8
Erste Ausgabe, 2003 A RT C O R E Herausgegeben vom Projekt „Komplizierte Auslöser VII“ Bauhaus-Universität Weimar Kunstzeitung Auf der Suche nach dem trauten Heim Foto: Franziska Klose Von Jan Thau Berlin. Trotz des Niedergangs der Internetbranche vor einiger Zeit, gibt es immer wieder Unternehmer, die risikofreudig mit diesem Medium arbeiten. Die Firma Innovative Works gehört seit neuestem zu dieser Grup- pe. Mit einem außergewöhnlichem Konzept, reagiert Innovative Works auf die Veränderungen des Arbeits- marktes: Sie vermieten Arbeitslose an Unternehmen und Politiker. Die Ar- beitslosen, hier als AMP (Arbeits- marktpartner) bezeichnet, kann man für Vorführungen, Referate und Do- kumentationen mieten. Laut Inno- vative Works sind sie brauchbare Druckmittel, um die Leistungsbereit- schaft in den Unternehmen zu stei- gern oder die Dringlichkeit von politi- schen Maßnahmen auf dem Arbeits- markt sichtbar zu machen. Innovative Works sieht sich dabei als Dienstleister für Menschen aus Politik und Wirt- schaft, die Innovationen und neue Initiativen auf dem Arbeitsmarkt vor- anbringen wollen. Gezielt spielt das Unternehmen dabei auf die derzeiti- gen sozialen Kürzungen und das Hartz-Konzept an. Spätestens seit Schröders Agenda 2010 spaltet dieses Thema die Nation. Die Regierung streitet mit sich selbst, mit den Ge- werkschaften; der Opposition gehen die Kürzungsmaßnahmen nicht weit genug. Sozialverbände laufen Sturm gegen die Gesetzesvorhaben und Ste - phan Effenberg verkündet: „Wer zu faul ist zum arbeiten: Stütze runter“. Dass die maroden Sozialsysteme ver- ändert werden müssen ist allen klar, doch die geplanten Kürzungen gehen dabei vielen zu weit und lösen allerorts Empörung aus. Innovative Works bezieht dabei konkret Position auf Seiten der Wirtschaft und der politi- schen Reformer und will ihnen die Werkzeuge in die Hand geben, um die Erneuerung der Sozialsysteme durch- zusetzen. Als Interessierter kann man sich auf den Internetseiten des Unternehmens den so genannten AMP-Katalog an- schauen und schon mal erste Ein- drücke von den AMPs sammeln. Man- fred Kleindienst ist einer der ange- botenen Arbeitslosen. Der 53jährige Schlosser und Dreher ist seit 10 Jahren arbeitslos und hat laut seiner Biogra- phie schon etliche Maßnahmen hinter sich. Trotz seines Willens jede Arbeit anzunehmen und der guten Anpas- sungsfähigkeit an Autoritäten, scheint er jedoch kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben, zumal er we- nig flexibel, älter als 50 und langzeit- arbeitslos ist. Er steht dabei für eine ganze Gene- ration von Arbeitslosen, die anschei- nend noch nicht gelernt haben sich am neuen Arbeitsmarkt zu orientieren. Allein die Tatsache, dass er keinen Führerschein hat, zeigt, dass viele nicht bereit sind den veränderten Be- dingungen ins Auge zu sehen. An Manfred Kleindienst lässt sich die menschliche Seite des Arbeitsmarktes ablesen und deuten. Innovative Works hat das erkannt und nutzt nun diesen Blickwinkel, um ihn der Öffentlichkeit ren Wert der Aktion arabischer Ter- roristen, die am 11. September 2001 die beiden Türme des World Trade Centers in New York zum Einsturz bringen und dabei mehr als 3000 Menschen mit in den Tod reißen. Für Baudrillard ist damit ein Zeichen gesetzt, das in einem symbolischen Wettkampf zwischen den Terroristen und der Supermacht Amerika einen deutlichen Vorschub der antiamerika- nischen Partei bedeutet. In diesem gigantischen Prestigekampf um die Weltherrschaft gibt es danach mindes- tens zwei Ebenen – die der realen Politik und die der rhetorisch-symbol- haften Darstellung des Realen. Geht man in herkömmlicher Ansicht von einem Sachverhalt aus, nach dem sich die Rhetorik der Darstellung dann richtet, so zeigt Baudrillard mit eini- gem Recht, dass sich dieses Verhältnis zunehmend umkehrt – nach seiner Theorie gewinnt die Simulation der Politik als Bild und Zeichen die Vorherrschaft über das Bezeichnete. Damit setzt sich aber nach Bau- drillard nicht allein eine antagonisti- sche Struktur von globaler amerikani- scher Supermacht und fundamentalis - tischer arabischer Opposition durch, sondern eine weitere Tendenz der Supermacht selbst strebt neben der offenkundigen Erlangung ihrer Vor- herrschaft in der äußeren Welt gerade auf dem Gipfel ihrer Machtentfaltung nach dem Ende des Kalten Krieges aus sich heraus danach, eine Gegenmacht zu bilden. Für diese innere Tendenz wird der Fall der zwei Handelstürme ebenfalls das entsprechende Menete- kel eines Selbstmordes der Super- macht als Hybris. Baudrillard denkt sich in seiner Theorie diese beiden Tendenzen eines äußerlichen Kampfes und einer inne- ren teleologischen (d. h. zielgerichte- ten) Entwicklung zusammen. Oder anders gesagt, die politischen Hand- lungen sind damit zugleich auf einem geschichtsphilosophischen Span- nungsbogen aufgezogen. Diese Konstruktion folgt einem Schema, das Baudrillard bereits in sei- nem Hauptwerk „Der symbolische Tausch und der Tod“ 1976 in großer Nähe zu dem Situationisten Guy Debord und vor allem zu Georges Ba- taille entwirft. Er wendet es nun, wie zuvor auch in früheren Debatten, auf den 11. September an. Nach Bataille existieren zwei geschichtsphilosophi- sche Komponenten der Weltgeschich- te – die Erlangung von Macht durch Aneignung von ökonomischen Res- sourcen und die Erlangung von Macht durch eine Verausgabung als Ruhm. Beide Kräfte verhalten sich wie ein äußeres, uneigentliches, zu einem in- neren, in Wahrheit wirkenden Prinzip. Wie bereits in seinen Artikeln im Lettre International sieht Baudrillard auch im Weimarer Vortrag das Selbst- mord-Attentat der Terroristen von Al Qaida als ihren letzten, unmöglichen Einsatz im Spiel um die größere sym- bolische Auseinandersetzung um den Ruhm. In diesem gigantischen Kampf bilden der Herr und der Knecht wich- tige Figuren – aktuell setzt am 11. September nun der Knecht sein Leben ein und obsiegt. Die Terroristen sind ökonomisch gesehen Knechte, han- deln aber wie Herren, während die Verteidiger zwar Herren der Welt sind, aber in der Auseinandersetzung nicht mehr ihr Leben aufs Spiel setzten und daher paradoxerweise zu Tausenden ihr Leben verlieren. Diese Positionen bleiben in (Fortsetzung auf Seite 2) zur Verfügung zu stellen. Wie diese damit umgeht bleibt abzuwarten, denn das Unternehmen steht noch in den Startlöchern. Doch Dieter Bau- mann, Geschäftsführer von Innovative Works, ist sich dabei ganz sicher, dass seine AMPs großen Anklang finden werden: „Jedes Unternehmen leidet unter der Unmotiviertheit seiner Mit- arbeiter. Viele Beschäftigte glauben anscheinend noch an die vergangenen ’fetten Jahre’ und lassen sich daher treiben. Einem Unternehmen schadet das nur, da es auf den Antrieb und die Leistungsbereitschaft jedes Einzelnen angewiesen ist. Wenn wir den Unter- nehmern unsere AMP´s vermieten, können diese ganz einfach klar ma- chen, dass es jetzt härter wird und die fetten Jahre vorbei sind. Wer nicht mitzieht, den erwartet ein ähnliches Schicksal wie es unsere AMPs zeigen. Die Wirtschaft braucht das, da sie schon genug Probleme mit Gewerk- Jean Baudrillard und der Horizont des Ereignisses Verdacht bestätigt – Kommunikation übersteigt unser Auffassungsvermögen Demonstranten geben Antwort Weimar. Mit der Erkenntnis, dass sich die Kommunikationsprobleme immer stärker ausbreiten, braucht man sich jetzt nicht länger alleine zu fühlen. Die soziale Intelligenz scheint sich mehr und mehr aufzulösen. Selbst in der Familie schwindet die Verständnis- fähigkeit dramatisch. Eine kleine Gruppe von Demonstranten forderte deswegen am vergangenem Sonntag: „Verkleinert die Familien. Zu viele Familienmitglieder erschweren die Kommunikation.“ N.J. Andy Warhol-Foto-Archiv entdeckt Ein sensationeller Ankauf gelang einem bekannten Berliner Sammler: bisher unbekannte Warhol-Negative und einige Vintage-Prints mit Motiven aus der Factory und von Ausstel- lungen konnten in den USA erworben werden. Einige Vintages, darunter unter anderem das abgebildete Foto „Andy Warhol vor Calgon-Boxes“ können bereits voraussichtlich auf der näch- sten Auktion in der Villa Grisebach Berlin besichtigt und ersteigert wer- den. Red. Andy Warhol vor Calgon-Boxes, 1968 Foto:K.A. Jean Baudrillard schaften und zu hohen Lohnneben- kosten hat.“ Auf die Frage, wie er denn mit der Kritik umgehe, dass er eine Art modernen Sklavenhandel betreibe, sagt uns der 42jährige: „Die Leute die so etwas sagen, haben die Zeit nicht erkannt, in der wir leben. Heutzutage muss jeder Opfer bringen, ansonsten geht er einfach unter. Der Staat kann sich es nicht mehr leisten Leute zu versorgen, die nicht alles bringen. Unsere Arbeitslosen haben das erkannt und verkaufen ihre Per- sönlichkeit. Außerdem achten wir dar- auf, dass jeder AMP nach den gesetz- lich vorgeschriebenen Richtlinien be- handelt wird.“ Nun, es wird sich zeigen ob Innova- tive Works etwas zur Veränderung des Landes beitragen wird. Gespannt darf man darüber sein, ob uns demnächst Manfred Kleindienst auf einem betrieb- lichen Weiterbildungskurs oder in einer Broschüre der BfA begegnen wird. Neues Internetunternehmen Die Firma „Innovative Works“ vermietet Arbeitslose Von Wolfgang Bock Jean Baudrillard hält am 25. April 2003 in der Weimarer Uni-Mensa den ersten von insgesamt drei geplanten Vorträgen. Er spricht vor fast tausend interessierten Zuhörerinnen und Zu- hörern als Gastprofessor am Nietz- sche-Kolleg über das „Ereignis“. Damit bezeichnet er den spektakulä- OGLE In der olympischen Disziplin Planet Hunting ist ein neuer Rekord aufge- stellt worden. Dem Harvard-Smith- sonian Center für Astrophysik gelang es, den 5000 Lichtjahre weit entfern - ten Exoplaneten OGLE mit der noch jungen Transit-Technik sichtbar zu machen. In einer Rekordzeit von nur 29 Stunden bewegt sich der jupiter- große Planet um seine Sonne im Sternbild Sagittarius. OGLE ist seinem Heimatstern ungefähr 50mal näher als die Erde. Die Temperatur auf dem von Wolken eingehüllten Planeten beträgt 3000 Grad Celcius, so dass es am Abend auf OGLE zu leichtem Eisregen kommt. Die Astrowissenschaftler sind sich einig, dass durch die Entdeckung des Planeten das Tor zu neuen erdähn- lichen Planeten und Welten unserer Milchstrasse nun endgültig aufgestos - sen wurde. S.K.

