesehen als Goethe, und seine Feststellungen zu diesem Punkte wirken umso

    vertrauenswrdiger, als sie mit nchterner Leichtigkeit hingesagt sind, ohne das Verfhrerische

    romantischer Mystik: Wir knnen die kleinen Geschpfe, so heit es in Wahrheit und Dichtung

    die vor uns herwandeln, nicht anders als mit Vergngen, ja mit Bewunderung ansehen: denn meist

    versprechen sie mehr, als sie halten, und es scheint, als wenn die Natur unter anderen schelmischen

    Streichen, die sie uns spielt, auch hier sich ganz besonders vorgesetzt, uns zum besten zu haben. Die

    ersten Organe, die sie Kindern mit auf die Welt gibt, sind dem nchsten unmittelbaren Zustande des

    Geschpfs gem; es bedient sich derselben kunst- und anspruchslos, auf die geschickteste Weise zu

    den nchsten Zwecken. Das Kind, an und fr sich betrachtet, mit seinesgleichen und in Beziehungen,

    die seinen Krften angemessen sind, scheint so verstndig, so vernnftig, da nichts darber geht, und

    zugleich so bequem, heiter und gewandt, da man keine weitere Bildung fr dasselbe wnschen

    mchte. Wchsen die Kinder in der Art fort, wie sie sich andeuten, so htten wir lauter Genies; aber

    das Wachstum ist nicht blo Entwicklung; die verschiedenen organischen Systeme, die den einen

    Menschen ausmachen, entspringen aus einander, folgen einander, verwandeln sich in einander, ja,

    zehren einander auf, so da von manchen Fhigkeiten, von manchen Kraftuerungen nach einer

    gewissen Zeit kaum eine Spur mehr zu finden ist. Wenn auch die menschlichen Anlagen im ganzen

    eine entschiedene Richtung haben, so wird es doch dem grten und erfahrensten Kenner schwer sein,

    sie mit Zuverlssigkeit voraus zu verknden: doch kann man hinterdrein wohl bemerken, was auf ein

    Knftiges hingedeutet hat.

    In einem hellsichtigen Kapitel hat auch Schopenhauer (Parerga und Parallipomena, Ausgabe Kehrbach

    Bd. IV, pag. 419) ber die Verwandtschaft des genialen Seelenstandes mit dem kindlichen Dinge

    gesagt, die in ihrer Gemeingltigkeit keine zergliedernde Prfung unserer Tage aufzuheben vermag.

    Da die Gewalt und Fhigkeit, mit der das Kind kraft seines Genius den andrngenden Weltstoff

    bewltigt, onenhafte Entwicklungen in vierzehn Jahren zusammendrngt, in gleichem Zeitma immer

    weiter wachsend jeden Erwachsenen fast zum Gotte machen mte, hebt er wie Goethe, doch mit

    mehr spekulativer Leidenschaft hervor. Scheint es nicht, als seien in der anschauenden

    Empfnglichkeit, dem einsaugenden Vermgen unserer Unmndigen bereits die smtlichen

    Kategorien von Leben und Welt vorgebildet, und als bedrfe es nur des leisesten Anstoes von den

    ueren Eindrcken her, damit sogleich das vollstndigste Vorstellungsleben zugleich mit dem

    angemessensten Orientierungsvermgen sich entfalte? Diese apriorische Begabtheit, mit der das kleine

    Kind an das riesenhafte Erlebenspensum herantritt, um in krzester Frist auf der Stufe des heutigen

    Verhltnisses von Mensch und Welt angelangt zu sein, wirkt wahrlich wie von einer hheren

    Naturmacht eben dem Genius eingegeben, nicht durch bewute Willensanstrengung

    herbeigefhrt, nicht als Verdienst, sondern als natrliche Gnade.

    Man denke nur an die fast geheimnisvoll wirkende Kraft, mit der gerade kleine Kinder unter

    Umstnden mehrere Sprachen nebeneinander von ihren Erziehern spielend lernen (aufschnappen)

    knnen; ein Vermgen, das mit dem Erwecken des begrifflichen logischen Denkens meistens abstirbt,

    das also recht eigentlich in einer halb unbewuten, naturverbundenen Bewutseinslage zu grnden

    scheint. Wchse ein solches Vermgen so fort, wir htten in der Tat, wie Goethe sagt, lauter Genies,

    Sprachgenies in diesem Falle. Und so ist es eigentlich mit fast allen, im Kinde veranlagten

    Mglichkeiten, deren Spur wir im Laufe dieses Buches so oft begegnen werden. Man hat das

    phnomenale, vor allem optische Gedchtnis des Kindes vor dem schulpflichtigen Alter nicht selten

    festgestellt; wir werden sehen, wie gerade hier geniale Mglichkeiten auch fr bildendes Gestalten

    sich andeuten. Man hat in genauer Untersuchung des Sprechenlernens beim Kinde auch seiner

    spontanen, namengebenden Sprachschpferkraft gedacht, man wei auch, wie sinnfllig und

    anschaulich die Metaphern des Kindes sind, weil es nicht nach begrifflich logischen, sondern nach

    sinnlichen Gesichtspunkten verknpft und dabei den noch engen Schatz seiner eigenen Vorstellungen

    unbedenklich verwertet; und die Kraft, das Tote zu beleben und zu personifizieren, ist eine Urtatsache

    des geistigen Vermgens der Kinder. Wrden aber nicht gerade solche Eigenschaften, wchsen sie

    fort, wiederum das Genie, das Genie des Dichters ausmachen? Von dem bestndigen Fragen und

    Forschen des Kindes, seinem qulend grndlichen Warum und Wohin, das auch vor letzten

    metaphysischen Fragen nicht zurckscheut, wissen alle Erzieher zu berichten. Wchse diese Energie

    des Fragens und der