A R T C O R E - dvqlxo2m2q99q.cloudfront.netdvqlxo2m2q99q.cloudfront.net/000_clients/170421/file/artcore-i.pdfSchema, das Baudrillard bereits in sei- ... denn mit der Kritik umgehe,

  • Upload
    lamthuy

  • View
    215

  • Download
    3

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: A R T C O R E - dvqlxo2m2q99q.cloudfront.netdvqlxo2m2q99q.cloudfront.net/000_clients/170421/file/artcore-i.pdfSchema, das Baudrillard bereits in sei- ... denn mit der Kritik umgehe,

Erste Ausgabe, 2003

A RT C O R EHerausgegeben vom Projekt „Komplizierte Auslöser VII“ Bauhaus-Universität Weimar

Kunstzeitung

Auf der Suche nach dem trauten Heim Foto: Franziska Klose

Von Jan Thau

Berlin. Trotz des Niedergangs derInternetbranche vor einiger Zeit, gibtes immer wieder Unternehmer, dier i s i k o f reudig mit diesem Mediumarbeiten. Die Firma Innovative Worksgehört seit neuestem zu dieser Grup-pe. Mit einem außerg e w ö h n l i c h e mKonzept, reagiert Innovative Worksauf die Veränderungen des Arbeits-marktes: Sie vermieten Arbeitslose anUnternehmen und Politiker. Die Ar-beitslosen, hier als AMP (Arbeits-marktpartner) bezeichnet, kann manfür Vorführungen, Referate und Do-kumentationen mieten. Laut Inno-vative Works sind sie brauchbareDruckmittel, um die Leistungsbereit-schaft in den Unternehmen zu stei-gern oder die Dringlichkeit von politi-schen Maßnahmen auf dem Arbeits-markt sichtbar zu machen. InnovativeWorks sieht sich dabei als Dienstleisterfür Menschen aus Politik und Wirt-schaft, die Innovationen und neueInitiativen auf dem Arbeitsmarkt vor-anbringen wollen. Gezielt spielt dasUnternehmen dabei auf die derzeiti-gen sozialen Kürzungen und dasHartz-Konzept an. Spätestens seitSchröders Agenda 2010 spaltet diesesThema die Nation. Die Regierungstreitet mit sich selbst, mit den Ge-werkschaften; der Opposition gehendie Kürzungsmaßnahmen nicht weitgenug. Sozialverbände laufen Sturmgegen die Gesetzesvorhaben und Ste-phan Effenberg verkündet: „Wer zufaul ist zum arbeiten: Stütze runter“.Dass die maroden Sozialsysteme ver-ändert werden müssen ist allen klar,doch die geplanten Kürzungen gehendabei vielen zu weit und lösen allerortsEmpörung aus. Innovative Wo r k sbezieht dabei konkret Position aufSeiten der Wirtschaft und der politi-schen Reformer und will ihnen dieWerkzeuge in die Hand geben, um dieErneuerung der Sozialsysteme durch-zusetzen.

Als Interessierter kann man sich aufden Internetseiten des Unternehmensden so genannten AMP-Katalog an-schauen und schon mal erste Ein-drücke von den AMPs sammeln. Man-fred Kleindienst ist einer der ange-

botenen Arbeitslosen. Der 53jährigeSchlosser und Dreher ist seit 10 Jahrenarbeitslos und hat laut seiner Biogra-phie schon etliche Maßnahmen hintersich. Trotz seines Willens jede Arbeitanzunehmen und der guten Anpas-sungsfähigkeit an Autoritäten, scheinter jedoch kaum eine Chance auf demArbeitsmarkt zu haben, zumal er we-nig flexibel, älter als 50 und langzeit-arbeitslos ist.

Er steht dabei für eine ganze Gene-ration von Arbeitslosen, die anschei-nend noch nicht gelernt haben sicham neuen Arbeitsmarkt zu orientieren.Allein die Tatsache, dass er keinenF ü h rerschein hat, zeigt, dass vielenicht bereit sind den veränderten Be-dingungen ins Auge zu sehen. AnM a n f red Kleindienst lässt sich diemenschliche Seite des Arbeitsmarktesablesen und deuten. Innovative Workshat das erkannt und nutzt nun diesenBlickwinkel, um ihn der Öffentlichkeit

ren Wert der Aktion arabischer Ter-roristen, die am 11. September 2001die beiden Türme des World TradeCenters in New York zum Einsturzbringen und dabei mehr als 3000Menschen mit in den Tod reißen. FürB a u d r i l l a rd ist damit ein Zeichengesetzt, das in einem symbolischenWettkampf zwischen den Terroristenund der Supermacht Amerika einendeutlichen Vorschub der antiamerika-nischen Partei bedeutet. In diesemgigantischen Prestigekampf um dieWeltherrschaft gibt es danach mindes-tens zwei Ebenen – die der realenPolitik und die der rhetorisch-symbol-haften Darstellung des Realen. Gehtman in herkömmlicher Ansicht voneinem Sachverhalt aus, nach dem sichdie Rhetorik der Darstellung dannrichtet, so zeigt Baudrillard mit eini-gem Recht, dass sich dieses Verhältniszunehmend umkehrt – nach seinerTheorie gewinnt die Simulation derPolitik als Bild und Zeichen dieVorherrschaft über das Bezeichnete.

Damit setzt sich aber nach Bau-drillard nicht allein eine antagonisti-sche Struktur von globaler amerikani-scher Supermacht und fundamentalis-

tischer arabischer Opposition durch,sondern eine weitere Tendenz derSupermacht selbst strebt neben deroffenkundigen Erlangung ihrer Vor-herrschaft in der äußeren Welt geradeauf dem Gipfel ihrer Machtentfaltungnach dem Ende des Kalten Krieges aussich heraus danach, eine Gegenmachtzu bilden. Für diese innere Tendenzwird der Fall der zwei Handelstürmeebenfalls das entsprechende Menete-kel eines Selbstmordes der Super-macht als Hybris.

B a u d r i l l a rd denkt sich in seinerTheorie diese beiden Tendenzen einesäußerlichen Kampfes und einer inne-ren teleologischen (d. h. zielgerichte-ten) Entwicklung zusammen. Oderanders gesagt, die politischen Hand-lungen sind damit zugleich auf einemgeschichtsphilosophischen Span-nungsbogen aufgezogen.

Diese Konstruktion folgt einemSchema, das Baudrillard bereits in sei-nem Hauptwerk „Der symbolischeTausch und der Tod“ 1976 in großerNähe zu dem Situationisten GuyDebord und vor allem zu Georges Ba-taille entwirft. Er wendet es nun, wiezuvor auch in früheren Debatten, auf

den 11. September an. Nach Batailleexistieren zwei geschichtsphilosophi-sche Komponenten der Weltgeschich-te – die Erlangung von Macht durchAneignung von ökonomischen Res-sourcen und die Erlangung von Machtdurch eine Verausgabung als Ruhm.Beide Kräfte verhalten sich wie einäußeres, uneigentliches, zu einem in-neren, in Wahrheit wirkenden Prinzip.

Wie bereits in seinen Artikeln imLettre International sieht Baudrillardauch im Weimarer Vortrag das Selbst-mord-Attentat der Terroristen von AlQaida als ihren letzten, unmöglichenEinsatz im Spiel um die größere sym-bolische Auseinandersetzung um denRuhm. In diesem gigantischen Kampfbilden der Herr und der Knecht wich-tige Figuren – aktuell setzt am 11.September nun der Knecht sein Lebenein und obsiegt. Die Terroristen sindökonomisch gesehen Knechte, han-deln aber wie Herren, während dieVerteidiger zwar Herren der Welt sind,aber in der Auseinandersetzung nichtmehr ihr Leben aufs Spiel setzten unddaher paradoxerweise zu Tausendenihr Leben verlieren. Diese Positionenbleiben in (Fortsetzung auf Seite 2)

zur Verfügung zu stellen. Wie diesedamit umgeht bleibt abzuwarten,denn das Unternehmen steht noch inden Startlöchern. Doch Dieter Bau-mann, Geschäftsführer von InnovativeWorks, ist sich dabei ganz sicher, dassseine AMPs großen Anklang findenwerden: „Jedes Unternehmen leidetunter der Unmotiviertheit seiner Mit-a r b e i t e r. Viele Beschäftigte glaubenanscheinend noch an die vergangenen’fetten Jahre’ und lassen sich dahertreiben. Einem Unternehmen schadetdas nur, da es auf den Antrieb und dieLeistungsbereitschaft jedes Einzelnenangewiesen ist. Wenn wir den Unter-nehmern unsere AMP´s vermieten,können diese ganz einfach klar ma-chen, dass es jetzt härter wird und diefetten Jahre vorbei sind. Wer nichtmitzieht, den erwartet ein ähnlichesSchicksal wie es unsere AMPs zeigen.Die Wirtschaft braucht das, da sieschon genug Probleme mit Gewerk-

Jean Baudrillard und der Horizont des Ereignisses

Verdacht bestätigt –

Kommunikation übersteigt

unser Auffassungsvermögen

Demonstranten geben Antwort

Weimar. Mit der Erkenntnis, dass sichdie Kommunikationsprobleme immerstärker ausbreiten, braucht man sichjetzt nicht länger alleine zu fühlen. Diesoziale Intelligenz scheint sich mehrund mehr aufzulösen. Selbst in derFamilie schwindet die Ve r s t ä n d n i s-fähigkeit dramatisch. Eine kleineGruppe von Demonstranten fordertedeswegen am vergangenem Sonntag:„ Verkleinert die Familien. Zu vieleFamilienmitglieder erschweren dieKommunikation.“ N.J.

Andy Warhol-Foto-Archiv

entdeckt

Ein sensationeller Ankauf gelangeinem bekannten Berliner Sammler:bisher unbekannte Warhol-Negativeund einige Vintage-Prints mit Motivenaus der Factory und von Ausstel-lungen konnten in den USA erworbenwerden.

Einige Vintages, darunter unteranderem das abgebildete Foto „AndyWarhol vor Calgon-Boxes“ könnenbereits voraussichtlich auf der näch-sten Auktion in der Villa GrisebachBerlin besichtigt und ersteigert wer-den. Red.

Andy Warhol vor Calgon-Boxes, 1968

Foto:K.A.

Jean Baudrillard

schaften und zu hohen Lohnneben-kosten hat.“ Auf die Frage, wie erdenn mit der Kritik umgehe, dass ereine Art modernen Sklavenhandelbetreibe, sagt uns der 42jährige: „DieLeute die so etwas sagen, haben dieZeit nicht erkannt, in der wir leben.Heutzutage muss jeder Opfer bringen,ansonsten geht er einfach unter. DerStaat kann sich es nicht mehr leistenLeute zu versorgen, die nicht allesbringen. Unsere Arbeitslosen habendas erkannt und verkaufen ihre Per-sönlichkeit. Außerdem achten wir dar-auf, dass jeder AMP nach den gesetz-lich vorgeschriebenen Richtlinien be-handelt wird.“

Nun, es wird sich zeigen ob Innova-tive Works etwas zur Veränderung desLandes beitragen wird. Gespannt darfman darüber sein, ob uns demnächstM a n f red Kleindienst auf einem betrieb-lichen Weiterbildungskurs oder in einerB ro s c h ü re der BfA begegnen wird .

Neues Internetunternehmen

Die Firma „Innovative Works“ vermietet Arbeitslose

Von Wolfgang Bock

Jean Baudrillard hält am 25. April2003 in der Weimarer Uni-Mensa denersten von insgesamt drei geplantenVorträgen. Er spricht vor fast tausendinteressierten Zuhörerinnen und Zu-hörern als Gastprofessor am Nietz-sche-Kolleg über das „Ere i g n i s “ .Damit bezeichnet er den spektakulä-

O G L E

In der olympischen Disziplin PlanetHunting ist ein neuer Rekord aufge-stellt worden. Dem Harvard - S m i t h-sonian Center für Astrophysik gelanges, den 5000 Lichtjahre weit entfern -ten Exoplaneten OGLE mit der nochjungen Tr a n s i t - Technik sichtbar zumachen. In einer Rekordzeit von nur29 Stunden bewegt sich der jupiter-g roße Planet um seine Sonne imSternbild Sagittarius. OGLE ist seinemHeimatstern ungefähr 50mal näher alsdie Erde. Die Temperatur auf dem vonWolken eingehüllten Planeten beträgt3000 Grad Celcius, so dass es amAbend auf OGLE zu leichtem Eisregenkommt.

Die Astrowissenschaftler sind sicheinig, dass durch die Entdeckung desPlaneten das Tor zu neuen erdähn-lichen Planeten und Welten unsererMilchstrasse nun endgültig aufgestos-sen wurde. S.K.

Page 2: A R T C O R E - dvqlxo2m2q99q.cloudfront.netdvqlxo2m2q99q.cloudfront.net/000_clients/170421/file/artcore-i.pdfSchema, das Baudrillard bereits in sei- ... denn mit der Kritik umgehe,

Komplizierte

Auslöser VII

Seite 2 Erste Ausgabe, 2003A RT C O R EDie tägliche Terrorwarnung:

Heute: Vorsicht vor dem Stockholmsyndrom!

„Jean Baudrillard und der Horizontdes Ere i g n i s s e s “ (Fortsetzung vonSeite 1) gewisser Weise auch imAfghanistan- und im Irakkrieg erhal-ten: Zwar kämpfen die Amerikanernun, aber mit Hilfe von Alliierten undvor allem mit Maschinen. Im ur-sprünglichen Spiel aber zählt nachBataille nur der Kampf Mann gegenMann, das echte Duell. Daher stehtBush auch nach seinen Siegen inAfghanistan und am Euphrat undTigris im Hinblick auf diesen symboli-schen Wert als Verlierer gegen OsamaBin Laden und Saddam Hussein da,mag er noch so viele reale Siege errin-gen, wie er will.

In seinem Vortrag zitiert Baudrillardden französischen LebensphilosophenHenri Bergson. Bergson versucht inseinen Schriften zu zeigen, dass daslebendige Prinzip gegenüber einers t a r ren Mechanik dadurch obsiegt,

Rauchzeichen erhoben sich gen Him-mel, gaben das Zeichen zum Beginndes 3. Teils des Rituals ... . Alle 4 Jahrewird das Fest der eingebildeten Hin-gabe begangen.

Das dazugehörige Ritual kann meh-rere Wochen andauern und bestehtaus vier Teilen.

Im ersten Teil kommen, rücken undtrinken alle zusammen. Der Ort derBegegnung ist nicht festgelegt. Frauenund Männer nehmen meist hefe- oderweizenhaltige Getränke zu sich. Kin-der, die nicht still sitzen können odernoch gestillt werden, sind von diesemRitual ausgeschlossen. Nach einigerZeit bekommen alle TeilnehmerInnenein Zeichen. Via Fernsehmonitor ver-folgen nun alle, was der Prophet ihnenzu sagen hat.

Teil 2 vollzieht sich dann in 2 x 45Minuten mit einer kleinen Pause zwi-schen den Einheiten. Das ist wichtig,weil die zweiten 45 Minuten noch ein-mal das Letzte von allen Teilnehmer-Innen verlangen. Es gibt Schreie derFreude und des Schmerzes, lächelndeMünder, feuchte Augen, schwingendeArme und erhobene Fäuste ... einigeb rechen sogar manchmal in dieserPhase das Ritual ab.

Teil 3 findet immer in der Öffentlich-keit statt. Hier entlädt sich die soebengemachte heilige Erfahrung und trifftzum ersten Mal wieder auf die profa-ne Alltagswelt. Das Ritual nimmt indieser Phase oft unkontrollierte Zügean. Nicht immer vermittelt sich dieser

RauchzeichenUngeschriebenes Gesetz der eingebildeten Hingabe

dass es etwas Unberechenbares her-vorbringt – das Neue. Das Neue ent-steht dort, wo man die Vorbestim-mung eines historischen Augenblicksauflöst und sich anders als berechnendverhält. Jeder einzelne Zeitmomentbesteht aus dem Möglichen und demWirklichen, schreibt er 1930 in demgleichnamigen Aufsatz. Wenn sichauch das Wirkliche durchsetzt, so istdas Mögliche als Anderes doch auchimmer vorhanden. Wird es Ereignis, solässt es sich nicht kausal vorherbestim-men. Ist es aber einmal erschienen,dann kann man es kausallogisch zu-rückverfolgen. Solche logischen Ket-ten aber lassen sich nur rückwärts bil-den, nicht vorwärts – sonst wäre dasNeue eben kein Neues mehr.

Diese Bestimmung übernimmt Bau-drillard in seinem Weimarer Vortragfür seinen Begriff des „Ere i g n i s “ .Dabei gewinnt die Ereigniskategorie

den Charakter einer übergeordnetenInstanz, in der politische Aktion, Ge-schichtstendenz, ästhetische Dimen-sion und vor allem eine theologischgedachte Gerechtigkeitsstruktur zumAusdruck kommen. Diese Strukturwirkt wie ein Gottesurteil ohne Gott.

Freilich bleibt auch bei ihm bis zumEnde offen, was denn nun in dieserk o n k reten Auseinandersetzung einweiteres Ereignis als Kampfeinsatz aufdem symbolischen Feld wäre, das miteiner entsprechenden symbolischenKraft agieren könne?

Wohlwissend, dass es darauf keinepräzise Antwort gibt, fragte ich Bau-d r i l l a rd in der Diskussion nach einer be-stimmten Möglichkeit, solches Ere i g n i serneut herzustellen: Wenn das Duelleine Rolle spielen müsse – wie wäre esdenn mit dem Angebot, das SaddamHussein brieflich Bush mitgeteilt habe?Die Auff o rderung nämlich, sich mit

ihm allein in der Wüste zu tre ff e n ,beide nur mit einem Schwert bewaff-net? Stelle sich dabei ein Ereignis ein?

Nach dem Gesagten mag deutlichg e w o rden sein, dass es auf eine solcheFrage keine Antwort geben kann.B a u d r i l l a rds Theorie lebt vielmehr vonder prägnanten und zugleich verrätsel-ten Darstellung der angespro c h e n e ngeschichtsphilosophischen Motive –Analyse, Gerechtigkeit, Kampf tre t e nhier zusammen. Als weiteres wichtigesMoment kommt ein Antiamerikanis-mus hinzu. Dieses Moment bezeichneteine pre k ä re Stelle in seiner Denkform.Denn wenn man den 11. Septemberabstrakt zum Ereignis erklärt, dannübersieht man, dass dabei mehre retausend unschuldige Menschen ihrLeben ließen. Muss man das bei dieserTheorie billigend mit in Kauf nehmen?Gleichsam als notwendiges Unter-pfand, um ihr zustimmen zu können?Aber weder sind alle umgekommenenAmerikaner ausbeuterische Herre nnoch sind die Attentäter mildtätigeKnechte im Stile Robin Hoods – viel-mehr handelt es sich bei der Auseinan-dersetzung um eine imperiale Gro ß-macht auf der einen Seite und einemafiaähnliche brutale Clique auf dera n d e ren. Ohne die Rolle der Gro ß-macht beschönigen zu wollen, kom-men auch auf der Seite der Ameri-kaner unschuldige Menschen zu To d e .

Darin, dieses Leid und diese Strukturin der ontologischen Superstrukturnicht denken zu können, zeigt sich einblinder Fleck in der BaudrillarschenTheorie. Sie versucht die politischeWirklichkeit der eigenen Theorie an-zupassen: Sie liest die Wirklichkeit alsein vollständiges symbolisches Systemvon Tausch und Tod. Das mag in eini-gen Zügen zu Übere i n s t i m m u n g e nführen, im ganzen aber handelt es sichbei diesem Zusammenschlag derEbenen des Rechtes, der Theologieund der Politik unter Federführung derÄsthetik um eine leere Abstraktion ...

Auch im Falle von Baudrillards Su-per-System muss man ihm vorhalten,dass er abstrakte Verbindungen voninneren und äußeren Strukturen her-stellt. Die Weltgeschichte aber ist nochetwas anderes als ein großes Duelloder Schachspiel. Recht hat er darin,dass die symbolisch-zeichenhafte Ebe-ne einer Simulation der Politik diesezunehmend ersetzt. Aber die Verbin-dung von Realität und Struktur ist sehrviel komplizierter.

Lebens-Realitäten

Eine audiovisuelle Reise mit

Falk Schulze

Falk Schulze hat Menschen unter-schiedlichen Alters besucht und sichmit ihnen über ihr Leben zwischenA l l t a g s realitäten und Wu n s c h re a l i-täten unterhalten. In seiner Arbeit ver-sucht er die gegenseitige Durc h-dringung der mehrschichtigen Realitä-ten der interviewten Menschen mitHilfe unterschiedlicher Codierungsver-fahren zu abstrahieren und zu trans-portieren.

Er präsentiert seine Arbeit in Formvon analogen Fotopositivabzügen –bei deren Produktion er auf unter-schiedlichen Ebenen mit verschiede-nen Techniken gearbeitet hat – indenen der Betrachter Botschaftenlesen soll.

Diese Botschaften stehen wiederumin Verhältnis zu einem weiteren Teilseiner Präsentation – zu Ausschnittenaus den Interviews, die er mit denPersonen geführt hat, eingebettet ineinen elektroakustischen Sound-teppich.

Die BetrachterInnen können, wennsie sich darauf einlassen, in eineabstrakte audiovisuelle Realität abtau-chen und die verschiedensten Codesentdecken.

Die Augenblicke der Begegnungenzwischen Alltagsrealitäten undWu n s c h realitäten sind für denKünstler Schnittstellen der subjektivenKommunikation des Zwiegesprächeseines jeden Menschen innerhalb seiner„psychischen Schizophrenie“ bzw.innerhalb seiner verschiedenen psychi-schen Welten. Der Umgang mit demIST und dem was NICHT IST, baut eineunentwegt fortlaufende Spannung fürjeden Einzelnen auf. F.S.

Teil der Öffentlichkeit und kann daherauch zu falschem Verhalten undStörungen führen. Daher müssen dieTeilnehmerInnen in dieser Situationbesonders zusammenhalten. Einigestehen kauernd in der Gegend herumund scheinen immer noch den Wortendes Propheten innerlich zu lauschen,andere wiederum sind schon dabei,den Opfergang vorzubereiten. DieWahl des Opfers ist abhängig von derwirtschaftlichen und klimatischenSituation der Gruppe und seiner

Vielleicht sind Sie auch der Ansicht,

dass Karriere, materielles Denken und

Konsum allein nicht der Lebenssinn sein

können und es auch noch andere

Werte gibt. Gemälde, 140 cm x 140

cm, gutaussehende, strahlende, an-

sprechende, orange Erscheinung, aber

auch Olivgrün und Erdtöne vorhanden.

Kultiviert, charmant und umgänglich,

sucht die Zweisamkeit mit IHR/ IHM,

mit dem Wunsch nach Nähe, Vertraut -

heit und Gedankenaustausch, Liebe zur

N a t u r. Ihre vertrauensvolle Zuschrift

(m. Bild?) erreicht mich unter Chiffre

0307-0607-03.

Foto: U.W.

Aus der Arbeit „Der sesshafteNomade“, Grit Höhn, 2003

Anzeige

Umgebung. Von einigen Orten be-richtete man, Tomaten, Eier, Sekt-korken oder Feuerwerkskörper gese-hen zu haben. Bei unserem Ritualwählten die TeilnehmerInnen einenauf eine Motorradfelge aufgespann-ten, voll aufgepumpten Gummireifen.

Im ungeschriebenen Gesetz stehenübrigens das Gummi und der Rasender eingebildeten Hingabe am näch-sten. Wie schon erwähnt ist das Ritualin dieser Phase öffentlich. Daherkonnten auch eine Kamera und eine

utewaldhausen zu Teil 3 werd e n .Dieser Teil liegt in Form eines Videosvor und verzichtet daher hier aufeinen Kommentar.

Teil 4 findet dann wieder in einervertrauten Runde statt. Jeder Te i l-nehmer hat noch einmal die Mög-lichkeit über seine Erfahrungen imRitual zu reflektieren und sich auszu-tauschen. Dabei werden viele Seelenzu Brüdern und Schwestern.

Meistens ist am nächsten Tag allesvorbei. utw

***

Page 3: A R T C O R E - dvqlxo2m2q99q.cloudfront.netdvqlxo2m2q99q.cloudfront.net/000_clients/170421/file/artcore-i.pdfSchema, das Baudrillard bereits in sei- ... denn mit der Kritik umgehe,

Seite 3Erste Ausgabe, 2003 A RT C O R E

Cucurbita Maxima

Der größte Kürbis der Welt benötigtvon der Aussaat bis zur Ernte etwa 130Tage, einen sonnigen Standort und ge-nug Platz. Er zählt zu den am schnell-sten wachsenden Pflanzen Euro p a sund kann unglaubliche Größen erre i-chen. Manche Kürbisse wogen bei derErnte über 500 kg. Wi s s e n s c h a f t l e rsind sich bis jetzt noch nicht vollstän-dig im Klaren darüber, wie der Kürbiseine solche Wa c h s t u m s g e s c h w i n d i g-keit erreicht.

Ein Exemplar der Sorte wurde EndeMai, im Rahmen des Kunstpro j e k t e s„Komplizierte Auslöser“, auf die seitli-che Rasenfläche vor dem Van de Ve l d e-Bau gepflanzt. Der Riesenkürbis kanndort jederzeit besichtigt werden. We i-t e re Information zur Aktion sind eben-falls vor Ort erhältlich. M . L .

Kommunikationstrends – DerSiegeszug der modernen

Kommunikation

Im Zeitalter der modernen Kommu-nikation entrinnt uns das Handwerkder Gesprächsführung. Während dieMöglichkeiten des gemeinsamen Aus-tausches immer vielfältiger und globa-ler werden, scheinen sich die alltäg-lichen Umgangsarten auf ein Mini-mum zu reduzieren. Der Grund hierfürist nicht nur die Schwierigkeit, das zubenennen, was gefühlt wird. Vielmehrfehlt wohl die innere Veranlassung, et-was direkt ansprechen zu müssen.Dass damit die Respektlosigkeit unddas Desinteresse am Anderen einenSiegeszug feiert, kann nicht einmalmehr wahrgenommen werden. N.J.

... 13. März 2003. Es ist eineScheißarbeit! Das Arbeiten mit Metall,für die Schuppen, is` zum Kotzen. Esist ein so hartes, kaltes, verletzendesMaterial bei dem alle positive Energ i ev e r l o ren zu gehen scheint. Es ist knall-harte Arbeit und schweißtre i b e n d .

Das Nähen vom Leder ist nicht min-der angenehm. Zwar ist das Materialschön: weich, riecht gut und hat einangenehmes Schneidegefühl. Aber ichhab` nicht das richtige Werkzeug –und arbeite, wie ich`s gewohnt bin –so gut es eben geht mit dem, was daist. Ve rgewaltige meine Nähmasch-ine, für die das Leder zu dick ist.B reche alle Nadeln ab. Verbiege dieStecknadeln, vernähe mich, tre n n eständig Nähte auf, um wirklich einenges Kleid hinzubekommen, eine Art

zweite Haut. Löchere das Leder mitbrutalen Maschinenstichen und ver-letze auch mich dabei des Öftere n ,steche mir in die Finger, blute. Ir-gendwie passt es zu dem „Panzer-kleidchen“, das so harmlos ja garnicht ist. Und es passt zu meinerS t i m m u n g .

Braucht nicht jeder ein dickes Fell,einen Panzer, irgendeinen Schutz,egal, ob nun Frau oder nicht? Ichglaube schon, aber man muss aufpas-sen, dass man sich nicht selbst einGefängnis damit baut, sich auch nichtnur dahinter verkriecht und versteckt.Die Rolle, die wir damit spielen, mitKleidung im Allgemeinen, ist undbleibt die unseres eigenen Selbst, undeigentlich ist es das, was man stärkenmuss – ich stärken muss ... E . W.

Panzergeschichten # 1 – aus einem Künstlertagebuch

Eva Weigand bei der Arbeit Foto: K.A.

Von Stefan Römer

„Jedes Original ist ja eigentlich ansich schon eine Fälschung, sagte er,Sie verstehen doch, was ich meine.“(Thomas Bernhard )

Mit der künstlerischen Praxis desFake konstatiere ich eine fundamen-tale Umstrukturierung des Original-b e g r i ffs und damit der Institution derKunst seit den siebziger Jahren. Seitder 1973 publizierten und für die Ap-p ropriation art sehr einflußre i c h e nKunstkritik „The Fake as More, byCheryl Bernstein“, in der eine NewYorker Ausstellung rezensiert wird ,

und ihrer 1984 vorgenommenen Ent-tarnung, die den Text selbst als Fakeder Kunsthistorikerin Carol Duncanerklärt, kann der Begriff „Fake“ alskünstlerische Praxis durchaus positivbesetzt sein. Dies läßt sich mit zweiT h e o remen markieren: Nelson Good-mans Begriff einer „perfekten Fäl-schung“ (Sprachen der Kunst, 1976)und Klaus Döhmers Feststellung, dassdie Fälschung als Methodenfrage zubehandeln sei (1978). Die Kom-bination dieser beiden Theoreme bie-tet Möglichkeiten, die Fälschung jen-seits der moralischen Frage desVe r b rechens und jenseits der Suche

Der Begriff des „Fake“ als beispielhafter Paradigmenwechsel inder Kunst und Kunsttheorie

Mutter erkennt Risiko

Jena. Eine Mutter erklärte am vergan-genen Sonntag: „Das größte Risikobeim Austausch ist das ’Zu-viel-Re-den‘. Meine Erfahrungen im Umgangmit Konflikten haben mir gezeigt, bes-ser nicht anzusprechen, was mir gera-de durch den Kopf geht. Die Gefahr,dem anderen zu nahe zu treten ist ein-fach zu groß. Mir hat man immergesagt, ’Du zerredest alles, hör auf mitdem Quatsch, wir brauchen da garnicht mehr zu diskutieren‘. Als Mutterund Ehefrau sehe ich es als meineAufgabe, die Familie zusammenzuhal-ten und für ein harmonisches Mit-einander zu sorgen. Dazu gehört eseben auch, an den richtigen Stellenden Mund zu halten. Um der Angst,den anderen zu verlieren, aus demWeg zu gehen, darf eine gewisseK o m m u n i k a t i o n s g renze nicht über-schritten werden.“ N.J.

Gemälde, 122 cm x 122 cm, Macher

mit Tiefsinn – manchmal mit Eigen-

sinn, etwas selbstzerstörerisch, sucht

Sie/Ihn, geistreich, lebendig, attraktiv

und mit Sinn fürs Wesentliche zwecks

Familiengründung und gemeinsamen,

lustvollen Lebens. Bin mit Nadel und

Faden verbunden und über einen

Stahlrahmen gespannt. Wenn dies

nicht abschreckt, erreicht mich ihre

Zuschrift unter [email protected]

... und irgendwann

... such und find ich ... Dich

nach Vorbildern zu behandeln. DasFake ist somit nicht mehr derivativ indie Dialektik von Original und Fäl-schung gefangen. Vielmehr er-scheinen Original und Fälschung nunals Projektion des Fake. Im Gegensatzzur traditionellen Kunstfälschunghandelt es sich bei Fake um einekünstlerische Strategie, die sich selbstals Fälschung bezeichnet; insofern istdie juristisch verfolgte Täuschungs-absicht mit Betrugsvorsatz für dasFake weitgehend irrelevant. Wi eschon der Titel des Werkzyklus vonSigmar Polke zeigt, war dieser Dop-pelstatus aus „originalem Kunstwerk“

und dem Thema der „Fälschung“ inden siebziger Jahren durchaus viru-lent: „Original + Fälschung“ (1974 ) .Das Fake stellt die modernistischeKunstkonzeption als Identität ausschöpferischem Individuum, indivi-duellem Ausdruck, authentischemKunstwerk und bewertendem Kunst-kenner nachhaltig in Frage. Es rührtam Fundament des traditionellenK u n s t b e g r i ffs, weil es einen Mehrwertdort einführt, wo zuvor ein Wert aus-geschlossen wurd e .

(Stefan Römer, Künstlerische Strate-gien des Fake: Kritik von Original undFälschung, Köln 2001)

Bei einem Shooting anlässlich einesVortrags von Reinhold Messner in derKletterhalle Berlin im April kamen die-ser und Elfi Fröhlich überein, eine ge-meinsame Posterserie zu verlegen,siehe grosses Foto. Auch das gemein-

Fotos: HüttermannFotografie Düsseldorf

Shooting mit Reinhold Messner

same Signieren wurde schon geprobt.Wie zu sehen ist, sehr professionell. Es gab noch eine weitere Überra-schung, als sich R. M., der in seinemTiroler Chateau ein Kommunikations-zentrum für Kunst und Ökologieplant, als konzeptueller Appropriation-Künstler outete, indem er intuitiv eineZeichnung von Elfi Fröhlich signierte.

Red.

Wie entgeht man der Gefahr sich mit sich selbst zu verwechselnAus einem Vortrag von Prof. Dr. Karl-Josef Pazzini

Das Christentum war eine Vo r a u s-setzung der Genese der modernenIndividualität, einer radikalisiertenJungfrauengeburt, einer, die sich sel-ber zu erzeugen hat. Diese Individua-litäts- und damit verbundene Origina-litätsidee werden zu einer hohenA n f o rderung, zuweilen Überfor-derung. Das moderne, auch das post-moderne Subjekt muss originell undeinzigartig sein. Einziges seiner Art.

Dazu muss es sich – das klingt viel-leicht paradox – aus seiner Singularitätbefreien, aus seiner Einzigartigkeit undmuss anschlussfähig werden, zumin-dest soweit, dass es anerkannt/erkannt werden kann. Dadurch wirdes wieder sterblich.

Das ist Thema der nachro m a n t i-schen (also nach dem Geniekult, der

noch in Form der Kinderverehrungüberlebt) Kunst geworden, der Kunstder Moderne und danach. Synchrongeht es um die Anschlussfähigkeit desSingulären ans soziale Umfeld, ohnedass es verleugnet wird. Diachron umdie Frage der Generation, also derFruchtbarkeit. Gelingt die Verortung inder Gleichzeitigkeit nicht, fällt manaus dem sozialen Gefüge. Dann blei-ben Psychose und krimineller Akt.

Kunst wird zum Forschungsbereichder je möglichen Formen von In-dividualität im Übergang. Einer, derdie pre k ä ren Grenzen dieses For-schungsbereichs jetzt erfahren musste,war K.H. Stockhausen in Hamburg. Eswurde von den unbedingten Unter-stützern, den Profis des Anstandesüberhaupt zurückgepfiffen.

Die Art, wie ein Anschluss gefundenw e rden kann, hängt ab von derDiskursfähigkeit, liegt nicht ganz imEinflussbereich des jeweiligen Indivi-duums selber. Denn die Autonomie-forderung, die an das Subjekt heran-getragen wird, kann nur als Wahn rea-lisiert werden: „Ein gewisses Feldscheint dem geistigen Atmen desmodernen Menschen unentbehrlich,jenes, wo sich seine Unabhängigkeitbehauptet in Bezug nicht nur auf jeg-lichen Herrn, sondern auch auf jeg-lichen Gott, jenes seiner irreduziblenAutonomie als Individuum, als indivi-duelle Existenz. Das ist hier sehr wohletwas, das in allen Punkten verdient,mit einem wahnhaften Diskurs ver-glichen zu werden. Es ist einer. “(Lacan Seminar 3).

Künstlicher Wahn: Und weil es einWahn ist, gilt es diesen in eine wahr-nehmbare und besprechbare Fiktionzu überführen, weil der Wahn als nichtreflektierter, als nicht kommunizierterund gebändigter, d.h. in ein sozialesBand überführter, Wa h n s i n n s t a t e nund Leid produziert.

In der Produktion und Rezeptionvon Kunst wird so etwas wie eindosierter „künstlicher“ Wahn herge-stellt. Dieses kleine Format des Wahnskönnte man auch als Unsinn bezeich-nen. Es treten für kürzere oder länge-re Momente die drei Register desRealen, Symbolischen und Imaginärenauseinander und fallen, wie in derPsychose aufeinander. Kein Sinn hältsie mehr zusammen und auseinander.Von der Seite der Produktion vonKunst ist das eine Reaktion auf festge-fahrenen Sinn als Destruktion erstarr-ter, fesselnder Symptome. Aus dieserLeere heraus wird versucht, in der Tatauf Reales Bezug zu nehmen.

[...] Es taucht also die Frage auf: Wiekann in Zeiten der Zugänglichkeit gro-ßer Mengen an Information, also vonall dem, was uns formt, in Formbringt, bei vielen Vo rgängern, beischnell wechselnden Analyseinstru-mentarien, bei ebenso schnell veral-tenden Darstellungstechniken etwasSinguläres (Einzigartiges) an die Gren-ze zur wahrnehmbaren Formulierunggebracht werden? Wie kann für eineArt, von der es nur ein einzigesExemplar gibt, eine Darstellungsformgefunden werden? Und diese Fragenstellen sich in einem Zusammenhangvon Transmission (der unbewusstenForm der Tradition) und Tradition.

Was nun ist das Singuläre? DasSinguläre ist der einfachen Wiederhol-barkeit entgegengesetzt, mehr noch,es taucht deshalb und dagegen auf.Dadurch dass es das Wiederholbaregibt, entlässt es aus sich das Singuläre.Oder die Wiederholung ist der Ver-such das Singuläre loszuwerden. DasWi e d e r h o l b a re erleichtert uns dasLeben wesentlich. Es ist aber eine ArtSterbehilfe.

Das Einzige findet nicht seine Auf-hebung im (Fortsetzung auf Seite 6)

Anzeige

Page 4: A R T C O R E - dvqlxo2m2q99q.cloudfront.netdvqlxo2m2q99q.cloudfront.net/000_clients/170421/file/artcore-i.pdfSchema, das Baudrillard bereits in sei- ... denn mit der Kritik umgehe,

Wer Elfi Fröhlichs ältere Arbeitenkennt, für den ist die neue We r k-gruppe CALGON ein Schock.

In ihren älteren Arbeiten war dieKünstlerin auf der Suche nach kultu-rellen Überschüssen. In den Ruinen-feldern kultivierter Bildtraditionen su-chte sie nach Fragmenten und Restenund brachte deren Aura bildsprachlichund konzeptuell auf den Stand eineravancierten Wa h r n e h m u n g .

Die „Wahl“ von CALGON findet ineinem anderen intentionalen Kontextstatt: auf der Suche nach einem ten-denziell bedeutungsfreien Raum. DasB e g e h ren macht es sich schwere r,indem es sich den Zugriff in die aura-tischen Räume hochkultureller Ob-jekte versagt und so teilnimmt aneinem Prozess der „Bedeutungs-e n t s o rgung“ – wie die Künstlerin sagt.

Um überwältigende Gegenwärtig-keit zu erreichen, schickt die Künst-lerin das von ihr (er)wählte Objektder Massenkultur durch die virtuosbeherrschte Tr a n s f o r m a t i o n s t e c h n o-logie der neuen Medien und pro d u-ziert auf diese Weise am Objekt CAL-GON dasselbe, was sie an derBildlichkeit der Hochkultur geübt hat:eine sekundäre Aura. Was in derMassenkultur unterging, in Materialund Farbigkeit jenseits der Schwelleexistierte, wo die Wahrnehmung auf-merksam wird, wird von ihr verg r ö-ßert, mit Leuchtkraft versehen, ver-selbständigt, bis es mit einer Ober-flächen-Pracht vor uns aufersteht – alseine Art überwältigendes Blendwerk.

Die Arbeiten drängen darauf, das( t h e o retisch) Berührte für die Wa h r-nehmung zu verdichten: Hochglanzund Prächtigkeit, Superstyling unddigital cleaning als eine Art Pro d u k-tionsmittel für das Hervortreten vonB e d e u t u n g s resten, die sich der Be-trachter g e g e n den sinnlichen Druckder Prächtigkeit zusammensetzenmuss. Mitten aus ihrem digitalenGlanz heraus zwingen uns die neuenArbeiten von Elfi Fröhlich zum Nach-denken über den Status der Kunst-zumutung: Sie minimieren (noch ein-mal) die Diff e renz zwischen Kunstund Werbung und machen die Mini-m a l d i ff e renz zum Kriterium desGanzen. Helmut Hartwig

Seite 4 Erste Ausgabe, 2003A RT C O R E

Im letzten Jahr gelangte man in derStadt Glauchau (nahe Chemnitz) zuder Auffassung, die Stadt könnte eineFotoausstellung über die verschiede-nen ansässigen Jugendszenen gebrau-chen. Diese Ausstellung sollte demgemeinen Glauchauer über dieGepflogenheiten der örtlichen Jugendin ihrem Aussehen und ihrer (Rand)Gruppenzugehörigkeit aufklären. Daes aber relativ schwierig (oder auchnicht) ist, einen Jugendlichen per De-finition auf ein Bild zu bannen, wurd eein anderer Weg gewählt mit denbesagten „Objekten“ umzugehen. Sie

w u rden „verheiligt“. Ca. 32 Jugend-liche aus verschiedenen Clubs undsozialen Schichten wurden schwarz/weiss in ihrer alltäglichen Umgebungporträtiert. Diese Porträts wurd e ndanach coloriert und bekamen anstattdes realen Hintergrundes in subtilerBearbeitung eine Art von Heiligen-schein hinterlegt. Die Jugendlichenbekamen später Fragebögen aus-gehändigt, auf denen sie zu vierFragen ihre eigene Sicht der Dingew i e d e rgeben konnten. Die Heiligen-ebene wurde erzeugt, um das Bild desEinzelnen von seiner Umgebung zu

Bist Du heilig?Foto-Installation in Glauchau

Caroline Hake zeigt in ihrer Arbeit dieAufnahme eines Fernsehstudios alsgroßformatigen Leuchtkasten. Zu se-hen ist das Büro des „Chiefs“ einerpopulären amerikanischen Polizeiserie.Der respekteinflößende Schre i b t i s c hist wie der Rest des Raumes belegt mitObjekten, die den Status von „per-sönlichen“ Erinnerungen und Vorlie-ben haben. Die private Einrichtungbesteht aus Gegenständen, die alleeine militärische oder sportliche Be-deutung besitzen: es finden sich z.B.Kampfmasken in einem pseudo-anti-ken Stil, die auf kleinen Sockeln ste-

hend eine lächerliche Erhabenheit vor-f ü h ren. Diese historische Kriegsro-mantik verbindet sich mit militärischenEreignissen der jüngeren Vergangen-heit. Im Hintergrund hängt eine Foto-grafie vom Vietnam-Memorial inWashington D.C. An anderer Stellefindet sich ein Gruppenbild bei demschwer zu sagen ist, ob es sich um einAbschlussfoto vom College-Football-team oder um eines von der Armyhandelt. Beide Ereignisse erscheineninnerhalb dieses Kabinetts männlicherSelbstdarstellung als Ergebnis der glei-chen Inszenierung.

Ganz selbstverständlich haben sich dieAusstatter der Serie einer Vielzahl vonObjekten bedient, die eine nachvoll-ziehbare Sozialisation des Polizeichefsd u rch Sport und Militär sichtbarmachen. In der Tat ist es leicht vor-stellbar, da jemand der eine derartigegesellschaftliche Position in den USAbesetzt, erstens weiß, zweitens männ-lich und drittens eine militärischeK a r r i e re abgeschlossen hat. IndemCaroline Hake dieses Studio so foto-grafiert, dass die Suggestion einer rea-len Szenerie erhalten bleibt, verweistsie ganz deutlich auf die Vermischung

Politik als Entertainment

Foto: Caroline Hake

FlyerElfi Fröhlich vor ihrer Fotoarbeit„Calgon”

Foto: HüttermannFoto Düsseldorf

Schock

von realen und fiktionalen Elementeder amerikanischen Alltagskultur. Die-se besteht zu gleichen Teilen ausPolitik und Entertainment. Die Präsen-tation als großformatiger Leucht-kasten führt zu einer Übersteigerungder in der Serie als alltäglich darge-stellten Einrichtung. Dadurch wird diekeineswegs unschuldige Konnotationder Gegenstände sichtbar und derenselbstverständliches Vo r h a n d e n s e i nthematisiert.

Die Vermischung von fiktionalenElementen und realen Handlungenw i rd durch den Flyer als zweitesElement der Ausstellung deutlich.„ A d v e n t u regames“ werden die imFernsehen „live“ übertragenen Spielegenannt, bei denen unterschiedlicheTeams auf unwegsamen Terrain in„freier Natur“ gegeneinander antre-ten. Die Zuschauer, die dieses Schau-spiel verfolgen sind dazu aufgerufen,sich für ein Team zu entscheiden unddie allmähliche „Liqiudierung“ derMannschaften zu verfolgen. Dieparitätische Zusammensetzung derTeams aus Frauen und Männern vonunterschiedlicher kultureller Herkunftw i rd durch die Tatsache des „US-AmerikanerIn-Seins“ genauso absor-biert wie durch die für alle bestehendePerspektive am Ende auszuscheidenund „durchgestrichen“ zu werd e n .Demokratische Grundlagen für eineaggressive und sensationelle Ausgren-zung zu finden ist der Tenor dieserShows.

Maik Schlüter, www.buerospors.de

t rennen und um durch diese Überhö-hung zu pro v o z i e ren. Die Neucolorie-rung der Bilder unterstreicht dies undmacht das Bild fragwürdig. Für jene,die es bemerken. Die Aussagen derJugendlichen standen den manipulier-ten Bildern gegenüber und der Be-trachter hatte nun die Entscheidung,ob er sich mit dem Bild zufrieden gibtoder sich dem Spannungsfeld zwi-schen Bild und Interview aussetzt. DieAntworten der Jugendlichen sind ori-ginal übernommen und zeigen ver-schiedene Auffassungen von sichselbst und die Bereitschaft, sie mitzu-

teilen. Als Ende Februar dieAusstellung eröffnet wurde zeigteman sich allerorts begeistert, ammeisten die Stadt Glauchau selbst,die zur Vernissage im RathausAlarmstufe 2 ausrief, da die anwe-senden Jugendlichen sich zuKrawallen aufraffen könnten. Tro t zdieser blasphemischen Ansichtenw u rde die Stadt sich ihrer Investitionin die Zukunft bewusst und bietetdie (erfolgreich verlaufene)Ausstellung zur Vermietung ana n d e re Städte an. J . T.

(siehe auch Interviews Seite 5)

André Walden Helen Welsch Christoph Schröter

Page 5: A R T C O R E - dvqlxo2m2q99q.cloudfront.netdvqlxo2m2q99q.cloudfront.net/000_clients/170421/file/artcore-i.pdfSchema, das Baudrillard bereits in sei- ... denn mit der Kritik umgehe,

Seite 5Erste Ausgabe, 2003 A RT C O R E

Besucher Stefan Wilke (li.) und Partisanin Nada Dimic Fotos: K.A.

Verliebte GeisterDu sollst Dir kein Abbild machen:

eine Begegnung in der Ausstellung „Blut und Honig“

Die jugoslawische Partisanin und Na-tionalheldin Nada Dimic und derAusstellungsbesucher Stefan Wi l k elernten sich auf der „Blut und Honig“-Schau der Sammlung Essl in Kloster-neuburg bei Wien kennen. Nidic ist inder von Harald Szeemann kuratiertenAusstellung in einer Installation vonSanja Ivekovic auf einer Fotografie zusehen. Während der sozialistischenÄra wurde eine erfolgreiche Textil-fabrik nach ihr benannt. In den 90erJ a h ren wurde die Fabrik in EndiInternational umbenannt und gingschließlich bankrott, was hunderteFrauen arbeitslos machte. Wilke iden-tifizierte sich aufgrund der Vergangen-heit der Nidic als Partisanin und ihrerpostumen Ehrung, die mit der Auf-

nahme in die Ikonografie der moder-nen Kunst vorläufig ihren Höhepunktfindet, stark mit Nidic. Nicht zuletztdas umwerfende Aussehen der Heldintrug seinen Teil dazu bei. Die 1942neunzehnjährig verstorbene Nidickann zu der ihr zuteil werdenden Ehreund den romantischen Projektioneneines Ausstellungsbesuchers keineStellung nehmen. Dennoch: „Die Zu-kunft ist am Balkan“ lautet der Unter-titel der „Blut und Honig“-Aus-stellung, die noch bis zum Ende desJahres zu sehen sein wird. Dazu hatNada Dimic mit ihrem Kampfgeist,ihrem Glauben an die Freiheit ihresVolkes früh einen großen Beitraggeleistet.

www.bauhaus-weimar.de/~wilke5

Die folgenden Interviews sind Teil derArbeit „Bist du heilig“ (siehe Seite 4).

Woran glaubst Du? Ich glaube an denIndividualismus des Menschen unddessen Selbständigkeit. Ich bin zwarüberzeugt, dass Gesellschaft wichtigist, doch meiner Meinung nach solltegesellschaftliches Leben nichts mitvölliger Kontrolle zu tun haben. Mansollte es einfach schaffen an sich selbstzu glauben, dann klappt es auch mitdem Nachbarn.

Gibt es für dich Zeichen, Begeben-heiten oder Werte, die deinen Glau-ben ausdrücken? Ehrfurcht vor demIch und der Natur.

Wie sieht Deine Realität aus? Ichbin zum zweiten Mal in der 10. Klassedes Eurogymnasiums Waldenburg, ichwohne in Glauchau, treffe mich zujeder Jahreszeit und Witterung mitmeinen Freunden auf dem Extra. Ichversuche meine Jugend einfach solan-ge wie möglich zu genießen.

Wie sieht deine Zukunft aus? Ichversuche eigentlich nicht für die Zu-kunft zu reden, denn die Zukunftspricht für sich. Ich glaube nicht, dassich meine Zukunft soweit im Griff ha-be, dass ich mir meinen Weg alleinheraus suchen kann. Ich denke, dasses besser ist, zu trainieren auf uner-wartete Momente reagieren zu kön-nen, denn am Ende kommt allesanders als man denkt.(Jan Thau im Interview mit AndréWalden)

Woran glaubst Du? Dass ich irgend-wann mal ganz viel Geld habe!

Gibt es für dich Zeichen, Begeben-heiten oder Werte, die deinen Glau-ben ausdrücken? Daß auf meinemKontoauszug die Zahlen immer kleinerwerden!

Wie sieht Deine Realität aus? Dasses wohl so kommen wird, daß ich ir-gendwann mal nicht viel Geld habe.

Wie sieht deine Zukunft aus? Dassich einen Job habe, der mir ein Lebenlang „Spaß“ macht und bei dem ichviel Geld verdiene. Dass ich meinenKindern eine gute Zukunft sichernkann! (Jan Thau im Interview mit HelenWelsch)

Wo ran glaubst Du? An ein Leben nachdem Tod; daß jeder Mensch gleich ist;dass es Liebe noch gibt; dass dasLeben irgendwann mal besser wird ;Fragen, die mich aufwühlen (wieso,weshalb, warum).

G i bt es für dich Zeichen, Begeben-h e i ten oder We rte, die deinen Glau-ben ausdrücke n ? Die Musik (Gothik,Metall, EBM), Aussehen (Kleidung,Schmuck), Auffallen in der Gesell-schaft; dass in jedem bzw. fast jedemMensch ein „Alchemist“ steckt; Men-schen, die was ausdrücken; Vo r f a h re nund Nachkommen.

Wie sieht Deine Realität aus? D a s salles nie so läuft, einem die Zukunftverbaut wird; dass man zu tun hat,sein Leben aufzubauen; dass es schwerist seine Meinung frei zu äußern.

Wie sieht deine Zukunft aus? H a bich nicht, weil ich nur noch heute lebeund nicht morgen; irgendwann maleine Familie zu gründen; dass es malbesser wird, als es jetzt ist.

(Jan Thau im Interview mitChristoph Schröter)

Die Fragen – Die AntwortenWas ist Glauchauer Jugendlichen heilig?

SCHLUSS MIT PERMANENTER SELBSTHINTERFRAGUNG

KENNEN SIE DAS AUCH?

Orientierungslosigkeit, Unsicherheit, Identitätskrisen

FRAGEN ÜBER FRAGEN

Wer bin ich? Welchen Einflüssen unterliege ich? Sind es die richtigen?

Wir stellen uns vor ID – INSTITUTE

INSTITUT FÜR IDENTITÄTSKLÄRUNG & -INTEGRATION

Überlassen Sie uns die Arbeit.

Kundendienstleiterin und internationale

Mitarbeiterin Frau Dr. F. Röhlich

Liebe Leserin, lieber Leser,

Wir leben in einer immer komple-xer werdenden Welt und Zeitensteigender Unsicherheit. Immermehr Menschen empfinden es alswohltuend, ja notwendig, sichihres Standpunktes bewusst zusein. Nur, das ist keine schnell undeinfach zu lösende Aufgabe. Wo-her die Zeit nehmen? Was tun?Wo anfangen? W I R B I E T E N D I E L Ö S U N G !Unser Forschungsteam, zusam-mengestellt aus international re-nomierten Wissenschaftlern, hateine innovative Methodik entwi-ckelt, um diese grundlegendmenschlichen Bedürfnisse zu be-friedigen. Sie als Individuum ste-hen bei uns im Mittelpunkt OHNEdass ihre Person dabei direkt be-lastet wird. In einem Prozesskooperativer Zusammenarbeit er-stellen wir ihr individuelles Profilanhand einer ausgewählten Per-sonengruppe aus Ihrem Familien-und Bekanntenkreis. Über mehre-re Jahre hinweg wurde dasKonzept eingehend getestet undimmer weiter verfeinert. Für denErfolg bürgen wir mit unseremNamen.

Lesen Sie diesen Erfahrungsbericht:Franziska R. (30): „Endlich hab ich meine Ruhe!“

Als erfolgreiche Managerin und Mutter

führte ich eigentlich ein erfülltes Leben:

ich hatte einen Job, eine Familie, ein

Haus, ein Auto; alles verlief in geordne-

ten Bahnen. Der Meinung eines Aus-

senstehenden nach hätte ich eine glük-

kliche Frau sein müssen. Trotz dieser

äusseren Sicherheit begann ich immer

deutlicher zu spüren, dass meinem

Leben etwas Entscheidendes fehlte. Ich

war irritiert und begann an mir zu zwei-

feln. Meine Freizeit verbrachte ich

immer häufiger damit über mich und

meine Situation nachzugrübeln. Aber

nichts half. Irgendwie war ich mir selbst

fremd, fühlte mich hilflos, wie fernge-

steuert. Da war wie eine Leerstelle.

Noch schlimmer, je mehr ich darüber

nachdachte, desto verschwommener

wurden meine Anhaltspunkte. Ein Teu-

felskreis. Eines Tages hörte ich von mei-

ner Therapeutin, einer intelligenten

unabhängigen Frau, von diesem neuen

Institut. Über mehre re Jahre hinweg

habe ein Forschungsteam eine revolu-

tionäre Methode entwickelt, berichtete

sie: „Ihre Herangehensweise ist eine

ganz Neue. Du findest dich durch ande-

re Personen, deine Umwelt ... Ich habe

es selbst probiert: sehr empfehlens-

wert.“ schwärmte sie weiter. Also folgte

ich ihrem Rat – mein Glück – und war

restlos begeistert. Schon nach der ersten

Sitzung merkte ich, wie ein Gewicht von

mir abfiel, das so lange auf mir gelastet

hatte. Und dabei ist es kinderleicht: Per-

sonen, die dich beeinflusst haben, wer-

den in einer Akte erfasst und für dich

a rchiviert. Durch diese Maßnahme

konnte ich endlich abschliessen und

mich frei fühlen. Seitdem bin ich ein

neuer Mensch: einfach fantastisch!

So könnte Ihre Akte aussehen:

WIR INFORMIEREN SIE GERNEMail: [email protected]

Telefon: +49 (0)3643 25 52 05

Feuer im Blut – 140 cm x 140 cm, mit

dem Herzen am rechten Fleck, geht

gerne aus, sucht nette/n Frau/Mann.

Angenehm anzuschauen und anzufas-

sen. Ich wünsche mir als Gegenpol Dich,

fröhlich, liebevoll und sehr zärtlich,

die/der aber auch gute Gespräche über

Kunst und Kultur führen, im Straßencafe

sitzen, die nächste Reise planen und

Neues entdecken kann. Ich lade Dich ein,

Dich mit Bild und Angabe der Te l e f o n-

nummer bei dieser Zeitung zu melden.

Temperamentvolles Gemälde

Zeichnung: L.W.

Komplizierte

Auslöser VII

Anzeige

Page 6: A R T C O R E - dvqlxo2m2q99q.cloudfront.netdvqlxo2m2q99q.cloudfront.net/000_clients/170421/file/artcore-i.pdfSchema, das Baudrillard bereits in sei- ... denn mit der Kritik umgehe,

Seite 6 Erste Ausgabe, 2003A RT C O R E

„Auf jeden Fall kommt es darauf an,sehend zu werden. Manchmal muß alldas wiedergefunden werden, was imBild nicht zu sehen ist, um es interes-sant zu machen. Aber im Gegensatzdazu geht es bisweilen darum, Löcher,leere Stellen und weiße Flächen anzu-führen, das Bild zu verknappen, umuns Glauben zu machen, wir würdenalles sehen. Nur indem man eineTrennung vornimmt oder eine Leereaufreißt, läßt sich das gesamte Bildwiederfinden.“ (Gilles Deleuze)Sechs großformatige Schwarzweiß-fotografien zeigen das Portrait ein undderselben Frau, unwirklich weißgeschminkt, mit unwirklichem Aus-druck, deutbar irgendwo zwischen an-gespannter aber auf kein einiges Zielgerichteter Aufmerksamkeit undunantastbarer Versunkenheit. In Ge-sichtern lesen heißt, Diff e renz undmehr oder weniger fließende Über-gänge wahrzunehmen, die sich vorallem auf eindeutige Gefühle bezie-hen. Die Mimik der Frau in dieserFotoserie zeichnet einen Ausdruck,der uns verunsichert im Gespräch und– in der Ferne beobachtet – fasziniert.Es ist ein Ausdruck des Dazwischen,den die junge Künstlerin Anke Stiller inzeitlicher Dehnung auskostet. Dennnur scheinbar ist die Serie eine multi-plizierte Momentaufnahme. Ve r-änderung findet statt, vor allem aberbeim Betrachter, der die minimalenRegungen zu erkennen und zu deutenversucht. Melancholie strahlt das En-semble aus. Melancholie darüber, daßdas Gegenüber nicht Anteil nehmenläßt, selbst auf der Suche nach demk o n k reten Ausdruck seiner Ve r f a s-sung. Eine Ahnung von dem, was ver-borgen bleiben soll, stellt sich ein.Man möchte nicht spekulieren.

Reiz und ReaktionVon Sandra Bringer

Aus der Serie „Studie I“, Anke Stiller, 2003

Still aus dem Kurzfilm „warte mal”, eine beim ZKM Karlsruhe für den Internationalen Medienkunstpreis 2003 nominierte Arbeit von Christiane Wöhler.

Weimar. Hunderte Besucher drängtensich am Samstag den 17. Mai durchdie Räume des spektakulären neuenGeschichtserlebnisses in Weimar.

Unter dem Motto „Lernen undGewinnen“ hatte M. Schlaffke eineninteraktiven High-Te c h - L e h rg a n gd u rch die Bilder der Menscheits-geschichte eröffnet.

„Damit die Bilder der Vergangenheitnicht auch die Bilder der Zukunft wer-den“ – so M. Schlaffke, hatten dieBesucher Gelegenheit anhand ausge-wählter historischer Meilensteine,handlungsorientiertes Lernen zu üben.„Wir können aus der Geschichte ler-nen, wir müssen nicht die gleichenFehler immer und immer wiedermachen!“, lautete dann auch der pro-grammatische Aufruf an die Besucher,die sich eifrig an die Lösung der kniff-ligen Fragen machten. Aber es blieb

And the winner is ...Geschichte mal ganz anders:

Der Gewinner des interaktiven Lehrgangs „Aus Geschichte lernen!“ wurde gezogen.

Glücksfee Joanna zieht den Gewinner

Memory-Spiel: „pädagogisch beson-ders wertvoll“

nicht allein bei grauer Theorie, dennein attraktiver Preis winkte: ein eigensentwickeltes Memoryspiel, welchesb e reits jetzt als pädagogisch be-sonders wertvoll gilt. Von „DemRegime wird der Saft ausgequetscht“,bis „US-Vormarsch rollt wieder“ ver-sammelt das offizielle Spiel zum Kriegalle Titelschlagzeilen der Bildzeitungzum Golfkrieg, als Lernerlebnis für dieganze Familie. Dazu M. Schlaff k e :„Das Memory-Spiel ist ein perfektesSpiel für die ganze Familie und sensi-bilisiert das Erinnerungsvermögen inganz besonderer Weise – und somacht Lernen sogar Spaß!“

Unter den vielen Teilnehmern desGeschichtslehrgangs, die ihre richtigausgefüllten Fragebögen eingereichthatten, wurde jetzt der Gewinn ver-lost. Herr Gewinner aus Weimar darfsich auf sein neues Memoryspiel freu-

„Wie entgeht man der Gefahr sichmit sich selbst zu ve rwe c h s e l n “(Fortsetzung von Seite 3) etwas Allge-meinem. Es schwindet bei genauerereinordnender Betrachtung. Es ist nichtassimilierbar.

An dieser Stelle setzt die Kunst an.Sie gibt Kunde von dem Rest, vondem Entschwinden, von dem, wasimmer wieder entschwindet, weil esnichts Besonderes ist. „Einmal ist kein-mal“, sagt man.

Solche Spuren, nicht zum fertigenSchein, sondern zum Anschein oderVorschein zu bringen, ist eine der vie-len Funktionen auch gegenwärtigerKunst. Die Qualität einzelner Kunst-projekte und damit gleichzeitig die Artihrer Darstellung müssten von Ein-zelnem zeugen und zu Übertragungen

Aneinanderreihung von Klischees. Ge-rade diese können Zeugnis davongeben, dass da noch etwas anderesist. [...]

Vorkenntnisse: Jemand, der einfachnur so sich oder etwas darstellt ohneKenntnis der Vo rg ä n g e r, steht inGefahr, seine Lebenszeit damit zu ver-schwenden, das Rad noch einmal zuerfinden. Das ist noch das kleinsteP roblem. Gleichzeitig könnte dieTradition abreißen und damit dieKenntnis dessen, was uns jetzt trägt,beeinflusst, auch ohne dass wir daswissen. Das Ergebnis wäre, dass wirvoll und ganz in der Transmission ste-cken, in einer nicht bewussten Formvon Zusammenhang mit den vorange-gangenen Generationen, dere nWünsche und Idealvorstellungen uns

f ü h ren, zu Transmissionen, die dasEinzige bei anderen stimulieren hilft,hin auf einen Kontakt zum Span-nungsfeld von Besonderem undAllgemeinem. Das kann z.B. heißen,die Adressaten des Kunstdiskursesentweder in ein weites Feld hinaus zutreiben oder aber in die Enge. Jeden-falls in eine Situation, in ein Dispositiv,das die Wahrscheinlichkeit erhöht,nach medialen und formalen Äuße-rungsformen zu suchen oder solche zuadaptieren, die Einziges aufkommenoder vorkommen lassen, singulär aufdem Weg zum Pluralen. Man kannaber nicht willentlich im Einzigartigen– was ja vom Wort her schon eineKontradiktion ist – schwelgen.

Notlösung: Das Einzigartige kannauch evoziert werden durch die

en und wird den Preis bald persönlichüberreicht bekommen.Herzlichen Glückwunsch! M.S.

dann drehen und wenden, uns beset-zen.

Nimmt man aber die Fülle der mög-lichen Entwürfe, Informationen undVe r f a h rensweisen nur zur Kenntnisund setzt sie nicht um oder übersetztsie, dann bleibt man im Stadium derewigen Vorlust. Die gängige Vo r-stellung einer Aneignung des Erbes isteiner narzißtischen Ökonomie ge-schuldet, die entweder eindringt undverschlingt oder sich verschlingenlässt, sich jedenfalls kaum veränderndbeziehen kann, vor allen Dingennichts draußen lässt. Es bedarf zusätz-lich einer Heraussetzung, einer Prä-sentation, einer Aufführung, einerE n t f remdung, die etwas nicht zumEigenen machen muss, sich derUnverfügbarkeit stellt.

Komplizierte Auslöser

VII

Page 7: A R T C O R E - dvqlxo2m2q99q.cloudfront.netdvqlxo2m2q99q.cloudfront.net/000_clients/170421/file/artcore-i.pdfSchema, das Baudrillard bereits in sei- ... denn mit der Kritik umgehe,

Seite 7Erste Ausgabe, 2003 A RT C O R E

Der JetztaugenblickDie Bilder von Fionna Onoranza

Fionna Onaranza, Aus der Serie„Tender“, Fotointarsien, 2003

In digitalen Fotografien scheint späte-stens durch die Nachbearbeitung amComputer alles möglich, daher kön-nen sie uns nur selten wirklich überra-schen. Ganz anders oszilliert die Arbeit„Tender“ von Fionna Onoranza, dieeine schillernde Welt voller Schönheitund Irritation zeigt.

Die Künstlerin inszeniert in ihren Fo-tointarsien imaginäre Pro j e k t i o n s-flächen, in die der Betrachter seineindividuellen Sehnsüchte, Phantasien,Ressentiments und Ängste schreibt.Gleichzeitig entziehen sie sich abereiner Bezeichnung und werden man-gels Kontrolle zu etwas Unheimlichen.Zerfällt die Welt nur noch zu Bildern?Erschöpft sich ihre Identität in derWiederholung? „Meine Bilder sindMetaphern“, sagt die Künstlerin, „ichmöchte Assoziationen hervorrufen.“Das ist es, was sie sucht: archaischeMuster, rituelle Wiederholung, Rhyth-mus und Monotonie, Trance und Ex-tase, Augenblick und Ewigkeit. DieWelt scheint den Menschen über dieBilder Onaranzas näher denn je aufden Leib gerückt zu sein. Die offenenoder geheimen Sehnsüchte nachAufhebung aller Distanzen setzen aufeine Aufhebung ohne Bruch und Rest.Aber die Fähigkeit, die Welt in Bildernzu sehen, schafft unentwegt undunaufhörlich neue Diff e renzen zwi-schen dem Wirklichen und der Fiktion.

Die Künstlerin erreicht über Durch-leuchtung, Spiegelung oder Fragmen-tierung von Doppeldeutungen, die fürsie stark libidinös besetzt sind, einenverklärenden Grad der Undurchsich-tigkeit und des Geheimnisses, der dieVertrautheit bricht und die Bekannt-heit und inhaltliche Zugänglichkeit desgezeigten aufweist.

In unserer Reiz überfluteten Me-dienwelt mit ihren Regeln und Codes,in der es gilt sich als Individuum zubehaupten, erweisen sich Onaranzasinszenierte und serielle Bildkompo-sitionen als produzierte Fiktion, wel-che die Wahrnehmung des Betrach-ters bestimmt. Das sehen wir zumJetztaugenblick im Sinne der Rezep-tion und das Wahrnehmen zur Kon-struktion von Bildern, von Welt.

F.B.R.

Susann Prosch: Digitale Malerei Foto: Anke Stiller

REWE REACH ME

Weimar. Aufmerksame Kunden habenmehr vom Einkauf,das zeigte sichauch im Nahkauf Heyer. Ab Februardieses Jahres sind auf einigen ausge-wählten Rewe-Artikeln, größtenteilsauf Ja!-Produkten, kleine Botschaftenaufgestempelt. Bei genauerem Hinse-hen entdeckte man ein kleines„REACH ME“ und eine mysteriöse Te-lefonnummer 0180-36 84 30 64 03.

M.L.

Spektrum in ReiheEine Reihe identischer Bilder, aber nur scheinbar, das ist die Arbeit von Susann Prosch

R.P.: Wir sehen hier eine Reihe vonBildern, die alle ein wenig voneinan-der abweichen. Hat die Anzahl für Sieeine bestimmte Bedeutung?

S . P.: Nein. Die Reihe ist genaugenommen auch noch gar nicht abge-schlossen. Die ist theoretisch unend-lich, da die Vorlage eines Bildes immersein Vorgänger ist. Das ist auch derGrund für die Ähnlich- und zugleichUnterschiedlichkeit.

K ö n n te man sagen, dass dasursprüngliche Bild eine Entwicklungdurchmacht?

In gewisser Weise ja. In jeder Arbeitfinden Veränderungen und Abwei-chungen zur vorherigen statt. Dochwürde ich es nicht als die Entwicklungdes „ursprünglichen“ Bildes beschrei-ben.

Wie meinen Sie das?Diese Aussage würde dem ersten

Bild zuviel Gewicht beimessen. Alle indieser Reihe sind gleichwertig, irgend-wie.

Diese Veränderungen, die dochrecht minimal sind, ist das ein Spielmit dem Betra c h te r, oder eineAufforderung sich Dingen aufmerksa-mer zu widmen?

Nein, eigentlich nicht. Ich hattenicht vor, genaue Duplikate einesBildes zu schaffen.

Also wa ren die Ve r ä n d e r u n g e nbeabsichtigt?

Beabsichtigt nicht unbedingt. Ichhabe sie zugelassen, mir sozusagenetwas Spielraum gegeben. Es hat michinteressiert was mit den Arbeiten beidieser Vorgehensweise passiert.

Was hatten Sie erwartet wie sichdie Reihe entwickelt?

Zunächst einmal wusste ich ja über-haupt nicht, ob etwas passiert. Dannnatürlich, ob die jeweiligen Stimmun-gen und Gefühle sichtbare Spure nhinterlassen und auch wie sich die Fi-gur anatomisch verändert.

Welchen Stellenwert nimmt das vonIhnen gewählte Motiv bei dieserArbeit für Sie ein, welche Bedeutung

messen Sie ihm zu?Das Motiv ist in diesem Zusammen-

hang irrelevant, da es auf seineVeränderung oder das Nichtvorhan-densein selbiger ankommt. Die Be-deutung der Motivwahl für michbestand darin, dass ich eines findenmusste, von dem ich ausging, ichkönne längstmöglich daran arbeiten,ohne davon völlig entnervt zu sein.

R.S.P.

Jena. In einem Gespräch am vergan-genem Sonntag beklagt ein Vater dasVerschwinden des kollektiven Verhal-tens. Das private Leben wird in derÖffentlichkeit nicht mehr diskutiert.Selbst am Arbeitsplatz schwindet dasInteresse am Leben des Kollegen teil-zunehmen: „Ja sicherlich ist man da-mit aufgewachsen, nicht alles sagenzu können – alles denken zu können,aber nicht alles sagen zu können, oderüberlegen zu müssen, wem sage ichwas. Was nützt mir die Freiheit allessagen zu können, wenn ich nichtsändern kann. Arbeit ist Arbeit, Dienstist Dienst und alles andere gehtNiemanden etwas an. Der Personen-kreis ist nach wie vor groß, aber viel-

Seit mehre ren Semestern ist einLehrstuhl des Studiengangs Fre i eKunst unbesetzt. Dem wiederholtenAntrag der Fakultät Gestaltung aufBerufung der Professur wurde in derSenatssitzung der Universität jüngsterneut ein Riegel vorgeschoben. Ge-rüchten zufolge soll die Stelle zugun-sten anderer Gewichtungen als derKunst geopfert werden.

Der Kunststudiengang hat dramati-sche Auswirkungen zu erwarten,wenn die Professur nicht in Kürzebesetzt wird. Eine erhebliche Zahl vonKunst-StudentInnen und Lehramt-Kunst-StudentInnen stünden mit derEntscheidung des Senats ohne Be-t reuung. Ebenfalls wäre der interna-tional ausgerichtete Master of FineArts-Aufbaustudiengang gefährd e t .

leicht in den Gesprächen nicht mehrso tief. Ältere Kollegen, die es eigent-lich besser kennen müssten, beklagensich über die Kühle, aber praktizierensie dabei auch irgendwo selbst. Unddie jüngeren Kollegen, die haben indiesem Sinne diese andere Art desUmgangs nie kennen gelernt.“

N.J.

Die Öffentlichkeit fragt sich, wie sicheine solche Entscheidung mit demAnspruch der Universität, einzigeKunsthochschule Thüringens zu sein,d e c k t .

Zum zehnjährigen Gründungsju-biläum der Fakultät Gestaltung ist dieseine besonders bittere Pille, zumal dieArbeitssituation aufgrund fehlenderAteliers im Studiengang Kunst seitAnbeginn der Fakultätsgründungohnehin angespannt ist. Nichtsdesto-t rotz werden der Studiengang Fre i eKunst und die anderen Studiengängeder Fakultät Gestaltung mit Aus-stellungen ihrer Projekte den Charak-ter des vom 3. – 7. Juli 2003 stattfin-denden Rundgangs und Gründungs-jubiläums mit bekannter Qualitätbestücken. R e d .

Bauhaus-Universität Kunsthochschule? Vater klagt an

Kaum noch Gespräche mit Tiefgang

Anzeige

***

Page 8: A R T C O R E - dvqlxo2m2q99q.cloudfront.netdvqlxo2m2q99q.cloudfront.net/000_clients/170421/file/artcore-i.pdfSchema, das Baudrillard bereits in sei- ... denn mit der Kritik umgehe,

Seite 8 Erste Ausgabe, 2003A RT C O R E

Impressum:

Herausgeber: Projekt „KomplizierteAuslöser VII“, Studiengang Fre i eKunst, Fakultät Gestaltung, Bauhaus-Universität We i m a r, Geschwister-Scholl-Str. 7, 99423 Weimar, Telefon0049(0)3643/583240 Idee und Konzept: Prof. Elfi Fröhlich,Lehrstuhl Freie KunstProjektleitung: Prof. Elfi Fröhlich undCaroline Hake, Künstlerische Mitar-beiterinRedaktion: Elfi Fröhlich, Caro l i n eHake, Steffen CyrusLayout und Satz: Franziska KloseDruck: TA Druckhaus Erfurt

© für Text und Bild bei den Auto-rinnen und Autoren dieser Ausgabe:Alexander Bräuchler, Dr. Wo l f g a n gBock, Sandra Bringer, Steffen Cyrus,Joanna Czech, Thomas Eller, Prof. ElfiFröhlich, Caroline Hake, Grit Höhn,Nadine Jacobi, Stefan Klee, FranziskaKlose, Prof. Helmut Hartwig, MalteLochstedt, Mirella Noetzel, Prof. Dr.Karl-Josef-Pazzini, Susann Pro s c h ,Franziska Röhlig, Dr. Stefan Römer,Markus Schlaffke, Maik Schlüter, FalkSchulze, Anke Stiller, Jan Thau, Prof.Vilim Vasata, Ute Waldhausen, EvaWeigand, Lilli Weisz, Stefan Wilke,Christiane Wöhler© Photocredits: HüttermannFotoDüsseldorf; Foto Jean Baudrillard aus:„Im Horizont des Objekts, Photo-graphies 1985-1998“, Peter Weibel(Hg.), Graz 1999

Wir danken Hans-Jürgen Neff unddem TA Druckhaus Erfurt für die groß-zügige Unterstützung.

Gäste im Projekt Komplizierte AuslöserParadigmenwechsel

in der Kunst

D r. Stefan Römer, Kunsthochschule fürMedien Köln, zu Gast im Pro j e k tanlässlich seines Vortrags „Künstler-ische Strategien des Fake. Kritik vonOriginal und Fälschung“. (Siehe auchden Artikel „Der Begriff des ’Fake‘ alsbeispielhafter Paradigmenwechsel inder Kunst und Kunsttheorie“ auf Seite3 dieser Ausgabe. R e d .

Radical Credo

„Oberstes Gebot der Professiona-lität: Die Sache muss getan werden.“(Prof. Vilim Vasata)

Foto: Hake

Recycled Imagery

Der Vortrag von Dr. Vi rginia Heckert,Kuratorin für Photographie am NortonMuseum of Art, Florida, USA, erg ä n z-te den Einblick in die euro p ä i s c h eA p p ropriation-Art mit Ihrem Vo r t r a güber fotokünstlerische Aneignungs-strategien in Amerika seit den 70igerJ a h ren. Der Vortrag „Recycled Ima-gery in American Photography since197o“ soll in Kürze in deutscherSprache veröffentlicht werden. Red.Foto: Hake

Induktive Logik in der Kunst

Thomas Eller aus New York ist interna-tional bekannt durch seine installati-ven Fotoarbeiten. Er stellte in seinemVortrag die These auf, dass im Zeit-alter einer „Bindestrich-Kunst“, diesich nur in Relation zu andere nB e reichen definieren kann, das„Selbst-Portrait“ eine alternative Be-wegungsform ist, was er anhand sei-ner Arbeiten aus den letzten 15 Jahrenin verschiedenen Werkblöcken vor-führte. Eller: „So erfolgreich die west-liche Kultur war, aus einem Phänomen

Thomas Eller, „THE Selbstportrait – SELBST“, 1995

Wie wird man unverwechselbar?

Prof. Dr. Karl-Josef Pazzini

In seinem Vortrag „ Wie entgeht mander Gefahr, sich mit sich selbst zu ver-wechseln? – Wie wird man unver-wechselbar?“ entwickelte Prof. Dr.Pazzini, Universität Hamburg, dieFragestellung, wie Künstler undKünstlerinnen angesichts gro ß e rMengen an Information, der umfan-greichen Kenntnis bisher geleisteterkünstlerischen Arbeiten und einer sichstetig verändernden Darstellungsformvon Kunst eine individuelle Positionf o r m u l i e ren können. Pazzini: „Je-mand, der einfach nur so sich oderetwas darstellt ohne Kenntnis derVo rg ä n g e r, steht in Gefahr, seineLebenszeit damit zu verschwenden,das Rad noch einmal zu erfinden.

auf dessen Ursache und Grund zuschließen und daraus Prinzipien abzu-leiten, die vor allem im Bereich derNaturwissenschaften zu einer enor-men Wissensexplosion führten, sosehr hat sie im kulturellen BereichGestaltungsräume verschlossen. De-duktive Logik, die aus den Ursachen,die Phänomene legitimiert, begrenztden Spielraum einer kulturellen Ent-wicklung, die sich gerne den Freiraumnehmen will, andere Wege zu gehen.“Red.

Gleichzeitig könnte die Tr a d i t i o nabreißen und damit die Kenntnis des-sen, was uns jetzt trägt, beeinflusst,auch ohne dass wir das wissen. Nimmtman aber die Fülle der möglichenEntwürfe, Informationen und Verfah-rensweisen zur Kenntnis bleibt man imStadium der ewigen Vorlust. Wie danun schöpferisch reagieren?“ Es ergabsich, wie sich denken lässt, eine span-nende Diskussion im Projekt und beiden Gästen. Red.(siehe auch Artikel auf Seite 3)

Eigensinn – Fake – Appropriation

Eine Ausstellung des Projektes „Komplizierte Auslöser VII“

3. – 6. Juli 2003 im Rahmen des Rundgangs der Fakultät Gestaltung

Mit Arbeiten von Alexander Bräuchler, Steffen Cyrus, Joanna Czech,

Adam Halicki, Grit Höhn, Nadine Jacobi, Susann Prosch, Franziska

Röhlig, Susan Schmidt, Anke Stiller, Jan Thau, Ute Waldhausen, Eva

Weigand sowie ein Riesenkürbis auf dem Rasenstück und „Tikka und

Anevi“ in der Trierer Str. 41 von Malte Lochstedt

Eröffnung: Donnerstag, 3.Juli 2003, 18.00 Uhr

Mit einer Performance von Eva Weigand am Eröffnungsabend

Öffnungszeiten:

Do.: 18.00 – 24.00 Uhr

Fr., Sa.: 10.00 – 20.00 Uhr

So.: 10.00 – 18.00 Uhr

In den Ateliers 208, 209, 210 und 211 der Bauhaus-Universität Weimar,

Geschwister-Scholl-Str. 8, Hauptgebäude, 2. Etage

Betreut von Prof. Elfi Fröhlich und Caroline Hake, KM/Freie Kunst

Alumnae Power for the Art

Im Wintersemester 2003/04 geht einA l u m n a e - P rogramm des StudiengangsF reie Kunst der Bauhaus-UniversitätWeimar als Modellversuch in seineerste Phase. Dieser Modellversuch gibtjungen Künstlerinnen, Kunst-Absol-ventinnen der Universität, die Mög-lichkeit, ihre Erfahrungen aus derPraxis in Form von Workshops wiederin die Lehre einzubringen. Dieser Mo-dellversuch ist gefördert vom Thü-ringer Ministerium für Wi s s e n s c h a f t ,Forschung und Kunst und der Bau-haus-Universität We i m a r. Infos über e-mail Sekretariat Freie Kunst: silke.k a e s t n e r @ g e s t a l t u n g . u n i - w e i m a r. d e